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Zweihunderteinundvierzig

Im Angsttraum kam ich nachts um 241 nach Haus. Ich sann, wieviel Sperrgeld dem Hausmeister gebühre, ob ich ihm für jede Stunde einen Kreuzer geben solle, und rundete schließlich die Summe nach unten auf zwei Gulden ab. Er war empört und mit der Stimme einer nach Simmering zuständigen Pythia schrie er mich an: »Der … Numma zwahundertanavierzg wird Sö übaforn!«

Im Traum macht ich mir nichts aus dieser Prophezeiung des höheren Ichs. Aber als ich mich vom Schlaf befreit hatte, war meine Überlegenheit dahin. Der Handel mit dem Hausmeister beschämte mich zwar, doch diese Charakterseite war mir bekannt. Einmal hab ich als armes, krankes Kind Gott einen Kreuzer, allerdings meinen einzigen Kreuzer angeboten, wenn er dafür mit dem Fieber aufhöre.

Ärger war das andere. Überfahren werden, wehrlos unten liegen wie ein Weib? Wie kam der Hausmeister zu einer so einschüchternden Weissagung? Sollt ich in einer meiner Präexistenzen einmal einen Majordomus der Merowinger nicht gegrüßt haben, und der Kerl sich dafür erst jetzt revanchieren, indem er in meine Träume einbricht?

Meinen Hausmeister hab ich übrigens noch nie gesehn. Wenn ich früh, zwischen fünf und sechs, aus dem Café oder Kabarett heimkehr, dann ist er schon längst in der Fabrik. Unsre Beziehungen sind, weil ich seine persönliche Bekanntschaft noch nicht gemacht hab, die denkbar besten. Ab und zu schick ich ihm etwas Sperrgeld hinunter – dafür, daß ich ihn nicht zu Gesicht bekomm.

Was also den Zorn des Hausmeisters anlangt, so ist er mir rätselhaft. Nicht minder die Zahl 241. 241 v. Chr. endete der erste punische Krieg. Aber von den Begebenheiten dieser Balgerei um das Mittelmeer ist mir nur noch die Aversion meiner Gouvernante gegen den Publius Claudius Pulcher erinnerlich. Der Mann warf die heiligen Hühner ins Meer. Die Gouvernante behauptete, es sei schad um das gute Fleisch gewesen.

Auf 2:41 stand bis vor kurzem der Weltrekord im Marathonlaufen. Damit hat doch kein Wiener was zu tun! Ja, wenn es ein Marathonessen oder -schimpfen gäb, da wärn sie dabei.

Der Logarithmus von 241 ist 3820 170. Von dieser Seite droht, glaub ich, kaum eine Gefahr.

Zwei Freunde kamen mich besuchen. Sie behaupteten gehört zu haben, ich hätte das Café endgültig verlassen, und nun wollten sie wissen, was los sei, wissen, weswegen ich mich nirgends blicken ließ. Aber ich kann doch nicht aus dem Haus gehn. Ich fürcht mich vor bösartigen Ungetümen der Straße. Wenn hinter einer Elektrischen hervorsausend das Auto Nr. 241 auf mich zukäm, wär ich unrettbar verloren.

Die Freunde entfernten sich. Der eine setzte die Zahlen 2, 41, gewann nichts und schrieb über meinen armen Novellenband »Zwetschgen, die in keinen Knödel kamen«: »Es ist schwer, auf einer immerhin gekrümmten Nas den Stephansturm zu balancieren.«

Der andere erhoffte von 24, 1 reiche Ausbeute, gewann nichts und schrieb, meine Produkte würden unter den Käufern von Makulatur unliebsames Aufsehen erregen.

Wenn nicht die Straßenfurcht wär, ging ich sofort ins Café, um die zwei Leute nicht zu grüßen.

Vor dem Café sichert mich meine Angst. Ein Mädchen, das immer am Nebentisch Platz nimmt, spricht »Jean« wie »Schaun« aus. So französisch kann sie. Jünglinge an anderen Tischen sagen: »Das is der junge Wodianer.« »Wer is der junge Wodianer?« »Gewiß der Sohn vom alten Wodianer.« »Wer is der alte Wodianer?« »Weiß ich?«

Wird mir einer vorgestellt, sagt er mir nach ein paar Tagen renommistisch »Servus«. Servus – diese Wiener Sklaven müssen auch in den Gruß die persönliche Nuance ihrer Bedientenseele legen. Da bin ich anders. Auf der Straße grüßt ich eine Zeitlang nur die Hunde. Ich hatte so meinen Gruß vollkommen entwertet und grüßte nun mit Vergnügen jeden Menschen zuerst. Die Leute fühlten sich geschmeichelt. Aber nun bin ich auch dieser dürftigen Genüsse satt. Wie gesagt: ich bleib für einige Zeit zuhaus. 241 ist eine abergläubische Zahl.

Heut hab ich den Hausmeister kommen lassen. Ich fragt ihn, ob er nicht vielleicht in seiner Familie oder seinem weitern Bekanntenkreis einen Wasserer habe, der dem Fiaker Nr. 241 diene? Er stand eine Weile ratlos da, sagte dann entrüstet: »Na!« und schlapfte kopfschüttelnd hinaus. Auf seiner Stirn stand das Wort »Rettungsgsöischaft« geschrieben.

Es ist mir unmöglich, auszugehn. Viele Straßen hier in Wien protzen mit ihrer Länge. Wie leicht könnt in irgendeinem Bezirk irgendein Haus Nr. 241 einen Dachziegel gegen mich mobilisieren. Ich spottete ja so oft über die Straßen und ihre komischen Längenwettbewerbe. Sehr häufig hab ich auch Häuser beleidigt. Wenn ihr Stil mir nicht gefiel, wurde ich saugrob. Nun muß ich mich gegen die rächenden Gleitversuche der Ziegel schützen. Ich sitz beim Fenster und zähl die Blätter, die zu Boden fallen. Die Bäume mögen etwas gegen mich im Schild führen. Aber sie werden mit ihren Manövern nicht viel erreichen. Damit ja kein Windstoß ein Blatt veranlaßt, mir in die Nase zu kriechen, sitz ich bei geschlossenen Fenstern.

Oder soll ich eine Weltreise tun? Ich würde sie in fünf Worten erschöpfend schildern: »Ich reiste von da dorthin!«

Ich wühl ein wenig in meinen alten Manuskripten. Ich werd hinter jedes Wort ein Rufzeichen setzen, damit kein Leser achtlos vorübergeht. Hilferufzeichen sind auch eine gute Wache. Die Worte könnten sonst davonlaufen.

»Erst aussteigen lassen!« schreien die Kondukteure. Natürlich. Es muß zuerst gestorben sein, bevor geboren werden kann. Auch in mich will jemand einsteigen; was er in mir machen will weiß ich nicht. Er behauptet, er wolle mich eine fremde Sprache lehren, die außer ihm kein einziger Mensch kenne. Er hat mir auch schon einige Sätze gesagt. Aber das irrsinnige Zeug hat mir nicht gefallen. Und dann herrscht ja auch Raummangel. Ich selbst hab kaum Platz genug in mir.

Es ist gefährlich, laut zu sprechen. Irgendein Wort könnt sich in die Luft schwingen, herabfallen und mir die Hirnschale zerschmettern. Ich hab gegen die Luftschiffahrt an sich gar nichts einzuwenden. Aber wenn ich auf die Gasse ginge, müßt ich mich auf den Boden hinkauern, sonst könnt mir die Sonne auf den Kopf fallen. Äroplane, Luftballone, fliegende Sonnen sind auch sehr zu fürchten. Sogar der Anblick und die Lektüre illustrierter Zeitungen. Der Arzt hat mir verboten, mich an dergleichen zu weiden. Das Wort »Ärotaxi« könnt mir auf den Kopf fallen.

Als Knabe benützt ich bei Wettspielen die Fußballmarke »Kosmos« und machte niemals mit der Erde Bekanntschaft. Das ist mir geblieben. Ich spiel mit dem Sirius Fußball, und die Erde ist mir abhanden gekommen. Solang hab ich die Gestirne mutwillig beseelt, mit sexuellen Empfindungen dotiert, verunreinigt, bis ich im Traum aufgefordert wurde, im Verein katholisch geschiedener Fixsterne einen Vortrag zu halten. Der Arzt hat es mir verboten. Früher isoliert ich mich, jetzt isoliert man mich. Und ich hab doch niemandem etwas getan. Alle Bekannten wünschen mir nur einen guten Tag, und ich wünsch ihnen ein gutes Leben.

Ich schreibe gar nichts mehr. Die Redaktionen können mich … entbehren. Vor dem Verhungern bin ich geschützt. In einem Schnurrbart, den ich mir aufhob, dürfte noch etwas Schmalz enthalten sein. Vor dem Erfrieren bin ich geschützt. Ein wenig Brennholz hängt an der Wand. Klägliche Überreste, Erinnerungsmale meiner einmaligen Aufführung im Kotzebuetheater.

Die Ärzte erzählen, ich hätt stark deliriert. Besonders häufig soll ich gesagt haben: »Der Ruhm ist mir auf den Kopf gefallen. Wer ist der junge Ruhm? Gewiß der Sohn vom alten Ruhm. Wer ist der alte Ruhm? Weiß ich?!« Das nennen die Ärzte Delirien.

Ich hätt also damals mir nicht das Rad jenes Siegeswagens aufheben sollen, nicht den Schnurrbart des Kutschers, der mich fuhr. Und ich wollte doch nur kleine Reliquien haben. Wie leicht konnte bei den Kutschern die Mode der Schnurrbärte abkommen, und da hätt ich ein wertvolles Unikum besessen. Im Alter dann einmal, wenn mich fror, wär es mir möglich gewesen, mit den Überbleibseln des Ruhms einzuheizen, mir dabei die starren Hände zu wärmen und ein blindes Süppchen zu kochen.

Man soll also nicht die Räder jener Wagen sammeln, die einem an Tagen des Triumphs ausgespannt werden.

Beim Abstauben ist das Rad, der Ruhm, mir aus den Händen geglitten und hat mir meinen einzigen Kopf beschädigt. Die Ärzte meinen, diese Läsion werde keine nachhaltigen Folgen für mich haben. In eine Debatte darüber, ob nicht der alte Ruhm am End doch der Sohn vom jungen Ruhm sei, wollen sie aber nicht eingehn.

Ich hab die Haare verloren. Das erste Mädchen, das mich nach der Krankheit heimsuchte, meinte, meine Glatze zeuge von Originalität. Die Weise, wie ich zu dieser Tonsur kam, ist eigenartig. Entschieden. Das Publikum aber will diese Eigenart mildern. Das Mädel wähnt, wenn ich nach der einmaligen Aufführung einen Gummiradler oder ein Auto benützt hätt, hätt ich mir nicht so weh getan.

An die Fragekasteln einiger Zeitungen hab ich mich gewendet. Vielleicht wissen diese Leute, ob der Fiaker meiner einmaligen Uraufführung die Nr. 241 trug? Ich wart auf Antwort. Vergebens. 241 will mich töten. Ich hab Angst.


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