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XVIII.

Je mehr man sich dem Herbst näherte, um so mehr nahm die Teuerung zu in Kart-Chadast. Um den Silberling, den man die Roßpalme nannte, weil eine schlanke Phönixpalme und ein galoppierendes Pferd darauf abgebildet waren, hatte man früher zwei Scheffel Korn bekommen, jetzt bekam man nur mehr einen halben Scheffel für dieselbe Münze.

Die Leute klagten, das Geld sei nichts mehr wert. Eine Roßpalme blieb aber eine Roßpalme, sie hatte sich nicht verändert; was sich verändert hatte, das waren die Zufuhren an Lebensmitteln. Die Römer hatten im Lauf des Sommers eine ganze Anzahl punischer Landstädte, Ackerbürgernester und Marktflecken im libyschen Hinterland teils belagert, teils kurzerhand genommen, die bäuerliche Bevölkerung durch Brandschatzung ausgesogen und mehrere treugebliebene Handelshäfen blockiert. Das ganz nahe, an der Halbinsel des Gottes Sedek gelegene Aspis, auch Clupea genannt, war gefallen, die durch Getreidehandel reich gewordene Seefeste Neda-Chah schmählich betrogen und dem besiegelten Kapitulationsvertrag zum Trotz geplündert und zerstört worden. Hippo-Diarrhytos am weißen Vorgebirge, die bedeutendste und, weil sie die Verkehrsstraße Hispanien, Sardinien, Sizilien beherrschte, für die Römer gefährlichste punische Seestadt, hielt zwar der Belagerung durch Calpurnius Piso noch immer stand, konnte aber selbstverständlich an Ausfuhr von Lebensmitteln nach Kart-Chadast nicht mehr denken.

Sohin war man, obgleich der Landweg freilag, hinsichtlich der Verpflegung im wesentlichen auf die zufälligen Getreideschiffe angewiesen, die ab und zu einmal, angefeuert von der Gewinnsucht ihrer unseitigen Unternehmer, zwischen den im Golf von Kart-Chadast kreuzenden römischen Kriegsschiffen durchzukommen versuchten. Wehte der Wind besonders günstig und wollte es das Glück, so gelang es ihnen manchmal, mit geblähten Segeln in den Handelshafen von Kart-Chadast einzulaufen, wo dann die angesammelte Volksmenge sie mit Jubel und Beifallsstürmen zu empfangen pflegte.

Solch gelegentliche Nachschübe genügten natürlich nicht, eine so große Stadt zu versorgen. Dazu kam noch, daß reiche Leute, Wechsler und Bankhalter, wie etwa Baga einer war, insgeheim Vorräte aufkauften, wo sie deren habhaft werden konnten, um sie an versteckten Orten einzulagern und später mit erheblichem Gewinn weiterzuverkaufen. Das äußerlich recht verlottert aussehende Haus in der Nähe des Handelshafens, das Baga mit Weib und Kind bewohnte, war samt dem zugehörigen Gartengrundstück nicht so viel wert wie die vollgefüllten Säcke, Ballen und Tonnen, die es in unermüdlicher Gefräßigkeit nach und nach verschluckt und in seinen dunkelsten Eingeweiden, seinen Kellern, Kammern und verborgenen Winkeln aufgestapelt hatte. Baga tat sich nicht wenig darauf zugute, daß er sich den Zeitläuften anzupassen und das wegen des daniederliegenden Handels stockende Geldgeschäft durch ein aussichtsreiches Gewinnspiel mit Waren zu ersetzen wußte.

Nebenher aber behielt er seine politischen Ziele scharf im Auge. Unter den kleinen Leuten nahm die barkidische Bewegung wieder zu, des Königs-Schofeten Ansehen war im Schwinden begriffen. Die Nachricht vom Verrat des Himilko Phameas hatte sich wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt verbreitet und machte böses Blut.

Kein folgerecht Denkender hätte dem Verdachte Raum geben können, als sei es mit Wissen und Zustimmung der Regierung geschehen, daß der Hipparch mit dem Großteil der punischen Reiterei zu den Römern übergegangen war. Im Gegenteil konnte jeder Vernünftige sich selbst sagen, daß eine so empfindliche Schwächung des Feldheeres für die leitenden Persönlichkeiten nicht minder wie für die ganze Stadt eine peinliche Überraschung und einen harten Schlag bedeuten mußte. Das Volk als Masse aber liebt die triftigen Schlüsse nicht, es urteilt aus Stimmungen heraus. Hasdrubal war mit dem numidischen Königshause nahe verwandt, Himilko einst sein Parteigenosse und mit ihm zugleich Führer der numidischen Partei gewesen; endlich zeigte der ganze Vorfall, daß man sich auch auf seine bewährtesten Führer nicht mehr unbedingt verlassen konnte. Das genügte, Mißtrauen auch gegen den Königs-Schofeten zu säen. Und die Saat ging auf. Von irgendwoher sickerte Verdacht durch und fraß weiter, ein Schlagwort, jeder Nachprüfung entzogen und doch als erwiesen hingenommen, ging flüsternd von Mund zu Mund: »Verraten und verkauft – an Gulussa!« Baga legte ihm kein besonderes Gewicht bei und gedachte es nur insoweit auszunützen, als es ihm in den Kram paßte. Denn er wähnte seine Stunde gekommen.

Trotz des Gelächters, das Bostars Honigelei, niemand sei berufener, an die Spitze des Gemeinwesens zu treten, als Baga, damals unter den Terebinthen ausgelöst hatte, ging ihm das Wort dennoch nach. Er nahm es als Schicksalswink, auch ein Spötter wie Bostar, meinte er, hätte auf den Gedanken gar nicht verfallen können, wäre nicht etwas daran, steckte nicht wenigstens eine entfernte Möglichkeit dahinter. Dabei kam er sich noch ausnehmend bescheiden vor, er strebte nicht danach, an Stelle Hasdrubals, sondern neben ihm Schofet zu werden, allein die ungeheuren Anforderungen, Verpflichtungen und Verantwortungen auf sich zu nehmen, die die Stellung mit sich brachte, hätte er sich doch gescheut.

Nur Schofet zu sein, wünschte er sich nicht, er wollte auch Schofet sein.

Und für dieses Ziel ließ seines Erachtens die argwöhnische Stimmung des Volkes sich gut ausnützen: zur Ausübung eines Druckes auf den Numider, damit er sich entschlösse, seine Würde mit einem Volksmann von einwandfrei punischer Abstammung zu teilen, der gleichsam zur Aufsicht an seine Seite gesetzt wäre, weniger als Mitarbeiter, sondern gewissermaßen als Gesinnungsbeirat.

Ohne eigentlich ernstes Leisten und ohne Verzicht auf die jetzt so vielversprechenden bürgerlichen Geschäftsgewinne sich in dem von Hasdrubal ausstrahlenden Glanze zu sonnen, das wäre Bagas Fall gewesen.

*

Eines Tages hatte der betriebsame Ehrgeizling eine geheime Versammlung in sein Haus einberufen. Es waren lauter kleinere und ganz kleine Leute, wie immer gedachte er sich auf das »eigentliche und wahre Volk«, auf das »arbeitende Volk«, wie er mit Vorliebe betonte, zu stützen.

Darum befanden sich vorwiegend Handwerker, Gewerbsleute, Fischer und Hafenarbeiter unter den Geladenen, wie etwa Hirom, der Schmied, und Elym, der Seiler; der ehemalige Töpfer Jarbas, als politisch Unentwegtester von allen, war eine wertvolle Kraft; der Schiffsteerer Sadraf hatte sich wiederholt, wie etwa anläßlich der Steinigung des Maolan, als besonders handfest und entschlossen erwiesen; der herkulische Lastenschlepper aus dem Hafen, den man nach einer alten philistäischen Sagengestalt scherzweise den Riesen Goliath nannte, durfte natürlich nicht fehlen. Und noch auf manchen anderen, den er in der Schreckensnacht des Umsturzes als blutrünstigen Gesellen kennengelernt hatte, oder aus irgendwelchen Gründen zu fernen Anhängern zählen zu dürfen glaubte, setzte Baga seine Hoffnungen.

Sobald er die Leute beisammen hatte, fing er damit an, ihnen die Hoheitsrechte des Volkes auseinanderzusetzen. Er versuchte sie aufzureizen, indem er ihnen erklärte, welche Schmach ihnen durch die eigenwillige Selbstherrschaft des Numiders täglich und stündlich zugefügt werde. Er mahnte sie an die Pflicht, die von den Vätern überlieferte Verfassung zu verteidigen, die halb und halb nur mehr auf dem Papier vorhanden sei, weil die Regierung schließlich doch tue, was ihr gutdünke. Er erwähnte des Gerüchtes, das den Königs-Schofeten geheimer Unterhandlungen mit Gulussa bezichtigte, und ließ durchblicken, daß er es für hoch an der Zeit halten würde, dem obersten Staatslenker einen gleichberechtigten Vertrauensmann des Volkes als Gehilfen und Gegenzeichner aller Beschlüsse an die Seite zu stellen. Mit der Willkürherrschaft, wie sie unter anderm erst jüngst wieder im Erbauen einer kostspieligen Flotte ohne Befragung des Rates zutage getreten sei, müsse endgültig aufgeräumt werden!

Schließlich faßte er die Wünsche des arbeitenden Volkes, für das er angeblich das Wort führte, dahin zusammen: Der Hohe Rat möge sofort zusammentreten, um die Wahl eines zweiten Schofeten zu beschließen und überhaupt die Verfassung, soweit sie in letzter Zeit außer Gebrauch gekommen sei, in ihrem freiheitlichen, republikanischen Geiste wiederherzustellen. Eine große Volksversammlung auf dem Marktplatz sollte nach seinem Vorschlag die Einberufung dieser Ratssitzung dringlich fordern und nötigenfalls dem Königs-Schofeten die Zustimmung hierzu durch einen stürmischen Aufmarsch vor dem Haus der goldnen Pfauen abringen.

Es fand nun zwar in dem vorgesetzten Kuchen ein jeder von den Anwesenden seine Rosine, aber ein jeder auch seine bittere Mandel. Die Überhitztesten, Sadraf an der Spitze, wollten, um die wahre Freiheit endlich zu verwirklichen, überhaupt jede Regierungsgewalt abgeschafft wissen; denn jede sei gleich schlecht und keine hätte für die arbeitenden Klassen etwas anderes übrig als leere Versprechungen. An die Stelle der öffentlichen Ausspeisungen sei in dem Augenblick, wo man wieder über Waffen verfügt hätte, die rücksichtslose Soldatenherrschaft getreten, das Volk hungere, das einzige, was helfen könne und der Gerechtigkeit entspreche, sei eine Aufteilung des Besitzes unter alle gleichmäßig.

Die Barkidischen hinwieder, deren Führer Jarbas war, erklärten im Gegenteil eine starke Regierung für die unerläßliche Vorbedingung des Sieges, nur müsse es eine vertrauenswürdige, wirklich punische Regierung sein. Auf ehemalige Anhänger einer vaterlandsverräterischen Partei, wie es die numidische einst gewesen, sei kein Verlaß, das hätte erst jüngst der Fall des Hipparchen Himilko Phameas schlagend erwiesen. Auch Hasdrubal, der Numider, hätte seine politische Laufbahn als Führer dieser Partei begonnen und sei außerdem noch Gulussas Neffe. Darum forderten sie rundweg seine Absetzung und die Wahl Hasdrubals, des Widders, des bewährten Patrioten und siegreichen Boëtharchen zum Königs-Schofeten ... Andere Anwesende äußerten wieder andere Wünsche, und manche, wie etwa Hirom und Elym, die mit dem Vorgebrachten im ganzen einverstanden gewesen wären, äußerten sich überhaupt nicht, sondern hielten mit ihrem Urteil zurück, weil ihnen zu einer Sache, die von Baga eingeleitet wurde, von vornherein jedes Zutrauen fehlte.

Unter solchen Umständen hielt es schwer, eine Verständigung über Einzelfragen zu erzielen. In endlosem Hin- und Widerreden verschärften sich die Gegensätze. Nur in einem Punkte herrschte volle Übereinstimmung, und darin waren sie Brüder: numidisch wollten sie nicht werden! Und plante Hasdrubal wirklich dergleichen, so blieb nichts übrig, als ihn zu beseitigen, wenn nötig mit Gewalt!

Gerade eine so unversöhnliche Wendung ging Baga wider den Strich. Er versuchte es ihnen auszureden, an dem Gerücht sei vermutlich kein wahres Wort! Und wenn es gelänge, für die Stelle des zweiten Schofeten einen Mann zu gewinnen, der verläßlich sei wie Gold ...

Aber Jarbas, Sadraf, Goliath und ihr Anhang schrien ihn nieder. Nein! Das Volk ließ nicht mit sich spaßen! Der Numider war ein Mann von nicht alltäglichem Schlage, was er wollte, setzte er durch, den Strohmann an seiner Seite würde er bald um den Finger gewickelt haben. Übrigens entsteht so ein Gerücht wie das jetzt umlaufende nicht aus dem Nichts, ein Kern von Wahrheit steckt immer dahinter!

»Es liegt uns nicht im geringsten daran, daß du Schofet wirst, Baga,« platzte Hirom schließlich heraus. »Es liegt uns daran, daß das Schwere, was wir durchgemacht haben, und das vergoßne Blut nicht zwecklos geopfert sind. Willst du mit den Numidern paktieren, sei's mit dem Neffen, sei's mit dem Oheim, so such' dir deinen Anhang nicht im punischen Volk!«

Der hagere Seiler Elym meckerte vergnügt vor sich hin. Wirr gingen die Stimmen durcheinander. Vergebens suchte Baga sich Gehör zu verschaffen. Er mußte sich's eingestehn, er hatte diesmal keine glückliche Hand gehabt. Hirom stand auf und verabschiedete sich. Andere folgten seinem Beispiel. So endete die Veranstaltung mit keinem andern Ergebnis, als daß man erregt und verärgert auseinanderging.

Alle standen unter dem Eindruck einer schwierigen Lage, die klare Entschlüsse erfordern würde. Aber niemand wußte vorzuschlagen, was eigentlich geschehen sollte.

*

Baga hatte seine Gäste, um sich immer noch leutselig und volksfreundlich zu zeigen, nicht ohne Selbstüberwindung bis ans Tor begleitet.

Mißmutig trat er jetzt in den ziemlich verwilderten Garten und traf dort Nanai, sie saß mit einer Handarbeit unter einer Magnolie, deren Laub schon gilbte. Ihr noch nicht jähriges Kind spielte zu ihren Füßen im Kies mit den abgefallenen Blättern.

Mit einsilbigem Gruß blieb er vor ihr stehen. Seine Nähe wirkte noch aufreizender auf sie als sonst. Um nur überhaupt etwas zu sagen, fragte sie mit leichtem Spott: »Was hat das arbeitende Volk beschlossen?«

»Die Verfassung ist in Gefahr,« antwortete er mürrisch. »Da wird jetzt zum Beispiel, ohne daß irgendwer etwas davon erfuhr, eine neue Flotte gebaut ...«

»Das ist doch nützlich!«

»Gewiß ist es nützlich. Aber die verfassungsmäßige Genehmigung fehlt – begreifst du?«

»Ich verstehe. Der Hohe Rat müßte erst beschließen, daß die Flotte, die gebaut wird, gebaut werden soll.«

»Auch daß ein zweiter Schofet gewählt werden muß.«

»Habt ihr an dem einen noch nicht genug?«

»Die Verfassung sieht noch einen zweiten vor.«

»Damit er gemeinsam mit Hasdrubal die Stadt an Gulussa ausliefere?«

»Du sprichst gedankenlos nach, was die Leute sagen – ohne den geringsten Anhalt.«

»Ich weiß es doch!« lehnte Nanai sich auf. »Gulussa sagte einmal, er wolle seine Suppe mit dem punischen Volk nicht auf demselben Herd kochen, wenn er den Pfannstiel nicht selbst in der Hand behalten könne. Darum will Hasdrubal ihm jetzt den Pfannstiel in die Hand geben.«

»Woher weißt du das?« fuhr Baga gegen sie los.

»Ich weiß es eben.«

Mit rohem Griff faßte er sie am Handgelenk und preßte es zusammen.

»Ich möchte wissen, wer dir das gesagt hat?«

»Laß los, du tust mir weh! Meinst du, du könntest mich zwingen?«

Sie entwand sich seinem Zugriff und maß ihn mit geringschätzigen Blicken.

»Ich mache doch kein Geheimnis daraus!« sagte sie, verächtlich die Achseln zuckend. Und sie holte zum entscheidenden Schlage aus. War's reiner Mutwille? War es die Absicht, ihn toll zu machen, was sie bestimmte?

»Hasdrubal selbst erzählte es mir,« log sie ihm vor, leichthin, als handle sich's um die gleichgültigste Sache von der Welt. »Ich weiß es schon lange, er selbst gestand es ein und vertraute es mir in einem unbedachten Augenblick, als ich ihn einmal an einem Opfertage Aschtarits im Haus der goldnen Pfauen besuchte.«

Baga war bleich geworden. Die Hände zusammenballend, knirschte er: »Weib, ich töte dich!«

»Mich?« fragte sie, ihm mit kalter Ruhe ins Auge sehend. »Du bist doch ein barkidischer Volksmann. Als solcher wirst du wissen, was du nun zu tun hast.«

»Ich möchte erfahren, was dich ins Haus der Pfauen führte.«

Sie war in der Laune, am Rand von Abgründen spazieren zu gehn wie eine Nachtwandlerin. Sie beugte sich zu dem Kinde nieder, hob es auf und herzte es auf ihrem Schoß.

»Ein hübscher Junge – wie? Ein Glück für ihn, daß er nicht dir ähnlich sieht.«

»Ich frage, was dich ins Haus der Pfauen führte?«

»Und ich wiederhole, daß du nun wissen wirst, was dir zu tun obliegt, wenn du ein Mann von Ehre bist.«

Zu feige, der Wahrheit ins Auge zu schaun, stellte er sich an, als verstünde er nicht, daß es sich hier noch um andre als politische Dinge handle.

»Der Königs-Schofet hat den Krieg bisher mit bestem Erfolg geführt. Kein ernster Anlaß liegt vor, an seiner treu-punischen Gesinnung zu zweifeln. Durch Weiberklatsch lasse ich mich nicht bestimmen.«

»Aber ich schwöre dir bei Tanit: Hasdrubal steht mit seinem Oheim Gulussa in Unterhandlungen. Er wird die Stadt verraten, wie er schon manchen Ehemann und manches Weib verriet. Aber außer ihm selbst gibt es ja keine Männer mehr in Kart-Chadast!«

Er begriff, daß Nanai es darauf angelegt hatte, ihn zum Vollzieher, oder doch zum Anstifter eines politischen Mordes zu machen. Und er begriff, wie fast unabweislich ihr Ansinnen dadurch wurde, daß sie nicht davor zurückschreckte, die politischen Beweggründe auch noch durch persönliche zu verstärken, die sich an seine Mannesehre wendeten. Nur mit Selbstüberwindung bewahrte er Haltung vor seinem Weibe. Kraftlos war er innerlich in sich zusammengebrochen.

Er fühlte, als würde ihm Schwereres auferlegt, als er zu leisten imstande war. Kampf mit Hasdrubal bedeutete Kampf mit einem unendlich viel Stärkeren. Das ging auf Leben oder Tod. Und ihm war sein Leben lieb. Er stand so schön im Blühen. Bald konnte er der reichste Mann von Kart-Chadast sein. Und wenn er sich mit Hasdrubal vertrug und dabei das Geheimnis, das Nanai ihm verraten, und das den Königs-Schofeten in seine Hände gab, geschickt ausnützte, so konnte ihm an dessen Seite außerdem auch noch die schönste Würde winken, die der Staat zu vergeben hatte. Wollte dieses Weib, vermutlich von Eifersucht gepeitscht, seine Laufbahn, seine ganze Existenz untergraben? Lieber machte er ein Zugeständnis. War es ihm in seinen verborgensten Gedanken nicht ohnedies gleichgültig, ob punisch oder numidisch, wenn nur die Wirtschaft dabei gedieh? Oh, im Grunde konnte Baga sehr vorurteilslos sein, wenn's darauf ankam!

»Ich bin überzeugt,« sagte er, »daß Hasdrubal, wenn er wirklich mit Gulussa unterhandelt, dies nur zum Wohle der Stadt tut.«

Sie verzweifelte fast daran, bei diesem Manne ihr Ziel zu erreichen. Noch einmal versuchte sie es auf dem anderen Wege. Und abermals ihr Kind kosend und herzend, sagte sie zärtlich zu dem Knaben, der lallende Laute versuchte und lebendig die Händchen bewegte: »Ja, ja, ja! Bist ein frischer, aufgeweckter Junge! Wirst einmal ein großer, freier, kühner Held wie dein Vater! Nicht wahr? Ganz so feurig und beherzt wie dein Vater! Nicht solch ein dürftiges Gewächs – wie der!«

Und höhnend richtete sie dabei den ausgestreckten Zeigefinger des Kindes auf Baga. Worauf sie fortfuhr, den Kleinen zu liebkosen, und sein Gesichtchen mit Küssen bedeckte, vornübergebeugt und in sich zusammengeduckt. Denn jeden Augenblick wartete sie darauf, daß ihr Mann sie an der Gurgel packen und erwürgen oder mit irgendeinem der in der Nähe liegengebliebenen Gartengeräte zu Boden schlagen würde. Sie war vollkommen darauf gefaßt. Ach – es wäre ihr gleichgültig gewesen – nein! Sie wünschte und hoffte es!

Aber selbst diese äußerste Herausforderung versagte ihre Wirkung. Baga war gewohnt, ein Auge zuzudrücken, wenn er wußte, weshalb er's tat.

Hatte er nicht seit der Geburt des Kindes, ja, früher schon, darauf verzichtet, nachzurechnen und sich Gedanken über dessen Herkunft zu machen? Was tut man nicht alles aus Nützlichkeitsgründen! Er wollte nun einmal blind und taub sein, wie er es bisher gewesen. So sehr sie sich auch Mühe gab, ihn rasend zu machen, den Pfad der klugen Überlegung würde er deswegen nicht verlassen! Mit einem Manne wie Hasdrubal kreuzte er nicht die Klingen! Es wäre doch nur er selbst derjenige gewesen, der auf der Strecke blieb. Und dem hätte er sich aussetzen sollen? Wozu? Die Torheiten leidenschaftlicher Jünglinge standen einem umsichtigen Geschäftsmann schlecht zu Gesicht, sie hätten ihn im Gegenteile in seinen eigenen Augen entwürdigt.

Er spürte, wie er sich wieder in die Gewalt bekam. Die Verlegenheit wich, ein glänzender Ausweg war ihm eingefallen. Und mit einem überlegenen Lächeln sagte er: »Du gibst dir Mühe, mich gegen den Numider aufzuhetzen. Nichts kann mir überzeugender beweisen, daß deine Andeutung, als wärst du seine Geliebte gewesen, eine leere Prahlerei war!«

Damit drehte er ihr den Rücken und schritt gegen das Haus. Fast erstickend vor Wut und Verachtung blickte sie hinter ihm drein. Im nächsten Augenblick mußte er hinter dem Haustor verschwunden sein. Krampfhaft rang sie nach Atem, da löste sich ihre Zunge.

»Feigling!« schrie sie ihm nach.

*

Im sogenannten »Stöckel«, dem kleinen Nebengebäude, das in der Nachbarschaft des größeren Wohnhauses am Zimmerplatz des Muttines lag, hielt Gisgon bei dem wackeren Dubar und dessen schöner Frau Channa sich verborgen.

Er hatte Bedenken getragen, die Gastfreundschaft anzunehmen, wurde er entdeckt, so konnten dem jungen Paare böse Folgen daraus erwachsen; denn es war ein öffentlicher Haftbefehl gegen ihn erlassen, der Hehler seines Aufenthalts und Vorschubleister seiner Flucht mit harten Strafen bedrohte. Aber Channa, in ihrer herzhaften Zuversicht und heiteren Gelassenheit, lachte nur: »Meinst du, wir ließen uns ins Bockshorn jagen?« Und Dubar erinnerte daran, wie Channa in der Schreckensnacht des Umsturzes dem armen, am Kreuze hangenden Pinarius ihr Gewand zurückgelassen, er selbst aber seine Paemula über die infolgedessen nur mehr ungenügend bekleidete Channa geworfen hätte. Und scherzend fügte er bei: »Mir trug es damals ein liebes Weib ein und der Channa einen Mustergatten. Wer kann wissen, Gisgon, wie reich wir noch dafür belohnt werden, daß wir jetzt unsern Mantel über deine Blöße breiten!«

Die erste Zeit beschäftigte Gisgon sich damit, einen Bericht über seinen Ritt ins Hinterland abzufassen, über sein Zusammentreffen mit Bithyas und die Gründe seiner vorzeitigen Rückkehr nach Kart-Chadast. Es sollte eine Art von Rechtfertigungsschrift werden, die klarlegte, warum es unmöglich gewesen sei, nach Hippo-Diarrhytos durchzudringen. Sein soldatischer Geist hatte ihm den Wunsch eingegeben, die ungerechte Bezichtigung zu widerlegen, als hätte er sich einer Versäumnis im Dienst schuldig gemacht. Aber da empfing er geheime Botschaft von Allisat: das Leben Ellots war bedroht gewesen, nun befand sie sich auf dem Wege der Besserung, die Gefahr konnte für abgewendet gelten. Das Kindlein jedoch, dem sie entgegengehofft und er mit ihr, hatte zu früh den Leib der Mutter gesprengt. Erloschen, noch bevor es aus eigener Kraft hätte brennen können, war das Flämmchen, das er aus seiner Seelenglut glaubte entzündet zu haben.

Und in seinem Schmerz zerriß er das Niedergeschriebene, denn in diesem Augenblick empfand er als unumstößliche Gewißheit, was er längst hätte wissen müssen: daß es keine Brücke mehr gab zwischen ihm und dem Königs-Schofeten.

Allzuviel hatte Hasdrubal an ihm verschuldet. Bostars auf dem Tamariskenhügel ausgesprochener Verdacht war keine Verleumdung gewesen, der Numider legte es schon seit geraumer Weile darauf an, ihn aus dem Weg zu räumen, nun bestand kein Zweifel mehr darüber. Mit kühler Berechnung verfolgte er den Plan, seine junge Frau zu verführen, und hatte, indem er Ellot an der Zypresse der Dido mit leidenschaftlicher Gier überfiel und, ihn selbst zu greifen, Soldaten ins Haus hetzte, auch noch dies jüngste Unglück mit dem Kinde verursacht. Wer soviel Böses gesonnen und soviel frevelhafte Unbill zugefügt hat, der kann dem davon Betroffenen nie wieder wohl wollen! Darüber gingen Gisgon jetzt endlich die Augen auf. Immer bisher noch hatte die Ehrfurcht vor der Staatshoheit, die sich im Königs-Schofeten verkörperte, ihn davon zurückgehalten, sich ein Urteil wie über einen Gleichgestellten über diesen herauszunehmen. Jetzt tat er's unumwunden, und sein einziger Gedanke war: Rache!

Eine Zeitlang schleppte er sich wie ein Siecher im Hause umher, ruhelos und voll quälender Unentschlossenheit. Es war ihm, als läg' er in Ketten, aber jeder Schritt auf die Straße konnte ihn erst recht und tatsächlich in Ketten legen.

Während Dubar, der seit Abbruch der Belagerung vom Soldatendienst enthoben und der militärischen Schiffsbauerei zugeteilt war, sich auswärts an der Arbeit befand, saß er oft lange bei Channa, die irgendeine häusliche Obliegenheit verrichtete, und ließ sein Auge neidvoll auf dem lieblichen kleinen Geschöpfchen ruhn, dem sie das Leben geschenkt hatte. Das Kind war etwa halbjährig, ein Mädchen, hatte rötlich-blondes Haar wie die Mutter und sah in seinem Körbchen so frisch und zart und rosig aus, daß man es in einem fort hätte herzen und kosen mögen. Und wenn dann Channa es herausnahm und ihm die schöne, volle, blütenweiße Brust reichte, während ihr Haupt darüber, mit dem kurzverschnittnen reichen Haar, eher an einen Knaben erinnerte, der aus großen blauen Augen das Wunder des Säugens bestaunte, dann mußte Gisgon an Ellot denken, die Ärmste, in ihren süßesten Hoffnungen Enttäuschte, der, wie er zu seinem Leidwesen erfahren hatte, Mutterfreuden voraussichtlich für immer versagt bleiben würden. Und neu entfachte sich der Grimm gegen den Zerstörer seines häuslichen Glücks.

Channa, wohl begreifend, was in ihm vorgehe, sagte eines Tages: »Es wird dir nicht leichter werden, bevor du nicht etwas schaffst. Vom Haß, der sich nicht genug tun kann, läßt sich nicht leben.«

»Was soll ich anfangen?« fragte er.

Sie riet ihm, am Zimmerplatz mit anzupacken, im Werkskittel würde niemand ihn erkennen, und Arbeit fürs Gemeinwesen verrichtet, könnte ihn noch am ehesten trösten. Auch Hirom, ihr Vater, der gerade auf Besuch kam, stimmte ihr bei.

»Dem Numider gegenüber bist du wehrlos,« sagte er. »Seine Sanduhr läuft von selbst ab, du brauchst nichts dazutun, als die Zeit bis dahin mit Anstand hinbringen. Dann ergreift ohnedies dein Schwäher, der Widder, die Steuerpinne, und deine Hände bleiben wenigstens unbefleckt.«

»Ob etwas im Werk sei?« fragte Gisgon gespannt.

»Man munkelt allerlei, es ziehen sich Wolken zusammen. Ich weiß nichts Bestimmtes ... Aber was soll ich hinterm Berg halten,« brauste er auf, »ich hab's doch mit einem Gutgesinnten zu tun? Von allen Seiten hört man, daß Lanassa, die Schwester des Gulussa, zettelt, es muß etwas Wahres daran sein! Das ganze Volk ist in Gärung, und ich sage: mit Recht! Eschmuns Fluch! Wenn wir numidisch werden wollten, das konnten wir früher billiger haben, dazu brauchten wir nicht erst einen Königs-Schofeten – soll Milkarts Feuer ihn sengen!«

Er wendete sich seinem Enkelchen zu und begann mit ihm zu spielen. Wer den aufrechten Mann von früher kannte, wäre festzustellen in der Lage gewesen, daß er stark gealtert hatte. Seine Channa ging ihm ab, im Haus und in der Wirtschaft, aber die Ehe, die sie über seinen Kopf hinweg eingegangen, hatte trotzdem seinen Beifall, nicht nur weil er dem Dubar gut war, sondern auch deshalb, weil er sich einbildete, Muttines sei ein Gegner dieser Ehe. So hatten die Alten alle beide der eigenmächtigen Vereinigung der jungen Leute nachträglich ihre Genehmigung erteilt, und jeder freute sich um so mehr darüber, je mehr er es für ausgemacht hielt, daß der andere sich darüber ärgere – ein Mißverständnis, das wenig Aussicht hatte aufgeklärt zu werden, weil sie einander beharrlich aus dem Wege gingen.

Gisgon spürte selbst, daß der Müßiggang ihn nach und nach aufreiben würde, der Vorschlag Channas leuchtete ihm ein. Er besprach sich mit Dubar, der schor ihm Haar und Bart, steckte ihn in seinen zerschlissensten Arbeitskittel und nahm ihn mit in den nahen Kothon, den Kriegshafen, wohin jetzt der Großteil des Zimmereibetriebes verlegt war. Niemand, auch der alte Muttines nicht, wußte etwas von Gisgon, niemand erkannte, niemand beachtete ihn, als einfacher Handlanger konnte er ungestört und sorglos seiner Beschäftigung nachgehn.

Es gewährte ihm Befriedigung, sich einigermaßen nützlich zu machen. Absichtlich suchte er sich die schwerste Arbeit aus, dabei vergaß er wenigstens zeitweise seine quälenden Gedanken.

*

Einmal, da Gisgon in einer Arbeitspause abseits auf einem Stoß geschichteter Balken saß und sein Brot verzehrte, ging ein blasser, hagerer Mensch, der wie er selbst als Handlanger mithalf und ihm wegen seines in sich gekehrten Wesens schon mehrmals aufgefallen war, knapp an ihm vorbei, ein Blick aus dunklen, fiebrig glühenden Augen streifte ihn und schnitt ihm durch Mark und Bein.

»Hanno!« schrie er auf.

Der Angerufene stand still, und mit einem angestrengten Ausdruck in den abgehärmten Zügen fragte er: »Hießest du nicht Gisgon, als wir beide noch am Leben waren? ... Wie gefällt es dir in diesem Zwischenreich?«

Gisgon erinnerte sich, von einem Irren gehört zu haben, der irgendwie der römischen Kriegsgefangenschaft entflohen und in der Stadt aufgetaucht sei. Man erzählte sich, die unmenschliche Behandlung, die er von seiten der Römer erfahren, hätte ihn verrückt gemacht, und hielt ihn für den Verwandten eines Fischers, des alten Sicharbas, der ihm auch Unterstand gewährte. Erschüttert, seinen Jugendfreund in ihm wiederzuerkennen, und zugleich voll Ehrerbietung, um den Geist nicht zu kränken, der in ihm wohnte, lud Gisgon ihn ein, sich an seiner Seite auszuruhn.

»Die Arbeit ist oft hart, man wird müde, du bist von Haus aus so wenig daran gewöhnt wie ich selbst. Uns beiden war in Kinderliedern ein besseres Los gesungen.«

»Das Wichtigste ist, heil durchzukommen,« sagte Hanno, sich neben ihn auf einen Balken setzend. »Die Kinder des Feuers haben es nicht nötig, daß es ihnen gut ergehe. Sie geizen nicht nach Genüssen, sie gieren nicht um Erfolg, sie brauchen nicht recht zu behalten. Sie siegen, indem sie dulden und schweigen.«

»Noch hoffe ich, daß wir in einem anderen Sinne siegen werden,« erwiderte Gisgon. »Die Flotte, an deren Bau wir mithelfen, wenn auch nur mit Balkenschleppen, wird den Römern eine Fortsetzung des Krieges nicht leicht machen.«

»Die Entscheidung darüber steht nicht in unserer Hand und ist auch nicht die letzte Entscheidung. Wir sind Bäume in einem Wald, mit ihm grünen wir, oder werden gefällt. Der gewinnsüchtige Unternehmer, der den Berg abholzt, ist nur scheinbar, oder doch nur für eine kurze Spanne Zeit der Gewinner. Er läßt kahlen Fels zurück, wo einst Leben blühte, und hat in sich selbst mehr ertötet, als er je gewinnen konnte. Der große Versucher, der Erfolg, den er für sein Verdienst hält, zeugt mit der Selbstsucht den Wechselbalg der Überhebung, er verschließt sein Herz dem Bruder und hängt es an bunte Steine und Gewänder. Sein Reichtum stürzt ihn in Furcht, er könnte alles wieder verlieren, und um das Errungene zu bewahren, häuft er Gewalttat auf Gewalttat. So verdorrt er schließlich selbst zu Fels und Schlacke. Da spricht zu ihm das ewige Feuer am Himmel: Du bist schon im Zwischenreich verbrannt, nur Flammen vereinigen sich mit mir, der großen, heiligen Flamme!«

Ohne von der in Milkarts Grotte stattgehabten Begegnung Ellots mit dem vom Geist Besessenen etwas zu ahnen, antwortete Gisgon ihm fast mit denselben Worten, die auch sie ihm damals entgegengehalten hatte: eine solche Lehre sei für ihn zu hart!

Und er fügte hinzu: »Die Erfolglosigkeit kann doch unser Wunsch und Ziel nicht sein! Wir sind Menschen, und unser Herz hängt am Gelingen.«

»Wir sind Sehnsüchtige,« sagte Hanno, den irren Blick gegen den Himmel gerichtet.

Als Gisgon schwieg, fuhr er fort: »Irrende sind wir, die das wahre Reich suchen und es nicht finden, ehe wir uns selbst gefunden. Mißgeschick und Unglück, alltägliche und unabwendbare Dinge, trüben uns den Blick. Vieles ereignet sich, gegen unsern Wunsch und Willen, Fürchterliches geschieht und noch mehr, noch Fürchterlicheres wird geschehen. Was tut's? Im Unterliegen Sieger bleiben, ist alles. Die Sonne segnet und sengt. Eschmun und Milkart in einer Gestalt. Ist der große Hannibal etwa tot? Kann seine Feuerseele auslöschen, sein reiner Wille ins Nichts verwehn, die Liebe zu seinem Volk, der Haß gegen dessen Widersacher? Was wäre aus ihm geworden, hätte er über Rom gesiegt? Ein Imperator in Glanz und Üppigkeit, von Pfauenfächern umwedelt, umwedelt von liebedienerischen Hundeschwänzen, Selbstherrscher über eine Welt von Sklaven und schließlich von Schranzen, die Krokodilstränen vergießen, zu Grabe getragen – denn er wäre gestorben! Gestorben in einem goldnen Bett und begraben im Zwischenreich ... Nein, Gisgon,« sagte er, ihn leidenschaftlich am Arm rüttelnd, »nicht die Sieger sind es, die leben, es können unter Umständen die Besiegten sein!«

»Wenn sie nicht früher daran zugrundegehn,« ergänzte Gisgon mit leichtem Spott. In solche Gedankengänge sich einzufinden, war er nicht imstande.

»Wenn sie im Geist des Lichts zu leben und zu sterben wußten,« verbesserte Hanno mit heiligem Ernst ... »Aber laß uns zur Arbeit zurückkehren,« unterbrach er sich, von seinem Sitz aufstehend. »Sie ist uns heilsam, sofern wir nur daran denken, was uns obliegt, Erfolg oder Mißerfolg der Zukunft anheimstellend.«

»Und nun wollen wir schweigen,« schloß er, wie segnend die Hand gegen Gisgon erhebend. »Denn Schweigen auch zum Schlimmsten, das uns widerfährt, ist die erste Staffel der Erlösung. Ist die Sonne nicht schweigsam? Glaub' mir – wenn alles Leben dereinst hier unten ausgebrannt und zurückgekehrt sein wird ins große, läuternde, heilige Feuer, das von Ewigkeit zu Ewigkeit am Himmel lodert, dann wird auch der Geist derer aus ihm flammen, die zu schweigen wußten.«

Langsam schritt er die Ufermauer des Kothon entlang und nahm seine Tätigkeit wieder auf. An allen Ecken und Enden erwachten jetzt, nach Ablauf der Ruhepause, die Geräusche der wieder einsetzenden Arbeit, ein hundertfältiges Klopfen und Hämmern, Hobeln, Sägen und Fräsen, Bummern und Dröhnen, das von den Dächern und Seitenwänden der Schiffshäuser scholl, von den breiten steinernen Staden, auf denen man für größere oder kleinere Fahrzeuge den Kiel legte, und vom Wasserbecken herauf, wo an bereits schwimmenden Schiffsrümpfen all dasjenige noch angebracht wurde, was zu ihrer endgültigen Fertigstellung not tat.

Auch Gisgon begab sich wieder an die Winde, mittels deren er den am Wasser Arbeitenden Bretter und Pfosten hinabseilte. Aber er war zerstreut und ließ sich wiederholt Unachtsamkeiten zuschulden kommen. Die Worte seines ehemaligen Freundes, des unglücklichen Hanno, gingen ihm nach. Anfangs glaubte er einen verborgenen Sinn, vielleicht sogar etwas wie tiefe Wahrheiten herauszufühlen, die dahinter stecken mochten. Aber je länger er sie überdachte, um so weniger leuchteten sie ihm ein, bis sie ihm schließlich völlig widersinnig vorkamen.

Nur ein Geistesgestörter, meinte er, konnte die Dinge so auf den Kopf stellen, daß er in dem, was alle Menschen erstrebten, das Nichtige, und in dem, was sie Unglück nannten, die Vorbedingung des Glücks zu erblicken schien.

*

»Ich kann nicht sagen, wie schwer es mir fiel, meinen Mann allein zu lassen,« sagte Allisat. »Der Verrat Himilkos brachte ihn fast zur Raserei.«

»Das will ich glauben!« antwortete Paam-Eljon mit bedauerndem Neigen des Hauptes.

Er kannte das leicht überkochende Geblüt Hasdrubals, des Widders, seine Vermessenheit im Erfolg, sein blindes Wüten, wenn ihn ein Mißgeschick traf. Er hatte auch den Hipparchen Himilko gekannt und damals, als die Nachricht von dessen Übergang zu den Römern eingetroffen war, sie Wochen hindurch für Verleumdung gehalten, später aber, als sie sich schließlich doch bestätigte, weitere Wochen hindurch an allem Guten in der Menschenbrust fast verzweifelt. Schwer bekümmert wiederholte er jetzt mehrere Male hintereinander: »Das will ich glauben! Das will ich glauben!« ...

»Wir hielten ihn für der Treuesten einen!« sagte Allisat mit einem Seufzer.

»Es verwundet uns tief, wenn ein Mensch, den wir zu kennen glaubten, sich plötzlich in sein Widerspiel zu verwandeln scheint. Wenn er gleichsam ein anderes Gesicht aufsetzt. Wenn unsre Neigung sich gezwungen sieht, gerechtem Zorn das Feld zu räumen. Nur die Zeit kann solche Wunden heilen. Nach und nach gewöhnen wir uns ans Unvorhergesehene, Unvorherzusehende, und lernen mit neuen Augen urteilen ... Wie lange ist es her, daß du von deinem erhabenen Gemahl, dem Boëtharchen, Abschied nahmst?«

»Es war im Hochsommer.«

»Wir nähern uns dem Winter – er wird inzwischen darüber hinweggekommen sein.«

Seite an Seite schritten sie in der prunkvollen Tempelhalle, sich miteinander unterredend, langsam auf und nieder, der von Alter gebeugte Oberpriester Eschmuns und die hoheitsvolle, noch immer ihre stolze Haltung bewahrende Gattin jenes Hasdrubal, den man den Sturmbock oder Widder nannte. Ein geheimnisvolles Dämmer umwob ihre Gestalten in diesem Hochwald von Säulen aus rotem Porphyr. Die kostbar mit Zedernholz eingelegten Wände und das himmelhohe Deckengebälk des mächtig gestalteten Raumes verloren sich trotz verschwenderischer Vergoldung in bange Finsternis. Dunkles Bangen erfüllte auch Allisats sonst so hochgemutes Herz, das Bangen der Ungewißheit vor großen Entscheidungen. Wie das Allerheiligste Eschmuns, vom vorgelagerten Tempelbau deutlich abgetrennt, sich hinter einem ungeheuren, mit rätselhaften bildlichen Darstellungen durchwirkten Teppich verbarg, so entzog sich ihren sorgenvoll vorwärts tastenden Gedanken, ihren leidenschaftlich gespannten Wünschen das undurchdringliche Geheimnis des Kommenden.

»Es führte dich, so vermute ich, die Sehnsucht nach deinen Kindern in die Stadt zurück?« nahm Baal Paam-Eljon das Gespräch wieder auf. »Diesmal war es wohl Ellot, deine Älteste, die deine Anwesenheit in der Zeit ihrer schweren Erkrankung am dankbarsten gesegnet haben wird. Und wegen der Sorgen, die sie leider noch immer um Gisgon zu tragen hat, wird sie auch jetzt noch deine Nähe segnen.«

»Nach meinen Kindern sehnte ich mich schon sehr,« erwiderte Allisat; »und dennoch hätte ich noch länger und trotz der Entsagungen, die mir der Aufenthalt in Nepheris auferlegte, an der Seite des Boëtharchen ausgeharrt, wäre meine Heimkehr ihm nicht so erwünscht gewesen. Er bat mich, mit seinen Augen hier zu sehen.«

»Und was sahst du?«

»Nichts, was er nicht vorausgeahnt hätte. Aber es waren eben nur Ahnungen.«

»Sollten sie sich inzwischen bestätigt haben?«

»Was ich in meinen Händen halte, ist nicht dunkler Verdacht, es ist greifbare Gewißheit.«

»Ich habe drei Angehörige des Adels, die zugleich einflußreiche Mitglieder des Hohen Rates sind, gebeten, sich hier einzufinden.«

Paam-Eljon wußte, daß Allisat aus dem Feldlager wichtige Botschaft von ihrem Gatten empfangen hatte, die auf dessen Wunsch nicht nur ihm selbst, sondern auch anderen von ihm zu bestimmenden vertrauenswürdigen Männern bekanntgegeben werden sollte. Seine Wahl war auf Maharbal gefallen, den besten Kopf der Volkspartei, der nur dann, wenn's unbedingt not tat, die Politik der Straße mitmachte, im übrigen aber sich durch Zurückhaltung und Gerechtigkeit auszeichnete. Ferner auf seinen eigenen Parteigenossen von ehedem, den grundehrlichen Blanno Tigillas, einen Mann, verläßlich und lauter wie Gold. Endlich auf Bomilkar, den Hitzkopf, der zwar schon mehr als einmal, aber schließlich doch nur aus Überzeugung seine Überzeugung gewechselt hatte, sonst aber unbefleckt und unbestechlich war. Ihn, den gebornen Widerspruchsgeist, wollte er lieber von vornherein ins Vertrauen ziehen, als von vornherein zum Gegner haben. Sie alle drei hatte er zu der von Allisat im Auftrag des Widders erbetenen Besprechung eingeladen.

Daß es sich dabei um Dinge handeln würde, die für das Schicksal Kart-Chadasts entscheidend sein mußten, darüber ließen Allisats Andeutungen ihm keinen Zweifel. Aber nur um so willkommener war ihm die Gelegenheit, die ihn zur Mitbestimmung heranzog. Längst hatte er sich selbst gesagt, daß es notwendig sei, endlich eine Entscheidung herbeizuführen, oder doch wenigstens eine Klärung der Lage anzubahnen.

Denn die gegenwärtigen Zustände in Kart-Chadast schienen ihm unhaltbar. Die Achtung vor der Staatsgewalt war durch den Verrat Himilkos und die seither wie ein Wüstensturm immer heftiger anwachsende Bewegung gegen den Numider in Frage gestellt. Bei solcher Stimmung des Volkes den Krieg mit Erfolg fortzusetzen, hielt er für ein Ding der Unmöglichkeit. Er sah ein, daß etwas geschehen müsse. Sogar ihn selbst, den Ältesten und vielleicht Besonnensten von allen, beschlich manchmal Mißtrauen und Argwohn. Bei aller Schätzung, die er der militärischen und staatsmännischen Tüchtigkeit des Königs-Schofeten entgegenbrachte, hätte er lieber einen Unverdächtigen an der Spitze gesehen. Und daß der Boëtharch durch Allisats Mund nichts vorzubringen haben würde, was zugunsten Hasdrubals, des Numiders, sprach, das ließ sich leicht erraten.

Sonach sah er ihren Enthüllungen gespannt und eine heilsame Entwicklung der Dinge davon erhoffend entgegen, fest entschlossen, Ehre und Wohlfahrt der Gemeinschaft höher zu stellen als den Vorteil eines einzelnen.

*

Während er der hohen Frau noch Eigenschaften und Wesensart der Eingeladenen beschrieb, von denen ihr nur Maharbal näher bekannt war, trafen sie selbst bald nacheinander in der Tempelhalle ein. Als letzter Blanno Tigillas, der sich auf seinen Krücken schleppte.

Bomilkar befand sich in größter Erregung. Er brachte Neuigkeiten mit. Der Königs-Schofet hatte unerwartet eine Versammlung des Hohen Rates einberufen. Auf den Tag, der dem übernächsten folgte, und zwar zu ungewöhnlich früher Stunde. »Wann Eschmuns Gestirn sich vom Zweihornberg löst« – so hieß es in der Verlautbarung, sollte die Sitzung ihren Anfang nehmen.

Alle staunten. Die Verfassung war seit längerer Zeit so gut wie außer Kraft gesetzt. Seit dem letzten Frühsommer, seit Himilkos Treubruch, hatte keine Ratsversammlung mehr stattgefunden. Und nun so plötzlich! Und im Anschluß gleichsam an die dritte Nachtwache!

»Wenn man mit Becken rasselt,« sagte Maharbal in seiner kühl-trockenen Art, »so verkriecht sonst der Löwe sich doch in seiner Höhle?«

»Der Stier aber senkt die Hörner und geht los!« versetzte Bomilkar. »Für denselben Tag, nur zwei Stunden später, plant Jarbas und sein Anhang insgeheim eine Volksversammlung auf dem Marktplatz. Davon hat man im Haus der Pfauen Wind bekommen.«

»Uns kann es recht sein,« meinte Blanno Tigillas. »In der Versammlung auf dem Markte, von der ich ebenfalls hörte, wollen sie, soviel ich weiß, die Wiedereinführung der Verfassung, die Einberufung des Rates fordern. Es wäre eine Schmach für uns Adelsbürger und Ratsmitglieder gewesen, ginge eine so selbstverständliche Forderung, die wir selbst zu stellen versäumten, von einer wilden Volksversammlung aus. Der Numider erspart uns nur eine Verlegenheit, indem er den Wünschen des Volkes zuvorkommt.«

»Es fragt sich nur, was in der Sitzung des Hohen Rates beschlossen werden soll?« bemerkte Paam-Eljon.

»Auch darüber kann ich Auskunft geben, und nun komme ich erst zum springenden Punkt,« sagte Bomilkar. »Baga, der hinaufgekommene Wechsler und Volksmann, soll große Summen unter die Leute verteilt und durch sein Geld sogar im Hohen Rat Parteigänger für sich gewonnen haben. Nun begnügt sich ja ein Jarbas nicht mit so bescheidenen Zielen, wie die von dir, Blanno Tigillas, erwähnten. Er will höher hinaus und beabsichtigt nichts Geringeres, als in seiner Volksversammlung die Absetzung des Numiders beschließen zu lassen. Ja, er will sie, wenn nötig, sogar durch einen Putsch erzwingen. Es ist aber gar nicht sicher, ob seine Anträge auf dem Marktplatz auch wirklich durchdringen. Im Gegenteil, das Wahrscheinlichere ist, daß Bagas Geld in diesen teuren Zeiten mehr Gewicht haben werde als des Jarbas Gesinnung. Und dann würde der dort zu fassende Beschluß eben im Sinne Bagas ausfallen, nämlich: das Volk würde dann dem Numider die Absetzung bloß androhen, und zwar nur für den Fall, daß er sich nicht bereit finden ließe, den Baga zu seinem – Mitschofeten zu machen.«

»Baga – Schofet?« fragte Maharbal ungläubig.

»Mach' keine schlechten Witze!« mahnte der Oberpriester. »Von Bagas Person abgesehen, wär' es ein Faustschlag ins Gesicht für die Adelsfamilien.«

»Dabei hätte der Hohe Rat doch auch noch ein Wörtchen mitzusprechen!« rief Tigillas empört.

Maharbal scherzte, kaum den Mund verziehend: »Es war einmal ein Floh, der sagte zu seinem Hunde: Laß uns bellen, daß uns die Leute fürchten!«

Aber Bomilkar brauste, in Hitze geratend, auf: »Und es war einmal ein Hund, der sagte zu seinem Floh: Mach' dich dick in meinem Fell, so meinen die Tölpel, wir seien unser zwei und lassen mich ungeschoren! Muß man solch ein falsches Luder nicht vertilgen?«

»Du willst doch nicht sagen,« rief Paam-Eljon erschrocken, »der Numider begünstige Bagas Bewerbung?«

»Das will ich allerdings sagen,« schrie Bomilkar, bleich vor Wut. »Und ich unterhalte Verbindungen genug, ich weiß, was ich sage! Hört! Der Numider ist damit einverstanden, daß Baga Schofet werde! Er weiß ganz gut, daß er mit diesem Strohmann an der Seite ungestört derselbe Selbstherrscher bleiben kann, der er bisher gewesen. Dieser Pöbel, sagt er sich, will zwei Schofethim. Gut! Soll sie haben! Einverstanden! Ich komm' ihm sogar zuvor, damit er sich nicht etwa einbilde, er hätte etwas mitzureden. Der Hohe Rat ist – dank meiner gewaltigen Faust, so sagt er sich – längst eine versumpfte und wurmstichige Gesellschaft geworden, mein Einfluß und Bagas Geld werden mächtig genug sein – ich lasse Baga wählen! Abgemacht! Der Trottel behindert mich nicht im geringsten, ich tu' trotzdem, was mir gefällt, und verkaufe nun erst recht in aller Gemütsruhe Staat und Volk dem lieben numidischen Ohm! ... Das sind seine Gedankengänge! Glaubt es mir. Ich schwör's! Soll Milkart sich kommende Nacht in der keuschen Tanit Schlafkammer schleichen, wenn's nicht wahr ist!«

Baal Paam-Eljon erhob tadelnd die Hand ob der Gotteslästerung. Maharbal aber sagte kalt und ruhig: »Ist es so, dann muß der Numider beseitigt werden!«

»Es ist so!« flammte jetzt Allisat auf. »Der Königs-Schofet hat uns an Gulussa verraten! Und wenn es in Kart-Chadast keine Männer mehr gibt, die die Ehre des punischen Volkes zu retten wissen, so wird mein erhabener Gemahl, der Boëtharch, sein tapferes und siegreiches Heer gegen die Stadt führen, um sie zu erobern und desto wirksamer gegen die auswärtigen Feinde zu verteidigen! Das ist's, was ich euch in seinem Auftrag zu melden habe. Und nun laßt auch mich noch ein Wort hinzufügen. Ich bin nur ein Weib, aber eine treue Tochter der Stadt, und solange ich lebe, werde ich nicht dulden, daß ein edles Volk von so ruhmvoller Vergangenheit, wie es das punische ist, an das rohe numidische Bauern- und Soldatenpack ausgeliefert werde! Der Zufall hat mich dazu ausersehn, daß ich dem derzeitigen Machthaber, der sich die Würde eines Königs-Schofeten anmaßt, über das Totenbett Magos, des Bruttiers, hinweg die Hand zur Versöhnung reichen konnte. Ich war es, die im Vertrauen darauf, daß es hinfür nur mehr eine Gesinnung, die des Widerstands gegen Rom und Numidien zugleich, geben könne, das Band zwischen den feindlichen Parteien knüpfte. Ich zerreiße es jetzt, dieses Band, das schmählich besudelte und entweihte, und werfe es dem Numider vor die Füße! Es gibt keine Bundesgenossenschaft zwischen Verrätern und solchen, die sich niemals lossagen werden von ihrem angestammten Volke, seiner Vergangenheit und seiner Sprache! Sich niemals lossagen werden von der geliebten Heimat, ihren heiligen Hainen, Tempeln, Altären und Gräbern! Und ich sage euch, ich, eine kartchadische Mutter von fünf Kindern, deren eines zur ewigen Schande der Stadt als Geisel ausgeliefert irgendwo in römischer Kriegsgefangenschaft verkommen ist: Lieber zugrunde gehen unter den Trümmern der zusammenstürzenden Bosra von Kart-Chadast und verbrennen mit meinen noch überlebenden Kindern in den heiligen Flammen Milkarts, deren Lohe über diesen Trümmern zusammenschlagen wird, als auch nur ein Sandkorn preisgeben von den stolzen Überlieferungen unserer Ahnen und den ehrwürdigen Rechten des punischen Volkes!«

Hoch aufgerichtet stand sie da, ihr Atem flog, das Auge leuchtete, daß es das geheimnisvolle Dämmer des Tempelraumes fast zu erhellen schien. Es war, als sei aus der darunter befindlichen Grotte, wo Milkarts heiliges Feuer loderte, ein Funke emporgesprüht, heilige Flammen auch zu entfachen in Herz und Augen dieser mutigen Frau.

Etwas betreten schlugen Paam-Eljon und Blanno Tigillas ihren Blick zu Boden. Sie fühlten Gegensätze aufgerissen, längst begrabene, aus der Zeit, da sie selbst der römischen Partei angehört und die Geiselverschiffung befürwortet hatten. Es war ihnen peinlich, hieran erinnert zu werden, so überzeugt sie ihrer Vergangenheit abgeschworen hatten, so tief im übrigen Allisats Worte sie berührten und erschütterten. Denn beide dachten in diesem Augenblick dasselbe: »Hätten wir alle ohne Ausnahme von Anfang an und mit derselben unbekümmerten Entschlossenheit zu unserm Volk gestanden, es stünde jetzt anders um uns!« ...

Auch Bomilkar, der Wandelbare, hatte dieser entschiedenen und unerbittlichen Lauterkeit der Gesinnung gegenüber kein ganz reines Gewissen. Er sah starr vor sich hin und stand wie eine Bildsäule ...

Maharbal aber beugte sich nieder und berührte den Saum von Allisats Kleid mit andächtigen Lippen.

*

Da erhob Hasdrubal, des Widders, Gattin noch einmal die Stimme:

»Ihr sollt mir nicht nachsagen, ich hätte falsche Beschuldigungen ausgesprochen,« fuhr sie fort. »Hier – ein erst jüngst in die Hände meines Gatten gelangter Brief, den Himilko Phameas aus Rom an ihn richtete. Der treulose Hipparch, vom römischen Senat mit Ehren empfangen und mit Geschenken überhäuft, scheint seinen früheren, den achtbaren Menschen, noch nicht ganz losgeworden zu sein, er schleppt ihn mit sich herum, und ob er auch die Hände auf die Ohren presse, er vernimmt doch seine Stimme in schlaflosen Nächten. Nur so wenigstens wird dieser Brief erklärlich. Denn wäre Himilko seiner verruchten Tat froh geworden, so hätte er sich nicht zu dem Versuche angetrieben gefühlt, sie seinem ehemaligen Boëtharchen gegenüber wenigstens einigermaßen zu rechtfertigen.«

Damit legte Allisat ein Schriftstück in die Hände Paam-Eljons. Der entfaltete es und las es vor.

»Die überirdischen Gewalten haben beschlossen,« schrieb Himilko Phameas, der Hipparch, »dem Recht und der Gerechtigkeit eine Niederlage zu bereiten. Ich war mir seit langer Zeit darüber klar, daß die Mittel der Verteidigung sich allmählich erschöpfen mußten und trotz der vorübergehenden Erfolge, die wir erkämpft, Kart-Chadast nicht imstande sein werde, den langsamen aber beharrlichen und ehernen Schritt der römischen Weltherrschaft zu hemmen, deren Hilfsmittel im Gegensatz zu den unsrigen unerschöpflich sind. Trotz dieser Erkenntnis war ich fest entschloßen, zugleich mit meinem Volk und der Stadt meiner Ahnen unterzugehn. Da gelang es einem meiner Streifposten, eine Botschaft aufzufangen, die Lanassa, die Mutter des Königs-Schofeten von Kart-Chadast, an König Gulussa von Numidien, ihren Bruder, gerichtet hatte. Sie enthielt die endgültige Zustimmung zu einer Reihe von Vertragspunkten, die in offenbar vorausgegangenen Verhandlungen anscheinend bereits vereinbart worden waren ...«

In atemloser Spannung horchten die Männer. »Weiter!« stieß Blanno Tigillas mit heiserer Stimme hervor.

Und Paam-Eljon fuhr fort: »Danach sollte Kart-Chadast mit seinem Gebiet ein Teilfürstentum, wie deren nach Masinissas Tod mehrere entstanden waren, unter König Gulussas Oberhoheit bilden. Gulassas Neffe Hasdrubal sollte Königs-Stellvertreter sein und das Verhältnis der Abhängigkeit von Numidien durch einen nach Cirta zu überbringenden Tribut und eine daselbst zu leistende Huldigung alljährlich einmal ausdrücklich anerkannt werden ...«

»Schändlich! Niederträchtig! Den Dolch dem Verräter!« schrie Bomilkar auf.

»Komm zum Ende,« mahnte Maharbal sachlich und scheinbar gelassen.

... »Du weißt, mein Boëtharch,« fuhr Paam-Eljon zu lesen fort, »daß ich selbst einst dem Anschluß Kart-Chadasts an Numidien das Wort redete, mein Verstand riet mir dazu, nicht mein Herz. Aber damals lebte noch Masinissa, als Mensch wie als König gleich bewunderswert. Auch ging zu jener Zeit die Absicht dahin, daß Kart-Chadast die Königsstadt und somit nicht eigentlich die Beherrschte, sondern die Herrscherin über das weite, damals noch einheitliche und unzerstückelte Numidien geworden wäre. Das alles machte den Gedanken erträglich. Wie ganz anders steht es heute! Und wie ganz anders lautet der schmähliche Vertrag, den Lanassa, die Witwe Chimalkarts, im Namen und Auftrag ihres Sohnes abzuschließen im Begriffe stand, vielleicht schon abgeschlossen hatte, da ich ihre Botschaft auffing. Für solche Ziele zu kämpfen und zu sterben, war Himilko Phameas nicht bereit! ...«

»Das kann ihm niemand übelnehmen,« schaltete trocken Maharbal ein.

»Und so schließt nun Himilkos Brief,« sagte der Oberpriester: »Verdamme mich, mein Boëtharch, ich konnte nicht anders! Es fiel mir schwer, unsagbar schwer, zu tun, was ich tat, aber die Götter selbst haben das punische Volk preisgegeben. Ich bin nicht imstande, etwas daran zu ändern, ich bin ein schwacher Mensch, der von zwei Übeln das kleinere wählte. Und vielleicht werde ich bald vor eine neue Wahl gestellt sein.«

Paam-Eljon hielt inne und sah die lauschend um ihn herumstehenden Männer der Reihe nach an. Bleich wie aus weißem Marmor hoben sich ihre verzerrten Gesichter aus dem Dämmer des Tempelraums. Keiner sprach ein Wort.

Es war, als sei mitten im Alltag eine verhüllte Gestalt unter sie getreten. Und als hätte sie plötzlich das Gewand abgeworfen – da stand das grauenhaft nackte Schicksal vor ihnen und forderte eine Entscheidung auf Leben und Tod.

Paam-Eljon allein, in der schwächlicheren Abgeklärtheit des Alters, hielt eine unblutige Lösung noch für möglich. Er war der erste, der wieder Worte fand.

»Der Königs-Schofet,« sagte er, »gibt uns selbst die Gelegenheit an die Hand, diese wichtige Enthüllung zur Sprache zu bringen. Wir werden in der Versammlung des Hohen Rats kein Geheimnis daraus machen. Er wird sich vor dem Volke zu verantworten haben!«

»Kerker und Ketten, wo nicht Folter und Kreuz wären die Folgen,« antwortete finster Blanno Tigillas. »Hier gilt's – wie es im kartchadischen Einhornliede heißt: Ich oder du!«

»Bei Eschmuns Leben, keine Gewalttat!« flehte Paam-Eljon mit erhobenen Händen. »Erst prüfen, dann handeln! Denn wo es um eines Menschen Sein oder Nichtsein geht, tut doppelt strenge Prüfung not. Und hundertfach strenge Prüfung, wo dieser Mensch ein Hasdrubal ist, dessen Größe, überragende Bedeutung und selbstlose Hingabe an die gemeinsame Sache niemand bisher in Zweifel zog. Ich habe, wenn ich als Priester urteilen darf, den Königs-Schofeten in Fragen des Gewissens stets edel, rein und unantastbar befunden. Ein einziger Fall ist mir bekannt worden, wo ich ihn als Menschen tadeln muß, das war sein Vorgehen gegen Gisgon – unsre erhabene Freundin Allisat weiß davon zu erzählen ...«

»Schon in den Kämpfen am Fischertor,« bestätigte Blanno Tigillas, »setzte er Gisgon böswillig der Gefahr aus, es war rein, als hätte er ihn mit Absicht beiseite schaffen wollen!«

»Auch hier würde eine sorgfältige Nachprüfung aller Umstände vielleicht ein anderes Urteil ergeben,« versetzte milde der Oberpriester. »Es ist immer gefährlich, sich nach flüchtigen Eindrücken eine Meinung zurechtzulegen. Was aber den Brief Himilkos betrifft – der könnte doch auch eine plumpe Fälschung sein? Oder ist es ausgeschlossen, daß Lanassa, die Numiderin, den Namen ihres Sohnes mißbraucht und hinter dessen Rücken Verabredungen getroffen hätte, von denen dieser nichts weiß, und die er mißbilligen würde, wüßte er davon? Darum wiederhole ich, meine werten Freunde: Erst prüfen, dann handeln! Und vor allem: Keine überstürzte Gewalttat, die nicht mehr rückgängig zu machen wäre! ... Ihr versprecht mir, meine Mahnung zu beherzigen?«

Die andern aber verharrten in Schweigen und brüteten verstockt vor sich hin. So schied der Oberpriester schließlich von ihnen, nachdem er sich noch einmal mit erhobenem Finger an sie gewendet: »Man muß dem Übel mit dem Recht widerstehn, nicht mit dem Eisen!«

»Das sagtest du schon damals,« antwortete mit geringschätzigem Auflachen Bomilkar, »als es noch eine römische Partei gab und du in ihrem Namen die Auslieferung der Waffen beantragtest!«

Entmutigt und an sich selbst irre geworden, kehrte der Greis sich von ihm ab. Sie sahen ihn, nachdem sie ins Freie getreten, bekümmert und wie gebrochen an Allisats Seite die große hundertstufige Tempelfreitreppe hinuntersteigen, gegen den heiligen Hain der uralten Olbäume ...

Weniges später standen an Milkarts heiligem Feuer in der Untergrotte des Eschmun-Tempels drei Männer. Sie murmelten Gebete und Beschwörungsformeln und taten ein Gelöbnis. Und schließlich streckten sie ein jeder seine Rechte aus und vereinigten ihre Hände in kräftigem Druck über den lodernden Flammen.

*


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