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VIII.

Am äußeren Tor von Magara, durch das die Straße gegen Utik-Chah führte, drängte sich eine bunte Menge Volks. Es ging gegen Abend, aller Berechnung nach mußten die in der Morgenfrühe ausgezogenen Gesandten nun bald zurückkehren. Ganz Kart-Chadast fieberte nach den Neuigkeiten, die sie aus Castra Cornelia heimbringen würden.

In Scharen strömten die Leute ins Freie, um ihnen entgegenzuziehen und die ersten zu sein, die etwas Verläßliches erführen. Andere erklommen die hohen steinernen Außenmauern und spähten die Landstraße entlang, die sich in vielfachen Windungen, den Sümpfen und Brackwässern der Mekerta-Mündung ausweichend, durchs begrünte hügelige Gelände hinschlängelte. Noch andere waren an der Schenke in der Nähe des Tores, wo sich die Kellereien des Weinhändlers Nampon befanden, kleben geblieben und stärkten sich zunächst einmal unter den breitästigen Terebinthen, die dort standen, für weitere Unternehmungen.

Der blauarmige Färber Maolan, mit andern Handwerkern, Schiffsleuten und Hafenarbeitern beisammensitzend, führte dort das große Wort.

»Gebt acht, Leute, und merkt euch, was ich sage: jetzt bricht das goldne Zeitalter an! Die Waffen sind wir los, nun hören sich alle Kriegssteuern auf. Jeder kann heute besser essen und trinken als sonst und erspart noch dabei. Denn wer war's, der uns bis jetzt das Leben verkümmerte, uns gleichsam Brot und Fleisch vor der Nase wegfraß? Die Rüstkammern, die aus unserm Erwerb mit Panzern, Helmen und Schilden gefüttert werden mußten! Und wer trank den Wein, den wir selbst gern getrunken hätten? Die Katapulten, die auf unsern Mauerzinnen ein müßiges Faulenzerleben führten! Das waren die Tyrannen, die am Mark des Volkes schmarotzten. Nun sind sie verjagt, es lebe die Freiheit! Wär' der Nampon nicht so ein Panscher, ich tränke mir heut' einen Rausch!«

Die Genossen gröhlten, und Dajag, der Fischer, sagte: »Mir soll's recht sein, ich sauf' mit. Gesteuert haben wir genug, und immer hieß es: Heeresverwaltung und Rüstungsanleihe! Meine Netze, die könnt' ich flicken, solang' noch ein Faden aushielt; aber die Geschütze, die mußten immer von der neuesten Bauart sein.«

»Vielleicht war es gut angelegtes Geld,« wendete ein anderer ein. »Wer weiß, was noch kommt!«

Aber ein halb Dutzend Kerle nahmen sogleich herausfordernd gegen ihn Stellung: Wie er das meine? Ob er verlange, daß das Volksvermögen sich noch weiter an der Soldatenspielerei verblute?

Da zog er sich zurück und wagte nichts mehr dergleichen vorzubringen. In gewissen Kreisen, in denen es gestern noch gefährlich gewesen wäre, ein Einvernehmen mit den Römern zu befürworten, hatte angesichts der vollzogenen Waffenablieferung eine Allerweltsfriedensstimmung die Oberhand gewonnen, die sich in vertrauensseliger Galgenlaune äußerte ...

Der hagere Seilermeister Elym stand auf der Wallmauer und lugte zwischen den Zinnen in die Ferne.

»Ich glaube, ich sehe den Wagen kommen, auf dem sie den Bruttier mit sich führten.«

»Es waren vorhin in der Ferne mehrere Wagen hintereinander wahrzunehmen, ihrer fünf oder sechs ... Sieh! Eben verschwindet der letzte hinter der Bodenwelle von Gara!«

»Mir schlägt das Herz bis zum Halse herauf,« sagte der Seiler. »Was werden sie uns bringen?«

In seinem Handwerksbetrieb gewohnt, fest mit anzugreifen, blieb er dafür im öffentlichen Leben mehr Zuschauer. Aber zu den Lauen und Gleichgültigen gehörte er darum nicht. Er liebte Volk und Heimat und hing an Überlieferungen. Weit entfernt davon, ein Kampfhahn zu sein, hielt er Wehrlosigkeit für ein Unding. Schon den Feinden zulieb, pflegte er zu sagen, sei es Pflicht, auf dem Posten zu bleiben, weil man jene sonst zum Übermut verleite, was letzten Endes nur ihnen selbst zum Schaden gereiche. Denn nichts sei den Göttern verhaßter, als wenn ein Volk sich einbilde, zum Herrn über ein anderes gesetzt zu sein.

Als nun hinter der Stelle, wo er stand, auf der durch die Zinnen geschützten Bahn der Stadtmauerkrönung unter andern Schaulustigen auch der junge Dubar, Sohn des Muttines, vorbeikam und ihn aufforderte, mit hinunterzukommen, um die Nachrichten aus erster Hand zu empfangen, lehnte er ab und meinte: »Ist's was Gutes, so läuft's mir nicht davon. Ist's was Schlimmes, kann ich's erwarten.«

Der Schmied Hirom aber, von minder gelassenem Wesen, stimmte mit Tubar, in dessen Gesellschaft er sich befand, überein, daß es hier nicht so sehr aufs Sehen als aufs Hören ankomme. Auf der Mauer sei wenig zu holen, fand er, und die Straße der bessere Posten. Darum schloß er sich, nachdem sie hinab gestiegen waren, den unternehmungslustigen Haufen an, die aus dem Tor ausschwärmten wie Bienen aus dem Flugloch, den ungeduldig Erwarteten entgegen.

»Es war immer mein Stolz,« sagte er, während sie die staubige Heerstraße entlang zogen, »daß man meine Klingen über den Kopf legen und beiderseits bis an die Schultern herunterbiegen konnte. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn in Zukunft nur mehr mit Hämmern und Sicheln ein Geschäft zu machen wäre, wie Baal Paam-Eljon vorausgesagt haben soll. Tanit ist meine Zeugin, ich würde mich freuen, könnt' ich daran glauben!«

»Ein bißchen langweilig wäre dann die Welt,« antwortete der junge Dubar, der im Zimmermannsgeschäft seines Vaters mitarbeitete, sich aber insgeheim immer nach Abenteuern sehnte. »Im stillen hoffe ich, aufrichtig gestanden, darauf, daß der Bruttier sich noch im letzten Augenblick mit den Römern zerkracht hat und der ganze Waffenzug wieder in unsere Mauern zurückkehrt ... Denn die Verhandlungen mit den Konsuln werden doch wohl vor der endgültigen Ablieferung stattgefunden haben und nicht erst hinterher – was meinst du?«

»Ich meine,« sagte mit trockenem Spott Hirom, der Schmied, »daß das größte Unheil in der Welt nicht die Bösewichter anrichten, sondern die weltfremden Schwärmer ...«

*

Zu Elym, der auf seinem Auslug verharrte, gesellte sich Baga, ein ehrgeiziger Politiker, der sich auf den kleinen Gewerbestand stützte, obgleich er selbst, Wechsler und Geldverleiher von Beruf, mit der Mitgift Nanais, seiner Gattin, so glücklich gewuchert hatte, daß er wie ein Fürst leben konnte. Leutseligkeit gehörte bei ihm zum Handwerk, er mußte doch wissen, wie das arbeitende Volk dachte, und wo der Schuh es drückte, um ihm nach dem Mund reden zu können.

»Vielleicht kommen jetzt bessere Zeiten,« sagte er. »Hoffen wir's. Der bewaffnete Friede war ein kostspieliger Spaß.«

»Der unbewaffnete Krieg wird vielleicht ein noch kostspieligerer sein,« antwortete Elym mürrisch.

Baga merkte, daß er den Mann falsch eingeschätzt habe, und sattelte um.

»Mich wollten sie auch der Ehre würdigen, diesen Gang durchs Caudinische Joch mitzumachen. Ich bedankte mich dafür. Sollen die Römlinge selbst die Verantwortung tragen!«

»Wer die Verantwortung trägt, bleibt sich ziemlich gleich. Aber wer den Schaden tragen wird, darauf bin ich gespannt!«

»Wenn sie gegen die schmachvolle Deditio nicht wenigstens günstige Handelsverträge eingetauscht haben, die dem Volk seine schwierige Lage erleichtern, dann ist es an der Zeit, mit der Mißwirtschaft ein Ende zu machen.«

»Es kommt selten was Besseres nach, wenigstens solange einer dem andern die Schuld zuschiebt, statt daß alle zusammenstünden,« sagte Elym.

»Mit Verrückten gibt es eben kein Zusammengehn! Die Waffen ausliefern – meinetwegen, wir standen unter Zwang. Aber ein politischer Kopf mit Verantwortungsgefühl wird sich erst mal die Gegenleistung ansehn.«

»Gegenleistung?« antwortete Elym. »Ich bin ein einfacher Mann und verstehe nicht viel von Politik, aber so weit kenn' ich mich aus in der Welt, um zu wissen, daß man nur einem lebendigen Löwen einen Köder opfert. Dem toten zieht man das Fell über die Ohren.«

Inzwischen hatten die Staatswagen mit den rückkehrenden Mitgliedern der Abordnung sich genähert. Man sah von der Mauer aus, wie sie auf die ersten Volkshaufen stießen, wie diese sich ihnen in den Weg stellten, sie aufhielten und umringten. Immer mehr heranströmende Menschen sammelten sich um sie, man hörte aus der Ferne Schreien und Johlen, bedenkliche Anzeichen, die auf nichts Gutes deuteten. Endlich setzte der kleine Wagenzug sich wieder in Bewegung, aber langsam und mit Stockungen, denn die aufgereizte Menge, die sich dunkel um ihn ballte, begleitete ihn unter wüstem Lärmen, die Arme in die Luft werfend, Hetzlieder singend, sich eisenfresserisch gebärdend und dazwischen doch wieder allerhand Ulk und Unfug treibend.

Je näher dem Tor, je mehr wuchs der Zusammenlauf. Und innerhalb des locker verbauten, garten- und felderreichen Bezirks der Vorstadt angekommen, schwoll er zum riesigen Bienenschwarm voll reizbarer Unruhe und kochendem Gesumme. Die Späher verloren sich mehr und mehr von der Mauer und eilten hinab. Auch Elym und Baga schlossen sich an. Die Bewegung des Menschenstroms ging jetzt nicht mehr von der Stadt gegen das äußere Tor, sondern in entgegengesetzter Richtung quer durch die Magara stadtwärts, das Heiligtum der Tanit als Leitpunkt vor Augen, hinter dem, durch eine Mulde geschieden, auf halber Höhe der Bosra das Regierungsgebäude lag.

Den Gerber Juba, den er im mitziehenden Schwarm entdeckte, fragte Elym, ob er etwas erfahren hätte?

»Sie hüllen sich in Schweigen,« sagte der ungehalten. »Es gezieme sich vorerst, dem Hohen Rat zu berichten, behaupten sie ... Ausflüchte! Nichts als Ausflüchte!«

Ein abgerissen aussehender Hafenarbeiter, der eilfertig an seiner Seite marschierte, versicherte unter fortgesetztem Fluchen, es werde den Regierenden an den Kragen gehn, wenn sie keine greifbaren Erfolge heimgebracht hätten. Das Volk lasse sich nicht länger an der Nase führen. Zweitausend Katapulten und zweihunderttausend Rüstungen seien kein Katzendreck, dafür dürfe man schon etwas verlangen, was sich sehen lassen könne!

Baga, in der Wahl seiner Mittel nicht überbedenklich, benützte die Gelegenheit, ihn noch stärker aufzuwiegeln. Er strebte ebenfalls gegen die Bosra, um sich in den Hohen Rat zu verfügen, von dem es hieß, daß er noch diesen Abend zusammentreten werde. Das Volk täte gut daran, endlich Abrechnung zu halten, meinte er; auf alle Fälle wäre es an der Zeit, daß neue Männer hinaufkämen. Der Hafenarbeiter aber maß ihn mißtrauisch von der Seite und sagte: »Jawohl, das arbeitende Volk selbst muß seine Sache in die Hand nehmen!«

Es mochte ihm beim Verladen irgendeine Last auf den Fuß gefallen sein, er stützte sich auf einen Stock, den er statt des kranken Beins einsetzte, und kam mehr springend als regelrecht schreitend vom Fleck. Der hagere Seiler meckerte still in sich hinein, die Abfertigung, die Baga zuteil geworden, machte ihm Spaß. Anderseits ermaß er, wie er den fußkranken Schiffsverlader so aufgebracht, seines Zustandes nicht achtend in tollem Eifer mit den andern Schritt halten sah, nicht ohne geheime Sorge und doch auch wieder mit einer Art von Respekt die leidenschaftliche Entschlossenheit, die in manchen dieser Leute aus den untersten Schichten wühlen mußte. Denn obgleich man dem Hinkenden anmerkte, daß er sich vor Schmerzen kaum zu schleppen vermochte und eigentlich in die Hände des Wundarztes gehört hätte, war der ganze Mann, fortwährend schimpfend und mit wutverzerrtem Gesicht die freie Faust in der Luft ballend, eine einzige heißblütig zusammengefaßte Anklage gegen die herrschenden Klassen. Etwas Schreckeneinflößendes lag, trotz der lächerlichen Bockssprünge, mit denen er sich vorwärts bewegte, in seinem ganzen Gehaben, man konnte sich beinahe vor ihm fürchten.

»Volksgenossen, daß ihr es wißt,« schrie einer aus den mitziehenden Rudeln, »ich leg' mich heut' nicht schlafen, bevor ich nicht die volle Wahrheit erfahre!«

»Dafür laßt mich sorgen!« rief Baga. »Wenn ich vom Altan des Rathauses mit einem Tuche winke...«

Er wurde überschrien: »Wir lassen uns nicht hinterrücks verschachern! Die Wahrheit wollen wir wissen!«

»Die Volkspartei, der ich angehöre...!« begann Baga neuerdings.

Aber niemand beachtete ihn. »Die Wahrheit! Die Wahrheit!« scholl es von allen Seiten.

»Nieder mit der Geheimtuerei!«

»Wir sind Bürger von Kart-Chadast so gut wie die andern,« rief Juba, der Gerber. »Wir müssen wissen, wie es um uns steht!«

»Wenn sie nicht Farbe bekennen – Sturm auf den Regierungspalast!«

Ein Gejohle stieg auf. Der Boden widerhallte vom entschlossenen Schritt der hinziehenden Massen.

Und Elym, zerrissen von bangen Zweifeln und noch immer hoffenden Erwartungen, marschierte mit.

*

Auf dem Platz der Dido dämmerte bereits der Abend. Schwüles, trübes Wetter war eingefallen, der Himmel bewölkt....

Die Menschen, die sich hier drängten, klebten zusammen wie Sardellen, die man nach einem glücklichen Fischzug in Kisten und Tonnen preßt. In dichter Packung standen sie nebeneinander, und die rasch zunehmende Dunkelheit ballte sie zur unförmlichen Masse, denn die Lichtquellen der Nacht versagten. Kein Mond, kein Stern, auch das ferne Wetterleuchten über dem Meer gab keine Helligkeit. Und der notdürftige Schein der Lampen, der im Innern des Rathauses flackerte, wurde von den dicken Mauern aufgesogen, eh' er ins Freie sickern konnte.

War je eine große Menschenmenge so lautlos gewesen? Die Erwartung machte sie stumm, sie lauschten. Keinen Ton, der etwa aus dem Regierungsgebäude dringen würde, wollten sie sich entgehen lassen: brachte er nicht Aufschluß, so konnte er doch allerhand Mutmaßungen Anhalt bieten, sich daran emporzuranken. Nur mit gedämpfter Stimme tauschten sie ihre Meinungen. Niemand schrie oder wetterte, die Unsicherheit des Kommenden war zu groß. Und die Spannung der Gemüter sparte ihre Entladung auf den Augenblick der Entscheidung.

Muttines, ein wohlhabender Bürger, Zimmermann seines Zeichens, nach Art der Besitzenden Schönseher in Augenblicken der Gefahr, wollte in der merkwürdigen Stille, die im Rathaus herrschte, eine gute Vorbedeutung erblicken.

»Stünd' es wirklich so schlimm, wie manche meinen, so ging' es in -der Sitzung sicherlich drunter und drüber,« wendete er sich an einen ihm unbekannten Nachbar.

»Und doch muß was Ungeheuerliches in der Luft liegen!« antwortete der Angeredete. »Was es sein wird, kann ich natürlich nicht erraten. Ich weiß nur so viel, und das ist aber ein verdammt schlimmes Zeichen: ihrer Dreißig zogen sie aus, aber bloß etwas über zwanzig waren es, die wiederkehrten.«

»Wo sollen die andern geblieben sein?«

»Vielleicht als Geiseln zurückbehalten?«

»Gesandte! Friedensunterhändler! Eine solche Mißachtung der göttlichen Gesetze halte ich für ausgeschlossen!«

»Den Römern ist alles zuzutrauen ...«

Übrigens war es auch dem Hirom, der an einer anderen Stelle stand, aufgefallen, daß die Zahl der Heimgekehrten sich vermindert hatte. Nach seiner Schätzung fehlten ihrer sechs oder acht, er wußte sich ebensowenig eine Erklärung dafür wie Muttines. Jarbas indessen, den er in seiner Nähe entdeckt hatte, behauptete, es könne nicht anders sein, sie müßten sich zu den Römern geflüchtet haben.

»Was nicht gar!« brauste der Schmied auf. »Und weshalb denn?«

»Aus Angst!«

»Vor wem?«

»Vor wem sonst als vor dem Volk? Offenbar wagten sie es nicht, die Stadt noch einmal zu betreten. Es sind gerade die verwegensten Römlinge, die ich vermißte!«

»Den Bruttier sah ich doch mit eigenen Augen!« stellte Hirom fest.

»Der Bruttier, die alte, wacklige Seespinne, hat nicht mehr viel zu verlieren, er ist mit zurückgekommen. Auch Paam-Eljon, ihn schützt seine Würde. Auch Blanno Tigillas, er ist ein Mann. Wo aber blieb Matho? Sahst du ihn? Ich nicht! Er fehlte ganz bestimmt, vermutlich besorgte er, man werde ihm die Geiselverschiffung nach Lilybaion heimzahlen.«

Bekümmert fragte der Schmied: »Und du hältst es für möglich, daß sich in dieser Bedrängnis der Stadt ein Punier fand, der zum Überläufer wurde?«

»Mehr als einer!« versetzte Jarbas mit Bitterkeit. Und noch vier oder fünf Namen von ausgesprochenen Romfreunden aufzählend, die er vermißt hätte, fragte er: »Wo sollen die hingekommen sein? Hat die Erde sie verschlungen? Sie alle fehlten, ich paßte gut auf am Tor von Magara!«

»Und du meinst wirklich –?«

»Jawohl, das meine ich! Mehr noch! Fest überzeugt bin ich davon, daß sie wie Matho eine Anbiederung an Castra Cornelia der Rückkehr vorzogen, weil sie die Rache des Volkes fürchteten ... Und daraus kannst du ungefähr erraten,« fügte er hinzu, »welcher Art die Botschaft sein dürfte, die unsre Gesandten dem Hohen Rat zu überbringen haben!«

Voll Empörung hörte Hirom, der Schmied, ihm zu. Er schwieg. Nur seine Zähne knirschten: »Eschmuns Fluch! Soll Milkarts Feuer sie sengen!«

*

Wieder an einer anderen Stelle auf demselben Platz der Dido stand mitten unter Genossen ein Mann, der seine Umgebung um mehr als Haupteslänge überragte.

»Jetzt geht mir bald die Geduld aus,« sagte er; »man hört keinen Laut. Das müssen arge Dinge sein, die sie nur wispernd miteinander besprechen können!«

»Vielleicht hat sie all zusammen der Schlag gerührt, als die Abgesandten ihnen berichteten,« meinte ein Spaßvogel.

Ein anderer sagte: »Die sahen selbst wie die Leichen aus, ich stand ganz nahe, als sie vorbeikamen. Sie machten kein Hehl daraus, daß Unheil bevorstehe.«

Sadraf, der Hafengeruch um sich verbreitete, weil das Teeren der Schiffe seine Beschäftigung war, erging sich in bitteren Vorwürfen.

»Als sie in geheimer Sitzung die Waffen auszuliefern beschlossen, standen wir auf demselben Fleck wie heute,« sagte er. »Was redete ich euch nicht zu: Stürmen wir! Ihr begnügtet euch mit Schreien. Nun habt ihr's!«

»Damals war das Haus von einer starken Wache besetzt!« antwortete der Riese, den sie Goliath nannten.

»Der Hipparch Melekpalas ließ den Platz räumen, wir wurden einfach auseinandergejagt. Heut' steht es anders. Ein paar Polizeisoldaten für die ganze Stadt ist alles, was ihnen die Römer gelassen haben.«

»Aber was nützt es uns heute, wenn wir die Gewalt an uns reißen? Ich bin sicher, die Römer verlangen zu den Waffen auch noch eine ausgiebige Kriegssteuer, vielleicht auf Jahre hinaus. Das ist es, was der Bruttier uns noch nicht bekanntzugeben wagt! Darüber flüstern sie da drinnen und zerbrechen sich die Köpfe, den bittern Trank in Honig einzurühren, damit wir ihn gutwillig verschlucken. Und was wird uns übrigbleiben, als ihn hinabzuwürgen? Wer immer am Ruder sein wird, die Römer stehen in Castra Cornelia, und wir haben keine Waffen!«

»Hoho, wenn es wieder Tribut gibt, so kommt's erst noch darauf an, wer ihn zahlt!« warf Dajag, der Fischmeister, ein.

»Und insofern bleibt es sich durchaus nicht ganz gleich, wer am Ruder sein wird,« ergänzte ein anderer seinen Gedankengang. »Denn wer brachte in Wahrheit die zweihundert Talente jährlicher Kriegsentschädigung auf, fünfzig Jahre lang, von Hannibals Zeiten her?«

Worauf Dajag mit der erwarteten Antwort einsetzte: »Wir waren es, die sie bezahlten! Wir Volk! Wir kleinen Leute! Wir allein! Hat die Politik der libyschen Grundherrn zu einem neuen Tribut geführt, so sollen sie ihn diesmal selber zahlen!«

»Steht es so, dann allerdings – dann muß endlich das Volk selbst ans Ruder!« entschied entschlossen der Riese Goliath.

Und alle waren darin einig, daß man sich die ungerechte Verteilung der Steuern nicht länger gefallen lassen könne, wenn die Entwaffnung wirklich neue Lasten statt der anfangs erhofften Erleichterungen bringen sollte.

Aber Maolan, der Färber, der in der Nähe stand und das Gespräch mit angehört hatte, mischte sich ein: »Laßt euch nicht ins Bockhorn jagen, Leute! Rom ist immer gerecht und gegen Unterworfene milde gewesen. Jetzt, wo sie die Waffen haben, bauen sie uns sicher goldene Brücken. Von einem neuen Tribut kann keine Rede sein, im Gegenteil! Gerade den Römern werden wir's zu danken haben, wenn durch einen endgültig gesicherten Frieden die Lasten sich erleichtern. Denn war es etwa keine Tributpflichtigkeit, wenn wir dem Heereshaushalt jahraus jahrein mit dem besten Ertrag unsrer Arbeit zu zinsen hatten?«

»Warum aber machten dann die Gesandten einen so niedergeschlagenen, einen geradezu verzweifelten Eindruck?« wendete Sadraf dagegen ein. »Warum brachen sie in Klagen aus und deuteten offen an, daß sie Schlimmes mitbrächten? Und warum braucht der Hohe Rat so lange, uns das Ergebnis ihrer Sendung bekanntzugeben?«

»Dafür gibt es eine einfache Erklärung,« antwortete Maolan. »Bei den Römern stützen die Regierenden sich aufs Volk. Darum möchten sie es auch bei uns mit dem wirklichen Volk zu tun haben. Ihre Feindschaft richtet sich nicht gegen uns, nur gegen die führenden Kreise, die wenigstens früher so oft durch Rasseln mit den Waffen ihren Unwillen erregten. So werden sie, denk' ich, verlangt haben, daß der Klüngel abdankt und das Volk selbst die Leitung der Geschäfte in die Hand nimmt. Und denen da oben, mit den großen Köpfen, denen fällt es natürlich schwer, ihre Niederlage zu bekennen und auf die gewohnte Macht zu verzichten. Leuchtet das nicht ein? Was zerbrecht ihr euch die Köpfe, warum sie so lange zögern, uns reinen Wein einzuschenken? Bedarf es wirklich noch einer anderen Erklärung?«

Die Auslegung Maolans fand Gläubige. Man fing wieder zu hoffen an. Von Mund zu Mund verbreiteten sich über den ganzen Platz hin die haltlosen Erfindungen des Färbers als angebliche Tatsachen, die aus bester Quelle herrühren sollten. Und in vielen, die dem Verzagen nahe gewesen, begann, wie welke Pflänzchen, wenn man sie begießt, Vertrauensseligkeit und Zuversicht, die unausrottbar in der Menschenbrust wurzeln, sich wieder aufzurichten. Gar mancher kleine Ehrgeizling, der auf Anhang zählen zu dürfen glaubte, sah sich bereits mit Stab und Amtsmütze des Schofeten bekleidet. Und das wichtigste Geschäft, das er alsbald in Angriff zu nehmen sich gedrungen fühlte, bestand selbstverständlich darin, eine Steuerreform für das bevorstehende goldne Zeitalter zu entwerfen...

»Die Hauptsache wäre die Abschaffung des Staatsmonopols auf Flachsbau und Leinenweberei!« sagte einer. »Der Grundbesitz, der den Eigenbedarf deckt und meist in der Lage ist, sich einen webenden Sklaven einzustellen, wird nicht davon betroffen. Für die städtische Bevölkerung hingegen bedeutet dies staatliche Sonderrecht eine wahre Abzapfung. Keine Steuer ist so drückend wie diese, keine so ungerecht und keine...«

Hier unterbrach er sich selbst. Er sprach nicht zu Ende. Ungeheures Schreien und Wehklagen hatte im Innern des Rathauses sich erhoben.

*

Es waren Laute, die in ihrer Urkraft etwas Tierisches an sich hatten, so unmittelbar äußerten sich darin Schmerz und Verzweiflung.

Sie schnitten der harrenden Menge durch Mark und Bein, und sofort ernüchtert und der Wahnvorspiegelungen beraubt, an die sie sich eben noch geklammert hatte, brach auch sie in dumpfes Jammern und Heulen aus. Niemand kannte den Grund der plötzlichen Trostlosigkeit, aber einem jeden sagte eine Ahnung, daß sie gerechtfertigt sei.

Elym, der in der Nähe des Eingangstores stand, sah jetzt auf einem darüber vorragenden Söller eine hellere Gestalt aus der Dunkelheit auftauchen.

»Kartchader! Wir sind verraten!« brüllte eine Stimme über den Platz hin.

Neues Geschrei und Gejohle.

»Es kann nur Bomilkar sein!« hieß es. Kein anderer Volksredner verfügte über eine solche Lungenkraft. »Stille! Stille!« mahnte es von allen Seiten. Eine zweite Gestalt war neben der Bomilkars sichtbar geworden. Elym erkannte sie, sie schwenkte ein weißes Tuch.

»Hört, was Rom verlangt!« schrie Baga vom Söller herunter. »Von Haus und Herd wollen sie uns vertreiben! Die Stadt dem Erdboden gleichmachen! Soweit haben die Regierenden es gebracht! Wehrt euch, Bürger von Kart-Chadast!«

Einen Augenblick stand alles wie gelähmt. Dann faßte unter wahnwitzigem Toben und Pfeifen ein wirbelnder Strom den einzelnen und riß ihn mit sich fort.

Im Nu sah Elym sich durch eine finstere Torfahrt gepreßt und eine breite Treppe emporgetragen. Ein hoher, matt erleuchteter Saal tat sich auf, durch den flüchtende Gestalten wie Schatten auseinanderstoben. Und das Schreien des eindringenden Volkes fand Widerhall in den Reihen der barkidischen Partei, die, großenteils auf ihren Plätzen verharrend, mit den Sitzgestellen rasselnd, ein wahrhaft unterweltliches Getöse hervorbrachte.

Alles stürzte gegen die Empore, wo krumm und klein geschlagen wurde, was leicht aus dem Leim zu gehen versprach.

Aber mitten im Getümmel erhob sich an höchster Stelle, während viele durch die dahinter befindlichen Türen die Flucht ergriffen, Mago, der Bruttier, starr und reglos wie eine aufrecht zur Schau gestellte Leiche. Und ihm zur Seite ragte eine hohe, männliche Gestalt mit mächtigem, bis auf die Brust herabwallendem Bart: Blanno Tigillas, der einzige von den Parteigenossen, der den Mut hatte, neben ihm standzuhalten. Bleich, aber stolz aufgerichtet stand er wie abwartend da und sah scheinbar gelassen dem wüsten Treiben zu, das sich zu seinen Füßen abspielte, offenbar fest entschlossen, den hilflosen Greis an seiner Seite im Augenblicke der Gefahr mit seinem eigenen Leibe zu decken.

Hätte er doch bedacht, daß blinde Leidenschaft vor der Hilflosigkeit eher haltmacht als vor der Kraft, durch die sie sich herausgefordert fühlt! Ein Hafenarbeiter, der sich mit wundem Fuß mühselig an einem Stock schleppte, sprang plötzlich wie ein giftiger Köter an ihm herauf, faßte mit der Faust in seinen Bart und riß ihn, ihm ein Bein stellend, nieder, vom Sturz des gewaltigen Mannes selbst mitgerissen. Beide fielen sie krachend zu Boden und kollerten ringend die Stufen hinunter. Sadraf sprang hinzu, er faßte den Tigillas am Handgelenk, irgendein Prolet erwischte den andern Arm, so schleiften sie den Wehrlosen durch den Saal, während der Hinkende, der sich wieder erhoben hatte, unter Ächzen und Stöhnen hinter ihm drein torkelnd, mit seinem Stocke wutentbrannt auf ihn loshieb.

»Bürger von Kart-Chadast!« schrie der Bruttier mit dem letzten Aufwand an Kraft in den Saal. Einen Augenblick setzte das Getöse aus. Man horchte auf.

»Vergreift euch an mir, nicht an andern!« flehte Mago, völlig am Ende seiner Haltung. »Ich allein trage Schuld! Ich vertraute der Menschlichkeit, ich konnte nicht glauben, daß rechtlos sei, wer sich nicht wehren kann. Ich wollte euer Bestes, die Götter verblendeten mich. Hier steh' ich, ein Opfer meines Irrtums. Reißt mich in Stücke, ich hab' es nicht anders verdient!«

Er brach zusammen. Den Kopf in die Arme gedrückt, lag er über dem Pult. Man sah, wie ein krampfhaftes Schluchzen seinen hinfälligen Körper schüttelte. Ein blutgieriger Rudel wollte sich auf ihn stürzen. Aber mit ausgebreiteten Armen hatte Goliath sich vor ihm aufgepflanzt.

»Daß mir den Jammerlappen keiner anrührt! Er soll leben und das Elend mit ansehn, das er über die Stadt brachte, das sei seine Strafe! Morgen früh jagen wir ihn aus den Mauern, zu seinen lieben Freunden, den Römern, hinüber. Für heute gibt's Wichtigeres zu tun. Es sind noch Italiker in der Stadt, auch verkappte Romfreunde genug. Sorgt dafür, daß mit dem kommenden Tag die Luft rein sei! Verräter und Ausspäher können wir jetzt nicht mehr dulden in unsern Reihen! Wir würfeln um Leben oder Tod! Der Kampf geht um den Bestand von Kart-Chadast!«

»Nieder mit den Italikern! Nieder mit den Römlingen!« brüllte die Menge.

Niemand achtete mehr des Bruttiers. Alles drängte und stürzte ins Freie. Den schon halb bewußtlosen Tigillas schleiften seine Peiniger die Treppe hinunter, jetzt bei den Füßen anziehend, daß der Kopf polternd auf jede Stufe schlug. Und auf dem Platz der Dido angelangt, warfen sie ihn in den Straßengraben und ließen ihn liegen, ohne sich weiter um ihn zu kümmern, sie hatten dringlichere Geschäfte zu verrichten.

Denn es bildeten sich jetzt unternehmungslustige Rotten, die nach allen Richtungen hin durch die Stadt auf Abenteuer auszogen. Eine jede erkor sich ein bestimmtes Gebiet für ihre Tätigkeit, innerhalb dessen sie die Verdächtigen aufgreifen, die Überwiesenen unschädlich machen wollte. Fackeln flammten durch die Straßen, wilde Mordgier feierte bluttrunkene Bacchusfeste.

Inzwischen hatte Maharbal, der sich darauf verstand, den wirksamen Rahmen für eindrucksvolle Bühnenvorgänge zu schaffen, Bläser auf die Bosra beordert. Auf den Stufen des Eschmun-Tempels stehend, stießen sie aus riesigen Widderhörnern eintönige Weck- und Notrufe hervor, die bald kurz abgebrochen wie gellende Schreie, bald langgezogen wie ein klägliches Stöhnen klangen. Und unter diesem schreckeinflößenden, alle Sinne aufpeitschenden Getön, das ohne Unterlaß die Lüfte zittern machte, glühte durch die Gassen und über die Plätze der rote Schein der Fackeln, johlend zogen entmenschte Horden von Haus zu Haus, wie Rasende nach Rache schreiend und die Fährte aller jener verfolgend, welche die Geiselverschiffung und die Waffenauslieferung befürwortet hatten oder sonst irgendeines Zusammenhangs mit Rom und den Römern verdächtig waren ...

In dieser Nacht schloß kein Kartchader ein Auge zum Schlaf. Der Schein der Fackeln war zu grell, das Schreien der Volkshaufen gellte zu laut. Und immer und immer heulten und stöhnten und brüllten die Widderhörner den Sturmruf der Greuel und des Entsetzens von der Bosra herunter über die unglückselige, von Fieberschauern geschüttelte Stadt ...

*

Im Schmiedegäßchen klopfte es heftig an ein Haustor. Oben wurde ein Fensterladen halb aufgetan.

»Wer ist es?«

»Um aller Götter willen, Channa, bitte deinen Vater uns beizustehen, sie haben meinen Mann fortgeschleppt!«

»Deinen Mann, Serenia? Tanit steh' uns bei! Der Vater ist nicht heimgekommen, ich habe selbst Angst um ihn.«

»Dem Hirom geschieht nichts, man kennt seine Gesinnung. Aber Pinarius – bei Eschmun, er ist staatstreu und mit Leib und Seele Kartchader, aber sie verzeihen ihm seine italische Abstammung nicht. Hilf mir, Channa, in meiner Herzensnot!«

»Wie gerne, wofern ich armes Mädchen dazu imstande bin! Wer war es, der sich an ihm vergriff? Wo befindet er sich?«

»Ein Pöbelhaufen stürmte unser Haus und zerrte ihn aus seinem Versteck. Alle Italiker, schrien sie, seien Verräter, sie müßten ans Messer geliefert werden. Mit Fußtritten und Schlägen trieben sie ihn gegen die Bosra ... Ihn, den kleinen, schwächlichen Menschen,« rief sie, in Tränen ausbrechend, »der nie hätte daran denken können, sich gegen einen einzelnen zur Wehre zu setzen, geschweige gegen eine solche Übermacht!«

»Der Unglückliche! Wie bedaure ich ihn! Und dich, arme Serenia! Was ist da zu tun? Warte, ich will hinunterkommen, daß wir uns beraten!«

Der lange schmale Streifen bewölkten Himmels, der über dem Schmiedegäßchen sichtbar war, erglühte vom Widerschein der Fackeln. Man hätte meinen können, es seien Feuersbrünste, die ihn so rot färbten, und ganze Stadtteile stünden in Flammen. Und immer noch peitschte von der Bosra herunter das Sturmgetön der Widderhörner.

Bei der unheimlichen Helligkeit, die herrschte, genügte der aus dem Tor tretenden Channa ein einziger Blick auf die harrende Gestalt, um ihrer eigenen Angst und Sorgen zu vergessen. Das Unglück des schmächtigen Weibleins, das in seiner äußeren Erscheinung so gut zu Pinarius paßte, dauerte sie. Am ganzen Leibe vom Schreck geschüttelt, hob Serenia stumm flehend die gerungenen Hände zu dem schönen großen Mädchen auf. Aus ihrem sonst fast erloschenen Auge loderte der Wahnsinn.

»Ich wagte es nicht das Haus zu verlassen,« sagte Channa; »sonst wär' ich längst fortgelaufen, den Vater zu suchen, Gut, daß ich's nicht tat! Nun geschehe was wolle, wir müssen ihn finden, er wird sich dafür einsetzen, daß sie deinen Mann wieder freigeben!«

»Wenn es nur nicht zu spät ist!« jammerte Serenia, sich im Aufwärtsschreiten durch die enge Straße an ihre Begleiterin klammernd, die ihr eine schirmende Göttergestalt dünkte ... Aber plötzlich stiegen ihr Bedenken auf, sie besann sich, fing um ihr eigenes liebes Ich zu fürchten an und machte Halt: »Am Ende täte ich besser daran, ihn seinem Schicksal zu überlassen? Pinarius war nicht immer nett zu mir, in jüngeren Jahren hielt er es sogar mehrfach mit anderen Weibern, der Bruder Liederlich! Wie komme ich dazu, mir seinethalben die Finger zu verbrennen? Denn auch ich bin italischer Abstammung, wenn sie dahinterkommen, kann's mir schlimm ergehen! Ich meine, du hattest recht, Channa, dich im Hause zu halten, wer sich in Gefahr begibt, kommt leicht darin um.«

»Willst du den Gatten im Stich lassen in seiner Not? Das kann dein Ernst nicht sein! Für dich selbst zage nicht, Mütterchen, ich bin bei dir! Komm, komm! Jeder Augenblick ist kostbar!«

Auf der Straße, die auf halber Höhe des Bosra-Hügels hinführte, kam ihnen eine johlende Rotte mit Fackeln entgegen.

»Wer seid ihr, Weiber? Wo wollt ihr hin?«

»Laßt sie in Frieden, es sind Gutgesinnte,« sagte einer.

»Verbürgst du dich dafür?« fragte der Anführer.

»Für die Jüngere unbedingt. Es ist Channa, des Schmiedes Hirom Tochter. Ich sah sie nicht oft, aber ihre Schönheit prägt sich ein.«

»Und jede Täuschung ist ausgeschlossen?«

»Wenn ich schon sage, ich habe sie erkannt!«

»Er hat sie erkannt!« grölte ein ausgelassener Kerl, der angetrunken schien. »Hörst du's, schöne Channa? Ich hielt dich für eine Jungfrau, der Ehrenmann da aber behauptet, er hätte dich erkannt! Willst du nur ihm gefällig sein? Ich habe in dieser Nacht schon mehr fürs Vaterland geleistet als er, beweise, daß du eine Patriotin bist, und dank' es mir!«

Ermutigt durch das wüste Gelächter, das die Zweideutigkeit belohnte, wollte er sich Zudringlichkeiten herausnehmen. Es befanden sich aber auch nüchterne und anständige Männer in der Schar, die wehrten ihm, indem sie kurz und bündig erklärten, Ausschreitungen nicht zu dulden. Eine Entweihung der begeisterten Volksbewegung zu verhindern, nahmen sie eine so drohende Haltung ein, daß dem Unflat seine Unternehmungslust bald abhanden kam.

Inzwischen machte Channa, nur froh, daß niemand das Weiblein an ihrer Seite beachtet hatte, sich in aller Stille davon und rief erst aus einiger Entfernung den Weiterziehenden nach, ob niemand ihrem Vater, dem Schmied, irgendwo begegnet sei? Jawohl, antwortete einer, indem er sich, ohne stehenzubleiben, zurückwendete: auf dem Platz der Dido glaube er ihn unter der Volksmenge für einen Augenblick gesehen zu haben.

»Dann befinden wir uns auf dem rechten Weg,« sagte Channa zu Serenia und zog sie mit sich fort.

Der weite Platz vor dem Rathaus erstrahlte jetzt im glühenden Licht der Fackeln, unter deren Qualm und Rauch ein aufgeregtes Menschengewühl sich bewegte. Vom Marktplatz herauf schienen immer neue Scharen zuzuströmen. Es herrschte ein Getriebe, wie wenn an einem hohen Festtag die Gläubigen sich nach einem zur Verehrung ausgesetzten goldnen Götterbilde drängen.

Der Zufall wollte es, daß die beiden Frauen, die niemand beachtete, auf dem Hügelvorsprung, ehe sie am Regierungspalast vorbeikamen, wirklich auf Hirom stießen, der sich eben anschickte, gegen die tiefer gelegenen Stadtteile abzusteigen. Zu ihrer größten Enttäuschung hielt er ihnen aber nicht stand. Kaum hatte er Serenia erblickt, als er mit haltloser Bewegung der Hand und sichtlich bewegt in die Richtung deutete, wo jenseits des Dido-Platzes freieres Gelände zu einer Bodenwelle anstieg, ehe es sich muldenförmig gegen das Heiligtum der Tanit senkte. Nach dieser stummen Gebärde setzte er, das Haupt mit der dunklen Chlamys verhüllend, die er um die Schultern trug, seinen Weg eilends fort und war bald danach, einer Unterredung offenbar mit Absicht ausweichend, auf dem abschüssigen Pfade, der nach dem Marktplatz führte, ihren Blicken entschwunden.

Befremdet durch ein so sonderbares Gehaben und von schlimmen Ahnungen geängstigt, überließen Channa und Serenia sich dem Menschenstrom, der sich in der vom Schmiede bezeichneten Richtung vorwärts bewegte. Am Rathaus vorbei trug und schob er sie allmählich auf die entgegengesetzte Seite des Dido-Platzes. Ein schaudervoller Anblick bot sich ihnen hier dar. Denn auf dem grasigen Abhang sahen sie mehrere Reihen von Kreuzen, aus Pfosten roh zusammengeschlagen, neben- und übereinander aufgerichtet, und daran zappelten, wie aufgespießte Käfer, nackte gemarterte Menschenleiber, die sich unter unsäglichen Schmerzen wanden, die Luft mit Stöhnen und Wehklagen erfüllend.

Gleich in einem der ersten, etwas abseits und oberhalb der übrigen, erkannten sie die dürre, runzlige Kindergestalt des alten Pinarius, der, rötlich angestrahlt von düsterem Zwielicht, kaum mehr als eine Elle über dem Boden regungslos am Kreuze hing, das kurzgeschorene silbergraue Haupt herabgesunken, als hätte er bereits vollendet. Hände und Füße, Knöchel und Handgelenke, von zahlreichen größeren und kleineren Nägeln durchbohrt, waren rot überrieselt, das ganze dürftige Körperchen mit Striemen und blutigen Wunden bedeckt, die die Roheit seiner Peiniger ihm beigebracht.

Es war ein Bild, um einen Stein zu erbarmen. Und gerade wer den Unglücklichen bei seinen Lebzeiten gekannt hatte und sich seiner drolligen Betriebsamkeit und Alfanzereien, seiner das Lachen herausfordernden Erscheinung und Ausdrucksweise erinnerte, auf den mußte diese stumme schaudervolle Erhöhung am Marterholz jetzt einen doppelt jammervollen Eindruck hervorbringen. Denn das Schreckliche wirkt nur um so erschütternder, wenn es, statt auf dem Kothurn einherzuschreiten, sich eher wie ein alberner und doch fürchterlich ernst gemeinter Scherz ausnimmt.

*

Fassungslos war Channa am Kreuzesstamme hingesunken, von Grauen geschüttelt, von Mitleid überwältigt, mit gerungenen Händen das Schicksal des armen, harmlosen kleinen Mannes beklagend, den sie von früh auf gekannt hatte.

Immer war er freundlich zu ihr gewesen, niemals, als sie noch Kind war, hatte er versäumt, einen Granatapfel für sie mitzubringen, so oft er bei ihrem Vater vorsprach. Und auch seit sie erwachsen war, hatte die nachbarliche Freundschaft keine Trübung erfahren, sie sah etwas wie einen gutmütigen, ein bißchen lächerlichen alten Oheim in ihm, und er lohnte es ihr mit einer gewissen abgestandenen Ritterlichkeit, wie sie bei ehemaligen Schürzenjägern manchmal zu den Alterserscheinungen gehört. Und nun plötzlich all die unschuldig-heiteren Erinnerungen in Entsetzen ertränkt! Ihrer Ohnmacht bewußt, hier noch Rettung bringen zu können, vergoß sie Tränen.

Serenia indessen hatte sich ohne äußere Anzeichen von Bewegung dem Unglücklichen gegenüber aufgepflanzt, die arme geschundene Erscheinung wie etwas unfaßbar Fremdes und über die Maßen Abstoßendes starr und tränenlosen Auges betrachtend. In ihrem ausgetrockneten Hirn und Herzen war nach der Überspannung der vorausgegangenen Schrecken nicht mehr viel Empfänglichkeit für neue Erregungen übrig. Sie nahm an, daß Pinarius erledigt sei, und begann darüber nachzudenken, wie sie die Gelder, die im Handelsgeschäfte steckten, am raschesten und ohne zu große Verluste flüssig machen könne, um ihrem Lebensgefährten eine würdige Bestattung auszurichten. Denn ließ die Erinnerung an Zank und Hader langer Jahre sich auch nicht im Handumdrehen auslöschen, Pinarius sollte doch eine Leichenfeier haben, die sich sehen lassen konnte und vor aller Welt Zeugnis dafür ablegte, was für eine gute und wenig nachtragende Frau er besessen hätte. Mit dem übrigen Vermögen würde sie dann so unauffällig wie möglich nach Latium verschwinden, wo die alten Leute schon vor längerer Zeit insgeheim ein kleines Landgut erworben hatten, auf dem sie den Rest ihrer Tage zu verleben gedachten.

Plötzlich seufzte der Gekreuzigte auf, hob ein wenig den Kopf, erkannte sein Weib und stöhnte: »Ach –! Serenia!«

Jetzt quollen doch ihre Tränen, und ihre Hände krampften sich ineinander. »Pinarius!-« rief sie. »Soweit ist es mit dir gekommen? Nun werde ich allein in Latium hausen müssen, warum folgtest du mir nicht! Sagte ich nicht schon lange: Wir haben genug, ziehen wir uns zurück, was brauchen wir noch mehr zu erwerben? Aber wie immer hörtest du nicht auf mich und konntest dir nicht genug zusammenraffen – nun ist es zu spät, was hast du nun davon?«

Ein mit einer langstieligen Axt bewaffneter, abgerissen und verkommen aussehender Kerl, der Wache haltend zwischen den Reihen der ans Kreuz Geschlagenen auf und nieder ging, näherte sich und herrschte sie an: »Es ist nicht erlaubt, mit den Gerichteten zu sprechen! Wer mit Verrätern Umgang pflegt, verfällt der Acht und ist selbst des Todes schuldig!«

»Ich bin kein Verräter!« wimmerte Pinarius vom Kreuze herab. »Immer hielt ich zur Stadt, pünktlich zahlte ich meine Steuern –!«

»Schweig!« schrie ihn der Lotterbube an, die Axt gegen ihn schwingend, als wolle er ihm den Kopf spalten. Und wieder dem Weibe zugewendet: »Bist du am Ende selbst Italikerin? Weise dich aus!«

Da verleugnete Serenia in ihrer Angst den Gatten und beteuerte, mit diesem Manne nichts gemein zu haben und ihn überhaupt nicht zu kennen. Sie hätte ihm nur Vorwürfe gemacht, da er sich offenbar gegen das Wohl der Stadt vergangen haben müsse, und sei lediglich als Begleiterin jenes Mädchens hierhergekommen, einer entfernten Bekannten des Gerichteten, die aber sicherlich ebensowenig etwas Schlimmes im Schilde führe wie sie selbst. Und auf Channa weisend, die noch immer zu Füßen des Kreuzes kauerte, fügte sie hinzu: »Es ist die Tochter Hiroms, des Schmiedes, den jedermann als staatstreuen Bürger kennt.«

Der Axtträger warf einen mißtrauischen Blick auf das Mädchen. Zum Glück drangen gerade an einer andern Stelle des Richtplatzes Angehörige von Gemarterten unter Schreien und Klagen in die gereihten Kreuzeszeilen ein. Er hielt seine Anwesenheit dort für wichtiger und entfernte sich mit der Miene einer entrüsteten Amtsperson, ohne das Verhör fortzusetzen. Pinarius aber war erst jetzt darauf aufmerksam geworden, daß sich knapp unter ihm jemand befinde. Er sah an sich herunter und erblickte Channa zu seinen Füßen.

Noch einmal hob er das Haupt und sagte mit verlöschender Stimme: »Bedeckt mir meine Blöße ... Ich habe immer ... auf Anstand gehalten ...«

Da wendete Serenia sich ab und blickte ins Leere, als hätte sie nicht gehört. Die Angst, als des Pinarius Weib erkannt zu werden, machte sie feig und treulos, sie wagte seinen Wunsch nicht zu erfüllen. Denn wie leicht konnte es ihr an den Kragen gehen, wenn der Büttel von vorhin zurückkehrte, oder ein anderer von den wüsten Volksmännern, die an dem blutigen Handwerk beteiligt waren, auf sie aufmerksam wurde! Channa aber erhob sich von der Erde und löste das malvenblaue Gewand von den Schultern, das ihre Gestalt nach Art eines Himations vom Hals bis zu den Füßen einhüllte. Es war ein ungenähtes rechteckiges Stück Zeug, hinreichend lang, daß es, als sie es jetzt über beide Kreuzesarme schlug, den ohnedies zu kurz geratenen Pinarius in der Mitte völlig bedeckte. Nur der arme kleine zermarterte Kopf blieb noch sichtbar.

»Segne dich Äskulap, gutes Kind!« hauchte er, ihr leise zunickend. Ein dankbares Lächeln voll Not und Qual schwebte um seine Lippen. Aber plötzlich sank das Haupt herunter, man sah, wie unter dem Gewande die letzten Zuckungen seinen Leib erschütterten. Und dann hing das Tuch in schlappen Falten nieder und bewegte sich nicht mehr. Die wächserne Starre des Todes drückte den erloschenen Zügen des grausam Hingemordeten ihr Gepräge auf.

»Es ist aus mit ihm, ich muß mich darein ergeben,« sagte Serenia. »Im Grunde war er trotz allem doch ein guter Mann. Hätte er nur ein bißchen auf mich gehört, statt mir ewig zu widersprechen, so säße er längst in Latium und wäre in Sicherheit. Aber immer war er anderer Meinung, jeder gute Rat, den man ihm erteilte, brach unter seiner Starrköpfigkeit zusammen wie Feigenbaumholz. Daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern. Komm, wir wollen heimgehn, hier ist ein gefährlicher Boden. Vielleicht daß morgen die Bluthunde ausgetobt haben und die Behörden mir seinen Leichnam herausgeben. Dann soll Pinarius sehen, daß ich mich nicht spotten lasse, wenn es gilt, seinem Andenken Ehre zu erweisen. Hat er es auch nicht immer um mich verdient, so bin ich die letzte, die sich in diesem Augenblick daran erinnern würde.«

Damit machte sie sich auf den Weg, und Channa folgte ihr beklommenen Herzens. Ihr Obergewand, das sie dem Sterbenden geweiht, hatte sie auf dem Kreuze zurückgelassen. Darunter nur mit einer gewebten Kalasiris bekleidet, die an Achselbändern unter den Brüsten hängend nicht einmal bis zu den Knien reichte, schämte sie sich nicht wenig inmitten all des Volkes. Aber der Gedanke, daß sie dem unglücklichen Italiker, dem unschuldigen Opfer der Volkswut, noch etwas Liebes hatte erweisen können, stärkte sie auf ihrem Gange. Es war ihr, als lege sie feierlich Zeugnis ab gegen die verübte grauenvolle Untat, indem sie ihre jungfräuliche Blöße zur Schau stellte. Denn sie hatte den letzten Wunsch eines zu Unrecht Gerichteten erfüllt.

Erstaunte, entrüstete, auch lüsterne Blicke aus der umgebenden Menschenmenge begleiteten und verfolgten das schöne große Mädchen von allen Seiten. Aber wie sie so voll stolzer Demut, weder rechts noch links blickend, mitten durchs Gedränge schritt, unter ihrer hochaufgesteckten goldigen Haarkrone, die Hände über den Brüsten gekreuzt, die Augen zu Boden geschlagen – da wagte es niemand, sie zu behelligen, und rings verstummte das Gelärm. Etwas Ehrfurchteinflößendes ging von ihrer Erscheinung aus, das eine abweisende Schutzmauer rings um sie aufzurichten schien, und scheu öffnete sich vor ihr eine Gasse, den ganzen Weg entlang, den sie einschlug. Denn die sich hier mitten im Leuteschwarm in halbnackter Schönheit, wie eingehüllt in den Mantel keuscher Unnahbarkeit, erhobenen Hauptes hinbewegte, schien manchem, der sie erblickte, kein irdisches Mädchen zu sein. Und es fanden sich ihrer immer mehr und mehr, die betroffen miteinander flüsterten und raunten und die Überzeugung aussprachen, daß man es mit einer himmlischen Gestalt zu tun habe.

Denn sie hielten sie für keine Geringere als für Tanit selbst, die Schirmgöttin Kart-Chadasts, die, bestürzt über die Greuel dieser Stadt, aus lichter Höhe herabgestiegen sei, um als lebendige Mahnung an Menschlichkeit und Würde unter toll gewordenen Ungeheuern zu wandeln.

*

Der Zufall fügte es, daß gerade Jophischat, der Sohn Wahballats, des Weges daherkam, in der ganzen Stadt wegen seiner schlechten Sitten kaum minder gefürchtet als wegen seiner seltenen Geistesgaben geschätzt. Es gab wenig Zweige der Künste und des Wissens, in denen er nicht glänzte, aber auch keine Ausschweifung und Unfläterei, deren er nicht fähig gewesen wäre. Von seinem Vater, dem Oberpriester Tanits, mit herrischer Hand zur Strenggläubigkeit erzogen, hatte er sich, vom Geist des Widerspruchs geleitet, frühzeitig darauf verlegt, das Heilige zu verhöhnen, das Hohe in den Staub zu ziehen. Weibliche Reinheit galt ihm schlechtweg für Heuchelei, und als er Channa erblickte, dachte er nicht anders, als daß sie sich zur Verherrlichung Aschtarits öffentlich preisgeben wolle.

Der aus grauer Vorzeit überlieferte Brauch persönlicher Opferung des Weibes war in der rohen Form wahlloser Vermischung zwar längst abgekommen, nur Braut- und junge Eheleute pflegten an hohen Opfertagen dem Liebeskult Aschtarits zu huldigen, die öffentliche Entehrung von einst gleichsam sinnbildlich durch rechtmäßige Hingabe ersetzend: wie so oft fortschreitende Gesittung alter Greuel Herr wird, indem sie den ursprünglichen Sinn mit Anmut verrückt und wohl gar ins Gegenteil verkehrt. Dennoch kam es nicht selten vor, daß zuchtlose Frauen und Mädchen, geheime Begierden hinter dem Schein der Frömmigkeit verbergend, mit den Tänzerinnen und Hierodulen wetteiferten, die im Tempel der brünstigen Göttin berufsmäßig den Mysterien des werdenden Lebens sich weihten.

Daß eine solche Absicht hier vorhanden sei, darüber bestand für einen Jophischat kein Zweifel. Er machte sich an Channa heran und bot ihr Geschenke, reicher als üblich, die sie im heiligen Hain Aschtarits von ihm empfangen würde, wenn sie ihm dahin folgen wolle.

Erschrocken, schamübergossen stand die bedrängte Jungfrau still und blickte wie hilfesuchend um sich, während ein Stoßgebetlein zur keuschen Tanit auf ihren Lippen schwebte.

In demselben Augenblick stürzte aus der gaffenden Menge ein Jungmann, den sie nicht kannte, sich auf den Wüstling und schlug ihm ein Bein unter, daß er rücklings zu Boden fiel. Hierauf das entblößte Mädchen in seine eigene Paemula, eine Art Kapuzenkragen, wie er ihn trug, flugs einhüllend, zog er sie mit sich fort, aus dem Lärm und Gedränge, aus der Grelle der Fackeln. Und weiter, immer weiter aus jenen Gegenden, wo Menschen zuströmten und sich stauten, in abseits gelegene engere Straßen und dunkle Zeilen. Ohne ein Wort zu sprechen, behutsam und sorgend jeden ihrer Schritte bewachend, als hätte er etwas Heiliges in Sicherheit zu bringen, so geleitete er sie auf verborgenen, ausgestorbenen Wegen zwischen den engen Reihen der Häuser entlang.

Channa, halb benommen durch all das Erlebte, hatte sich so blind vertrauend seiner Führung überlassen, daß sie kaum ahnte, in welche Gegend der Stadt sie eigentlich geraten sei. Überrascht fand sie sich erst zurecht, als ihr Beschützer plötzlich ins Schmiedegäßchen einbog. Woher wußte er, wo sie wohnte? Kannte er sie? Sie wunderte sich und zog, an der Tür ihres Hauses angelangt, die Hülle noch fester um ihre Glieder. Schamhaft zögerte sie. Mußte sie ihm nun den Mantel zurückgeben?

»Behalte ihn,« sagte er; »vielleicht komme ich eines Tages, ihn zu holen.«

»Wer bist du?«

»Einer, der dich schon lange kennt, ohne dich je gesprochen zu haben, und doch nicht kennt und dennoch liebt!«

Damit eilte er von dannen. Sie hatte nicht einmal Zeit finden können, ihm zu danken.

*


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