Georg Ebers
Im Schmiedefeuer
Georg Ebers

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Siebenzehntes Kapitel.

Als der Berner Arnold Eva aus dem Sattel half, strahlte ihr von der kaiserlichen Burg her heller Lichtglanz entgegen.

Das Gastmahl sollte eben beginnen.

Frau Gertrud hatte sich mehr als einer guten Kunde zu entledigen, während sie die Hände für Eva regte. Unter den Gästen des Herrschers befand sich der Ohm Schultheiß, der den Kaiser zu den Zeidlern begleitet hatte und mit seiner Hausfrau, die sie da oben finden sollte, zur Tafel geladen worden war. Und dann – das erzählte sie als das Beste zuletzt – ihr Vater, Herr Ernst Ortlieb, war aus Ulm und Augsburg heimgekehrt und hatte sich vor kurzem auf der Veste eingestellt, um die Jungfrau Els mit gnädiger Erlaubnis des Herrn Burggrafen in den Versteck ihres Bräutigams zu führen. Frau Gertrud hatte ihnen geleuchtet, und für solch ein Sichwiederfinden ließ sich schon eine lange Trennung ertragen.

Damit Eva auch noch etliche Augenblicke für die Schwester und Wolff übrig behalte, mußte die frühere Gürtelmagd sich schon tummeln; und doch hätte sie sich gern noch eine gute Weile des herrlichen langen und 288 vollen Blondhaares gefreut, das sie mit immer neuem Vergnügen strählte, damit es der Jungfrau in schönen Wellen über den herrlichen Florentiner Stoff des schlichten weißen Trauergewandes stieße.

Die Schweizerin hatte auch für weiße Rosen aus den burggräflichen Gärten gesorgt, um sie Eva an dem eckigen Ausschnitt an der Brust zu befestigen. Dies wurde ihr auch gestattet; doch ihr Wunsch, das Haupt des Mädchens wie die Mode es zuließ, mit Rosen zu umkränzen, kam nicht zur Erfüllung, weil Eva es schicklicher fand, ungeschmückt, und nicht wie zu einem Feste geputzt, als Bittstellerin vor den Kaiser zu treten. Das leuchtete der am Hofe erwachsenen Frau auch ein, und endlich freute es sie, nicht auf ihrem Verlangen bestanden zu haben; denn Eva bot, wie sie aus ihren Händen hervorging, einen so bezaubernd holdseligen und dabei so sittig bescheidenen Anblick, daß nichts entfernt oder – wäre es auch der frische Rosenkranz gewesen – hinzugefügt werden konnte, ohne dem vollendeten Gelingen ihres Meisterwerkes Eintrag zu thun.

Die Rufe der Bewunderung, mit der die geschickte Frau selbst, ihr Töchterlein, die Magd, sowie die Gevatterin, die sie aufgefordert hatte, sich wie von ungefähr als Zuschauerin bei ihr einzustellen, mußte Eva, weil die Zeit drängte, bald unterbrechen.

Während sie Frau Gertrud dann durch verschiedene Gänge und Gemächer folgte, dachte sie der Stunde vor dem Tanz auf dem Rathaus im elterlichen Hause, und es war ihr, als läge zwischen damals und jetzt nicht nur eine Reihe von Tagen, sondern ein ganzes Leben.

289 Wie eine andere, der Eva von damals in den meisten Stücken entgegengesetzte, kam sie sich vor.

Vor dem Tanze war sie heimlich des Beifalls froh gewesen, den ihr Anblick wachgerufen hatte; diesmal ließ er sie gleichgiltig, ja, je lebhafter die Umstehenden ihr Entzücken äußerten, je mehr that es ihr leid, den einzigen, dem sie zu gefallen begehrte, nicht an Stelle der Anwesenden zu sehen.

Wie leicht war es gewesen, sich zum Tanze führen zu lassen, und ein wie schwerer Gang stand ihr jetzt bevor. Das Herz zog sich ihr zusammen bei der Frage, die der Lichterglanz, der aus den Fenstern der Reichsburg in die Nacht hinein leuchtete, in ihr wachrief, ob der Geliebte ihr diesmal nicht ausweichen würde, wenn er sie unter den Gästen da oben – ach, wäre es möglich gewesen! – träfe, ob ihm der beredte Pater Ignatius, der ihm gefolgt war, nicht schon ein Gelübde abgenommen, das ihn zwang, sich von ihr zu wenden und seine ganze Willenskraft aufzubieten, um sie zu vergessen.

Aber nein! So wenig, wie sie der ihren, konnte er seiner Minne abgesagt haben. Von solchen schrecklichen Gedanken wollte, durfte sie sich gerade jetzt nicht ängstigen lassen!

Heinz weilte ja auch fern von hier, und das Schicksal ihrer Minne sollte sich später entscheiden. Was sie hieher führte, war etwas anderes, und die Ueberzeugung, daß es gut und recht war und sicher seiner Billigung, verscheuchte das Weh, das sie ergriffen, und hob ihr den Mut.

Unsagbar Schweres lag hinter ihr, und Schwereres war vielleicht noch zu überwinden. Aber sie brauchte sich 290 nicht mehr davor zu fürchten; fühlte sie doch, daß die Kraft, die, nachdem sie sich ihrer Liebe bewußt geworden, in ihr erwacht war, in ihr fortwirkte, aus ihr heraus handelte und sie fähig machte, Dinge zu bewältigen, von denen sie glauben mußte, sie selbst sei zu schwach, sie zu heben und zum Ziele zu führen. Wie befreit fühlte sie sich von dem früheren Schwanken und Schweben, und wie schon vorhin in dem bescheidenen Beghinenhause, so fühlte sie auch hier in der stolzen Burg, daß sie in Leid und schwerer Not gelernt hatte, ihren Platz im Leben mit eigener Kraft zu behaupten. Der Vater, dem sie sogleich begegnen sollte, würde sie äußerlich wenig verändert finden; wenn er aber wahrgenommen hatte, welche Wandlung das innere Wesen seiner hilfsbedürftigen »kleinen Heiligen« erfahren, würde es ihn doch freuen, von ihr zu hören, wie wunderbar das letzte weissagende Wort der Mutter an ihr in Erfüllung gegangen.

Für jeden Kampf gestählt, ging sie aus dem Schmiedefeuer des Lebens hervor, und doch hatten diejenigen unrecht, die da meinten, sie habe es, trotzend auf die eigene, neu gewonnene Kraft, verlernt, nach oben zu schauen. Im Gegenteil! Niemals hatte sie sich ihrem Gotte, dem Heiland und der gnadenreichen Jungfrau näher gefühlt. Ohne sie konnte ihr nichts gelingen, und erst jetzt hatte sie Aufgaben zu erfüllen unternommen und galt es Ziele zu erreichen, die würdig waren, sie um ihren Beistand zu bitten. Erst die Minne hatte sie gelehrt, auch im weltlichen Leben sich treu zu erweisen, und »besser« sagte sie sich, so viel besser kann ich noch werden; aber fester Treue halten gewiß nicht.

Wolffs Versteck war ein großes, luftiges Gemach, 291 das in das Fränkische Land mit seinen Wiesen, Feldern und Wäldern hinausschaute. Jetzt fand sie dort beim Lichte hellbrennender Kienspäne den Vater, die Schwester und den Schwager beisammen.

Das Wiedersehen mit all diesen geliebten, nach langer Trennung wieder vereinten Menschen gestaltete sich indes mehr wehmütig als froh. Els war wirklich entschlossen gewesen, den Eysvogelhof zu verlassen; doch hatte sie die Muhme Christine schon mit dem frohen Rufe empfangen: »Ich bleibe! Wolffs Vater und ich sind gute Freunde geworden.«

Herr Kaspar hatte sie in der That vor wenigen Stunden gütig und dankbar angeschaut und sie, als sie ihm zu erkennen gab, wie glücklich sie dies mache, mit gebrochener Stimme innig gebeten, ihn nicht zu verlassen. Als sein guter Engel habe sie sich erwiesen, und ihr Anblick sei das einzige Licht in seinem verdunkelten Leben. Da hatte sie ihm denn froh zu bleiben verheißen und gedachte auch, Wort zu halten. Nur auf kurze Zeit war sie dem unerwartet heimgekehrten Vater hieher gefolgt, weil sie der Nonne, die die Wartung des Gelähmten mit ihr teilte, vertrauen durfte und er seine Pfleger bei Nacht nur selten erkannte.

Wie lange war Els von dem Geliebten getrennt gewesen! Als Eva die Wiedervereinten begrüßte, hatten sie vor einander schon ausgeschüttet, was sie an den Rand des Verzagens geführt, und was ihnen jetzt wieder gestattete, mit frisch ergrünender Hoffnung neuem Glück entgegenzuschauen.

Sich zu beeilen war Eva geboten. Dennoch fanden die Schwestern Zeit, sich mancherlei schnell zu vertrauen, 292 wenn der Vater sie auch anfänglich oft unterbrach, indem er sich dem Vorhaben der jüngeren Tochter, dem Kaiser als Bittende zu nahen, widersetzte.

Das Mädchen, dessen Wünsche er noch vor kurzem wie die eines Kindes, je nach der Stimmung des Augenblicks, abgelehnt oder erfüllt, hatte indes auch in seinen Augen ein so wohlbegründetes Recht auf Hochschätzung gewonnen, in ihrer sittig bescheidenen Weise trat ihm eine so zielbewußte Bestimmtheit entgegen, das Schicksal Biberlis ging ihm selbst so nahe, und die Aussicht, seine Töchter vor Gericht gezogen zu sehen, war ihm so peinlich, daß er Evas Gründe gelten und sie mit guten Wünschen den schweren Gang antreten ließ.

Els hatte von der mütterlichen Weise gelassen, ja die Schwester wie die ihr Ueberlegene empfangen. Auch dem Bräutigam begann sie ihr Walten im Siechenhause mit so lebhaften Farben zu schildern, daß Eva ihr den Mund zuhielt und mit dem Rufe: »Bestehst Du darauf, daß wir die Plätze wechseln, so stellen wir uns in Zukunft Schulter an Schulter dicht neben einander! Auf Wiedersehen nach der Schlacht!« dem Zimmer enteilte.

Sie hätte den Ihren in keinem Falle viel mehr Zeit widmen dürfen; denn die Ehrendame der Frau Burggräfin, die sie zum Empfange führen sollte, wartete ihrer schon mit einiger Ungeduld bei den Schweizern und führte sie ungesäumt in die Reichsburg.

In dem weiten Raume, der dort an den Speisesaal stieß, galt es warten.

Die Zuversicht, die Eva während des Ganges zu den Ihren zurückgewonnen, schwand in der Nähe der Majestät und bei der Feierlichkeit des Empfanges, die hier jedem 293 Eintretenden gezollt ward, nur zu bald. Jetzt erst begriff sie, bang und bänger schlagenden Herzens, einen wie ernsten Schritt sie gethan; ja es bedurfte einiger Zeit, bis es ihr gelang, sich so weit zu sammeln, daß sie auf das Klirren der metallenen Gefäße und die tiefe Stimme des Kaisers, die manchmal das leisere Gespräch der Gäste übertönte, zu achten vermochte. Ueberall machte sich die Ehrfurcht vor der Majestät bemerkbar.

Wie viel weniger geräuschvoll ging es auch bei diesem Mahle her als an der Tafel der Fürsten und Edlen; wußten doch die Gäste, daß Kaiser Rudolf dem lärmenden Wesen des deutschen Adels abhold. Dazu gebot auch die Trauer des Herrschers, der Heiterkeit und dem Uebermut Zügel anzulegen. Unaufgefordert vermied Herr und Dame überlautes Gelächter, obwohl der Kaiser die Heiterkeit liebte und wie heldenhaft er auch den tiefen Kummer der eigenen Seele verbarg.

Als der Truchseß der Ehrendame, die Eva hieher geführt hatte, meldete, der Nachtisch würde aufgetragen, glaubte diese, jetzt sei der gefürchtete Augenblick nahe, in dem sie dem Kaiser zugeführt werden sollte, doch Viertelstunde auf Viertelstunde verging, und immer noch hörte sie das Klirren des Metalles und die Stimmen der Gäste, die nun lauter zu werden begannen, und aus denen ihr bisweilen auch die schnarrende Stimme des Schalksnarren Eyebolt und die hohe Gräfin Cordulas entgegenscholl.

Im Schneckengange schlich die Zeit ihr dahin, und schon meinte sie, ihr Herz könnte das heftige Pochen nicht mehr lange ertragen, als endlich, endlich die schweren Eichenstühle auf dem Gestein des Estrichs geräuschvoll von der Tafel im Speisesaal abgerückt wurden.

294 Von dem Altane des Empfangssaales aus hallte eine Fanfare mit lautem Geschmetter von den Bogen des hohen gewölbten Raumes wider, und der Kaiser überschritt, den anderen voran, und von einigen Würdenträgern, dem Schalksnarren und etlichen Pagen begleitet, die Schwelle.

Seine hohe Schwester, die Frau Burggräfin Elisabeth, hing an seinem Arme. Ihnen folgte im leuchtenden Gewande der Kardinäle der päpstliche Abgesandte Doria, der die Herzogin Agnes, das böhmische Königskind, führte, sie aber in der Empfangshalle freigab. – Unter manchen Fürsten und Großen dieser Welt und der Kirche erschien auch Graf Montfort mit seiner Tochter, der alte erste Losunger der Stadt, Berthold Vorchtel, sowie der Ohm Schultheiß mit seiner Hausfrau.

Aus einer andern Thür traten zu gleicher Zeit auch mehrere Gäste aus der Stadt, und unter ihnen in vornehmem Feststaat Evas neue schwäbische Freundinnen. Wie gern wäre sie ihnen entgegen geeilt, doch ein schon ergrauter Herr von stattlicher Körperfülle, dem die pelzbesetzte Schaube bis an die Knöchel reichte, der Ritter. Arnold Maier von Silenen, führte sie zu einer weit von ihrem Platze entfernten Stelle des Saales.

Dafür trat Graf Montfort mit Cordula in ihre Nähe; doch sie zu begrüßen, ging gleichfalls nicht an. Wo jeder hier stand – sie fühlte es – war es ihm zu bleiben geboten. Und der Zwang verstärkte sich, als Herzogin Agnes, diesem einen Gruß, jenem ein kurzes Wort schenkend, näher und näher kam und endlich bei dem Grafen Montfort stehen blieb.

Ehrfurchtsvoll trat der alte Weidmann dem böhmischen 295 Königskinde entgegen, und Eva hörte, wie die vierzehnjährige Ehefrau ihn frug: »Nun, Graf, wie steht es mit Eurem Wunsche, den rechten Gemahl für die widerspenstige Tochter zu finden?«

»Natürlich mußte er sich erfüllen, Frau Herzogin, weil Eure Hoheit ihn zu billigen geruhten,« versetzte jener mit der Hand auf dem Herzen.

»Und darf man wissen?« erkundigte sie sich weiter, während ihr dunkles Auge hell aufblitzte und lichtes Rot über ihr leicht gebräuntes Kinderantlitz flog, in sichtlicher Spannung.

»Ritterpflicht und väterliche Schwäche,« lautete die Antwort, »versiegeln mir leider noch die Lippen. Eure Hoheit wissen am besten, daß der Wunsch einer Dame – und wäre sie auch das eigene Kind – Befehl ist.«

»Man rühmt Euch als gehorsamen Vater,« entgegnete die Böhmin mit einem leichten Achselzucken. »Doch braucht Ihr wohl kaum zu verschweigen, ob der Glückliche, der so vielen voran von der anziehenden Jägerin auf mancherlei Wildpret nicht nur ermuntert, sondern diesmal auch erhört ward, sich unter unseren Gästen befindet?«

»Dies Glück ist ihm leider nicht vergönnt, Hoheit,« versetzte der Graf; Cordula aber, die Eva bemerkt und die letzten Worte der Herzogin vernommen hatte, trat der hohen Widersacherin entgegen und sagte mit einer tiefen, ehrfurchtsvollen Verneigung: »Fern von hier, Hoheit, und unter Gefahr und Entbehrung muß ich Aermste ihn mir noch dazu denken. Statt Damen die Herzen, bricht er ritterlichen Räubern und Verletzern des Landfriedens die Burgen.«

Da biß die Herzogin sich in stiller Empörung mit 296 den weißen Kinderzähnen in die zuckende Lippe und schickte sich eben zu einer Antwort an, die Cordula schwerlich geschmeichelt hätte, als der Kaiser, den seine vornehmen Begleiter sämtlich verlassen hatten, mit der Frau Burggräfin am Arme, auf Eva zutrat.

Sie nahm es nicht wahr; denn sie suchte vergebens die Rede der Gräfin, die sie mit angehört hatte, zu deuten. Freilich wußte sie nicht, daß Cordula, als kein Bote dem unglücklichen Biberli, dessen Schicksal sie mit aufrichtiger Teilnahme erfüllte, die Fürsprache Heinz Schorlins bringen wollte, dem eigenen Bräutigam befohlen hatte, sein Roß tot zu reiten, um dem Herrn des schwer gefährdeten Gefolterten zu melden, was seinen treuen Diener bedrohte, und ihn in ihrem Namen zu erinnern, daß Dankbarkeit zu den Tugenden eines echten Ritters gehöre, auch wenn es sich nur darum handle, sich einem Herrenknecht erkenntlich zu erweisen. Und Boemund Altrosen hatte Gehorsam geleistet und mußte Heinz längst erreicht und ihm wohl auch geholfen haben, die Siebenburgs und ihren Anhang zu Paaren zu treiben. Cordula aber las in dem Kinderherzen der jungen Böhmin, und es gereichte ihr zu besonderem Vergnügen, ihr in der Fehde, die sie gegen einander führten, soeben einen tüchtigen Schlag versetzt zu haben, der vielleicht auch einem andern Zwecke förderlich sein konnte.

Der Schreck und die Verwirrung, in die die Antwort der Gräfin Eva versetzt hatte, hoben den Zauber ihrer ermutigen Erscheinung.

Hatte sie denn recht gehört?

Konnte Heinz sich wirklich um die Gräfin bewerben und von ihr erhört worden sein?

297 Gewiß, ganz gewiß nicht!

Solcher Falschheit, solchen Treubruchs war keines von diesen beiden fähig. Trotz des Zeugnisses der eigenen Ohren wollte, durfte sie es nicht glauben.

Als sie aber endlich die hohe Gestalt des Kaisers vor sich sah, als er mit einem väterlich freundlichen Blicke zu ihr niederschaute, erwiderte sie ihn mit den großen blauen Augen, die bittend und dabei so vertrauensvoll zu ihm aufsahen, als wollten sie ihn erinnern, daß es, wenn er nur wollte, seiner Allmacht möglich sei, alles, was sie ängstigte und bedrängte, zum Besten zu wenden.

Und der feuchte und doch sonnige Blick dieser unwiderstehlichen Augen drang dem Kaiser in die Seele, und im stillen stellte er sich vor, wie dies liebliche Bild der Reinheit und Unschuld, dies seltene Geschöpf, von dem er während des Rittes in den Wald durch den Schultheißen so Erstaunliches vernommen, dem achtzehnjährigen Liebling, den der Tod ihm eben so jäh entrissen, das für jeden Eindruck empfängliche Herz entflammt haben würde. Und während er seines Hartmanns gedachte, erinnerte er sich auch an den treusten und liebsten der Freunde des Verstorbenen, an Heinz Schorlin, der sich in seinem Dienste wiederum so tüchtig bewährte und sich ein Recht auf Anerkennung und Lohn verdiente.

Wie es jetzt mit dem Verlangen seines jungen Schutzbefohlenen nach dem Kloster bestellt sei, wußte er nicht; wohl aber war ihm bekannt geworden, daß ihn schnell entflammte heiße Minne für das holdselige Kind dort zu einer strafbaren Unvorsichtigkeit verleitet hatte. Gerade heute war ihm außerdem noch mancherlei von den beiden zu Ohren gekommen, die so sicher zu einander paßten, 298 wie Heinz Schorlin auch dem der heiligen Kirche treu ergebenen Habsburger am letzten für das geistige Leben geeignet zu sein schien.

Er, der Kaiser, konnte viel für das Bündnis dieser beiden thun, doch auch für ihn war dabei Vorsicht geboten. War er es, der sie wie eigene Kinder zusammengab, durfte er gewiß sein, laute Klagen bei der Geistlichkeit und besonders bei den in Rom einflußreichen Dominikanern zu erwecken; ja er mußte auf eine Widersacherschaft gefaßt sein, die sich gegen ihn wie gegen das junge Paar wandte. Der Prior des Ordens hatte sich bereits bei dem Nuntius über die Lauheit der Oberin der Klarissinnen beklagt, die thatenlos zusehe, wie man der Kirche die Seele einer Jungfrau aus angesehenem Hause entfremde, und Doria ihm von dieser ärgerlichen Angelegenheit und der Hoffnung des Priors gesprochen, den Ritter Schorlin, der sich seiner Gunst erfreue, für das geistliche Leben zu gewinnen. Auch von einer andern Seite her war Einspruch gegen dies Bündnis zu erwarten, das ihm zusagte, und das er darum zu begünstigen wünschte. Es mußte freilich mit aller Vorsicht und in einer Weise geschehen, der die Gegner nicht zu widerstreben vermochten.

Bei dieser Erwägung flog ihm ein sonderbares Lächeln, das die Höflinge als das Vorzeichen einer gnädigen Regung kannten, um den Mund, der seit den letzten Monden besonders kenntlich dem Kummer Ausdruck lieh, der ihm die Seele beschwerte, – und, indem er den langen Zeigefinger drohend erhob, begann er: »Ei, ei, Jungfrau Eva Ortliebin. Was triebet Ihr für Dinge, seit mir aus dem Rathause die Gunst widerfuhr, Euch, 299 Vielschöne, beim Tanz zu begegnen? Wißt Ihr auch, daß Ihr die geistliche wie die weltliche Obrigkeit in Unruhe versetzt und man uns um Euretwillen manche schätzbare Stunde schmälert? Den gestrengen Dominikanervätern wie den frommen Klarissinnen stört ihr in gleicher Weise den Frieden. Jene finden, daß die sanften Nonnen Euch zu milde begegnen, und diese zeihen die eifrigen Jünger des heiligen Domingo übergroßer Strenge in Eurer Sache.

»Und dann! Wäre es Euch selbst nicht so wohl bewußt, würdet Ihr es schwerlich glauben. Um eines geringen Herrenknechtes willen, der Eures besonderen Schutzes genießt, bedrängen mich, den so viel Ernstes und Schweres belastet, die Großen und Kleinen. Was habe ich dazu auch durch seinen Herrn, den Ritter Heinz Schorlin, – wieder im Zusammenhang mit Euch, Ihr schöner Störenfried – nicht alles zu erdulden! Des anderen zu geschweigen erhebt Euer leiblicher Herr Vater gegen ihn Klage. In einem Schreiben geschieht es, das Meister Gottfried, unser Protonotarius, nach des Herrn Ortlieb Willen zurückbehalten sollte, das mir aber dennoch durch ein willkommenes Ungefähr in die Hand kam. Und was dies Schreiben berichtet, mein holdseliges Kind, das sind Dinge, die ich . . . Seid unbesorgt . . . Die Rosenwangen glühen schon heiß genug, und um ihretwillen geschweige ich des Inhalts. Nur zwingt es mich zu der Frage . . . tretet nur näher! . . . ob, wenn es Euch auch zu großem Aergernis gereichte, daß ein gewisser junger Schweizer Ritter nächtlicherweile in Euer väterliches Haus drang, ob Ihr nicht dennoch mit mir, dem Erfahreneren hofft, dieser von heißer Minne bethörte 300 Wagehals könnte sich unter dem Beistand der lieben Heiligen, denen er sich schon ernstlich zuzuwenden beginnt, zu größerer Vorsicht und löblicherer Tugend bekehren? Ob Ihr nicht gar in Eurer großen Barmherzigkeit, von der ich so Rühmliches vernahm, im stande wäret . . .«

Hier stockte er und fuhr in leisem Flüstertone fort:

»Leiht mir mit Gunst das Ohr – ein wie klein und wohlgebildet Dinglein es ist! – noch ein wenig, um mir, dem älteren Manne, der es väterlich wohl mit Euch meint, zu vertrauen, ob Ihr Euch nicht gar geneigt finden ließet, es mit dem kecken Uebelthäter und mit seiner Besserung selbst zu versuchen, wenn er Euch, statt des Herzens allein, auch das Ringlein böte, mit samt der – dafür stehe ich ein – redlichen, ritterlichen Hand?«

»O Herr!« fiel Eva hier dem gütigen Herrscher in die Rede, und ihre in Thränen schwimmenden großen Augen trafen dabei mit einem so angstvoll flehenden Blicke die seinen, daß er, als bedauerte er seine schnelle Frage, in besänftigendem Tone fortfuhr: »Nun, nun . . . Wir kommen, denk' ich, auch langsameren Schrittes zum Ziele. Solch ein Bekenntnis fließt wohl auch leichter über die Lippen, wenn es derjenige fordert, für den es Glückseligkeit oder Verzweiflung bedeutet, als wenn ein Fremder, und wäre er auch so alt und wohlmeinend wie ich, es von einer sittigen Jungfrau zu erlangen begehrt.«

Hier hielt er inne; denn Frau Wendula Schorlin war seinem Blicke begegnet. Froh bewegt, winkte er ihr mit der Hand einen Gruß zu, befahl einem Pagen, sie zu ihm zu führen und sagte, indem er sich von neuem an Eva wandte: »Sieh da, mein vielschönes Kind, da wäre ja schon eine, der Ihr Euch williger als mir 301 anvertrauen möchtet. Die aller Ehren und Liebe werte Mutter des Ritters Heinz hätte, dünkt mir . . .«

Hier drängte Ueberraschung und Freude Eva die Frage auf die Lippen: »Seine Mutter?« und es klang dem Kaiser aus ihr ein so lebhaftes Erstaunen entgegen, daß er, als Frau Wendula ihm mit tiefen Verbeugungen näher getreten war und er mit ihr wie mit einer alten, lang entbehrten Freundin die ersten Grüße gewechselt, zu wissen verlangte, wie es komme, daß Eva, obgleich sie der Matrone ja schon begegnet zu sein scheine, mit so großem Befremden vernehme, sie sei die Mutter seines tapferen Schützlings.

Da bekannte Frau Wendula, wofür sie sich ausgegeben, damit sie die Jungfrau unerkannt ergründe, und wieder flog Kaiser Rudolf jenes seltsame Lächeln über das bartlose Antlitz, und es dauerte fort, während er die Witwe des verstorbenen Kampfgenossen leise frug, ob sie nach solcher Prüfung glaube, daß sie die Rechte für den Sohn in ihr gefunden, und während ihm die Antwort zu teil ward, auch in einem langen Leben würde sie nicht Zeit genug finden, dem Himmel für solche Tochter genugsam zu danken.

Die Jungfrau aber, der dies Geflüster galt, dessen Inhalt ihr nur ein liebevoller Blick Frau Wendulas verriet, preßte die Hand auf das Herz, dessen ungestümer Schlag ihr den Atem beengte. O, wie gern wäre sie auf die Mutter des Mannes, den sie liebte, und auf seine junge Schwester, die sich in bescheidener Entfernung hielt, zugeeilt, um sie in die Arme zu schließen und ihnen zu vertrauen, was ihr zu groß, zu viel, zu schön für sich allein dünkte, und was doch durch ein einziges Wort des 302 Geliebten zusammenstürzen konnte wie ein unterhöhlter, vom Wirbelwinde ergriffener Turm. Hier aber galt es, sich zu gedulden und über sich ergehen zu lassen, was ihr sonst noch beschieden.

Und es sollte ihr auch an inneren und äußeren Erlebnissen nicht fehlen; denn kaum hatte sie dem Kaiser auf die leise Frage, ob es sie verlange, sich von dieser trefflichen Frau »Tochter« nennen zu hören, stumm, doch deutlich genug zu erkennen gegeben, wie es mit ihrem Herzen bestellt war, als er lauter, doch in bedenklichem Tone fortfuhr: »Soweit stünde denn alles zum Besten; doch, schöne Jungfrau, mein junger Freund begnügte sich leider, hörte ich recht, mit nichten, nur an eine Herzensthür zu pochen. Es sind mir da Dinge zu Ohren gekommen, Dinge . . . Aber auch das soll . . .«

Hier brach er plötzlich ab; denn schon während seiner Rede mit den Frauen war es an der Thür des Empfangsaales laut geworden, und jetzt betrat ihn derjenige, gegen den der Kaiser eben die Anklage erhoben, und ihm auf dem Fuße folgte mit gerötetem Antlitz der Kämmerer Graf Ehenhofen, der sich den Ritter Schorlin vergeblich zurückzuhalten bemühte.

Auch Heinz glühten die Wangen von dem Streit mit dem Höfling, der es für einen schweren Verstoß ansah, daß ein Ritter es wagte, bei einer friedlichen geselligen Zusammenkunft kriegerisch bewaffnet vor den Kaiser zu treten.

Unter den anderen Mitgliedern des Hofes erweckte sein Erscheinen eine frohe Bewegung; ja trotz der Anwesenheit des Herrschers scholl ihm von den Lippen vieler Herren und Damen ein herzlicher Bewillkommnungsruf 303 entgegen. – Nur die böhmische Königstochter schaute ärgerlich auf die blaue Binde an der Helmzier des Heimkehrenden; denn »blau« war die Farbe der Gräfin Montfort und »rosenrot« die ihre.

Zwei geistliche Herren, an denen Heinz vorüberschritt, veranlaßte sein Eintritt zu einem eifrigen Geflüster. Der Beichtvater der Herzogin Agnes, ein älterer Dominikaner von hohem Wuchs, lieh dem Probst von St. Sebald, einem wohl um einen Kopf kleineren Greis von würdigem und dabei gütigem Ansehen, das Ohr, der, während er Heinz scharf ins Auge faßte, bemerkte: »Euer Herr Prior hofft, fürchte ich, allzu sicher auf diesen jungen Ritter. So schreitet niemand daher, der im Begriff steht, der Welt zu entsagen. Ein prächtiger Bursche!«

»Dem die Rüstung doch wohl besser steht als die Kutte,« bemerkte der Bischof von Bamberg, ein Prälat in mittleren Jahren von vornehmem Ansehen, indem er zu den anderen trat. »Euer Herr Prior, teurer Bruder, würde, mein' ich, wenig Freude an diesem Fische finden, den er so eifrig aus dem Netze der Minoriten in das seine zu ziehen begehrt. Nur allzu bald spränge er ihm wieder ans Land. Er taugt nicht ins Kloster. Zum Priester wär' er wohl eher berufen, und als streitbaren Amtsbruder hieße ich ihn willkommen.«

»Kühn genug,« fügte der Dominikaner hinzu, »ist er freilich. Nicht jedem wollt' ich raten, so angethan vor die Majestät des Kaisers und in diesen erlauchten Kreis zu treten.«

Allerdings sah man Heinz deutlich genug an, daß er geradeswegs vom Schlachtfelde und aus dem Sattel kam; denn ein derber Kettenpanzer, den der ziemlich lange 304 Waffenrock indes zum größten Teil verdeckte, umgab ihm die Glieder, und auch der Helm, den er im Arme trug, gehörte, trotz der blauen Binde an der Zier, keineswegs zu den feinen und kostbaren, die man beim Turnier trug. Dazu verriet manche Beule, daß ihn kräftige Hiebe und Stöße getroffen.

 

 


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