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XI.

Der Zimmermeister Muttines war ein wohlhabender Mann, er hätte es nicht mehr nötig gehabt, auf seinem Werkplatz selbst mit anzupacken wie ein gewöhnlicher Arbeiter, und doch tat er's. »Wenn der Herr müßig geht,« pflegte er zu sagen, »so werden die Knechte säumig.« Überhaupt liebte er Sprichwörter, und ein anderes, das er gern vorbrachte, lautete: »Wer mit eignem Schweiß düngt, dem segnen die Götter den Acker.«

Vielleicht trug die ungewöhnliche Hitze die Schuld daran, vielleicht auch die Benommenheit durch besondere Gedanken, die ihn beschäftigen mochten, daß er an diesem hochsommerlichen Nachmittage gegen seine sonstige Gewohnheit keine rechte Lust verspürte, mit eignem Schweiß zu düngen. Wiederholt ließ er mitten in der Arbeit das Beil sinken, mit dem er eben einen eichenen Balken zu behauen im Begriffe stand, immer wieder ertappte er sich dabei, wie er rastend innehielt und überlegend eine Weile vor sich hinsann.

In seinem Betrieb waren jetzt doppelt oder dreimal so viel Arme tätig als sonst, neben den gelernten Zimmerleuten auch notdürftig abgerichtete Hilfskräfte und Handlanger. Ringsum scholl das einschläfernde Geräusch der gemächlich gehandhabten Äxte, vielstimmigen Widerhall weckend an den Steilwänden der weiteren Umgebung. Denn der Zimmerplatz lag hinter dem Heiligtum Aschtarits, im Schattenwinkel zwischen der seeseitigen Stadtmauer und der halbverfallenen Bastei, die an dieser Stelle gegen die Magara vorsprang.

Die Nachdenklichkeit des Muttines endigte schließlich mit einem umständlichen und breitausladenden Gähnen, und der Ärger darüber, daß er am hellichten Tage gähnen mußte, zeitigte plötzlich einen Entschluß. Mit einer ungeduldigen Bewegung sein Gerät in die dafür bestimmte Truhe werfend, machte er Feierabend. »Alles mit Bedacht und jedes an seinem Platz!« sagte er belehrend zu sich selbst, wie um seine Handlungsweise vor dem eigenen Richterstuhl zu rechtfertigen. »Man kann auch des Guten zu viel tun, und manchmal gibt's Wichtigeres zu verrichten als in die Hände speien.«

Weniges später stand er am entgegengesetzten Ende des Zimmerflözes, wo sein Sohn Dubar damit beschäftigt war, das Balkengerüst einer gewaltigen Steinschleuder versuchsweise zusammenzufügen. Der Lärm des Klopfens und Pochens war so stark, daß Muttines sich nur mit erhobener Stimme verständlich machen konnte.

»Komm' herunter, ich habe mit dir zu reden!« rief er dem Sohne zu, der rittlings auf dem obersten Balken saß.

So behende war Dubar noch nie eine Leiter herab geklettert. Nur ein paar Augenblicke währte es, so stand er schon dem Vater gegenüber und hing gespannt an dessen Lippen.

»Die Sonne sticht, die Hitze ist arg,« sagte der Alte; »lieber blieb' ich hier im Schatten bei meiner Arbeit, doch will ich dich nicht länger zappeln lassen. Ich habe mir alles Für und Wider wohl überlegt. Du bist ein Springinsfeld, aber wenn das Schmiedemädel dich mag, so hab' ich gegen sie nichts einzuwenden. Im Gegenteil, wenn irgendeiner, so trau' ich's am ersten noch der Hirom-Tochter zu, daß sie vielleicht noch einen brauchbaren Menschen aus dir macht. Neben meinem Haus das Stöckel, wo deine Großeltern väterlicherseits verstorben sind, steht leer. Darin könnt ihr hausen, wenn ihr damit zufrieden seid. Kleiner Anfang hat guten Fortgang, heißt es.«

»Tausendmal sind wir damit zufrieden!« beteuerte Dubar übers ganze Gesicht strahlend. »Ein Nest zum Liebhaben, mehr brauchen wir nicht. Wär's ein Palast, um so besser; für's erste tut's auch die alte verlotterte Hütte.«

»Alt sagst du? Verlottert sagst du? Neu ist sie nicht, das geb' ich zu, aber verlottert – das hängt von niemand ab als von dir selbst. Setze sie instand! Sind deine zehn Finger aus Stroh? Oder ist das Flanieren und Schwärmen in der Stadt herum wirklich das Beste, wozu man seine Freistunden verwenden kann? Greif' tüchtig an, bessere sie aus mit deiner Hände Arbeit, so ist sie nicht mehr verlottert, und die eifersüchtige Tanit, wenn sie schmachtend in deine Kammer äugt, wird nur einen um so gesünderen Schlaf bescheinen. Denn Müdigkeit am Abend ist der Bettruhe zuträglicher als Verliebtheit. Im übrigen nimm den Mund nicht zu voll, haben wir doch die Zustimmung deines Mädels noch lange nicht in der Tasche. Wer weiß, mag sie dich? Mit welchem Recht beantwortest du meine Frage auch in ihrem Namen? Vielleicht überlegt sie sich's noch, dich mit in Kauf zu nehmen, wenn sie von einem so bescheidenen Unterstand hört? Vielleicht bedankt sie sich überhaupt für die Ehre, wenn sie dich nur erst einmal ordentlich kennenlernt. Denn was weiß sie eigentlich von dir? Bilde dir nur ja nicht ein, daß sie dir's als Heldentat anrechnen wird, wenn du sie in jener. Nacht, wo alles drunter und drüber ging, in deinen Schutz nahmst und bis an die Tür ihres Hauses brachtest. Das war einfach ein Gehörtsich, nichts weiter, und heiraten ist schließlich was andres, als zufällig einmal selbander durch die Straßen gehn.«

»Laß' das nur meine Sorge sein, Vater! Man hat seine Ahnungen, und die trügen selten.«

»Mir soll's recht sein. So will ich deine Bitte erfüllen und mich auf den Weg zu dem alten Grobian machen. Er ist sonst ein verständiger Mann, er wird mir's nicht übelnehmen, daß ich im Arbeitskittel komme. Festtagskleider passen nicht in diese Zeit, und schließlich werden auch sie einmal von den Motten gefressen.«

Er verabschiedete sich und wollte gehn. »Vater!« rief der Jüngling ihm nach. Und als jener sich noch einmal umwendete, zog Dubar verschämt eine silberne Armspange hervor und reichte sie zögernd dar.

»Willst du mir die Liebe tun, ihr dies dürftige Brautgeschenk zu überbringen? Für ein stattlicheres reichten meine Ersparnisse nicht.«

»Dürftig sagst du? Ein dürftiges Brautgeschenk sagst du?« brauste Muttines auf. »Und du hättest ihr ein noch stattlicheres verehrt, wenn deine Ersparnisse dazu reichen würden? Ja, warum reichen sie denn nicht? Weil du mit deinen Mitteln nicht haushalten lernst und den Wert des Geldes nicht zu schätzen weißt! Weil du nicht emsig genug hinter deiner Arbeit her bist und es lieber den vornehmen jungen Herrn gleichtun möchtest, die Waffenspiele und Schießübungen veranstalten, um dann den Sieger beim Klang der Becher zu feiern. Was kümmern dich, den einfachen Bürgerssohn, die kostspieligen Zerstreuungen des Erbadels? Jeder bei seinem Gewerbe, so gibt es gutes Erbe. Aber wer ewig der Hoffart nachläuft, der trägt zuletzt geflickte Schuh!«

»Wär' auch nicht das Schlimmste, wozu gibt's Flickschuster?« gab Dubar keck zur Antwort. »Aber weil wir schon von diesem Handwerk sprechen –« fuhr er lachend fort: »Wenn der Schuster barfuß ginge, so wüßte er nicht, wo einen der Stiefel drücken kann. Und wenn ich keine Erfahrung darin hätte, wie man Ballisten und Katapulte verwendet, und worauf es bei ihrem Gebrauche ankommt, so könnte ich auch keine besseren bauen als jeder beliebige Zimmermann. Dann wären die feisten Staatsaufträge aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gerade der Werkstatt des Zimmermeisters Muttines in den Schoß gefallen, und dieser könnte sich, mit Respekt zu sagen, den Mund wischen.«

Es wäre schwerlich der Nachweis zu erbringen gewesen, daß diese schnöde Erwiderung den Nagel nicht auf den Kopf getroffen hätte. Grund genug, den Vater und Zimmermeister vor Wut fast bersten zu machen.

»Mußt du immer das letzte Wort haben?« schrie er den Sprößling an. »Tadle ich dich wegen deiner guten Eigenschaften, oder wegen deiner schlechten? Von dem großen Loch, das du in der Tasche hast, ist die Rede, und das kommt daher, weil du immer zu hoch hinaus willst. Ein dürftiges Brautgeschenk nennst du diesen Armreif, der doch aus purem Silber ist! Ich, als ich um deine Mutter freite, konnte mir eine solche Kostbarkeit nicht leisten. Eine gute Ehefrau ist sie mir darum doch geworden, nur daß sie einem solchen Leichtfuß und Geldvertuer das Leben schenkte, wie du einer bist, das trag' ich ihr nach! Fahr' nur so fort, die Folgen werden nicht ausbleiben! Oder ist es dir unbekannt, was für eine Zukunft, das Sprichwort, die verdichtete Weisheit und Erfahrung vieler Geschlechter, dem Verschwender in Aussicht stellt?«

»Es gibt viele Sprichwörter, aber das, worauf du vermutlich anspielst, ist mir zufällig gegenwärtig. Der Verschwender, sagt es, wird vielleicht noch einmal ein Bettler, der Geizhals ist es aber ganz bestimmt schon sein Leben lang gewesen.«

»Es war ein anderes Sprichwort, das ich meinte!« keuchte Muttines außer sich vor Wut.

Damit drehte er Dubar den Rücken und trollte sich. Daß er den silbernen Armreif dennoch zu sich gesteckt hatte, war dem Sohne keineswegs entgangen. Darum kehrte dieser auch ohne sonderliche Beunruhigung zu seiner Balliste zurück. Er schmunzelte sogar ein wenig, als er gemächlich die Leiter wieder hinanklomm. Er kannte seinen Alten und war froh, ihm nichts schuldig geblieben zu sein.

Denn Muttines gehörte zu den Rechthabern, denen man kräftig Widerpart halten muß, will man nicht gänzlich den kürzeren ziehen. In der Hitze des Gesprächs scheinen sie sich zwar um so leidenschaftlicher in ihre Meinung zu verbeißen, je mehr man ihnen entgegnet. Sind sie aber dann mit sich allein geblieben, so gewinnt die Gegenstimme, die aus der Erinnerung nachklingt, mehr und mehr an Geltung. Der leicht errungene Sieg hinterläßt einen leisen Hauch von Beschämung, und das Bewußtsein, dem andern doch vielleicht ein wenig Unrecht getan zu haben, bewirkt nicht selten einen völligen Stellungswechsel. Dann kann es vorkommen, daß der blinde und taube Eiferer von vorhin ganz unerwartet zum warmen Anwalt gerade dessen wird, was er eben noch übertreibend verurteilte.

*

Auf dem Balkon, der muschelförmig aus dem Marmorsaale vorsprang, stand der angesehene Kaufherr und Adelsbürger Ithobaal mit seinem Freund Bostar im Gespräch.

Das Gartengrundstück, aus dessen oberstem Ende der weiße Palast sich erhob, war abschüssig, tiefer liegende Stadtteile schlossen sich daran, und jenseits des Gewirrs ihrer Dächer stieg wie eine hyazinthblaue Mauer das Meer auf, das in diesen Hochsommertagen von scharfen Nordostwinden gepeitscht wurde. Die Phönixpalmen im Garten bogen sich unter den Stößen des Sturmes, an ihren schuppigen Stämmen befestigte hänfene Schnüre waren über Kies und Blumen hinweg gespannt, und auf- und niedergehende Seiler damit beschäftigt, haltbare Schiffstaue zu drehen.

Ithobaal sah es mit Kummer, wie seine sorgfältig gepflegten Anlagen zertreten wurden.

Er hielt das Rüstungsfieber, welches die Stadt ergriffen hatte, für eine Wahnsinnserscheinung und jeden Widerstand gegen Rom in diesem vorgeschrittenen Zeitpunkt für eine nicht zu verantwortende Tollkühnheit. Der Gedanke an eine drohende Belagerung machte ihm die Haare zu Berge stehn, das Leben verlor für ihn allen Sinn, wenn die Schönheit daraus verbannt blieb und Sorgen und Entbehrungen aller Art es einengten. Die von den Konsuln aufgestellten Forderungen, die auf Enteignung der gesamten Bevölkerung und Zerstörung der Stadt hinausliefen, nahm er nicht allzu ernst; sie würden schon noch mit sich reden lassen, meinte er, wenn man sich sonst gefügig zeige. Noch immer hoffte er im stillen auf eine friedliche Lösung, auch wegen seines Sohnes Melikertes, um dessen Schicksal ihm bangte. Denn dieser befand sich unter den ausgelieferten Geiseln in der Gewalt der Römer.

»Nun haben sich auch noch die Seiler hier eingenistet!« klagte er Bostar sein Leid. »Wem gehört mein Garten? Mir oder den zum Krieg hetzenden Machthabern?«

»Keinem von beiden, sondern den Römern, ebenso wie die ganze Stadt,« antwortete Bostar, immer zu beißendem Widerspruch bereit. »Wenn sie nur erst von ihrem Eigentum Besitz ergreifen, wirst du mehr zu beklagen haben als die paar Blumen, die dir die braven Seiler niedertrampeln.«

»All' diese Verteidigungsmaßnahmen sollen doch angeblich dazu dienen, den Römern eine Besitzergreifung zu verleiden?«

»Sie werden dein Haus erst dem Erdboden gleich machen, nachdem wir uns verteidigt haben.«

Ein hochgewachsener Jüngling trat zu ihnen auf den Altan und neigte sich.

»Wo bleibst du, mein Gisgon? Mit Ungeduld erwarte ich dich!« begrüßte Ithobaal ihn mit Wärme. »Hat unsre Sache endlich Fortschritte gemacht?«

Der junge Mann senkte das Haupt und schwieg. Flammende Röte ergoß sich über sein Antlitz.

»Ich mutmaße,« spottete Bostar, »Censorinus melkt einen Bock, und du, Ithobaal, hältst ein Sieb unter.«

»Allerdings hatte ich mich der Erwartung hingegeben,« antwortete Ithobaal, »es würde sich ein Beherzter finden, der das mißleitete Volk zur Vernunft brächte. Aber allem Anschein nach wagt sich keiner daran, es zur Einsicht zu mahnen – wenigstens nehmen die Rüstungen unentwegt ihren Fortgang. Wie willst du, Gisgon, dein Zögern und Zagen mit der im Römerlager übernommenen Sendung in Einklang bringen?«

»Die Konsuln wußten nichts davon, daß Mago der Bruttier tot und seine Partei gestürzt ist. Aus eigenem Antrieb kamen sie auf den Gedanken, ich könne, wenn sie mich in die Stadt entließen, einigermaßen dazu beitragen, die Standhaftigkeit der Romfreunde zu stärken. Bedingungslos schenkten sie mir die Freiheit. War ich gleich selbst damals von der Sinnlosigkeit jeder Gegenwehr überzeugt, so habe ich doch eine bestimmte Verpflichtung nicht übernommen. Aber Feigheit kannte ich nie und Feigheit ist es nicht gewesen, was mich bisher davon abhielt, der bekehrten Volksbewegung in den Arm zu fallen. Nur fühl' ich mich, das gesteh' ich unumwunden, meiner Sache nicht mehr so sicher wie zur Zeit, da ich in die Stadt zurückkehrte. Gewährt mir Frist, mich den vollzogenen Tatsachen gegenüber zu sammeln, die ich gegen meine Erwartung hier vorfand.«

»Narrheit ist ansteckend wie das Sumpffieber,« sagte Bostar. »Atmet er noch eine Zeitlang die Luft von Kart-Chadast, so stimmt er begeistert in den Ruf mit ein: Nieder mit Rom! Aber wer wollte es ihm verübeln? Vielleicht werden über kurz oder lang auch wir zweibeide« – er klopfte Ithobaal lachend auf die Schulter – »noch zu waschechten Hurrapatrioten. Was läßt sich machen? Man kann nicht Federn gegen den Wind schaufeln.«

»Ich hätte Gisgon niemals jenen zugezählt, die auf zwei Sätteln reiten können,« versetzte Ithobaal bekümmert. Und sich an den Jüngling wendend, fuhr er fort: »Nach den wiederholten Besprechungen, die wir miteinander hatten, glaubte ich einen verläßlichen Bundesgenossen an dir gewonnen zu haben. Mein Arm allein ist freilich zu schwach, dem rollenden Rad in die Speichen zu greifen. Dir stünde deine Jugend zur Seite, das Andenken deines Großvaters, das Vertrauen, das man dir in Castra Cornelia entgegenbringt. Als Unterhändler könntest du viel Gutes stiften. Bedenke dich wohl, ehe du es entgültig aufgibst, eine Rettung der Stadt zu versuchen. Die kühle Überlegung muß dir sagen, daß das Spiel, welches wir spielen, ein verzweifeltes ist.«

»Ich leugne es nicht,« antwortete Gisgon, »daß das, was hier vorgeht, kühler Überlegung bedenklich scheinen könnte. Aber diese Überlegung ist eben Kühle, ist Kälte. Dagegen wird mir warm ums Herz, wenn ich es mit ansehe, mit welcher Opferbereitschaft das Volk sich selbst hingibt, seine heiligsten Güter zu schirmen. Dies ist es, was mir einen Entschluß schwer macht. Ich schwanke noch, was dem Willen der Götter wohl näher kommen mag: daß man mit dem Kopfe klug, oder daß man mit dem Herzen töricht sei.«

»Die Klugheit hat immer den Nachteil,« scherzte Bostar in seiner Art, »daß man erst recht noch damit auf den Holzweg geraten kann, was dann meist etwas überraschend wirkt. Während die Torheit sich schon von vornherein darauf gefaßt macht, daß schließlich etwas Dummes herauskommen werde. Vor den Göttern aber gelten sie beide gleich, die Klugen wie die Toren. Denn die Götter sind gerecht wie der römische Senat, sie bereiten nur demjenigen den Untergang, der den kürzeren zieht.«

Damit verabschiedete er sich, und auch Ithobaal zog sich ins Haus zurück. Er war ernüchtert und verstimmt, er setzte nicht mehr viel Hoffnung auf eine Änderung der Lage. Selbst seine Überzeugung zu vertreten und vielleicht zur Geltung zu bringen, hinderte ihn seine Scheu vor der Straße, es war ihm, als beschmutze er sich die Hände, wenn er tätig ins öffentliche Leben eingriff. Und da die Geschäfte gänzlich daniederlagen und auch die griechischen Kunstwerke, deren er eine erlesene Sammlung besaß, ihm in dieser bösen Zeit ihren Trost versagten, so machte er den zerstörten Zustand selbst, in dem er sich befand, zum zärtlich gepflegten Hätschkind seiner Entschlußunfähigkeit. Untätig grollend sah er vom Fenster aus der fortschreitenden Verwüstung der Gartenanlagen zu und legte sich's vor sich selbst als Gemeinsinn aus, daß er nicht Einspruch dagegen erhob. Nur wenn es ihm glückte, um seinen ausgelieferten Sohn, zu dem seine sehnsüchtigen Gedanken oft und oft zurückkehrten, eine Träne zu vergießen, empfand er eine gewisse Genugtuung.

Auch Gisgon hatte über Melikertes nichts zu berichten gewußt. Des Bruttiers Enkel war der einzige gewesen, den man in Lilybaion und später in Castra Cornelia mit Vorzug behandelt hatte. Alle übrigen Geiseln sollten, wie gerüchtweise verlautete, nach Rom verbracht und in einem Schiffshause gefangengesetzt, die Kräftigeren wohl auch zu allerlei niedrigen Arbeiten verhalten worden sein.

*

Hirom, der Schmied, hatte sich geweigert, seine unterirdische Werkstatt im Schmiedegäßchen mit weiträumigeren Gelassen zu vertauschen, welche die städtischen Behörden ihm zur Verfügung stellen wollten.

Wiederholt erschien ein Volksbeauftragter bei ihm, um ihm vorzustellen, wie nötig es wäre, daß jeder Handwerker seinen Betrieb erweitere und seine Leistung verzehnfache. Hirom antwortete gelassen, seine Arbeit sei ohnedies zehnmal mehr wert als die eines jeden andern. Rechnete man ihm dann vor, wieviel mehr er noch erzeugen und verdienen könnte, wenn er genug Raum hätte, eine größere Anzahl von Gehilfen einzustellen, so geriet er in Zorn und stürmte: Auf die paar Roßpalmen mehr oder weniger stehe er nicht an, und ein Krämer sei er auch nicht, bei dem um Geld alles zu haben wäre. Was Pflicht gegen das Vaterland sei, wisse er schon von selbst, er wisse aber auch, daß Hannibal nur deshalb der Römer nicht Herr geworden sei, weil seine Leute mit Schwertern bewaffnet gewesen wären, die sich beim Gebrauch in kürzester Zeit verbogen hätten wie Blech.

»Waffen sind keine Kirschkerne, die zum Ausspucken da sind,« sagte er, »und ein gutes Schwert hält länger als ein Dutzend schlechte. Nicht der Feldherr ist es, der die Schlachten gewinnt, sondern der Schmied.«

Man gab sich schließlich darein. Mit Hiroms stahlblauen Klingen hielt in der Tat nichts Ähnliches, was aus andern Werkstätten hervorging, einen Vergleich aus.

Nach wie vor ließ Hirom das Feuer, mit dem er seine Esse in Brand setzte, tagtäglich an den heiligen Flammen Milkarts in der Untergrotte des Eschmuntempels entzünden. Nach wie vor bediente er sich bei seiner Arbeit gewisser andächtiger Kunstgriffe und beschwörender Weihesprüche, die nur ihm allein bekannt waren, und die er streng geheimhielt. Was hätte er mit Gehilfen anfangen sollen? Das Beste konnte er ihnen doch nicht sagen. Sein Amboß, sein Hammer, seine beiden Arme, deren Muskelspiel dem Bildner einer hellenischen Herakles-Statue hätten zum Vorbild dienen können – das waren die Gehilfen, auf die er sich verließ. Neben ihnen konnte er nur Handlanger und Zureicher brauchen, und die besaß er ja und hatte sie immer besessen. Eine Änderung eintreten zu lassen, sah er also keinen Grund. Daß er jetzt noch viel wütiger schuftete als in Friedenszeiten und sich kaum die nötige Nachtruhe gönnte, verstand sich bei seiner Gesinnung ohnedies von selbst.

Hirom stand an seinem Amboß und bog eben eine fertiggewordene Klinge, die er über den Kopf gelegt hatte, versuchsweise auf beide Schultern herunter, als der Zimmermeister Muttines bei ihm eintrat.

Nach der üblichen Begrüßung sagte der Schmied: »Ich sehe dir an, daß du etwas auf dem Herzen hast. Aber du mußt warten. Es ist mir gerade ein Eisen weich und das Feuer im Ausgehn. Hier kann man's nicht halten wie auf deinem Zimmerplatz. Mit einem Balken brauchst du keine Umstände zu machen, du kannst ihn ruhig liegen lassen, sooft es dir gefällt, er rührt sich doch nicht vom Fleck, und wenn du wiederkommst, liegt er noch gerade so dick und dumm da wie vorhin, da du weggingst. Das glühende Eisen ist ein vornehmerer Herr. Es sagt: Jetzt bedienst du mich, oder ich pfeife dir was.«

Damit fing er an auf einen roten Klumpen, den der rußige Junge aus dem Feuer gezwackt hatte, loszuhämmern, daß die Funken stoben. Muttines stand daneben und ärgerte sich grün und gelb. Erstens, weil Hirom ihm etwas angesehen haben wollte, zweitens, weil er ihn trotzdem warten ließ, und drittens, weil er seine Balken dick und dumm gescholten hatte und sich wirklich und wahrhaftig einzubilden schien, ein heißes Eisen sei gewissermaßen etwas Vornehmeres, mit dem man mehr Umstände machen müsse als mit einem Balken. Und doch hatte Muttines mit seinen Balken es zu viel ansehnlicherem Wohlstand gebracht als dieser ungehobelte Mensch mit seinem Eisen. Darum war Muttines auch fest davon überzeugt, die Balken seien das bei weitem Vornehmere.

Es blieb dem Zimmermann aber nichts übrig, als seine Galle so lange in sich hineinzufressen, bis es dem andern endlich beliebte, sein schier unterweltliches Getöse einzustellen und den Hammer aus der Hand zu legen. In seinem Ärger fiel Muttines mit der Tür sogleich ins Haus.

»Bist du endlich fertig? Schön von dir! Also, wenn du mir's schon angesehen hast, etwas auf dem Herzen hab' ich wirklich. Daß es aber was Angenehmes wäre, könnt' ich nicht behaupten. Für mich wenigstens nicht. Wenn einer in einen sauren Apfel beißt, so zieht's auch dem, der bloß zuschaut, gewaltig in die Zähne. Aber da läßt sich nichts bessern. Mücken aus einer Stube austreiben, ist schwer; aus einem Kopf – das bringt niemand zuweg. Was bleibt mir übrig? Ich muß mich dreingeben. Mein Bub will weiben!«

»So jung?« warf Hirom ein.

»Jugend ist ein Fehler, der mit jedem Tag besser wird. Das wär' es nicht, was mich kümmert. Aber nun setzt sich der Dummbart gerade dein Mädel in den Kopf! Ein hübsches, glattes Gesicht hat sie, das bestreitet niemand, doch kann man nicht wissen, was dahintersteckt. Warum sollte sie anders sein als die meisten andern? Als Bräute säuseln sie, als Ehefraun kreischen sie, mit Honig und Rosen fängt's an, später dann gibt's nichts als Stacheln und Dornen. Daneben wär' mir deine Channa immer noch lieber als eine, von der ich garnichts weiß. Und schließlich geht's nicht auf meine Gefahr, mag Dubar zusehen, wie er mit ihr fertig wird. Wenn du also einverstanden bist, von mir aus soll er seinen Willen haben.«

»He, wie? Versteh' ich recht? Das ist mir eine sonderbare Brautwerbung,« sagte der Schmied. »Wenn dir die Schwiegertochter nicht ansteht, warum kommst du her? Hab' ich dich etwa gerufen? Oder ist es dir nur darum zu tun, mein Kind herabzusetzen, wie Knauser und Feilscher auf dem Fischmarkt die Ware schlecht machen, um sie wohlfeiler zu erstehen? Tu' dir doch keinen Zwang an. Dort ist die Tür, mach', daß du wieder hinauskommst!«

»Warum gleich so hitzig?« lenkte Muttines ein. »Man wird doch noch dürfen ein Wörtlein übers Weibsvolk fallen lassen, wenn zwei erfahrene Männer unter sich sind. Aber meinetwegen! Hältst du etwas auf Äußerlichkeiten und gedrechselte Worte, so sei hiemit in aller Form meine Werbung feierlichst vorgebracht. Im übrigen bin ich keiner, der mit Süßigkeiten hausieren geht. Daß mir dein Mädel als Schwiegertochter willkommener wäre als manche andere, sagte ich schon, und deutlich genug, wenn du es hören wolltest.«

»Daran zweifle ich auch keinen Augenblick, warum sollte sie dir nicht lieber sein?« sagte Hirom. »Aber damit, daß ihr sie haben wollt, ist die Sache noch lange nicht gemacht. Schließlich sind wir zweibeide auch noch da, ich und sie, und haben etwas mitzureden. Oder bildest du dir ein, ich gebe meinen Liebling, mein Herzenstäubchen, meinen Goldfasan jedem Nächstbesten?«

»Ein Nächstbester ist mein hübscher, wackerer Dubar nicht!« brauste Muttines auf. »Ist wohlhabender Leute Kind, ein tüchtiger Arbeiter, ein heller Kopf! Ich sage dir, ein schöpferischer Geist ist er, was der für Wurfmarschinen baut! Die ganze Belagerungstechnik wird sich umkrempeln müssen, wenn er mit ihnen ans Licht kommt. Und immer fleißig hinter seiner Sache her, wie es alter Handwerksbrauch seit Väterszeiten. Das findest du selten heutzutage, besonders bei einem, der nebenher auch noch so weltläufig und viel umworben ist wie mein Dubar. Denn die jungen Leute aus den vornehmsten Kreisen suchen seine Gesellschaft.«

»Vornehme Gesellschaft verlang' ich mir nicht für meinen Eidam,« antwortete Hirom. »Übrigens kenne ich Dubar von der Straße her, überall, wo es einen Auflauf gibt, ist er zu finden. Auf übergroßen Fleiß deutet das gerade nicht, und wenn wir Alten auch mit dabei waren, so ist es was andres und geht niemand etwas an. Indessen will ich ihm keinen Vorwurf daraus machen in dieser bewegten Zeit, er ist gut punisch gesinnt, das gefällt mir. Bleibt nur die Frage, was er sonst für ein Mensch ist. Wer kann in so einen Bengel hineinschaun? Vermutlich wird er auch nicht viel anders sein wie die andern, als Bräutigame streicheln sie, als Ehemänner prügeln sie, mit Nächten, die ihnen zu kurz werden, fängt's an, später dann laufen sie einer andern nach. Auf alle Fälle ist meine Channa noch jung, sie kann warten. Soll dein Bub auch warten und erst einmal zeigen, daß was Rechtes an ihm ist, dann kannst du ja wieder bei mir anfragen.«

Sprachlos stand Muttines und sperrte Mund und Augen auf. Er staunte, daß es in Kart-Chadast einen Tochtervater geben sollte, der sich nicht eine Ehre daraus machte, sein Schwäher zu werden, sondern erst noch zögerte und etwas wie eine Bedenkzeit oder Bewährungsfrist ausbedang. Das konnte er gar nicht fassen, es wollte ihm einfach nicht in den Kopf.

Seine Verwunderung war so groß, daß er darüber im Anfang fast vergaß, sich auch noch entsprechend zu ärgern. Erst nach und nach besann er sich, daß Hirom seinen Jungen einen Bengel genannt habe, der vermutlich auch nicht viel anders sei als die andern. Das schien ihm unerhört!

Bei allem Nörgeln an Dubar, allem Schimpfen und Poltern gegen ihn, ließ er doch nicht leicht etwas über seinen Sprößling kommen. Daß er selbst vieles an seinem Jungen auszusetzen hatte, das gehörte in ein anderes Kapitel. Jeder Stamm will behauen sein, viel Spähne müssen fort, eh' ein Balken daraus wird. Und er sorgte schon selbst dafür, daß die Spähne flogen, dafür war er auch Vater und Zimmermann, ihm kam es zu, die Axt zu handhaben. Mit einem plumpen Schmiedehammer aber sollte ihm keiner auf seinen Einzigen losklopfen, das durfte er sich nicht bieten lassen, es wäre wider die Ehre gewesen!

Unter solchen Umständen zu beharren und noch einmal auf die Werbung zurückzukommen, konnte er sich nicht entschließen. Er zog es vor, beleidigt zu sein. Dubar würde es mit der Zeit schon verwinden und sich das Mädel aus dem Kopf schlagen, zehn reichere konnte er dafür bekommen, auf jeden Finger eine, so dachte Muttines. Denn zwischen ihm und Hirom war alles aus, Verständigung gab es keine mehr, und nach dem Vorgefallenen hätte er sich für einen solchen Schwäher auch schönstens bedankt.

»Tu, wie du magst,« sagte er mit ungewohnter Kühle und Hoheit; »es wird schon der Tag kommen, wo du dich an den Ohren zupfen und einen alten Onager schelten wirst. Denn Jungfernfleisch ist kein Lagerobst, man soll's an Mann bringen, eh' daß es runzlig wird. Und schon mancher hat den ersten Freier auf Sand treten lassen und dann vergeblich auf den letzten gewartet. Dein und ihr eigner Schade, nicht meiner! Wer nicht zugreift, wenn das Glück ihm begegnet, der hat das Nachsehn und kann sich nicht beklagen, wenn es ihm den Rücken zeigt.«

Damit zeigte auch er dem Schmiede den Rücken und stieg in stolzer Haltung die Stufen zur Tür hinauf, die ins Schmiedegäßchen führte. Gleich danach sah man seine Beine an den Fensterluken, welche die Werkstatt von oben erhellten, würdigen Schrittes vorübergeistern.

Hirom aber sagte befriedigt zu sich selbst: »Lauft euch die Füße ab, soviel ihr wollt, mein Täubchen lass' ich nicht. Soll Milkarts Feuer alle Freier sengen und die protzigen Freiwerber erst recht!«

*

Als Gisgon nach jener Unterredung mit Ithobaal wieder den Marmorsaal betreten hatte, wo die Spinnwirtel tanzten, fand er wie gewöhnlich die weibliche Jugend der edelsten Geschlechter an der Arbeit.

Hätte der enttäuschte Ithobaal ihn jetzt beobachten können, es wäre ihm der Wechsel in der politischen Gesinnung des Jünglings leichter verständlich geworden. Denn während Gisgon sich mit Attar hechelte und auch mit anderen jungen Frauen und Mädchen plauderte und scherzte, sah und hörte er doch nur Eine, mit der er nur ab und zu ein kurzes Wort wechselte, weil Scheu und Befangenheit ihm die Zunge lähmte, sooft der Strahl ihres Auges ihn traf. Und wem es diese Eine angetan, dem blieb keine Wahl, er mußte punisch denken, in Rom den Erbfeind, im Widerstand bis zum Äußersten alles Heil erblicken.

Gisgon selbst verbarg so viel als möglich sein Herz, fast niemand merkte, daß das oberflächliche Schäkern mit Attar ihm nur zum Vorwand diente, in der beglückenden Nähe einer anderen zu verweilen. Aber eine scharfe Beobachterin war ihm, ohne daß er es ahnte, in Nanai erstanden, die mit Bagas, ihres Gatten, Einwilligung für eine Zeit ins Elternhaus zurückgekehrt war und als ältere Haustochter und junge Frau in diesem Kreise, der fast ausschließlich aus Mädchen bestand, den abzuspinnenden Flausch zuteilte, das fertiggestellte Garn in Empfang nahm, kurz, die Oberleitung innehatte.

Sie kniete an diesem Tage in einer Ecke des Saales vor einem Häufchen wergartiger Pflanzenfasern, die sie mittels eines hölzernen Bogens flaumig auflockerte, um sie zum Verspinnen geeignet zu machen. Die Sehne, mit der der Bogen bespannt war, ließ, wie sie sie mit dem Schlegel bearbeitete und in Schwingungen versetzte, singende Töne vernehmen wie eine Darmsaite, und Nanai summte dazu eine schwermütige Weise. Dabei wendete sie aber kein Auge von Gisgon. Mit dem Hellblick der geheimen Leidenschaften, die in ihr loderten, durchschaute sie ihn bis in die tiefste Seele. Und fieberhaft sann sie auf schändliche Listen, die Beziehung, die sich hier anzuknüpfen schien, ihren eigenen Zielen dienstbar zu machen.

Es hatte nämlich wenige Tage vorher der Königs-Schofet auf einem seiner Rundgänge auch Ithobaals Palast besucht, die Fortschritte der Garnerzeugung in Augenschein genommen und den emsigen Spinnerinnen den Dank ausgesprochen. Wie ein Fremder stand er ihr, die die Empfangspflichten erfüllen und die Führung übernehmen mußte, in der Würde seines Amtes gegenüber, bei aller artigen Zuvorkommenheit, allem liebenswürdigen Zauber seines Wesens doch deutlich Abstand haltend und jede vertraute Beziehung zu ihr verleugnend. So begreiflich dies in der gegebenen Lage war, es verwundete sie. Und die Wunde saß um so tiefer, als Hasdrubal mit des Widders Töchterchen Ellot, die sich ebenfalls unter den vornehmen Spinnerinnen befand, ganz anders redete als mit ihr.

Er war keiner von denen, die sich in der Gewalt haben, wie Gisgon einer war, der seine aufkeimende Neigung zu Ellot zu bemänteln wußte, daß Blick dazu gehörte, ihm dahinterzukommen.

Das numidische Blut hatte Hasdrubal fortgerissen. Und während er Ellot an sein Zusammentreffen mit ihr am Totenbette des Bruttiers erinnerte und mit scheinbarem Frommsinn von seinem Vorgänger im Amte sprach, und wie dankbar er ihr dafür sei, daß sie demselben die letzten Stunden leicht gemacht hätte, so konnte doch jeder sehen, der nicht mit Blindheit geschlagen war, daß sich unter seinen gesitteten Worten Gedanken und Wünsche versteckt hielten, die nicht dazu paßten. Ein ungebändigtes Tier lauerte hinter seiner ritterlichen Haltung. Mit weltmännischem Lächeln stand er dem schönen Mädchen gegenüber, dabei fraß er sie aber rein auf mit seinen verlangenden Augen, entkleidete sie gewissermaßen und tat ihr, der Reinen und Wehrlosen, im ruchlosen Spiel seiner überhitzten Einbildung gleichsam Gewalt an.

Alle hatten es gesehen, alle hatten es gefühlt, Ellot selbst mit kaltem Widerwillen und stolzer Entrüstung, Nanai aber mit tobendem Blut, das aufgepeitscht war bis zur Raserei. Denn sie litt Qualen der Eifersucht.

Und nun war ihr an diesem Tage, da sie unbeachtet von ihrer Saalecke aus Gisgons freie Sorglosigkeit gegenüber allen anderen Frauen und seine verräterische Unbeholfenheit der Einen gegenüber beobachtete, zur vollsten Gewißheit geworden, was sie längst geahnt. Sein geheimes Sehnen warb um dasselbe Mädchen, auf das Hasdrubal ein Auge geworfen hatte. Um dieselbe Ellot, die Hasdrubal begehrte, nach der ihn mit dem ganzen Feuer seiner zügellosen Triebe verlangte. Wenn sie den Enkel Masinissas kannte, so würde er alles daransetzen, dieses eben erst jungfräulich erblühte Kind in seinen Armen zu halten, kein Mittel würde ihm dafür zu schlecht sein.

Und Ellot selbst, die Tochter des Boëtharchen – war sie wirklich stark genug, dem ungestümen Willen des Königs-Schofeten auf die Dauer zu widerstehen? Hasdrubal, wenn er begehrte, glich dem Sturm, der übers Meer braust, Nanai hätte davon zu sagen gewußt. Vielleicht näherte sich schon die Stunde, wo ein junges Ding, wie Ellot eins war, sie ausstechen würde? O Schmerz und Jammer! Hatte sie sich doch damit geschmeichelt, daß kein Weib jemals dem Geliebten die Verzückung jener selbstvergessenen Seligkeiten würde ersetzen können, mit denen sie in jener Nacht auf Chammonslust ihn über die Bitternisse des öffentlichen Lebens hinweggetäuscht.

Noch waren es bloß unheilschwangere Möglichkeiten, die sie ängstigten, man mußte sie eben daran hindern, bittere Wirklichkeiten zu gebären. Vielleicht hatten die Götter selbst Gisgon ihr als natürlichen Helfer gesendet? Der Eimer, den er aus dem dunklen Brunnenschacht des Glücks emporzuwinden hoffte, konnte auch ihr Labung bringen.

Immerzu kauerte Nanai in der Ecke des Saales und schlug, während sie keinen Blick von Gisgon und Ellot wandte, mit ihrem Schlegel die Sehne des Bogens.

Aus dem vorhin noch ganz kleinen zusammengebackenen Häufchen von Pflanzenfasern, das auf dem Boden lag, wuchsen die Flocken höher und höher und erblühten wie bleiche Blumen, je mehr das Schwingen der Saite sie aufrüttelte und ihre Spannkräfte weckte, es war nachgerade schon ein ganzer Berg daraus geworden. So wächst aus engen Grenzen und unscheinbaren Anfängen die Leidenschaft hoch und wird mächtig und übermütig und schließlich unbezwingbar. Und wie die Flocken mit dem Fachbogen, kann man sie wecken und steigern, wenn man klug zu Werke geht, und aufblühen machen, daß sie ihre Enge sprengt und niemand mehr sie zurückzudämmen vermöchte ...

Wärst du umsonst so geschickt, Nanai, den Flausch zum Verspinnen vorzurichten? Versagt deine Kunst, wo es die Herzen der Menschen gilt? Und hängt für dich nicht so gut wie alles davon ab, ob es dir gelingt, das Schicksal jenes Mädchens, von dem dir Gefahr droht, zu einem unzerreißbaren Faden mit den Schicksalen eines Mannes zu verspinnen, der nicht Hasdrubal heißt?

Die Darmsaite zitterte und schwang in zarten Tönen wie eine Harfe. Und das Lied, das Nanai dazu trällerte, klang jetzt heller und schier frohlockend. Das Herz war ihr erheblich erleichtert. Sie sah einen Weg.

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