Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sarpedon

Dies weiß ich noch immer nicht – bin ich Sirburla zu Dank verpflichtet? Dem chaldäischen Priester, der mich armen, weniger Dinge kundigen Söldner aus den lärmenden Roheiten des Lagers hob und mir seines Wissens einen Teil und seine Schreibkunst zu Waffen gab, weil ich auf Kypros seine Tochter Giluhipa vor Verunreinigung durch trunkene Söldner bewahrt hatte. In wehmütiger, aber verderblicher Erinnerung einer Tat meiner Jugend, die ich nicht hätte wiederholen sollen.

Viel hört ich von dem Magier, was mir neu war, blies mich auf wie ein Frosch um Dinge, die nicht ich gefunden hatte. Aber schwierig ist die Furt von Überhebung zur Demut, beschwerlich ist der Weg der Weisheit, und Weisheit, wie oft zerschellt sie nicht an den Klippen des Zufalls! Anfangs zwar schien mir dies überlassene Wissen ein Heil zu reichen: es machte mich wilden Krieger zum König einer Stadt. Doch – hätte der Chaldäer sich meiner nicht erbarmt, war es mir wahrscheinlich beschieden gewesen, in hohem Alter das nur einmal gewährte Leben zu beschließen. Nun aber, als König die Leute meiner Stadt in die Ferne gegen eine scheinbar andere Stadt führend, lieg ich schwer verwundet danieder. Denn bei nächtlichem Überfall stieß mich ein Feind mit dem Gewaltholz vor die Brust. Als ich im Schein unseliger Fackeln die Waffe des Gegners als Ruder erkannte, wie einem Baum, wenn er umgehauen wird, so war mir zu Mut. Ich ließ die Hoffnung fahren und eilte mit dem Rest meines Lebens, des hervorquellenden Blutes nicht achtend, dem Schwinger des Ruders nach, und gab und bekam Wunden, bis ich ihn tötete. So, wiewohl karg, ihm zu bezahlen, was ein anderer Ruderer mir getan. Des Vorteils jedoch meiner abergläubischen Erinnerung wird einer der Führer meiner Rotten genießen; weil mich bei Knossos vor verwelkten Jahren einmal ein verbitterter Sklave mit dem Ruder traf, wird das Schwert eines Unteranführers König werden.

Noch sind sie nicht haßineinanderverkrallt, noch gilt ihr Lauern mir. Sie horchen von weitem, treten ins Zelt, rücken immer näher und näher gegen mich an, gleich um die verzuckende Beute gescharten Aasgeiern spähend, ob mein Leben noch nicht verendet. Auch hätte sich wohl längst der machtgierigste unter ihnen zum Sprung gekrümmt und meinen Leichnam getreten; aber die Zeichen, in die Täfelchen geritzt, und der in ihnen geborgene Zauber, den ich nach seiner Vollendung geheimnisvoll bald dem einen, bald dem andern zu hinterlassen versprach, hielt bislang die Tiere von mir.

Bevor sie sich zu einem geduldigen Beimirsein beschied, hat mich mein Weib oft mit Worten, Blicken und Falten der Stirn bestürmt, ihr von dem Mädchen zu erzählen, zu dem das erste und einzige Mal mein Herz und Aug in Liebe fiel. Niemals hab ich ihren Wunsch erfüllt, in Scham, das einzig Zarte, das mir im Leben erblühte, einem vollbrüstigen Weib preiszugeben. Nun aber entreißt mir das räudige Schicksal mein Geheimnis. Ich werde Sorge tragen, daß mein Mörder ihr die Tafeln zur Trauerzeit übergibt: vielleicht sinkt Laodameia in Rührung, ergreift unsern Sohn Glaukos und besteigt mit ihm ein phönikisches Schiff, statt ihn dem Mörder zulieb zu erwürgen, selbst bald einer jüngeren geopfert: hinabgeschleudert zu den alles fressenden Fischen. Aber wenn die todeswürdigen Götter wirklich sind, werde ich sie fragen, wozu ihr schwarzer Priester mich dem Wein und den Würfeln entriß? Daß mein Sohn der fürchterlichen Hippe der Phöniker oder dem Dolch der Mutter fällt? Oder sandten sie mir ihren Knecht, auf daß ich dereinst unter schweren Schmerzen durch das Niederschreiben eines Teils meines jammervollen Lebens meine Tage friste, sowie durch trügerisches Gedächtnis hingelebter, abgestorbener besserer Zeiten die Bitternis des ankriechenden Endes mindere?

Zuerst weideten mich meine Eltern und gaben mir die gehörige Nahrung und Wartung. Früh ward ich ein Hirt über Vieh – hernach wurde ich selbst unter die Herden der Männer getan und diente als Krieger, bis sie zuletzt mich setzten den Völkern zum Hirten. Nun aber freu ich mich innig, frei zu werden von Atem und Essen, wie auch der Sorge, daß andere den Atem trinken können. Mein Leben war Wind, der kommt und vergeht. Wie Ruderspuren, die im Wasser sich verlieren. Übrig blieb der Wunsch, frei zu werden. Frei ist nur ein Mann, der in keiner Weise sich oder andern dient. Denn wenn einer ein Hirt ist bei den Herden, geschlachtet wird er und seine Arbeit mit den Schafen, deren Fleisch feist geworden ist. Liegt aber einer beim feilen, geilen Haarweib und wirft seinen Samen vor die Säue, verknechtet er seine Überkraft und überläßt andern, was er durch mühseliges Atmen, Essen und Ringen in vielen Jahren erwarb. Sie schlachten uns, indem sie uns zwingen, Könige über sie zu sein, und schlachten uns auch, wenn wir ihnen auf andere Art dienen, in Handmühlen oder durch Härtung des Erzes. Weshalb wir uns ewig töten: mit dem Ruder der Liebe bis zum Ruder des Todes, weiß ich nicht.

Sirburla glaubte es zu wissen, wenn er an den Tagen, wo ihm von den Satzungen geboten war, den Göttern zu fluchen, klagte, es könne sein, daß Zeit und Raum niedrige, uns eben noch faßliche Eigenschaften eines im Verhältnis zu andern Geschöpfen vielleicht auch wieder minderwertigen Tieres seien. Eines Wesens, dessen übrige, weit wunderbarere Tugenden infolge der außerordentlichen Mangelhaftigkeit unserer Sinneswerkzeuge von uns nur so geahnt werden könnten wie von Blinden Licht. Vielleicht erst beim Sterben über uns hereinbrechend. Hinwiederum sei es denkbar und möglich, daß dies Ungeheuer zwar bereits längst verreckt sei, aber, mit dem eigenen Tod beschäftigt, vergessen habe, dem Leben der Menschen Einhalt zu gebieten, so daß sie sinnlos in die Ewigkeit fortdauern müssen, verehrungsvoll aufblickend zu des Ungetüms Wirbeln und Knochen: den Sternen – selber lebend auf einem solchen. Belichtet von einem anderen Tierrest, der Sonne, die nebenbei und unabsichtlich aufleuchte, was aber ihr wirklicher Zweck und ihre Sehnsucht – sei nicht zu ergründen. Die ersten von uns wären ursprünglich gleich zufällig geworden aus Spiel und Verwandlung eben dieser Sonnenstrahlen, die, auf Erdklumpen stoßend und sie vergewaltigend, einen maßvollen Grad von Fäulnis gezeugt hätten: das Leben. In solcher Form vermöchten die Sonnenstrahlen ein großes Jahr zu verweilen, bis sie, von der Arbeit fast aufgerieben, wieder zur Sonne rückkehren müßten, neue Kraft zu holen und das fast vergessene Spiel irgendwo von neuem und anders zu beginnen. Mag sein, daß einer nach Aeonen diese Tafeln erblicken wird und aus ihnen Belehrung schöpfen kann. Was mich betrifft, so hab ich zuviel erlebt, und wünsche gar nicht mehr zu wissen, zu erfahren, welche Verfassung die Dinge zuinnerst besitzen, sondern ich sehn mich schon, zu liegen: über mir und nicht zu fühlen die kühle Erde. Noch aber ist, mit dem Verlangen nach der Volltrunkenheit des Todes kämpfend, etwas von Feigheit in meinem Herzen, das sinnt, wie es trotz meinen Leiden so lang als möglich an der alles fressenden Sonne bleiben könne und erleben, was nur noch in der Eile vorbeilaufen mag.

Obgleich es mir immer mehr zur Gewißheit wird, daß im selben Augenblick, da mich der freundliche Feind mit dem Ruder traf, Philonoë starb und irgendwo mich erwartet – noch bin ich nicht bereit, auf den Ruf des Ruders zu ruhen. So kalt, feig und kläglich werden wir mit den Jahren des langsamer kreisenden Blutes. Hätt mich doch an dem Tag, da mir mein Mädchen geschah, am Tage des ersten Ruders das Meer verschlungen. Beseligt und jauchzend war ich dahingefahren, die Wogen im Sterben noch küssend – so aber wese ich unter Schmerzen in einem gleichgültigen Zelt dem Tod entgegen, und fluch meinem Hirn und dieser Welt, daß ich, was ich erlebte, nicht hell und ganz und knabenschön, wie ich es fühlte, wiederzugeben, ja nicht einmal wieder zu empfinden vermag, sondern dumpf und zersplittert, und jeden erbärmlichen Splitter gehüllt in die tausend elenden Weisheiten und Betrachtungen des erfahren genannten Mannes. Geschäh mir der Tod, käm doch die starre Nacht in jenem Augenblick, wo ich schreibend, fühlend bis zum Leben meines Lebens vorgedrungen sein werde. Dieser Übergang wäre der leichteste, denn von allen irdischen Dingen naht die Liebe am schärfsten dem Tod. Gäbe ein gnädiges Schicksal, daß mir gestattet wäre, hinzufahren, schreibend und fühlend, wie mir Toren ein Mädchen sirenensüß die Seligkeit versprach – und wundervoll singend und schaukelnd mir in den Ozean entglitt.

 

Als ich vierzehn Sturmwinter jung war, ein Hirt den Ziegen des Bellerophontes, ward über mich Herr die Gier, hinabzuschreiten in so eine Ebene und mit meinen Augen zu sehen, was für eine Art Menschen die Städte behaust. Also nahm ich von den schimmernden Fischen, gefangen beim Zusammenlauf der Gebirgsbäche, nahm von den Beeren des Walds und reinen Käs, übergab meine Herde dem Nachbarhirten, stieg nieder aus dem Gewölk in die erste Stadt, die ich im Leben sah: Knossos. Des Zombis morgenschöne Silberfluten durchwatend, labte ich mich noch an der lieblichen Witterung, dann kam ich in den Bereich jener, die in ihren festen Behausungen für die Vorgänge in der Luft weniger Neugier atmeten. Ich hatte auf meinen Steilschroffen und Gehängen außerhalb der Zeit gelebt, empfand nur den Wechsel der Jahres-Zeiten, bezeichnet durch Blumen oder Schnee, die Weisen aber kannte ich nicht, durch welche die Knechte der Städte den grauen Tag aus seiner Umgebung herausheben, auf daß sie sich an ihm ihres Lebens freuen. Damals war ich noch töricht, und in meiner Torheit glaubte ich, die Leute von Knossos seien einfältig, weil sie zur festgesetzten Stunde sich freuten oder ihrer Seele das Trauergewand anlegten, nicht aber wie ich nur dann Freude oder Schmerz ausstießen, wenn ihnen in Wirklichkeit so ums Herz war. Später belehrte mich das Leben und sagte mir, wie gut es sei, die Zeit zu messen, zu begrenzen, inmitten des Jahrs Pfähle aufzupflanzen und Hoffnungen, Erfüllungen mit dem Erreichen der Pfähle zu verknüpfen. Ich selbst gewöhnte mich auch bald an diese Pfählung und erfuhr zu meiner Zeit, wie nützlich solche Ordnung für die Gesundheit ist, da immer, wenn wir aus der sanften Gewalt der Zeitrechnung geraten, dies ein warnendes Zeichen ist, daß wir uns von Schmerzen, Lüsten in nie durchmessene Weiten mitnehmen ließen. Gleich wenig wie von diesen Undingen wußte ich, daß an dem Tag meiner Wanderung die Knossier mit Hall und Schall, mit Spott und Hohn das Fest der Musterung, das Fest der Apaturien beginnen, an welchem einzigen Tag des Jahrs ihnen von ihrer Sitte verstattet ist, einander die innerste Meinung zu sagen. Und auch in ihren lächerlichen, täuschenden Umzügen kommen ihre Geheimgedanken zum Vorschein.

Nur die Greise und Bresthaften beteilten sich nicht mit der Lust, sondern warfen sich an den heiligen Höhlen, Bäumen, Kreuzwegen vor der Stadt hin, küßten betend gekrümmt die Flächen ihrer Hände und riefen die namenlos Vielen an, und zwar mit lauter Stimme, ob vielleicht ihre Bitten, an einem besondern, festlichen Erztag verrichtet, von mehr als gewöhnlichem Erfolg begleitet wären? Ein Vorzeichen mehr für mich, daß ich schon unter schwachen Geschöpfen weilte, die nicht nach Hirtenart alles auf ihre eigenen Schultern nahmen oder den Nachbar vertrauensstark um Beistand angingen, sondern mit ihren kaum zu schweren Lasten sich Hilfe heischend wanden vor ungewissen oder bloß möglichen Wesen, aus denen als sicherlich von ihrem eigenen Tagwerk Verschlungenen Antwort oder gar Unterstützung ebensowenig zu erwarten ist als vom stumpfen Fels oder der ewig blutenden Quelle. Dem Anschein nach verließen sich auch die Städter nicht allzusehr auf den Schutz der Dämonen, keuchend hatten sie künstliche Berge um ihre Häuser gezogen, und vor diesen Mauern und Toren standen mit der Doppelaxt bewaffnete Wächter. Sie fragten mich nach dem gewiß erkennbaren Zweck meines Kommens, und indem sie mich mit der Antwort ihrer städtisch ins Wesenlose gezogenen Fragen beschäftigt wähnten, bröckelten sie an meinem Käs, fraßen Beeren, und als ich was zum Entgelt verlangte, gaben sie mir Hohn zu trinken. Da ich geschickt war in der Verwendung meiner Hände, Füße und einige Kerle zu Fall brachte, verhinderten mich die andern durch ihre Unzahl, einen der Gefällten des weitern zu behandeln. Schließlich mußt ich mich noch glücklich preisen, mit einem Teil meiner Waren den ihres Spaßes frohen Wächtern stadteinwärts entronnen zu sein. Ich hätte die Argen gewähren lassen sollen, mich der Hunde erinnernd, die in den Dörfern einem nicht unter ihnen herangereiften Hund keineswegs unbehelligt den Durchzug gestatten, und wenn auf einem Gehöft ein fremder Hahn erscheint, sofort setzen sich sogar die begegnenden Hennen erbittert zur Wehr. Gewitzigt schloß ich mich lärmend einer Schar von Knaben an mit künstlichen Bärten, die ihren Nasen entkeimten, und sah übermütigen Jünglingen zu, die auf der Agora lauten Unfug trieben. Sie verlachten durch Witz und Tat einen Vogelschauer, der nach fürchterlichen Sturmnächten, denen ein Erdbeben gefolgt war, gesagt hatte, unter den Dämonen habe ein Kampf getobt, neue Götter seien zur Herrschaft aufgefahren. Und waren auch viel Leute gewesen, die es geglaubt und alsogleich die Neuen im Gebet verehrt hatten. Darum riefen die Jünglinge diese Neugötter in der gehörigen Reihenfolge an und schrien zu ihnen, die nun mächtig sein sollten. Zu He und He-phaistos, He-ros und He-ra, He-ra-kles und He-ra-mes, He-lenos und He-lena, He-be und He-kabe, He-kator und He-kate. Priesen diese Namen und ward ihnen ihr Lobgesang nur bei He-phaistos schwer, als dem He und Schutzgott der durch ihn blühenden Stadt Phaistos, der alten Gegnerin von Knossos. Diesem nämlich wollten sie nicht einmal im Scherz einen Päan singen. Nicht auch vergaßen sie Dyos und Dyone und deren Kinder Dyonusos und Anadyomene anzurufen. In einem Atem mit ihnen verherrlichten sie den Silberbogner Phoibos Apollon, den Überwinder, der Python und Dyonusos zur Zeit ihrer Üppigkeit, den Nahkampf mit Unreinen meidend, mit seinen Pfeilen zu erlegen pflegt. Sie aber wurden, auftauchend aus der Krankheit und Trunkenheit des Todes, aufs lustigste wiedergeboren oder erstanden auf gleich der Hydra und überließen ruhig denen in Delphi, die Gruft des Dyonusos, der da badet im Siechtum, zu zeigen als das Grab und den Käfig eines unterlegenen, niederen Dämons. Nachdem die Jünglinge ihr Flehen zu diesen Himmlischen geendigt hatten, zeigten sie sich aber plötzlich als inbrünstige Verehrer von toten Mauleseln. Indem sie Gebärden des mißliebigen Priesters nachahmten, schleppten sie trauernd ein solches Tier herbei. Dann, den Daumen der Rechten auf den Nabel drückend, mit der Linken hingegen sich die Nase zuhaltend, heulten sie tief auf, umwandelten unter Lachen und Singen dreimal den Leichnam des verehrten Esels, hierauf sich vor demselben verneigend, hüpften sie auf einem Bein und, indem sie stritten, auf welchem dies zu geschehen habe, zum nahen Bach, spien über die Schultern im weiten Bogen auf die vorbeischwimmenden Gänse, schnitten sich die falschen Locken ab, weinten noch einmal, und gingen dann befriedigt nach Haus, den Hingeschiedenen zu verzehren, nachdem sie mit heiligen Mienen den frischen Göttern die gebührenden Eingeweide geopfert.

Bald hernach sah ich ihn, von dem ich nicht mehr geglaubt hätte, er lebe noch: Zeus, den guten alten König der Eteokreten. Bald schäkerte er mit einem anmutigen Mädchen, dann wieder neben der Ladung eines ihm bekannten Bauern einhergehend, kostete er freundlich von den neuen Früchten. Ich aber, dadurch erinnert, war nun bedacht, meine Ware so schnell wie möglich zu tauschen, damit sie nimmer durch einen unglücklichen Zufall weniger würde. Am liebsten hätt ich einen der großen Silberbecher eingetauscht, auf denen dargestellt waren zum Ruhm des Hydrakles die Lebenskämpfe des schlank-gelenken Mannes mit vierbeinigen Stieren. Jedoch die Händler lachten meines Verlangens und wollten mir nicht einmal die Haut eines Wildochsen oder einen Dolch mit eingelegter Arbeit anbieten. Erst der letzte, der in der Reihe saß, Isandros, der Sohn des Hippolochos, da ich von ihm einen mit vielen Stickereien gezierten Mantel begehrte, ließ er mich riechen an einem Büchschen aus Sandelholz, duftende Spezereien enthaltend. Und erzählte mir von einer gewaltigen Schlacht, die vor kurzem sich auf hoher See zwischen den Dreißigruderern libyscher und tyrrhenischer Räuber entsponnen habe. Auch hätten die Trojaner Rhioiteion nach zehnjähriger verzweifelter Gegenwehr endlich doch erstürmt und dort unter Mord und Brand diese Ilioten am Herzen liegende Verehrung des Aias Ileus, den sie Ach-Ileus nennen, eingeführt. Auch ich sei ein einzelner auf meinem Berg Ida, um so leichter könne mich der Herr um den kargen Lohn der Fruchtbarkeit meiner Schafe prellen. Davor aber schütze nichts so gut, wie ein tüchtiger Helm. Der auch, wenn ich, woran nicht zu zweifeln sei, diesen kostbaren Weihrauch zu holen, in das ferne Land Punt eindringen sollte, wo die Sonne von fliegenden Schlangen verfinstert wird, mir zu todtrotzendem Schutz vor solchen Ungetümen dienen würde. Und da er dies geschickt sagte, brachte er es leicht dahin, daß ich mir eine schwere, beulige, über die Stirn sinkende Sturmhaube aufsetzte und ihm dafür meine Last ließ. Als ich das große, kalte Stück Erz auf dem Haupt wuchten fühlte, schien ich mir ein Mann und blickte um mich mit Blicken eines Mannes. Mit der Erwerbung des Helms hatte ich ja den Grund gelegt zum Haus meines alten Wunsches, ein Großer zu werden unter den Meerräubern, eine Stadt zu berennen und mir aus der brennenden die violenlockige Königstochter zu retten.

Da geschah mir das Haar eines Mädchens. Rot und golden war es wie doppelaxttragend die Göttin Ariadne. Ihre Augen leuchteten schöner als das Edelgestein der Göttin. Während ich aber verzückt mich noch mit Schauen an der Schönwangigen freute, schrie sie auf in ihrer brennenden Stadt. Ein Jüngling hatte sie gefaßt und zerrte an ihrem Gewand. Als die silbernen Knospen aufblinkten, wußte ich nicht, wie mir ward, rannte hin und führte einen Streich nach dem Jüngling, strauchelte jedoch dabei wegen der Schwere des Helms, sonst wär es sein Tod gewesen. Meinend, ich sei ein Bruder oder Vetter des Mädchens, sagte er entschuldigend: »Metzger und Männer betasten Weiber und Kühe.« Doch die Umstehenden, Lärmens froh, hetzten uns, um das Mädchen zu kämpfen, das ratlos und zitternd verging.

Wir gürteten uns. Da er aber nach meiner Stellung einen Hieb auf die Brust erwartete, wie ihn die minder Erfahrenen lieben, traf ihn ein doppelter Streich an die Backen und er schlug hin, vom Blitz gefällt. Als er nach kurzer Zeit der Augen Licht wieder erlangte, raffte er sich nicht wieder zum Kampf auf, sondern taumelte zerknitterten Herzens seiner Behausung zu. Und diejenigen, die den anderen vorangegangen waren, mich ermunternd zum Faustkampf, auf daß der Einheimische siegte, sie waren die letzten, die mir Beifall gaben. Wir selbst gestatten uns gern Tadel an Dingen der Heimat, daß aber ein Fremdling sie schmähe oder gar unser Ort Schande nähme, dies wollen wir nicht erleben. So sehr wir auch über die Grenzen unseres Landes erhaben scheinen möchten.

Wie aber mit dem Mädchen sprechen, das zwar nur um geringes älter schien als ich, dem aber meine außerordentlichen Tugenden durch Schulterschwung oder Niederwerfen zu beweisen noch nicht anging. Eine Weile klang unser Schweigen ineinander, dann durchbrach sie mein Verlegensein, indem sie zu sprechen anhob und mir dankte. Sie sei eine Danaide, fremd in der Stadt, und habe sich auf dem Rückweg aus dem gewaltigen Palast des Labys verirrt im Gewühl der Straßen, lustwandelnd verloren von der Seite ihrer Schwestern. Und fragte mich, ob ich die nicht gehört habe, einander mit Namen rufen. Sie hießen Alalia, Pitane, Myrrhina und Aigiroëssa. Sie selbst heiße Philonoë. Das gab mir Mut und ich sprach: ich bin der Sarpedon.

Dann nahm wieder sie ein Wort. Jetzt erst ihren Fehler einsehend, ohne irgendein Zeichen für die Schwestern neben mir einherzuschreiten, rief sie eine Weile die Namen – vergebens! Dann erzählte sie mir einiges über sich. Sie seien von Ägypten nach Argos gesteuert, die Etesien aber, widrige Winde, hätten sie nach Kreta abgetrieben. Ich erwiderte, wie überaus erfreulich derartige Lüfte mitunter wären, und ich auf meinen Berghöhen den Rauhwinden nun nie mehr grollen würde. Darauf schwieg sie ein wenig, hernach fragte sie mich kaum erhobenen Auges, ob ich dies auch wirklich fühle und nicht aus bloßer Rauflust, wie sie von der Stadt trunkene Hirten oft befällt, meine Faust erhoben habe? Ich vermochte nicht zu reden, Scheu hielt mich, was in mir brennend schwang, mit kahlen Worten zu benennen. Da ließ sie ihre einzigen Hände in die meinen, und während ich fast schon dies nicht ertragen konnte, von ihren ältern Schwestern her vielleicht große Worte gewohnt, versprach sie mir mit leisem Beben der goldenen Wimpern Seligkeit. In einer Gegend fern den Mauern, wo die Wege ihr wieder einfielen, begannen ihre zauberlangen Beine schnell zu gehen wie ein junges Waldpferd. Und nah dem Meer, vor einer großen Wiese, auf der, menschendichtumwogt, eine kleine Zeltstadt stand, verließ sie mich, die Schwestern zu grüßen. Eine fliehende Umarmung, ihre Lippen auf den meinen wie ein Hauch, die Worte: »Wenn du alles gut von außen besehen hast, frag nach mir in dem Purpurzelt« waren das letzte, was mir von ihr blieb.

Herrisch schritten, bunte Federn im blaugefärbten Haar, die Sikeler einher und die Krieger von der Insel Sardo. Aber die Sehnsucht nach den Himmel tragenden Bergen und verbrannten Fluren ihrer Heimat glomm aus ihren Augen, wenn sie auf eine gespreizte und dabei von der Richtigkeit ihrer Aussprache nicht ganz überzeugte Art babylonisch zu reden sich mühten, die Sprache der Höfe.

Ein brauner Tyrrhener, der mit Schätzen, die er sich in zwanzig Jahren bei den Ägyptern erkämpft, stolz Heimkehr in dem Dorf seiner Geburt zu halten gedacht hatte, von der Danaide Anteia in einer Nacht darum gebracht, fluchte den Danaiden. Ein anderer versuchte ihn zu trösten, indem er ihm riet, sich zu freuen, daß er sich nach dem Rausch nicht als verschnittener Sklave im Bauch eines Schiffes wiedergefunden. Die Beschimpfung der Danaiden traf mich, vergebens strebte ich zu erfragen, was diese Mädchen Großes vollbracht hätten. Man lachte meiner als eines Halbwüchsigen, sprach Geheimnis. In ihren Reden süßes Blut rann, weißer Wein der Lust.

Erfolglos war mein Wille, all mein Denken einzig auf Philonoë zu werfen. Es war mir nicht möglich, die äußerste Treue zu wahren, Anblick auf Anblick riß mich mit sich. Ich konnte nicht Sehens satt werden. Das Gerassel zusammenstoßender Schilde der zum Schutz gegen Seeräuber aufgestellten Gewappneten, bei jedem Zelt das Gebrüll wie wütend zusammengeschlagener Tympana, aus der Ferne eintönig donnernd der Atem des Meeres noch hörbar – betäubte meine Sinne. Vor dem Zelt maßen Ringkämpfer, gleich Schweinen mit gekochten Kastanien in die Breite gemästet, ihre Kräfte. Ich stand nur von weitem, weil ich nichts von dem hatte, was der Ausrufer forderte, von dem Helm aber nicht lassen wollte. Jedoch meine jungen Augen sahen eilend manches. Immer gewann der kretische Ringer die Oberhand über den Fremden, den kahlen Ägypter, hauptumlockten Achäer oder mützentragenden Paphlagonier. Und wiewohl einige der Kundigen ihre Bedenken über diesen Zufall äußerten, waren es doch sie, die den anderen mit heftigem Beifall für den Knossier voranheulten, und wie sehr auch ich im Ringen Geübter an der Ehrlichkeit des erfochtenen Sieges zweifelte, die Freude über ihn flammte deshalb nicht minder in meinen Wangen. Dann lief ich mit den meisten Leuten gegen einen ebenen, graslosen Raum, den sie Tanzplatz der Göttin Ariadne nannten. Dort, bald von einem andern getragen, bald diesen auf meinen Schultern sitzen lassend, harrte ich der Dinge, die da nahen sollten. Ein elamitisches Kamel, dreihöckerig, von ungeheurer Größe, mit festesten Stricken gefesselt, ward von zwanzig und wohl noch mehr Männern unter lautem Geschrei auf einen starken Mann in gelbem Mantel getrieben. Des Untiers Augen waren blutig rot, als ob sie bald erblinden würden, Schaum floß in Strömen aus seinem Maul, die wie rasend hin und her geworfene Zunge war verschwollen und ein unnatürliches Gebrüll, selbst den Tapfersten durchstechend, scholl Tod aus seinem Geiferrachen. Die Männer ließen die Seile los und entflohen. Wütend, als wolle es den Gelbmantel verschlingen oder dem gleichsam schon auf der Erde Liegenden das Herz zertrampeln, kam es auf ihn losgestürmt, schon sahen wir ihn unter Hufen zermalmt, da beugte das Ungetüm die Knie und nahm ihn auf, der das Tier vorwärts und im Kreis schreiten ließ, so geschickt wie eine Amazone ihren Wildesel lenkt. Dann kamen Stierbändiger. Ich aber sah lieber einem alten Weib zu, das aus Gestalten weissagte, die von der Hand oder den Füßen gefallener Sand annahm, und Gelächter scholl, als ein mit dem Spruch unzufriedener Wanderer ihr den Staub von den Füßen ins Antlitz schüttelte. Ich drängte mich um die verschlossenen Zelte der Schlangenbeschwörer, andere gaben ihre letzten Bartringe her, Eintritt zu erlangen, ich aber hatte noch nichts derart, sonst hätt ich es auch getan. Meine Armut war so groß wie die in den nächsten Hütten feilgehaltener Ackersklaven, fremdblickender Gefangener aus den Schlachten der Könige von Cheta mit denen von Pamphylien. Von der Zeit, dem Alter verschnittene Männer standen um einen Buckligen, der unbedingt wirkende Liebestränke nebst ebenso tödlichen Zauberformeln feilhielt. Nach seiner Aussage waren es dieselben Verwünschungen, durch die Asur-risisi, der König von Naharina und Hanigalbat, aus der Ferne Gugu von Lydien, der ihm nicht beigestanden wider die Kimmerier, getötet und an dessen Stelle Kandala, den Sohn von Niemand, gesetzt hatte. Der Bucklige besaß auch eine verschlossene Schilfrohrhütte. In dieser befand sich der Vogel Krex. Sowie Bassaren, den Hystrichen sehr ähnlich. Diese Tiere hätt ich sehr gern gesehen, denn ich wußte ja nicht, wie Hystrichen aussehen, und wär mir der Anblick der Bassaren gegönnt gewesen, hätt ich auf einmal gewußt, was für Art Tiere beide sind. Nicht weit davon waren nebeneinander zwei geräumige Zelte aufgeschlagen. In das eine durfte man um geringes gehen und war daselbst zu schauen ein abgehärteter Mann namens Ixion, der auf ein Rad gespannt war und damit auf und ab rollte. In dem andern, nicht so wohlfeilen hingegen zeigte sich einer namens Prometheus, der auch dies tat, aber obendrein und als Zugabe sich die Leber von einem Geier zerhacken ließ. Freiwillig, auf daß ihm das Schicksal nichts mehr anhaben könne. Die Besucher gaben keinen Bericht von den Wundern, die sie mit eigenen Augen geschaut; vielleicht durch feierlichen Eid bei den Unirdischen gebunden, oder weil sie mit Freuden sahen, daß auch andere den Betrügern zum Opfer fielen. Von allen Zelten hätt ich diese am liebsten besichtigt, und wenn der Weg nicht zu weit gewesen, war ich zu dem Phöniker zurückgelaufen, ob er mir nicht den vor Hitze beschwerlichen Helm abnehmen und mir wieder meine Fische, Käse und Beeren für die Schmerzenerdulder überlassen wolle.

Gelächter schlug in meine Begier und ließ mich auffahren. Ein Windstoß nämlich warf, hob ein Zelt empor – man sah darin ein Mädchen an einem Mann beschäftigt. Und alle schrien: »Seht die Danaide«. In mir aber sprang die Angst hoch, ein gleiches von Philonoë zu erleben. Nein, das war nicht, ihr Antlitz blühte rein wie ein Stern. Da wußte ich, daß ich sie im Traum sehen würde in ihrem Zelt, bei einem andern. Vielleicht jedoch träumte ich von ihr und mir. Und ich schämte mich schon die Scham des Traums, wo ich so bei ihr wär und ein Wind käm, den Menschen das Zelt in die Höh zu heben. Dann fuhr Reue hoch und kratzte mich wund, um Gaukelwerk ihren Anblick so lang verschmäht zu haben. Diese Reue aber geschah, nachdem ich bereits alles gesehen hatte. Angst, wie sie nach der übel bestandenen Probe gegen mich sein würde, trieb zum Lauf. Allein die vielen hielten mich auf und ich hörte noch, wie einer der von ihren Burgen herabgestiegenen Kreterfürsten eifrig zum abwehrenden Zeus sagte, wie gut es wär, all die Versammelten mit Gewaffneten zu überfallen, ihrer Güter zu berauben, die Männer in die Knechtschaft zu schicken, die schönsten unter den Mädchen zur Lust zu behalten, die andern herentgegen Weizen und Gerste mahlen zu lassen. Dies vernehmend, durchbrach ich mit verzweifelter Kraft das Gewühl, Philonoë vor der möglichen Gefahr zu warnen, auf daß sie so mein Säumen vergäße. Als ich dem purpurnen Zelt nahte, wartete sie bereits. Trauer war in ihrem Antlitz. Sie aber war gehüllt in üppige Gewande, wie sie Weiber mit gewaltigen Brusthaufen, Tänzerinnen und Flötenspielerinnen zu tragen pflegen. Meine Schuld aber erfüllte mich, preßte mir den Nacken und bedrängte mein Herz, es mit Bitterkeit umfließend. Ich ließ sie nicht zu Wort kommen, sondern meldete hastig, was ich erlauscht hatte. Da lief sie ins Zelt und meldete denen drinnen, was not tat. Dann nahm sie meine Hand und führte mich in die Hütten meiner Sehnsucht, in die Zelte, in denen ich nicht gewesen war. Mein Aug jedoch war kalt und ich hatte der Wunder nicht acht und der trüglichen Künste, durch die sie bewirkt wurden. Was ich aber sah, dies schien mir schal und klein. Sie fühlte das und sprach: »Du hast dich mehr gesehnt, als du draußen vor den Toren standest, wie du nun Freude empfindest, da du die armseligen Tiere an ihren Ketten und Rädern hangen siehst, denen sie nicht entrinnen können.« Und begann zu schluchzen: »Meine Überkraft wird ein Mann in Tiryns nehmen oder einer von den Inseln. Du aber sollst nur das Land sehen, das an die Wiesen grenzt, die noch niemand geahnt hat.«

Meines Flehens Blicke kamen zu ihr, und da ich schon unter Schmerzen geglaubt hatte, die eingehende Besichtigung der Ringer und Dromedare und die ewig festhaftende, bohrende Erinnerung daran vom Leben als Preis für den Verlust Philonoës erhalten zu haben, hauchte sie: »Du kamst zu spät! Ich träumte für dich Glück, nun wird dir nur der Sehnsucht Seligkeit.« Da diese Rede der vorigen von dem Mann in Tiryns oder auf den Inseln zu widersprechen schien, freute ich mich, und als sie sah, daß ich mich freute, freute sie sich auch. Und erzählte mir, wie sie heut zum erstenmal das Gewand der Tänzerinnen und Flötenspielerinnen habe anlegen müssen, um mit ihren Schwestern zu tanzen. Ich sei der erste, der sie im erwachsenen Kleid erblicke. Schon kam auch eine Schwester aus dem Zelt geweht und hieß Philonoë bereit sein. Es war nämlich über meinen und unsern Wanderungen und Gesprächen unbemerkt längst die Sonne gesunken und schattenschleudernde Fackeln jauchzten hoch, fauchend und wild in die mondlose Dunkelnacht. So schied sie mit Umarmungen und Küssen von mir, vertröstete mich auf ihre Nacht – versprach, hernach beim Tanzplatz der Ariadne mich zu erwarten. Dorthin begab ich mich nun zögernd, das Herz von wogender Süße gefüllt, und standen allda bereits fünfzig Bewaffnete, so auch sonst mit den Danaiden auf dem Schiff waren, daß kein Seeräuber oder mädchenfroher Feind die Lust verheißende Ladung wegnähme. Dem aber all das gehörte, war ein Mann mit bösem Bart, der samt einer Peitsche vor den Engpässen stand, die zu dem Platz führten. Danaos hieß er. Ihm eigneten unter den Gerüsteten einige als Söhne und auch unter den Danaiden waren ihm etliche verwandt, aber bei weitem nicht alle. Leichter nämlich als fünfzig Mädchen zu zeugen, auszustatten, zu verheiraten und dabei ein welkes Alter zu erreichen, ist es, kunstfertige, mannessichere Weiber zusammenzukaufen, sie nicht besser denn Sklavinnen zu behandeln, mit ihnen umherzufahren und auf diese Weise viel Geld zu erwerben. Als ich dem Danaos den Namen Philonoës nannte, ließ er mich durchschlüpfen wie ein lästiges Ungeziefer, und ich ersparte, meinen Helm dranzugeben, den ich im ärgsten Fall geopfert hätte. Zuschauer lärmten, und die Danaiden, alle prunkgekleidet wie Philonoë, begannen ihre Tänze mit ihrer bekanntesten Vorführung. Sie schöpften klares Wasser in kleine Amphoren, und wenn sie die Amphoren zeigten, dann war nichts darin. Sei es, daß diese unersättlichen Gefäße mit einem doppelten Boden versehen waren, winzige Öffnungen besaßen, durch die das Wasser unbemerkt entweichen konnte, sei es, daß die Amphoren aus einem Stoff bestanden, der, obendrein stark erhitzt, aufs äußerste wassergierig war. Dabei sangen sie ein paßliches Lied von der Männersucht der Frauen. Diese Vorführung schien nun wohl eine einfache Gaukelei und Geschicklichkeit, war auch keineswegs die vornehmste ihrer Darbietungen, als deren Krone vielmehr ihre verschlungenen Tänze angestaunt und gefeiert wurden. Weil aber die Wasserkunst ihnen bei leichtgläubigen Bauern zuerst einen Namen verschafft hatte, nachdem solchermaßen erwiesen war, daß derartige Spielereien auch eine große Anzahl von Menschen ernähren können, behielten sie die Übung bei, und da sie ihr Geheimnis wohl bewahrten, unterschieden sie sich gerade durch diese Zauberei von den verschiedenen fünfzig Thestiaden, Priamiden, Tantaliden, an welchen nach den wegweisenden Erfolgen der Danaiden in den Ländern am Meer durchaus kein Mangel war. Lebenssatte Spötter allerdings behaupteten, diese Choëphoren wollten mit ihrer Vergeudung kostbaren Trinkwassers nichts anderes andeuten als ihr Gewerb und überhaupt die Beschaffenheit, das Wandern des Weibes, unersättlich von Natur. Ich glaubte das. Gaben sie doch nicht nur üppige Tänze zum besten, sondern auch ein stummes Spiel, in dem eine Anzahl liebender Mädchen ihre Männer nach der allzu kurzen Brautnacht aus Ekel erstachen. Nachdem die Darbietungen damit gestorben, die meisten Zuschauer sich entfernt, gesellte sich Philonoë wieder zu mir, und ich begann sie zu liebkosen und zu bitten. Sie aber streichelte sanft mein Gesicht und hieß mich abstehen von meinen Bitten, und wenn ich das täte, würde sie nicht eine Nacht, sondern viele Jahre bei mir verbringen. Inzwischen wurden sämtliche Zelte, auch das purpurne, abgebrochen, fortgetragen und flüchtig aufgeschlagen am Strand des Meeres, wo neben andern das Schiff der Danaiden lag. Dies geschähe, sagte Philonoë, damit Danaos bei dem geringsten Zeichen einer Gefahr sofort hohe See gewinnen könne. Eine Weile gingen wir noch umschlungen am Strand, bis nasse Luft uns trotz unserer Glut zusammenschauern ließ, die schneidende Kälte selbst mir Bergfröste Gewohntem unerträglich ward, und durch das Nebeldickicht geworfen Ruf einer Schwester kam und mit ihm Abschied von Philonoë. Sie gab mir ihr Oberkleid zur Decke, einen Kuß und verließ mich. Ich lagerte mich im feuchten Gras und suchte keinen Schlaf: in Wandergesprächen, Gedanken an Philonoë und alles, was ich so rasch gelebt hatte, von den Fischen zum Helm und im Helm mit Philonoë. Da waren silberne Brüste, die mir und noch nicht mir gehörten. Und dann begannen trunkene Leichtmatrosen aus Tiryns mit den Strandwächtern zu streiten, bis das hungrig brüllende Wasser aufrauschend sich auftat und sich glucksend über einem Verblutenden schloß. Endlich gab ich mir doch Schlaf – er rang mich Müden nieder. Seltsame Träume wälzten sich auf mich. Zuerst scholl sanfte Schmeichelmusik wie von Schiffsflöten, mädchenschöne Menschen und Tiere zogen an mir vorbei, der in einem Schiff herrschend saß, alle kosten meine Füße und bedeckten sie mit glühenden Küssen, die auf eigene Art schmerzhaft waren, brannten und stachen. Dann verschwanden die gefälligen Menschen; Füchse und Wölfe, die ich getötet, verfolgten mich in wirren Tänzen. Warfen sich auf mich, umarmten, erstickten mich, bis kühl und stets heißer werdend aus ihren abgehauenen Köpfen, die statt Sonne und Mond dicht beieinander am Himmel hingen, Blut endlos auf mich niedertropfte, immer schneller auf mich in Klumpen fiel, die sich gleich in rote Hähne mit Schrecken glühenden Augen verwandelten, fürchterlich krähend auf mich zuflogen, mit Gierschnäbeln mir nach den Augen hackten, zu zwei brüllenden Löwen wurden, die, mit den Schweifen an meine seltsam gelähmten Arme gebunden, mich durch Blutströme rissen. Doch die Fluten wichen zurück, als verachteten sie mich, wuchsen zu Rotfelsen empor, in denen die Löwen, jeder mit seiner Hälfte meines entzweigerissenen Körpers verschwanden. Und die Schiffe kamen wieder. Regten sich und stießen einander mit den Wänden, da eines sich vornehmer dünkte als das andere. Und ein gräßliches Gelächter erscholl unter den Fischen, daß ich erwachte. Müd hingen am Himmel Gestirne – ein Schiff: das Schiff der Danaiden, entfernte sich, schaukelnd im Winde. Ich griff nach dem unerreichbaren. Und faßte nur ihre Vorliebe für den Tanzplatz der Göttin: ich saß da, eine männliche Ariadne, sie aber verließ mich, belehrt wohl von ihren Schwestern über die Schönheit der Sehnsucht und das Rülpsen gesättigter Wölfe. War das der Sinn des stummen Spiels, das sie aufgeführt hatten, oder war auch die Flucht nur eine Probe, trug das Schiff die liebe Last nur scheinbar davon, und kam wieder ans Land, wenn ich ihr folgte und nachschwamm mit Gefahr meines Lebens? Noch waren die Zurufe hörbar, mit denen sich die Schiffer anfeuerten. Ein alter Strandwächter hielt mich ab, ins Meer zu springen, der böse Mann mit der Peitsche würde mich auffangen lassen und an einen der Menschen fressenden Könige verkaufen. Ich riß mich los, dem Schiff nach, an dessen Abfahrt ich Tor selbst Schuld trug, dem Mädchen nach, an dessen Mantel nicht ich gezerrt. Und jener Wind, der das Schiff zu uns gesandt, half mir, es einholen. Ich schwamm schon im Schatten des Schiffs und der wundersüße Sirenen-Gesang der Mädchen scholl zu den Sternen. Philonoë sehen! Ich schnellte aus dem Wasser. Da hieb mich ein Ruderer des Schicksals über den ausgereckten Arm und eine üppige Woge kam ihres Wegs und spülte mich meinen Leiden ans Land. Dem Leben – dem anderen Tod.


 << zurück weiter >>