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V.

An einer jener Stellen, wo die Hochfläche von Magara, der geradlinig abgemessenen Fruchtfelder und Gemüsegärten plötzlich überdrüssig, in abschüssigen Wiesenhängen dem Meer zu Füßen sank, lugte nahe dem Strand, aber noch auf der Höhe, ein winziges, blendend weißes Pächterhäuschen mit flachem Dach unter blühenden Obst- und Ölbäumen hervor. Vom Meier- und Nutzhof ein gut Stück entfernt, wurde es von dem alten Zarz und seiner nicht viel jüngeren Frau Scherah bewohnt, Freigelassenen des verstorbenen Chimalkart, die die Bewirtschaftung des umliegenden Gutes nebst einiger zugehöriger Weingärten am Vorgebirge von Kart-Chadast beaufsichtigten.

Mit anderen, viel umfangreicheren Landgütern war auch dieser verhältnismäßig bescheidene, aber in Stadtnähe gelegene Besitz auf Hasdrubal, den Sohn und Erben Chimalkarts, übergegangen. Im Pächterhäuschen befanden sich nur wenige Gelasse. Den untern Teil hatten die beiden braven Alten inne, der obere, von dem eine Treppe auf die Plattform des Daches führte, war dem Eigentümer vorbehalten.

Hasdrubal, für gewöhnlich in seinem Stadtpalaste wohnend, machte nur gelegentlich zu dem Zwecke davon Gebrauch, um wonnevollen Stunden einen verschwiegenen Zufluchtsort zu bereiten. Besonders in der guten Jahreszeit pflegte er manchmal hier zu übernachten – aber niemals allein. Denn von seiten seines noch lebenden Großvaters Masinissa hatte sich auf ihn auch noch ein anderer, ein selig-unseligmachender Besitz vererbt: das heiße, ungestüme numidische Blut, das sich an Liebesabenteuern nicht genugtun konnte und durch keinen gelöschten Durst von seinem leidenschaftlichen Lechzen zu heilen war.

Das kleine weiße Haus im Grünen diente ihm für Fälle, die die tausendäugige Wachsamkeit der Stadt scheuten, zum heimlichen Liebestempelchen. Seinen vertrautesten Freunden gegenüber nannte er es scherzweise Schloß Chammons-Lust.

In dem nicht großen, aber üppig ausgestatteten Gelaß des oberen Stockes, von dessen Fenstern man, je nach der Jahreszeit, zwischen blüten- oder fruchtbeladenen Bäumen hindurch aufs offene Meer blickte, war unter einer Ampel, die nachts rot erglühen konnte, ein sitzendes Marmorbild Baal Chammons von etwa viertel Lebensgröße aufgestellt, gewundene Widderhörner an den Schläfen, mit den Händen beiderseits je ein hoffnungsvolles Lämmlein zu Füßen des Thrones segnend. Und jeden Herbst an einem bestimmten Tage ließ Hasdrubal dem zeugenden Gott zu Ehren ein Fest rüsten. Es bedurfte dabei keines Altars, weder blutige noch unblutige Opfer wurden dargebracht. Denn auf Wunsch des Gutsherrn bestand die Feier lediglich darin, daß jeder Bürger von Kart-Chadast sich am unerschöpflichen Segen der natürlichen Fruchtbarkeit in aller Andacht sollte gütlich tun können. Wer immer an diesem heiligen Tage auf dem Meierhofe von Chammons-Lust sich einfand, war als Gast willkommen und bekam an Braten und Käse, Backwerk und Weintrauben, Früchten, Honig, Milch und frisch gepreßtem Most vorgesetzt, soviel er zu essen und zu trinken Lust hatte.

Hasdrubal selbst suchte auf seinem traulichen Landsitz freilich erlesenere Genüsse. Mit glänzenden Geistesgaben ausgestattet, griechische und römische Bildung mit umfassender Kenntnis des Kriegswesens in sich vereinigend, jung, von eiserner Gesundheit, voll Kraft und Saft, gediegen und übermütig, zuverlässig und sorglos zugleich, bewältigte er die Schwierigkeiten seines Berufes mit derselben Leichtigkeit, mit der er dem Leben die ausgefeimtesten Freuden abzuzwingen wußte. Selbst diese Zeit der Not, Demütigung und nagenden Zweifel, die gerade an ihn, den Oberverantwortlichen für die Rüstkammern, die härtesten Anforderungen stellte, ließ ihn nicht vergessen, daß jeder Tag seine Nacht habe, Vollmond nahe bevorstehe und Frühling sei.

Eine Vollmondnacht im Frühling! Was für ein Rahmen für die Verzückungen der Liebe! Und welcher Schauplatz für die schwärmerische Inbrunst und ausschweifende Begierde, wie sie sich in der Feuerseele dieses Hasdrubal so seltsam miteinander verschwisterten

*

»Sind die Honigkuchen schon fertig?« fragte Zarz. »Spute dich, Alte! Datteln in die Onyxschale! Du weißt, der Herr liebt es, wenn die Sachen auch ein bißchen hübsch aussehen. Ich ordne ihm alles auf ein Tischchen zu Füßen des Chammon ... damit ich später,« sagte er wichtigtuend und geheimnisvoll, »nichts mehr oben zu suchen habe, verstehst du, wenn sie mal da sind, hihihi ...«

»Datteln, meinst du, Datteln?« antwortete die alte Scherah, die Honigwaffeln aus dem Backeisen hervorholend. »Wird schon das Richtige sein, he, he! Datteln, sagt man, machen Kraft.«

»Dazu bedarf es bei unserm Herrn keiner Datteln, verlaß dich drauf! Eher wären sie für uns beide angezeigt. Was meinst du, Alte, wenn wir's nochmal versuchten und recht viel Datteln hinunterwürgten?«

»Geh, unverbesserlicher Wüstling!« stieß sie ihn lachend mit dem Ellbogen an. »Wir könnten eine ganze Oase aufessen, so würde nichts mehr daraus. Mach' vorwärts, und schau' mich nicht mit so verliebten Augen an!«

»Äh – das Fell ist runzlich, aber das Herz noch jung. Wenn ich dich so betrachte, seh' ich manchmal in dir nicht die, die du jetzt bist, nein, die junge, dralle Scherah seh' ich, wie sie zum erstenmal bei mir im Bett lag, lang eh' daß wir heirateten. Hol' die Pest Baal Chammon, den Pfuscher, warum macht er so früh Schluß?«

»Schweig' still! Schwatz' nicht unnötiges Zeug! Und versünde dich nicht! Lang' genug war's lustig, Chammon sei gepriesen! Mit bald siebzig muß man froh sein, wenn andre was haben. Ich freu' mich, Tanit soll mir's bezeugen, ja, freuen tu' ich mich, daß ich wenigstens Naschwerk backen darf für die Herzliebste. Gewissermaßen nimmt man damit doch auch ein klein bißchen Teil an so einer Liebesnacht.«

»Ei, das wär' nicht übel! Mit ihren fast siebzig Jahren nimmt sie noch teil daran! Schäm' dich!« polterte der alte Zarz entrüstet tuend. »Mich schimpft sie aus, dabei macht sie sich die Sache so lebendig, daß sie fast meint, noch selbst mitzutun!«

»Gewissermaßen, sagte ich, nehme man teil daran! Ausdrücklich sagte ich gewissermaßen! Und das bedeutet: eigentlich nicht und nur uneigentlich doch. Stell' dich nur, als wüßtest du nicht, wie ich's meine!« ... Und während sie fortfuhr, an Herd und Anricht umherzuschuften, setzte sie nach einer kleinen Weile sinnend hinzu: »Was es wohl heute wieder für eine sein wird?«

»Ich wette, eine Verschleierte!« meinte er verdrossen. »Die Verschleierten, die hab' ich auf dem Zug. Soll man nicht einmal mehr ein hübsches Gesicht zu sehen bekommen? Unsereiner will doch auch mal seine bescheidene Freude haben! Denk' nur, wenn es etwa so ein richtiges Prachtweib wäre, mit riesigen Augen und einem bläulichen Bärtchen auf der Oberlippe ...«

»Unflat, der du bist! Willst mir noch untreu werden?« zeterte die Alte. »Sie haben ganz recht, daß sie sich verschleiern, die Weiber, die zu ihm kommen. Du alter Onager wärst noch imstand', dir den Kopf verdrehen zu lassen!«

»Meinetwegen! Sollen sie ihr Gesicht verstecken, vielleicht ist's gut so. Die böse Begier, hihi, geht durch's Auge ein. Aber Spaß beiseite,« sagte er; »ich begreife, daß die meisten sich verschleiern. Denn auf Chammons-Lust kommen nur die ganz heiklen Fälle zur Behandlung, verstehst du? Wenn's zum Beispiel eine ist, die von Argolis-Augen, oder wie die Griechen es nennen, bewacht wird, eine Hochgeborene etwa, die man, wenn wir nicht die Republik hätten, Prinzessin oder so was nennen müßte. Na, von denen kann natürlich nicht jede wissen, wie verschwiegen wir zwei beide sind. Und für die andern ist der Stadtpalast tausend gut. Darum kriegen wir diese andern hier überhaupt gar nicht zu sehen, das ist klar. Das sind die Mädeln aus dem Volk und aus dem Bürgerstand, wohl auch Frauen aus Adelsfamilien dabei, kaum die Allerrarsten. Was willst du? Ich bitte dich!« schloß er, den Mund vollnehmend: »Von solchem Zeug hat er jede Nacht ein halb Dutzend in seinem Bett – hintereinander natürlich, der Reihe nach.«

»Geh', geh', geh'!« spottete die alte Scherah, »mach' dich nicht gar zu mausig mit deinem Herrn! Ich weiß schon, daß du es ihm vergönnst.«

»Wenn's nicht der Herr wäre,« sagte Zarz, »so könnte der Neid mich gelb machen. Aber ihm vergönn' ich's wahrhaftig. Und man wird ordentlich selbst wieder jung, wenn man so aus der Nähe mit zuschauen darf, wie er's treibt.«

»Na also, da hör' einer!« rief sie, ein Gefäß mit eingemachten Früchten so heftig auf die Tafel setzend, daß alles schepperte. »Vorhin, als ich was Ähnliches sagte, nahmst du Anstoß daran! Jetzt redest du selber vom Zuschauen. Und dabei hast du nicht einmal so viel Anstandsgefühl, wenigstens das Wörtchen gewissermaßen hinzuzufügen, wie ich es doch für schicklich hielt ... Oh, diese Männer!« schloß sie mit einem Seufzer; »aus welch grobem Stoff sind die gemacht! ...«

*

Scherah hatte sich während dieses Gesprächs angelegentlich damit beschäftigt, eine Anzahl von Schalen und Schüsselchen mit allerhand leckerem Zeug zu füllen und auf ein großes Auftragebrett nebeneinander zu ordnen. Jetzt war sie fertig geworden, nahm es auf und trug es, gefolgt vom Alten, der einen Krug süßen Landweins schleppte, ins schon etwas dämmrige Vorhaus, um die Treppe zum Oberstock hinaufzusteigen. Da ging die Tür auf, Hasdrubal war's, früher als erwartet; denn für gewöhnlich pflegte er erst nach Anbruch der Dunkelheit einzutreffen.

»Hei, da wird aufgetischt!« rief er fröhlich. »Was für eine Ansammlung von Herrlichkeiten! Und wehrlos ist sie vor lauter Lastenschleppen, die gute Mutter Scherah, man muß sich's zunutze machen.«

Damit neigte er sich ausgelassen über das alte Weiblein, dem durch das schwere Aufwartebrett in der Tat die Hände gebunden waren, und raubte der verschämt Aufkreischenden einen Kuß.

»Der Herr ist guter Laune,« sagte der alte Zarz. »Man hört Schlimmes von den Römern drüben – nun, dann wird's so schlimm nicht sein?«

»Darüber laß' uns bei Tage grübeln. Die Nacht ist mein!«

Alle drei stiegen sie ins Geschoß hinauf. Da saß Baal Chammon mit den Widderhörnern und blickte starr und glotzig auf das blühende Lager, das ihm gegenüber aufgeschlagen war.

»Stellt Weihgaben um seinen Sockel, vielleicht freut er sich darüber! Morgen verzehrt ihr sie dann selber, denn wie ich ihn kenne, würde er sie doch nur umkommen lassen.«

Er trat an eines der Fenster. Es war die Stunde zwischen Tag und Dämmern, wo die ersten blassen Sterne sichtbar werden. Nur Ischtar ließ ihr Licht funkeln wie das Blinkfeuer eines Leuchtturmes. Mit balsamischer Milde schmeichelten die Lüfte. Zu Füßen des sanften Wiesenabhangs rollte das Meer. Keuchend ergoß es den Schwall seiner breit überstürzenden Wogen in den Schoß der Bucht, zu der sich das Gestade hier auftat.

Ein Überschwang sehnsüchtig sinnbetörender Gefühle sprengte dem jungen Manne die Brust.

»Den Göttern ganz nahe möcht' ich einmal ein Liebesfest feiern! Durch keine Scheidewand getrennt vom Wühlen des Windes im weichen Fließ der Blüten. Durch keine Mauer geschieden vom brünstigen Stöhnen des Meeres, wenn es mit unersättlichen Ergüssen die Erde umfängt. Erlöst aus beengenden Hüllen, die der Glieder Freiheit schänden! Keinen andern Betthimmel über mir und der Geliebten als die tiefblaue, demantbestickte Seide der Nacht! ... Wie wär's? Ließe sich das Brautlager nicht auf der Plattform des Hauses rüsten?«

Die alte Scherah war wie bezaubert. Selten hatte ihr vom ersten Augenblick an eine sonst ungewöhnliche Sache so gut eingeleuchtet.

»Ein göttlicher Einfall, he, he! Der wird der Herzliebsten behagen! Denn die Liebe, erhabener Herr, ist ein edler Wein, man muß ihn aus goldnem Becher schlürfen ... Siehst du, Zarz,« wendete sie sich aufgebracht gegen den Gatten: »So was ist dir nie in den Sinn gekommen! Dafür warst du immer ein viel zu trockener und schwungloser Dickhäuter. Ach, wieviel ist einem entgangen im Leben! Was man gefehlt hat, das verzeiht man sich hinterher allenfalls noch. Was man Gutes versäumte, wurmt einen bis ins Grab. Oh, du lieber Himmel, könnte man noch einmal jung werden, jetzt wüßte man vieles besser!«

Sie legte gleich Hand an und begann die Kissen über die Treppe aufs Dach zu schleppen, übermütig wie ein Junge half ihr Hasdrubal dabei. Den Alten aber hieß er hinuntergehen und sich ans Zaungatter stellen. Wenn er eine weibliche Gestalt herannahen sehe, möge er mit einem Pfiff ein Zeichen geben. Gewiß, das wolle er pünktlich besorgen, der Herr könne sich auf ihn verlassen, beteuerte Zarz verständnisvoll und machte sich eifrig auf den Weg. Auf halber Treppe indessen kehrte er wieder um und kam nochmals zurück.

»Am besten wird's sein, wir verabreden es folgendermaßen: Kommt zufällig ein Kind daher, so pfeif' ich einmal. Ist es dagegen ein Mann, so laß' ich zwei Pfiffe ertönen. Und drei Pfiffe endlich sollen das Herannahen der Auserwählten bedeuten.«

»Überflüssig! Schone deine Puste!« lachte Hasdrubal. »Kind und Mann kümmern uns nicht, nur ihr Nahen hat für mich Bedeutung. Es anzuzeigen genügt ein einziger Pfiff.«

»Mit drei Pfiffen wär's nun doch ein stattlicherer Empfang gewesen,« meinte der Alte etwas enttäuscht und trollte sich nun endgültig.

Scherah und Hasdrubal aber setzten unter Scherzen und Lachen ihr Werk fort. Sie schlugen wirklich das Lager unter freiem Himmel auf der Plattform auf. Und dann trugen sie auch noch das Tischchen mit den bereitgestellten Erfrischungen hinauf, nachdem sie dem Gott die versprochenen Weihegeschenke zurückgelassen.

»Damit muß Baal Chammon für diesmal sich trösten,« meinte Hasdrubal. »Er wird sich verlassen vorkommen in seiner Einsamkeit, der Ärmste. Aber ich kann ihm nicht helfen. Für mich gibt es diese Nacht keine Götter und auch keine Göttinnen – außer einer!«

»Und die Truhe mit dem Rüstzeug?« erinnerte Scherah. »Schon am Nachmittag brachten Kriegsknechte sie heraus.«

»Recht, daß du mich erinnerst! Fast hätt' ich vergessen, daß morgen mit dem frühesten der soldatische Dienst mich den Armen der Liebe entreißt.«

So schleppten sie dann schließlich auch noch die Truhe hinauf, die Helm, Panzer, Schwert, Schienen und alles sonstige enthielt, wessen er zu seiner vollen kriegerischen Ausrüstung für den kommenden Tag bedurfte.

Als sie ziemlich fertig geworden waren, dämmerte es bereits so stark, daß die Bosra von Kart-Chadast mit dem Eschmun-Tempel, die man bei Tageslicht vom flachen Hausdach wie ein bunt gemaltes Bildchen, von Blütenzweigen umrahmt, aus der Ferne herübergrüßen sah, jetzt nur mehr ein blaugrauer Schattenriß gegen den klaren Abendhimmel stand.

Da ertönte ein geller Pfiff. Hasdrubal flog die Treppe hinunter. Wie ein beflügelter Gott schritt er unter den Bäumen hin gegen die lebende Hecke aus Granatapfelgesträuch, die den Besitz umfriedete. Lautlos glitt ein Schatten an ihm vorbei: Zarz, der sich unsichtbar machte und im nächsten Augenblick auch schon im weißen Pächtershäuschen verschwunden war. Dort verkroch er sich zartfühlend in seine Wohnküche, wo auch Scherah sich bereits eingefunden hatte. Sie kochte den Abendbrei, die angemessene Kost für zahnlose Kiefer.

In ihre Gedanken verloren, gebeugt und müde saßen die beiden Alten einander gegenüber am flackernden Feuer. Aber manchmal, wenn sie sich einbildeten, ein Geräusch vernommen zu haben, horchten sie auf und lauschten. Dann deuteten sie mit dem Daumen in den Garten hinaus, oder mit dem Zeigefinger aufs obere Stockwerk hinauf, flüsterten miteinander, zwinkerten sich zu und kicherten vergnügt und verständnisvoll.

Wenn sich dann herausstellte, daß es eine Täuschung gewesen war und sie nichts mehr vernehmen konnten, blickten sie wieder sinnend in die langsam verflackernde Herdflamme. Und ab und zu schwebte ein halb unterdrückter Seufzer durch den Raum ... Ein Scheidegruß an die Freuden des Lebens ...

*

Eine hell verschleierte Gestalt hatte sich dem sie erwartenden Hasdrubal angeschlossen und war dem stumm Vorausschreitenden bis zu einer Stelle knapp an der Uferböschung gefolgt, wo man unter einem blühenden Fruchtbaum eines freien Überblicks über das dunkelnde Meer genoß. Unzählige Sternbilder strahlten jetzt vom hochgewölbten Himmel, nur über dem fernen Zweihorn-Berge jenseits des Meerbusens verblaßte ihr Glanz vor einem heraufdringenden helleren Schein, gegen den die beiden kühnen Felsgipfel sich als scharfgeschnittene schwarze Riffe abzeichneten.

Im überquellenden Gefühl des drängenden Frühlings, von Freude berauscht, daß sie seinen Lockungen nachgegeben hatte, und bestrickt von ihrer Nähe und Gegenwart, aber noch mit zurückhaltender Beherrschung jede körperliche Berührung vermeidend, um durch vorzeitiges Aufdecken seiner wahren Absichten nichts zu verderben, wendete sich Hasdrubal an die verschleierte junge Frau: »Das Aufblühen roter Rosen, wenn Eos sich des Morgens von ihrem Lager erhebt, ist hundertmal besungen worden. Wär' ich ein Dichter, ich würde das Aufblühen der weißen Lilien besingen, die der lieblichen Tanit nächtliche Pfade säumen. Und ich würde mich an der Seite einer Geliebten, jenem Aufblühen entgegenharrend, an diese weltabgeschiedene Stelle träumen, wo man weit und breit kein Menschenwerk erblickt, nichts, was nicht heute noch so wäre, wie es von Anfang an gewesen. Gehen Dichterträume in Erfüllung? Dir dank' ich es, Nanai, wenn sie es tun. Dir, die, über enge Bedenken sich hinwegsetzend, ihr Versprechen hält, einmal nur, nur ein einziges Mal, auf diesem herrlichen Fleck Erde, den ich liebe wie keinen, dem schweigenden Fest der erblühenden Lilien an meiner Seite beizuwohnen.«

»Einmal nur! Nur ein einziges Mal!« wiederholte Nanai, ihre Schleier zurückschlagend. »In den Mauern der Stadt ist man den Göttern nie so nahe wie im Grünen. Es lockte mich, das Erscheinen der keuschen Tanit einmal nur von der Stelle aus zu beobachten, die du mir in so reizvollen Farben zu schildern wußtest. Ich hoffe, du wirst es nicht mißdeuten, daß ich deiner Einladung folgte, und dich meines Vertrauens würdig zeigen. Du weißt, wie strenge ich bin, gegen andere und – gegen mich selbst.«

»Ich weiß es,« sagte Hasdrubal; »ich würde nie wagen, deine Ehrbarkeit in Zweifel zu ziehen.«

Und im gleichen Augenblicke, seine Worte Lügen strafend, umschlang er sie plötzlich und verschloß ihr den Mund mit stürmischen Küssen. Sie lag in seinen Armen, wehrlos, ohne sich zu sträuben. Ihre Lippen leisteten keinen Widerstand, sie boten sich freiwillig dar, sie suchten wie berauscht die seinigen, in seligem Selbstvergessen.

Endlich, unter vergeblichen Versuchen, sich zu befreien, hielt sie atemlos inne. Die Bestürzung über ihre eigene Schwäche kleidete sich in eine Anklage gegen ihn.

»Willst du meiner spotten? Eben noch versprachst du, mein Vertrauen nicht zu mißbrauchen!«

»Nur immer Worte sind's, ausgeleierte, versteinte Abbilder unsrer innern Unterschleife, die ihrer spotten. Laß' uns schweigend küssen! Nicht was wir sprechen, nicht was wir wollen, nur was wir tun, sind wir selbst.«

Die freimütige Kühnheit, mit der er jedes Bedenken beiseite schob, überwältigte sie. Fast ohne ihr Zutun hauchten ihre Lippen: »Küsse mich!«

Der Abendwind streute Blütenblätter herab, die Nachtigallen sangen. Wie im Schlafe atmete das Meer. Es hielt inne, setzte aus, schwoll näher und rauschte mit dunklem Dröhnen gegen den Strand. Auf dem östlichen Gipfel des Zweihorn-Berges flammte jetzt bleich eine Fackel auf, wölbte sich unversehens zur Silberkuppel und löste sich allmählich vom Felsenriff. Da schwebte im lichten Äther Tanits reines Gestirn, und die Lilien blühten. An tausend Stellen erblühten sie knapp neben der Dunkelheit und quollen über und rieselten nieder. Eine lange, breite, blütenbestreute Straße, über die ganze Bucht hinweg bis in die Schatten des Zweihorn-Berges hinein, flimmerte von weißen Lilien, die unablässig ins Meer niederträuften und in den Wellen versanken.

Das entrückte Gestammel der Liebkosungen, an die zwei heiße junge Menschen sich verloren, gab nur spärlichen Augenblicken der Besinnung Raum. Ein süßes Vögelchen flatterte hilflos im Fangnetz, immer wieder betört von der Schalmei des Vogelstellers.

»Was macht ihr Männer aus uns!« sagte Nanai. »Nie hätte ich's für möglich gehalten, daß ich jemals der Tugend könnte untreu werden. Und noch so jung, kaum länger als ein Jahr vermählt –!«

»Vielleicht hat die Tugend es nicht anders verdient. Wurde sie nicht auch dir untreu?«

»Du sprichst leichtfertig. Weißt du, wie unsre Vorfahren, die Phoiniker, einem Weibe lohnten, das die Ehe brach? Man führte sie vors Stadttor und steinigte sie.«

»Es geschah ihr recht, warum wählte sie einen Liebsten, der so unvorsichtig war, sie der Gefahr des Ertapptwerdens auszusetzen. In Chammons-Lust bist du geborgen.«

»Hälst du es für ein schwereres Verbrechen, sich ertappen zu lassen, als das Unerlaubte zu tun?«

»Es gibt nichts Unerlaubtes, als sich selbst Gewalt antun. Baal Chammon zeugt so viel und oft, wie Kraft und Lust ihn dazu treiben. Wo ist der Schoß, der sich ihm je versagte? Die griechischen Denker grübeln über den Urgrund der Welt. Es sind die Wonnen der Umarmung, aus denen alles Leben strömt.«

»Du bist wie der Sturm, der übers Meer fährt. Noch vor drei oder vier Tagen, als ich versprach, dich hier aufzusuchen, ja, noch in dem Augenblick, da ich diesen Garten betrat, stand unerschüttert in mir fest wie eine Mauer das Gebot der Sitte, das ich als Mädchen für unumstößlich hielt. Nun fühl' ich alles wanken. Ich kenne mich selbst nicht mehr! Denn gegen Vorsatz, Willen und Vernunft gibt jeder Blutstropfen in meinen Adern dir recht!«

»Ein untrügliches Anzeichen, daß du auf dem richtigen Wege bist. Ich kannte noch kein Weib, das nicht ihr höchstes Glück darin fand, der Stimme ihres Blutes zu gehorchen.«

Wie in einen Abgrund sah Nanai plötzlich hinab.

»Du hast viele Frauen hier besessen!« rief sie mit aufflammender Leidenschaft und Eifersucht.

»Keine schönere als dich! Und keine, die mir soviel geben konnte wie du!«

»Was könnte ich Ärmste, eine unter vielen, dir geben?«

»Freude im verzweifeltsten Augenblick meines Lebens!«

Da hing sie sich an ihn, beglückt durch das mütterliche Gefühl des Schenkens, und ließ sich willenlos gegen das Pächterhaus führen.

*

»Es war ein trauriges Geschäft, das mich die letzte Zeit her in Atem hielt,« erzählte Hasdrubal. »Drei trostlose Tage brachte ich damit hin, gemeinsam mit Scipio Nasica, dem römischen Legaten, die Bestände unsrer Rüstkammern zu überprüfen und aufzunehmen. Oh, was für herrliche Waffen besaßen wir und welche Fülle! Hätten wir doch auch den Mut und die Einigkeit besessen, sie zu gebrauchen! Dahin! Alles dahin! Und ich, gerade ich bin befohlen, unsre letzten Kriegs- und Verteidigungsmittel ins Lager der Römer zu bringen! Ahnst du, was mir das bedeutet? Als müßt' ich mir selbst die rechte Hand abhacken – genau so ist mir zumute. So wehrlos, wie ich dann wäre, so wehrlos wird die Stadt sein. Noch nie ging eignes Leid mir so nahe wie diese demütigende Entmannung unsres Volkes. Schon stehen unzählige Wagen, Karren, Tragtiere bereit, die teure Last nach Castra Cornelia zu schaffen. Morgen mit dem ersten Frühlicht übernehme ich den Oberbefehl über den unabsehbaren Zug. Ein Schicksalstag bricht mit diesem Morgen an, wie Kart-Chadast ihn noch nicht erlebte. Niemand kann voraussehen, was die Zukunft bringen wird, aber mir ahnt Schlimmes! ...«

Sie hatten sich dem weißen Häuschen genähert ...

»Nur eine kurze Nacht trennt mich noch von diesem entsetzlichsten Tage meines Lebens,« sagte er wie, auflebend in verändertem Ton. »Kannst du noch glauben, Nanai, du seist eine unter vielen? Wo wären die anderen, deren Zauberkunst mir Vergessen schenken, meinen Kummer wie durch ein Wunder in Seligkeiten verwandeln könnte? Nur du allein bist dazu imstande – so bist du eine Alleinzigste und bleibst es mir für immer!«

Die Schwelle überschreitend, betraten sie den Vorraum, wo es stockdunkel war. Hasdrubal rief nach Licht. Zarz erschien, eine Tonlampe in der Hand, unterwürfig die neue Herrin begrüßend, wobei er nicht versäumte, ihr neugierig ins Gesicht zu leuchten, soweit es mit der schuldigen Ehrfurcht vereinbar blieb.

Sie hielt ruhig stand, hingebungsvoll an den geliebten Mann geschmiegt, mit zurückgeschlagenen Schleiern. Jener erhabene Mut des Bekennertums hatte sie überkommen, dessen das Weib fähig ist, wenn alle Rücksichten und Bedenken hinter dem Wunsche zurücktreten, ihr Schicksal zu erfüllen. Keine ängstliche Vorsicht, keine Furcht vor Verrat machte sie scheu. Sollte dieser Alte über sie denken oder weitererzählen, was er wollte – sie hätte in der Stimmung, in der sie sich befand, niemand, auch ihrem eignen Gatten, kein Geheimnis daraus gemacht, daß sie in diesem Augenblick keinen andern Lebenszweck mehr vor sich sah, als dem Geliebten eine Stunde des Glücks zu schenken.

Zarz leuchtete die Treppe hinauf.

Das Herz hüpfte ihm im Leibe vor verliebter Bewunderung. Er hatte keine Miene zu verziehen gewagt, aber beim schwanken Schein der Lampe genug gesehen, um sich dies holde, mädchenhafte Bild unauslöschlich einzuprägen. Im Chammons-Zimmer angelangt, hielt er die Lampe hoch, auch noch die Treppe zu erhellen, die von hier auf die Plattform des Daches führte. Und so, den Arm in der Luft, Haupt und Rücken ehrerbietig gebeugt, stand er reglos still, während die Liebenden höher stiegen, bis sie in der Falltüröffnung verschwanden.

Da stellte Zarz sein Lämpchen in die Mitte der Weihegaben zu Füßen Baal Chammons und polterte Hals über Kopf in der Dunkelheit die Treppe wieder hinunter.

Er konnte es gar nicht erwarten, seiner Frau Bericht zu erstatten. Er wurde nicht müde, die Schönheit der neuen Herrin in den höchsten Ausdrücken zu preisen. So oft aber Scherah sich um Einzelheiten erkundigte, wie etwa um die Farbe der Augen und des Haars, um den Schnitt der Nase oder des Mundes, mußte er die Antwort schuldig bleiben, sein Wissen versagte. Er wußte nur, daß sie über alle Maßen schön sei, und zwar mehr im lieblichen als im erhabenen Sinne.

Schließlich sagte er: »Wenn du sie dir vorstellen willst, so denk' nicht an die großartigen und prächtigen Blumen, die die Gärtner der Vornehmen in den Gewächshäusern ziehen. Nein, an die blauen wildwachsenden Hyazinthen mußt du denken, die aus den Staffeln der Ölberge blühen und so wundermild duften. Gerade so zart ist sie, so anmutig, so natürlich und so gar nicht stolz oder aufgedonnert.«

Und vergnügt sich die Hände reibend, setzte er hinzu: »Ich bin nur froh, daß sie sich nicht verschleierte und mir ihren Anblick gönnte. Gewissermaßen kann ich mich nun doch in unsern Herrn hineindenken.«

»So läßt sich's allenfalls hören,« sagte die alte Scherah befriedigt. »Das Wörtchen gewissermaßen gibt dem Gedankengang eine gefälligere Wendung und mildert das Anstößige. Wenn uns die Götter noch eine Zeitlang vergönnen, miteinander durchs Leben zu gehen, so färbt von mir schließlich vielleicht doch noch ein bißchen Gesittung auf dich ab. Zu wünschen wär's!«

*

Doppelt milde, doppelt zauberhaft erglänzte auf der Plattform des Hauses die Nacht. Das bräutliche Lager, in der Höhe der Baumkronen aufgeschlagen, war wie ein geborgnes Liebesnest ins Gestrüpp der blühenden Zweige hineingebaut. Ganz nahe, kaum viel größer als eine frischgemünzte kartchadische Roß-Palme und ebenso silberblinkend, stand jetzt Tanits Gestirn knapp darüber. Nicht minder verschwenderisch wie vorhin ins Meer, schien die Göttin ihre weißen Lilien nun aufs zarte duftende Linnen herabzustreuen.

»Kennst du die Sage der lieblichen Ischtar,« fragte Hasdrubal, »die dem Reich der Totengöttin Allat entfliehen wollte, dem Land, dessen Straße sonst ohne Wiederkehr ist?«

»Sieben Pforten, wenn ich mich recht erinnere, hatte sie zu durchschreiten,« antwortete Nanai, »und an jeder mußte sie dem Pförtner eine Gabe zurücklassen.«

»An der ersten ihr Ohrgehänge ...«

Er nestelte ihr behutsam die kostbaren Steine aus den Ohrläppchen, und sie ließ es willenlos geschehen.

»An der zweiten ihr Halsgeschmeide,« sagte er, indem er ihr, mit bebenden Fingern ihren warmen Hals berührend, die Kette abnahm.

»Meine Skarabäen,« sagte Nanai, »bannen böse Einflüsse. Aber in deiner Nähe bedarf ich ihrer nicht.«

»An der dritten Pforte,« fuhr Hasdrubal fort, »mußte Ischtar ihren Mantel opfern.«

»Die Nacht war lau und lind, sie konnte seiner leicht entbehren.«

»An der vierten und fünften Gürtel und Spangen.«

»Die arme Ischtar! Beraubt und entblößt wird sie auf die Erde zurückkehren,« sagte Nanai.

»Sie wußte, daß sie dem Leben entgegenging ...«

»Was tat sie nicht alles um des Lebens willen!«

»An der sechsten Pforte nahm der Pförtner ihr das Leibgewand ab ...«

»So bestand er auf seinem Schein? Sträubte die keusche Ischtar sich nicht dagegen?«

»Sie wußte, daß sie der Liebe entgegenging.«

»Was tat sie nicht alles um der Liebe willen!«

»Nun blühte sie selbst wie eine wundervolle weiße Lilie unter den Strahlen Tanits,« rief Hasdrubal, in Verzücktheit ihrem Anblick hingegeben.

»Tanit aber erbarmte sich ihrer und erinnerte daran, daß es noch eine siebente Pforte gab.«

»An der siebenten Pforte mußte sie ihre Krone lassen,« sagte Hasdrubal, indem er ihre aufgesteckten Flechten zu lösen begann.

»Auf nichts verzichtete sie leichter als auf ihre Krone. Sie war keine Königin, sie war die Magd eines Mannes, den sie liebte.«

In schweren Wellen floß Nanais ungewöhnlich reiches und üppiges Haar aufgelöst um Schultern und Brüste nieder und umschmeichelte ihre mädchenhafte Gestalt bis an die Hüften.

»Dafür schenkte ihr die Göttin,« rief Hasdrubal voll Bewunderung, »einen königlichen Mantel aus weicher Seide, der ihres Liebsten Eifersucht weckte, als er sich kosend um ihre weißen Glieder schmiegte. Und Ischtar war schöner in diesem Mantel als je zuvor in all ihrem Schmuck und den kostbarsten Gewändern.«

»Sie aber sprach: Bin ich schön, so bin ich es dir!«

*

War je so nahe allen Quellen der Natur ein Liebeslager gefeiert worden wie auf der Dachfläche von Chammons-Lust?

Je mehr Tanit, still und stetig ihre Lilienpfade wandelnd, die Scheitelhöhe der silberdurchwirkten Himmelswölbung hinter sich ließ, um so süßere Düfte entstiegen den blütenschweren Kronen der Bäume, um so werbender erklang das Lied der Nachtigallen.

Das Meer, unten in der Bucht, vielleicht aufgewühlt von einem fernen, unsichtbaren Gewitter, vielleicht auch nur durch das Eintreten der Flut geschwellt, rauschte vernehmlicher gegen das Ufer. Wie seine Wogen den nackten Strand überspülten und sich wieder zurückzogen, so trieben die Gezeiten der Leidenschaft ihr loses Spiel um die jauchzende Hingegebenheit der menschlichen Geheimnisse.

Und jedes Ermatten war nichts als ein Ausholen zu neuen Anläufen, die gesteigerte Begierden aus genossenen Genüssen saugten. Denn in jener Selbstverlorenheit, die die ganze Welt unwirklich erscheinen läßt, lechzten die verströmenden Augenblicke danach, sich zu Ewigkeiten zu weiten.

Oh, wie weit ist eine kurze Frühsommernacht davon entfernt, ein Abbild der Ewigkeit zu sein! Über dem rastlosen Wechsel von wütenden Freuden und besonnenem Beisammensein, über süßem Getändel und trautem Geplauder schlangen mit leisem Wehgesang die Stunden unaufhaltsam ihren Reigen. Und wie der Weiser der Sonnenuhr fortschreitet, so fingen Baumschatten an sich auf der Plattform abzuzeichnen, verlängerten sich und hüllten sie schließlich in Halbdunkel. Die Kühle des Morgens kam aus unhörbaren Sohlen von der Landseite her geschlichen, und wo seitlich des Zweihorn-Berges, jenseits der weit ins Meer vorgeschobenen Landzunge des Gottes Sedek, Himmel und Wasser sich berührten, standen ein paar trübe Streifen, die bleicher waren als die sonst noch unverfärbte Nacht.

Ein ferner Hornruf, langgezogen und getragen, der von den hohen Festungsmauern Kart-Chadasts wie ein klagender Seufzer durch die Nacht herüberzitterte, machte Hasdrubal emporschrecken. Zwischen den warmen weichen Kissen an Nanais Brust für einen Augenblick entschlummert, blickte er verstört auf, als hätte er Entsetzliches vernommen. Mit mütterlichen Händen sein Haupt streichelnd, sagte sie voll Mitleid: »Die Nacht geht zu Ende, Liebster.«

Da sprang er auf seine Füße und begann sich zu rüsten. Aber noch einmal neben ihr niederkniend, bedeckte er ihre Hände mit Küssen: »Ging's in die Schlacht, ich würde leichter von dir Abschied nehmen... Sei tausendmal bedankt, du Liebe, Gute, Süße!«

»Und wär' ich morgen vergessen,« sagte Nanai, »ich könnte nicht bereuen!«

Während er die einzelnen Stücke seiner Rüstung der Truhe entnahm und eins nach dem andern anlegte, bemerkte Nanai, ihr Haar aufsteckend, durch einen noch nachtdunklen Ausschnitt im Dickicht, etwas wie einen abgedämpften rötlichen Schimmer in weiter Ferne, den sie sich nicht erklären konnte. Nach ihrer Schätzung drang er aus jener Gegend herüber, in der Kart-Chadast liegen mußte. Von ihr aufmerksam gemacht, blickte Hasdrubal nach der bezeichneten Richtung.

»Es ist die Bosra,« sagte er. »Der schwache Widerschein des Feuers, das im Gewölbe unter dem Eschmun-Tempel gehütet wird.«

Nun begriff sie, warum der rätselhafte Feuerschein so hoch über der Stelle schwebte, wo sie mit Recht die Stadt vermutet hatte, und sagte, während sie die kostbaren Gehänge in ihren Ohrläppchen befestigte: »Das heilige Feuer Milkarts! Was konnte es sonst sein? Wie gedankenlos deine Nanai ist – in ihrer Verliebtheit!«

Die leise Wehmut ihrer Worte, unter einem Lächeln verborgen, die anmutvolle Bewegung der hochgehobenen Arme gegen die Schläfe, bestrickten ihn neuerdings. Plötzlich ließ er die silbernen Armschienen, die er anzulegen im Begriffe stand, zu Boden fallen und stürzte sich selbstvergessen auf die Geliebte, sie unter neuen Fieberschauern der Begehrlichkeit abermals umschlingend und ihr Antlitz, Hals und Busen mit Küssen bedeckend.

»Das heilige Feuer, das ewige Feuer – weißt du, was es bedeutet? Es ist die Flamme der Leidenschaft, die Mann und Weib ineinander zwingt! Der Urstoff, aus dem alles Geborene sich herleitet, der Lebensodem, der glühend das Seiende durchdringt und die Raserei der Liebe in den Herzen entzündet. So war es ein Gottesdienst, den wir hier feierten, und dies Lager der Altar, auf dem du dich darbrachtest. Noch einmal laß' die Flammen aufzüngeln, dem Gott zur Ehre!«

So legte Hasdrubals heißes Blut sich das heilige Sinnbild des Feuers zurecht, das der Sage nach seit ewigen Zeiten gehütet wurde und Tag und Nacht in der Grotte unter Eschmuns Tempel auf der Bosra loderte. So wußte er der Wildheit seiner unbändigen Triebe eine gottsinnige Deutung zu geben. Und noch einmal ertränkte er in seligem Taumel das Bewußtwerden seiner selbst und der gebieterischen Entäußerungen, die der kommende Tag von ihm forderte.

*

Indessen vermochte der gewonnene Aufschub den unerbittlichen Schritt der Stunde nicht zu hemmen. Ein Zwielicht, das grau und nicht mehr silbern war, verkündete nahe Morgendämmerung, und die Dunststreifen zwischen Wasser und Himmel jenseits vom Vorgebirge Gott Sedeks färbten sich blaßgelb. Da siegten endgültig die eingewohnten Tugenden des Kriegers über die Ausschreitungen des Anbeters. Und die Gedanken kehrten, vom Weibe sich abwendend, zum Männerwerk zurück.

Aber nicht ohne Grimm beugte er sich der Notwendigkeit, seine Rüstung zu vollenden. Der politische Haß erhob sein Haupt und bäumte sich gegen die Staatskunst der Demütigungen, deren ausführendes Werkzeug zu sein seine dienstliche Stellung wider Willen und Überzeugung ihn zwang.

»Was ich heute zu tun habe, will ich lieber lachenden Mundes statt weinenden Auges verrichten, fordert es doch den Spott der Götter heraus!« sagte er zu Nanai, während sie ihm behilflich war, den kunstvoll getriebenen und geätzten Brustharnisch anzulegen. »Ein politisch vernageltes Volk nannte unlängst ein gerissener Numider das punische. Was meinst du, was Baal Paam-Eljon, der Hohepriester, unter dem Beifall aller weisen Väter der Ratsversammlung irreredete? Nicht nur, daß die Auslieferung der Waffen die Römer von unsrer Friedensliebe überzeugen würde – nein! Daß sie uns dann wie Brüder ans Herz drücken und alle Völker der Erde uns als dasjenige preisen würden, das das große Beispiel gegeben hätte! Dann würde es überhaupt keine Feinde mehr geben und alle Hiroms und sämtliche Schmiedegäßchen der Welt nichts anderes mehr zu tun haben als Schwerter in Hämmer und Sicheln umzuschmieden! Sag', Nanai, ist das nicht heiter? Ich lache, ich lache – so lach' doch mit!«

Dieses Lachen aber klang so zornbeladen und überreizt, daß sie es nicht über sich brachte, seiner Aufforderung zu folgen.

»Ich fürchte um dich, Liebster! Gram wird an dir nagen! Und ich fürchte um die Stadt, sie wird es büßen, deine besseren Einsichten unbeachtet gelassen zu haben. Was denkst du? Werden die Römer auch nach Ablieferung der Waffen noch Forderungen stellen?«

»Man hat es im Streit der Meinungen versäumt danach zu fragen. Alles stürmte auf Matho, den Gesandten von Lilybaion, ein, uns den Punkt, den Punkt, den Punkt bekannt zu geben, um den es sich noch handle. Daß aber nach Erfüllung dieses ›Punktes‹, nämlich nach Ablieferung der Waffen, die Konsuln sich erst noch eine letzte und endgültige Entscheidung vorbehalten hatten, daran dachte in diesem Augenblick niemand. Die Unwirklichkeitsmenschen, wie jener Numider uns nannte, hielten es nicht einmal für nötig, sich etwas Schriftliches darüber geben zu lassen! Nein, wenn wir so brav und gesittet wären, den ›Punkt‹ zu erfüllen, dann würde man uns selbstverständlich als artige Jungen behandeln! So wandern wir als friedfertig blökende Kälber geraden Wegs in die Schlachthalle des Metzgers, die mit Blumengewinden aus schönen Redensarten zu unserm Empfang geschmückt ist. Und seit jener schlaue Numider, der die Römer besser kennt als ich, mir die Augen öffnete, wird es mir mehr und mehr zur Gewißheit, daß es nicht Metzger sind, die kein Blut sehen können. Sie wissen genau, was sie wollen, sie verdrehen dem Gegner die Worte im Mund, sie verstehen es meisterlich, auf der ganzen Welt die Meinung zu erwecken, als geschähe ihnen, den Metzgern, von den Kälbern unrecht. Und so sehr sie empört wären, würde man sie Lügner schelten, so kennen sie doch, wenn es um ihre Sache geht, keine andere Wahrheit als ihren Nutzen.«

»Das alles betrübt mich tief, weil es dich betrübt.«

»Du hörst doch, ich lache darüber! Habe das rollende Rad seinen Lauf! Auch die numidische Partei konnte ihm nicht mehr in die Speichen fallen, es war zu spät. So bin ich in gewissem Sinne selbst mitschuldig. Vielleicht weiß der Bruttier mehr als ich. Vielleicht hat er seine geheimen Abmachungen mit Rom. Hoffen wir es! Er ist fast dreimal so alt wie ich und hat noch an der Seite Hannibals gekämpft. Er wird sich doch irgendwelche vertrauliche Zusicherungen haben geben lassen, ehe er uns wehrlos macht!«

Er setzte sich den Helm aufs Haupt und gürtete das Schwert um.

»Glücklich, wer heute keine staatsmännische Verantwortung zu tragen hat. Ich bin Soldat.«

Ein Blick aufs offene Meer überzeugte ihn, daß die Nebelstreifen an der Kimmung sich rosenrot gefärbt hatten. Weit breitete er die Arme aus.

Aufschluchzend sank Nanai ihm an die Brust.

*

Mit einem Trompetenstoß, ganz nahe von der Landseite her, war dem zum Aufbruch Gerüsteten das verabredete Zeichen gegeben worden, daß sein Pferd an der Straße hinter Chammons-Lust bereitstehe. Nach einer letzten schmerzvollen Umarmung hatte er sich losgerissen ...

Weinend sank Nanai aufs vereinsamte Lager ihrer Freuden. Sie hörte trabende Pferde sich entfernen, auf derselben Straße, die sie gestern abend heraus gekommen war, mit dem festen Vorsatz, nicht zu wanken, und doch pochenden Herzens ...

Sie fühlte das Geschehene als erfülltes Schicksal und bereute nichts. Aber sie gab sich auch keinen Täuschungen hin. Die kindlich unbefangene Freiheit eines reinen Gewissens war dahin. Und was hatte sie dafür eingetauscht? Eine süße Erinnerung, nichts weiter. Denn so fest sie von der Unwandelbarkeit ihrer eigenen Gefühle überzeugt war – an seine Beständigkeit glaubte sie nicht. Dem heiligen Feuer, wie er es verstand, wohnte nicht die Stetigkeit einer Herdflamme inne. Es konnte wild und herrlich auflodern wie in dieser Nacht, aber es verflackerte mit dem Augenblick. Sie wußte es, mit grausamer Offenheit gestand sie sich's. Und ihre Tränen flossen reichlicher.

Schließlich schreckte zunehmende Helligkeit sie auf und mahnte daran, daß es hoch an der Zeit sei, in die Stadt zurückzukehren. Behutsam, um die Aufmerksamkeit der alten Pächtersleute nicht zu erregen, huschte sie die Treppen hinunter und verließ das verschwiegene Bereich von Chammons-Lust.

Als sie aus dem Dickicht der Bäume in die freie Gegend von Magara geriet, erschrak sie. Über den hohen Festungswall der Stadt sah aus der Ferne die Bosra herüber, und auf dem hohen Giebelgebälk des Eschmun-Tempels glänzte der erste Strahl der Morgensonne.

Jetzt erst begann die Frage sie zu beschäftigen, wie sie es anstellen würde, sich unbemerkt von Gatten und Dienerschaft in ihr Haus zu stehlen. Würde nicht alles schon aufgewacht sein, bevor sie dort eintraf? Welche Ausreden sollte sie gebrauchen? Sie wußte, ihr Mann wäre imstande gewesen sie zu töten, wenn er Verdacht schöpfte ...

Von Angst gejagt hastete sie zwischen den Feldern und Anwesen, Gärten und Villen dahin und konnte nicht einmal den nächsten Weg einschlagen. Denn auf der offenen Landstraße, die mitten durch die locker besiedelte Vorstadtgegend vom äußeren Tor von Magara geradeaus bis zum Weichbild von Kart-Chadast hinführte, hatte bereits der Verkehr der Fuhrwerke eingesetzt, die die Stadt mit Lebensmitteln belieferten. Sie scheute davor zurück, sich dem Anblick der Leute auszusetzen, von denen die einen oder andern sie erkennen konnten. Darum sah sie sich genötigt, verborgenere Wege aufzusuchen, die nicht immer die kürzesten waren.

Und der Eschmun-Tempel auf der Bosra kam zwar näher und näher, aber er glühte und leuchtete auch immer goldener und strahlender.

»Warum sieht man jetzt nichts mehr vom schwachen Widerschein des Feuers in seiner Tiefe?« schoß es ihr durch den Sinn. »Ist dies andere, große und unvergängliche Feuer, das jenes überstrahlt, nicht noch viel heiliger?«

Zweifel regten sich, ob das verborgene und geheime Lodern der Leidenschaft, das Hasdrubal als Erfüllung des Lebens und Urgrund aller Dinge gepriesen hatte, wirklich eine heilige Flamme sei? Warum mußte es dann das Tageslicht scheuen? Hatte sie bis dahin in ihren reinen Gefühlen nicht an ein Leuchten und Glühen geglaubt, das das Herz zu sich emporhob, frei und offen, wie die Sonne selbst?

Bekümmert und abgehetzt lief sie ihren Weg entlang. Aber da stockte der Fuß an einem Gartenrain. Über blühende Jasminbüsche hinweg erblickte sie aus der Ferne einen unabsehbaren Zug von hochbeladenen Wagen, in ungeheure Staubwolken gehüllt, der sich in entgegengesetzter Richtung auf der aus dem Innern der Stadt führenden Heerstraße vorwärts bewegte. Gewaffnete Reiter, geschäftig hin und her sprengend, begleiteten ihn. Und wieder zitterte, wie heute im frühesten Morgengrauen, jener getragene Hornruf durch die Luft, der wie eine langgezogene bange Klage zum Himmel stieg...

Immer strömten und strömten neue Massen von Wagen und Karren, Reitern, Zug- und Tragtieren aus dem alten, aufgelassenen Innentor von Kart-Chadast hervor, das verstopft und verrammelt war, vielleicht für Stunden hinaus, durch diese Beförderung von Frachten und Ladungen auf Fuhrwerken aller Art, unter deren Rädern der Boden schütterte. Ausgeschlossen, gegen diesen Strom zu schwimmen! Eine bare Unmöglichkeit, jetzt in die Stadt zu gelangen! Mit Entsetzen machte sie sich klar, daß sie ausgesperrt war.

Aber da kam ihr auch schon der rettende Gedanke.

Gewiß! Natürlich! Gerade um dies Schauspiel mit anzusehen, war sie doch in aller Frühe in die Magara herausgelaufen! Wer konnte sich's entgehen lassen, Zeuge eines solchen Geschehnisses zu sein, wie Hasdrubal, der Numider, die Waffen und Rüstungen, Kampf- und Verteidigungsmittel der Stadt nach Castra Cornelia einlieferte? Lediglich aus diesem Grunde hatte sie sich vor Anbruch des Tages von ihrem Lager und aus ihrem Hause fortgeschlichen – wen würde es wundernehmen? Ein bißchen neugierig und schaulustig zu sein, konnte einer jungen Frau doch niemand verwehren!

Als sie, kühn und sicher geworden, sich jetzt der Heerstraße näherte, bemerkte sie erst, daß wirklich eine Menge Volks sich eingefunden hatte, den Zug zu betrachten. Und auch die Mauerzinnen waren schwarz vor Menschen, die sich drängten, ihre Schaulust zu befriedigen.

Nun waren Nanais Sorgen zerstreut. Frech und gemächlich mischte sie sich unter die Zuschauer, fest entschlossen, ihrem Mann und allen sonstigen Fragern die Stirn zu bieten. Und in ihren Gedanken schliff sie sich scharfe Entgegnungen zurecht, mit denen sie jeden abfertigen wollte, der sich etwa einfallen lassen würde, ihr das Recht auf ein so harmloses Vergnügen zu bestreiten, wie es das Beschauen eines militärischen Aufzuges ist.

In der Tiefe ihres Herzens aber wurde sie ein leises, schmerzliches Gefühl nicht los, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben sich genötigt sah, Lügen zu ersinnen.

*


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