Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Paul Ehrlich

Geboren den 14. März 1854 in Strehlen (Schlesien), gestorben den 20. Aug. 1915 in Homburg v. d. Höhe. – Man hat die erste Periode von Ehrlichs wissenschaftlichen Wirken als die Epoche der farbenanalytischen Studien bezeichnet. In seinem Buch »Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus« (1885) hat Ehrlich eine neuartige Auffassung über Konstitution und Eigenschaften des Protoplasmas entwickelt und darin den Grundstein zu seiner »Seitenkettentheorie« gelegt. Wie Paracelsus annahm, daß die Arzneimittel »Spiculae« (Widerhaken) haben müßten, mit deren Hilfe sie sich in bestimmten Organen festsetzten, so sah Ehrlich in diesen »Spiculae« bestimmte chemische Gruppierungen, die eine große Verwandtschaft zu bestimmten Gruppierungen besitzen, die in der Bakterienzelle sitzen und die gewissermaßen als Angelhaken dienen. Im modernen Sinne bezeichnete Ehrlich das Spiculum als Haftgruppe (haptophore Gruppe) und den Angelapparat der Bakterienzelle als Empfänger oder Chemoceptor. Daher der Ehrlichs Gesamtarbeit beherrschende Gedanke: » corpora agunt nisi fixata«. Die Darstellung von Ehrlichs wissenschaftlichem Wirken ist niedergelegt in der Festschrift zum 60. Geburtstage. (Jena 1914) und in der zu dem gleichen Anlaß erschienenen Festnummer in »Die Naturwissenschaften« 1914, Heft 11..

Paul Ehrlich

 

An Prof. Chr. A. Herter (New York):

Frankfurt a. M., den 21. Juli 1905.

Lieber Freund!

... Am erfreulichsten war mir ..., daß ich einmal wieder Ihre Handschrift sehen konnte! Es fiel mir so schwer aufs Herz, daß ich Ihnen so lange nicht ausführlich geschrieben hatte, trotzdem ich so oft an Sie und Ihre ganze Familie denke, und an die schönen Stunden, die wir zusammen verbracht haben. Aber wie so häufig, ist das Beste der Feind des Guten, und ich hatte nun einmal die fixe Idee, Ihnen ganz ausführlich zu schreiben; dazu habe ich aber in dem Trubel der letzten Wochen gar keine Gelegenheit gehabt. Ich war die halbe Zeit unterwegs: bald in Berlin zur Konferenz, bald in Göttingen zur Vorlesung, dann zu Besuch bei Jannchen, die sich außerordentlich glücklich fühlt und eine reizende Hausfrau ist, – dann kam noch das neue Institut mit allem was drum und dran hängt hinzu; da blieb denn Vieles, und selbst das Wichtigste liegen. Am deutlichsten tritt das in meinem Arbeitszimmer zu Tage, das so wüst ist: der Boden, Tische und Stühle mit Büchern und Schriften bedeckt, so daß garnichts mehr zu finden ist! An Platz zum Arbeiten ist überhaupt nicht mehr zu denken! Ich glaube, daß Ihre liebe Frau Gemahlin, die sonst für mich ja immer eine verständnißvolle Entschuldigung hatte, diesmal den Kopf schütteln würde ... Nun habe ich aber von mir schon zuviel gesprochen. –

... Ihre so herzliche und wirklich freundschaftliche Art und Weise, in der Sie mir sagten, daß Sie einmal biographisch etwas über mich schreiben würden, hat mich tief gerührt. Ich bin allerdings sehr im Zweifel, ob meine wissenschaftlichen Verdienste für eine solche Auszeichnung groß genug sind und würde ohne Ihre Initiative nie auf eine solche Idee verfallen sein. Aber andererseits habe ich mir überlegt, daß ich doch in der langen und vielfach sehr schwierigen Carriere allmählig praktischer geworden bin und gewisse Prinzipien, die zu erfolgreicher Arbeit führen, klarer erkannt habe als die Mehrzahl der anderen. Ich habe gleich in der ersten Freude über Ihren Brief ab und zu, wenn ich einen freien Augenblick hatte, Fräulein M. Blöcke über einzelne Punkte notieren lassen, die meine Anschauungen über Leben und Wissenschaft klarlegen. In den Ferien denk ich diese Dinger etwas auszuarbeiten und Ihnen dann zu senden. Dieselben sind natürlich für eine Publikation viel zu persönlich und auch zu ausführlich, aber ich denke, daß diese Erinnerungen Sie und Ihre liebe Frau persönlich interessieren werden und daß Sie daraus eine Gesamtanschauung, wie ich mir das Leben denke, gewinnen werden.

Die Pläne des neuen Instituts sind jetzt so ziemlich fertig und hoffe ich, daß in ein paar Wochen der Bau wird beginnen können. Ich bin zunächst damit beschäftigt, mir einen angenehmen, tüchtigen und hervorragenden Chemiker, der die chemische Abteilung leiten soll, zu suchen ...

Die Trypanosomentherapie kommt, mit Unterstützung von Dr. Weinberg, ohne großes Aufheben so langsam weiter. Es ist sehr schwer, einen unschädlichen und dabei voll wirksamen Stoff zu finden, aber kommen doch allmählig ein klein wenig voran, sodaß wir die Hoffnung nicht sinken lassen. Auch im Carcinomgebiet weht jetzt eine leichte Brise – Sie werden das als Besitzer einer neuen Rennyacht zu würdigen wissen! – die die Segel, die so lange schlaff lagen, ein wenig anfüllt ...

Ihr treu ergebener Freund
P. Ehrlich.

 

An Prof. Biltz (Clausthal):

Frankfurt a. M., den 29. Juli 05.

Hochgeehrter Herr Kollege!

Ich danke Ihnen sehr für Ihren freundlichen Brief und werde mich freuen, wenn Sie die Gelegenheit Ihres Göttinger Besuches benutzen und mich hier in Frankfurt aufsuchen wollen. Ich darf Sie wohl bitten, mir einen oder zwei Tage vorher Ihre Ankunft avisieren zu wollen, damit ich mich möglichst für Ihren Besuch freimachen kann.

Leider habe ich Ihre Arbeit nicht zur Hand und kann daher nur im allgemeinen auf die Differenzen, die zwischen unseren Anschauungen bestehen, eingehen. Zunächst möchte ich hervorheben, daß ich, wie ich auch Herrn Professor Schwarzschild gesagt habe, selbstverständlich weder die Richtigkeit der von Ihnen mitgeteilten analytischen Daten, noch die hieraus berechneten Kurven bezweifle. Meine Einwendung bezieht sich nur darauf, ob man aus dieser Kurve einen Rückschluß ziehen kann, daß es sich hier um Verhältnisse der Adsorption handeln müsse. Wir scheint eine derartige Kurve einem großen Naturgesetz zu entsprechen, dem ganz verschiedene Ursachen zu Grunde liegen können. Ich muß auf Grund der Specifität annehmen, daß es ganz bestimmte chemische Gruppen sind, die bei der Einwirkung von Toxin und Antitoxin mit einander reagieren und die, – um den Vergleich von Fischer zu gebrauchen, – aufeinander eingestellt sind wie Schloß und Schlüssel. Die Absorptionsvorgänge sind meiner Ansicht dadurch gekennzeichnet, daß sie sich auf eine sehr große Reihe ganz verschiedener Körper erstrecken. So ist die Knochenkohle, die ja das Maximum der Adsorptionskraft zeigt, ja eigentlich imstande, jede mögliche Verunreinigung zu adsorbieren. Bei der Färbung treffen wir die gleiche Pluralität. Es gibt Hunderte von Farbstoffen der verschiedensten Konstitution, die eine bestimmte Faserart anfärben und ich zweifle nicht, daß auch eine Schar ungefärbter Körper existiert, die in gleicher Weise von der Faser angezogen werden. Nun bitte ich Sie, diesen diffusen Charakter der Adsorption in Vergleich zu ziehen mit der einzig dastehenden Singularität des Toxins-Antitoxins. Wenn man sich vorstellen würde, daß es möglich wäre, das Diphtherietoxin in Faserform darzustellen, so würden Sie sich überzeugen, daß es von allen möglichen Antitoxinen ausschließlich das Diphtherie-Antitoxin in specifischer Weise verankert wird; kein einziges anderes der garnicht absehbaren Reihe von anderen Antitoxinen. Dasselbe gilt für jedes andere Toxin. Wenn Sie also einerseits diese absolut strenge Specifität ins Auge fassen und zweitens ins Auge fassen, daß diese beiden Körper in genetischer Beziehung stehen, indem das specifische Antitoxin nur durch das Toxin erzeugt wird, so wird man nach meiner Ansicht geradezu eisern dazu gedrängt, hier Bindung specifischer Art anzunehmen.

Meine Seitenkettentheorie, die ja jetzt wohl allgemein angenommen ist, erklärt auch diesen Zusammenhang nach der chemischen Seite in der einfachsten Weise durch die Präformierung derartiger Gruppen und ich hoffe, mündlich auf wichtige Einzelheiten dieses Gebietes Sie aufmerksam machen zu können.

Natürlich leugne ich nicht, daß die Antitoxine und die Toxine als solche (als Substanzen, die den Eiweißstoffen, Peptonen etc. nahe stehen) die allgemeinen Eigenschaften dieser Körper wiederspiegeln, indem sie von den gleichen Gruppen – Reagentien gefällt werden; aber ich leugne, daß für die biologische Bedeutung dieser Substanzen diese allgemeinen Eigenschaften von ausschlaggebender Bedeutung sind. Die Wirkung hängt ausschließlich von specifischen Gruppen ab. Ich kann Ihnen z. B. hunderte von Azofarbstoffen nennen, die auf Grund ihrer allgemeinen und färberischen Eigenschaften die größte Übereinstimmung miteinander aufweisen können. Nehme ich nun an, daß einer dieser Farbstoffe noch eine Aldehydgruppe enthält, so wird es ein leichtes sein, mit Hilfe der geeigneten Aldehydreagentien nur in der Lösung dieses einen Farbstoffes eine specifische Reaktion, Fällung oder Farbänderung hervorzurufen, die keinem der anderen Farbstoffe zukommt. In diesem Falle ist also die Aldehydgruppe eine specifische Gruppe, die specifisch-chemische Reaktion auslöst.

Nun werden Sie wohl fragen, wie ich es denn für möglich halte, eine solche Kurve der Adsorption, wie Sie sie beschrieben haben, auch vom rein chemischen Standpunkte aus zu erklären. Es ist vielleicht unbescheiden, wenn ich mir gestatte, Ihnen als Fachmann gegenüber eine Anschauung zu entwickeln, in welcher Weise ich mir eine solche Möglichkeit denke. Ich habe diese Anschauungen auch früher hervorragenden Chemikern vorgetragen, die mir dieselben im Princip zu billigen schienen. Es ist ganz klar, daß das lebende Protoplasma ein Riesenmolekül darstellen muß, in dem dieselbe Gruppierung, z. B. die Amidogruppe, ungezählte Male vorkommen kann. Nun könnte man ja annehmen, daß die Avidität dieser Gruppe gegenüber einem bestimmten Agens, z. B. von Säuren oder von Formaldehyd, genau die gleiche sein könnte, aber eine solche Annahme ist a priori nicht notwendig, ja sogar sehr unwahrscheinlich. Wenn wir also annehmen, daß die einzelnen reagierenden Reste verschiedene Avidität gegenüber einem bestimmten Agens besitzen, – und ich habe eine solche Anschauung schon vor mehr als 14 Jahren in meinem Buche über das Sauerstoffbedürfniß des Organismus Erschien bereits 1885. entwickelt, – wenn wir weiter annehmen, daß ein Teil von diesen Gruppen maximale Verwandtschaft hat, z. B. wie Kali zur Salzsäure, – ein anderer Teil eine mittlere und ein dritter Teil eine ganz minimale, so kommen wir nach meiner Ansicht zu einer Möglichkeit, bei der Absättigung Kurven von dem die von Ihnen beschriebenen Charakter zu erhalten.

Nehmen wir z. B. eine hundertbasische Säure an, in welcher die ersten Säurereste eine maximale Avidität haben, die allmählich stufenweise abfällt, so daß die Avidität der letzten Säuregruppe fast Null ist, so werden bei partieller Absättigung einer solchen Säure die ersten Anteile der Basis, die den Maximal-Säuregruppen entsprechen, maximal gebunden sein. Es wird also der Zusatz der ersten Äquivalente keine freie Base in der Flüssigkeit vorhanden sein; je mehr Basen-Äquivalente Sie aber zusetzen, desto schwächere Säurereste kommen zur Absättigung. Es wird daher entsprechend der hierdurch bedingten Zunahme der hydrolytischen Funktion, immer mehr freies Kali in der Flüssigkeit sich anhäufen, und die zuletzt zugefügte hunderste Äquivalenz wohl unter den obigen Voraussetzungen so gut wie ungebunden bleiben.

Wenn Sie nun eine Kurve entwerfen, die den Gehalt an freiem Alkali bei der sucessiven Absättigung darstellt, so vermute ich, daß ähnliche Kurven, wie die von Ihnen gegebenen, auftreten können. Maßgebend für die Art der Kurve ist natürlich der successive Abfall der Avidität der verschiedenen Gruppen, d. h. ob dieselben gleichmäßig abfallen.

Nach meiner Ansicht wäre es von größtem Interesse, wenn ein hervorragender physikalischer Chemiker dieses schwierige Problem an einem der experimentellen Forschung gut zugänglichen Modellversuch zur Entscheidung bringen wollte.

Mit besten Empfehlungen und in vorzüglicher Hochachtung bin ich

Ihr sehr ergebener
P. Ehrlich.

*


 << zurück weiter >>