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III.

Auf der Plattform eines marmorweißen Landhauses im vornehmen Villenviertel der kartchadischen Vorstadt Magara saß an einem klaren, in Blüten schwelgenden Frühlingsabend Lanassa, die Mutter jenes eben erst ins öffentliche Leben eingetretenen Hasdrubal, den man zum Unterschied von Hasdrubal, dem Widder, den Numider nannte.

Und nicht ganz mit Unrecht nannte man ihn so. Es floß von mütterlicher Seite in den Adern dieses Hasdrubal wirklich heißes, edles, numidisches Blut. Denn Lanassa, Witwe nach dem angesehenen und reichbegüterten Staatsmann Chimalkart, der viermal das Amt eines Jahres-Schofeten bekleidet hatte, war von Geburt Numiderin und königlicher Abstammung. Sie war eine Tochter Masinissas, jenes willensstarken und schöpferischen Fürsten des gegen Sonnenuntergang gelegenen Berglandes, dem man nachsagte, daß er vierundzwanzig Stunden lang ununterbrochen zu Pferd sitzen könne, und der im Verlauf von zwei Menschenaltern Numidien zu einer Macht emporgehoben hatte, mit der sogar Rom rechnen mußte.

Das Bewußtsein dieser Macht erfüllte auch Lanassa mit Stolz und verlieh ihr ihre wahrhaft königliche Haltung.

Süßduftende Oleanderbäume überwölbten den mit kostbaren Geweben belegten Sitz der noch immer schönen Frau, Sklavinnen, die sie umgaben, schirmten sie mit riesigen Wedeln aus Straußenfedern vor den schräg einfallenden Strahlen der Sonne oder wehrten die um diese Jahreszeit einsetzende Mückenplage von ihr ab. In ihren Händen ruhte ein elfenbeineingelegtes Musikinstrument, dem sie von Zeit zu Zeit zarte Klänge voll Wohllaut entlockte. Dazwischen aber versank sie immer wieder in Träumereien, die ihre Gedanken weit fort von hier, in die Heimat ihrer Jugend entführten.

Denn obgleich sie die größere Hälfte ihres Lebens in Kart-Chadast verbracht und einem punischen Gatten Kinder geboren hatte, verleugnete sie ihre numidische Herkunft keinen Augenblick. Wie ihre einst männerbetörende Hautfarbe an das zartgetönte Braun der Berggazelle und ihre Erscheinung und Gebärde an die schlanke Geschmeidigkeit dieses anmutigsten aller Tiere erinnerten, so lebte ihre Seele noch heute in den rauhen Tälern und Felsgebirgen, die ihr Vater, der große König, in jahrelanger zielbewußter Arbeit urbar gemacht und allmählich besiedelt hatte. Nie war die Sehnsucht nach den Bergen in ihr erstorben, niemals die heiße Liebe zum Vaterhaus durch ein auch nur annähernd ebenso lebendiges Gefühl verdrängt worden.

Der festliche Putz, den sie heute trug, unterschied sich nicht wesentlich von dem anderer Frauen aus den vornehmsten und reichsten Kreisen der Stadt. Das Himation war aus tyrischem Purpur; von der edelsteinglitzernden hohen phoinikischen Mütze wallte über den Rücken ein silberdurchwirkter Schleier nieder, während das kunstvoll geflochtene blauschwarze Haar in schweren Flechten beiderseits der Achseln herabfiel. Und der unermeßlich kostbare Schmuck bestand aus reichen Gehängen von gelbem nordischen Bernstein in den Ohren, um den Hals und zwischen den Brüsten.

Aber nur die erlesene Pracht, in die sie sich gekleidet hatte, machte sie zur Punierin. Ihr Herz war und blieb numidisch mit jeder Fiber und mit jedem Schlag.

*

Abendschatten sanken nieder. Der prächtige Tempelbau Eschmuns auf der Höhe der Bosra von Kart-Chadast, der in der Ferne sichtbar war, färbte sich rot. Unverwandt den Blick darauf gerichtet, rührte Lanassa mit ihren schlanken Fingern leise die Saiten, und ihre Lippen sangen halblaut vor sich hin:

Nicht die Menge, nicht alle zugleich sind zum Gebieten berufen,
Niemals frommt Vielherrschaft im Volk; nur einer sei Herrscher,
Einer König allein, dem der Sohn des verborgenen Kronos
Zepter gab und Gesetze, daß weise er führe und walte ...

Sie hielt inne und lauschte. Der Schall trabender Pferde klang von der Straße herauf und näherte sich den Mauern der Gärten entlang.

»Führt meinen Sohn und seinen Begleiter sogleich zu mir!« befahl sie, sich erhebend, und legte die Lyra in die Arme einer der Dienerinnen, die auf einen Wink ihrer Hand Anstalt trafen sich zurückzuziehen.

»Und dann –« zögerte sie, sich besinnend, während die Abgehenden wieder innehielten, ihrer weiteren Anordnungen gewärtig ... »Ja, was ich noch sagen wollte ... Es wird später ein Mann nach mir fragen, der nicht eben vertrauenerweckend aussehen dürfte. Stoßt euch nicht daran. Er soll mir willkommen sein.«

Allein geblieben, näherte sich Lanassa der Brüstung und blickte über die umgebenden Gärten hinweg, wo die Mandelbäume und Granatäpfel blühten und Fiederpalmen sich im linden Abendwinde schaukelten, aufs Meer hinaus. Mit der strahlenden Gottheit zugleich waren auch die Farben erloschen. Ein stumpfgraues Gedränge von Delphinen oder Thunfischen, so wälzten die Wogen sich an den flachen Strand, zerstießen sich die Köpfe an den Felsen der reich gegliederten Ufersäume, bis weit hinüber zum steilabfallenden Vorgebirge von Kart-Chadast.

Ein Seufzer entrang sich Lanassas Brust, sie schauderte und schüttelte das Haupt. Das Meer war ihr ein Fremdes wie von je.

Rasch sich umwendend, trat sie an die entgegengesetzte Seite der Plattform, die gegen Sonnenuntergang sah. Da erstrahlte der Abendhimmel im bunten Glanz des Regenbogens, fast bis zur Scheitelhöhe hinauf. An der Kimmung aber zeichneten die scharfen Linien ferner Berge sich ab. Im weiten Sehkreis standen gegen das helle Farbenspiel tiefblau die Höhenzüge des Atlasgebirges. Sie breitete die Arme aus, wie um diese Ferne an ihre Brust zu ziehen. Sie dachte an Cirta, die Stätte ihrer Jugend, die jenseits dieser blauen Berge lag, und ein siegreiches Lächeln spielte um ihre Lippen.

Denn sie zweifelte keinen Augenblick, daß dieses Cirta, die Hochburg des numidischen Königtums, wenn es nur erst einmal die punische Hafenfeste von Kart-Chadast in seine Gewalt gebracht hätte, dazu berufen sein würde, die Nachfolge Roms in der Weltherrschaft anzutreten.

*

Eine Stimme in ihrem Rücken schreckte sie aus ihrer Versunkenheit.

»Hier bringe ich dir, teure Mutter, den Bevollmächtigten der numidischen Partei, Himilko Phameas, einen Gesinnungsgenossen, der längst die Gnade ersehnt, dir unter die Augen zu treten.«

Zwei Männer standen vor ihr, in kurz gegürteter kriegerischer Tracht. Der Jüngere, ihr Sohn, groß, blühend, gerötet, von Kraft und Heiterkeit strotzend, seinem verstorbenen Vater Chimalkart so unähnlich wie nur möglich, aber ein verjüngtes Abbild seines Ahns, des Numiderkönigs. Der andere, der beträchtlich älter und schon leicht angegraut war, ernst, beinahe finster, mit grüblerischen Zügen, die gedrungene Gestalt gestrafft und trotzig aufgerichtet, als stemmte er sich gegen eine Bürde, die auf den breiten Schultern lastete.

»Euer Gesinnungsgenosse ist mein Hirn, mein Herz kann es leider nicht sein,« sagte Himilko, die einführenden Worte seines Gefährten mit herausfordernder Kühle und Aufrichtigkeit halb und halb ablehnend. »Aber der Besonnene,« fuhr er fort, »wählt von zwei Übeln das kleinere. Die Verbannung führte mich an den Hof Masinissas. Die Größe dieses Mannes ist mir nie verborgen gewesen. Seit ich ihm aber Aug' in Auge gegenüber gestanden, weiß ich, daß Kart-Chadasts Unabhängigkeit verloren ist – so oder so. Das Einhorn segelt auf enger Wasserstraße zwischen Skylla und Charybdis. An jener würde es für immer zerschellen. Wenn diese es hinabschlingt, bleibt die Möglichkeit eines verjüngten Wiedererstehens. Darum zähle ich mich, ob auch innerlich widerstrebend, zu euren Parteigängern. Und in diesem Sinne huldige ich der erlauchten Tochter des kommenden Königs.«

Da er Miene machte, das Knie zu beugen, um den Saum ihres Kleides zu küssen, kam Lanassa ihm rasch zuvor und verhinderte ihn daran, indem sie sagte: »Noch steuert das Einhorn mit vollen Segeln auf die Skylla los. Noch quält uns Sorge, noch ist es nicht gelungen, eine Änderung des Kurses herbeizuführen. Die wenigen Einsichtigen, die erkennen – ob mit dem Herzen oder mit dem Verstande gilt mir gleich,« schaltete sie lächelnd ein –, »in welcher Richtung allein die Rettung des punischen Volkes zu suchen ist, müssen sich zusammenschließen. Hiezu Gelegenheit zu bieten, fühle gerade ich, in deren Sohn numidisches und punisches Blut sich mischen, mich doppelt gedrungen. Darum gewährt es mir auch eine besondere Genugtuung, einen im Rat wie im Heereswesen gleich rühmlich Bewährten, wie Himilko Phameas es ist, bei mir zu begrüßen. Ich danke ihm, daß er meiner Einladung Folge leistete, und heiße ihn in meinem Hause willkommen!«

»Und wie sieht es in Cirta aus?« fragte sie, in einen warmen, leichten Ton übergehend, indem sie mit mädchenhaft-anmutiger Bewegung die Gäste einlud, sich auf den teppichbelegten Sitzen niederzulassen.

Himilko Phameas erzählte von seinem Aufenthalt am Hofe. Es fiel ihm nicht leicht, all die Fragen zu beantworten, mit denen sie ihn bestürmte. Um hundert Einzelheiten erkundigte sie sich, jedes Kleinste schien ihr wissenswert. Ach, die Zeit, wie verändert sie, unaufhaltsam dahingleitend, das Antlitz der Dinge! Seit ihren Mädchenjahren hatte Lanassa die Heimat nicht wiedergesehen.

»Du erwartest noch andere Gäste, Mutter? Oder hast du dich nur für uns so festlich geschmückt?« fragte Hasdrubal, der Sohn Chimalkarts.

»Der Besuch, der mir angekündigt ist, gilt auch unserm Freunde Himilko und dir.«

»Das Geheimnis, in das du dich hüllst,« versetzte artig der Sohn, »soll uns die Pracht deiner Erscheinung nicht verdunkeln.«

»Das Wirrsal von Parteileidenschaften, die Kart-Chadast zerwühlen, fordert Behutsamkeit.«

»Die Zeit drängt, vielleicht sind wir der Skylla näher, als wir ahnen,« sagte Himilko bekümmert. »Die Auslieferung der dreihundert Jünglinge war ein schwerer Schlag gegen unsre Wehrhaftigkeit. Wenn Rom jetzt seine Forderungen nicht überspannt, so fällt ihm kampflos eine reife Frucht in den Schoß.«

»Rom wird seine Forderungen überspannen!« sagte Hasdrubal mit Nachdruck.

»Ich hoffe es!«

»Mit dem Herzen oder mit dem Verstand?« fragte lächelnd Lanassa.

»Diesmal mit dem Herzen, denn der Verstand sagt mir, daß der Pöbel und die Träumer, die noch heute barkidisch sind, Hirngespinsten nachjagen. Rom aber ist mir in der Seele verhaßt! Ein Pesthauch geht von dieser Stadt aus, deren Gedanken sich um Gladiatoren, Gelage und Lustknaben drehen, vor allem aber um die Vorbedingungen der Üppigkeit: um Reichtum, um Gewinn und deshalb um Eroberungen. Sie gleicht einem vom Aussatz innerlich Zerfressenen, der sich aus alter Gewohnheit eben noch aufrecht hält, den Schein von Gesundheit und Kraft vortäuschend, indem er seine Schwären hinter glänzender Rüstung verbirgt. Als Dirne eines solchen Helden wäre Kart-Chadast binnen kurzem ebenso verseucht und angefault wie dieser selbst.«

»Im Hasse wären wir einig. Und in der Liebe –?«

»Hannibal ist seit mehr als dreißig Jahren tot. Möge Lanassa sich's genügen lassen, wenn ich sage, daß ich es als Rettung begrüßen werde, wenn das gesunde Hirten- und Bauernblut Numidiens sich die spröde Braut ins Bett zu zwingen weiß. Ich fürchte, es wird vorher einen harten Kampf mit dem Wüstling zu bestehen haben, der sie zur Hure machen möchte. Vielleicht bereut der sonst so weitblickende Masinissa schon heute, für sein Werben um uns keinen andern Weg gesucht zu haben als den, daß er sich zwei Menschenalter hindurch einen Bundesgenossen Roms schelten ließ.«

»Im Verkehr der Staaten versteckt sich die Klugheit der Schlange gerne hinter dem Gurren einer Taube.«

Eine Sklavin tauchte plötzlich aus dem zunehmenden Zwielicht des Abends, das zarte Schleier um die Gestalten zu weben begonnen hatte, und glitt unhörbar ans Ohr ihrer Herrin.

»Ein alter Mann, der mit Datteln handelt, besteht darauf, vorgelassen zu werden. Er sieht aber so herabgekommen aus ...«

»Ich befahl doch: Stoßt euch nicht daran!«

»Siehst du nicht,« scherzte Hasdrubal mit dem Mädchen, »daß meine Mutter Festkleider angelegt hat, den Dattelhändler würdig zu empfangen?«

Ohne ein Lächeln zu wagen, enteilte die Dienerin.

Lanassa aber sagte: »Wenn es süße Früchte sind, die er bringt, so werden meine Gewänder der Bedeutung dieser Stunde angemessen sein.«

Etwas wie Erwartung lag in der Luft. Schwere Wohlgerüche stiegen aus den Gärten auf, wo die Nachtigall ihr schwelgendes Liebeslied ertönen ließ. Sie sang es zur funkelnden Ischtar empor, die, als erster unter allen Sternen vom Himmel blinkend, fast mit jedem Atemzug an Glanz zuzunehmen schien.

Befremdet sahen die beiden Gäste die Umrisse eines gebückten Alten über die Plattform sich nähern. Vor Lanassa angelangt, ließ er den Sack, der seinen Rücken beschwerte, zu Boden gleiten. Und mit raschem Griff Hut und Bart herunterreißend, stand er hochaufgerichtet vor den Erstaunten.

»Gulussa!« riefen Himilko und Hasdrubal wie aus einem Munde.

*

In einem kleinen, gegen den Garten liegenden Gelaß, das im griechischen Geschmack ausgestattet war, wurde später das Mahl eingenommen. Nur eine einzige Sklavin, eine schwarze Äthiopierin, die der punischen Sprache nicht mächtig war, besorgte die Bedienung.

Als man nach belanglosen Gesprächen endlich bei dem Gegenstande angelangt war, der allen am Herzen lag, nahm Gulussa das Wort und sagte: »Mein Vater, der König, beobachtet mit wachsender Besorgnis das weitgehende Entgegenkommen des punischen Volkes gegen Rom. Er hält die Landung des in Lilybaion versammelten römischen Heeres in der Gegend von Utik-Chah, also sozusagen vor den Toren eurer Stadt, für nahe bevorstehend. Er fürchtet, daß Kart-Chadast sich kampflos den Römern in die Arme werfen könnte.«

»Ich staune,« bemerkte Himilko mit zurückhaltendem Spott, »einen Bundesgenossen Roms eine solche Sprache führen zu hören.«

Hasdrubal dagegen, der Neffe Gulussas – denn dieser war ein Sohn Masinissas und einer von Lanassas Brüdern – lehnte sich mit unverhohlener Gereiztheit gegen seinen Oheim auf: »Wer anders hat den Römlingen in Kart-Chadast zur Herrschaft verholfen als mein Großvater und du selbst? Wenn dieser unglücklichen Stadt nichts mehr übrig bliebe, als sich einem konsularischen Heere, das vor seinen Mauern auftauchte, auf Gnade oder Ungnade zu ergeben, wer sonst trüge Schuld daran als ihr allein?«

»Willst du damit sagen,« gab Gulussa kühl zurück, »daß es unsre Pflicht gewesen wäre, den Krieg, den Hasdrubal, der Widder, und seine Partei gegen uns anzettelten, zu verlieren?«

Der Neffe schwieg, Himilko aber versetzte mit vor Groll zitternder Stimme: »Ich bin ein unverdächtiger Zeuge, ich befand mich damals, aus Kart-Chadast verbannt, an eurem Hofe. Wie du, Gulussa, dich erinnern wirst, tat ich alles, was in meiner Macht stand, jenen Krieg zu verhindern. Denn ich sah darin, und zwar mit Recht, wie sich jetzt herausstellt, einen unseligen Bruderzwist der afrikanischen Völker, aus dem niemand Vorteil ziehen würde als Rom allein. Vielleicht war dieser Krieg – sagen wir, durch die Starrköpfigkeit des Widders, der nichts von einer Verschmelzung mit Numidien wissen wollte, schließlich unvermeidbar geworden. Gut! Masinissa hat ihn nicht nur siegreich, sondern auch wie ein Mann geführt, der die Götter ehrt. Er gewährte den Trümmern unseres Heeres, das auf der Hochfläche der sogenannten Toten Berge umzingelt, durch Hunger geschwächt, durch Seuchen gelichtet war, freien Abzug ohne Waffen, der Vertrag war besiegelt. Nicht Masinissa selbst, ein anderer war es, der den Vertrag brach. Nicht er, der große König, ist es gewesen, der den waffenlos Abziehenden mit numidischen Reiterschwärmen in den Rücken fiel. Zu vielen Tausenden wurden sie, die zu entkräftet waren, die Flucht zu ergreifen, schmählich niedergemetzelt! Nicht der Krieg, Verrat und Meuchelmord beraubten uns so des letzten Restes unserer Wehrmacht! Aber ich wiederhole: Nicht Masinissa selbst war es, der so schimpflich handelte.«

»Du hast es richtig erraten,« sagte mit breitem Lachen der Numider; »dies alles hat nicht Masinissa getan. Ein gewisser Gulussa war es, der gegen des greisenhaften Königs ausdrücklichen Befehl die Überreste des feindlichen Heeres niedermachen ließ. Und er rühmt sich dessen! Denn er hält einen Strategen, der im Felde ein anderes Ziel vor Augen hätte als die vollständige Vernichtung des Gegners, für einen ausgemachten Stümper!«

»So gäbe es zwischen Kriegführenden,« brauste Hasdrubal auf, »keine Rechtlichkeit, keine Heiligkeit der Verträge und kein Manneswort?«

»Das eben nennt man Krieg, daß nur die Gewalt entscheidet und nichts als der eigene Vorteil zur Richtschnur dient.«

»Dann laßt uns von Tänzen und Hetären plaudern,« rief Himilko entrüstet. »Über Mannesehre werden wir uns mit dir nicht verständigen!«

Lanassa, die den Zweck der Zusammenkunft gefährdet sah, legte sich begütigend ins Mittel.

»Die Zunge meines Bruders ist noch immer so unbewacht wie die eines Jünglings, und die Hitze seines Bluts betrügt gelegentlich seine Einsicht. Ich kenne dich, Gulussa, und erinnere mich aus meiner Kindheit einer kleinen Begebenheit, die bezeichnend für dich ist. Du ersehntest damals Regen für dein ausgedörrtes Landgut, es wollte aber keiner kommen. Da gabst du Befehl, Staubwolken aufzuwirbeln und das Quaken der Frösche nachzuahmen, nur um deinem Unmut über den trostlos blauen Himmel Erleichterung zu verschaffen. So bist du nun einmal, wer dich mit dem Maße eines Puniers oder Römers messen wollte, täte dir Unrecht. Auch ist es jetzt nicht ratsam, die Vergangenheit aufzuwühlen. Wozu den Himmel durch verdrießliche Staubwolken verfinstern? Hängt er nicht ohnedies voll unheildrohenden Gewölks? Wir alle sind darüber einig, daß Kart-Chadast so gut wie wehrlos ist und Rom nur auf einen Vorwand lauert, den erwünschten Bissen zu verschlingen. Ebensowenig kann ein Zweifel darüber bestehen, daß eine römische Provinz mit der gewaltigen Seefeste und Handelsstadt als Mittelpunkt heute oder morgen auch die Selbständigkeit Numidiens gefährden müßte. Zwei Pflanzer am Rand einer Oase, ließ ich mir erzählen, lagen miteinander in Hader. Als aber eines Nachts eine hungrige Löwin in die Hürde des einen brach, half ihm der andere, die Feindin erlegen. Denn er wußte, daß schon in der darauf folgenden Nacht die Reihe an seine eigene Hürde kommen konnte. Was zögert ihr noch, ihr Männer? Jetzt oder nie ist der Augenblick gekommen, ganz Libyen zu einen. Nur ein Reich, das von den Bergen Mauretaniens bis ans Weiße Vorgebirge und an die beiden Syrten reicht, wäre mächtig genug, dem Übermut Roms Einhalt zu gebieten. Was wir alle wollen müssen, liegt klar zutage. Darum keine fruchtlosen Wortgefechte! Nur wie unser Wille in die Tat umzusetzen ist, gilt es noch zu entscheiden. Hierüber tauscht eure Gedanken aus! Macht Vorschläge, prüft sie, verwerft oder billigt sie und wählt den besten!«

Stumm saßen die drei Männer da. Die beiden Punier aufs äußerste gespannt, ob Gulussa eine Botschaft seines Vaters zu überbringen hätte, und wie sie wohl lauten würde. Ihnen brannte die Not der Vaterstadt auf der Seele, sie ersehnten einen Ausweg aus der allgemeinen Wirrnis und wußten sich keinen. Der Numider indessen machte keine Miene, das Schweigen zu brechen. Er schien sich nicht berufen zu fühlen, als erster das Wort zu ergreifen. Hinterhältig abwartend blickte er gelassen von einem zum andern, wie um sie zu verleiten, ihrerseits mit einem Vorschlag hervorzutreten.

Seine Haltung war leicht vornübergebeugt, sein Rücken etwas gewölbt. An einem ziemlich langen faltigen Halse streckte er einen im Verhältnis zur Gestalt auffallend kleinen Kopf mit einer verhältnismäßig wieder viel zu groß geratenen Hakennase fast wagrecht in die Luft hinaus. Dazu die bereits kahle, braungebrannte und merkwürdig abgeplattete Schädeldecke und die schwerfälligen Bewegungen des grobknochigen Mannes, die eigentlich wuchtig waren, aber leicht den falschen Eindruck von Trägheit hervorrufen konnten – dies alles zusammen bewirkte, daß er an eine Schildkröte von riesigen Maßen erinnerte, die gegen ihren Willen an den Strand geraten wäre und sich nicht ohne Mühe auf dem Trocknen fortzubewegen vermöchte. In der Tat war Gulussa erst recht in seinem Element, wenn er zu Pferde saß. Wer ihn dann, mit seinem Hengst wie verwachsen, dahinjagen sah, der konnte begreifen, daß die rohen Völker des Mittags, die keine Pferde kannten, von den Numidern als von schreckenerregenden Ungetümen erzählten, die vier Antilopenbeine hätten und zwei Köpfe übereinander mit fürchterlich dräuenden Löwengebissen.

Ein solches Gebiß fletschte er jetzt mit grinsender Höflichkeit gegen die beiden Punier, als hielte er es für gute Lebensart, ihnen den Vortritt einzuräumen und erst einmal einen Antrag von ihrer Seite abzuwarten. In Wahrheit verbarg sich hinter seiner Zurückhaltung wohl nur die Vorsicht des gewiegten Unterhändlers.

Und insgeheim weidete er sich vielleicht an der ungeduldigen Erregtheit, die Himilko und Hasdrubal zu bemeistern sich vergeblich bemühten.

*

Die peinigende Stille, die in dem kleinen Raum eingetreten war, lastete mehr und mehr auf den Gemütern der Punier.

Himilko Phameas war der erste, dem sie unerträglich wurde, er nahm das Wort und sagte, die bebende Stimme zum Gehorsam zwingend: »So wichtig eine Aussprache mit Numidien für uns wäre, so sind doch nicht wir es gewesen, die sie suchten. Einer Einladung unsrer edlen Wirtin folgend, sehen wir uns unerwartet einem Manne gegenüber, den wir als Abgesandten Masinissas betrachten dürfen. Seine Ratschläge zu vernehmen, wäre für uns um so wertvoller, als er nach menschlicher Berechnung in nicht allzu ferner Zeit dazu berufen sein wird, mit seinem Bruder Micipsa das Erbe des erhabenen Königs anzutreten, der bald neunzig Jahre zählt. Wir bitten Gulussa, uns seinen Auftrag zu eröffnen, oder, falls er nur als Privatmann hier weilt, uns seine Meinung nicht vorzuenthalten, in welcher Weise ihm das Ziel erreichbar dünkt, das uns allen vorschwebt.«

»Ich bin Krieger,« antwortete Gulussa, »und ich spreche zu Kriegern. So darf ich mich soldatischer Kürze befleißigen. Die Bundesgenossenschaft mit Rom hat meinem Vater, dem großen König, nicht geringe Vorteile eingebracht. Sie hat uns aber auch wiederholt schwere Opfer an Gut und Blut auferlegt, in entfernten Ländern, die für uns gleichgültig sind – ich erinnere an Makedonien, wo wir Fußvolk, Reiter und nicht weniger als zweiundzwanzig Elefanten gegen Perseus stellten. Was hatte Perseus uns getan? Noch heute beweine ich die treuen Elefanten, die dafür bluten mußten, daß aus der bei Pydna gemachten Beute den römischen Bürgern das Tributum erlassen werden konnte. Das Alter beharrt im Alten. Mein Vater ist den Römern Dank schuldig, ohne sie wäre er des Syphas nie Herr geworden. Er hängt an der hergebrachten Bundesgenossenschaft, die ich selbst längst als Joch der Abhängigkeit empfinde. Was aber jetzt die Römer treiben, darüber ärgert auch er sich scheckig. Sie bedrohen nicht nur euer Bestehen, sondern auch Numidiens natürliche Entwicklung und damit das Werk seines Lebens. Darum sind wir unter gewissen Bedingungen bereit, mit euch gemeinsame Sache zu machen. Wir würden uns verpflichten, in der Landung des ersten römischen Legionärs auf libyschem Boden eine Herausforderung zum Krieg zu erblicken und euch mit unsrer gesamten Wehrmacht in der Verteidigung eurer Stadt vom Hinterland her zu unterstützen. Nur müßt ihr vorher und unzweideutig die Voraussetzungen schaffen, die einen Erfolg des Widerstands und einen für uns siegreichen Ausgang des Kampfes verbürgen.«

»Und welches wären diese Voraussetzungen?« fragte Hasdrubal, von neu erwachten Hoffnungen glühend.

»Daß ihr uns Kart-Chadast in die Hände spielt und Masinissa als rechtmäßigen Herrn über ganz Libyen anerkennt.«

»Unmöglich!« rief Himilko.

»Weshalb?«

»Weil im punischen Volk die Partei, die nicht numidisch werden will, ebenso stark ist wie jene, die nicht römisch werden will.«

»Dann wird schon in naher Zukunft,« sagte Gulussa mit hämischem Lachen, sein Schildkrötenhaupt wie um Beifall werbend in der kleinen Runde umherwendend, »dann wird binnen kurzem dem punischen Volk Gelegenheit geboten sein, seine Parteistreitigkeiten im Reich der Schatten auszutragen.«

»So gänzlich aller Mittel entblößt sind wir denn doch nicht,« antwortete Hasdrubal, »daß wir uns ohne weiteres vom Erdboden vertilgen und in die Unterwelt senden ließen. Übrigens hat uns der Senat, wenn wir Geiseln stellen – was ja bekanntlich geschehen ist –, Freiheit und Eigentum gewährleistet, unsre eignen Gesetze, unser Landgebiet und Schonung unsrer Heiligtümer und Grabstätten. Mit dem Tode ringen wir also vorderhand noch nicht!«

»Jawohl! Wenn ihr Geiseln stellt, hieß es, und – euch den sonstigen Verfügungen der Konsuln unterwerft. So lautete, wenn mir recht berichtet wurde, der hinterhältige Bescheid.«

»Vermutest du, Gulussa, Tücke dahinter?«

»Tücke? Wie man's nimmt. Rom ist klug, ihr aber seid große Kinder.«

Lanassa nahm den vorhin fallengelassenen Faden wieder auf, indem sie sich an den Bevollmächtigten der numidischen Partei wendete: »Gerade von Himilko Phameas hätte ich erwartet, daß er die werbende Kraft des numidischen Gedankens nicht unterschätzen würde?«

»Ich unterschätze sie auch nicht, doch muß einem so bittern Kraut Zeit zum Einwurzeln gelassen werden. Noch fühlt ein großer Teil der Massen barkidisch. Sie reden sich ein, und Demagogen bestärken sie in ihrem Wahne, Kart-Chadast sei noch immer stark genug, seine Unabhängigkeit nach beiden Seiten hin zu behaupten. Der Versuch einer gewaltsamen Umwälzung brächte nur den Bürgerkrieg. Der Boden muß erst sorgfältig bereitet werden. Und dir, Gulussa, böte sich jetzt Gelegenheit, damit den Anfang zu machen.«

»Soll ich als Volksredner vor eure Pöbelhaufen treten?«

»Die numidische Partei würde ganz von selbst an Anhängerschaft gewinnen,« beteuerte Hasdrubal, »wenn das Volk daran glauben lernte, daß es von seiten Masinissas auch einmal etwas anderes als Feindseligkeiten zu gewärtigen habe.«

Und Himilko fuhr fort: »Alle Herzen flögen euch zu, wenn ihr in diesem Augenblick der Not an die Seite Kart-Chadasts trätet, ohne den Preis seiner Unabhängigkeit dafür zu fordern. Aus Mißtrauen würde die allgemeine Volksstimmung von heute auf morgen in Dankbarkeit, ja, in Begeisterung für euch umschlagen. Sogar der Widder, der mit gesammelten Freischaren grollend irgendwo im Hinterland steht und nur darauf paßt, den rechten Augenblick zu erspähen, um die jetzt herrschende Partei der Romfreunde zu stürzen, müßte dieser Stimmung notgedrungen Rechnung tragen und könnte seine natürlichen Bundesgenossen nicht zurückstoßen. Und im Freudentaumel und brausenden Jubel, den ein gemeinsamer Sieg über Rom in der Stadt entfesseln würde, müßte es tausendfältiges Echo wecken, wenn dann der Ruf erschallt: Es lebe Masinissa, der König von Kart-Chadast!«

»Um die Begeisterung der Straße sollen wir die Freundschaft Roms verkaufen?« antwortete Gulussa mit verächtlichem Achselzucken. »Um die Dankbarkeit einer Volksregierung? Du mutest uns zu, einen Aal in der Bratpfanne gegen ein mageres Sardellchen hinzugeben, das in Brackwasser geraten ist und fröhlich davonschwimmen wird, wenn es wieder offenes Meer wittert. Nein, mein Bester! Mit einer Demokratie kochen wir unsre Suppe nicht auf demselben Herd, wenn wir nicht den Pfannstiel in der Hand behalten können. Am wenigsten mit dem punischen Volk!«

Die letzte Bemerkung traf Lanassas empfindliche Stelle. Sie fühlte sich in ihrem Sohne und mehr noch in ihrem verstorbenen Gatten herausgefordert.

»Warum gerade mit dem punischen am wenigsten?«

»Ich gebe gern zu, daß es an Gesittung in vieler Hinsicht höher steht als das römische,« lenkte Gulussa mit einer artigen Wendung gegen seine Schwester ein. »Aber es fehlt ihm an einheitlicher Volksgesinnung und an staatsmännischer Umsicht. Es gleicht einem arbeitsamen, tüchtigen, vielleicht vortrefflichen Menschen, der es im Leben doch zu nichts Rechtem bringt. Oder einem tadellos gearbeiteten Fasse aus bestem Kiefernholz, dem nur eine einzige Daube fehlt – aber die fehlt ihm eben, darum ist es unbrauchbar. Schade, daß es so ist, aber es ist so. Wahnsinnige müßten wir sein, wollten wir unser Schicksal von der ewig unbelehrbaren Einsichtslosigkeit eurer Parteien abhängig machen. Auf das Würfelspiel einer Volksabstimmung können wir nicht unsre Zukunft gründen!«

»Aber doch wohl auf die Zuverlässigkeit unsrer Parteigänger!« warf Hasdrubal ein.

»Gebieten wir nicht unumschränkt über Kart-Chadast, so bleibt uns nichts übrig, als euch eurem Schicksal zu überlassen,« entschied Gulussa mit einer Bestimmtheit, die jeden Ausweg zu versperren schien.

*

Die Verhandlungen waren an einem toten Punkt angelangt. Die beiden Punier hatten sich erhoben und unterredeten sich in einer Nische des Zimmers leise miteinander. Sie schienen ratlos und von Bedenken erfüllt. Es dauerte eine gute Weile, ehe sie ihre Plätze wieder einnahmen.

»Die Bedingung ist unannehmbar,« erklärte Himilko.

»Vielleicht ließe sich eine mittlere Linie finden?« meinte Lanassa.

»Du forderst Unerfüllbares, Oheim!« drang Hasdrubal auf den Numider ein. »Sprich nicht vorschnell das letzte Wort! Niemand ist mächtig genug, die Stadt über Nacht numidisch zu machen. Nur der Weg, den unser Freund Himilko Phameas andeutete, könnte allmählich die Wandlung bewirken. Noch sind die Romfreunde am Ruder, ihre Führer genießen Ansehen im Volk und mit Recht. Denn ob ich gleich ihre politische Richtung nicht billigen kann, so muß ich gestehen, es sind bedeutende und ehrenhafte Männer darunter, wie Mago, der Bruttier, Baal Paam-Eljon oder Blanno Tigillas, deren Stellung nur der offenkundige Mißerfolg ihrer Staatskunst zu erschüttern imstande wäre. Was willst du, daß wir tun? Wir können deine Bedingungen im gegenwärtigen Augenblick nicht erfüllen!«

Vielsagend lächelte Gulussa und schwieg. Die Tonlampen der von der Decke herabhängenden dreiarmigen Ampel flackerten im Luftzug, der von der See durchs offene Fenster strich. An der Wand schwankte unstet, ein schildkrötenartiges Ungeheuer, der riesige Schatten des Numiderschädels.

»Sprich selbst, Oheim!« wiederholte Hasdrubal noch dringender. »Was willst du, daß wir tun?«

»Es gibt Dolche, es gibt Gift,« sagte Gulussa.

Da schnellte Himilko von seinem Sitz auf.

»Wo immer ein Krieg durch einen Meuchelmord eingeleitet wird, da weiß jeder, der kein Heuchler ist, zum voraus, auf welcher Seite das Unrecht ist. Wir ringen um unsern Bestand. Wir können unterliegen, aber nur dann, wenn die überirdischen Gewalten auch dem Recht und der Gerechtigkeit eine Niederlage zu bereiten beschlossen haben. Du sagtest es selbst, das punische Volk sei ein gesittetes. Ich halte es für eine Forderung der Klugheit, daß es sich unter numidische Führung stelle. Aber nicht um den Preis seiner Gesittung. Sie steht mir höher als jeder Machtzuwachs und jeder Erfolg. Denn auch ich bin Punier!«

Damit verabschiedete er sich ehrerbietig von Lanassa, die ihn vergeblich zurückzuhalten sich bemühte. Offensichtlich zürnte er und hatte seinen Kopf aufgesetzt. Mit trotziger Miene verließ er starr und schroff das Gemach.

Bestürzt wechselten Hasdrubal und seine Mutter Blicke miteinander. Ratlosigkeit malte sich auf Lanassas Zügen. Gulussa, der sich ebenfalls erhoben hatte, war ans offene Fenster getreten und blickte in die laue Dunkelheit hinaus.

Und sich plötzlich umwendend: »Das ist es ja, was ich sage!« grollte er ingrimmig. »Das ist es ja, was ich meine! Unwirklichkeitsmenschen seid ihr, ihr Punier! Den Zweck wollt ihr, aber nicht die Mittel! Mit einem politisch so vernagelten Volk zu verhandeln, hätte ich mir die Mühe sparen können!«

Gern hätte Lanassa ihre Enttäuschung wenigstens durch einen winzigen Teilerfolg getröstet gesehen. Aber bald mußte sie daran verzweifeln, auch nur eine Fortsetzung der Aussprache zwischen Sohn und Bruder in Gang zu bringen. Der Schall der Hufe von Himilkos Pferd drang von der Straße herauf und entfernte sich durch die Nacht. Da schreckte Hasdrubal aus seiner trübseligen Versunkenheit empor und beurlaubte sich ebenfalls von seiner Mutter, ohne den Oheim noch eines Blickes zu würdigen.

Himilko Phameas aber ritt langsam zwischen den Gärten von Magara nach der Stadt zurück. Ein Himmel von ungeheurer Größe wölbte sich über ihm. Gleich Rätseln, die der Schoß der Zukunft birgt, äugten aus der ewigen Finsternis die ungezählten Sterne auf ihn nieder.

Sein Herz war sorgenvoll. Nachsinnend wurde er sich dessen bewußt, daß nicht zum wenigsten die als Mensch wie als König gleich bewundernswürdige Erscheinung Masinissas es gewesen war, die ihm den Gedanken an eine Oberhoheit Numidiens über Kart-Chadast erträglich gemacht, ja, als wünschenswert hatte erscheinen lassen. Zum ersten Male stiegen ihm Zweifel auf, ob er die Sache der numidischen Partei, der er sich angeschlossen, auch dann noch mit Überzeugung zu der seinigen würde machen können, wenn an Stelle dieser achtungeinflößenden Gestalt ein – Gulussa trat. Und bei dem hohen Alter des Königs mußte man auf einen solchen Wechsel vielleicht schon in naher Zeit gefaßt sein.

Welche andere Möglichkeiten aber gab es sonst? Den barkidischen Wahnsinn? Die Unterwerfung unter Rom?

Wie ein gefangenes Tier, das immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand des Käfigs und dann gegen das Gitter und abermals gegen die Wand und wieder gegen das Gitter stößt, so bewegten seine gequälten Gedanken sich ergebnislos rundum, ohne vom Fleck zu kommen.

Im Untergrund seiner Seele aber summte eintönig, im gleichen Taktmaß, wie die Hufe seines Pferdes aufschlugen, eine traurige Liedweise. Ununterbrochen seufzte sie, sich endlos wiederholend, immer dieselben Worte in die Nacht hinaus: »Armes Kart-Chadast! Armes Kart-Chadast! ...«

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