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Justus Christian Loder

Zu Riga geboren, studierte er in Göttingen und erhielt mit 25 Jahren die Professur der Anatomie, Chirurgie und Hebammenkunst in Jena, wo er bis 1803 blieb. In diese Zeit fällt sein Verkehr mit Goethe, der ihn schon 1781 »das geschäftigste und geselligste Wesen von der Welt« nennt. Loder demonstriert ihm Osteologie und Myologie an zwei Leichen, »die wir denn auch abgeschält und ihnen von dem sündigen Fleische geholfen haben«. 1794 läßt sich Goethe mit der Lehre von den Bändern, dem Teil der Anatomie, »der durch eine besondere Verrücktheit der medizinischen Jugend« vernachlässigt wird, bekannt machen. In Loders Hallenser Zeit sitzt Goethe neben dem Freund und lauscht den Vorträgen Galls. Auch in Loders Königsberger und besonders in seiner Petersburger und Moskauer Zeit steht er mit Goethe in ständiger Verbindung und berichtet ihm über die Einrichtung der neuen Hospitäler. Außerdem baute Loder dort ein neues anatomisches Theater, hielt dort unentgeltlich Vorlesungen. Er starb im selben Jahr wie Goethe (1832).

 

Halle, den 8. August 1805.

An Paulus:

... Goethe war fast zwey Wochen hier, um Gall zu hören, dessen Vortrag er äußerst aufmerksam anhörte, welches Wolf auch that. Beyde stimmen sehr für Gall und dieses thut nun auch Reil, der Anfangs sein Gegner war. Ad vocem Gall, muß ich Ihnen doch etwas von meinem hiesigen Aufenthalt etc. erzählen Nachdem er in Torgau gewesen war und das dortige große Zucht- und Waysen-Haus (wohin auch ich auf die Einladung des Geh. Finanz R. v. Wagner gegangen war) gesehen hatte, kam er den 7. Jul. hieher. Ich logirte ihn und seinen Begleiter D. Spurzheim, in mein Haus, um ihn und seine Lehre recht genau kennen zu lernen. Er las hier vom 8ten an 12 Tage, Abends von 6 bis 8 Uhr, in einem großen Saal eines Gasthofes Er hatte etliche und 80 Bezahler (a einen Ld'or) und etliche 40 gratuites. Keinem schlug er ein Freybillet ab. Unter seinen Zuhörern waren etwa 12 Professoren, einige praktische Ärzte, ein Paar Officiere, einige andere Honoratioren, mehrer Fremde von Lauchstädt pp nur einige von 40 Studenten (von 800 und darüber die hier sind) und darunter etliche und 20 Mediciner (von 100 und darüber) hatten subscribirt, ohnerachtet Galls Ankunft lange zuvor bekannt gemacht worden war. / Incidenter! Daß der Geist des Studiums und des Forschens nach neuer Weisheit bey unsern Studenten nicht herrschend ist, werden Sie schon aus diesem Pröbchen ersehen. Nicht einmahl der allgewaltige Ruf einer so neuen Lehre konnte viele von unseren Studenten bewegen, einen Louisdor dran zu spendieren – die Hälfte von dem, was Gall in Berlin, Dresden und Leipzig erhielt! Es wären vielleicht nicht 10 Mediciner hineingegangen, wenn ich nicht wiederholt davon im Collegio gesprochen hätte. In Jena ging es anders. Gall reiste nur durch und eilte nach Weimar, um Wieland zu sehen. Ich empfahl ihm auf der Durchreise an Griesbach, welcher einige Professoren dazu einlud. In Zeit von drey Tagen waren 84 bezahlende Subscribenten à 1 Ld'or zusammen; man bat Gall von Weimar wieder nach Jena zu kommen, er that es und las 6 Tage lang auf dem Rosensaal, täglich 4 Stunden, vor etwa 120 Zuhörern, unter welchen die Herzogin Amalie, Wieland, Einsiedel pp waren, die deßhalb solange nach Jena gingen. Der Hof war damahls noch in Eisenach. – Also 84 Bezahler in Jena und etwa 40 gratuite! Und dieß auf einer Universität, wo kaum 1/3 soviel Studenten sind, als hier, und zwar hauptsächlich arme! – Daß Reichardt, Schnaubert, Grüner, Augusti, Hennings, Georg nicht dabey waren können Sie leicht denken! Schmidt war im Bade zu Bibra, Hegel fehlte auch ob er gleich in Jena war, sowie Seebeck! – Ich komme nach dieser Episode wieder auf Gall. Sein Vortrag ist frey und fließend, aber nicht logisch geordnet auch mit unter weitschweifig und enthält manche Excursus, die wegbleiben könnten; er ist aber höchst interessant, voll feiner treffender Beobachtungen, und die scharfsinnige Zusammenstellung von factis ungemein belehrend und überzeugend. Er zeigt dabei viele sehr interessante Schädel von Menschen und Thieren auch Wachsabgüsse von Gehirnen vor. Seine Entdeckungen in der Anatomie des Gehirns sind stupend wichtig; bey weitem das Wichtigste, was seit Jahrhunderten darüber gesagt worden ist. Ich habe nun schon 11 Menschen- und 20 Thier-Gehirne untersucht, und finde das Mehreste bis zur Evidenz erwiesen; das Übrige wird mir immer wahrscheinlicher, und soll von mir noch genauer untersucht werden. In Absicht der Schädellehre bin ich überzeugt, daß man vorstehende Geistesfähigkeiten und solche Gemüths-Eigenschaften aus äußeren Merkmalen am Schädel erkennen kann. Diese Lehre ist aber noch in der Kindheit. Was Walter gegen Gall geschrieben hat, ist absurd. Ich bin von vielen, und selbst von Berlin aus, aufgefordert worden, meine Meynung über Galls Lehre zu sagen, und werde es auch in einer eigenen Schrift thun, aber erst zu Michael, weil ich, um gründlich zu entscheiden, noch mehr Beobachtungen und selbst mancherley Versuche an lebenden Thieren machen will. Daß meine Schrift zu Gunsten Galls ausfallen wird, können Sie nun leicht erachten. Wollen Sie etwas kurzes und doch recht gutes und meist richtiges über Gall lesen, so empfehle ich Ihnen folgende Schrift: »Darstellung der Gallschen Gehirn- und Schädel-Lehre von Bischoff, nebst Bemerkungen von Hufeland. Berlin 1805.«

Unmittelbar den Tag nach dem Schlusse von Galls Vorlesungen trat Steffens in eben demselben Saal auf, nachdem er allen Studenten, die Gall gehört hatten, Freybillets ausgestellt und die Professoren pp. dazu eingeladen hatte. Dieß that er wol, um auch Goethe zum Zuhörer zu haben; dieser aber war so klug, ihm auszuweichen und Abends zuvor nach Lauchstädt zurückzufahren. Ich habe ihn nicht hören mögen, Wolf aber und andere sind honoris causa zweymahl da gewesen; dreymal hat er von 6–7 gelesen. Er hat naturphilosophisch die Schädel-Lehre beleuchtet und gänzlich verworfen, sogar sie unmoralisch gefunden. (Als ob bey physischen Untersuchungen von Moralität die Rede seyn dürfte! Heilige Logik, bitte für Steffens!) Ich habe noch keinen gesetzten Mann davon sprechen hören, der nicht den Unsinn von St. laut getadelt hätte. Der Mensch warf sich ungebeten zum Lehrer von ganz Halle auf! So eine Arroganz und Impertinenz kann nur ein Naturphilosoph soit-disant haben! Er hat tolles Zeug vorgebracht, und zwar in einer Sprache, die niemand verstand welche aber doch unsere Studenten angestaunt und hochgepriesen haben. Lustig ist es, diesen Menschen über allerley Dinge, von welchen er doch gar nichts versteht, z. E. Anatomie, Astronomie, höhere Mathematik, im decisivesten Tone sprechen zu hören. So machte er kurzem in meiner Gegenwart Newton als einen Stümper, Erzignoranten und elenden Menschen herunter! Er, Schelling, Tieck, Jakob Böhm und allenfalls Goethe: das sind die, welche bey ihm alles in allem sind. – Doch genug von ihm! Es ist Schade um seinen Kopf.

Aus einer Tischrede von St. vor kurzem, wo er gewaltig verächtlich von Marcus sprach, schließe ich, daß Marcus und Schelling zerfallen seyn müssen. Wissen Sie nichts davon? Das wäre ja arg, wenn diese Freundschaft von so kurzer Dauer gewesen wäre! Wessen System wird denn nun M. annehmen? – Sie haben dort Kilians Schrift: »Meine Zurückberufung nach Franken« gelesen? Was sagen Sie dazu?

Empfehlen Sie mich der holden, lieben, geistreichen, und – wenn Sie mirs nicht übel nehmen – angebeteten kleinen Muter und der schönen Tochter; küssen Sie in meinem Namen das Schnüfelchen, gelegentlich grüßen Sie auch den reichen Erben. Ich bin seit acht Tagen wieder als Strohwittwer, weil meine Frau nach Göttingen gereist ist, von wo sie in 14 Tagen zurückkommen und meine Oldenburger Tochter mit ihrem Kinde – thun Sie die Zipfelmütze ab und bücken sich tief vor dem Großvater! – zum Besuch herbringen wird. Ich bedarf jetzt des Trostes in meinem Elend; schreiben Sie mir daher doch bald und recht viel Tröstliches. Leben Sie wohl, seien Sie herzlich umarmt und bleiben Sie mir gewogen!

Immer der Ihrige,
L (oder)

N.S. Hufeland, Niethammer und Stahl grüßen Sie und teilen Ihnen etwas von Gall mit.

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