Georg Ebers
Im Schmiedefeuer
Georg Ebers

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Achtzehntes Kapitel.

Das entsetzliche Gewitter hatte ausgetobt, doch der Himmel war immer noch bewölkt. Ein kühler Hauch wehte von Nordosten her durch die trübe, feuchte Luft.

Heinz Schorlin kam von der Veste und schritt, nachdem er die Diligengasse gekreuzt, geradeswegs seinem Quartier entgegen. Im Kettenpanzer, gespornt und mit dem Helm auf dem Haupte hätte er eigentlich in den Sattel gehört, und dennoch ging er zu Fuße. Eine Schar von Männern, Weibern und Kindern, die die Köpfe flüsternd zusammensteckten, gab ihm das Geleite. Einer wies den andern auf ihn hin, als sei etwas Besonderes an ihm. Zwei stämmige Soldknechte der Stadt trugen ihm Sattel und Geschirr seines Rosses nach und hielten Buben oder Weiber zurück, die sich allzu keck an ihn heranzudrängen versuchten.

Heinz kümmerte sich nicht um die Menge. Er sah bleich aus. Das volle Haar quoll ungeordnet aus dem Helme hervor und umwehte ihm das Antlitz. Die Kettenrüstung an seinen Beinen und der lange Waffenrock waren mit Kot bespritzt. Der sonst so schmucke junge 280 Ritter sah verwahrlost aus und wie aus dem Gleichgewichte gerissen. Seine sonst so heiteren Züge trugen den Stempel eines noch unüberwundenen Entsetzens. Unstät schaute er vor sich hin und schien bald am Boden, bald in der Höhe etwas zu suchen.

Vor dem Hause in der Bindergasse, das ihn beherbergte, stand die junge, hübsche Wirtin, Frau Barbara Deichslerin, mit ihrem dreijährigen Töchterlein an der Hand. Der Ritter hielt sonst immer ein freundliches oder neckisches Wort für sie und für das Annele einen munteren Scherz oder gar etwas Süßes in Bereitschaft. Ja, der kinderliebe Herr schwang die Kleine gern in die Höhe und trieb mit ihr fröhliche Kurzweil.

Frau Barbara hatte schon vernommen, daß der Blitz, als Heinz von der Veste zurückkam, dicht vor ihm eingeschlagen und seinen schönen Goldfuchs, an dem sie oft ihre Freude gehabt, unter ihm getötet. Vor den Augen der Burgwache hatte das sich ereignet, und von Mann zu Mann war die Kunde gegangen, welch ein unglaubliches Wunder dem jungen Schweizer, dem liebsten Gefährten des ertrunkenen Kaisersohnes, das Leben erhalten.

Als Heinz nun auf das Hausthor zuschritt, trat Frau Barbara ihm mit dem Annele entgegen, um ihm Glück zu wünschen, daß die lieben Heiligen ihn so gnädig behütet; er aber entgegnete nur ernst: »Was sind wir Menschen? Freut Euch des Kindes, Frau Bärbel, so lang' es Euch noch vergönnt ist.«

Damit war er in den Soler getreten; die Deichslerin aber hatte sich hastig aufgemacht, um seinen Waffenträger zu rufen, einen graubärtigen Schweizer, der schon dem Vater des Ritters gedient und die vielen Stunden 281 verschlief, die der Dienst und der Wein ihm freigaben. Er sollte Biberli ersetzen, der schon lange das Haus verlassen hatte und den Herrn zum erstenmale seit vielen Jahren auf sich warten ließ. Aber Heinz wußte, wo er sich befand, und während der Waffenträger ihn der Rüstung und des Staatsgewandes ungeschickt genug entledigte, erfaßte ihn oft stille Besorgnis um den treuen Gesellen, obwohl ihm viel anderes näher am Herzen lag, womit der vergangene Morgen ihm die Seele belastet.

So glücklich wie in der letzten Nacht beim Herzog von Pommern hatte er noch nie gespielt. Der Rat Biberlis, auf die Zwei und Fünf zu bauen, hatte sich mehrfach bewährt, und außer dem Gute Tannenreuth, das Siebenburg gegen seinen ganzen Gewinn gehalten, hatte er mehr Gold als er jemals beisammen gesehen, mit nach Hause gebracht.

Doch er war keineswegs frohgemut zur Ruhe gegangen. Wem es auch sei sein Heim und Land abgenommen zu haben, war ihm peinlich. Er hatte sich auch gesträubt, den unsinnigen Satz Siebenburgs anzunehmen, doch seinem trotzigen Beharren und Aufbegehren war nicht zu widerstehen gewesen. Auch die Verdächtigungen, mit denen der »Schnurrbart« der unschuldigen Els Ortliebin gedacht, waren ihm nachgegangen, – und außer ihm hatte mancher andere dem Verleumder seinen Unwillen zu erkennen gegeben. Wohl dreißig Herren waren am Spieltische Zeugen dieser Vorgänge gewesen, und wenn sich morgen die Spatzen auf dem Dache erzählten, daß er, Heinz, mit dem älteren schönen Ortlieb E um Mitternacht bei einem Stelldichein ertappt worden sei, so trug er die Schuld, so belastete ihn der Vorwurf, einer 282 reinen Jungfrau, der Braut eines wackeren Gesellen Ehre und guten Namen abgeschnitten zu haben.

Und Eva!

Beim Erwachen am Morgen hatte ihr sein erster Gedanke gegolten. Begehrenswerter denn je war sie ihm erschienen. Doch die Seinen daheim und was Biberli ihm gestern während ihrer nächtlichen Wanderung auf die Seele gebunden, hatte sich fortwährend zwischen ihn und das heißgeliebte Mädchen gestellt. Dazu erschien es ihm gewiß, daß die Minne, die ihm das Herz erfüllte, unglücklich enden müsse. Woher sonst dies unerhörte Glück beim Spiele? – Mit peinigender Gewalt hatte dieser Gedanke ihn eine Weile wach erhalten. Dann war er in einen tiefen, traumlosen Schlaf versunken. Am Morgen hatte Biberli ihn voll frohen Uebermuts geweckt und auf drei stattliche Säcklein voller Guldein und Zechinen gewiesen, den Gewinn vom gestrigen Abend.

Flehentlich war der Diener in ihn gedrungen, den goldenen Segen zählen zu dürfen, der für sich allein ausreiche, um der Stadt Luzern den Brückenzoll zweimal abzukaufen, und an dem das beste sei, daß er der Frau Mutter auf der Schorlinburg den Frieden zurückgeben werde. Jetzt möge er in aller Heiligen Namen das freie ledige Leben fortführen und die Nachtwandlerin auf den Dächern spazieren gehen, die Gräfin aber von dem Altrosen heimführen lassen, der ja ihre Farbe so geduldig trage.

Doch wie lang hatte sich das ohnehin schmale Gesicht des Dieners gezogen, als Heinz mit einer ernsten Entschiedenheit, die Biberli fremd an ihm war, bestimmte, aus diesen Säcken würde auch kein verschnittener Dukaten auf die Schorlinburg wandern. Wenn ihn gestern nacht 283 die Sorge wie die Leiche eines Erschlagenen belastet, so liege ihm dieser Gewinn wie eine ekelhafte tote Katze auf der Seele. So armselig wie mit diesem Teufelsgelde habe er sich zeitlebens nicht gefühlt. Der Hexenspeck, den Biberli ihm mit der Zwei und Fünf gereicht, hätte es den Mitspielern aus der Tasche gezogen. Weder ein Beutelschneider noch ein Schwarzkünstler lüste es ihn zu sein. So schnell wie er ihm zugekommen, sollte der Höllenlohn auch wieder von hinnen. Dabei hatte er den zweitgrößten Sack ergriffen und ihn dem Diener mit dem Rufe geschenkt: »Jetzt halte dem Kätterle brav das gegebene Wort. Es wird dem armen Dinge der Boden ohnehin heiß werden bei seiner Herrschaft. Nur das eine beding' ich mir aus: Du bleibst in meinen Diensten. Ich kann Dich nicht missen.«

Während der Waffenträger ihm jetzt statt des flinken Biberli die Hauskleider reichte, kam es Heinz wieder in den Sinn, wie der treue Gesell vor ihm auf die Kniee gesunken war und ihm die Hände und Arme im Uebermaß der frohen Ueberraschung geküßt hatte, und wie es ihm selbst dennoch gewesen war, als breitete sich ein finsteres Gewölk über den lichten Frohmut seiner Seele. – Die Morgensonne hatte dabei so hell in sein Fenster geschienen und das Annele war mit so reizend schämiger Verlegenheit zu ihm gekommen, um ihm ein Maiblumensträußlein mit einer Rose in der Mitte zu überbringen und dazu einen schönen guten Morgen von der Frau Mutter, daß das Gewölk nicht hätte standhalten dürfen; und doch war es nur bisweilen aus einander gewichen, um sich bald wieder, wenn auch weniger fest und dunkel als vorher, zusammen zu ballen.

284 Trotzdem hatte er das Kind auf den Arm genommen und mit ihm in die schmale Gasse hinabgeschaut, um ihm zu zeigen, was da alles so morgenfrisch und munter zu Markte zog. Aber bald genug hatte er es wieder zu Boden gestellt; denn in dem Reiter, der da auf müdem Rosse näher kam, hatte er den Grafen Kurt Gleichen erkannt. Er war sein und des jungen Kaisersohnes Hartmann bester Freund, und als er ihn angerufen, hatte er sich mit einem matten Gruße aus dem Sattel gleiten lassen.

Ungesäumt war Heinz ihm bis vor das Haus entgegengeeilt; dort aber hatte er ihn neben seinem Rosse gefunden, das in die Kniee gesunken war, und sich dann an der Hand der Reiters zitternd und röchelnd in den Soler schleppte. Da war es vollends zusammengebrochen, hatte sich auf die Seite gelegt und die Beine steif von sich gestreckt. Es war das dritte Pferd, das der Bote seit seinem Aufbruche vom Rheine zu Tode geritten, und doch war er gewiß gewesen, zu früh zu kommen; denn er hatte einem Vater den Tod seines blühenden Sohnes zu melden.

Fassungslos vernahm Heinz von dem Augenzeugen, wie Hartmann, bevor er ihm die rettende Hand hatte hinstrecken können, von den Wogen des Rheinstroms in die Tiefe gezogen worden war.

Trotz des sonnigfrohen Morgens hatte der junge Schweizer, er wußte nicht welches schwere Unheil erwartet und sich gesagt, er würde es als willkommenen Gast begrüßen, wenn es ihn von dem Mißgefühl befreite, das ihm seit dem schmachvollen Glücke in dieser Nacht die Seele trübte. Da war es nun eingetroffen, und wie 285 gern hätte er auch das Schwerste weiter getragen, um es ungeschehen zu machen! Wie ein Kind hatte er an der Brust des Freundes geschluchzt und den Himmel angeklagt, ihn gerade mit diesem Leide heimgesucht zu haben.

Nicht nur sein Freund, auch sein Schüler war Hartmann gewesen, und welch ein Schüler! Im Reiten und Schwertkampfe hatte er ihn unterrichtet und mit ihm und dem jungen Grafen Gleichen im letzten Jahre wie ein dritter Bruder alles geteilt. Wie ein solcher war der Kaisersohn ihm auch immer fester ans Herz gewachsen. Hätte er, Heinz, wie es bestimmt gewesen war, Hartmann an den Rhein begleiten und ihm zur Seite bleiben dürfen, keiner von ihnen oder sie beide wären dem Strome zum Opfer gefallen! Und Hartmanns alter, treuer Vater, der edle Mann, dem er alles verdankte, und der mit ganzer Seele an dem teuren Jüngling, seinem Ebenbilde an Leib und Seele, hing! Wie würde Kaiser Rudolf dies tragen? Hatte ihm doch erst vor wenigen Monden der Tod die Gemahlin, die Geliebte seiner Jugend, die Mutter seiner Kinder, die Genossin seiner ruhmreichen Laufbahn, entrissen! Der Gedanke an ihn griff Heinz tief in die Seele, und am liebsten wäre er selbst sogleich auf die Burg geeilt, um dem unglücklichen Vater die neue furchtbare Last, die ihm auferlegt wurde, tragen zu helfen. Doch erst hatte er für den Schreckensboten zu sorgen, der erschöpft und mit bleichen Lippen einer Stärkung bedurfte.

Biberli, der alles sah und an alles dachte, hatte der Wirtin schon ans Herz gelegt, das ihre zu thun, und den Roßknecht zum Schneider geschickt, damit es Heinz bei dem Ritt auf die Veste nicht an dem Trauergewand 286 fehle, das in wenigen Stunden – es brauchte nur ein Waffenrock zu sein – hergestellt werden konnte.

Eben hatte Frau Barbara den Imbiß gebracht und dem Befehl nachzukommen gelobt, das Furchtbare, das sie vernommen, einstweilen noch vor aller Welt zu verschweigen, damit das Gerücht es nicht vorzeitig auf die Veste trage, als ein neuer Besuch erschienen war: der Vetter Heinz Schorlins, der Schweizer Ritter Arnold Maier von Silenen, ein Fünfziger von hoher Gestalt mit breiten Schultern, starkem Leib und kräftigen Gliedern.

Seinem ernsten, gebräunten Gesichte, das ein grauer Vollbart umrahmte, sah man an, daß auch er nichts Erfreuliches bringe. Zu dieser frühen Stunde war er noch nie bei dem jungen Vetter erschienen.

Befremdet maß er Heinz mit den verständigen und guten grauen Augen. Was war aus dem fröhlichen Burschen geworden? Als er indes hörte, was dem jungen Ritter die Augen mit Thränen netzte, zuckten auch ihm die Lippen, und die mannhaft tiefe Stimme stockte ihm, während er dem tief Bekümmerten die beiden schweren Hände auf die Schultern legte und ihm feuchten Blickes in die Augen schaute. Endlich hatte sich seiner Brust der schmerzliche Ruf entrungen: »Mein armer, armer Bub! Bete zu dem, dem wir das Gute verdanken, und der uns mit dem Ueblen prüft. Wollte Gott, ich hätte Dir weniger Schmerzliches zu künden!«

Da war Heinz zusammengeschrocken; der Vetter aber hatte ihm berichtet, was er erst vor kaum einer Stunde durch den Schweizer Boten erfahren: Bei dem Streit um den Brückenzoll war es zum Schlagen gekommen. Der Oheim, der Heinz den Vater ersetzt und des Seinen 287 gewaltet, der alte Haudegen Walther Ramsweg, war gefallen, die Schorlinburg von dem städtischen Kriegsvolk genommen und dann auf Befehl des Vogtes geschleift worden. Wendula Schorlin, Heinzens Mutter, war mit ihrer Tochter Maria den Städtern in die Hände gefallen und nach Konstanz ins Kloster geführt worden. Dort weilte sie nun mit ihrem jüngsten Kinde bei den beiden älteren Töchtern, die den Schleier genommen.

Bei dieser Nachricht hatte Heinz tief ergriffen gerufen: »Der Ohm Ramsweg, auch er, unser guter zweiter Vater, im Grabe, ohne daß ich ihm zum Abschied die treue tapfere Hand drücken durfte! Und Maria, unser singender Vogel, unser flinkes Eichhörnlein bei den ernsten, weltmüden Schwestern! Und die Mutter! . . . Du bist ihr ja auch gut, Ohm, wie jedermann, – und Du kennst sie. Sie, die zu befehlen gewöhnt ist und des Hauses und der Wirtschaft zu warten, die wie eine Heilige Thränen trocknete weit und breit unter Mühsal und mancher Entbehrung, – sie, des eigenen starken Willens beraubt, im Kloster . . . Ach Ohm, Ohm! Das mit anzuhören und dem Gesindel nicht an Hals und Kragen zu dürfen, das uns das alte Heim unserer Ahnen raubte wie ein Bube der Schnecke das Haus. Läßt sich's denn denken? Keine Schorlinburg mehr hoch über dem See auf den Felsen am Waldrand. Die Kemenate zerstört, in der wir alle das Licht der Welt erblickten und dem Sange der Mutter lauschten; das heilige Gemach, wo der Vater die Augen schloß, die uns so liebreich gehütet; die Kapelle, in der wir so fromm gebetet und der gnadenreichen Jungfrau von unserem kleinen Besitz eine Kerze stifteten oder ihr im wonnigen Mai Blumen brachten aus dem 288 Würzgärtlein der Mutter, vom Hang der Felsen und aus dem dunklen Walde. In Trümmern der Burghof, wo wir das Roß tummeln und die Waffen führen lernten, der Rittersaal, wo wir am Kamin den Fahrenden lauschten! Hin, hin, alles hin. – Die Mutter und Maria weinende Gefangene!«

Hier hatte ihn der Vetter unterbrochen, um ihm zu zeigen, daß die Liebe ihn zum Schwarzsehen verleite. Die Mutter habe um der Töchter willen den Aufenthalt im Kloster erwählt; sie werde dort mit nichten gewaltsam festgehalten. Wohin es ihr beliebe, dürfe sie sich vielmehr wenden, und ihr Eingebrachtes und was sie sonst gerettet, genüge reichlich, um ihr und Maria in Stadt oder Land ein ihrem Stande gemäßes Leben zu sichern.

Das gereichte Heinz zu einiger Beruhigung; es blieb aber noch genug übrig, den Schmerz, der ihn ergriffen, lebendig zu erhalten, und seine Stimme klang bekümmert genug, als er fortfuhr: »Das lindert die Bitterkeit des Trankes. Doch wer baut die alte Burg wieder auf? Wer ersetzt uns den Oheim? Und der Kaiser, mein vielgeliebter, väterlicher Herr, in Herzeleid vergehend. Unser Hartmann nicht mehr! Fortgespült wie ein dürrer Zweig, den die schnelle Reuß ergreift und den Blicken entführt! . . . Zu viel, zu schwer, zu entsetzlich! . . . Und die Sonne scheint dennoch da oben so hell denn je, es lachen die Kinder drunten so fröhlich wie immer!«

Damit hatte er laut aufstöhnend die Hände vor das Angesicht geschlagen, und diejenigen, von denen er berechtigt gewesen wäre, Trost zu erwarten, waren gezwungen gewesen, ihn mitten im tiefsten Leid zu verlassen; denn die Schweizer Post, die dem Maier von Silenen, 289 dem angesehensten seiner Landsleute in Nürnberg, zugekommen war, wartete in seinem Quartier noch der Verteilung; Graf Gleichen aber mußte sein trauriges Botenamt zu Ende führen. Der Freund hatte ihm sein zweites Roß, den Rappen, vorführen lassen, um auf die Veste zu reiten.

Während Heinz dann, von Kummer und Leid hin und her getrieben, bald das Zimmer durchmessen, bald sich in den Sorgenstuhl geworfen hatte, den Frau Barbara, um ihn besonders zu ehren, in das Wohngemach gestellt, war der Minoritenpater Benedictus, den er nach Nürnberg geführt, ungerufen aus dem nahen Barfüßlerkloster gekommen, um ihm den Morgengruß zu bieten. – Der Enthusiasmus, mit dem ihm in jungen Jahren der heilige Franz selbst die Seele erfüllt, war in seiner alten Brust nicht erloschen. Er, der in der Jugend das Wappen seines ansehnlichen Geschlechtes bei manchem Feldzug und Turnier als aller Ehren werter Ritter auf dem Schilde getragen, fühlte dem jungen Standesgenossen nach und fand ihn in der Stimmung, für sein wahres Heil zu sorgen. Auf dem Ritte nach Nürnberg hatte er in Heinz ein frommes Herz und einen lebhaften Geist wahrgenommen, den es nach Höherem verlangte. Noch war ihm damals der frohgemute Jüngling nicht reif erschienen für den Ruf des Himmels; als er ihn aber von schwerem Leid niedergebeugt wiedergefunden und seine gestern noch so sonnigen Augen in Thränen hatte schwimmen sehen, da war die Ueberzeugung in ihm erwacht, der Allmächtige selbst habe ihn an die Hand genommen, um ihm, dem er dankbar das Beste wünschte, auf den Weg zu führen, den der herrliche Seelenarzt von Assisi ihm selbst 290 gewiesen und auf dem er eine Glückseligkeit gefunden, nach der er in der Welt vergebens getrachtet.

Aber sein Gespräch mit dem jungen Freunde war erst von dem Meister, der das Trauerkleid herstellen sollte, dann von Siebenburg unterbrochen worden, und auch später hatte es ihm an Muße gefehlt, Heinz weiter in die Schule zu nehmen; denn nachdem Seitz gegangen war, hatten Biberli und Kätterle in Verhör genommen werden müssen. Das Ergebnis war überraschend genug ausgefallen und hatte Heinz veranlaßt, dem Diener und seiner Herzliebsten den Gang anzubefehlen, von dem jener noch nicht zurückgekehrt war.

Als er sich allein befand, hatte der junge Ritter sich wiederholt, was ihm der Pater vorhin auf die Seele gebunden. Dann war Evas Bild ihm erschienen und er hatte sich gefragt, ob sie, die Fromme, ihrer Heiligen nicht danken würde, wenn sie erfuhr, daß er, ihrem Rate gehorsam, besser für sein ewiges Heil zu sorgen beginne.

Von solchen Gedanken bewegt hatte er dennoch gelächelt, als er sich sagte, der Minorit scheine ihn allen Ernstes für das Kloster gewinnen zu wollen. Der Greis meinte es gut; doch wie hätte er von dem Waffenhandwerke lassen können, für das er erzogen war, und das er liebte?

Dann hatte er auf die Veste reiten müssen, um dem Kaiser aufzuwarten und ihm zu sagen, wie tief er seinen Schmerz mit ihm empfinde. Er war indes abgewiesen worden; denn Rudolf hatte allein zu bleiben und von niemand, auch nicht von den Nächsten, gestört zu werden gewünscht.

Auf dem Heimwege hatte er beim inneren Tiergärtnerthore in die Thorstraße einbiegen wollen, um dann den Weg über den Milchmarkt zu nehmen. Schon hatte das 291 heftige mittägliche Gewitter nachzulassen begonnen, und still war er in seines Herzens Kummer fürbaß geritten, als plötzlich ein gewaltiges, knatterndes Krachen ihm das Ohr betäubt und die Empfindung in ihm erweckt hatte, als schwanke der Boden unter ihm, das Thor und die Veste. Im nämlichen Augenblicke war der Goldfuchs mit allen Vieren auf einmal ausgesprungen, hatte den klugen Kopf krampfhaft zur Seite geworfen und war in die Kniee gesunken.

Halb geblendet von dem flammenden Lichte, das er dabei gewahrt, und befremdet von dem schwefeligen Dunst, den er verspürte, hatte Heinz dennoch die Gegenwart des Geistes bewahrt und war aus dem Sattel gesprungen, bevor der zuckende Hengst sich auf die Seite geworfen. Von der Thorwache aus waren ihm schnell einige Soldknechte zu Hilfe geeilt. Sie hatten das Roß mit ihm besichtigt und gefunden, daß das edle Tier schon verendet. Der Blitz war an seiner mit Eisen gewappneten Stirn und dem stählernen Gebiß entlang geeilt und in den Boden geschlagen, ohne Heinz selbst zu verletzen. Das hatten die Soldknechte und ein Predigermönch, der im Wachthause Schutz vor dem Regen gesucht, als ein hohes Wunder gepriesen. – Die zusammengelaufenen Leute waren gleichfalls von frommem Schauder ergriffen worden und dem Ritter gefolgt, an dem sich die Gnade des Himmels so deutlich bewährt.

Heinz selbst fühlte nur, daß sich etwas Unerhörtes für ihn und mit ihm begeben. Die Welt hatte ein neues Ansehen für ihn gewonnen. Seine Lebensbahn, die ihm gestern noch so unermeßlich lang erschienen war, kam ihm kurz vor, so jämmerlich kurz. Vielleicht war sie schon zu Ende, bevor die Sonne bei den Hallerwiesen zur Rüste ging. Jede Stunde, die ihm noch zu atmen 292 vergönnt war, mußte er als Geschenk ansehen, wie das Draufgeld, das er beim Pferdehandel dem Bereiter in die Hand gab. Nicht nur dem Goldfuchs, auch ihm hätte nach Menschenermessen der Blitz den Tod bringen müssen. Und wenn er dennoch lebte und atmete und da draußen das graue Gewölk über den Himmel hinziehen sah, so wurde ihm dies doch nur gewährt, damit es ihm möglich würde, für sein ewiges Heil zu sorgen, nach dem er bisher so wenig gefragt. Wie dankbar mußte er sein, daß diese Frist ihm vergönnt war, daß er nicht wie der Kaisersohn Hartmann ungewarnt in seinen Sünden dahinzugehen brauchte.

Ob Eva nicht das Gleiche empfinden würde, wenn sie erfuhr, was ihn betroffen? Vielleicht kam Biberli – er war schon so lange fort – bald zurück und konnte ihm von ihr erzählen.

Den Diener und seine Liebste hatte er, schon bevor der Wetterschlag ihn in den Grundtiefen erschüttert, nur von schwerem Kummer und der Mahnung des Mönches ergriffen, auf den rechten Weg zu leiten getrachtet, und der greise Minorit ihm Beistand geleistet. Das mönchische Leben hätte für Biberli freilich nicht getaugt; doch er hatte sich bereit gezeigt, gut zu machen, was er an dem armen Mädchen, das ihm drei Jahre lang Treue gehalten, verschuldet, und es ungebeten zu dem erzürnten Hausherrn zurückbegleitet.

Mit der Erklärung, er werde beweisen, was es mit seiner Treue und Standhaftigkeit auf sich habe, war er, bevor Heinz auf die Veste ritt, gegangen und hatte damit ein Wagnis unternommen, das ihm allerdings ein Recht gab, für alle Zeit das T und St an seinem langen Gewande und am Kogel zu führen. Mußte doch auch er erwarten, von Ernst Ortlieb zur Rechenschaft gezogen 293 zu werden. Ließ der erzürnte Vater, der mit im Rate saß, die Strenge des Gesetzes walten, dann konnte es ihm mehr als übel ergehen. Aber er hatte gesehen, wohin er die Liebste gebracht, und der Minorit sein redliches Herz zu der Erkenntnis geführt, welche Schuld er begehe, wenn er sie allein für eine That büßen lasse, die sie auf seinen Wunsch, ja auf seinen Befehl hin begangen.

Mit dem Golde, das Heinz ihm geschenkt, und nach seiner Versicherung, ihn auch als Ehemann im Dienst zu behalten, konnte er es freilich leichter wagen, sich gemeinsam mit derjenigen bestrafen zu lassen, die bald sein Weib und bestimmt sein sollte, das Schlimme wie das Gute mit ihm zu teilen. Des Beistands seines Herrn und des Minoriten hatte er sich gleichfalls versichert und sich eine Darstellung des Vorgefallenen zurechtgelegt, die sein Vergehen und das der Magd in milderem Licht erscheinen ließ. Endlich aber – und davon hoffte er das Beste – brachte Kätterle gute Kunde heim für die Ortliebs, und er war der Mann, sie für Jungfer Els nutzbar zu machen.

So hatte er denn sein Schicksal dem lieben Herrn, hinter dem der Kaiser selbst stand, dem Minoriten, der, bei seinem hohen Alter und würdigen Aussehen, ein einflußreicher Mann sein konnte, dem heiligen Leodegar und seinem vollen Beutel befohlen und war mit dem tief vermummten Kätterle bang schlagenden Herzens auf die Straße getreten, um den schweren Gang zu dem erzürnten Dienstherrn und Vater zu wagen.

Auch ihm hatte dieser Morgen manches Wichtige gebracht: Die Mittel, einen Hausstand zu gründen, die Ueberzeugung, daß es ihm sauer fallen würde, ohne die Herzliebste ein zufriedener Mann zu bleiben, und die 294 wichtigere, daß es nicht weise sei, das Gute lange hinauszuschieben, weil es – der Tod des jungen Kaisersohnes Hartmann hatte es ihm bewiesen, und Pater Benedictus es ihm noch deutlicher gemacht – weil es gar zu schnell aus sein konnte mit der Möglichkeit, der Freuden des Daseins zu genießen.

Um ein Haar wäre auch sein Kätterle ihm auf immer verloren gegangen, und zwar ganz allein durch seine, des Mannes Schuld, auf dessen Treue und Standhaftigkeit sie so felsenfest baute. Ihm, seinem Herrn und dem Pater hatte sie, nachdem Siebenburg gegangen war, unter Thränen berichtet, was ihr begegnet, und wie sie endlich in die Bindergasse und in das Quartier des Ritters Schorlin gelangt war.

Als sie aus Furcht vor der Strafe während des Klosterbrandes das Weite gesucht, hatte sie der Weg zuerst an den Dutzenteich geführt. Entschlossen, dem Leben ein Ende zu machen, war sie an das Endziel ihrer nächtlichen und ihrer Lebenswanderung gelangt. In schauerlichem Dunkel hatte das unheimliche schwarze Gewässer mit seinem schilfreichen Ufer, in dem die Unken und Frösche in der schwülen Nacht quakten, vor ihr gelegen. Nachdem sie einige Paternoster gesprochen, war es ihr schwer auf die Seele gefallen, daß sie ohne die letzte Oelung von hinnen gehen sollte. Aber das ließ sich nicht vermeiden, und am Pranger zu stehen wie die Baderswitwe, und von den Leuten bespieen und geschmäht zu werden, erschien ihr schrecklicher als das Fegfeuer, in dem so viele, und wohl auch Biberli, der sie so weit gebracht, mit ihr zusammen gequält werden sollten.

So legte sie denn das Bündel, das sie – sie wußte 295 selbst nicht zu welchem Zweck – mitgenommen hatte, zu Boden und zog, als ginge es ins Bad, die Schuhe aus. Da gewahrte sie plötzlich auf dem dunklen Spiegel des Wassers einen rötlichen Schimmer. Das konnte der Widerschein des Fegfeuers nicht sein, wie sie anfangs gedacht. Aus dem Hammer am andern Ufer, der jetzt still stand, kam er gewiß nicht; denn seine Umrisse tauchten schwarz und regungslos aus dem Dunkel hervor. Nein – eine kurze Umschau bewies es – es stammte von dem Brande des Klosters. An zwei Stellen war der Himmel blutrot gefärbt, am hellsten leuchtete und flammte jedoch der purpurne Glanz im Südosten der Stadt, wo die St. Klarengasse liegen mußte. Da überfiel sie plötzlich eine marternde Neugier. Sollte sie dahingehen, ohne zu wissen, wie es mit dem Feuerschaden, dem neuerbauten Kloster, auf dessen Baustätte sie des Frühlings ihrer Liebe genossen, geworden, und wie es den guten Klarissinnen erging? Das schien ihr unmöglich, und ihre größte Untugend gedieh ihr zum erstenmale zum Segen. Von dem schrecklichen Dutzenteiche führte sie sie zurück in die Stadt.

Schon am Marienturme erfuhr sie, daß nur ein Speicher und der Viehstall den Flammen zum Opfer gefallen. Und deswegen hatte sie sich so schwer geängstigt, war sie dem Vorsatze, den Tod zu suchen, der allen Befürchtungen ein Ende gemacht hätte, untreu geworden?

Mißmutig über die eigene Schwäche, beschloß sie, in das Haus, wohin sie gehörte, zurückzukehren und auf sich zu nehmen, was die Heiligen über sie verhängten. Als sie aber in den Zimmern der beiden E's noch Licht durch die Pergamentscheiben schimmern sah, stieg die Vermutung in ihr auf, dort werde jetzt von Herrn Ernst 296 Gericht über Eva gehalten. Dabei mußte auch ihrer Schuld gedacht werden, und dieser Gedanke ängstigte sie so sehr, daß sie sich den von den Löscharbeiten heimkehrenden Leuten anschloß, für die das Frauenthor noch offen stand. Widerstandslos ließ sie sich von ihnen bis zur St. Kunigundenkapelle bei der Lorenzkirche fortführen, und als dort einige an dem großen Imhofschen Hause vorbei in die Kotgasse einbogen, ging sie ihnen nach.

Bis dahin war sie ohne Zweck und Ziel vorwärts gegangen; hier aber wurde sie vor die Frage gestellt, wo sie Unterkunft suchen sollte; denn die Fackelträger, die ihr vorangeleuchtet hatten, waren hinter einander in verschiedene Häuser getreten. Da hatte sie plötzlich tiefes Dunkel umgeben und ein großer Schreck sie ergriffen. Aber der Schein der letzten Fackel war, bevor er verschwand, auf eines jener messingenen Becken gefallen, die vor den Barbierstuben der Bader hingen.

Der Bader! Das Weib, das sie am Pranger gesehen, war die Witwe eines solchen gewesen, und das Haus, in dem sie einem Liebespaare das Stelldichein bewilligt, um dessentwillen man sie zu schwerer Buße verurteilt hatte, war in der Kotgasse gelegen und ihr gezeigt worden. Ihr schräg gegenüber mußte es liegen.

Da kam ihr in den Sinn, daß die Frau, die um eines dem ihren ähnlichen Vergehens willen so Schreckliches erduldet, ihres Herzens Not besser verstehen würde als jede andere. Wie konnte die Witwe da drüben der Schuldgenossin eine barmherzige Aufnahme versagen?

Das war ein glücklicher Gedanke; aber die Wittib im Schlafe zu stören, hätte sie nimmer gewagt, und so galt es denn warten. Aber da zeigte sich schon jenseits 297 des Lorenzer Platzes am östlichen Horizont das erste Grauen des Morgens, und vielleicht wurde das Haus der Frau Ratzerin zeitig geöffnet.

Der Straßendamm machte dem Namen der Kotgasse Ehre. Mit hochaufgehobenem Kleide watete Kätterle zur nördlichen Häuserreihe hinüber. Beschmutzt bis an die Knöchel erreichte sie die Bretter des Fußwegs; zu gleicher Zeit aber öffnete sich dicht vor ihr eine Thür, und zwei menschliche Wesen – ein Mann und ein Weib – betraten die Gasse und huschten an ihr vorüber; das Haus aber, das sie beherbergt hatte, war das der Ratzerin; sie erkannte es an dem Chörlein über der Thür. Schnell eilte sie dieser entgegen. Sie stand noch offen, und auf der Schwelle die Frau, der ihr früher Besuch galt.

Der Sprache kaum mächtig, trug sie ihr das Gesuch vor, einer unglücklichen Magd, die nicht wisse, wohin zu dieser Stunde, in ihrem Hause Obdach zu gewähren.

Da zog die Witwe sie schweigend in den schmalen, finsteren Soler, schloß die Thüre und führte Kätterle in ein sauberes, recht bunt ausgeputztes Gemach. Eine brennende Ampel hing an der Decke; die Ratzerin aber erhob die Unschlittkerze, mit der sie hinausgetreten war, leuchtete ihr ins Antlitz und nickte ihr beifällig zu. Das Kätterle war aber auch ein sauberes Mädchen, und das Schamrot, das ihr die Wangen färbte, stand ihr vortrefflich. Auch die Witwe mochte dies finden; denn sie strich ihr mit der fleischigen Hand über die Wangen und versprach dabei, sie aufzunehmen und es an nichts fehlen zu lassen, wenn sie sich ihr als ein gehorsam Töchterlein erweise. Dabei kniff sie der Magd mit den Fingerspitzen so derb in den Arm, daß sie erschrak und ängstlich 298 vorbrachte, was sie hieher geführt, und daß sie, die eine ehrbare Jungfrau sei und zu verbleiben gedenke, bei der Frau Ratzerin Schutz gesucht, weil sie ja wisse, wie schwere Schmach sie wegen desselben Fehls erlitten, der sie aus dem Hause getrieben.

Doch da war die Witwe, wie von einem Skorpion gestochen, in die Höhe geschnellt, hatte Kätterle eine freche Dirne gescholten, die mit gutem Rechte an den Pranger gehöre, zu dem sie die schnöde Ungerechtigkeit der Geldsäcke im Rugamt verurteilt. Wer sie an diese Schmach erinnere und von ihr denke, sie hätte einen solchen Schelmenstreich in Wahrheit begangen, für den gebe es keinen Raum in ihrem sauberen Hause. Damit hatte sie die Schulter der Magd ergriffen und sie auf die Straße gestoßen.

Dort war es inzwischen hell geworden. Im Osten über dem Lorenzer Platze hatte die Sonne sich eben erhoben und breitete in weiter Rundung einen goldenen Strahlenfächer über das Azurblau des Himmels. Dem erschrockenen Mädchen war dieser glänzende Anblick nicht entgangen, und er hatte sie schon erfreut, weil er ihr die Gewißheit gab, daß es aus sei mit dem beängstigenden nächtlichen Dunkel. Und wie frisch war doch der Morgen, wie hell und schön das junge Licht! Und es schien nicht bloß für die Großen und Guten, sondern auch für die Geringen, die Armen und Schlechten. – Selbst für das gräßliche Weib da drinnen schmückte der Himmel sich mit so köstlichem Blau und so prächtigem Glanze.

Aufatmend war sie bald vor die Lorenzkirche gelangt, die der alte Sakristan eben aufschloß. Als erste an diesem Morgen hatte sie das hohe Gotteshaus betreten und sich in einem der Gestühle auf die Kniee niedergelassen, um zu beten.

299 Das war das Rechte für sie gewesen. Lieber Gott! Wo hätte es wohl eine Magd in schwereren Aengsten gegeben; doch vor dem Tode auf einem glühenden Rost, der den heiligen Laurentius, dessen Namen die Kirche trug, zum gebenedeiten Märtyrer machte, hatte sie der Himmel dennoch behütet. Dagegen war sogar das Stehen am Pranger nichts sonderlich Schweres. Und so schüttete sie denn dem Heiligen die ganze Seele aus und bekannte ihm alles, was sie verschuldet und bedrängte, bis die Frühmesse begann. Auch daß sie von Sarnen in der Schweiz sei und hier in Nürnberg keinen Freund und Landsmann außer ihrem Herzliebsten, dem treuen und standhaften Biberli, besitze, hatte sie ihm vertraut. Aber nein! Eine, die es wohl mit ihr meinte, stammte doch noch aus ihrer Heimat: die Hausfrau des Thorhüters auf der Zollernschen Burg, die zu Bern gebürtig, und die auch selbst in der Schweiz zu Hause und als Gürtelmagd der Gräfin Elisabeth von Habsburg, der jetzigen Frau Burggräfin, nach Nürnberg und auf die Veste gekommen. Wie keine andere war dies wackere Weibsbild geeignet, Rat bei ihr zu erholen, und gewiß schuldete sie dem Heiligen die Erinnerung an Frau Gertrud.

Nach einer kurzen Danksagung hatte sie darauf die Kirche verlassen und sich auf die Veste begeben.

Freundlich, wie sie erwartet, war sie von der Landsmännin aufgenommen worden, und nachdem sie auch ihr alles vertraut und dabei Wolff Eysvogels, des Bräutigams der älteren ihrer jungen Herrinnen, gedacht, war Frau Gertrud aufmerksam geworden und hatte sie ersucht, sich auf kurze Zeit zu gedulden.

Doch es war Viertelstunde auf Viertelstunde vergangen, 300 bevor sie sich wieder zeigte. Ihr Hausherr, der Berner Thorhüter, ein Riese von einem Manne, dem die rot und gelbe Schweizertracht und die blanke Hellebarde in der Hand gar wohl stand, begleitete jetzt seine Hausfrau.

Nachdem er Kätterle kurz ausgefragt, hatte er ihr erst das feierliche Gelöbnis abgenommen, reinen Mund zu halten, und ihr dann gewinkt, ihm zu folgen. Unterwegs war der Magd mitgeteilt worden, wie der Zweikampf zwischen Wolff Eysvogel und Ulrich Vorchtel geendet; während sie aber noch die Hände entsetzt zusammenschlug, hatte der Berner schon die Thür eines weiten und hellen Gemaches geöffnet, wo der Bräutigam Els Ortliebs sie mit einem wehmütig-freundlichen Gruße empfing. Dann hatte er zu schreiben fortgefahren und ihr endlich zwei Briefe zur Besorgung übergeben. Der eine, auf dessen Rücken er ein kleines Herz setzte, damit sie ihn nicht mit dem andern verwechsle, war für seine Verlobte bestimmt, der zweite für Heinz Schorlin, den Wolff – nein, sie verhörte sich nicht – den künftigen Gemahl seiner Schwägerin Eva nannte.

Beim Frühmahle, das sie mit den Landsleuten und ihrem Töchterlein teilte, hätte Kätterle gern erfragt, wie Wolff auf die Veste gekommen; doch der Thorwart war verschwiegen.

Ungehindert hatte die Magd endlich das Deichslersche Haus erreicht und Biberli daheim gefunden. Jetzt mußte sie längst unter seinem Geleit in den Ortliebhof zurückgekehrt sein; der Ritter aber sah immer noch vergebens der Heimkehr des Dieners entgegen. Er vermißte ihn ernstlich, schon weil es ihm nicht in den Sinn wollte, daß Biberli, sein treuer Schatten, nichts von dem 301 Blitzschlage wußte, der ihn beinahe herrenlos gemacht hätte, und der den Goldfuchs, seinen Liebling, getötet. Außerdem war er besorgt um sein Schicksal und begierig zu erfahren, wie er die Ortliebschwestern gefunden; denn wenn das Herz Heinz Schorlins auch nur für Eva schneller schlug, ging ihm doch das Unglück der armen Els um so näher, je schmerzlicher ihm der Gedanke war, daß er es verschuldet.

Aus dem Briefe Wolffs, den Kätterle ihm übergeben, ging auch hervor, mit wie treufester Minne er an der Beklagenswerten hing. In diesem Schreiben gedachte der junge Eysvogel auch der nächtlichen Begegnung mit ihm. Mit warmen Worten bekannte er, daß er in ihm einen wohlgesinnten Freund gefunden zu haben meine, dem er, wenn Einem, seine liebliche, junge Schwägerin Eva gönnte. Dann berichtete er, wie er zu dem unseligen Zweikampfe gekommen. Nachdem er mitgeteilt, was ihm die Feindschaft des jungen Ulrich Vorchtel zugezogen, erzählte er weiter, er, Wolff, sei bald nach seinem Zusammentreffen mit Heinz auf den jungen Vorchtel und einige seiner Freunde gestoßen. Da habe ihm Ulrich in einer Gasse den Weg verlegt und ihn mit so scharfen und seine Ehre kränkenden Schmähungen überhäuft, daß er die Herausforderung hätte annehmen müssen. Da er nur das Stoßmesser am Gürtel getragen, habe er sich des Schwertes bedient, das ihm ein deutscher Herr unter den Begleitern Ulrichs geboten. Ruhig im Bewußtsein, der Schwester des früheren Freundes keinen Grund gegeben zu haben, an seine Minne zu glauben, und fest gewillt, ihrem Bruder nur eine leicht zu verschmerzende Lehre zu erteilen, hätte er nach der Waffe gegriffen. Als Ulrich 302 aber dem Kreuzritter zugerufen, die Klinge, die er verleihe, sei zu gut für die verräterische Hand, der er sie zu führen gestatte, sei das Blut ihm aufgewallt, und mit dem ersten vollkräftigen Stoße alles zu Ende gewesen.

Der deutsche Ritter habe sich ihm dann als Sohn des Burggrafen von Zollern zu erkennen gegeben und ihn auf die Veste geführt. Dort habe ihn der edle junge Johanniter mit Vorwissen seines Herrn Vaters verborgen, und es gelte jetzt, dem Kaiser Rudolf das Vorgefallene, das ja zweifellos ein Bruch des Landfriedens sei, im rechten Lichte zu zeigen. Nun meine auch der junge Burggraf, daß er, Heinz Schorlin, dazu beitragen könnte, Kaiser Rudolf, dessen Ohr ihm offen stehe, zu überzeugen, er, Wolff, hätte nur gezwungenerweise das Schwert gezogen. So wahr Heinz selbst durch Evas Minne ein glückseliger Mann zu werden hoffe, möge er ihm helfen, die Kluft zu überbrücken, die ihn durch seine unselige That von der Geliebten trennte.

Zweimal hatte Heinz sich dies Schreiben vorlesen lassen. Als Biberli dann gegangen und er auf die Burg geritten war, hatte er beschlossen, für den jungen Nürnberger, der seine Zuneigung so schnell gewonnen, alles, was er nur irgend vermochte, ins Werk zu setzen; doch der tief erschütterte kaiserliche Vater hatte seinen Besuch abgewiesen, und es war darum für ihn unmöglich gewesen, was auch immer in dieser Angelegenheit zu thun.

Aber der Brief Wolffs hatte ihm gezeigt, daß er ihn mit voller Sicherheit für den künftigen Gatten Evas hielt und dadurch seinen Willen gestärkt, sobald er sich wieder ein wenig freier fühlte, um sie zu werben.

Nachdem ihm aber der Blitz das Roß unter dem 303 Leib erschlagen und der Minorit wiedergekommen war und ihm gezeigt hatte, daß der Herr selbst durch das Wunder, das er an ihm gethan, ihn fest und schnell an der Hand genommen habe als seinen Erwählten, wollte es, als er jenen Brief nochmals zur Hand nahm, seinem erschütterten Gemüte scheinen, als sei alles, was Wolff von ihm und der Schwester seiner Braut sagte, nicht für ihn geschrieben.

Eva war das Glück; – ihn aber hatte der Himmel eines Wunders gewürdigt, um ihn auf die Kürze des Lebens hienieden hinzuweisen, damit er durch Entsagen hier die nie endende Seligkeit dort erringe. Entsagen und wieder entsagen, hieß nach dem Minoriten das Zauberwort, das die Pforten des Himmels öffnete, und welches schwerere Opfer konnte er bringen, als das seiner Liebe? »Entsagen, entsagen!« hörte er es, während er den Brief Wolffs mühsam selbst überlas, vor dem inneren Ohre rufen; aber was er auch von sich werfen konnte von allem, was sein war, sein Kreuz hätte er damit doch nicht, wie Pater Benedictus es forderte, auf sich genommen; denn auch als ruhmloser Bettler hätte er – das glaubte er gewiß – im Genuß der Minne Evas der höchsten irdischen Glückseligkeit genossen. Aber die himmlische Liebe sollte so viel köstlicher sein, und wie viel länger war ihre Dauer!

Und sie? Bürgte denn nicht schon der fromme Blick ihrer Augen und das Streben ihrer eigenen Seele dafür, daß sie ihn verstehen, seine Entsagung billigen, es ihm nachthun und die irdische mit der himmlischen Liebe vertauschen würde? Ohne tiefe Herzenswunden konnte es bei ihnen beiden nicht abgehen; doch jeder Blutstropfen, 304 der ihnen entquille, sagte der Minorit, gebe ihrem Anrecht an die ewige Seligkeit ein neues schweres Gewicht.

Ja, Heinz wollte von Eva zu lassen versuchen! Als er aber dem Drange gehorchte, noch einmal in den Brief Wolffs zu blicken, war es ihm wie einem entthronten Könige, den ein mit seinem Mißgeschick unbekannter Fremder wegen seiner Machtfülle hochpreist.

Die Zukunftsbilder, die der greise Mönch ihm wies, was er ihm von der eigenen Wiedergeburt, seiner Wandlung und der Glückseligkeit berichtete, die er als Jünger des heiligen Franciscus in Armut, Freiheit und stillem Ringen nach einer Seligkeit ohne Ende finde, alles, was er ihm mit glühender Beredsamkeit ans Herz legte und schilderte, steigerte den Aufruhr in der ohnehin tief erschütterten Seele des jungen Ritters.

 

 


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