Ottomar Enking
Familie P. C. Behm
Ottomar Enking

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Ja, und so kam endlich der wichtige Sonntagnachmittag, an dem der Klub gegründet wurde. Das Ereignis war zu bedeutsam, als daß man es hätte im Jordan begehen können, wie die kleine Kneipe mit dem Graben davor hieß, in der sich P. C. Behm und seine Gesinnungsgenosse gewöhnlich zusammenfanden, um das Heil Koggenstedts und des umliegenden Vaterlandes zu beraten. Deshalb waren alle vier Vater Behms Einladung gefolgt und saßen nun in seiner Wohnstube um den Tisch herum, vor verschlossener Thür und verhängten Fenstern. Auf dem Tisch, der mit Mutters Sonntagsnachmittags-Umhängetuch bedeckt war, standen in Messingleuchtern zwei brennende Lichter zu Seiten des großen Tintenfasses, und zwei Buch feines gelbes Konzeptpapier, acht Bogen für zehn Pfennig, hatte P. C. Behm vor sich liegen, denn es mußte Protokoll geführt werden. Nein, wie war das einmal feierlich.

Eigentlich genierten sich die Bundesbrüder ein wenig vor all der Feierlichkeit, aber sie sahen ein: es ging schier nicht anders. Was hing nicht alles von der kommenden Stunde ab? Und warum sollten 91 sie nicht ein paar Zeremonieen haben? Sie saßen und sprachen nichts, sahen vor sich hin und blinzelten dann und wann in die Lichter. P. C. Behm war tief ergriffen von der überwältigenden Weihe dieser Augenblicke.

Schließlich fing Pfeifendrechsler Ahmsetter zu sprechen an. Der war immer so ungeduldig. Er meinte: »Na, wo ward dat nu? Einer muß doch 'n Wort sagen. Wi künnt hier nich sitten un nix dohn, as den Disch ankieken.« – »Na, na,« erwiderte ihm Buchbinder Maack mit zwei a und ck, »als 'n Kind bist du, Lude. Warten kannst keinen Momang. Wir müssen uns erst mal besinnen, was wir überhaupt vorhaben. Es kommt schon.« – »Ja, das ist auch meine maßgebliche Ansicht,« pflichtete ihm Bäckermeister Jaspersen bei, der »Jaspersen mit de Moneten« hieß. Er klimperte nämlich fast immer mit seinen Thalern, von denen er reichlich hatte, in den Hosentaschen. Und weil er einmal in einer sozialdemokratischen Versammlung gewesen und also politisch gebildet war, fügte er hinzu: »Erst müssen wir 'n Barroh haben. Dat is ümmer de Hauptsaak bi'n Volksversammlung. Wat seggst du, Hannes?« – Und Hannes Nebendahl, der Schuhmachermeister, entgegnete: »Hm.« Er sagte nicht gern etwas. Er dachte zu viel, als daß er lange sprechen konnte. Genannt wurde er »Hannes mit'n scharpen Blick«, denn seine Augen sahen hinter runden Brillengläsern unter drohend zusammengezogenen buschigen Brauen 92 durchdringend hervor, und seine hohe Stirn war von oben nach unten durch eine mächtige Falte in zwei Teile getrennt.

Da stand P. C. Behm auf und redete also: »Lieben Freunde! Hier herrscht Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, und darum mein' ich, brauchen wir nicht erst Bürohs. Wenn ich was sagen darf, denn beratschlagen wir gleich die Statuten. Das ist das Wichtigste. Wenn wir Statuten haben, geht alles von alleine. Ausgearbeitet hab' ich sie schon.« – Er zog aus seiner Brusttasche ein ziemlich dickes Heft hervor und hielt es vor sich wie der Pastor in der Kirche das Segensbuch. – »Na, wenn du sie all hast, P. C. (anders sagten sie nicht zu ihm), denn brauchen wir ihnen nicht erst zu beratschlagen. Barroh wär' sonst richtiger gewesen. Aber mir soll allens recht sein. Denn sind wir ja fertig. Her mit de Korten, dat wi 'n lütten Pott maken künnt,« schlug Bäckermeister Jaspersen gemütlich vor. Aber damit drang er nicht durch. – »Oho!« fuhr Drechsler Ahmsetter auf, und seine Stimme klang grollend dumpf, als ob er durch ein dickes Weichselrohr hindurch spräche, das nicht die richtige Luft hatte. »Oho. Dat geiht abers nich. Das wäre eine Rechtsverletzung. In'n Reichstag müssen sie auch ümmer die ganzen Gesetzen vorlesen, eh' daß sie genehmigt werden oder nicht. Nee. Beraten mutt sin.« – »Nun man ruhig, Kinder,« mahnte der sanfte Buchbinder Maack, »immer sinnig. Aber das mein' ich 93 auch: ratschlagen müssen wir. Sonst kennen wir unsere eigenen Statuten ja nicht.« – »Denn man los, P. C.,« gab Jaspersen mit de Moneten nach, und Hannes Nebendahl räusperte sich zustimmend und machte nachdenklich: »Hm.« – Da begann P. C. Behm. Seine Stimme war etwas zitterig und verschleiert. Er mußte seine Erregung meistern. »Paragraph eins. Der Klub ist eine geheime Gesellschaft.« – »Holt stopp, nee,« unterbrach ihn Ahmsetter. »Mit wat Geheemes will ick nix to dohn hebb'n. Geheeme Gesellschaften sünd verboten. Denn ward'n wi inspunnt. Ick will mi woll höden.« – »Weiß doch keiner außer uns was von,« verteidigte P. C. Behm seinen Paragraphen. »Und unter uns sind keine Verräter. Wir sind deutsche Männer und getreue Koggenstedter.« – »So?« stritt der hitzige Drechsler gegen an. »Und wenn nun einer von uns mit die anderen bös wird? Denn geiht he eenfach hen un haalt de Polizei, un denn sitten wie in 't Lock. Hat sich was mit deutsche Männers und getreue Koggenstedters. De kenn ick.« – »Ich verrat' gewiß keinen Menschen,« sagte Maack, der unentschieden war, auf wessen Seite er sich schlagen und wie er Frieden stiften sollte. »Aber man kann ja immer nicht wissen, wie das kommt. Laß uns man ja einig sein.« – Jetzt mischte sich auch Jaspersen hinein: »Ganz unrecht hast du nicht, Lude, man kann heutzutage seinem besten Freund nicht mehr trauen. Da weiß ich Geschichten – oho! Neulich noch. Ihr kennt doch August Peters, nicht? Von 94 dem hab' ich doch all' die Jahren mein Weizenmehl gekriegt, nicht? Na, und nu, neulich, ganz zufällig, komm' ich dahinter, da hat das Aas mir immer Sägespäne oder so was Ähnliches ins Mehl gemischt. Die Leute haben all lang gesagt, daß meine Semmeln nach Tannenholz schmeckten. So'n Kerl, was? Swindelmeier!« – »Ja, ja, ja, das ist alles recht schön,« meinte P. C. Behm unruhig. – »I wo, Deubel ock,« erwiderte Jaspersen. »Schön! 'n Swineri is 't. Kirl müßt in 't Tochthuus. Wenn he nich de dörtein Kinner harr, würr ick em woll wiesen, wat 'n Staatsanwalt för 'n Dirt is.« – »Ne, ne, ne,« hub Behm wieder an. »Nu erzählen wir uns solche Geschichten, und wir sollen doch beratschlagen von wegen der Statuten.« – »Thun wir auch, P. C.,« sagte der Bäckermeister mit Überlegenheit. »Du merkst es man nich. Das hört da mit zu, wenn ich euch so 'ne Interessantigkeiten vorerzähl'. Keinem Menschen soll man trauen. Darum bin ich dafür: nix Geheimes, wo einer den andern mal mit 'reinlegen kann. Lude Ahmsetter hett Recht.« – »Hm,« ließ sich nunmehr auch Hannes mit'n scharpen Blick vernehmen. Er sprach ganz langsam und wog jegliches Wort: »Wir könnten, dünkt mir, sagen statt geheim: eine geschlossene Gesellschaft. So nennen wir unsern Kegelklub »zum lustigen Pudel« auch. – »Aber,« kam Maack wieder, der P. C. Behms Entrüstung wohl bemerkte, »ein Kegelklub und unsere Gesellschaft, – das ist denn doch ein gewaltiger Unterschied.« – »Und wenn das 95 Geheime weg ist, denn hat die Sache gar keinen Reiz mehr,« jammerte P. C. Behm. –»Nix da geheim,« bestand der Pfeifendrechsler auf seine Weigerung. »Ich verlaß den Lokal, wenn hier was Polizeiwidriges ausgeheckt wird.«

Behm wurde überstimmt. Geheim sollte der Klub nicht sein. Da war der Alte sehr betrübt, aber Bäcker Jaspersen ermunterte ihn. »Nu man Nummer zwei, mein Jung. Damit hast du vielleicht mehr Glück.« – »Gewiß, gewiß,« schloß sich Maack ihm an, dessen weiches Herz unter der Ablehnung des ersten Paragraphen litt, so wenig er auch zu geheimen Verbindungen neigte. – Behm zögerte: »Der zweite paßt nicht, wenn der erste nicht angenommen ist.« – »Vörlesen kannst em dochen,« blies Drechsler Ahmsetter durch sein Weichselrohr. »Wenn er nichts taugt, lehnen wir ihn einfach ab.« – »Na, nix taugt, nix taugt,« besänftigte Maack die Härte des Vorredners. »Taugen wird er schon was. P. C. ist ein gediegener Mann. Aber so 'ne Paragraphens passen ja nicht für jederein Verein.« – »Scheet los, P. C., dat wir to En'n kamen un 'n lütten Schapskopp kriegen,« drängte Jaspersen.

Mit beklommener Brust las P. C. Behm: »Paragraph zwei. Wer was verrät, wird schimpflich aus dem Verein ausgestoßen.« – »I wo,« sagte Jaspersen, »nee, hier nix schimpflich. Zu verraten is ja nix, und wer austreten will, tritt einfach aus. Nee, P. C., hast ganz recht, der Paddagraph paßt auch nicht.« 96 – »Ja, das hab' ich gleich gesagt,« meinte P. C. Behm wehmütig. »Aber wenn euch alles nicht recht ist, warum wollt ihr den Klub denn überhaupt gründen?« – »Das ist doch klar wie Torf,« antwortete Jaspersen, »in einem regulären Verein spielt sich so 'n Schafskopf noch mal so schön. Und was in der Kasse ist, da machen wir denn im Sommer 'ne italienische Nacht mit Damens und Knackwurstessens davon, pro Mann zwei Paar.« – P. C. Behms Herz krampfte sich zusammen, und er wurde bitter: »Damit wollt ihr wohl Koggenstedt zum Kriegshafen machen, wie? Das soll dem Kaiser imponieren, wenn wir hier Schafskopf spielen, nicht?« Er geriet in Wallung. »Macht euch eure Statuten selber,« warf er hin und steckte sein Heft wieder in die Brusttasche. – »Ach, was sollen wir mit Statuten?« meinte Ahmsetter ärgerlich. »Wir zahlen alle Monat zehn Pfennig in die Kasse und schreiben an den Kaiser, ob er nicht ein paar Kriegsschiffe herschicken und uns die Lieferungen geben will. Dann ist allens gut und in Ordnung.« – »Wird auch was helfen,« bemerkte P. C. Behm fast grollig. – »Warum nicht?« warf der Bäckermeister ein. »Und denn noch eins, Kinder: der Klub muß 'n Namen haben. Das dürfen wir nicht vergessen.« – Hannes mit'n scharpen Blick meinte: »Hm, ich bin für ›Eintracht‹.« –»Schöne Eintracht!« sagte der Drechsler. – »Wat hest du di denn för'n Namen dacht, P. C.?« fragte der Bäckermeister. – »Ich sag' kein Wort mehr,« lautete die Antwort. – 97 »Na, nu sei man nicht so,« drängte Jaspersen weiter. »Übelnehmen ist hier nicht im trauten Bruderkreise.« – »Sag' doch, lieber Jung,« bat auch Maack wieder. – Und siehe da! des Alten Ehrgeiz ließ ihn nicht schweigen. Er sagte: »Ich dachte . . . (zweifelnd sah er umher) ich dachte: ›Koggenstedtia‹.« – Er konnte einen Sieg feiern. Sie widersprachen nicht, und Jaspersen rief sogar voll ehrlicher Begeisterung: »Donnerwetter, ja, P. C., das hast du dir fein ausgeklüstert. Das laß uns man gleich per Akklimation annehmen.« – »Jawohl, jawohl, so soll er heißen,« rief Maack in strahlender Freude über seines Freundes Triumph. Selbst Lude Ahmsetter hatte nichts gegen den Namen einzuwenden, und Nebendahls »Hm« klang befriedigt. Sie waren alle stolz, einem Verein mit einem so schönen Namen anzugehören, und Behms Selbstbewußtsein richtete sich wieder empor, als sie seinen Vorschlag jetzt einstimmig zum Beschluß erhoben. – Dann kamen noch eine ganze Menge Anträge durcheinander von den Koggenstedtianern: »Presidenten möt wi hebb'n.« – »Und 'n Schriftführer.« – »Und zwei Revisors.« –.,Und dree Bisitters.« – So ging es von allen Seiten. Man war ganz eifrig, denn jeder wollte gern ein hohes Amt erhalten.

Buchbinder Maack strebte danach, P. C. Behm etwas Gutes zu thun. »Ich mein', P. C. wird unser Präsident. Er hat doch nu mal die Mühe gehabt mit den Statuten. Die sind ja auch ganz gut geworden, bloß daß sie nicht für uns passen. Und den 98 Namen hat er auch gefunden. Dafür hat er allein ein Diplom verdient. Er muß Präsident werden.« – »Stimmt,« sagte Jaspersen und ließ zwei Thaler hart aneinander klappen. Hannes mit'n scharpen Blick sah P. C. Behm durchdringend an, ob er wohl wirklich die geeignete Persönlichkeit für den hohen Posten wäre, und Lude Ahmsetter knurrte etwas Unverständliches, aber Widerstand gegen die Wahl erhob sich auch von dieser Seite nicht. P. C. Behm war Präsident der Koggenstedtia. Wie wohl ihm das that. Er verbeugte sich vor seinen Wählern und gab seiner Rührung Ausdruck: »Lieben Freunde! Ihr könnt es mir nachfühlen, wie mich diese Ehre und euer einstimmiges Vertrauen ehrt. Ja, es ist etwas Großes und Erhabenes, was wir wollen, zum Segen des Vaterlandes und unserer treuen Stadt Koggenstedt. Und was an mir liegt, lieben Freunde, das wißt ihr: ich bin immer auf dem Platze, und der Tag soll mir nicht zu heiß und die Nacht nicht zu finster sein, wenn es gilt, für unsere große Sache zu kämpfen. Ich ahn' es ganz genau, daß wir es noch erleben werden, wie unser schöner Hafen voll liegt von Panzerschiffen, und wenn wir das erreicht haben, lieben Freunde, dann wollen wir ruhig unser müdes Haupt hinlegen und sagen: sieh', es ist alles gut geworden. So wollen wir denn nicht ablassen und für unser Koggenstedt und die Koggenstedtia sorgen, und ich danke euch nochmals, lieben Freunde, daß ihr mich für würdig gehalten habt, diesem Verein vorzustehen. Ich meine, 99 wir vereinigen uns als treue deutsche Männer, indem wir uns von den Sitzen erheben und rufen: Unsere ›Koggenstedtia‹, Verein zur Gründung eines Kriegshafens in Koggenstedt an der Ostsee, sie lebe hoch, und noch einmal hoch, und zum dritten Male: hoooch!«

Das war eine schöne Rede, und P. C. Behms Backen glühten ordentlich, als er so sprach. Die andern aber erhoben sich und stimmten in das Hoch mit ein, am begeistertsten Buchbinder Maack. Alle machten dabei eine Bewegung, als ob sie Gläser in der Hand hielten, und Bäckermeister Jaspersen sah unwillkürlich hin, weil ihm seine Hand so leicht vorkam. – »Bi so wat un nix to drinken,« murmelte er.

»Ist nun sonst noch was zu besprechen?« fragte P. C. Behm seine Koggenstedtia-Brüder. – »Hm, ja, der Brief,« erinnerte Hannes. – »Was für 'n Brief?« fragte der Bäcker. – »Na, der an den Kaiser, damit Koggenstedt Kriegshafen wird.« – »Ach so, ja.« – »Ach wat,« meinte Jaspersen, »den schreibt P. C. einfach und liest ihn uns auf der Generalversammlung vor.« – So wurde es beschlossen und auch die Wahlen für die einzelnen Ehrenämter stellte man noch zurück. Man war eben müde vom langen Beraten. Jetzt nahm Jaspersen die Führung: »So, Kinnings, nu lat uns dat hier mal hell maken (dabei schob er die Vorhänge beiseite), dat is ja dat reine Gräwnis, un denn pust de olen Talglüchten ut, P. C., un nimm din Fru ehrn Umschlagdock vun'n Disch. 100 Un denn Beer her. Bi'n Schapskopp mutt man Beer hebb'n. Sünst sünd de Korten so drög un gaht nich ut'nanner.« –

P. C. Behm war zu allem bereit. Er war ja Präsident von der Koggenstedtia geworden, das tröstete ihn hinweg über sein Mißgeschick mit den Statuten. Er schloß die Thür auf und rief hinaus: »Mamma!« – »Ja, mein Pappa?« ertönte es aus der Küche. – »Laß uns fünf Glas Bier bringen von Schulz. Wir sind angestrengt. Wir haben viel gearbeitet.« – »Strax, mein Pappa.« – Es wurde ein gemütlicher Nachmittag. Schulz sein Hausknecht mußte noch oft Bier bringen, und sie toasteten auf die Koggenstedtia und den Präsidenten und den Kaiser und den Kriegshafen und die Frau Präsidentin und die Mitglieder und was es sonst noch zum Hochlebenlassen gab.

Als sie abends zu Bett gingen, Vater und Mutter Behm, da sagte er: »Ja, Mamma, sie sind ja noch nicht reif für meine Ideen, aber ein bischen haben sie doch schon begriffen. Es war feierlich heute.« – »Das soll es sacht gewesen sein.« – »Und ich bin Präsident.« Dabei lächelte er glücklich. – »Du kannst es auch am besten, mein Pappa.« – »Ich glaub' (und er legte sich zufrieden zurecht), ich laß es auf unser Thürschild malen: Präsident der Koggenstedtia.« – »Ja, so kommen gewiß die feinen Leute und kaufen bei uns. Die letzte Woche hat es wieder nicht viel gegeben.« – »Laß man. Laß den Kaiser erst meinen Brief kriegen, und wenn das denn bekannt wird: du 101 sollst mal sehen, wie das hilft. Dann müssen wir bald einen größeren Laden haben. Ob ich das Haus nebenan kauf', oder ob wir lieber in die Breite Straße ziehen?« – »Das alte Umziehen. Ich bleib' viel lieber hier.« – »Ja, ich auch.« – »Nacht, klein Pappa, schlaf' auch schön (sie sprach »sjön«).« – »Gute Nacht, (und er machte einen kleinen Spaß) Frau Präsidentin.« – Das hohe Paar schlief ruhig ein. Gegründet war die Koggenstedtia.

* * *

Ein großer grauer Vogel mit neugierig hervorstehenden, unruhigen Augen flog aus von der Stelle am hohen Uferrande, wo Paul und Anna sich Liebes gesagt hatten, und schwebte unhörbaren Flügelschlages nach Koggenstedt. Da wußten sie dort alle, daß Dr. Körting und Anna Behm allein zusammen in Goldau gewesen waren. Und was da passiert war, das wollten sie ja wohl lieber gar nicht erst sagen.

Minna von gerade schräg über vor kam zu Frau Bolette Behm in den Laden und kaufte für fünf Pfennig Einfaßband, von dem gezackten. – »Ja,« sagte sie, »nun müssen denn ja bald die Fahnen heraus.« –»O?« fragte Frau Behm, »so haben wir Hochzeit?« – »Das kann doch nicht lange dauern. So 'n Dokter steht sich gut, wenn er auch noch jung 102 ist.«. »Ein Dokter? Von aus der Stadt? Mit wem so?« – »Gott, Frau Behm, das nehmen Sie mir nicht übel. Ich kauf' hier nun schon all die Jahre, die ich bei meiner Herrschaft bin. Vor mir brauchten Sie doch nicht so zu thun.« – »Wie denn, gute Minna, wie denn?« – Frau Behm wurde ängstlich, sie fürchtete, daß wieder eine Klatschgeschichte aufkam, in die sie verwickelt war, wie sehr sie sich auch immer in acht nahm. – »Aber Frau Behm,« antwortete Minna mißbilligend, »nun wirds ja noch tager als Tag! Wenn Ihre Anna sich verlobt, das brauchen Sie wahrhaftig nicht heimlich zu halten. Weiß ja doch jedwederein in Koggenstedt.«

Die kleine Frau zitterte am ganzen Körper. Mies glotzte zu Minna hinauf. Frau Behm kam mit bittend erhobenen Händen hinter der Theke vor. – »Nun sagen Sie mir bloß, süße Minna, was ist das? Ich weiß ja von rein rein gar nichts. Ich bin so ahnungslos, als ich wär' ein Kind.« – »So?« meinte Minna lang gedehnt, und ihr volles Gesicht rötete sich vor weiblicher Entrüstung. »Soo? dann thun sie es am Ende gar heimlich?« – »Was? Was, Minna?« – »Na, daß sie nach Goldau fahren und sich da . . .« – Minna verschluckte, was sie sagen wollte. Sie war ein zu anständiges Mädchen, als daß sie so etwas weiter tragen konnte. – Frau Behm flehte um Aufklärung: »Meine Anna? Unsre Anna? Ach Gott, Minna! Und mit einen Dokter?« 103 – Sie flog am ganzen Leibe. Mies fauchte mit krummem Rücken.

»Ja,« entgegnete Minna verwundert, weil Frau Behm wirklich gar nichts zu wissen schien. »Mit Dokter Körting. Dem jungen Arzt. Dem Sanitätsrat seinen Schwestersohn.« – »Nach Goldau? Am hellerlichten Tage?« Das kam verzagt und verzweifelt heraus. – Und Minna war erbarmungslos ehrbar, als sie sagte: »Ja, ob sie nachts auch dagewesen sind, das weiß ich nicht.« – Noch einen Anlauf nahm die Mutter zur Rettung ihrer Tochter: »Minna, das ist alles nicht wahr!« – »Tscha, sie sagen es aber alle. Ich sag' ja nur, was ich gehört hab'. Frau Schulz von nebenan weiß es ganz bestimmt.« – »Nein, nein, muß ich das erleben!«

Die kleine Frau sank an den Ladentisch zurück. Sie wurde schwach. Mies drängte sich gegen sie und trug ihr Leid mit ihr. Da fühlte Minna Erbarmen. – »Ja, Frau Behm, das hätt' ich wissen sollen . . . Denn hätt' ich nie was gesagt. Aber ich dachte, es wäre alles in Ordnung, und Sonntag käm' es in der Zeitung.« – »Was soll wohl in Ordnung sein? Nichts ist in Ordnung. O Gott, wenn unser Vater das erfährt! Aber vielleicht ist es ja doch bloß so gesagt von böse Menschen.« – »Da brauchen Sie ja Ihre Anna bloß selbst zu fragen.«

Anna kam gerade heim. Auf ihren Wangen lag die Frische des Frühlings da draußen, und auf ihren 104 Augen glänzte der Widerschein der warmen Blicke, mit denen Paul sie angeschaut hatte. Ihre Lippen waren noch ein wenig gekräuselt vom Kuß. – Minna sagte hastig adieu. Sie wäre zwar gern geblieben, um mit anzuhören, was jetzt kam. Aber sie hatte doch ein böses Gewissen, weil sie es war, die die Unruhe in das Haus brachte. Sie verschwand.

Anna knüpfte ihre Jacke auf. – »Nun, Mudding, du machst ja so 'n saures Gesicht. Wieder dein altes Zahnweh.« – »Ach, wenn ich weiter nichts hätte als Zahnweh.« – »Hast dich geärgert? Hat Minna wieder geklatscht?« – »Ja, geklatscht, das sagst du wohl. Aber wenn sie das erzählt von dir . . .« – »Von mir?« – Anna fühlte plötzlich einen Druck beim Herzen. Die Mutter sagte vorwurfsvoll und leidend: »Daß du . . . und Dokter Körting, und ihr seid in Goldau gewesen, allein . . . o was wird Pappa sagen.«

Anna setzte sich hin, sehr ernst. Also war es so weit. Nun sollte sie von ihrer Liebe sprechen. Sich verantworten. Mies kauerte sich zusammen und blinzelte lauernd auf das junge Mädchen. – »Das ist doch wohl gelogen, Anna?« Frau Behm stand vor ihr und hielt die Hände halb geöffnet nahe an den Schultern. –»Nein, das ist nicht gelogen, Mudding.« –»Allein? . . . Und was habt ihr da gethan?« –»Bist du denn nie jung gewesen, Mutter?« – »Habt ihr euch da . . . verlobt?« – 105 »So nennt man es ja wohl. Gesagt haben wir es uns nicht.« – »Heimlich. Und deine Mutter hat nichts davon gewußt.« – »Wir wußten selber nicht, daß es so kommen würde. Da konnten wir es doch nicht vorher erzählen.« – »Aber nachher. Du hast kein Wort davon gesprochen.« – »Wen mag man daran teilnehmen lassen?« – Anna legte die Hand über die Augen, und heilige Bilder stiegen vor ihr auf. Die hätte sie verraten, anderen zeigen sollen? Frau Behm weinte: »Ich bin so Gott immer eine gute Mutter zu dir gewesen und hab' dir nichts Schlechtes gelernt.« – Sie wischte die Augen mit der Schürze aus. – »Nun machst du uns die Schande. Es hat noch nicht einmal in der Zeitung gestanden.« – »Da kommt es am Ende früh genug hinein.« – »Gar kein richtiges Brautpaar. Und schon allein aus. Er ist noch nicht bei uns gewesen und hat uns gefragt. Das war zu meiner Zeit nicht möglich.«

Also er sollte kommen, hierher, in diese Enge. Davor graute Anna beinahe. – »Er wird schon kommen, Mudding,« meinte sie leise, denn sie sah, daß sie ihre Mutter beruhigen mußte. »Er weiß alles am besten. Hab' nur Vertrauen zu ihm.« – »Aber er will dich doch wohl wirklich heiraten?« Das kam angstvoll aus dem Munde der alten Frau. Was sollte Anna sagen? Geredet hatten sie nie davon. Aber die Mutter weinte so. Sie wollte das arme Herz beschwichtigen. Deshalb erhob sie sich und wandte sich halbwegs ab: »Ach, Mutter, 106 natürlich will er mich heiraten. Aber das hat Zeit. Erst muß er etwas sein.«

Das sah Frau Behm ein. Und nun schmeichelte es ihr schon, daß ihre Tochter einen Doktor bekommen sollte. Ihr kleiner Stolz kam und trocknete ihr die Thränen. »Ja, mein Annemusch, es ist saa maend nicht, daß ich dir nicht sollte gönnen das Glück. Aber ich hab' mich doch furchtbar erschrocken, als Minna kam und erzählte es. Nein, wie hat es sich nur gemacht zwischen euch beiden?« – »Das kann ich dir nicht schildern. Es ist langsam gekommen und doch schnell, so schnell. Und, Mudding, ich bin ja tief froh.« – Sie umarmte ihre Mutter. Das machte alles gut. Dieser Beweis von Liebe, den sie selten empfing, glich viel aus bei Frau Bolette. Sie war gerührt. – »Ich will euch auch segnen, Kind. Er ist gewiß ein braver Mensch.« – »Das ist er!« Jubel strömte aus dem Wort. – »Und wir müssen es Pappa heute noch sagen,« fuhr Frau Behm fort. »Sonst wird er skrecklich bös.« – Mußte es sein? Ja. Das Geheimnis war nicht mehr ihr Eigentum. Jetzt ging alles seinen Weg. Also war Vater der erste, dem sie Rechenschaft schuldete. – »Laß uns es ihm nur sagen, Mudding.« – »Und Bernhard auch.« – »Bernhard?« – Das war ihr peinlich. Bernhard konnte täppisch sein und etwas hinwerfen, was ihr weh that. – »Wenn wir Thee getrunken haben,« meinte die Mutter weiter. »So wollen wir es sagen. 107 Vorher nicht. Pappa kann keine Aufregung haben, wenn er sitzt zu essen.« – »Dann nur zu, Mutter.«

Anna ging hinaus. Frau Behm saß wieder und strickte. Ein bißchen rascher als gewöhnlich. Es kämpfte in ihr die Furcht vor dem, was die Leute sagten, mit der Genugthuung, einen feinen Schwiegersohn zu kriegen. Warum schließlich nicht? War sie nicht auch eine feine Frau? War ihr Vater nicht Danebrogsmann gewesen? Sie wurde allmählich zufrieden und ruhig und betete still bei sich, daß alles gut werden möge. Mies schlief.

* * *

Am Abend war großer Familienrat. Anna saß rotübergossen und wollte häkeln, um das Gesicht niederhalten zu können, doch die Maschen glitten ihr immer aus. Frau Behm hatte die Theetasse auf dem Schoß, wärmte sich die Hände daran und sprach sanft. Bernhard lag auf dem Sofa zu paffen und betrachtete die Angelegenheit objektiv. Der alte Behm ging im Zimmer auf und ab und kraute sich das Nackenhaar. Mies sah vom Platz beim Ofen aus neugierig vom einen zum andern.

»Nie geahnt? Längst!« sagte Bernhard von oben herab. »Ich wollte bloß nichts sagen. In so was soll man sich prinzipiell nicht mischen. Bei der Post lernt man Diskretion. Kompromittieren als Beamten 108 kann mich die Geschichte ja nicht, obschon es mir lieber gewesen wäre, die Sache wäre vorher veröffentlicht worden. Frau Postdirektor ist in so was komisch. Das heißt: eigentlich hat sie recht. Die deutsche Sitte muß dem Volk erhalten bleiben.« – Gut, daß Paul dich nicht hört, mein Junge, dachte Anna und häkelte. – »Ja,« kam der alte Behm, »er soll mir willkommen sein. Ich als Haupt der Familie P. C. Behm habe nichts gegen ihn einzuwenden. Ich kenn' ihn ja gar nicht. Meine Tochter ist ein gebildetes Mädchen, sie kann auch einen gebildeten Mann verlangen. Aber erst muß er mich bitten. Dann gern.« – »Wir müssen ihn einladen, und so mach' ich Gelatinepudding mit süßen Rahm,« meinte Frau Behm. »Das essen sie immer in Dänemark zu Verlobung.« – »Nein, Mamma,« widersprach ihr P. C. Behm, »du mußt lieber Bismarckheringe machen. Das kannst du am besten. Am Hafen sind immer welche grün zu haben.« – »Ja,« gab Frau Behm zu, »das will ich wohl thun, zu Abendbrot. Aber zu nachher?« – »Kinder,« unterbrach Bernhard die Reden, »man muß solche Angelegenheit objektiv betrachten. Gelatinepudding und Bismarckheringe, das sind Nebensachen. Obschon wir ihm natürlich gehörig imponieren müssen, damit er nicht denkt, er kommt in eine powere Familie. Aber immer die Hauptsache im Auge behalten . . . Ich zieh' meine neue Uniform an. Mit Degen.« – »Ja, das ist fein, mein klein Jung,« sagte die Mutter, »wann meinst du wohl, 109 Pappa, daß wir ihn haben?« – »Ja, wenn ich nur nicht so furchtbar viel mit meinem Brief an den Kaiser zu thun hätte,« seufzte der Alte. »Vielleicht am Sonnabend?« – »Ja, wie du denkst, klein Pappa, Sonnabends paßt es immer am besten mit Gesellschaft. So können wir Sonntag ausschlafen.« – Bernhard fuhr in seinen Betrachtungen fort: »Na, Schwesting, das ist nun egal. Schlau hast du 's angefangen. Frau Dokter werden. Das kann dir passen.« – Anna wehrte sich. »Als ob ich daran gedacht hätten – »Na, na.«

»Ich will ihm schreiben,« entschloß sich der Alte. – Das gefiel Anna nicht. »Ach, Vater, laß nur. Das braucht nicht so förmlich herzugehen. Ich sprech' ihn schon.« – »O nein, Kind,« fiel die Mutter ein, »du darfst jetzt keinen einen Augenblick gehen mit ihm. Das schickt sich nicht. Erst muß er hier gewesen sein und um dich bitten. Vater hat es gesagt.« – Bernhard, der auch Angst vor Vater Behms Briefen hatte, wußte Rat: »Ich kann es ihm mal am Stammtisch sagen. Auf die Neuigkeit wollen wir gehörig einen schmettern.« – »Und wenn ihr heiratet, die Wollsachen könnt ihr einfach aus dem Laden nehmen,« schlug P. C. Behm vor. – »Ach, das ist wohl nicht fein genug, mein Pappa,« sagte die Mutter – »Nicht fein genug? Ich hab' sie dreißig Jahre getragen aus dem Laden. Da kann mein Schwiegersohn und meine Tochter sie auch wohl tragen.« – Bernhard brachte das Gespräch wieder ins rechte 110 Geleise: »Ihr haltet euch immer bei Nebensachen auf, liebe Eltern. Die Hauptsache ist, daß wir nun auch seine Alten und seine Schwestern kennen lernen. Ich denke, ich kann ja mal zu ihnen hinüber nach Hamburg reisen, wie?« – »Das kostet man so viel, mein Bernhard,« fürchtete die Mutter. – »I wie so?« meinte der munter. »Ich loschiere natürlich bei Körtings. Selbstredend bin ich auch bei ihnen zu Tische«

Anna schauderte es. Aber sie blieb geduldig. Sie fühlte sich machtlos. Alles besprachen sie, ohne Anna zu fragen. Jeder hatte seine Interessen bei dieser Verlobung. Bernhard war der Beschützer: »Und wenn da irgend so 'n Frechdachs was sagt, Annsch, daß du mit Körting diesen Streich gemacht hast und nach Goldau gewesen bist . . . Famos übrigens, ganz famos. Bloß allerdings, das muß man ja zugeben, nicht ganz korrekt. Na, es kann mir ja schließlich weiter nicht in der Karriere schaden. Ja, wer da Bemerkungen drüber macht, den forder' ich. Beleidigungen meiner Schwester kann ich mir unter keinen Umständen bieten lassen. Absolut nicht.« – P. C. Behm hielt in seiner Wanderung durch das Zimmer inne: »Es ist gerade gut jetzt, wo ich ein bißchen in die Öffentlichkeit trete als Präsident der Koggenstedtia, daß wir einen Dokter bei uns haben. Der kommt in viele Häuser und kann dazu beitragen, daß meine Pläne mehr bekannt werden. Es ist ja kein Geheimbund.« – »Und den Laden schließen wir schon um acht, wenn wir ihn zu Besuch haben,« schlug 111 Frau Behm vor, »so hab' ich mehr Zeit, nicht?« – P. C. Behm nickte. »Ich werd' ihn fragen, was er zu meinem Brief an den Kaiser sagt. Das heißt, zu dem Anfang, den ich hab'.«

Mies nieste. Anna saß stumm, wie gelähmt. Ihre Aufregung von vorhin, als Mutter angefangen hatte: »Ja, mein klein Pappa, nu hat unsre Annsch sich ja wohl verlobt . . .,« war abgesunken. Sie hörte kaum mehr noch die Reden, die da geführt wurden. Was ging sie das alles an? Nur die Fragen quälten sie: wie wird er die Einladung aufnehmen? Wie wird er es hier finden? Ich muß ihn sprechen, daß er nicht denkt, ich dränge ihn . . . und ich muß ihn daran erinnern, daß wir einfache Leute sind . . .

Schließlich waren sich alle einig: nächsten Sonnabend, Bismarckheringe, Zigarren zu sechs Pfennig, von der kleinen eckigen Sorte, Salvatorbräu aus der Koggenstedter Aktienbrauerei und zu nachher Gelatinepudding mit süßem Rahm oder mit Saft, das wußte Frau Behm noch nicht, und Brief an den Kaiser. Derartig fein hatte er es gewiß noch keinen Abend gehabt.

In ruhigem Stolze gingen sie zu Bett, Vater, Mutter, Bruder Bernhard und Mies. Familie P. C. Behm fühlte sich verlobt. Nur Anna nicht so ganz. 112

* * *

Ach, haben Sie vielleicht einen Momang Zeit, Dokter?« fragte Bernhard am folgenden Nachmittag, nachdem er ins Stammlokal getreten war und die Herren, die mit Körting dasaßen, mit der Verbeugung eines etwas rheumatischen Generalleutnants z. D begrüßt hatte. – »Bitte sehr, gern,« sagte Körting und sprang höflich auf. Bernhard zog ihn geheim vertraulich in eine Ecke und lud ihn ein: »Wollen Sie uns nächsten Sonnabend die Ehre geben, zum Thee zu kommen? Aber selbstredend – Ansprüche dürfen Sie nicht machen. Ganz familiär.« – Auf das letzte Wort legte er ein besonderes Gewicht. Es klang väterlich wohlwollend. Körting machte ein erstauntes Gesicht, als wolle er sagen: Wie komm' ich denn dazu? Das mußte mit Anna zusammenhängen. Ging vielleicht sogar von ihr aus? Folge mußte er also wohl leisten. Sein Erstaunen war immerhin so stark, daß er nichts mehr als »Sehr gütig« herausbringen konnte. – »Ja, wissen Sie,« fuhr Bernhard fort, der sich überlegen vorkam als Vertreter der Familie P. C. Behm, »ein bißchen Anschluß, nicht? Danach haben Sie sich lange gesehnt, und ich meine, unsere Beziehungen . . .« – »Aber gewiß, gewiß,« stotterte Körting. – Bernhard drückte ihm herzlich warm die Hand: »Denn so um acht herum, nicht wahr? Wird uns sehr angenehm sein.«

Beide begaben sich an den Tisch zurück. Aber Körting hielt es nicht lange aus. Die Einladung hatte ihn betroffen gemacht. Er ging und suchte die 113 Anlagen vor der Stadt auf. Was war das? Hatte Anna ihr Geheimnis vor der Familie offenbart? Sie hatte doch selbst solche Angst davor gehabt, daß die anderen etwas merkten. Aber sie mußten jetzt Bescheid wissen, sonst hätten sie ihn nicht eingeladen. Und die Einladung war ein deutlicher, im Grunde zu deutlicher Wink. Noch dazu, wo sie durch Bernhard kam. Das sah Annas feinem, zurückhaltendem Wesen garnicht ähnlich. Steckte sie wirklich dahinter, dann hatte sie ihm eine große Enttäuschung bereitet. Dann war sie nicht die, für die er sie hielt. Aber er konnte sie der Plumpheit nicht für fähig halten. Er riß sich aus dem Grübeln los und sagte: klar will ich sehen. – Am selben Abend schrieb er zum ersten Mal an Anna und bat sie, daß er sie am gewohnten Platze treffen dürfe.

Anna kam verlegen. Die Begrüßung war ernst. Ein Schleier lag für ihn um Anna, etwas Fremdes. Aber er wollte es schon abstreifen. – »Also Sonnabend soll ich zu euch kommen,« fing er frisch an. – »Ja,« sagte Anna, und fast demütig fügte sie hinzu: »Willst du? Bitte.« – Daß sie ihn fragte und bat in diesem leisen, bescheidenen Ton, das machte ihn unterwürfig. – »Anna! Wie kannst du nur bitten! Du weißt doch . . .« – Aber wahr mußte es zwischen ihnen sein. Deshalb zwang er sich zur Härte: »Überrascht hat mich die Einladung, aufrichtig gestanden.« – »Sie haben alles erfahren. Daß wir in Goldau gewesen sind.« – »Von dir?« – »O!« – Sie 114 errötete. Sie sollte das preisgegeben haben? Er fühlte den Vorwurf in ihrem Ausruf und entschuldigte sich. »Ich meine natürlich, wir sind verklatscht, nicht wahr? Und dann mußtest du 's eingestehen.« – »Ja. Vorlügen kann ich meinen Eltern nichts. Warum auch?« – »Nein.« Und langsam setzte er hinzu: »Das kannst du wohl nicht.« – Er sah da wieder einen Zusammenhang zwischen Anna und ihrer Familie, den er eigentlich nicht begriff. Er hätte sich bei seinen Eltern uubedenklich mit irgend etwas herausgeredet. – »Dazu ist es doch wohl zu ernst,« meinte Anna noch.

Das Wort brachte ihn zum Grübeln. Ernst. Bis heute hatte er sich von der anmutigen Liebe tragen lassen, ohne über die Zukunft groß nachzudenken. Jetzt sah er auf einmal die Pflicht vor sich stehen. Die blickte ihn durch eine strenge Brille an und fragte: Nun? Was wird nun?

Sie saßen auf einer Bank, ein wenig auseinander. Anna ließ die Spitze ihres Schirmes auf ihrem Schuh spielen. Er schaute vornübergebeugt zu Boden. Anna wartete auf etwas. Das wußte er, und er durfte sie nicht zu lange warten lassen auf das, worauf sie ein Recht besaß. Ein Recht.

»Ja,« hub er an. »Siehst du. Das ist einem sonderbar, nicht? Wir zwei, wir verstehen uns, und nun sollen fremde Menschen kommen, und man soll davon sprechen.« – »O nein, ja nicht. Ja nicht!« – Sie wollte sich ihr Bestes nicht entweihen lassen. 115 Das wäre ihr schrecklich gewesen. Aber gleich kam der Zwiespalt wieder. Worüber wollten sie sonst reden? Der Zweck seines Besuches war eben, daß er in die Familie eingeführt wurde. Und mildernd meinte sie: »Meine Eltern werden sich freuen, wenn sie dich kennen lernen.« – »Ja, es freut mich selbstverständlich auch.« – Weil ihm das nicht recht aus dem Herzen kam, sagte er es übermäßig laut, und Anna empfand die gelinde Unwahrheit und trat ein wenig verletzt von ihm zurück auf die Seite ihrer Eltern. – »Wir brauchen meinen Eltern doch nicht zu verbergen, wie es mit uns steht.« – Damit hatte sie gefordert: du mußt mich vor ihnen als die Deine anerkennen. Seine Ehrlichkeit tippte ihn aufs Herz und mahnte: du! – Ja, ich will, antwortete er mutig. Sein Entschluß war fertig, und er sagte fröhlich: »Ich komme, Anna.«

Das hatte er auch laut gesagt. Aber es klang ganz anders als vorhin das Wort »selbstverständlich«. Anna war freudeerfüllt. Sie vergaß, von ihrer Einfachheit daheim zu sprechen. Sie brauchte ihm nicht zu danken und blickte ihn nur hell an. Er küßte sie zart. So war alles zwischen ihnen im Reinen. Er scherzte: »Sage mal, muß ich vorher einen feierlichen Antrittsbesuch bei euch machen? Mit Zylinder und Glacéhandschuhen?« – Sie schenkte ihm das lachend: »So furchtbar will ich dich nicht peinigen, armer Paul.« – »Ein Glück!«

Ein paar Minuten des Kosens, dann schlüpfte sie ihm weg. – Also seliger Bräutigam! dachte er, 116 als er heimging. Wie kommt die Jungfer zum Kinde? – Er hob die Schulterblätter, als säße ihm da etwas.

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