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Kapitel 23.


Mit tausend Wünschen bin ich ausgegangen,
Heim kehr ich mit bescheidenem Verlangen,
Noch hegt mein Herz nur einer Hoffnung Keim,
: Ich möchte heim! –

Carl Gerock.

 

Sommerlich heiß leuchteten die Sonnenstrahlen in Pias Zimmer. Auf dem Tisch duftete ein Blumenstrauß, die Fenster standen weit geöffnet, und das junge Mädchen kehrte soeben, auf Fränzchens Arm gestützt, aus dem Garten zurück, um immer noch etwas bleich und erschöpft auf dem bequemen Sessel niederzusinken.

Voll rührender Sorgfalt waltete das Backfischchen ihres Pflegeramtes. Sie nahm mit spitzen Fingern, schier drollig in ihrer Unbeholfenheit anzusehen, den leichten Strohhut von den goldenen Löckchen der Cousine, griff hastig nach dem seidenen Shawl, ihn um die Schultern der Genesenen zu legen und drückte beinahe mit dem Daumen ein Loch in die Wand, als sie den Knopf der elektrischen Klingel in Bewegung setzte, um eine Erfrischung zu bestellen.

Mit gerührtem Lächeln beobachtete Pia den Eifer der Kleinen, welche nur noch für die Cousine zu leben und zu existieren schien.

Eine sanfte, friedliche Ruhe lag auf dem Antlitz des jungen Mädchens, ein Ausdruck stiller Ergebung, welche überwunden hat. Und gerade diese engelhafte Milde war es, welche ehemals zu ihrer vollen Schönheit gefehlt hatte.

Der Zug herben Stolzes trat zu kühl und abweisend hervor, und die sprühende Heftigkeit blitzte oft zu wetterleuchtend aus den schönen Augen, um die Eigenart ihres Madonnengesichtes nicht zu beeinträchtigen. Zwar hatte das strahlende Lächeln des Glückes ihr Antlitz mit süßem Zauber verklärt, seit Wulff-Dietrich ihren Weg gekreuzt, aber die kleinen Teufelchen des Stolzes und Trotzes hatten sich nur versteckt gehalten, um bei dem ersten Anlaß, in jener unglückseligen Scheidestunde, doppelt heftig hervor zu brechen.

Nun aber hatte das Schicksal ihnen den Krieg erklärt, hatte Thränen und Seufzer, Kummer und Herzeleid zu Hülfe geholt und durch manch einsame, qualvolle Nacht in heißem Kampf mit ihnen gerungen, bis der Sieg erstritten war! Wulff-Dietrichs Brief hatte jener im Meer des Leids Ertrinkenden die letzte Rettungsplanke aus der Hand gerissen.

Nun trieb sie durch Tage und Nächte hindurch auf den brausenden Wogen erhitzter Fieberphantasien; aber die Nachtigall sang unter dem Fenster ein süßes, prophetisches Lied der Auferstehung und der Liebe.

Bange, sorgenschwere Tage waren es gewesen, in welchen Fränzchens derbes, frisches Gesicht zum erstenmal im Leben erschreckend elend ausgesehen hatte, wo sie in hülfloser Angst um Pias Leben seit langen Jahren wieder Thränen in den Augen gefühlt. Aber die junge, kräftige Natur Pias hatte überraschend schnell die Krankheit überwunden, und als sie zum erstenmal wieder über die Schwelle ihres Zimmers schritt, glich sie einem Bäumchen im Lenz, welches der Sturm geschüttelt und in Thränenfluten gebadet, damit die kleinen, giftigen Insekten, welche versteckt in der Blütenpracht schliefen, herausgeschüttelt und vernichtet wurden.

Nun glänzte die Sonne auf einem Engelangesicht, und Fränzchen flüsterte mit leuchtenden Augen in der Mutter Ohr: »So schön wie jetzt war sie noch nie!«

Auch mit Fränzchen hatte sich in jener Zeit eine Veränderung vollzogen.

Ihr Übermut war tiefem Ernst gewichen und auf dem kecken, lebenslustigen Gesicht lag der Ausdruck einer Energie und Festigkeit, welche nichts Mädchenhaftes mehr an sich hatte.

Es war zu erregten, öfteren Aussprachen zwischen ihr und dem Grafen gekommen.

Was verhandelt wurde, erfuhr und ahnte kein Mensch, aber man schien sich schließlich geeinigt zu haben, denn Fränzchens Augen blitzten in Genugthuung, als sie mit hochgerötetem Gesicht die Thüre hinter sich schloß.

Sie atmete tief auf und strich mit dem Taschentuch über die feuchtperlende Stirn, trat zum Fenster und starrte in die Nacht hinaus.

Ein Zug tiefsten Schmerzes bebte um ihre Lippen, nur die Sterne am Himmel sahen, wie ihre junge Seele litt. –

Großer, herber Schmerz der Jugend ist Poesie! Auch durch Fränzchens Herz zitterte in dieser Stunde edelmütiger Entsagung das erste Verstehen dessen, was ein Dichterherz bewegt, wenn sich aus seinem tiefsten Weh die heiligen Lieder ringen!

Aber Fränzchen war eine starke, heldenhafte Natur. Sie überwand auch die letzte Anfechtung dieser Stunde.

Die Zähne zusammenbeißend, hob sie frisch den Kopf und strich energisch über die Augen.

Dann trat sie schallenden Schrittes, wie immer, in den Salon der Mutter.

»Mama,« sagte sie mit fester Stimme: »ich habe es durchgesetzt! zu seinem Geburtstag wird die Bombe platzen!« –

Die Gräfin ließ den Kopf momentan auf die Brust sinken und verschlang die Hände wie in ratloser Ergebenheit. –

»Mama, wäre es nicht gemein, wenn ich anders handelte? – Wulff-Dietrich ist mein Freund, – und Pia habe ich lieb!« –

»Darum eben! – grade darum!« seufzte Frau Johanna schmerzlich, dann aber erhob sie sich hastig, breitete mit strahlenden Augen die Arme aus und zog Fränzchen an die Brust. »Mein braves, edles, hochherziges Kind! wie bin ich so stolz auf Dich, ich sehe es selber ein, Du handelst recht, und auf eine Änderung in der Lage der Dinge zu warten, halte ich jetzt nach allem, was wir an Pia erlebt, auch für nutzlos! Also an Papas Geburtstag, – – je nun, wie Du willst, Gott wird Dich segnen dafür!«

Fränzchen grub die Zähne in die Lippen, um nicht ihre innere Erregung zu verraten. Sie lachte sogar und zuckte die Achseln.

»Ich bitte Dich, Mütterchen, lobe mich nicht für Selbstverständliches, ich thue meine Pflicht; weiter nichts.«

»Ich weiß aber, was es Dich kostet, um diese Pflicht zu thun, – ich kenne das Opfer, welches Du bringst!«

»Ein Opfer?«

»Du opferst nicht nur das Herz, sondern gewissermaßen so, wie die Dinge liegen, auch das Majorat!« –

»Und wollte Wulff-Dietrich nicht dasselbe thun? Ich will mich nicht von ihm beschämen lassen, – ich will ihm zeigen, daß auch ich den Namen Niedeck mit Ehren trage! und ich will ihn auch noch übertrumpfen an Großmut! – Er opferte das Majorat, um selber glücklich zu werden, – ich thue es, um andere glücklich zu machen! – und dieser Gedanke ist meine Belohnung. So; das wäre erledigt, Mama, und nun wollen wir von etwas anderem reden!« – Fränzchen strich sich noch einmal über die Stirn, als wolle sie alles wegwischen, was soeben noch dahinter revoltiert, warf sich in eine Sofaecke, schlug das Bein über und steckte sich eine Cigarette an. –

Und von Stund an war Fränzchen wieder ganz die alte. Lustig, urwüchsig in Wort und Gesten, voll toller Einfälle und von freien, burschikosen Manieren, welche Pia seit jeher entsetzt hatten. Nur eines fiel der Gräfin auf, – sie küßte die Cousine nicht mehr, höchstens, daß sie die kleine weiße Hand mehr respektvoll wie zärtlich an die Lippen zog.

Nun war Fräulein von Nördlingen wieder genesen, und vorgestern erst hatte Tante Johanna an den Bruder geschrieben und ihm über die Erkrankung der Tochter berichtet, jetzt, da alle Gefahr vorüber, hoffte sie die Eltern nicht mehr durch die Nachricht aufzuregen.

Die Rheinreise sei für kurze Zeit unterbrochen worden; – Willibald und Fränzchen würden morgen noch per Schiff nach Köln fahren und nach drei Tagen zurückkehren, um alsdann gemeinsam mit ihr und Pia nach Niedeck heimzureisen.

Dort in der herrlichen Luft und ländlichen Stille werde sich die geliebte Patientin am schnellsten erholen, und erlaube sie, Tante Johanna, sich auch im Namen ihres Mannes die herzliche Bitte auszusprechen, ebenfalls nach Niedeck zu kommen, die Tochter pflegen zu helfen! Das Wiedersehen mit den Eltern werde die beste Arznei sein! ... – – –

Nach Niedeck!

Pias Wangen schimmerten in feinem Rot, als sie voll inniger Dankbarkeit die Hände der Tante küßte! Ja, nach der Einsamkeit von Niedeck sehnte sie sich mit der ganzen Inbrunst ihres ruhebedürftigen Herzens!

Sie liebte es um dessentwillen, der es einst als Herr besitzen wird, den man schon jetzt im ganzen Land um diese Erbschaft beneidet und der ihr dennoch lächelnd entsagen wollte – um seiner Liebe willen! – –

Fränzchen hat sich einen kleinen Schemel herzugetragen und sitzt zu Pias Füßen.

Es beginnt zu dämmern; das letzte Abendrot weht wie zarte Duftschleier über den Himmel und erlischt. Graue Schatten sinken nieder, und die dichtlaubigen Baumkronen vor dem Fenster verdunkeln sich mehr und mehr.

Von fern her schallt der Straßenlärm; einzelne Gaslichter flammen auf, die kleinen irdischen Sterne, welche früher zur Stelle sind, wie ihre himmlischen Genossen im klaren Äther. Das zarte Profil Pias hebt sich grell von dem dunklen Hintergrund ab. Sie hat das Köpfchen zurückgeneigt wie in schwärmerischer Sehnsucht, den Blick zum Himmel hebend.

Fränzchen blickt schweigend zu ihr auf, sie weiß, an wen die Freundin denkt; nach jener bangen Stunde, in welcher man die Bewußtlose, Wulff-Dietrichs Brief in der Hand, emporhob und zu ihrem Lager trug, hatte sie vor Fränzchen und Tante Johanna kein Geheimnis mehr.

Damals aber hatte sich der Liebe ganze hoffnungsvolle Leidenschaft in ihrem thränenüberströmten Antlitz gespiegelt, und heute lag eine so friedliche Ruhe auf demselben – eine Entsagung. –

Fränzchens Herz erbebt, noch einmal blitzt fern, ganz fern ein Sternlein der Hoffnung, noch einmal wallt die geglättete Flut ihrer Empfindung auf, als habe ein Windstoß sie jäh getroffen.

Pia sieht nicht mehr unglücklich aus!

Leise, zaghaft legt die Kleine ihre starkknochige Hand auf die sammetweiche Rechte der Cousine.

»Pia!«

Fräulein von Nördlingen erfaßt die Hand mit herzlichem Druck, fragend wendet sie das Antlitz.

»Freust Du Dich auf Niedeck?« –

»Unaussprechlich!«

»Es wird sehr einsam sein, vielleicht langweilst Du Dich?« –

»Ich sehne mich nach Ruhe!«

»Weil Du noch krank bist! Sowie Du aber neue Kräfte gesammelt hast und die alte Lebenslust wiederkehrt, wirst Du Dich nach Zerstreuung sehnen!«

»Nein, Fränzchen, ganz gewiß nicht, ich hoffe, daß Onkel mich nach Persien mitnimmt, dort kann ich ohne jeden lästigen Zwang fernab von allem Verkehr leben!« –

»Pia, Du wirst die Erinnerung überwinden, wirst heiraten und glücklich sein!« Wie beschwörend blickten die dunklen Augen zu ihr auf.

Sie schüttelte sehr ernst und ruhig den Kopf. »Nein, niemals; ich gehöre zu den Mädchen, welche den Blumen gleichen. Für uns giebt es nur einen Lenz, – nur einen einzigen holden Frühlingstraum. Fällt ein Raureif, so sterben wir daran. Nur nicht so schnell wie die Blaublümlein, nicht über Nacht. Bei uns Menschenblumen trifft der Todesfrost nur das Herz, und das steckt so tief verborgen, daß kein Menschenauge es sieht. Auch Du wirst darüber hinweg sehen, Fränzchen, und wirst es den Rosen auf meinen Wangen nicht glauben, daß sie über einem Grabe blühen, wenn wir uns dereinst im Leben froh und guter Dinge wiedersehn!« –

Fränzchen senkte den Kopf sehr tief. »Sage mir wahr und wahrhaftig, wirst Du Wulff-Dietrich nie vergessen?« –

»Nie, aber ich werde ihn ohne Groll und Bitterkeit an der Seite einer andern glücklich sehen.«

»Und wenn nun zu Dir ein anderer käme, der Dich sehr, sehr lieb, ganz unaussprechlich lieb hätte?«

»Das würde ich tief beklagen, denn er würde unglücklich werden wie ich.«

»Ist das Dein heiliger Ernst? könntest Du Deine Ansicht nicht doch noch ändern? wenn ... nun ... wenn ich nun zum Beispiel ein Mann wäre! Du kennst mich so gut, Du hast mich doch lieb, würdest Du mich dann auch nicht heiraten?« –

Pia lachte, – zum erstenmal lachte sie leise auf. »Welch ein Gedanke! Gott sei Lob und Dank, daß Du ein Mädchen bist, denn als Mann würdest Du ja in erster Linie Majoratsherr von Niedeck sein, und Du weißt« – – ihre Stimme erbebte plötzlich und ihr Antlitz ward sehr ernst – »ich habe es mir geschworen, nie und nimmer den Majoratsherrn zu heiraten!«

Fränzchen lachte auch, aber etwas konvulsivisch. »Unsinn! ich meinte nur, daß es vielleicht doch noch Menschen und Männer geben könnte, die Du lieb haben würdest! Wenn nun Wulff-Dietrich doch noch einmal käme ...«

»Still, still von ihm! –

»Wenn er nun nicht Majoratsherr wäre ... wenn Niedeck an die Krone fiele?!« –

»Das kann nicht geschehen, so lange ein Niedeck lebt, und Wulff-Dietrich ist der letzte seines Stammes. Warum mir mit solch unnötigen Dingen das Herz schwer machen, Fränzchen? – Über meine Liebe ist das Urteil gesprochen und ich habe mich dem Spruch gefügt! Will denn Dein treues, liebes, redliches Herz noch immer gegen sein eigenes Empfinden ankämpfen? – Laß gut sein, Du braves Kind! ich weiß ja, daß in Dir kein Falsch ist, daß Du mir das Glück nicht gestohlen hast, – – Gott selber gab es Dir! – Hast Du neuerdings Nachricht von ... von ihm?« –

Fränzchen war tief in sich zusammengesunken und hatte den Kopf so sehr zur Brust geneigt, daß man ihr Antlitz nicht erkennen konnte, sie war hastig zurückgewichen, als Pia sich neigte, um sie voll Innigkeit zu küssen, und sie bebte leise zusammen, als die Lippen des jungen Mädchens zärtlich ihren Scheitel berührten.

»Ja, ich habe die Antwort auf mein Schreiben erhalten, mit welchem ich ihm seinen eigenen Brief, den er an seine Eltern gerichtet, übersandte. Er löst das Rätsel, wie dieses Schreiben an Papa gelangen konnte.« – Fränzchen sprach mit leiser, heiserer Stimme.

»Und wie löst er es? Erzähle mir! Es regt mich gewiß nicht mehr auf.«

»Willst Du nicht selber lesen?« –

»Nein!« – das klang sehr kurz und energisch.

»Nun, die Sache war sehr einfach. Hartwig stürzte in Hoppegarten und Onkel Rüdiger und Tante Melanie reisten auf die Depesche hin sofort ab. Wulff-Dietrichs Brief ward ohne nähere Adresse nach Berlin nachgesandt, fand den Graf – welcher bei Freunden logierte, nicht auf und ward fälschlicherweise nach Niedeck zurückdirigiert. Dort glaubte man, das Schreiben sei an Papa gerichtet und schickte es ihm nach. – Du siehst, welch eine Verkettung der Umstände nötig war, um das unglückselige Papier just in Deine Hände zu spielen. Wulff-Dietrich schreibt übrigens sehr verzweifelt.« –

»Verzweifelt? Warum das?« –

»Hartwig hat maßlose Schulden hinterlassen, von welchen kein Mensch eine Ahnung hatte. Sollen sie bezahlt werden, ist sein Vater ruiniert. Es scheint, der leichtsinnige Bengel ist grade zur rechten Zeit gestorben, ehe er noch mehr Unheil anrichten konnte und selber kläglich zu Grunde ging!« –

»Entsetzlich! welch ein Glück, daß Wulff-Dietrich einst als Majoratsherr für seine Eltern sorgen kann! Siehst Du, Fränzchen, schon darum dürfte er nie den sündhaften Gedanken hegen, den Besitz an die Krone abzutreten, – dieses Opfer würde ich erst recht nicht annehmen, lieber sterben.«

Fränzchen neigte den Kopf abermals sehr tief. »Ja, die Dinge liegen plötzlich sehr, sehr fatal! – Sie seufzte schwer auf –: »Hartwigs Schulden kommen höchst unglücklich! – aber ... du mein Gott! Wulff hat doch seine schöne Anstellung als Oberförster. Der Herzog würde ihm für den Verlust von Niedeck sicherlich eine schnelle Karriere sichern – –«

»Fränzchen –!« Pia sprang mit entsetztem Gesicht empor: »Gott verhüte es, daß Ihr solch ein Unheil plant! es hieße mich zum Äußersten treiben! – Glaubst Du, daß ich jemals ein solch ungeheures Opfer von einem Manne annehmen würde, ein Opfer, welches mein ganzes Leben lang als unertragbare Schuld auf mir lasten würde? Nie! es hieße mein Glück durch zentnerschwere, quälende Vorwürfe zermalmen!«

Fränzchen drehte mechanisch die Daumen in ihrem Schoß zusammen und schüttelte den gesenkten Kopf. »Nein, nein, beunruhige Dich nicht, – es ist gar keine Möglichkeit mehr, daß Wulff-Dietrich freiwillig auf Niedeck verzichtet, – wenngleich es ein Unfug ist, denn das Majorat liegt so wie so in den letzten Zügen. Außer Dir giebt es keine vorschriftsmäßige Frau mehr für den Majoratsherrn von Niedeck. Der letzte dieser Art wird als trübseliger Junggeselle im Schloß der Ahnen sitzen, und die Herren Minister werden schmunzelnd auf den Tag warten, wo das Besitztum der ausgestorbenen Familie an die Krone zurückfällt. – Lang genug haben wir es ja zu Lehen gehabt, nun ist die Sanduhr abgelaufen, – und das Geschlecht geht zu Grunde, weil – weil eine Mädchenlaune es also will!« –

»Fränzchen!! – bist Du denn nicht noch auf der Welt?« – das Backfischchen sprang auf und schritt erregt im Zimmer auf und nieder.

»Ich! – ja! ich bin noch da, – und die traurige Rolle, welche ich in der Familiengeschichte zu spielen habe, ist mir bereits zuerteilt, – von mir selber. Ich werde sie getreulich zu Ende führen, – – glaube es mir. Ich weiß, was ich der Freundschaft und unseres Namens Ehre schuldig bin. – Und nun still davon, – die Sache ist nun erledigt und außerdem höre ich Mama kommen, welche wir mit erfreulicheren Themata unterhalten wollen, als wie mit dem Schreckgespenst des Majoratsherrn!« – Schon öffnete sich die Thüre und die Gräfin stand auf der Schwelle.

Fränzchen hielt in ihrer erregten Promenade inne und schwenkte mit jähem Ruck einen Sessel herum, der Mutter einen Platz neben Pia am Fenster zu bereiten.

»Dachte ich es doch! sitzen die Mädels noch und feiern Dämmerstunde!« lächelte Tante Johanna, den Arm liebevoll um den schlanken Nacken der Nichte legend. »Nein, schelle noch nicht nach Licht, Fränzchen, es ist ja reizend gemütlich, in die stille, warme Sommernacht hinauszusehen, ohne daß Nachtfalter und Rheinschnacken durch Lampenlicht in das Zimmer gelockt werden!«

»Wir sehen ja auch zu unserer Arbeit!« versuchte Pia zu scherzen, dieweil Fränzchen schweigend von der elektrischen Klingel zurücktrat und sich auf den Sessel der Mutter lehnte.

»Ich bringe gute Nachricht!« fuhr die Gräfin mit ihrer weichen, etwas verschleierten Stimme fort. »Eine Nachricht, welche uns alle soeben innig erfreut hat. Noch hatte ich nicht auf die Antwort Deines Vaters gerechnet, Pia, und doch traf sie soeben schon ein!«

»Ein Brief von den Eltern? o gieb ihn mir, Tantchen, wenn keine Geheimnisse darin stehen!«

»Jetzt könntest Du ihn ja doch nicht lesen, liebes Herz, also laß mich mündlich berichten! Vor allen Dingen haben Deine Eltern unsere Einladung angenommen und werden nächsten Donnerstag bereits auf Niedeck eintreffen!«

»Hurrah, sie kommen!« jubelte Fränzchen laut auf, sie war plötzlich wie umgewandelt, schien ihre sentimentale Stimmung völlig vergessen zu haben und schwang sich mit kühnem Satz auf das Fensterbrett! »Brillant! alle Akteurs müssen für Papas Geburtstag zur Stelle sein!«

»Und denk Dir, Pia, Deine Eltern kommen nicht allein, sie bringen sogar noch eine Überraschung mit!« –

»Eine Überraschung?« klang es ein wenig gedehnt und beinah a tempo aus dem Munde der beiden jungen Mädchen zurück.

»Und was für eine! Dein Bruder Gert ist vor acht Tagen mit S. M. S. »Ariadne« aus der Südsee heimgekehrt und wird morgen einen mehrwöchentlichen Urlaub in die Heimat antreten; er wird Deine Eltern begleiten und ebenfalls unser lieber Gast auf Niedeck sein!«

»Nochmals Hurrah, doppeltes Hurrah!« rief Fränzchen, und ihre rauhe Stimme schnappte beinahe über: »Das ist ja pyramidal! das ist einfach famos! Gert soll ein riesig fideles Huhn sein, der wird schon für Kurzweil sorgen! – Jux, trullullu!! ich kann es gar nicht mehr abwarten, bis wir daheim sind!« und dabei fuchtelte sie mit ihren langen Armen durch die Luft und manipulierte mit den Beinen, daß sich ihre Gestalt gegen den hellen Abendhimmel in geradezu grotesker Silhouette abhob.

Und gleichsam als ob ihre Lustigkeit ansteckend wirke, ward die Unterhaltung so lebhaft und heiter, wie sie seit jenen frohen Aßmannshäuser Tagen nicht mehr gewesen war, und als Friedrich meldete, daß das Abendbrot serviert sei, begab man sich in so animierter Stimmung zu Tisch, daß Graf Willibald seinen Augen und Ohren kaum trauen wollte.

Die frohe Nachricht hatte außerordentlich günstig auf Pias Befinden eingewirkt.

Sie lebte neu auf in dem Gedanken an das frohe Beisammenleben auf Niedeck, und manchmal stand sie, die Hände verschlungen, den Blick wie verklärt zum Himmel gehoben und wiederholte leise: »Das stolze, alte Geschlecht soll zu Grunde gehen, weil eine Mädchenlaune es also will? – Nein, bei Gott, sie will es nicht! die Zeit kindischer Laune und kindischen Trotzes ist um!« Und wenn sie nachts schlaflos auf dem Lager lag, und der silberne Mondschein über das weiße Briefkouvert glitt, welches seine Hand geschrieben, und welches das einzige teure Kleinod war, das sie von ihm besaß, – wenn sie es wieder und immer wieder an die Lippen drückte – und sein Bild so klar und makellos wie das eines Heiligen vor ihren Augen schwebte, dann gewann der Plan, welcher scheu und zaghaft in ihr zu reifen begann, immer mehr Gestalt und Farbe! – Ja, was ihr zuvor wie ein Wahnwitz, wie eine absolute Unmöglichkeit erschienen, das hatte Fränzchens leise klagende Stimme urplötzlich ganz und gar verwandelt.

Sie, die in den aristokratischsten Grundsätzen erzogen war, sollte um einer Laune, einer übertriebenen stolzen Phantasterei willen, eines der ältesten Geschlechter dem Untergang weihen? War ihr dieser Gedanke denn nicht schon früher gekommen? – Gewiß, er war es! und doch hatte sie mit gleichgültiger Kälte die Hand, welche retten konnte, von diesem Geschlecht zurückgezogen.

Jetzt aber war die Liebe gekommen und hatte sie mit tausend geheimen Fäden an den Letzten dieses Geschlechtes gebunden, fest, unlöslich, bis in den Tod getreu, – und was ihr fremd und interesselos gewesen, das deuchte ihr nun ein Stück von ihrem eigenen Ich, das war ihr nahe getreten, wie nichts anderes auf der Welt, für das empfand, fühlte und litt sie! –

Wulff-Dietrich kann als ehrenfester Mann nicht wieder um ihre Hand werben, – sie aber, die Schuldbewußte, Reuige kann ihm diese Hand wohl vergebungflehend entgegenstrecken!

Handelt sie unweiblich und keck? –

Nein, die Verhältnisse würden sie entschuldigen, – wenn ... ja, wenn Fränzchen nicht wäre! –

So lange aber wie die Kleine da ist, findet ja Wulff-Dietrich in ihr die Gemahlin mit sechzehn Ahnen, und so lange wie Fränzchen ihm treu bleibt, ist das Geschlecht der Niedecks noch nicht gefährdet.

Liebt ihn Fränzchen aber wirklich, treu und echt? oder war ihre Begeisterung für den Vetter nur eine kindische Schwärmerei ohne Bestand?

Wulff-Dietrichs vornehm ernstes Wesen paßt so ganz und gar nicht zu Fränzchens Art und sie, die Kecke, Übermutstolle, kann sich wohl auf die Dauer nicht für einen Mann begeistern, welcher ihren Passionen und Extravaganzen in nichts gerecht wird. Ihr kindisches Gelächter gellt Pia noch immer wie ein Mißton in den Ohren, so lacht kein Mädchen, wenn es sich um das süße Geheimnis seiner Liebe handelt, – und außerdem ist es Pia seit jenem Tage aufgefallen, wie kühl und gleichgültig die Cousine von Wulff-Dietrich spricht! – Und alsdann ... Ihr Jubel bei der Nachricht, daß Gert zum Besuch nach Niedeck kommt? –

Ach, wie gleichgültig, wie unbeschreiblich gleichgültig würde Pia der Besuch eines jungen, anderen Herrn sein – und wäre es selbst der des Königs! –

Fränzchen aber ist wie elektrisiert bei dem Gedanken an den jungen Marineoffizier, von dessen flotter Laune, Schönheit und Schneidigkeit sie gar nicht genug hören kann!

Wie viel hat er schon erlebt! wie viel Interessantes gesehen und gehört!

Sie brennt darauf, ihn erzählen zu hören, denn auch in dieser Beziehung hat die Kleine absolut keinen Mädchengeschmack, sondern macht jedem Gymnasiasten Konkurrenz!

Indianergeschichten, Seeabenteuer, Krieg- und Kampferlebnisse! ja, darüber saß sie mit glühenden Wangen und flammenden Augen, während Pia sie in den ersten Tagen ihres Beisammenseins über dem Buche »Mädchenleben«, welches sie dem Cousinchen mitgebracht, eingeschlafen fand. Damals hatte Fränzchen alles »Lyrische« noch geradezu gräßlich gefunden und behauptet, es werde ihr speiübel bei solch einem Gesäusel und Gebräusel, aber es war bald anders geworden und direkt in Schwärmerei, zeitweise beinah in Sentimentalität umgeschlagen. –

Das verschuldete wohl der Verkehr mit Pia; Fränzchen hatte zuvor wenig oder gar keine Gelegenheit gehabt, mit jungen Damen zusammen zu sein, und darum erging es ihr der schönen Cousine gegenüber wie fast allen ihrer Altersgenossinnen, – sie schwärmte die ältere an!

Sollte auch ihre Begeisterung für Wulff-Dietrich nur eine solche Eintagsfliege leicht erregter Backfischs-Phantasie gewesen sein? –

Sollte sie im stande sein, ihn um Gerts willen zu vergessen? –

Der junge Marineoffizier ist wie geschaffen dazu, die kleine Komtesse prima vista zu erobern! er wird in allen Dingen mit ihr harmonieren. – –

Pia preßt wie in weher Leidenschaft die Hände gegen die Brust! – Fränzchens Verlobung mit Gert würde die einzige Möglichkeit sein, die verwirrten Fäden des Schicksals zu lösen! –

Gert muß eine reiche Frau heiraten, er ist durchaus nicht skrupulös in seiner Wahl, Fränzchens Häßlichkeit würde ihn nicht genieren, ihr originelles Wesen ihn sogar amüsieren und anreizen! – Herr Gott des Himmels – wenn es möglich sein könnte, – wenn jene Stunde käme, in welcher sie zu Wulff-Dietrich sprechen könnte: »Ich bin die Einzige, welche Dein altes Geschlecht von dem Untergang erretten kann, – um Deines Namens willen vergieb mir!« –

Es ist eine lange, bange, dunkle Nacht um sie gewesen, nun leuchtet ein rosiger Hoffnungsschimmer am schwarzen Himmel auf, ein Lichtstrahl, welcher eine Sonne verheißt!

Wird sie voll blendender Schöne emporsteigen!? Wird sie mit heißem Strahl die Thränen von den Wangen küssen?

O komm, Sonne, komm! Du findest eine Rose, von welcher die schwere Hand des Schicksals die Dornen abgestreift.


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