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Kapitel 19.


Ich schritt an Deiner Seite im stillen Buchenhain,
Ein störendes Geleite ließ nimmer uns allein!
Und mußten wir zurück auch in's Herz dir Worte pressen,
Doch sagten unsere Blicke, daß wir uns nicht vergessen.

 

Sechs Tage waren vergangen, seit Mr. Luxor nebst Familie und Dienerschaft in der Kuranstalt von Aßmannshausen Wohnung genommen. Nicht die heilkräftigen Lithionquellen lockten ihn zu längerem Aufenthalt, sondern die wunderbar schöne Lage des kleinen Bades, welches alle Reize und poesievolle Anmut des Rheines in sich vereinigte.

Mit den amerikanischen Herrschaften zugleich war ein guter Freund derselben, Assessor Hellmuth, in dem Kurhause eingekehrt, und wer den jungen Herrn beobachtete und sich ein wenig Menschenkenntnis angeeignet hatte, der merkte gar bald, daß dieser weder dem Lithion, noch der herrlichen Aussicht zu Liebe Gast in Aßmannshausen geworden war.

Der junge Forstmann hatte ein Zimmer in der Dependence Villa des Kurhauses bezogen, in welcher auch Mr. Luxor nebst den Seinen Wohnung genommen.

Voll Entzücken hatte Pia ein kleines Turmzimmer entdeckt, welches einen zauberhaften Rundblick auf den Rhein, Berge und Burgen gewährte und ganz begeistert von dem Gedanken, als modernes Ritterfräulein hier zu hausen, hatte sie um die Erlaubnis gebeten, dieses Poetenstübchen bewohnen zu dürfen.

Tante Johanna nickte lächelnd; auf ihren Befehl bezog Dorette das kleine Vorzimmer.

Eine unbeschreiblich reizende Zeit begann.

Obwohl sich die kleine »amerikanische Gesellschaft« von jedem Verkehr mit den andern Kurgästen zurückzog und auch die Mahlzeiten allein serviert bekam – nur der Assessor war auf Fränzchens ungestümes Verlangen zu denselben hinzugezogen worden – verliefen doch die Tage so wechselreich und amüsant, wie nur möglich.

Man unternahm vor allen Dingen die mannigfachsten Wasserpartien, besuchte die umliegenden Burgen und durchstreifte die interessante Umgegend nach allen Richtungen. Flammende Purpurstreifen malten den Himmel und vergoldeten die Zinnen von Rheinstein.

Schon zum zweiten Male stattete die kleine Gesellschaft dem malerischen Schlößchen einen Besuch ab, und Fränzchen hatte mit dem »Burgwart« bereits innige Freundschaft geschlossen, welche schließlich zu dem Resultat führte, daß der Getreue zu einem staubigen Horn griff, es eifrig blank rieb und dem kleinen Fräulein zu Liebe die schönsten Lieder vom Turm herabblies.

Fränzchen war begeistert, obwohl der bescheidene Künstler versicherte: »Winters über bleibe die Trompete am Nagel hängen, und da käme er doch sehr aus der Übung. Wenn er erst eine Zeitlang wieder zur Probe geblasen, dann wolle er wohl schon etwas besseres leisten!«

Fränzchen fand es äußerst verlockend, dieses Instrument, welches ihr nächst dem Leierkasten am schönsten deuchte, auch zu erlernen, ein Vorsatz, welcher große Heiterkeit hervorrief.

»Eine junge Piston-Virtuosin wäre allerdings etwas eigenartiges!« lachte der Assessor. »Auch ist der Zweig dieser Kunst von den eitlen jungen Damen nicht allzu oft gepflegt worden. Da Sie aber gar nicht wissen, was Eitelkeit ist, und die Posaunenwänglein Ihnen in der That auch sehr gut stehen, dürfen wir von Ihnen große Leistungen erwarten, Miß Francis!«

Die Kleine setzte statt aller Antwort die Trompete an den Mund und blies den Spötter so gewaltig und so haarsträubend an, daß alle Hände entsetzt nach den Ohren griffen.

»Hat Margareta nicht auch auf der Trompete geblasen?« fragte sie alsdann triumphierend.

»Gewiß! Genau mit Ihrem Talent, o Königin! welches: Stein erweichend, Menschen rasend machen kann!!« –

»Weil sie noch keinen regelrechten Unterricht gehabt hatte! – lächerlich! bei dem Trompeter von Säckingen finden alle Menschen das Tuten himmlisch, großartig, – poetisch! – Margareta ist sogar so albern, sich dessenthalb in ihn zu verlieben, und wenn sie selber musikalisch werden will, behaupten die Zuhörer plötzlich, sie bekämen Leibweh davon, – und es war doch ein und dieselbe Trompete!! da hier, Assessor – pusten Sie mal! wollen doch sehen, ob Sie es gleich im Aushieb besser können wie ich!« – sie hielt ihm mit einer ihrer derben Bewegungen das Instrument hin, – Hellmuth aber schüttelte lächelnd den Kopf: »Wenn ich es wagen wollte, würde man sofort in Bingen die Feuerglocken läuten!« –

»Wir können ja erst den Nachtwächterreim singen, das nimmt der musikalischen Leistung vielleicht das Schauerlich-Allarmierende!« spottete sie.

Drunten an der Turmspitze rief die Gräfin; es war Zeit, an den Heimweg zu denken.

Fränzchen warf die Trompete auf die Bank und stürmte mit polternden Sprüngen die Stufen hinab.

Pia stand allein neben Karl Hellmuth.

Die letzten Lichtstrahlen flimmerten über ihr blondes Köpfchen und der leichte Windhauch wehte die Ärmel ihres weißen Kleides zurück, daß es aussah, als seien der schlanken Mädchengestalt Engelflügel gewachsen.

Wie trunken vor Entzücken hing sein Auge an ihrem Antlitz, und mit jäher Bewegung nahm Pia die Trompete und reichte sie ihm stumm mit bittendem Blick entgegen. Er griff jählings zu, aber nicht nach dem blinkenden Metall sondern der kleinen weißen Hand, welche es darbot.

Und ehe das junge Mädchen wußte, wie ihr geschah, hatte er diese weiche Hand an die Lippen gezogen, um sie mit heißen, leidenschaftlichen Küssen zu bedecken. –

»Lilian, kommt doch! wo bleibt Ihr?!« – klang Fränzchens ungeduldige Stimme von unten. Die Gerufene schrak zusammen, glühende Röte flammte über ihre Wangen. Sie wollte hastig ihre Rechte befreien und davoneilen. Karl Hellmuth aber drückte sie nur desto heißer an die Lippen.

Und dann richtete er sich gewaltsam auf und flüsterte mit halb erstickter Stimme: »Nicht jetzt – nicht jetzt! später!« –

Pia hörte es nur noch wie im Traum, mit glückzitterndem Herzen flog sie wie eine lichte Erscheinung an ihm vorüber zur Treppe.

– – – – Schweigend schritten sie den Burgberg hinab, unter leis flüsterndem Waldesgezweig hinweg, in welchem liebestrunkene Vogelstimmen zarte Nachtgrüße tauschten.

Die Dämmerung sank schnell, – feine Nebelschleier wehten schon über den Fluß, und längs der Bahngeleise blitzten die ersten Lichtlein auf. Nachtkäfer surrten schwerfällig über den Weg und der Fliederstrauß an Pias Brust duftete stärker wie zuvor.

Fränzchen trug wieder allein die Kosten der Unterhaltung, sie ging, wie stets, Arm in Arm mit der Cousine und plauderte über diese hinweg mit dem recht einsilbigen Assessor.

Mr. Luxor folgte etwas langsam mit seiner Gemahlin.

»Das Trompetenblasen hat mir bis jetzt eigentlich noch gefehlt,« sagte Komteßchen plötzlich, ganz gegen ihre Natur ein wenig schwärmerisch, und als kein »warum?« gefragt wurde, fuhr sie auch ohne Antwort eifrig fort: »Meiner Ansicht nach gehört das nämlich zum Rhein! schon um des Trompeters von Säckingen willen! – den Schmöker kennt doch jeder Mensch und läßt ihn sich auf die Nerven gehen – na, du lieber Gott, mir ging es auch so! – die Margareta, süßer Balg! ich kaufte mir damals alle Illustrationen, welche ich nur auftreiben konnte, – und als ich die Geschichte zum sechstenmal las, da schluckste ich doch noch mit den Thränen, wenn ich an die Trennung kam! – Gräßlich! ich werde doch lieber nicht die Trompete blasen lernen, denn es hat immer den wehmütigen Beigeschmack von: ›Behüt Dich Gott, es wär zu schön gewesen, Behüt Dich Gott, es hat nicht sollen sein!‹« –

Hellmuth lächelte, sein strahlender Blick suchte Pias Auge. »Das begreife ich nicht!« antwortete er leise: »ich habe bei dem Gedanken an Scheffels herrliche Dichtung nie eine traurige Empfindung, denn ich weiß ja, daß Margareta und Jung Werner doch nach allem Leid noch glücklich wurden, und das ›Behüt Dich Gott‹ verschmilzt sich in meinen Träumereien stets mit dem himmelaufjauchzenden Liebesjubel: ›Jung Werner ist der glückseligste Mann im römischen Reich geworden, – doch wer ihm solches Glück gethan, das sagt er nicht mit Worten, – er legt es nur in Töne ein – wie wunderschön ist's doch im Maien, – Feinslieb ich thue Dich grüßen!‹ – – – O – Sie kennen dieses Duett auch, Miß Lilian?« –

Pia hatte unwillkürlich die Melodie leise angehoben, jetzt verstummte sie erschrocken.

»Bitte, singe laut, Lilian! ach, thu mir den Gefallen und singe!« bat Fränzchen in ihrer stürmischen Weise, und der Assessor blieb unwillkürlich stehen und schaute wie in stummer, heißer Bitte in ihr Auge.

Pia sah an ihm vorüber, neigte das Köpfchen mit sinnendem Lächeln zurück und blickte empor zu dem tiefblauen Himmel, an welchem bereits die Mondsichel wie ein einsames Schifflein auf endloser Flut schwamm, und wo die ersten matten Sterne wie verschleierte Augen auf sie nieder blickten.

»Jetzt nicht – nein, jetzt nicht! später!« sagte sie leise, und um seine Lippen huschte ein Lächeln, wie bei einem Kind, welchem man baldige, glückselige Weihnacht verheißt.

Schneller schritten sie aus, und es war gut, daß Fränzchen just einen illuminierten kleinen Dampfer auf dem Rhein erscheinen sah und voll lebhaften Interesses konstatierte, daß er auch Musik an Bord habe.

Das nahm ihre Aufmerksamkeit vollends in Anspruch und die lustigen Weisen, welche immer deutlicher durch die Abendstille zu ihnen herüberschallten, verscheuchten schnell auch den letzten Rest einer Sentimentalität, welche ihrem ganzen Wesen so durchaus zuwider war.

Als der Dampfer dicht an den felsigen Bergen vorüberfuhr, schien einem der Fahrgäste das Verlangen anzukommen, noch ein neues Echo in dieser Gegend zu entdecken.

Mitten in all die Heiterkeit hinein krachte ein Schuß.

Fränzchen verzog den Mund zu breitem, schmunzelndem Lachen: »Ein Schuß, Kinder, ich glaube, da hat sich einer gehängt!« rief sie übermütig und war selig, daß das schweigsame Paar neben ihr diesen Witz wirklich belachte.

»Diese Neuigkeit müssen Sie Ihren Eltern erzählen, Miß Francis!« sagte der Assessor dringlich. »Es war wirklich sehr spaßhaft, und Ihr Herr Vater lacht so gern!«

Aber seine kleine List, das störende Geleite zu entfernen, glückte ihm leider nicht.

Pia preßte den Arm der Cousine in jäher Angst fest an sich, und Fränzchen, welche diese unvermutete Innigkeit entzückte, drückte aus Leibeskräften wieder, blickte der angebeteten Gefährtin zärtlicher wie je in die Augen und sagte mit Stolz: »'ne alte Nachtkappe! dazu ist auch nachher noch Zeit!«

*

Wie sanft und weich der Kahn über die kräuselnde Flut glitt! Nahe an dem Ufer spiegelte das Wasser in mächtiger Ruhe und schaffte dem Fährmann keine Mühe; inmitten des Stromes aber wogte es pfeilschnell dahin, und der Assessor griff schweigend nach den beiden anderen Rudern, um die Anstrengung des Schiffers zu unterstützen.

Der köstliche Frühlingsabend hatte alle Gemüter nachdenklich gestimmt, nur Fränzchen war übermütigster Laune, spritzte ihrem Freund die Wassertropfen ins Gesicht und versicherte ihm: »So ohne Hut, mit den verwehten Haaren, sehe er wirklich zum Verlieben aus, und wenn er nicht bereits so stark verheiratet wäre, würde sie ihn auf der Stelle nehmen!« Keckheiten, welche zu Pias Staunen durch lachendes Kopfschütteln von den Eltern gerügt wurden.

Plötzlich neigte sich die Kleine jählings vor, sah starr auf die beiden schöngeformten Männerhände, welche die Ruder führten und fragte atemlos vor Überraschung: »Wo ... wo ... ei – wo haben Sie denn eigentlich Ihren Trauring?!« – –

»In der Westentasche,« lachte der Graf hell auf, und Hellmuth antwortete achselzuckend: »Ich habe ihn vorhin in den Fluß geworfen, das Rheingold um einen Schatz zu vermehren! Der Ring des Nibelung brachte nur Unheil, mein Ring soll das wieder ausgleichen und dafür der süßen, goldhaarigen Nixe, welche ihn auffangen und an das Fingerchen stecken wird, nur Glück, großes, sonniges, wonniges Glück bringen!«

Pia wandte das Gesicht und neigte sich so tief zu der schimmernden Flut nieder, daß ihr Antlitz und ihre weißgekleidete Gestalt ihr Bild auf derselben malten.

»Da kommt schon eine Rheintochter, welche ihn holen will!« lachte der Graf abermals harmlos und wies scherzend auf das Spiegelbild im Wasser. »Sieh doch nur, Pia, wie Wogelinde Dir so täuschend ähnlich sieht! sag ihr 'mal, wenn sie des Assessors goldenen Hort aufgefischt hätte, solle sie ihn besser bewachen, wie ehemals den des Nibelungen! Der Geist des tückischen Alberich macht immer noch die Welt unsicher und lauert, wo er Glück und Ring stehlen kann!«

Der Sprecher hatte sich wohl selber nicht viel bei diesen Worten gedacht und war um so überraschter, daß nur allgemeines Schweigen darauf antwortete; trotz der Dämmerung konnte man bemerken, wie Pias Antlitz heiß errötete, wie es verräterisch in Hellmuths Augen aufleuchtete, während sein Blick auf der Geliebten ruhte.

Fränzchens scharfer Blick flog zwischen beiden hin und her, eine namenlose Betroffenheit malte sich auf ihrem Gesicht, Schein um Schein erblaßten ihre sonst so frischen Wangen. Wäre es möglich, wäre er überhaupt nicht verheiratet, wäre zwischen Pia und ihm ...

Sie riß jählings den Hut von dem Kopf und strich die Haare aus der Stirn, wie in hülfloser Angst starrte sie die Mutter an.

Auch diese saß wie in tiefen Gedanken und blickte noch immer auf die Rechte des Assessors. Nein, er trug keinen Trauring, und nicht das kleinste Mal am Finger zeigte, daß je ein Goldreif seine Spur hineingegraben.

Seltsam, daß kein Mensch zuvor darauf geachtet hatte.

Da fühlte sie Fränzchens Blick. Sie sah auf und lächelte. Wie tröstend griff sie nach der Hand ihres Kindes und drückte sie.

Der Schiffer war der einzige, welcher den Faden der Unterhaltung aufnahm. »Ja, gnädiger Herr, das Rheingold!« sagte er nachdenklich, »viele behaupten ja, es läge in der Nähe des Lurleifelsens, wo sich die Strudel im Wasser gebildet haben. Darum sei dort immer so viel Unglück passiert. Denn das Gold sei auf der ganzen Welt ein verfluchtes Teufelszeug, welches nur Glück und Frieden morden thäte! Na, die es haben, mögen es ja wohl besser wissen, wie unsereins; ich hätte keine Angst davor, wenn es mir 'mal eine Nixe in den Schoß werfen wollte!«

Man näherte sich dem Ufer, und Graf Willibald zog lächelnd die Börse. »Eine Rheintochter bin ich zwar nicht,« sagte er heiter, »aber ich denke, mein Gold nehmen Sie ebenso gern wie das ihre!« Sprach's und drückte dem freudig Überraschten ein Zehnmarkstück in die Hand.

An der Anlegestelle stand bereits Friedrich und eilte den Nahenden voll außergewöhnlicher Hast entgegen.

»Na, Alter, hattest Du schon Sehnsucht nach uns, oder glaubtest Du, der Rheinstein habe uns in Haft behalten?«

»Um Vergebung, Mr. Luxor, hier ist soeben eine Depesche von daheim nachgeschickt!« stotterte der Getreue in sichtlicher Erregung.

»Eine Depesche?!«

»Um Himmelswillen, von wem, Onkel?!«

Der Graf riß das Papier schnell auseinander und überflog den Inhalt. »Hm ... nichts allzu Trauriges, wenn auch für Lilian wohl nicht angenehm, da sie ihre Reisedisposition völlig ändern muß! Hier, lies selber, Darling!«

Das junge Mädchen griff hastig nach dem Papier. »Pia soll nicht nach Holland reisen, sondern hierher zurückkehren. Onkel Robert ist als Gesandter nach Persien versetzt und hält es selber für nicht ratsam, Pia sogleich nach dort mitzunehmen,« las sie und dann atmete sie wie von Centnerlasten der Angst befreit auf.

»Gott sei Dank – Sie lächeln, Miß Lilian!« – Hellmuth stand vor ihr und blickte ängstlich forschend in ihr Gesicht: »So sind es doch keine schlimmen Nachrichten gewesen, welche Sie erhielten!«

Sie schüttelte hastig das Köpfchen und folgte an seiner Seite dem vorauseilenden Grafen, welcher seiner Gattin und Fränzchen den Inhalt des Telegramms mitzuteilen schien.

»Nein, glücklicherweise ist es nichts Schlimmes!« sagte sie und zum ersten Mal wieder traf ihn ihr leuchtender Blick: »Ich sollte nach unserer Rheinfahrt Verwandte im Ausland besuchen, erhalte aber soeben die Mitteilung, daß dieselben genötigt sind, eine lange Reise über die See zu machen, dadurch bin ich meinen Verpflichtungen enthoben und kann Gottlob hier in Deutschland bleiben!« –

»In Deutschland bleiben, ja – Gott sei Lob und Dank dafür! – O, Miß Lilian – eine liebere und bessere Nachricht hätte die Depesche ja niemals bringen können!« –

Welch ein Jubel lag in seiner Stimme! wie sagte ihr Klang so tausendmal mehr noch wie seine Worte! –

»Miß Lilian, darf ich ...?«

Er verstummte, denn Fränzchen hatte sich jählings umgewandt und eilte mit hastigen Schritten an Pias Seite zurück.

Ihr mißtrauischer Blick flog prüfend über die Gesichter und beide empfanden in diesem Augenblick den Schatten der Syringensträuche, in welchen sie eintraten, als Wohlthat.

Fränzchen aber heftete sich wie eine Klette an die Seite der Cousine, war still und einsilbig und wich während des ganzen Abends nicht mehr aus der Nähe der beiden jungen Leute.

Selten hatte man so wenig während des Abendessens geplaudert wie heute.

Das unermüdliche Scherzen und Lachen des Backfischchens war verstummt. Mrs. Luxor klagte über ein wenig Kopfweh und Pia war zerstreut und wortkarg, wenngleich ihr Antlitz, rosig und lächelnd, keinerlei körperliche Ermüdung verriet. Die beiden Herren sprachen zumeist über Jagd, und oft erhaschte Pia einen Blick der Komtesse, wie er düster, beinah feindselig den ehedem so guten Freund streifte.

Ein jäher Schreck durchbebte sie. Was sie gefürchtet, war eingetroffen.

Fränzchen hatte sich mit der ganzen Leidenschaftlichkeit ihres Charakters in Hellmuth verliebt. Die Überzeugung, daß er verheiratet sei, hatte ihre Schwärmerei harmlos gestaltet und sie scherzte sich selber den Ernst ihrer Empfindungen von der Seele.

Plötzlich durchzuckt sie wie ein Blitz die Erkenntnis, daß der junge Forstmann kein Gatte und Familienvater ist, und just in demselben Augenblick, als wohl ihr junges Herz voll himmelhochjauchzenden Entzückens erbebt, muß sie beobachten, daß der Mann ihrer Liebe sein Herz einer anderen geschenkt hat, – daß sie ihn in dem Augenblick, wo sie ihn zu gewinnen glaubte, – für immer verloren. Nun scheinen sie Qualen der Eifersucht zu foltern! Sie grollt ihm, – sie haßt ihn vielleicht, und ebenso eigenwillig, wie sie ihn zu dem Familienkreise heranzog, wird sie ihn wieder von sich stoßen und alles thun, den Verräter so schnell wie möglich zu entfernen. –

Nun ist es vorbei mit dem selig stillen Glück dieses Zusammenlebens, – soll es auch für immer zwischen ihnen aus sein? – Nein, nie und nimmermehr! heiß und leidenschaftlich wallt es in Pias Herzen auf, sie liebt ihn! sie liebt ihn, so wie sie denjenigen Mann lieben muß und will, welchem sie sich für ein ganzes Leben zu eigen giebt! – das fühlt und empfindet sie jetzt, in der Angst, ihn zu verlieren.

Und auch sie ist seinem Herzen teuer, das weiß sie nun gewiß.

Keine Macht der Welt soll mehr hindernd zwischen sie treten, die Rosenknospe ihrer Liebe ist voller und voller ersprossen, – wer weiß, – ob sie nicht schon am morgenden Tag ihren Kelch zur vollen Blüte erschließt? Dunkle Wolken steigen am Himmel auf, – sie künden Sturm und Wetter an, – und just diese sprengen voll Zaubermacht die Lenzesknospen.

Die Gräfin wünscht sich allsogleich nach dem Thee zurückzuziehen; man sagt sich Gutenacht und trennt sich bedeutend früher wie sonst.

Fränzchen behauptet grollend, ihre »Flossen« seien vom Brombeergelee so klebrig, daß sie keinem Menschen die Hand reichen könne. – Statt dessen wirft sie dem Assessor einen recht grimmigen Blick zu, nimmt Pia am Arm und zieht sie zur Thür.

»Komm – wir lesen noch ein wenig den Trompeter!«

Fräulein von Nördlingen reicht dem jungen Forstmann die Hand, – Auge ruht in Auge und sagt so viel mehr als Gutenacht!

Auch Hellmuth scheint die Situation zu begreifen, scheint es zu empfinden, daß eine Entscheidung drängt. Mit festem Druck umfaßt er die schlanken Finger. »Sie lesen noch den Trompeter, mein gnädiges Fräulein?« – sagte er so scherzend, wie es ihm möglich ist. »Nun dann haben Sie Mitleid mit dem armen Burschen, der nachts vor dem Fenster der Geliebten seine Lieder bläst! Er konnte anders nicht zu ihr reden, und baute sich darum aus Tönen die zaubrische Leiter zu Söller und Turm! Gutenacht, Miß Lilian!« –

Wie bedeutsam er sie bei diesen Worten anblickte? Legt er ihnen einen tieferen Sinn zu Grund?

Langsam, schweigend schreitet sie mit Fränzchen durch den erleuchteten schmalen Korridor.

Plötzlich bleibt sie stehen und legt dem Backfischchen mit liebevollem Blick die Hände auf die Schultern. »Hör, Fränzel, erlaß mir heut das Lesen! es wird sehr viel besser und wichtiger sein, wenn ich nach Hause schreibe und Mama mitteile, daß ich die Depesche empfangen habe und nach unserer beendigten Rheinfahrt direkt zu den Eltern heimkehre!«

»Nein – Du gehst wieder mit uns nach Niedeck oder wo wir sonst hinreisen – Du bleibst bei uns!« trotzt Fränzchen mit rauher Stimme und sieht plötzlich sehr viel älter aus.

»Wenn Deine Eltern mich so lange als Überfracht mit sich herumschleppen wollen, so bleibe ich gewiß gern bei Euch!« – nickt Pia beschwichtigend, nur mit dem sehnsüchtigen Wunsch, die unliebsame Gesellschaft ein wenig los zu werden, – »schreiben muß ich doch auf jeden Fall!« –

»Ich setze mich zu Dir!«

»Das stört mich ja, bestes Herz! Du weißt, daß ich im Hause des Onkels an gar keinen Verkehr gewohnt war und die Einsamkeit am Schreibtisch benötige!«

Komteßchen kneift die Lippen ein. Ein wunderlicher Blick taucht scharf und forschend in die Augen der Sprecherin. »Gut,« sagt sie kurz, »ich gehe, aber von Zeit zu Zeit sehe ich einmal nach Dir!«

»Das wird mir sehr lieb sein! also auf Wiedersehn!« –

Pia muß lächeln. Fraglos, das eifersüchtige Mädel bewacht sie. –

Der Assessor verabschiedet sich auch von dem Grafen. Er lehnt die Cigarre, welche dieser ihm noch anbietet, ab.

»Ich möchte gern noch ein wenig im Kurhaus mit dem so liebenswürdigen jungen Arzt der Anstalt plaudern!« sagt er verbindlich: »Vielleicht schließen Sie sich an, Mr. Luxor, und erfreuen uns durch Ihre so liebenswürdige Gesellschaft?«

Willibald lehnt dankend ab, seine Frau bedürfe größter Ruhe bei ihren Migräneanfällen und da würde ein späteres Heimkommen sie stören.

So trennt man sich.

Als der junge Forstmann eilig die Treppe hinab steigt, bemerkt er nicht, daß eine Thüre sich ein klein wenig öffnet und zwei blitzende Augen ihm nachschauen.

Er sieht auch nicht, daß eine Gestalt leise hinter ihm her huscht und ihm in dem Schatten der Gartenanlagen folgt, bis zum Kurhaus.

Dort bleibt sie stehen und beugt nur den Kopf behutsam hinter den Zweigen hervor, um zu spähen, ob die hohe Männerfigur wirklich hinter der Kurhausthür verschwindet.

Sie thut es.

Da atmet Fränzchen tief auf und wandelt langsamen Schrittes auf den Gartenwegen hin und her. Es ist einsam, noch sind nicht viele Kurgäste, der frühen Jahreszeit wegen, hier. – Außer der Familie Luxor wohnt wohl nur der Forstassessor in der Dependence, da ist nicht viel Verkehr in dem jungbelaubten Garten.

Komteßchen scheint recht befriedigt von dem Ergebnis ihrer Beobachtung, – sie pfeift leise und triumphierend »Die Wacht am Rhein« vor sich hin und macht dazu ein Gesicht, welchem nur der Schnurrbart fehlt, um einem Krieger auf Vorposten täuschend ähnlich zu sein.

Nach kurzer Zeit paßt sie einen Moment ab, wo es besonders still im Kurhause ist, tritt mutig in den Korridor und weicht schnell wieder zurück, als Schritte und Stimmen auf der Treppe laut werden.

»Aha! das ist er.« –

»Gehen wir doch noch eine Stunde in die Krone! Der Wirt ist sehr musikalisch und spielt uns etwas vor, dieweil wir uns seinen vortrefflichen roten Aßmannshäuser munden lassen.« Die Stimme des jungen Badearztes, und richtig, nun erscheinen sie beide im hellen Laternenschein und wandern dem Dorfe zu.

Fränzchens Augen blitzen befriedigt auf. »Nun sitzt er ›Nummer Sicher‹ bei dem roten Aßmannshäuser und läßt sich jeden Rendez-vous-Gedanken mit Pia vergehen.« –

Und morgen? – Nun, da wird sie wieder rechtzeitig zur Stelle sein, um die beiden zu trennen, und wird dafür Sorge tragen, daß die Eltern schleunigst weiter reisen und jede Beziehung zu dem Falschen, Hinterlistigen abbrechen! Giebt er vor, verheiratet zu sein, nur um desto ungenierter die Cour machen zu können, ihr, der Pia! – als ob ein Mädchen mit sechzehn Ahnen nichts besseres zu thun hätte, als einen Herrn Hellmuth zu heiraten!! –

Fränzchen krampft zornig die Hände zusammen und stiefelt im Sturmschritt nach der Villa zurück, um bei halbgeschlossener Thür jeden Schritt im Korridor zu überwachen. – Vorsicht ist immer gut, und Liebe und Eifersucht schlafen selbst mit offenen Augen!


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