Georg Ebers
Im Schmiedefeuer
Georg Ebers

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Sechzehntes Kapitel.

In dem hohen und weiten Wohngemache, das Seitz Siebenburg bald darauf betrat, sah es prächtig genug aus. Bunte flandrische Tapeten hingen an den Wänden. Die Decke war flach gewölbt, und in der Mitte jeder Masche des Gurtennetzes, das sie überspannte, glänzte in reicher Vergoldung ein Eisvogel, das Wappentier des Geschlechtes. Ueber den Polstern lagen Bären- und Leopardenfelle, auf dem Bord, der drei Wände umzog, standen kostbare Vasen, Gold- und Silbergerät, venetianische Spiegel und Kelche. Die Stühle und Geräte bestanden aus edlen Hölzern mit Elfenbein- und Perlmuttereinlage und waren über Genua aus dem maurischen Spanien gekommen. In dem Chörlein, das auf die Straße hinausragte und vor dem die alte gräfliche Großmutter im Sorgenstuhl saß, hockten zwei grün und gelbe Sittige auf hohen Messinggestellen und unterbrachen das Gespräch, wenn es lauter wurde, mit dem schrillen Ruf ihrer häßlichen Stimmen.

Siebenburg fand außer Wolff und den Zwillingen die ganze Familie beisammen. Sein Weib hatte in halb 238 liegender, halb sitzender Stellung einen Diwan inne. Als Seitz eintrat, erhob sie das Haupt von dem weißen Arme, auf dem es geruht hatte, wandte ihm das wohlgebildete, längliche Antlitz entgegen und faßte das blonde Haar zusammen, das ungezöpft voll und lang an ihr niederfloß. Ihren Augen sah man an, daß sie heftig geweint, und als der Gatte auf sie zuschritt, schluchzte sie von neuem schmerzlich auf.

Die Großmutter schien die Klage der Enkelin zu verdrießen; denn mit einem erzürnten Blick auf Siebenburg rief sie ihm, indem sie damit auf die Thränen Isabellas hinwies, ein scharfes: »Schad' um eine jede!« entgegen.

Dem Ritter wallte das Blut auf bei diesen Worten; doch stärkten sie ihm zugleich den Mut; denn es war ihm, als enthöben sie ihn jeder Rücksicht gegen diese Menschen, von denen ihm keiner, außer dem armen Weibe, das dort so heiße Thränen vergoß, Anlaß gegeben hatte, Liebe mit Liebe zu vergelten. Hätten diese Zähren nur dem verlorenen Reichtum und nicht auch ihm und dem Kummer, den er Isabella verursachte, gegolten, der alten Gräfin wären sie nicht »Schade« erschienen!

Siebenburgs Atem ging schneller.

Was ihm von dem Schwiegervater Dankenswertes zugekommen war, überwog gewiß nicht die Demütigungen, mit denen er, seine schwache Hausfrau und übel gesinnte Schwiegermutter ihm das Leben verbitterten.

Auch jetzt würdigte der alte Herr ihn kaum eines Grußes. Nachdem er sich nach dem Sohne erkundigt, sich einen verlorenen Mann genannt und dann dem Ritter mit beleidigender Schärfe vorgeworfen hatte, daß seine Brüder – es war ihm erst vor kurzem hinterbracht 239 worden – die Räuber wären, die seine Waren an sich gerissen, und die alte Gräfin ihm dabei mit dem Rufe: »Alle reif für den Richtblock« ins Wort gefallen war, vermochte Seitz nicht länger an sich zu halten; ja, es gewährte ihm Lust, diesen Verhaßten zu zeigen, was von seiner Seite geschehen war, um zu ihren Verlegenheiten neue zu fügen. Er war kein Redner; jetzt aber löste ihm der Groll die Zunge, und so eröffnete er denn Herrn Kaspar mit raschen, höhnenden Worten, daß er als Schwiegersohn eines Hauses, das sich selbst als unermeßlich reich darzustellen liebe, bei anderen geliehen habe, was man ihm – das zu glauben, sei er berechtigt gewesen – aus Kargheit vorenthalten habe. Uebrigens wären seine Schulden klein im Vergleich zu den ungeheuren Summen, mit denen Herr Kaspar der gräflich Rotterbachschen Sippe die verpraßten Güter erhalte. Wie jeder Ritter, dem man das eigene Haus verleide, spiele er bisweilen, und wenn ihn das Unglück gestern verfolgt und er das Gut Tannenreuth verloren, so sei ihm das höchst unerwünscht, doch nicht mehr zu ändern.

Der alten Gräfin hatten Schreck und Entrüstung bis dahin die Lippen geschlossen; jetzt aber öffneten sie sich zu dem heiseren Ausruf: »Rad und Galgen für Euch, – nicht der ehrliche Richtblock!« und ihre Tochter, Frau Rosalinde Eysvogel, sprach ihr in schmerzlichem Klagetone nach: »Ja, Rad und Galgen.«

Ein spöttisches Auflachen Siebenburgs folgte dieser Drohung; als aber Herr Kaspar, bleich wie der Tod und der Stimme kaum mächtig, ihn fragte, ob dies unglaubliche Bekenntnis nicht nur bezwecke, die Frauen zu ängstigen, und der Ritter ihn des Gegenteils versichert 240 hatte, stöhnte er laut auf: »So geht das alte Haus denn schmählich zugrunde.«

Jahre des Beisammenseins können statt Liebe Abneigung wecken und steigern, doch führen sie sicher zu einer gewissen Daseinsgemeinschaft. Das bittere Weh des alten Hausgenossen, des Vaters der Frau, mit der ihn immer noch unzerrissene Liebesfäden verbanden, ließ auch Seitz Siebenburg nicht unberührt. Dazu greift nichts sicherer ans Herz als der Jammer eines stolzen und harten Mannes. Das Bekenntnis Herrn Kaspars machte ihn dem Ritter nicht lieber, es veranlaßte ihn aber, von dem aufbegehrenden Tone, den er angeschlagen, zu lassen, und mit veränderter Stimme forderte er ihn auf, sich nicht ohne Gegenwehr verloren zu geben. Der alte Ortlieb müsse schon um seiner Tochter willen helfen. Els, die er eben gesprochen, hänge fest an Wolff und würde den Vater zu bereden suchen, das Mögliche für das Haus des Verlobten zu thun. Er, Siebenburg, würde die Eysvogelsche Kasse nicht weiter in Anspruch nehmen. Mit seinen Gläubigern wolle er selbst fertig zu werden versuchen. Sein scharfes Schwert und seinen starken Arm würde man überall willkommen heißen, und was er an Beute gewinne . . .

Hier unterbrach ihn die mit schneidendem Hohne hervorgestoßene Frage der Großmutter: »Beute? – Auf der Landstraße, meint Ihr!«

Und wiederum erleichterte der Angriff der ihm feindlich gesinnten Greisin dem Ritter eine Entscheidung; denn mit mühsam behaupteter Mäßigung gab er zur Antwort: »Eher, denk' ich, im heiligen Land, im Kriege gegen die ungläubigen Sarazenen. Jedenfalls kann meines Bleibens 241 überall eher sein als in diesem Hause, dessen Dach Euch birgt, Frau Gräfin. Habt Ihr, Herr Kaspar, im Sinne, mit meinem Weibe und den Zwillingen zu teilen, was Euch bleibt, wenn es mit dem alten Reichtum vorbei ist, so kann ich Euch das leider nicht vergönnen; denn auch für sie stehe ich selbst ein. Eure Pflicht wär' es freilich; denn so lange Isabella mein Weib war, mißbrauchtet Ihr meine Armut und schmälertet mir das Recht, über sie zu gebieten. Das soll anders werden von heut an. Wie schlecht das Brot schmeckt, das Ihr verschenkt, ich hab' es erfahren. Meinem Ohm, dem Ritter Heideck, will ich sie vertrauen. Er war meiner Mutter selig einziger vielgeliebter Bruder, und seine Hausfrau – ihr wißt ja – ist die Patin der Kleinen. Kinderlos sind sie, und solch Pärlein im Schlosse zu haben, wäre ihnen von allen Geschenken das liebste. Bei ihnen soll mein verlassenes Weib weilen, während ich, noch weiß ich nicht im Dienste welches Herrn, Sorge trage, daß das Dreiblatt nicht nur von fremder Gutthat . . .«

»O Seitz, Seitz!« fiel ihm hier Isabella, die sich vom Polster erhoben hatte, indem sie ihm entgegeneilte, mit dringlicher Bitte ins Wort. »Geh nicht! So darfst Du nicht gehen!«

Damit schmiegte sie die hohe Gestalt fest an ihn und umschlang ihm den Hals; er aber küßte ihr Stirn und Augen und sagte mit einer Weichheit, die auch sie überraschte: »Du bist gut; – aber hier kann ich, darf ich nicht bleiben!«

»Die Kinder, die Büblein!« rief sie noch einmal und schaute ihm mit einem warmen Liebesblick in die Augen.

Da war es ihm, als zöge das gequälte Herz sich 242 ihm zusammen, und mit der Hand an der Stirn bedurfte er einiger Zeit, bevor er düster versetzte: »Grad' um ihretwillen geh' ich. Ein Wort ist an mich ergangen, das mir zuruft und auch Dir, Isabella: Traget Sorge, daß die unschuldigen Würmlein anders geraten als ihr unseliger Vater. Und derjenige, von dem es mir zukam . . .«

»Ein Weiser, ein großer Weiser,« kicherte die Gräfin, ihrer selbst kaum mächtig vor bitterem Verdruß, dem verhaßten Manne entgegen; Siebenburg aber schnitt ihr aufbrausend das Wort ab:

»Wenn auch kein Weiser, so doch kein Gift speiender Unhold.«

»Und das, das läßt Du Deiner Großmutter bieten?« wimmerte Frau Rosalinde Eysvogel so schmerzlich, als habe sie selbst eine Mißhandlung erlitten, der Tochter zu; Isabella achtete indes weder der Mahnung der Mutter, noch der des Vaters, der ihr ans Herz legte, sich nicht von den windigen Verheißungen Siebenburgs blenden zu lassen, und schmiegte sich nur fester an den Gemahl.

Während die alte Gräfin noch vergebens nach Worten rang, stand Frau Rosalinde Eysvogel leise vor sich hinweinend neben dem hohen Kamine. Bevor Siebenburg erschienen war, hatte sie, trotz des frühen Morgens und der erschütternden Nachrichten, die sie soeben erhalten, die freie Stunde benützt, um sich putzen zu lassen. Ein langes Schleppgewand, links von blauem, rechts von gelbem kostbarem Brokat, umwallte ihr jetzt die hohe Gestalt. In Gold und Edelgestein strahlend, hatte sie bei der Heimkehr des Ritters einer Fürstin geglichen. Jetzt bot sie, gebrochen und haltlos, ein klägliches Bild der ohnmächtigen und zugleich verletzenden hohlen Prunksucht. 243 Wie die thatkräftige Mutter den Eidam mit Schmähungen zu überfallen, hätte sie zu große Anstrengung gekostet; als sie aber gewahrte, wie die Tochter, die sie schon mehrmals in schmerzlichem Bittton zu sich herangerufen, das stolze Haupt dem Gemahl so innig an die breite Brust schmiegte, wie sie es in den ersten Wochen ihrer Ehe und seitdem nicht wieder gethan, wurde der Unglücklichen klar, daß es ernst sei mit der unglaublichen Forderung des Ritters. Was sie für eine hohle Prahlerei gehalten, das verlangte er wirklich. Von dem verhaßten Eindringlinge dort sollte ihr zugemutet werden, sich von der einzigen Tochter zu trennen, die ihr mehr galt als der ungeliebte Gatte, die anspruchsvolle Mutter und der Sohn, der sie in ihren Neigungen beschränkte, den sie nicht verstand und gegen den sich ihr Herz schon lange verhärtet. Aber es konnte ja nicht sein, – und fassungs- und haltungslos schrie sie laut auf, riß sich die blaue Kopfbinde vom Haupte und stieß, indem sie das »nie« wie von Sinnen fortwährend wiederholte, hervor: »Nie, nie, nie, so lange ich lebe!«

Dabei stürzte sie auf den erschrockenen Gemahl zu, wies auf den Eidam, der sein Weib immer noch umschlungen hielt und befahl Herrn Kaspar mit halb erstickter Stimme, den Würfler, den Güterdieb, den Schuldenmacher und Kinderräuber niederzustechen oder aus dem Hause zu jagen wie ein wildes, schädliches Tier. Dann gebot sie Isabella, von dem Ruchlosen, den es gelüste, sie mit ins Verderben zu ziehen, zu lassen, und als die Tochter ihr den Gehorsam versagte, brach sie in heftiges Weinen aus und schluchzte und stöhnte, bis die Kraft ihr versagte und einer jener Krampfanfälle sie ernstlich ergriff, 244 die sie so oft auf Rat der eigenen Mutter mißbraucht hatte, um von dem Gemahl die Erfüllung eines Wunsches zu erpressen.

Unwillig und doch voll aufrichtigen Mitleids stützte Herr Kaspar das Weib, dessen große königliche Schönheit ihm einst das Herz entflammt und in deren Umarmung er gewähnt, er werde schon hienieden der Wonnen der Seligen gewürdigt. Während sie das zuckende Haupt mit dem langen, goldroten, immer noch vollen Haar an seine Schulter lehnte, stellten sich köstliche Erinnerungsbilder vor das innere Auge des alternden Mannes; doch der Zauber war schnell gebrochen; denn das Tuch, mit dem er ihr das Antlitz trocknete, färbte sich mit dem Rot ihrer geschminkten Wangen.

Da flog ihm ein bitteres Lächeln um den feinen, bartlosen Mund, und dem Geschäftsmanne traten die ungeheuren Summen ins Gedächtnis, die er vergeudet, um den ausschweifenden Wünschen der Tochter und Mutter gerecht zu werden und ihnen, den Gräfinnen, zu zeigen, daß er, der adelige Bürger, es so gut verstünde wie einer ihrer Standesgenossen, den Reiz des Lebens durch Glanz und Pracht zu erhöhen.

Während er sein Weib stützte, und die alte Gräfin sich um sie bemühte, schickte auch Isabella sich an, der Mutter zu Hilfe zu eilen; ihr Gatte hielt sie indes mit unwiderstehlicher Kraft zurück und raunte ihr zu: »Du weißt, daß diese Krämpfe nicht töten. Komm mit zu den Kindern. Ich will Abschied von ihnen nehmen. Zeige wenigstens in dieser letzten Stunde, daß die Weiber dort Dir nicht mehr gelten als ich.«

Damit gab er ihr die Hand frei; und der innere 245 Kampf, der ihr kurze Zeit die Brust hob und senkte, endete mit dem leisen Rufe: »Ich komme.«

Die Kinderfrau, der Isabella sich zu entfernen gebot, als sie mit dem Gemahle das Zimmer betrat, leistete still Gehorsam, doch stellte sie sich an die Thür, um zu lauschen. Da sah sie, wie der unbändige Ritter neben der Wiege der Kleinen vor der Gattin, die er so übel vernachlässigt hatte, niederkniete, wie er feuchten Blickes dem majestätischen Weibe, das nicht viel kleiner war als er, sie wußte nicht was mit erhobenen Händen bekannte, wie sie ihn zu sich heranzog, sich ihm mit hingebender Zärtlichkeit an die Brust schmiegte und ihm dann erst den einen, dann den andern Zwillingsknaben auf den Arm gab.

Der jungen Mutter wie dem Vater waren die Wangen naß, doch die Augen leuchteten beiden hell auf in dankbarer Freude, als Isabella dem Gatten beim Abschied mit einem letzten innigen Kuß für das Gelübde dankte, wohin er sich auch wende, sie und die Kinder im Herzen zu behalten und alles daran zu setzen, um ihnen ein ihrer würdiges Los zu bereiten.

Als Siebenburg die Treppe hinabstieg, fand er auf einem Absatze beim ersten Stockwerk den Schwiegervater, wie er totenbleich mit der Rechten auf dem Geländer, mit der Linken an der Stirn nach Fassung und Atem rang. Er hatte vergessen, sich mit Speise und Trank zu stärken, und die furchtbaren Schicksalsschläge, die ihn in den letzten schweren Stunden getroffen, brachen ihm, wenn auch nur auf kurze Zeit, die immer noch rüstige Kraft. Willig ihm Beistand zu leisten, trat der Ritter ihm näher; als er aber Herrn Kaspar den Arm reichte, 246 wies dieser ihn unwillig zurück und gestattete einem Aufwärter, ihm Hilfe zu leisten.

Während der Diener ihn die Treppe hinaufführte, bereute er, dem Groll nachgegeben und dem Eidam nicht aufgetragen zu haben, sich nach dem Versteck seines Sohnes zu erkundigen; kaum aber hatte ein Imbiß und feuriger Wein ihn gestärkt, als ihm im Gegenteil seine Handlungsweise verständig erschien. Die Wiederkehr des Geschäftsteilhabers, hinter dessen Rücken er große Verpflichtungen eingegangen war, hätte ihn in die peinlichste Lage versetzt. Der alte Herr wäre auch gezwungen gewesen, Wolff von der großen Summe zu unterrichten, die er dem Juden Pfefferkorn, dem ungeduldigsten seiner Gläubiger, schuldete, wenn er ihm auch nicht einzugestehen brauchte, daß er mit ihr seinen Spielverlust in Venedig beglichen. Wie sollte er ferner vor dem Sohne bestehen, wenn er ihn frug, warum er seine Braut von sich gestoßen und sich bald darauf herbei gelassen habe, sie wieder als Tochter aufzunehmen und mit ihrem Vater in nahe Verbindung zu treten. Das mußte geschehen! Nur Ernst Ortlieb konnte ihm noch helfen; war es doch unmöglich geworden, Berthold Vorchtel, den Mann, dem sein Sohn den Erstgeborenen getötet, um Beistand zu bitten, und gerade er hätte die Mittel besessen, das sinkende Schiff vor dem Untergang zu bewahren.

Vorhin, als die Kunde von dem Zweikampfe zu ihm gedrungen war, hatte er dem bleichen Antlitz des Boten anzusehen gemeint, Wolff sei gefallen. Dabei war ihm deutlich geworden, daß sein Verlust ihn für den Rest seines Lebens unglücklich gemacht hätte. Das war erfreulich gewesen; denn seit Wolff ihm die Einwilligung in 247 das Verlöbnis mit Els Ortliebin abgetrotzt und ihn dadurch den Vorchtels entfremdet, hatte er ernstlich gefürchtet, er habe den einzigen Sohn zu lieben verlernt. Ja, in mancher Stunde, in der er Grund gehabt, sich vor dem klugen, vorsichtigen und rechtlichen Geschäftsteilhaber zu schämen, war es ihm gewesen, als ob er ihn hasse. Jetzt mischte sich in die Scheu vor dem Richter, den er in Wolff sah, aufrichtige Besorgnis für den einzigen Sohn, über den der Bruch des Landfriedens schweren Bann, ja vielleicht, wenn er das Wehrgeld, das die Vorchtels fordern durften, nicht zahlen konnte, den Tod zu verhängen drohte. Wohl hatte er mancherlei gethan, um Wolff die Braut zu verleiden, jetzt aber fühlte er, der den ersten Stein auf sie geworfen, daß sie in ihrer schlichten Reinheit keines Verstoßes gegen die Treue fähig sei, die sie dem Bräutigam schuldete. Wie sehr er sich auch sträubte, dieser Ueberzeugung Raum zu geben: Wenn von einer, so war von ihr zu erwarten, daß sie seinen Sohn glücklich machen werde, glücklicher gewiß, als ihn die hohe, schlanke, schneeweiße, unnahbare Grafentochter, die ihn zu Grunde zu richten geholfen.

Während er der Speise und dem Trank zusprach, hörte er die Gemahlin, die sonst die gehorsamste Tochter, mit der Mutter streiten. Es war gut so; denn waren sie uneins, brauchte er nicht zu befürchten, daß sie ihm wie sonst als fest verbündetes Paar entgegenwirkten, wenn er ihnen den Wunsch eröffnete, die Hochzeit Wolffs stattfinden zu lassen, sobald es die Umstände erlaubten.

Noch war es zu früh, bei einem andern vorzusprechen. Erst wollte er noch einmal zu dem Juden Pfefferkorn, um ihn zu einem neuen Aufschub seiner Forderungen zu 248 bestimmen, dann aber, bevor die Ratssitzung begann, sich in den Ortliebhof begeben, um Herrn Ernst das Schicksal des Eysvogelschen Hauses und seines Mitbesitzers Wolff in die Hand zu geben, von dem auch das Wohl und Weh der Braut des jungen Geschäftsteilhabers abhing. Blieb der Gegenschwieger hart, trug er ihm nach, was er ihm und seiner Tochter gestern angethan hatte, dann war er ein verlorener Mann; denn wo er sonst stets offene Thüren gefunden, hatte er sich bereits den guten Willen zu nutze gemacht. Sicherlich war auch jetzt schon die Nachricht von seinen schweren Verlusten in jedermanns Munde, und der Brief, der ihm eben zukam, bedrohte ihn schon mit einer Klage des Ammonschen Hauses. Zu den eigenen Gläubigern waren nun auch noch die des unseligen Siebenburg gekommen. Der hatte gut versichern, für seine Schulden selbst einzustehen. Sobald es ruchbar wurde, daß er das Gut Tannenreuth, dessen Wert den Gläubigern einige Sicherheit bot, verwürfelt, standen sie auf wie ein Mann, und das Haus, das sie dann bestürmten, war doch nur das des Kaspar Eysvogel, das seine.

Die frömmsten Wünsche waren es nicht, mit denen der geängstigte Mann des Eidams gedachte.

Dieser befand sich unterdessen auf dem zweiten schweren Gange an diesem Morgen.

Es galt, sich mit Heinz Schorlin wegen des verlorenen Gutes zu einigen und sich Klarheit über den Streit mit ihm zu verschaffen, von dem er nichts mehr wußte, als daß ihn der Rausch und die Eifersucht weiter geführt hatten, als es sonst geschehen wäre. Verletzender Worte über Els hatte er sich sicher bedient; ja, sie waren, da 249 sie sich gegen eine Dame gerichtet, schärfer gewesen, als es dem Ritter gestattet. Aber war nicht jeder, der eine Jungfrau bei Nacht mit diesem Manne beisammen fand, berechtigt, an ihrer Tugend zu zweifeln? Im Grunde der Seele glaubte er an ihre Unschuld; – doch er hütete sich wohl, sich dies einzugestehen. Warum sollte der Schweizer, dem solche Macht über das Herz der Weiber gegeben, nicht auch die Braut seines Schwagers in einen Liebeshandel verwickelt haben? Warum sollte die muntere Jungfrau, die mit einem so ernsten, schwerfälligen Manne wie Wolff versprochen war, sich nicht auch in ein tändelndes Liebesspiel mit dem kecken, frohgemuten Schorlin eingelassen haben? Erst wenn man ihm bewies, daß er sich geirrt, wollte er sich zur Zurücknahme seiner Beschuldigungen bequemen.

Gehobenen Mutes und voll von guten Vorsätzen hatte er die Frau Liebste verlassen. Nun es zum Abschied von ihr kommen sollte, war ihm erst recht bewußt geworden, was sie ihm gewesen. Wohl hatten sie einander viel zu vergeben gehabt, sie war aber dennoch ein herrliches Weib. Ein königlicheres kannte er nicht, ob auch in den Speichern ihres Vaters Gewürzkisten und Tuchballen lagerten. Daß er die Gräfin Montfort, die nichts vor ihr voraus hatte als die schnelle Zunge und die froh-verwegene Weise, ihr auch nur einen Augenblick hatte vorziehen können, schien ihm jetzt unbegreiflich. Aber er hatte sich ja nur zu den Anbetern Cordulas gesellt, um ihr zu Füßen den Verdruß zu vergessen, mit dem er daheim gesättigt worden war. Nur für eins hatte er der Gräfin zu danken: für das Wort, das die Zukunft seines Zwillingspaares betraf.

250 War er denn aber wirklich so schlecht, daß es eine Schande für seine Lieblinge gewesen wäre, ihm ähnlich zu werden? »Nein!« rief es laut in seinem Innern, und während ihn die nämliche Stimme an die Siege erinnerte, die er im Lanzenstechen und Schwertkampfe erfochten, an die offene Hand, mit der er, seit er der Eidam des reichen Eysvogel war, seinen Brüdern geborgt und gegeben, und besonders auch an den mannhaften Entschluß, als Streiter im Sold eines Fürsten für Weib und Kind zu sorgen und seine Schulden zu tilgen, gab ihm eine leise, doch dringliche, ganz andere Dinge zu hören. Sie wies ihn auf die Zeit hin, in der er mit den Brüdern die Frachtwagen der Kaufleute überfallen und nicht nur ihr bewaffnetes Geleit niedergemacht hatte. Den Fluch eines breitschulterigen Nördlinger Fuhrmannes, dem er die Lanze durch die Brust gestoßen, obwohl er ihm zugerufen, daß er Vater sei und Weib und Kind zu ernähren habe, den Schrei des hübschen braunlockigen Knaben, der sich seinem Rosse an die Zügel hing, als er gegen seinen Vater einritt, und dem er den Arm abgehauen, meinte er vor dem inneren Ohre zu vernehmen. Auch die Zeit kam ihm in den Sinn, in der er nach einem reichen Fange auf der Straße, der ihm den Beutel gefüllt, wohl beritten, in neuen prächtigen Kleidern, während des Faschings nach Nürnberg gezogen war, um auf den Rat der Brüder eine reiche Braut heim zu führen. Das Glück und die Heiligen hatten ihn ein Weib finden lassen, das seine Habsucht zu befriedigen verhieß und zugleich seinem Herzen gefiel; dennoch hatte er ihr weder Treue gehalten, noch auch die schuldige Rücksicht erwiesen. Aber seltsam: Schärfer als das alles warf die mahnende 251 Stimme ihm vor, die Verlobte seines Schwagers, an deren Schuld er doch glauben durfte, vor anderen verdächtigt und herabgesetzt zu haben. Wiederum empfand er, wie unedel und unwürdig eines Ritters er damit gehandelt. Warum? Nur um – jetzt gestand er sich's ein – um Wolff, dem Mahner und Sparer, dem er gram war, wehe zu thun, vielleicht auch, weil er sich im stillen gesagt, daß nicht seinen Zwillingen, sondern dem Schwager und seinen Kindern der größte Teil des Eysvogelschen Vermögens zufiel, wenn Wolff in einer gesegneten Ehe lebte.

Diese Gier nach Besitz, die ihn auf die Brautschau nach Nürnberg geführt, lag ihm doch wohl im Blute, wenn er sie auch als leichtfertiger Schuldenmacher verleugnet. Gestern, beim Herzog von Pommern, hatte sie ihn wieder zu jenem unsinnig waghalsigen Würfelspiele verleitet.

Seitz Siebenburg war kein ruhiger Denker. Vereinzelt, in flüchtigen Sprüngen kreuzte ihm dies alles das erregte Gehirn. Wie der begleitende eintönige Baß neben dem Aufundnieder der Melodie, hörte er daneben fortwährend die Versicherung, es sei schade um seine prächtigen Buben, wenn sie nicht anders würden als er.

Deswegen sollten sie fern von ihm unter der Zucht seines wackeren Oheims heranwachsen. Mit dem Beispiele dieses Mannes vor Augen konnten sie so rechtschaffene und edle Ritter werden, wie der von aller Welt hochgeschätzte Kunz Heideck.

Den Zwillingen zu liebe hatte er selbst ein neues, würdigeres Leben zu beginnen beschlossen. Sein Weib wollte ihm beistehen, und die Minne sollte ihm Kraft verleihen, 252 sich in Zukunft so zu führen, daß die Gräfin Montfort und jeder, der es gut mit seinen Söhnen meinte, ihnen wünschen durfte, daß sie dem Vater nacharten möchten.

Erhobenen Hauptes schritt er dahin. Als er die ersten Leute in die Kirche Unserer lieben Frau eintreten sah, ging er hinein, sprach etliche Paternoster, legte der gnadenreichen Jungfrau die Knäblein und ihre Mutter ans Herz und bat sie, ihm zu helfen, die wilden Triebe, die ihn oft zwangen zu thun, was ihn später reute, zu zügeln.

Viele kannten den riesengroßen, hoffärtigen Eidam des Kaspar Eysvogel und wunderten sich über die brünstige Hingabe, mit der er auf dem ersten besten Platze in der Nähe des Eingangs, neben zwei alten Mütterchen knieend, im Gebete verharrte. Sollte das Gerücht sich bewahrheiten, daß das Eysvogelsche Haus durch den Verlust großer Warenzüge in eine mißliche Lage geraten? Eine seiner Nachbarinnen hatte ihn seufzen hören, und versicherte, den »Schnurrbart« müsse etwas Schweres bedrücken. Sie werde es ihrem Neffen, dem Gürtlermeister Hemerlein berichten, bei dem der Ritter für Sattel und Geschirr hoch in der Schuld stand, damit er beizeiten zu dem Seinen gelange.

Hoffnungsreicher, als er sie betreten, verließ Siebenburg die Kirche.

Das Gebet hatte ihm wohl gethan.

Erst auf dem Obstmarkte gewahrte er, daß die Leute ihm befremdet nachschauten. Seit gestern morgen hatte er nichts für sein Aeußeres gethan, und er, der ein starker Esser und Trinker war, fühlte die Notwendigkeit etwas zu sich zu nehmen. Bei dem ersten Bader ließ er sich die stoppeligen Wangen und das Kinn glätten 253 und gab seiner Kleidung die Ordnung zurück. In einer Trinkstube daneben aß und trank er, ohne sich niederzulassen, was er bereit fand, und erfrischt an Leib und Seele setzte er die Wanderung fort.

Auf dem Obstmarkte ging es lebhaft her. Saftige Erdbeeren und frühe Kirschen, rote Radieschen und grauer Rettig, Kohlrabikugeln mit buschigem Grün und lange Spargeln wurden neben Rosen und Aurikeln, Balsaminen und getriebenen zeitigen Nelken in Töpfen und Sträußen feil geboten, und die frischen Bauerndirnen hinter den Ständen, die stattlichen Bürgersfrauen mit den großen runden Hüten, die Meisterstöchter mit dem langwallenden Haar, das aus den reich bestickten Hauben hervorquoll, die Mägde mit den sauberen Körblein am runden Arme boten ein buntes, freundliches Bild. Auch was das Ohr vernahm, war munter und ergötzlich und hob dem Ritter die Stimmung.

Stolz auf die neu errungene Widerstandskraft schritt er weiter, nachdem er dem Antrieb gefolgt war, der hübschen Blumen-Kuni, die er der Gräfin Cordula zu Gefallen während des Reichstages noch häufiger als sonst in Nahrung gesetzt hatte, den schönsten Rosenstrauch abzukaufen. Warum wußte er selbst nicht, doch verschwieg er der schmucken Dirne, die ihm mancherlei gewährt, für wen er bestimmt sei, und ließ ihn zum übrigen kreiden.

An der Ecke der Bindergasse, in der Heinz Schorlin wohnte, fand er eine Bettlerin mit dicht verbundenem Kopfe und trug ihr auf, die Rosen in den Eysvogelhof zu bringen und sie seiner Gemahlin, Frau Isabella Siebenburg, in seinem, des Ritters Seitz Namen, zu übergeben.

254 Vor dem Hause des Tuchmachermeisters Deichsler, bei dem der Schweizer Quartier gefunden, hielt ihn der Schneider Ploß auf. Er kam von Heinz Schorlin und mahnte Siebenburg an seine nicht unbeträchtliche Schuld; dieser aber bat ihn, sich noch wenig zu gedulden, da er in der letzten Nacht einen Nasenstüber beim Spiele bekommen, und der Meister erklärte sich bereit, bis St. Heinrich zu warten.

Wie viele standen mit hohen Forderungen hinter dem Schneider, und wann konnte Seitz mit der Tilgung der Schulden beginnen? Flüchtig kam ihm auch in den Sinn, daß er, statt seine guten Vorsätze zu verwirklichen, auch den Rosenstrauch unbezahlt gelassen hatte; doch die Blumen waren im Juni so billig!

Uebrigens fand er keine Zeit, bei dieser Kleinigkeit zu verweilen; denn schon während er den Meister zur Ruhe gebracht hatte, war ihm ein Mädchen ins Auge gefallen, das trotz der Hitze des Tages das Antlitz so tief unter der Riese verborgen hielt, daß man nur die Augen und den oberen Teil der Nase gewahrte. Es hatte flüchtig gegrüßt, und, irrte er nicht, war es die Gürtelmagd der Schwestern Ortlieb gewesen, die er oft genug gesehen.

Als er wieder nach der Vermummten ausschaute, eilte sie eben im Tuchmacherhause die Treppe hinan.

Kätterle war es, und keine andere.

Vom ersten Absatze der Stiege aus hatte sie sich umgeschaut und die Riese sich dabei verschoben. Was konnte sie bei dem Schweizer wollen? Doch kaum etwas 255 anderes, als ihm Botschaft von einer ihrer Herrinnen, gewiß von Els überbringen?

So hatte er doch recht gesehen und wohl daran gethan, der Gräfin nicht zu glauben.

Armer Wolff! Schon als Bräutigam betrogen! Auch jetzt noch wünschte er ihm nicht eben das Beste; und doch bedauerte er ihn.

Mit aller Zuversicht konnte Seitz jetzt vor Heinz Schorlin treten. Der Schweizer mußte ja am besten wissen, wie es um das ältere E und ihn selbst bestellt war, wenn ihn auch die Ritterpflicht zwang, es vor anderen zu verleugnen. Die Vorwürfe, die Siebenburg sich gemacht, waren vergebens gewesen. Er hatte keine Unschuldige verdächtigt, – nur eine treuvergessene Braut beim rechten Namen genannt.

Mit seinem Gute Tannenreuth stand es schlechter. Es war verwürfelt und darum verloren. – Im Geiste hatte er schon davon Abschied genommen. Es galt nur noch die Uebertragung durch den Notarius vollziehen zu lassen. Der Schweizer sollte erfahren, wie ein echt ritterlicher Spieler sich auch mit dem schwersten Verlust abfindet. Er wollte Heinz Schorlin nicht schonen. Den Spiegel dachte er dem Gewissenlosen zu zeigen, der einem redlichen Manne – denn das war Wolff – durch schnöde Verführungskünste die Braut abwendig machte, während widrige Umstände ihn verhinderten, die Treulose selbst zu überwachen. Mit zwei schnellen Griffen zog er die Enden des Schnurrbartes auseinander und pochte dann an die Thür des Schweizers.

 

 


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