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Richard von Volkmann

Geboren am 17. August 1830 in Leipzig als Sohn des späteren Anatomen und Physiologen Alfr. Wilh. Volkmann, beendigte er seine medizinischen Studien 1854/5 in Berlin und trat dort in nähere persönliche Beziehungen zu Schönlein, Traube und Bernh. Langenbeck. Seitdem gehörte er der Universität Halle an. 1867 wurde er zum ordentlichen Professor der Chirurgie und zum Direktor der chirurgischen Klinik ernannt. Der Krieg 1870/71 brachte ihm die Stellung eines konsultierenden Chirurgen und Generalarztes. In den wenigen Stunden der Muße entstanden die »Träumereien an französischen Kaminen« (Leipzig 1871) von Richard Leander; so hieß er als Dichter. Als Forscher unterzog er Listers antiseptische Methode einer genauen, kritischen Prüfung, Vervollkommnung und Umgestaltung. Sein Geist, seine dichterische Begabung, sowie seine Meisterschaft in der Beherrschung der Sprache liehen ihm die schärfsten Waffen, die widerstrebende Masse der Ärzte und Chirurgen allmählich zu überzeugen und fortzureißen. Für die neue Behandlung setzte er seine ganze Persönlichkeit ein. So blieb er bis an sein Lebensende fast unbestritten der Führer der deutschen Chirurgen auf dem Gebiete der Wundbehandlung.

 

An Frau Volkmann:

London, den 10. August 1881.

Mein liebes Annchen!

Endlich komme ich dazu Dir einige Worte zu schreiben, freilich, an einem unglaublich unbequemen Tische, der mir einen längeren Brief absolut unmöglich macht, wie Du vielleicht schon dieser Schrift es abnimmst. Gestern ist der Congreß mit feierlicher Sitzung und und einem Abendessen mit Damen im Crystallpalast unter einem zauberischen Feuerwerk geschlossen worden. Ich bin im Ganzen zufrieden, obwohl man in dieser ungeheuren Stadt von Niemand etwas hat, außer von denen, mit denen man in einem Hotel wohnt. Der Trubel war unglaublich, zu jedem Tag viele Einladungen, Diners, zu denen der enorme englische Magen gehört. Das englische Leben ist reich und großartig, wie man sich dies bei uns gar nicht vorstellen kann, und hat man uns alle erdenklichen Ehren erwiesen. Die Kosten, die sich die einzelnen Collegen gemacht haben um täglich 2–3! mal eine Masse Fremder bei sich speisen zu lassen, müssen ganz colossale Höhen erreichen, ebenso der allgemeine Aufwand, der durch das Miethen der Lokale, den Druck der Vorträge, Programme etc. etc. benöthigt wurde. Zu den letzteren hatten die englischen Ärzte aus eigenen Mitteln 600,000 Mark beigesteuert. Großes Glück habe ich insofern gehabt, als unsere lieben Freunde Prof. Küster und Frau, wie ich Dir schon per Postkarte schrieb, mit mir im Hotel de Keyser wohnten, außerdem Prof. Horner aus Zürich, den ich schon lange kenne und hochschätze, ein Mann von ungewöhnlicher allgemeiner medic. Bildung. Braune habe ich nur ein paar Mal flüchtig die Hand gedrückt. Die einzige genaue Bekanntschaft, die ich gemacht habe, ist die von Sir James Paget, 1814–1899. eines der besten, feinsten, liebenswürdigsten Menschen, die ich überhaupt je gesehen, mit einer ebenso liebenswürdigen Frau und einer geistig im allerhöchsten Maße liebenswürdigen Tochter, der einzigen aus der Familie, die bequem deutsch spricht. Meine Rede hat wohl angesprochen, obwohl sie nur von relativ wenigen angehört wurde, nämlich nur von denen die Deutsch verstehen ...

Sehr erfreut hat es mich zu sehen und zu hören, daß die deutsche Chirurgie die englische jetzt weit überholt hat. Alle jüngeren deutschen Chirurgen haben den gleichen Eindruck. Heute morgen hatte ich mit vier Ärzten zusammen eine Consultation bei einem armen deutschen Collegen, der hier in London prakticirt und an einer sehr schweren Kniegelenksvereiterung leidet: die bisherige Behandlung war eine völlig ungenügende, ja geradezu schlechte gewesen. Noch unendlich viel weiter zurück ist allerdings die französische Chirurgie. Was ihr sog. erster Vertreter Herr Verneuil hier für ungewaschenes, kindisches Zeug producirt hat, das geht wirklich über alle norddeutschen Bäume.

Heute oder morgen habe ich noch Visiten bei Paget, Lister und Mac Cormac zu machen, wobei es fraglich ist ob ich auch nur einen dieser drei Herren zu Haus treffe. Dann will ich noch ein oder das andere Museum, vielleicht auch den Hyde Park oder Richmond besuchen und jedenfalls morgen, am 11ten Abend abreisen und wieder die Nacht über nach Vliessingen fahren.

Ich habe von London fast nichts gesehen, aber allein bin ich hier völlig verrathen und verkauft und meine englischen Freunde darf ich nach den ungeheuren Zumuthungen, die der Congreß an ihre Zeit und Gastfreundschaft gemacht hat, nicht mehr in Anspruch nehmen. Die meisten von ihnen gehen außerdem morgen oder übermorgen auf das Land ...

Tausend Grüße an alle, besonders auch Mutter und Schwester Anna.

Mit herzlichem Gruß
Richard.

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