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XIII.

Am heiligen Opfertag, den Paam-Eljon verkündet hatte, ruhte in ganz Kart-Chadast die Arbeit.

Der Haupt- und Marktplatz der Stadt bot an diesem sonndurchglühten Morgen ein ganz anderes Bild als an einem gewöhnlichen Werktag. Sonst bebte hier der Boden vom Rasseln und Dröhnen der unzähligen Handwerke und Gewerbe, denen die vier Wände zu eng geworden waren, und die ihre Werkstätten aus diesem Grund unter freiem Himmel, mitten im leidenschaftlichen Getriebe aufgeschlagen hatten. Sonst qualmten hier Rauchsäulen wie aus Lagerfeuern, die Kessel für die öffentliche Ausspeisung dampften, Kaufleute, Händler, Fischer, Fuhrknechte schrien wirr durcheinander, Kisten und Fässer polterten, Lastträger und Handlanger keuchten und fluchten, und ununterbrochen strömten von der Magara oder dem Handelshafen her Züge von Tragtieren, Karren und Wagen im Brennpunkt des städtischen Verkehrs zusammen, stauten sich, kamen einander ins Gehege, wurden schimpfend zur Not entwirrt, unter Zank und Geschrei aus- und abgeladen und rollten und stampften schließlich mit kreischenden Rädern und klappernden Hufen wieder davon, um neuen Platz zu machen.

Von all diesem Drängen und Lärmen, Hasten und Schuften war heute auch nicht eine Spur zurückgeblieben.

Der umfangreiche Platz, der sich wie eine erheblich verbreiterte Straße zwischen Bosra und Kothon hinstreckte, sah aus, als sei er frisch gescheuert und sorgfältig aufgeräumt. Die Leute, die darüber hingingen oder ihn auf ihrem Wege durchquerten, schritten in ihren Festtagskleidern schweigsam fürbaß, mit gesenkten Häuptern, andächtig nach innen gewendet. Kein Geräusch der Betriebsamkeit, kaum das Zwitschern eines Vogels oder das Gurren einer Taube unterbrach die Stille, kein lautes Wort, keine unnütze Rede störte die fromme Sammlung. Und es war, als sei der stumpf-blaue wolkenlose Himmel selbst, als seien die glühheißen Lüfte, die bang aus dem Hinterlande herüberhauchten, von der gleichen weihevollen Beklemmung ergriffen wie die Herzen der Menschen.

Auf der Höhe der Bosra drängten die Andächtigen sich um die düstere Pforte, durch die man auf Stufen in die unter dem Eschmuns-Tempel sich wölbende Grotte hinabstieg. Rot bestrahlt vom flackernden Feuer, das inmitten der pechschwarzen, scheinbar unbegrenzten Halle auf herdartigem Altarbau loderte, schob die Menge sich schweigend gegen die Opferbecken, hinter denen die Feuerhüter, die entsagenden Brüder und dienenden Priester Milkarts saßen, auf hohem kostbaren Gestühl wie die Richter der Unterwelt. In einem bestimmten, von alters her überlieferten Tonfall redeten sie die Frommen, die gruppenweise zugelassen wurden, jedesmal auf die gleiche hergebrachte Weise an, worauf die Opfernden auch ihrerseits immer mit denselben mehr gesungenen als gesprochenen Formeln antworteten, wie die Verehrung des Gottes für diesen Tag es vorschrieb.

»Opfern willst du dem Herrn des Krieges?«

»Ich will es.«

»Opfern willst du dem sengenden Feuer?«

»Ich will es.«

»Was bringst du ihm dar?«

»Mich selbst!« antworteten hierauf die Jünglinge. Die Familienväter aber: »Aus meinem Samen, was männlich ist!« Und die Frauen: »Aus meinem Schoße, was männlich ist!«

Fugenartig setzte hierauf der Gesang der Priester ein:

»Dem Blitze vergleichbar,
Zuckend aus Wetterwolken,
Lächelt Baal Milkart dir zu.
Groß ist des Gewaltigen Gnade,
Leben schont er, es sei denn der Feind.
Gaben, dem Gotte gefällig,
Lösen kartchadisches Blut.
Speere schwinge, was männlich,
Milkarts Heilige Schar.«

Der Reihe nach vorbeiziehend, legten dann die Opfernden ihre Geschenke in die Opferbecken, sei es Geld, seien es Gebrauchsgegenstände oder Schmuckstücke aus Edelmetall, wohl auch Juwelen und kostbare Geschmeide, ein jeder nach seinen Mitteln und dem Stand seines Vermögens.

Diese Gaben stellten etwas wie ein Lösegeld vor, das an die Stelle der in früheren Jahrhunderten üblichen Menschenopfer getreten war. So wie man damals in Tagen der Not und Gefahr Knaben und Jünglinge den Flammen preisgegeben hatte, um den vermeintlichen Zorn des Gottes zu versöhnen, so opferte man ihm jetzt, in einem aufgeklärteren Zeitalter, Geld und Gut, Rüstungszwecken gewidmet, um die Wehrhaftigkeit der Stadt zu erhöhen, weihte gegebenen Falles wohl auch überdies noch sich selbst oder seine Kinder, sofern sie das wehrfähige Alter erreicht hatten, dem Waffendienst, Milkart zu Ehren.

Aber nicht nur Eltern, die männliche Nachkommen besaßen, nicht nur Jünglinge, für die in düsterer Vergangenheit der freiwillige Opfertod in der Flammengrube Baal Molochs eine Forderung der Ehre gewesen wäre, leisteten die Abgabe, wie es dem ursprünglichen Sinn entsprochen hätte. Denn dieser Sinn des Loskaufens vom sengenden Feuer war halb und halb in Vergessenheit geraten, die religiöse Gepflogenheit dagegen, am Opferfeste teilzunehmen, für jedermann verbindlich geworden, auch für solche, die nichts loszukaufen hatten. Besonders für die Wohlhabenden und Reichen wäre es nicht leicht gewesen, sich davon auszuschließen, sie fügten sich stillschweigend der allgemeinen Sitte, um nicht den Verdacht der Knauserei und des Geizes auf sich zu laden. Doch gab es manchen unter ihnen, der nur mit innerem Widerstreben opferte.

Zu diesen gehörte auch einer der wohlhabendsten Adelsbürger, Nanais und Attars Vater, der friedliebende Kaufherr Ithobaal. So begütert er war, so kostete es ihn doch keine geringe Überwindung, als er jetzt sein Weihgeschenk, ein aus schwerem Golde getriebenes Trinkgefäß, ins Opferbecken gleiten ließ. Gegenstände von Kunstwert gab er überhaupt ungern aus der Hand, am wenigsten für einen Zweck, den er nicht billigte; aber er besaß nur solche.

»Wie komme ich eigentlich dazu?« sagte er, zu seinem Freund Bostar tretend, der ihn begleitet hatte und jetzt im Dunkel der Grotte auf ihn wartete. »Meinen armen Jungen kaufe ich damit doch nicht los.«

»Sei froh, daß Melikertes bei den Römern in Sicherheit ist.« »In Sicherheit? Wer daran glauben könnte! Jedenfalls ist er nicht hier, es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, ihn den Flammen preiszugeben, auch wenn wir um hundert Jahre jünger wären. Was hab' ich davon, daß die Feueropfer abgekommen sind?«

»Wenigstens die Genugtuung, daß auch ein Gott mit der Zeit klüger werden kann,« spottete Bostar, dessen Witz auch vor dem Heiligsten nicht haltmachte. »Denn Milkart hat inzwischen einsehen gelernt, daß es mit der Stellung eines Kriegsgottes auf die Dauer unvereinbar wäre, gegen das eigene Fleisch zu wüten. Gesinnungstüchtig wie ein Barkide, lechzt er nicht mehr nach kartchadischem, nur noch nach Römerblut. Ist das nicht schon an sich ein Fortschritt?«

Der junge Dubar, Sohn des Zimmermeisters Muttines, trat zu ihnen. Er hatte den als Brautgeschenk für Channa bestimmt gewesenen silbernen Armreif geopfert, der nach seines Vaters mißglückter Werbung wieder zu ihm zurückgewandert war. Heiliger Ernst stand ihm auf dem Antlitz, das von inbrünstigem Volksgefühl und dem Schein der Flammen mit Glanz und Wärme überhaucht war. Seine Locken umflocht Äthusenlaub – ein Priester hielt in einem Korbe die Kränze bereit, die todentschlossenen Streitern als Abzeichen dienten, und auch Dubar war nicht schwer zu überreden gewesen, sich einen solchen Kranz ins Haar drücken zu lassen. Da die Geliebte ihm versagt bleiben sollte, hatte er sich dem Gotte als Kämpfer verlobt.

»Sieh, da ist gleich solch ein Milkarts-Knappe, der von Begeisterung glüht!« fuhr Bostar zu spotten fort. »Wie unternehmungslustig sein Auge blitzt. Dankbar dafür, daß es ihm erspart bleibt, geschmort zu werden, ist er freudig bereit, seinen letzten Blutstropfen auf unsern Mauern zu verspritzen!«

»Dazu bin ich allerdings bereit, vorerst aber will ich mich wehren wie ein Mann!«

»Recht so, mein Sohn! Wehre dich und laß keinen Zweifel an der Vernünftigkeit deiner Sendung aufkommen! Zwar weiß Milkart es schlau einzufädeln: das Feuer sieht er dir nach, um dich später desto sicherer kalt zu machen. Aber du wirst, wenn es dir gelingen sollte, ihm vorher noch ein Schock Römerleichen zu Füßen zu legen, wenigstens mit dem Bewußtsein ins Gras beißen, als ein wahrer Held von hinnen zu gehn.«

»Ich will tun, was in meinen Kräften steht,« sagte Dubar, der den Spott nicht merkte. Ehrlicher Wille sich hinzugeben, erfüllte ihn.

Hirom, der Schmied, kam an ihnen vorüber, nachdem er seine Weihegabe in eines der Becken niedergelegt. Mit offenbarem Wohlgefallen ruhte sein Auge auf dem zum Opfertod geschmückten Jüngling.

»So steht's dir gut an, junger Freund!« nickte er ihm zu: »Den Äthusenkranz – während des Kampfes. Nach dem Siege dann – Granatenlaub ins Haar! Eschmun mit dir!«

Er schritt vorbei und stieg die Stufen der Grotte hinan, seiner Unterredung mit Muttines gedenkend und sich eingestehend, daß die Entscheidung vielleicht anders gefallen wäre, hätte damals statt des Vaters der Sohn selbst bei ihm vorgesprochen. Überrascht blickte Dubar ihm nach. Das sichtliche Wohlwollen des wackeren Mannes erfüllte ihn mit neuen Hoffnungen. Vielleicht brauchte er dem Gedanken an Channa doch nicht endgültig zu entsagen?

Mit wie viel größerer Bereitwilligkeit noch hätte er sein Leben in die Schanze geschlagen, wüßte er, daß es ein geliebtes Weib und einen eigenen Herd zu verteidigen galt!

*

Als Hirom ins Freie trat, schlug eine Hitzwelle ihm entgegen, die Sonne stach wie glühende Pfeile, schwere Wolken türmten sich über der Kimmung des Meeres. Auf der Tempelterrasse traf er mit einem Bekannten zusammen, dem Seiler Elym, der ebenfalls geopfert hatte, obgleich er keine Kinder besaß.

»Was hört man von der Ochsenzunge?« fragte der Schmied.

»Pfriemgras zum Korbflechten gibt's dort genug, das weiß ich, hab' sonst manche Ladung davon bezogen und verarbeitet. Den Römern wird freilich schlecht damit gedient sein, Bauholz wäre ihnen lieber. Ihre ausgesandten Barkschiffe sind noch immer verschollen.«

»Soll Milkarts Feuer sie sengen!«

»Darauf können wir uns leider nicht verlassen. Gut Ding braucht Weile. Es kommt der Tag, wo sie Bauholz genug an der Ochsenzunge haben werden. Bis dahin allerdings ist von der Seite her nicht viel zu fürchten. Von der Landseite aber, heißt es, seien wir abgeschnitten seit heut' morgen.«

»Eschmuns Fluch! Der Isthmus ist schmal. Fängt der Manilius an, sich zu rühren?«

»Ein Lager mit Schanzpfählen läßt er anlegen, kaum ein paar Stadien vor unsern Mauern. Von den Basteien am Tor der Magara soll man das Fortschreiten der Arbeiten deutlich beobachten können.«

»Dann säßen wir in der Mausefalle?«

»Oder – der Manilius selbst. Himilko Phameas und der Widder stehn ihm im Rücken.«

Die Lage und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten oder Gefahren besprechend, stiegen die beiden Männer die große Freitreppe des Eschmun-Tempels hinunter und schlugen, im heiligen Hain angelangt, den Weg gegen den Marktplatz ein. Geschrei, das zu ihnen empordrang, veranlaßte sie, ihre Schritte zu beschleunigen. Von allen Seiten strömten Neugierige in derselben Richtung zusammen. Schon wuchs die Zahl der vom Opfergang Heimkehrenden, die auf dem Marktplatz haltmachten, zur Menschenmenge an. Alles drängte sich um ein dort befindliches niedriges Gebäude.

Es war ein flachgedeckter gemauerter Schuppen, der zum Aufbewahren von Marktgeräten diente. Ein Mann, der ihn erklettert hatte, machte eine Rednerbühne daraus, er schrie, warf die Arme in die Luft, fluchte, drohte, ereiferte sich. Worüber? Die beiden Handwerksmeister verstanden noch kein Wort, doch konnten sie merken, daß der Redner Eindruck machte. Die Leute, die ihm lauschten, schienen aufgewühlt. Leidenschaftlich folgten sie seinen Ausführungen, ergriffen Partei, jubelten ihm zu, zeterten gegen ihn los und gerieten darüber selbst miteinander in Streit, wobei es wüstes Geschrei und Balgereien setzte.

»Wer ist das da droben?« fragte Hirom.

»Ich kenn' ihn so wenig wie du, ich weiß nur, daß er recht hat, tausendmal recht!« antwortete trotzig einer der Zuhörer.

Näher herantretend, vernahmen sie jetzt, wie der Redner auf dem Dach des Schuppens gegen die Regierenden loszog. Besonders auf den Königs-Schofeten hatte er's scharf, er nahm kein Blatt vor den Mund, schalt ihn einen bezahlten Schinderknecht Masinissas, schilderte, wie gewissenlos das Volk ans Messer geliefert werde, malte in grellen Farben das Elend einer Belagerung aus. Und in wahrhaft prophetischer Raserei verkündete er die unvermeidlich bevorstehende Erstürmung und Zerstörung der Stadt, wenn man sich nicht noch in letzter Stunde dazu aufraffen wolle, das unheilige Opferfest in sein Gegenteil zu verkehren und ein heiliges Friedensfest daraus zu machen.

»Das ist Maolan, der Färber, wenn mich nicht alles trügt,« sagte Elym.

Jarbas, der abgewirtschaftete Kleinbürger, der überall zu finden war, wo es Lärm gab, stand zufällig in der Nähe. Er bestätigte Elyms Vermutung und fügte wutschnaubend hinzu: Von jeher sei dieser Maolan ein unsicherer Kunde gewesen, nun hätte er offensichtig Bestechungsgelder von den Römern genommen, das liege auf der Hand, sei er doch frech genug gewesen, sogar die Wache am Fischertor, die unter Tigillas stehe, zum Treubruch verleiten zu wollen. Man müsse den Halunken je eher je besser unschädlich machen, Verräter in den eigenen Reihen dulden, hieße sich freiwillig ans Messer liefern!

Ob es wahr sei, was man sich seit einer Woche in der Stadt erzähle, fragte einer: Maolan hätte den Kommandanten vom Fischertor niedergestochen, hierauf die Flucht ergriffen und sich seither in irgendeinem Schlupfwinkel verborgen gehalten? Worauf andere, die besser unterrichtet schienen, ihn darüber aufklärten, daß Blanno Tigillas nach wie vor am Fischmarkt den Oberbefehl führe, also doch wohl noch unter den Lebenden weile. Richtig indessen sei, daß er den ehemaligen Färber als römischen Spion entlarvt habe und auch verhaften lassen wollte. Richtig auch, daß dieser ihm entronnen und seither unauffindbar gewesen sei.

»Und nun seh' einer unsre braven Mitbürger!« sagte Hirom empört. »Andächtig horchen sie auf die Worte eines Gauners, dem die Kreuzesnägel bereits geschmiedet sind!«

»Ein Aufrührer ist er!« hieß es da und dort unter den Leuten. »Ein Hochverräter!«

»Herunter mit ihm, oder ich hole ihn eigenhändig nieder !« rief, mitten aus der Menge herausragend, der Riese Goliath über die Köpfe der Leute hinweg.

»Laßt ihn reden! Laßt ihn zu Ende reden!« tönte es dagegen von andern Seiten zurück.

Offenbar gab es nicht wenige, in denen die Aussaat Maolans bereits aufgegangen war, mindestens Zweifel geweckt hatte, ob es nicht sogar jetzt noch möglich und auf alle Fälle vorteilhafter wäre, sich eine Belagerung irgendwie zu ersparen. Die Ansammlung der römischen Flotte um die Ochsenzunge hatte manchem Angst eingejagt und ihn zaghaft gemacht.

»Faselhänse sagen,« schrie Maolan vom flachen Dach seines Schuppens herunter, »die Römer hätten kein Bauholz an der Ochsenzunge! Das Fischertor sei nicht gefährdet, behaupten sie, denn ohne Holz keine Belagerungsmaschinen. Jawohl! Es ist richtig, daß man Holz haben muß, um an Belagerung zu denken, aber Holz vor der Stirn muß man haben, um heute noch erfolgreiche Gegenwehr für möglich zu halten! Können nicht jeden Augenblick die ausgesendeten Römerschiffe eintreffen? Wie lang dauert es dann noch, so donnern die Sturmböcke gegen den schwachen Mauerwinkel am Fischmarkt! Und nach einer weiteren halben Woche hebt das Gemetzel an, das blutige Morden in den Straßen. Dann könnt ihr euch bei Masinissas Enkel und eurer eigenen Einsichtslosigkeit, die ihm zur Macht verhalf, dafür bedanken, wenn der erbitterte Feind selbst eurer Weiber und Kinder nicht schonen wird!«

Wütend brausten Beifall und Widerspruch. Baga, der politische Ehrgeizling, schob sich die Reihen der Zuhörer entlang und wühlte. Sich offen zu Maolans Worten zu bekennen, wagte er nicht, doch suchte er Hasdrubals Stellung zu erschüttern, die Gelegenheit kam ihm zupaß. Nur vom Volke selbst könne Entschluß und Entscheidung ausgehn, beteuerte er, eine Gewaltherrschaft wie die des Numiders sei ungeeignet, einen aufgezwungenen Verzweiflungskampf mit Kraft und Leben zu erfüllen.

Mänon der Stadtschreiber hinwieder, der stets auf seiten seiner jeweiligen Brotherrn stand, verbreitete, so viel er konnte, die Meinung, lediglich Angstschweiß sei es, was dieser verkommene Färber da oben rede. Denn daß er geliefert sei und am Kreuz hangen werde, stehe fest, gelang es ihm nicht noch im letzten verzweifelten Augenblick, einen Volksaufstand zugunsten einer schmachvollen Waffenstreckung zu entfesseln.

»Es ist ein Gezeichneter,« sagte er, »dem das Messer an der Kehle sitzt, er hat nichts mehr zu verlieren!«

»Ein Aussätziger ist es, der andere anzustecken versucht,« stimmte Malchas, der Schiffsreeder, ihm zu, »damit man ihn nicht aus der Gesellschaft der Gesunden ausstoße.«

»Hört nicht auf ihn, Mitbürger!« rief Hirom. »Laßt euch nicht zu Bundesgenossen der Schande werben!«

Hafenarbeiter und Handlanger, gemeine Leute, die ihr Leben von der Straße fristeten, bekräftigten seine Worte mit Geschrei. Sie waren mit dem Numider zufrieden, die öffentlichen Ausspeisungen, die er eingeführt hatte, sagten ihnen zu.

»Herunter den Hochverräter! Stopft ihm das Maul mit Erde!« brüllten sie wild durcheinander.

Dagegen neigte eine Gruppe von Fischern, Dajag an der Spitze, eher der Gegenmeinung zu. Der Fischmarkt war zum Exerzierplatz geworden, ihre Häuser, die alle in jener Gegend lagen, kamen als die ersten an die Reihe, wenn der römische Angriff Erfolg hatte. Leidenschaftlich schlossen sie sich um Bomilkar zusammen, der als Mitglied des Rates und geborener Widerspruchsgeist seine Parteizugehörigkeit so lange gewechselt hatte, bis er schließlich, da die Regierung derzeit starken numidischen Einschlag aufwies, wieder Römling von reinstem Wasser geworden war.

»Nieder mit Hasdrubal! Nieder mit der numidischen Wirtschaft!« schrien sie mit vereinten Stimmen.

Und als nun Maolan, der tatsächlich einen tollkühnen Verzweiflungskampf um sein Leben kämpfte, sich als einen gleichsam höheren Orts Beglaubigten aufspielte und verheißungsvoll kund und zu wissen tat, Censorinus, der Konsul, werde Gnade vor Recht ergehn lassen, wenn man ihm ohne Verzug die Tore öffnen wolle, da rissen die neu sich auftuenden Aussichten auch viele noch Schwankende mit sich fort. Es war, als hätte die überwiegende Zahl aller Anwesenden, im brausenden Wirbel von Fürchten und Hoffen jede Besinnung verloren. Stürmisch forderten sie – von wem wußte niemand – die Einstellung der Feindseligkeiten, die Versöhnung mit Rom, die Rückkehr zu einem geordneten Leben.

Die Völkischen und Gesinnungstreuen sahen sich bedrängt, bedroht. Vielleicht befanden sie sich nicht einmal in der Minderheit, offenbar aber fehlte es ihnen an Schwung und Antrieb, ihrer Überzeugung mit derselben Wucht Ausdruck zu geben wie die andern. Ganz ernsthaft war plötzlich der Vorschlag aufgetaucht, auf den Fischmarkt zu ziehen und den Römern, sei es mit oder ohne Zustimmung der dort befindlichen Wache, das Fischertor aufzutun. Und es fehlte nicht viel, so wäre die verruchte Absicht zur Tat geworden. Eben noch rechtzeitig verhinderte ein rettender Zwischenfall das Äußerste, ließ die allgemeine Stimmung ganz unvermittelt wieder umschlagen, ja sogar in ihr Gegenteil sich verkehren.

Es kam nämlich aus der Richtung der Bosra Dubar gelaufen, er meinte, als er die Ansammlung auf dem Marktplatz erblickte, es mit einer vaterländischen Kundgebung zu tun zu haben. Jubelnd kündigte er schon von weitem gute Nachrichten an. Man wendete sich ihm zu, umringte neugierig den Nähergekommenen. Und bald flog von Mund zu Mund die frohe Kunde, deren Überbringer zu sein er sich glücklich schätzte: die Römer hatten eine empfindliche Schlappe erlitten. Das erste weiter ausgreifende Unternehmen dieses Krieges war zu ihren Ungunsten ausgegangen, hatte ihnen schwere Verluste gebracht, der Wachsamkeit und Schlagfertigkeit der kartchadischen Wehrmacht dagegen das beste Zeugnis ausgestellt.

Das nahm sich fast wie eine Vorbedeutung aus, wie göttliche Fügung. Immer mehr Einzelheiten wurden bekannt. Man hob Dubar auf die Schultern, er mußte berichten, er ließ sich nicht erst dazu nötigen, er tat's gern. Sich selbst überstürzend sprangen ihm die Worte von den Lippen.

Die Römerschiffe, ausgesendet um Bauholz zu beschaffen, waren zerstört. Himilko Phameas hatte sie an ihrer Landungsstelle am Südufer des Sees von Tunes überfallen, die Bedeckungsmannschaft, eine ganze Kohorte, in den Wäldern aufgerieben, die Holzfäller und Ruderknechte gefangengenommen, die Fahrzeuge selbst in Brand gesteckt. Gisgon, der Enkel des Bruttiers, war soeben aus Nepheris eingetroffen, ihm verdankte man die Benachrichtigung der in Libyen stehenden kartchadischen Streitkräfte und damit das Scheitern des römischen Abenteuers. Dubar hatte ihn selbst gesprochen, die Meldung war verbürgt, von der Ochsenzunge her drohte der Stadt keine Gefahr mehr!

Es ist ein seltsames Rätsel um den Erfolg. Er mag ein Sandhügel sein und weiß das Auge zu täuschen, daß er ein Hochgipfel des Atlasgebirges scheint. Im Handumdrehn breitet er über die Zukunft, die eben noch unheilvoll dräute, einen Schimmer, als hätte sich in schwarzblauer Wolkenwand ein Fenster aufgetan, durch das die Sonne hereinflutet. Hier wandelte er wie mit Zauberschlag die zagende Minderheit in eine überzeugte Mehrheit um. Und Maolan auf seinem Dache stand verlassen, mehr als das, verworfen, angefeindet, gefährdet.

Sadraf, der Schiffsteerer, war der erste, der sich zu ihm auf den Schuppen schwang. Er faßte ihn um die Mitte, sie rangen miteinander. Im nächsten Augenblick hatte ein Halbdutzend Hafenarbeiter das flache Dach erstürmt. Wie ein Bündel Kleider flog der Umstürzler mitten unter die aufkreischende und zur Seite weichende Menge. Seine Knochen krachten. Aber noch hatte er die Kraft, sich aufzuraffen. Wie ein halbzertretener Käfer hastete er blindlings davon, suchte in Todesangst zu entkommen. Da traf ihn ein scharfer Stein und noch und abermals einer. Am Hinterhaupt, auf der Brust, an der Stirn.

Schreiend stürzte er zu Boden, flehte um Gnade.

Gejohle aus Schakalskehlen war die Antwort. Blut rötete den Boden. Die Bestie, die in der Masse steckt, sprang auf. Rausch und Taumel wie von Wein und Tanz ...

Steine prasselten auf den Hochverräter nieder, ein wahrer Schauer von Steinen.

Und noch immer wollte der Hagel nicht aussetzen, auch da das unglückliche Opfer der Volkswut sich längst nicht mehr regte und von keinem Richter mehr hätte zur Verantwortung gezogen werden können.

*

Ellot träumte, daß sie, angetan mit königlichen Festgewändern, im Tempel Aschtarits den heiligen Reigen tanzte. Da näherte sich Hanno, der unerwartet aus der Gefangenschaft heimgekehrt war, und hüllte sie in seinen Mantel.

Der Traum hatte ihr Innerstes aufgewühlt. Seit alters her galt es für ein Sinnbild der Werbung, wenn ein Jüngling seinen Mantel um die Schultern eines Mädchens breitete.

Unter der Dienerschaft im Hause ihrer Eltern befand sich eine äthiopische Sklavin, die ebenso verschmitzt wie anstellig war. Um die Mittagszeit am Tag des Opferfestes trat diese zu Ellot, mit Anzeichen einer Erregung, die auf Ungewöhnliches deutete.

»Laß dich mit Narde salben, junge Herrin! Die kostbarsten Kleider leg' an, dich zum Feste zu schmücken! Die Göttin hat dich ihrem Dienst erkoren!«

Bestürzt horchte das junge Mädchen auf. Ein Schauer überrieselte sie. Den ganzen Morgen hatte sie mit sich gerungen, die durch den seltsamen Traum geweckten Hoffnungen zu ertöten. Denn vor dem wachen Verstande würden sie auf die Dauer nicht bestehen können, meinte sie.

»Du redest irre, Terilla!«

»Ich rede nicht irre, junge Herrin! Du bist auserwählt, den heiligen Reigen in Aschtarits Tempel zu tanzen.«

»Woher ward dir solche Kunde?«

»Der Oberpriester selbst sandte Botschaft. Um die vierte Stunde sollst du dich bereithalten. Die Sänfte der Göttin wird dich einholen.«

Ellots Knie wankten. Sollte das Nachtgesicht nun doch die Wahrheit gekündet haben? Und wenn es sich erfüllte, daß sie im Tempel tanzte, warum dann zweifeln, daß noch weitere Erfüllung bevorstand? Ein Mann auf rotem Rosse hatte unter den Myrten gehalten. Sie erkannte ihn nicht sogleich, selbst da er vom Pferd gestiegen und in die Tempelvorhalle getreten war. Erst als er den Mantel über sie warf, wußte sie, daß es Hanno sei. Erst als sie ihn nicht mehr schaute, wußte sie es. So offenbaren Träume mehr, als wache Sinne begreifen.

Und Ellot glaubte an Erfüllung und begann sich zum Tanze zu schmücken.

Die Großmutter, die in Abwesenheit Allisats dem Hause vorstand, scheute sich die Bedenken offen auszusprechen, deren sie sich nicht erwehren konnte. Wie im Kulte Milkarts, so war auch in dem Aschtarits der ursprüngliche Sinn des Opferfestes in Vergessenheit geraten. Aber noch verschmolz sich in der Vorstellung der Matrone mit dem Dienst der Göttin ein ferner Nachklang von Lasterräuschen. Freilich muteten in einem gesitteteren Zeitalter die Gebräuche, mit denen die Frauen verschollener Jahrhunderte, und nicht zuletzt die vornehmsten, das Fest der empfangenden Erde gefeiert haben sollten, wie eine halb unglaubwürdige Sage an. Belschamee wußte, daß derzeit ausschließlich Hierodulen, berufsmäßige Tempeldienerinnen Aschtarits, den Kult versahen, der die Vermählung der Erde mit dem Himmel versinnbildlichte. Und doch wäre es ihr lieber gewesen, hätte ihr Enkelkind dem Rufe nicht zu folgen brauchen, oder irgendein faßlicher Grund sich finden lassen, es zu Hause festzuhalten. Dem unschuldigen jungen Mädchen seine Arglosigkeit zu zerstören, konnte sie sich nicht entschließen.

Während Ellot von ihren Dienerinnen gebadet, gesalbt, in erlesene Kleider und Wohlgerüche gehüllt wurde, fand Nanai sich im Hause ein. Sie stutzte und war überrascht, die Zurüstungen, die sie aus ganz anderen Gründen selbst hatte anregen wollen, bereits im Gange zu finden, freute sich aber nur darüber. Denn sie deutete sie, ohne weiter nach einer Erklärung zu suchen, in ihrem Sinne und glaubte dem erstrebten Ziel nahe zu sein. Die jugendliche Freundin zärtlich in ihre Arme schließend, legte sie ein Kästchen von kostbar tauschierter Arbeit in ihre Hände, unter vielsagendem Lächeln ihr zuraunend, ein Liebender sende es, der auf Erhörung hoffe, es werde Ellot nicht schwer fallen zu erraten, wer es sei.

Mit jäher Bewegung hatte das freudig erschreckende Kind sich freigemacht: »Ist er heimgekehrt? Gerettet – ?«

Unverhohlener Jubel klang aus ihrer Stimme. Das Kästchen in ihren Fingern zitterte. Sie dachte an Hanno, sie wähnte ihn nahe, der Traum blendete sie.

»Heldenmütig den Ring der Feinde durchbrechend, kehrte er in die Stadt zurück, von Sehnsucht beflügelt. Nun harrt er an der Zypresse der Dido des verabredeten Zeichens, dir, die er im Herzen trägt, als Bräutigam nahen zu dürfen.«

Von Glücksgefühl überflutet, vergaß das junge Mädchen ihrer selbst, daß sie im Wirbel der Freude die gewohnte Zurückhaltung hintansetzte.

»Er sei mir willkommen! Gib ihm das Zeichen!«

Immer dachte sie an Hanno, während Nanai von Gisgon sprach. Aber beide wurden sie des gegenseitigen Mißverstehens nicht gewahr. Schon wollte Nanai enteilen, von den Zinnen des Hauses ein weißes Tuch flattern zu lassen, als Belschamee, bedächtiger als die Jugend, sich ins Mittel legte.

»Gemach, liebes Kind, und keine Unbesonnenheit! Ein solcher Schritt will überlegt sein!«

Das Kästchen aus Ellots Händen an sich nehmend, schlug sie den Deckel zurück. Eine Fülle edler Steine blitzte ihr entgegen. Obenauf lag ein beschriebenes Röllchen Saitischen Papiers, ein Brief von Ellots Eltern, dem Boëtharchen Hasdrubal und seiner Gattin Allisat. Sie schrieben aus Nepheris, Gisgon, der Enkel des Bruttiers, habe sich bei ihnen um Ellots Hand beworben. Aus ebenbürtigem Geschlechte stammend, im Begriffe, sich Verdienste um das Vaterland zu erwerben, genieße der tapfere Jüngling, dem sie auch sonst wohlbegründetes Zutrauen entgegenbrächten, ihre volle Achtung. Nach Befragung ihres Gewissens und der göttlichen Zeichen seien sie darum geneigt, ihn als Eidam in die Familie aufzunehmen, wenn Ellot ihm angehören wolle. Hieran nicht zweifelnd, flehten sie den Segen der Götter auf das Haupt des geliebten Kindes herab und bäten die ehrwürdige Großmutter, da ihnen selbst wegen beginnender Einschließung der Stadt die Rückkehr derzeit versagt bleibe, bei den Hochzeitsfeierlichkeiten ihre Stelle zu vertreten.

Niemand war mit dieser Wendung zufriedener als Belschamee. Der vorzeitliche Greuel der wahllosen öffentlichen Hingebung im Tempel Aschtarits spiegelte sich gemildert und verfeinert noch in der Gepflogenheit der Nachgeborenen wider, am Opfertage die Zurückhaltung der Geschlechter zu durchbrechen und rechtmäßige Paarungen zu Ehren der Göttin zu vollziehen. Mit Vorliebe wurden an diesem Tage die feierlichen Verlöbnisse geschlossen, Verlobte traten in den Stand der Ehe, Neuvermählte, die wegen zu großer Jugend, aus Scheu vor bösem Blick oder anderen dämonischen Einwirkungen noch getrennt bei den Eltern wohnten, vereinigten sich zu dauernder Gemeinschaft. Aschtarit spendete Segen, die Liebe ward zum Gottesdienst.

In dieser ehrbaren Form kannte und anerkannte auch Belschamee den Kult der empfangenden Göttin. Ein Pflichtgebot der Hingabe seiner selbst war es in ihren Augen, das der Opfertag auferlegte: wie den Jünglingen im Dienste Milkarts, so den Jungfrauen in dem Aschtarits. Nun führte ihrer Enkelin gerade dieser geheiligte Tag einen Freier aus so vornehmer Familie zu, wie es die Gisgons war. Darin erblickte sie eine von der Gottheit selbst ergangene Weisung.

Mit der Einwilligung der Eltern das Verlöbnis für so gut wie besiegelt haltend, brachte sie geschäftig die kostbaren purpurnen Flöre alter phoinikischer Arbeit herbei, mit denen schon eine lange Reihe ihrer weiblichen Vorfahren bis weit zurück, mit denen einst sie selbst und auch ihre Tochter Allisat als Bräute sich verschleiert hatten. Und sie schickte sich an, Ellots Staat in dem ihr angemessen scheinenden Sinne auszugestalten.

Nanai dagegen, die sich das jetzt auffallend schweigsame und in sich versunkene Verhalten Ellots mit den vorausgegangenen Freudenausbrüchen nicht zusammenzureimen wußte, war ihrer Sache nicht ganz so sicher wie die Großmutter. Indessen riet sie vorläufig auf Mädchenscheu und -schüchternheit; stand doch in Ellots Leben ein großer Augenblick bevor: die erste schicksalsvolle Annäherung des Mannes. Um Gunst für diesen zu werben, entsprach der von Nanai übernommenen Sendung, entsprach nicht minder den ausdauernd verfolgten Plänen, um derentwillen sie sich dieser Sendung unterzog.

»Sieh, wie das funkelt und glitzert!« sagte sie, dem Kästchen die Juwelen entnehmend und sie gegen die Sonne haltend. »Gisgons erster Gang, nachdem er dem Königs-Schofeten über sein ruhmreiches Abenteuer Bericht erstattet, war zu mir. Ich bracht' es nicht übers Herz, ihm seine Bitte abzuschlagen. Noch in derselben Stunde sollte ich dir sein Brautgeschenk, zu dem die Zustimmung deiner Eltern ihn ermutigte, zu Füßen legen. Ich freue mich für ihn, dich vorbereitet und für den feierlichen Anlaß geschmückt zu finden. Laß dies Zeichen seiner Liebe deine Schönheit noch erhöhen!«

Damit wollte sie die kostbaren Schnüre um Ellots Haar und Nacken winden, bevor noch Belschamee sie in die dichten purpurnen Schleier gehüllt hätte.

Das Mädchen aber, wie aus einer Erstarrung erwachend, in die bitterste Enttäuschung sie gebannt hatte, lehnte es ebenso entschlossen ab, sich mit Gisgons Gabe schmücken zu lassen, wie sie sich weigerte, die bräutliche Verschleierung zu dulden.

Da gingen Nanai endlich die Augen auf. Erst jetzt merkte sie, daß ihre Annahme, Gisgons Werbung sei der Auserwählten seines Herzens schon bekannt gewesen, auf Irrtum beruhte. Ein Mißverständnis mußte obwalten, die getroffenen Vorbereitungen waren keine bräutlichen, Ellot selbst bestätigte es.

Denn so eindringlich die beiden Frauen auch auf sie einsprachen, sie beharrte darauf, zum Tanz in Aschtarits Tempel berufen zu sein.

*

Bestürzt sah Nanai ihr Spiel, das sie bereits gewonnen glaubte, durch unfaßbare Gegenzüge gefährdet.

Ratlos stand sie der für sie neuen Eröffnung gegenüber, die ihr Rätsel aufgab. Sie fragte sich, von wem Ellot wohl angenommen haben mochte, daß er an der Zypresse der Dido des Zeichens harre, sich ihr als Bräutigam nahen zu dürfen? Denn an Gisgon, dem sie sich offenbar versagte, konnte sie keinesfalls gedacht haben, als sie in die jubelnden Worte ausgebrochen war: »Gib ihm das Zeichen!« An wen also sonst?

Mit wachsender Beunruhigung sann Nanai darüber nach. Ellots Glauben an Hanno hielt sie für genügend erschüttert, auch war er fern, ihn konnte sie nicht im Sinne gehabt haben. Und doch blieb kein Zweifel: Ellot liebte! Aber wen? Da fiel ihr der Numider ein. Mißtrauen und Eifersucht regten sich. Hatte der listige Vogelsteller das Vögelchen bereits umgarnt? War es schon so weit gekommen, daß Ellot in süßer Selbsttäuschung an keinen andern als an Hasdrubal denken konnte, wenn von einem Bräutigam die Rede ging? Und hielt sie nicht jetzt, enttäuscht, daß Gisgon der Bewerber sei, erst recht daran fest, man erwarte sie zum Tanze? Wem eher als dem Königs-Schofeten wäre die Absicht zuzutrauen gewesen, das Opferfest im Tempel Aschtarits zu seinem Vorteil zu nutzen? Immer leidenschaftlicher verbohrte Nanai sich in den Gedanken, Ellot müsse dem Numider ein Stelldichein in den verschwiegenen Liebesgrotten von Aschtarits heiligem Hain zugestanden haben.

Es gibt keinen törichteren Scharfsinn als den der Eifersucht. Wahllos mischt er hellsichtige Erkenntnisse mit plumpen Albernheiten durcheinander. So setzte sich auch Nanais neue Entdeckung aus richtig Erratenem und kraus Erfundenem kunterbunt genug zusammen. Für Ellot aber sollte der blinde Argwohn, der sie belauerte, zum Retter werden. Er löste sie aus den Schlingen, die Heimtücke ihrer unberührten Jungfräulichkeit gelegt hatte.

Wie rüstig Belschamee sich auch fühlte, und mit wie stolzer Haltung sie ihr von reicher, schneeweißer Haarfülle bekröntes Haupt noch aufrechttrug, so gab es doch Dinge, die zu begreifen sie nicht mehr jugendlich genug fühlte. Dazu gehörte der gesteigerte Einfluß, den das heranwachsende Geschlecht mehr und mehr auf das Zustandekommen der Ehen gewann. Zu ihrer Zeit hatte man die jungen Mädchen nicht gefragt, wen sie heiraten wollten. Die Eltern vereinbarten das Verlöbnis, die Töchter gehorchten.

Dem war seither anders geworden. Die Greisin aber anerkannte die veränderte Sitte nicht als gerechtfertigt und mißbilligte es aufs strengste, daß Ellot Regungen eines eigenen Willens verriet. Eindringlich erinnerte sie an den im Briefe unzweideutig ausgesprochenen Wunsch der Eltern und ließ sich die Mühe nicht verdrießen, die in bekümmerter Verschlossenheit verharrende Enkelin mit Vorstellungen zu bedrängen und zur Ehrfurcht vor den Ratschlägen derer zu mahnen, die erfahrener und einsichtiger seien als sie.

Inzwischen hatte sich im Hofe, von vier baumstarken Sklaven getragen, die prunkvolle, auf silbernen Säulchen ruhende und von einem Purpurzelt überdachte Sänfte eingefunden, die das geschmückte Mädchen angeblich in Aschtarits Heiligtum bringen sollte. Ihr Anblick konnte nicht dazu beitragen, Nanais Wachsamkeit einzuschläfern. Denn sofort hatte vom Fenster aus ihr mißtrauisch geschärfter Blick in einem der Träger einen Enkel jener beiden Alten erkannt, die Chammonslust bewirtschafteten, den jungen Zarzas, von dem sie wußte, daß er in Hasdrubals, des Numiders, Diensten stehe.

Ein glücklicher Zufall, der ihr zu Hilfe kam! Innerlich frohlockend eilte sie die Treppe hinunter. Sie wußte von diesem Zarzas noch mehr, es war ihr bekannt, daß er bestechlich sei. Schon manches Goldstück hatte sie ihm in die Hand gedrückt, damit er ihr die geheimen Wege verriete, die sein Herr wandelte.

Der ungetreue Diener, unter vier Augen ins Verhör genommen und durch Nanais geschickt verwertetes Erraten in die Enge getrieben, enttäuschte denn auch ihre Erwartungen nicht. Seine Zunge löste sich. Halb eingeschüchtert, halb gelockt durch klingenden Lohn, gestand er, daß die Sänfte, sobald sie die holde Last ausgenommen hätte, nicht in den Tempel Aschtarits, sondern ins Haus der goldnen Pfauen gebracht werden sollte, wo der Königs-Schofet ihrer harrte.

Die bis zur Raserei aufgewühlte Eifersucht lenkte triebhaft Nanais weitere Entschlüsse, die sie mit der Sicherheit einer Traumwandlerin durchführte. Terilla, die Äthioperin, hinter sich herziehend, kehrte sie mit Beherrschung und äußerlich ruhig in Ellots Gemach zurück.

»Heiß' diese Schlange erst ihr Gift ausspeien, eh' du sie weiter aus deinem Brunnen trinken läßt!«

Die Sklavin, von der Aufdeckung des geheimen Anschlags niedergeschmettert, zu dessen Werkzeug sie sich hergegeben, warf sich zerknirscht ihrer jungen Herrin zu Füßen und beschwor sie unter Tränen und Selbstanklagen, die Sänfte nicht zu besteigen, wenn ihre Tugend ihr lieb sei. Verwirrt und bestürzt forderte Ellot nähere Erklärung. Da legte Terilla unter tausendfacher Verfluchung des verführerischen Goldes, ihr Haar raufend und die Brüste wundschlagend, das Geständnis ab, daß die Sänfte, die Ellot einholen sollte, nicht vom Tempel Aschtarits, sondern vom Königs- Schofeten gesendet sei. Die angebliche Einladung des Oberpriesters, am Tanz zu Ehren der Götter teilzunehmen, gehörte ins Reich der Fabel, stellte sich als betrügerische Vorspiegelung heraus, lediglich zu dem Zweck erfunden, die ahnungslose junge Herrin ins Haus der Pfauen zu verschleppen und den Lüsten des Numiders preiszugeben.

Ein Schauder überlief Ellot angesichts der Gefahr, der sie mit knapper Not entronnen. An aller Hoffnung verzweifelnd, Hanno jemals wiederzusehn, fühlte sie sich verlassen wie in einer Wüste, schutzlos den Anschlägen eines ebenso listigen wie unerbittlichen Raubtiers preisgegeben. Alle Fassung verließ sie. Weinend flüchtete sie an die Brust der Großmutter, flehte sie an, sie zu beschirmen, ihr zu helfen. Und als Belschamee ihr Mut zusprach und sie zu überzeugen versuchte, daß sie auf keine Weise besser behütet sein könnte in diesen unsichern kriegerischen Zeitläuften, als wenn sie sich vertrauensvoll unter den Schutz eines Gatten stellte, wie Gisgon es wäre, da war das Herz des geängstigten Kindes zu verschüchtert, sein Wille allzu zermürbt, als daß es noch länger hätte Widerstand leisten können.

Und so vollzog sich was geschehen mußte.

In ihr Schicksal ergeben, nahm Ellot Gisgons kostbare Schnüre zur Hand, küßte sie unter Tränen und schickte sich an, sie nun selbst in ihr Haar zu flechten. Dies vollbracht, ließ sie sich von der Großmutter die purpurnen Flöre überwerfen. Da saß sie nun demütig unter dicht verhüllenden Schleiern, eine Braut, die klopfenden Herzens dem Nahen des Bräutigams entgegensah. Das Opferfest zählte eine Hingebende mehr ...

Und abermals kamen, doch diesmal nicht jubelnd wie vorhin, die Worte über ihre Lippen: »Er sei mir willkommen! Gib ihm das Zeichen!«

Wie gern gehorchte Nanai! Von Gefühlen des Triumphes getragen, erstieg sie die Zinne des Hauses und ließ ihr Tuch gegen die Zypresse der Dido wehen.

Sie sah, wie Gisgon, der unter dem alten Baume des verabredeten Zeichens geharrt hatte, beflügelten Schrittes den Felsenpfad herunterkam und sich dem Hause näherte. Da eilte sie atemlos die Treppe hinab, trat in den Hof und ließ sich, die dort wartende prunkvolle Sänfte besteigend, in die purpurnen Kissen sinken.

Die seidenen Vorhänge rauschten und verbargen die wollüstig hingestreckte schöne junge Frau den Blicken der Neugierigen.

»Vorwärts und eilt euch!« rief sie den Trägern zu. »Der Königs-Schofet wartet!«

*

Im dämmerigen Rundbau des Allerheiligsten von Aschtarits Tempel stand aus gleichlaufend nebeneinander gestellten Füßen eine lebensgroße weibliche Gestalt aus eitel Gold, das Haupt mit der hohen phoinikischen Tiare geschmückt, sonst unbekleidet. Der Unterleib war aufgeschwellt, von Fruchtbarkeit gesegnet, die Ellenbogen ragten beiderseits wie Flügel nach außen, die Hände hielten je eine der vollen Brüste umfaßt, wie etwa eine Säugende tut, die ihrem Kinde den Born der Nahrung reicht.

Dies Götterbild Aschtarits sollte der Überlieferung gemäß noch aus Didos Zeiten herrühren und aus dem fernen Asien mit herübergekommen sein. Geheime Wunderkräfte wurden ihm zugeschrieben. Unglücklich Liebende suchten Zuflucht bei ihm, Eheleute, die der Nachkommenschaft entbehrten, Frauen, die gesegneten Leibes waren, alle vom Lebensdrang noch ungeborner Geschlechter Gepeinigten.

Ein Quell rieselte zu Füßen der Göttin aus dem Felsen und verschwand in der klaffenden Spalte des Bodens, die ein Erdbeben aufgerissen hatte. Nur ein spannenhoher Sturz bot Raum, den Becher unterzuhalten, so brünstig war die Allmutter, das himmlische Naß in sich aufzunehmen, einzusaugen die befruchtende Feuchte in ihren hingegebenen Schoß, aus dessen Tiefe das Glucksen und Stöhnen wollüstiger Verzückungen emporzudringen schien.

Das schöne große Mädchen, das vor der goldnen Göttin ihre Andacht verrichtet hatte, war nahebei am kühlen Stein ins Knie gesunken, mit hohler Hand den Strahl des klaren Wassers auffangend und sich labend.

Erquickt hielt sie jetzt inne, atmete auf und lauschte.

Abgeschwächt durch die wuchtigen Außenmauern des Tempels ließ sich hier nur wie aus weiter Ferne die Stimme des Donners vernehmen, die fast unausgesetzt als ein einziger dumpfhinrollender Ton über Land und Meer schwebte. Unwillig und gleichsam widerstrebend vermischte er sich mit dem Lärm des Opferfestes, das an diesem Tage in Aschtarits Tempel gefeiert wurde, mit all den sinnverwirrenden Geräuschen, die gleichzeitig aus den ans Allerheiligste anschließenden Räumen herüberschollen.

Deutlich vernahm Channa die geistlich gebundenen Rhythmen der Harfen und Kytharen aus der hohen Tempelhalle, wo die auserwählten Töchter Kart-Chadasts den heiligen Reigen schlangen. Wilder ertönten, von Stimmen der Flöten und anderer Blasinstrumente getragen, aus den dem Volke geöffneten Vorhallen die aufreizenden Weisen, zu denen leichtfertige Dirnen aus den niedrigen Klassen in rasender Tanzwut ihre Körper wiegten oder ekstatische Hierodulen, unter Jauchzen sich die Kleider vom Leibe reißend, bis zur Sinnlosigkeit im Kreise wirbelten. Und dazu tobte unablässig von den dem Tempel stadtwärts vorgelagerten Säulengängen her das wüste Gedröhne der Trommeln und Becken, vermischt mit ohrzerreißendem Geschrei, womit man Dämonen und böse Geister schreckte, um sie dem Heiligtum fernzuhalten. Aber all das vielfältige Gelärme und Getöse, das wirr in einen gemeinsam andauernden Mißklang zusammenschmolz, ließ sich überhören oder vergessen im weihevollen Dämmer dieser gleichsam weltentrückten innersten Andachtsstätte.

Einsamkeit und fromme Stille herrschten darin, nur das klingende Rieseln des Borns war nahe und das verschwiegene Schwelgen der empfangenden Erde. Die Pforte gegen den heiligen Hain, der unmittelbar ans Sanktuarium grenzte, war geschlossen. Durchs geheimnisvolle Zwielicht des hochgewölbten Raumes, den nur ein einziges radförmiges Fenster von hyazinthblauer Sidonischer Schmalte erhellte, wehte erquickende Kühle vom klaffenden Erdspalt herauf, während draußen im dunkelumlaubten Dickicht die Luft stockte. Denn über der regungslosen und gleichsam den Atem anhaltenden Wildnis der Myrten, Öl- und Lorbeerbäume lasteten schwere Gewitterwolken ...

Noch einmal streckte das schöne große Mädchen die Hand aus, von der heiligen Quelle zu trinken, die auch für heilkräftig galt. Ihr Herz war liebeskrank, und nicht das Herz allein. Wie die Erde nach dem belebenden Naß der Fruchtbarkeit, so lechzte ihre aufgebrochene Vollreife nach dem geliebten Mann.

Aus der Nacht der Greuel, da sie in begaffter und bespöttelter Nacktheit mitten durch die Menschenmenge zu schreiten gezwungen gewesen, stammte das Leiden, das unter Schmerzen der Sehnsucht an ihr zehrte. Bedrängt von einem Wüstling, der sich ihrer hatte bemächtigen wollen wie einer Sache, war ihr der Retter, der sie in seinen Schutz nahm, als ein Cherub des Himmels erschienen. Er hatte den Mantel über sie gebreitet, was sonst einer feierlichen Erklärung gleichkam, womit der Bräutigam von der Braut Besitz ergriff, hier aber nichts Besonderes sagen wollte, sie wußte es. Denn es war nichts als eine der Forderung des Augenblicks gehorchende Geste gewesen, darum bedeutungslos. Und dennnoch fiel ihm, den sie damals noch nicht einmal kannte, als reife Frucht in den Schoß, was jener andere, der sie mit Versprechungen hatte gewinnen wollen, so leichthin zu erzwingen gehofft: Liebe. Denn unter dem Eindruck von Tubars hochsinnig behütender Männlichkeit, die nichts Ungebührliches von ihr begehrte, war ihre Keuschheit Weib geworden.

Seither erhob sich im Gebet ihr Herz nicht mehr zur kühlen Tanit, sie suchte Zuflucht jetzt bei Aschtarit. Naturnah, wie sie war, trug sie ihr Leid zur natürlichsten aller Gottheiten. Und heute, am heiligen Opfertag, dem Tage, wo so vieler Jünglinge und Jungfrauen Schicksale sich entschieden, erflehte sie mit verdoppelter Inbrunst den Segen der großen Lebensspenderin, deren geheimnisvolle Urkraft alle äußeren Widerstände, die sich Liebenden entgegenstellen mochten, zuschanden zu machen mächtig genug war.

In ihrer Not hatte sie der Göttin gelobt, ihr herrliches Haar zu opfern, wenn sie sich ihrer erbarmen wolle. Es fehlte an Sehnen für die Wurfmaschinen, langes Frauenhaar war zu diesem Zwecke gesucht. Channas Opfer konnte dazu beitragen, das Heiligtum Aschtarits vor Entweihung durch Feinde zu behüten, die falschen Götzen dienten. So hoffte sie sich ein Anrecht auf Begnadung zu erwerben, indem sie an diesem Tage doch auch eine Buße aus sich nahm, eine Gabe darbrachte, etwas hingab, das ihr lieb war.

Mochte die zeugende Göttin ihr Gelübde erhören und sie dem ersehnten Bräutigam in die Arme führen! Den Schmuck ihrer reichen Flechten wollte sie dann gern entbehren, sich der goldnen Flut, die ihr aufgelöst bis in die Kniekehlen wallte, und die sie als ein Stück ihrer selbst empfand, bereitwillig und ohne Klage entäußern. Höher als ihre Schönheit stand ihr die Erfüllung des Gebots der Liebe. Und wenn Aschtarit es fügte, daß der Freund sich nahte, so würde das Opferfest sich ihr dennoch zum Freudenfest wandeln. Denn sich selbst darzubringen, wie die Erde sich dem himmlischen Segen darbot, bedeutete ihr dann kein Opfer mehr.

Heimlich glühend schimmerte das starre goldene Abbild der Göttin im Zwielicht. Der Quell, an dessen Bord Channa kniete, rieselte jetzt vernehmlicher. Und sie spürte, wie leise ein Mantel sich um ihre Schultern legte. Jäh erschauernd, wagte sie nicht aufzublicken. Gesenkten Hauptes hielt sie still und verharrte, ohne sich zu rühren, in kniender Stellung, während ihr Herz heftig pochte.

Da erschütterte ein Donnerschlag die Erde. Der ganze mächtige Tempelbau schien zu wanken, und in den Tiefen rollte es bebend weiter. Starke Männerarme hoben sie empor und umfingen sie. Channa konnte nicht sehen, wer es sei, das Gewitter drohte und der Abend sank, durch den blauen Glasschmelz des Fensters sickerte kaum noch ein schwacher Schein. Aber vertrauensvoll lehnte sie ihr Haupt an die Schulter des Mannes und ließ sich willenlos gegen den Ausgang führen. Die Pforte sprang auf, sie erblickte den Aethusenkranz um Dubars Haupt und erschrak.

»Zum zweiten Male schon breitete ich den Mantel über dich,« sagte er; »nun soll es endlich gelten! Die Väter konnten sich nicht einigen, aber Aschtarits Ruf übertönt ihren Hader, wenn nur wir miteinander einig sind. Ich frage dich, Channa, willst du mein Weib sein?«

»Für immer und bis in den Tod!«

»Dann laß uns eilen, eh' der Regen losbricht! Es ist nur ein kleines und armseliges Nest, das ich dir bieten kann. Aber wenn die Götter mir Gesundheit und Leben und der Stadt Sieg verleihen, so will ich schon dafür sorgen, daß wir höherkommen!« Und indem er unbewußterweise bei seinem Vater, der sich gern in Sprichwörtern erging, eine Anleihe machte, fügte er voll fröhlicher Zuversicht bei: »Kleiner Anfang hat guten Fortgang, verlaß dich darauf!«

Befreiten Herzens schritten sie Hand in Hand und wie berauscht vor Glückseligkeit durchs abendliche Dickicht des heiligen Hains, an dessen entgegengesetztem Ende der Zimmerplatz des Muttines lag und das sogenannte Stöckel, ein altes unscheinbares Gebäude, das dieser, eh' er seinen verunglückten Werbegang zu Hirom antrat, dem Sohne zugedacht hatte. Die ersten schweren Tropfen fielen und klatschten ins Laub. Channa um die Mitte fassend, beschleunigte Dubar seine Schritte, er trug sie beinahe, er glaubte mit ihr durch den Himmel zu schweben. Aber wie entrückt er allem Wirklichen war, so wählte er unwillkürlich doch die richtigen Wege, die am raschesten ans Ziel führten.

Plötzlich stand Channa still und hielt ihn zurück.

»Nun sag' mir erst: was liebst du eigentlich an mir?«

Er sah sie vor sich stehn in ihrer Schönheit, unter der goldnen Krone ihrer aufgesteckten Flechten. Unbedacht und übermütig antwortete er: »Dein Haar!« und küßte es.

Sie erblaßte.

»Dann kann ich die Deine nicht sein! Mein Haar ist nicht mehr mein, ich habe es Aschtarit verlobt.«

»Und was liebst du nun eigentlich an mir?« fragte er dagegen.

»Dich selbst, wie du bist, wie du lebst und stehst!«

»Dann kann ich der Deine nicht sein! Denn ich bin nicht mehr mein, ich habe mein Leben Milkart verlobt.«

Erschauernd flog sie ihm um den Hals und drückte den Kranz ihm fester in die Stirn.

»So sei Aethusenlaub dein Hochzeitsschmuck!«

»Und dein zum letztenmal gelöstes Haar das seidne Kissen meiner Wonnen!«

Ein Blitz zuckte aus blauschwarzen Wolken und fuhr nahebei in eine alte Olive, deren Stamm zerspalten auseinanderklaffte. Unter fürchterlichem Krachen erzitterte die Erde. Der Regen setzte jetzt reichlicher ein, es prasselte zu ihren Häupten. Die Bäume bogen sich wie Gerten im Sturm, der jauchzend übers Meer heranbrauste und den Gischt der Wogen über die das Heiligtum umfriedende Klippenmauer spritzte, der sie sich bereits genähert hatten. Aufjubelnd zog Dubar das schöne große Mädchen, das keinen Widerstand mehr leistete, mit sich fort:

»Hörst du's, Channa? Eschmun küßt die empfangende Erde, im Blitz, im Sturm, in brünstigen Regenschauern segnet er sie! Mit ungebändigter Wildheit umarmen sie einander und hätten's doch nicht not, so ungestüm zu lieben, sie waren und sie werden sein, sie kennen keine Zeit. Wie knapp dagegen ist die unsrige bemessen! Der Mensch ist endlich, unter seinen Füßen schwankt der Boden. Was steht noch fest im Aufruhr dieser Tage, wer bürgt für's Morgen? Was ist noch mein, was dein, was unser? Nichts als das Heute!«

Wie ein Jauchzen entrang sich's Channas Brust: »Und heute ist Opferfest!«

»Komm! Eilen wir!«

Die letzte Strecke liefen sie, so schnell ihre Füße sie trugen, Hand in Hand geschlungen unter dem immer dichter niedergießenden Regen hin. Im Anblick seines Häuschens ließ Dubar ihre Hand fahren und sprang voraus. Weit riß er die Eingangstür auf. Atemlos stürmte Channa nach und glitt an ihm vorbei ins bergende Nest. Krachend flog hinter ihr die Tür wieder ins Schloß.

Und es war, als hätte das richtige Unwetter noch zugewartet, bis sie in Sicherheit wären. Denn nun brach es erst mit seiner ganzen Gewalt los, in wilden Güssen, als bersteten die Wolken. Tief aufatmete die lechzende Erde und sog wollüstig den befruchtenden Regen ein.

So segnete Eschmun Aschtarits Opfertag.

*

An demselben Nachmittage ließen die Pfauen, die in den öffentlichen Staatsgärten zwischen dem Rathaus und dem Tempel der Tanit gehalten wurden, ihr mißtönendes Geschrei häufiger ertönen als sonst.

In der ganzen Stadt erfreuten diese Pfauen sich von altersher einer gewissen Beliebtheit. Und wie der Volksmund überall sinnige Deutungen liebt, so war er auch nicht verlegen gewesen, den prächtigen blau-goldnen Vögeln ein Märchen anzudichten. Man schrieb ihnen ein sehnsüchtiges Herz zu, denn aus ihrem leiernden Ruf schien ein Ton der Klage zu dringen. Darum sagte man in Kart-Chadast, sooft man die Pfauen von der Bosra schreien hörte, sie sehnten sich nach dem fernen Wunderland zurück, aus dem sie stammten. Und ließ sich die Richtigkeit einer solchen Auslegung auch nicht erweisen, so war sie doch hübsch und bezeichnend für ein Volk ursprünglicher Seefahrer, das selbst an Sehnsucht nach der Ferne litt, je mehr es sich vom Meere verdrängt und aufs libysche Festland eingeschränkt sah.

Als nun, während das Opferfest noch im Gange war, die Pfauen sich durch besonders lautes und anhaltendes Schreien bemerkbar machten, erwachte drängender als sonst in vielen Herzen ein Fernweh. Das Gerücht, die Römer hätten die Landenge von Gara besetzt und damit die Verbindung mit dem libyschen Hinterlande abgeschnitten, bewahrheitete sich, auch die Beherztesten konnten sich, trotzdem die von der Ochsenzunge her drohende Gefahr abgewendet schien, eines leisen Bangens nicht ganz erwehren. Manch einer wäre jetzt überall lieber gewesen als gerade in Kart-Chadast und bereute es wohl gar, nicht rechtzeitig abgereist zu sein.

Andere stellten sich an, als hielten sie die militärischen Bewegungen der Römer für leere Spiegelfechterei, die einer so stark befestigten Stadt keine Sorge zu machen brauche. Sie brachten das Schreien der Pfauen, die der Aschtarit heilig waren, mit dem Opfertag in Verbindung und wollten daraus eine Anklage gegen die städtischen Behörden heraushören. Denn die Göttin, die an Rang und Ansehen hinter Eschmun und Tanit nicht zurückstand, entbehrte noch immer einer eigenen Kultstätte auf der Bosra.

Am nächsten kam der Wahrheit wohl der offene und nüchterne Verstand Hasdrubals, des Numiders. Eine Zornfalte grub sich in seine Stirn, sooft er an diesem Nachmittag aus den prächtigen Gärten, in deren Mitte der jetzt von ihm bewohnte kleine marmorweiße Schofeten-Palast lag, das »Peau! Peau!« der heiligen Vögel erschallen hörte. Er schloß daraus auf bevorstehenden Regen. Die finstern Wolken, die sich seit Mittag über Stadt und Meer zusammenzogen, drohten sich in schweren Gewittern zu entladen. Das war ihm unerwünscht; ungewohnt, an Grenzen seiner Macht erinnert zu werden, hätte er diese Wolken am liebsten verhaften lassen.

Wie ein wildes Tier im Käfig schritt er in dem prächtigsten seiner mit königlicher Pracht ausgestatteten Gemächer rastlos auf und nieder. Es war derselbe Raum, in welchem sein Vorgänger im Amt, Mago, der Bruttier, gestorben war, doch hätte niemand ihn wiedererkannt. Im Gegensatz zu der vordem herrschenden Einfachheit schmückten ihn jetzt die kostbarsten Gewebe, Einrichtungsgegenstände und Kunstwerke, griechischer Schönheitssinn und morgenländische Üppigkeit verdrängten das vom früheren Bewohner bevorzugte altrömische Gepräge. Überdies steigerte eine Fülle von Blumen die Pracht heute auch noch ins Festliche und überhauchte sie zugleich mit Traulichkeit. Die Gärten hatten ihre herrlichsten und seltensten Blüten hingegeben, das Gemach mit Wohlgerüchen zu erfüllen. Es übertraf an märchenhaftem Zauber noch die heimlichen Liebesgrotten, die im verbotenen Bereich von Aschtarits Tempelhain sich unter heiligen Schatten verbargen.

Ein Donnerschlag machte den Königs-Schofeten zusammenschrecken. Er biß die Lippen und ballte unter lästerlichen Verwünschungen die Faust gegen den Himmel. Schäumende Wut kochte in ihm auf über die seiner Rache unerreichbare Tücke des Zufalls, der die verruchten Anschläge gegen die Unschuld eines kaum dem Kindesalter entwachsenen Mädchens zu durchkreuzen drohte.

Schon hatte er sich in der Gewißheit gewiegt, Ellot in seine Hände geliefert zu sehen, die abgefeimten Kniffe und oft bewährten Künste sich bereits zurechtgelegt, mit denen er sie bezaubern, umstricken, überwältigen würde. Er glaubte sich des Sieges sicher, wenn sie nur einmal die Schwelle dieser mit feinster Berechnung des Kenners bereiteten Liebesgrotte überschritten hätte, in der er Aschtarits Opferfest mit der Erfüllung unerhörter Seligkeiten zu feiern gedachte. Jeder Tropfen seines heißen Blutes lechzte nach dem jungen Weibe, das ihn in dieser Stunde die Schönste und Süßeste, die einzig Begehrenswerte auf der ganzen Erde dünkte.

Und nun würde der gerade im unrechten Augenblick drohende Gewittersturm sie vermutlich daran verhindern, die Sänfte zu besteigen! Ein läppisches Ungefähr zerriß die klug gelegten Schlingen! Sich selbst zum Gespött, saß er allein in der geschmückten Laube der erhofften Lüste.

Seine Leidenschaft bäumte sich. Der Gedanke machte ihn fast wahnsinnig. So ungefähr mag dem zum Sprung ansetzenden Löwen zumute sein, der die durch irgendein Geräusch verscheuchte Gazelle seinen Pranken noch rechtzeitig entrinnen sieht.

In tierischer Raserei fiel der Numider plötzlich über einen prangenden Strauß verträumter Lotosblumen her, die in einem kostbaren Glasgefäß von erlesenster ägyptischer Arbeit blühten, und begann sie mit seinen Zähnen zu zerfleischen, daß die zarten weißen Blütenblätter nach allen Seiten umherstoben. Stumm und wehrlos flatterten sie durch die Luft und sanken tödlich getroffen nieder. Bald war der Boden ringsum wie mit dem zerzausten Gefieder unschuldsvoller Vögelchen bedeckt, es sah aus, als hätte der Geier in einen Schwarm argloser weißer Täubchen gestoßen. Der Sinnlosigkeit seines Beginnens sich bewußt werdend, hielt Hasdrubal endlich inne. Der Anblick der Verwüstung ernüchterte ihn, des Zerstörungswerkes überdrüssig, preßte er die Hand gegen die klopfenden Schläfen und blickte wie erwachend um sich. Der Abend dämmerte früher als sonst, alles Licht des Himmels blieb verhüllt.

Aus den Sykomoren des Parkes tönte jetzt ganz nahe der Schrei der Pfauen, und die ersten Regentropfen, die auf irgendein mit Blech verkleidetes Gesims an der Außenseite des Hauses fielen,, verursachten ein Geräusch wie pochende Finger. Da warf er sich erschöpft auf ein Ruhebett und starrte gegen die Decke.

Ein Sklave erschien unhörbar im Gemach, entzündete eine Lampe und schloß die hölzernen Fensterläden gegen den Regen. Dann begann er die übrigen Lichter anzustecken, eines nach dem andern, rosig glühende Lampen, die einen zauberischen Schein über die Blumenpracht ausgossen.

Mehr als einmal stand der Königs-Schofet im Begriffe, ihm Einhalt zu gebieten, doch brachte er nicht die Kraft dazu auf. Alles war ihm gleichgültig geworden, seine Würde, seine Ziele, das ganze Leben. So zwecklos es jetzt schien, die Beleuchtung in dem ursprünglich angeordneten Umfang durchzuführen, er erhob keine Einsprache dagegen. Der Sklave hielt sich an seinen Auftrag und tat ruhig, was ihm geheißen worden. Im märchenhaften Glanz erstrahlte der geschmückte Raum. Aber im gleichen Augenblick, wo nach beendigten Zurüstungen der Sklave ebenso lautlos, wie er gekommen, wieder verschwunden war, sprang Hasdrubal wie verjüngt und gestählt von seinem Lager auf und stand gespannt lauschend still.

Auf Flur und Treppe hatte Bewegung sich vernehmen lassen. Geräusch wie von Schritten näherte sich. Sein Herz pochte wie das eines Knaben.

Eine verschleierte Gestalt stand in der Tür und breitete die Arme gegen ihn aus. Trunken vor Glück sank er vor ihr ins Knie, leidenschaftlich ihre Mitte umfassend und sie an sich ziehend. Sie beugte sich nieder, ihn zu küssen, und lüftete den Schleier.

»Nanai!« schrie er auf und taumelte zurück.

Abscheu und Verachtung bebten in seiner Stimme.

»Nanai, die Mutter deines Kindes!« flehte sie weich und demütig, die gefalteten Hände gegen ihn gerungen.

Er gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung, seinen Zorn zu verhehlen.

»Bist du gesegneten Leibes, so suche die Einsamkeit, faste und reinige dich, wie es für Frauen in diesem Zustand angemessen ist! Was schleichst du dich in mein Haus, mich mit deinem Blick zu vergiften?«

Ein eisiger Strahl von Haß und Härte brach aus seinem Auge, wie von einem Schlag ins Gesicht getroffen wankte Nanai zurück vor der unmenschlichen Grausamkeit der Worte, die er ihr entgegengeschleudert. Aber ohne sie weiter eines Blickes zu würdigen, hatte er das Gemach bereits verlassen.

Aufschluchzend brach Nanai zusammen. Wie eine Rasende raufte sie ihr Haar, schlug sie ihre Brüste, wütete verzweifelt gegen sich selbst, gegen diesen einst heißbegehrten, jetzt so schnöde zurückgewiesenen Leib, und fiel endlich in eine Art schlaffer Betäubung.

In dumpfer Trostlosigkeit auf dem Boden kauernd, deutete sie das ununterbrochene Rollen des Donners, das wie aus den Tiefen der Erde hervorbrechend in ihr getrübtes Bewußtsein drang, als tödliche Verwünschungen, von Mächten der Unterwelt gegen den Verräter ihrer Hingebung und Liebe ausgestoßen. Und in ihrer Benommenheit empfand sie etwas wie Trost darüber und meinte immer noch warten und warten zu müssen, bis die Strafe der Götter sich an dem Ungetreuen vollzogen hätte. Erst als das Kind in ihrem Leib sich regte, ward sie plötzlich ihrer Sinne wieder mächtig, und jetzt erst begriff sie ihr ganzes Elend und die untilgbare Schmach, die der einst Geliebte ihr zugefügt.

Langsam richtete sie sich empor. Sie sah die reinen weißen Blüten umhergestreut, zerstört, zertreten. Ein Sinnbild ihrer Liebe, ihres Lebens. Wo war die reine, unschuldsvolle Nanai geblieben, die einst nach Chammonslust hinauspilgerte, um der keuschen Tanit bleiche Lilien über den Felszinken des Zweihornberges aufblühen zu sehn?

Ein tiefes Mitleid mit den beklagenswerten Lotosblumen ergriff sie. Sie erriet ihr Schicksal und konnte es nur allzu lebendig nachfühlen. Verschmäht! Zurückgestoßen! In den Staub getreten!

Abermals regte sich das Kind in ihrem Leibe. Heftig, mit wahrem Ungestüm, als mahnte es: »Räche mich!«

Nanai hatte sich vollends erhoben. Jetzt zum ersten Male ließ sie einen prüfenden Blick durch das blumengeschmückte Gemach schweifen. Mitten in ihrem Gram kräuselte ein bittres Lächeln der Genugtuung ihre Lippen. Nicht nur für sie, auch für den Numider war Aschtarits Opferfest nicht ganz nach Wunsch verlaufen!

Ihr Auge blieb an der Wand haften. Da hing unter andern kostbaren Waffen ein Dolch in silbergetriebener Scheide, der Griff ein zierlich gearbeitetes kartchadisches Einhorn aus schwerem Gold.

Sie langte ihn herab und steckte ihn zu sich. Und mit der Miene einer Siegerin eilte sie fort, die Treppe hinunter.

Trotz des herrschenden Unwetters befahl sie die Sänfte. Niemand wagte zu widersprechen. Sie stieg hinein. An blinden Gehorsam gewöhnt, hoben die Sklaven die Tragstangen auf ihre Schultern und schickten sich an, den Weg durch den strömenden Regen anzutreten.

Da beugte Nanai sich noch einmal aus der Sänfte. Den Dolch darzeigend, wendete sie sich an den Haushofmeister, der mit einer Laterne leuchtete: »Sieh das wundervolle Andenken, das ich erhalten habe! Sag' deinem Herrn, das goldne Einhorn sende ihm noch einen Abschiedsgruß!«

Die Sklaven setzten sich in Bewegung. Der Regen hämmerte auf das Dach der Sänfte. Aus ihrem Innern aber hörte der verblüffte Haushofmeister noch ein klirrendes Lachen klingen, das ihn an den wehen Ton zerspringender Harfensaiten mahnte.

*


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