Georg Ebers
Im Schmiedefeuer
Georg Ebers

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Zehntes Kapitel.

Um weniges später verließen die Schwestern das Rathaus. Die Riese war so fest um ihr Antlitz geschlungen, daß sie ihre Züge völlig verbarg; der dünne Stoff gestattete ihnen aber doch zu erkennen, wie Berthold Vorchtel am Arme des jungen Bürgermeisters Hans Nützel den Saal verließ, wo die anderen Ehrbaren noch immer tagten. Indem er auf den alten Herrn wies, gab der Stadtschreiber Els mit einem vielsagenden Lächeln zu wissen, daß Ursula Vorchtelin sich mit dem tüchtigen und liebenswerten jungen Manne, auf den er sich stützte, versprochen, und der Bräutigam seiner Tochter zugleich eingewilligt habe, dem Schwiegervater neben dem jüngeren Bruder des gefallenen Ulrich bei der Leitung seines großen Geschäftes Beistand zu leisten. Dem wackeren, alten Herrn sei diese große Freude zu gönnen, und als er Ursula heute morgen begegnet, habe er sie zum erstenmal seit langer Zeit, trotz ihrer Trauerkleider, wie ein frohgemutes junges Geschöpf, das sie doch sei, wieder ins Leben schauen sehen. Das neue Glück habe sie wunderbar verschönert, und ihr Verlobter sei der Mann, es zu erhalten. Auch ihr, der Els, meine er, werde diese Nachricht genehm sein.

147 Da drückte das Mädchen ihm kräftig die Hand; denn dem Erfreulichen, das sie eben erfahren, setzte diese gute Kunde die Krone auf. Der Vorwurf war nun beseitigt, der, wie ungerecht er auch sein mochte, Wolff manche Stunde verdorben und so verhängnisvolle Folgen nach sich gezogen hatte. Auch ihr selbst war das veränderte Wesen der »Ursel« oft wie eine stumme Anklage erschienen. Als eigenes Glück empfand sie es dankbar, diejenige, die sich von ihrem Herzliebsten verlassen gewähnt, jetzt auch glücklich zu wissen.

Eva nahm Ursulas Verlobung gleichfalls eine Last von der Seele, nur verstand sie nicht, wie eine Jungfrau, die das Herz einmal einer großen Minne geöffnet, sich entschließen konnte, einem andern anzugehören als dem Geliebten. Els begriff sie; ja sie hätte an ihrer Stelle ebenso gehandelt, und wäre es nur, um dem schwer heimgesuchten Vater eine frische Blume in den welkenden Freudenkranz zu flechten.

Bis zum großen Eingangsthore des Rathauses gab ihnen der Stadtschreiber das Geleite.

Dort standen mehrere Büttel und Stadtknechte beisammen, und während der alte Freund verhieß, das Seine für die Freisprechung Ernst Ortliebs zu thun und die Mädchen dem Schutze eines der Wächter empfahl, röteten sich die Wangen Evas; denn ein Ratsbote war eben zu den anderen getreten, und aus seinem Munde klang ihr der Name des Ritters Schorlin und seines Dieners Walther Biberli entgegen. Auch Els wurde aufmerksam; während aber die Schwester verwirrt die Hand auf das Herz drückte, frug sie den Stadtschreiber unbefangen, was es mit dem Ritter und seinem Diener, 148 der sich um ihre Gürtelmagd bewerbe, auf sich habe. Da erfuhr sie, daß aus der Sitzung des Rates soeben der Befehl ergangen sei, den Herrenknecht zu verhaften.

Während der Verhandlungen über die Verleumdungen, die sich die Schwestern Ortlieb so ruchlos zum Ziele wählten, mußte sein Name genannt worden sein. Wie und in welcher Verbindung, war jetzt indes nicht zu erfragen; denn die Sonne neigte sich schon dem Untergang entgegen, und wenn die Mädchen den Vater noch sprechen wollten, war keine Zeit zu verlieren.

Dennoch, und obgleich Kätterle eben meldete, die Gräfin Montfort warte draußen in ihrer großen Sänfte auf die Jungfrauen, wurden diese noch einmal aufgehalten, denn ohne dem Stadtschreiber zu danken und ihm Lebewohl zu sagen, wollten sie das Rathaus nicht verlassen. Er weilte immer noch in der Nähe, doch hatte ihn der Hauptmann der Stadtknechte beiseite genommen und teilte ihm etwas mit, das keinen Aufschub zu dulden schien und den alten Herrn veranlaßte, die Schwestern mehr als einmal ins Auge zu fassen.

Eva bemerkte es nicht; denn die Verhaftung Biberlis, die doch wahrscheinlich mit Heinz und mit ihr selbst zusammenhing, hatte in ihr eine Reihe von beunruhigenden Gedanken erweckt, die sich auf den Geliebten und seinen treuen Diener bezogen; Els bekümmerte sich nur um die Vorgänge in ihrer Nähe und empfand mit voller Sicherheit, daß die Mitteilungen des Hauptmannes nicht nur die vier Handwerksburschen und drei Weiber angingen, die eben über den Hof in das »Loch« geführt wurden und auf die der Erzähler mehrmals hinwies, sondern besonders sie und die Schwester.

149 Als der Stadtschreiber sich ihnen endlich wieder zuwandte, warf er leicht hin, ein häßlicher Auflauf sei vor dem Ortliebhofe zerstreut worden. Dann lud er beide Mädchen mit dringender Herzlichkeit ein, die Nacht unter dem Schutze seiner alten Hausfrau zu verbringen. Als sie dies ablehnten, versicherte er in beruhigendem Tone, es werde Sorge getragen werden, sie vor jeder Unbill zu schützen. Er habe mit ihrem Oheim zu reden. Und was er dem Schultheiß zu sagen hatte, schien keinen Aufschub zu dulden; denn mit einer dem bedächtigen Greise sonst fremden Hast rief er den Schwestern einen kurzen Abschiedsgruß zu und verließ sie.

Gräfin Cordula hatte indes das Warten in der Sänfte zu lange gedauert. Mit großen Schritten rauschte sie in dem zeisiggrünen Seidengewande den neuen Freundinnen entgegen. Die Schleppe fegte den Boden; vorn aber war das Kleid so hoch aufgenommen, daß man die braunen Weidmannsstiefel sah, die ihr den wohlgebauten Fuß umschlossen. In der Hand schwenkte sie die schwere Reitpeitsche, und ihre Lieblinge, zwei schwarze Dackel mit gelben Flecken über den Augen, folgten ihr nach.

Da es verboten war, Hunde mit in das Rathaus zu bringen, versuchte der Thorhüter sie aufzuhalten; sie aber faßte, ohne sich um seinen Einspruch zu kümmern, Els bei der Hand, winkte Eva und schickte sich an, den auf den Markt führenden Gang zu verlassen.

Dabei fiel ihr Blick auf den Hof, wo jetzt, kurz nach dem Ave Maria, allerlei Leute zusammengekommen waren. Hier standen, von Bütteln bewacht, Landstreicher und unehrliche Männer und Weiber, falsche Blinde und Lahme, Gauner und anderes zerlumptes Volk, das man bei 150 ungesetzlichen Handlungen oder ohne das Bettlerzeichen ertappt. Dort unterredeten sich dunkel gekleidete Bedienstete des Rates über amtliche und andere Dinge. In der Nähe des »Loches« rastete eine kleine Schar von Kriegsknechten und ließ den Weinkrug, den der ehrbare Rat ihr spendete, von einem zum andern wandern. Der Rotrock erteilte seinen »Leben« Befehle, während sie ein neues Folterinstrument, das für die Kammer neben dem Sitzungssaale bestimmt war, in der man die Leugnenden zu besseren Aussagen zwang, über den Hof trugen. In einer schattigen Ecke hockten alte Leute, der Not verfallene, dürftig gekleidete Weiber und blasse Kinder, Stadtarme, die aus der Rathausküche zu dieser Zeit Speise empfingen. Etliche Geistliche und Mönche traten in den Flügel des Hauses, der das »Loch« mit seinen verschiedenen Kerkerkammern und den größten Folterraum enthielt, um den Gefangenen und den Wundgemarterten, die man noch nicht auf die Schweinau abgeführt hatte, die Tröstungen des Glaubens zu spenden.

Die scharfen Augen der Gräfin schweiften von einem zum andern. Als sie den Armen begegneten, hefteten sie sich an eine Frau mit hohlen, totenbleichen Wangen, der ein kläglich abgefallener Säugling an der leeren Brust lag, und schnell füllten sie sich mit Thränen.

»Du,« raunte sie der alten Martsche zu und nahm einige Goldstücke aus der Gürteltasche. »Bring das den Aermsten. Du bist ja verständig. Verteile es so, daß mehrere etwas davon haben und es an die Rechten kommt. 151 Zeit kannst Du Dir nehmen. Weder Dich noch Kätterle haben wir nötig. Geht nur beide nach Hause! Ich führe die Jungfrauen zu dem Herrn Vater und auch wieder heim. Wo ich dabei bin, gibt es nichts Uebles zu besorgen.«

Dann wandte sie sich nochmals dem »Loch« zu, und als sie dabei die Leute gewahrte, die dort lärmend auf ihre Unterbringung warteten, wies sie mit der Peitsche auf sie hin und rief: »Das ist ein Teil des Gesindels, das euch auf den Hals gehetzt wurde. Gleich werdet ihr's hören. Jetzt aber kommt!«

Damit ging sie den Mädchen voran und drängte sie, da sich allerlei Leute um die ungewöhnlich große und stattliche Sänfte versammelt hatten, schnell einzusteigen; denn sie wünschte zu vermeiden, daß die Neugierigen die Schwestern erkannten. Der vergoldete Kasten, den zwei gewaltige Brabanter Rosse derartig trugen, daß er zwischen dem Schweife des vorderen und dem Haupte des hinteren schwebte, hätte auch noch einen vierten Insassen aufnehmen können.

Als er sich schwankend fortbewegte, wies Cordula auf die verhangenen Fenster und sagte: »Schmählich, nicht wahr? Aber es ist besser so, Kinder. Der Erzschelm Siebenburg brachte die Leute um das bißchen Verstand, und die Katze von einer Kerzenhändlerin, sowie ihr Kumpan, der Schneider, oder besser sein Anhang, haben, was davon noch übrig blieb, vollends vergiftet. Wie schnell das doch wirkte! Das Gute, dünkt mich, kommt langsamer vorwärts. Euer heißblütiger Herr Vater verdarb zwar dem alten Geißbock auf einige Zeit die Lust, um das hübsche Metzlein zu freien, doch seine 152 Gevattern und Gevatterinnen, Vettern und Basen, und was in seiner Werkstätte schafft, ließen sich, scheint's, von seiner künftigen Frau Schwiegermutter zu der ruchlosen Thorheit verleiten, die das krakehlende Häuflein, das ihr im Rathaushofe sahet, dahin führte, sich mit einem harten Nachtlager im ›Loch‹ begnügen zu müssen.«

»Sie haben,« fuhr Els unwillig auf, »uns zu Schaden und Schimpf, ich weiß nicht was, unternommen.«

»Unternehmen wollen, Jungfrau Klugheit,« versicherte die Gräfin und strich Els beruhigend über den Arm. »Wir hielten die Augen offen, und ich half mit, ihnen das Handwerk legen. Vor eurem Hause rottete das Gesindel sich johlend und heulend zusammen, und wie ich in eurem Chörlein ans Fenster trat, begann ein Gezeter, als gelte es, die Mauern von Jericho zum zweitenmal zum Einsturz zu bringen. Einige Buben warfen sogar, was sie im Straßenschmutz fanden, zu mir hinauf. Allerliebste Sächelchen. Es war auch eine tote Ratte darunter; ich sehe das Schwänzlein noch fliegen! Doch unsere Dorfbuben verstehen sich besser aufs Werfen. Bevor das Schlimmste noch anging, hatt' ich schon unter Beirat des Stallmeisters und unseres klugen Kaplans das Nötige veranlaßt und die Wache am Frauenthor zu Hilfe rufen lassen. Allzu eilig schienen es indes die Herren Stadtknechte nicht eben zu haben. Da trat ich denn selbst in die Bresche und rief, als es zu bunt wurde, hinunter, wer ich sei, und zeigte ihnen dazu meine Armbrust mit dem Bolzen an der Sehne. Das half. Nur etliche Weiber ließen nicht ab, auch gegen mich greuliche Schimpfreden zu führen. Da trat der Kaplan ans Fenster, und nun ward es stille. So eindringlich er aber auch sprach, 153 vom Platze wich keiner, bis die Scharwache kam, den ganzen Troß auseinander trieb und etliche aufgriff.«

Da zog Els, die neben ihr saß, sie an sich und küßte sie dankbar, Eva aber hatten sich schon bei Beginn des Berichtes der Gräfin vor Schmerz über diese neue Schmach und die feindselige Gesinnung so vieler die Augen mit Thränen genetzt; doch es war ihr gelungen, ihrer Herr zu werden. Sie wollte nicht weinen. Auch den wüsten und traurigen Vorgängen vor dem »Loche« hatte sie sich, ohne mit der Wimper zu zucken, zuzuschauen gezwungen. Sie mußte aufhören, das schwache Kind zu sein, das sie bis dahin gewesen. Wie recht hatte die sterbende Mutter gehabt! Um kämpfen und siegen zu können, durfte sie sich dem Leben und seinen Einflüssen nicht entziehen, die sie, schonte sie sich nur nicht selbst, zu dem widerstandsfähigen Geschöpf umzubilden verhießen, das sie zu werden begehrte.

Tief atmend war sie den letzten Worten der Erzählerin gefolgt, und als Els Cordula an sich zog, hob sie die kleine, zur Faust geballte Hand und rief in leidenschaftlicher Erregung: »O, wär' ich doch nur mit Euch zu Hause gewesen! Ihr seid mutig, Gräfin; aber auch ich hätte mich nicht vor ihnen gefürchtet. Aus freien Stücken hätt' ich mich zur Zielscheibe ihrer Bosheit gemacht und ihnen ins Gesicht gerufen, daß nur armselige Verblendete oder ruchlose Schelme Steine auf meine Els werfen können, die tausendmal besser ist als sie alle.«

»Und auf Dich, Du liebes, tapferes Kind,« fügte Cordula mit bewegter Stimme hinzu.

Schon seit dem Tage nach dem Brande im Kloster hatte die Gräfin die Laune aufgegeben, Heinz Schorlin 154 für sich zu gewinnen. Sie wußte jetzt, daß, was gut an ihr war, lauter für den stillen Mann sprach, der sie aus den Flammen getragen. Die Liebe des Ritters Altrosen hatte sich als echt bewährt, und sie wollte es ihm danken; aber auch das Herz des lieblichen Geschöpfes ihr gegenüber war voll von wahrer, tiefer Liebe. und was sie für Eva thun konnte, der sie gut war, seit ihr Leid ihr das weiche Herz gerührt, das sollte geschehen.

Beide Schwestern wußten jetzt, wie wohl Cordula es meinte, und die innige Freude, die sie zu erkennen gab, als Els ihr erzählte, was der Rat beschlossen, bewies deutlich genug, daß die mutter- und geschwisterlose junge Gräfin sich wie eine dritte Schwester an die Töchter ihres Gastfreundes anschloß. Das Verhalten des alten Herrn Vorchtel gegen den Mann, der ihm so schweres Herzeleid bereitet, griff ihr tief in die Seele. Das war schön, das war edel, daran hätte der Heiland selbst sich gefreut. »Machte der wackere Alte sich nur etwas daraus,« rief sie, »lieber als dem schönsten jungen Ritter böt' ich ihm die Lippen zum Kusse.«

Obgleich zwei berittene Jäger des Grafen Montfort und einige Büttel die auffallend große und prächtige Sänfte begleiteten, war ihr eine ganze Schar von Neugierigen gefolgt; doch mochte wohl die Meinung herrschen, die Begleiterinnen der Gräfin gehörten zu ihren Frauen. Erst als sie vor dem Luginsland ausstiegen, erkannte eine alternde Wäschermagd, die bei den Ortliebs »geschafft«, die Schwestern, wies sie den anderen und versicherte, ihr züchtiger Sinn trage es schwer, einem Hause Dienste geleistet zu haben, wo dergleichen hätte vorkommen können. Da legte ein Schneiderlehrling, der die ganze Zunft in 155 dem verwundeten Meister Seubolt beleidigt sah, die Finger an den breiten Mund und ließ einen weithin schrillenden Pfiff ertönen; aber schon im nächsten Augenblick hatte ihn eine kräftige Faust zum Schweigen gebracht. Es war die des jungen Knechtes Ortel. Er war hierher gekommen, um Herrn Ernst im Luginsland aufzusuchen und ihm zu erklären, daß er und seine Schwester Metz, trotz der Mutter und des Vormunds, in seinem Dienste zu verbleiben gedächten. Das Herzblut wäre ihm nicht zu teuer gewesen, um Eva, die er sogleich erkannte, vor jeder Unbill zu behüten; doch er brauchte die junge Kraft nicht zum zweitenmale einzusetzen; denn die Stadtknechte, die den Gefängnisturm bewachten, und die Büttel trieben das Volk zurück und hielten den Platz vor dem Luginsland frei.

Die Gräfin hatte hier nicht lange zu warten; denn die Sonne war schon hinter den Festungstürmen an der Westmauer verschwunden, und der Widerschein des Abendrotes färbte mit zarter Rosenfarbe den Osten. Eigentlich hätte der Vogt sie zurückweisen müssen; denn die Zeit war schon vorüber, in der er dem gefangenen »Ehrbaren« Besuche zuführen durfte. Den Töchtern Ernst Ortliebs gegenüber, dem er mancherlei verdankte, drückte er indes ein Auge zu und legte ihnen nur ans Herz, es kurz zu machen; denn mit Einbruch der Dunkelheit müßte die Zugbrücke, die in den Turm führte, aufgezogen werden.

Ganz in Trübsal versunken, wie gebrochen, fanden die Mädchen den Vater an einem Tische, auf dem ein bleiernes Tintenfaß neben einigen Bogen Papier stand. Das Rohr hielt der Schreiber noch in der Hand.

Mit dem Rufe: »Ihr armen, armen Kinder!« empfing er die Töchter. As aber Els ihm mitteilen wollte, 156 was sie so freudig bewegte, unterbrach er sie, um sich mit tiefer Betrübnis selbst anzuklagen, dem unseligen Jähzorn wieder Macht über sich eingeräumt zu haben. Es sei wohl zum letztenmal geschehen; denn solche Erfahrungen kühlten auch das heißeste Blut. Dann begann er zu berichten, wie er dazu gekommen, die Hand gegen den Schneider zu erheben, und als er sich dabei die tückische Weise des frechen Gleisners vergegenwärtigte, brauste er von neuem so heftig auf, daß durch den Faustschlag, den er gegen den Tisch führte, die Tinte aufspritzte und das Papier vor dem Schreibzeug und seine eigene, auch im Gefängnis tadellos saubere Kleidung befleckte. Das versetzte ihn in neuen Zorn, und ingrimmig ballte er den beschmutzten, schon halb beschriebenen obersten Bogen zusammen und schleuderte ihn zu Boden.

Erst als Els sich bückte, um ihn aufzuheben, sammelte er sich und sagte, indem er die Achseln bekümmert zuckte: »Wer kann ruhig bleiben, wenn ihn der Wirbelwind der Verzweiflung ergreift? Fällt ein Hornissenschwarm über das Roß her, und es bäumt sich auf, wen nimmt es Wunder? Und ich, – was hätte mir das Schicksal wohl erspart an Stichen und Schlägen?«

Da wagte Els, ihm beruhigend zuzusprechen, und ihn an Gott und die Heiligen zu weisen, die er sich durch den Klosterbau so großmütig verpflichtet; er aber knüpfte an diese Thatsache an und verlangte lebhaft zu wissen, ob es wahr sei, daß Eva sich weigere, den Schleier zu nehmen.

Mit einer stummen Geberde bejahte sie diese Frage und erwartete dabei, daß der Vater von neuem aufbrausen würde; er aber schüttelte nur wehmütig das Haupt, nahm ihre Rechte in beide Hände und sagte 157 betrübt: »Armes, armes Kind! Aber sie, sie – die Mutter – wollte es doch wohl . . . Die letzten Worte, die ihre teuren Lippen uns gönnten, Dir galten sie, Kind, und vergegenwärtige ich mir ihren Inhalt . . .«

Hier unterbrach ihn der Vogt, um die Mädchen zum Aufbruche zu mahnen; Herr Ernst aber blickte, während Els den Mann um einen kurzen Aufschub bat, erst auf das Papier und das Schreibzeug, dann aber auf seine Töchter und fuhr mit ruhiger Bestimmtheit fort: »Bevor ihr geht, sollt ihr noch hören, daß ich trotz alle- und alledem den Mut nicht völlig verlor, sondern vielmehr die Hände zu rühren begann.«

Da rief Els: »So ist es recht, werter, lieber Herr Vater!« und erzählte ihm dann kurz und schnell, was der Rat beschlossen, wie warm der alte Berthold Vorchtel für Wolff eingetreten sei und daß ihm allein die Leitung des Hauses anvertraut werden sollte.

Schnell und kräftig belebte diese Nachricht die welkende Hoffnung des schwer heimgesuchten Mannes. Wie verjüngt richtete er die kleine Gestalt auf und versicherte, jetzt lebe er der Zuversicht, daß diesem ersten Stern in dunkler Nacht bald noch andere folgen würden. »An Deinem Wolff,« rief er, »wird es nun sein, manches gut zu machen, was uns das Schicksal . . . Doch ich nahm noch etwas anderes in Angriff . . . Gib das zusammengeballte Papier wieder her . . . Morgen früh blick' ich wieder hinein . . . Ein Schreiben an den Kaiser enthält es . . . Ich setzte es auf . . . Euer Bruder soll das junge Leben nicht umsonst für seine Krone auf dem Schlachtfelde gelassen haben. Er schuldet mir für den Sohn einen Ersatz, euch für den Bruder . . . Ein billig denkender 158 Herr ist er gewiß, und darum wird er meiner Klage das Ohr nicht verschließen. Wartet nur, Kinder! Und Du, meine fromme Ev, – lege Du Deiner Heiligen ans Herz, daß die Bittschrift, die auch Deiner gedenkt, bewirkt, was ich von ihr erwarte.«

»Und das wäre?« frug Eva besorgt.

»Daß an Dir gut gemacht wird, Du armes, betrogenes Kind, was man an Dir verschuldet,« versetzte Herr Ernst mit gebieterischer Bestimmtheit; Eva aber ergriff seine Hand und bat ihn warm und innig: »Bei allem, was Euch lieb ist und heilig, beschwör' ich Euch, Herr Vater, meines und des Ritters Schorlin in Euerem Schreiben nicht zu gedenken. Entzog er mir die Minne, so kann kein kaiserlicher Machtspruch . . .«

Da schwoll dem Ratsherrn von neuem die Ader auf der Stirn, und brauste er auch nicht zornig auf, so rief er doch in lebhafter Erregung: »Ein Edelmann, der eine sittsame, wappenfähige Nürnberger Jungfrau seiner Minne versichert, nimmt damit eine Pflicht auf sich, die, läßt er sie unerfüllt, ihm schwere Buße auferlegt. Der gerechten Strafe wenigstens soll der Verführer in keinem Falle entgehen. Der Kaiser, der den Landfrieden verkündete und die Straßen von Raubgesindel säuberte, ihm gebietet die erste der Pflichten . . .«

Hier unterbrach ihn der Vogt, indem er von der Schwelle aus in das Gemach rief, die Brücke würde aufgezogen, und die Jungfrauen hätten ihm ungesäumt zu folgen.

Wohl flehte Eva den Vater noch einmal an, von der Klage gegen den Ritter abzusehen, wohl unterstützte Els die Schwester mit aller Wärme; ihre kurze, innige Bitte übte jedoch keine andere Wirkung auf den eigenwilligen 159 Mann, als daß er, nachdem er beiden die Stirn zum Abschiede geküßt, ihnen mit selbstbewußter Würde in Aussicht stellte, die Nacht würde Rat bringen, und er sei gewiß, wie immer, so auch diesmal, für das wahre Beste seiner lieben Kinder das Richtige zu treffen.

Wohl hatte Herr Ernst sich bisher als treues und kluges Haupt der Seinen erwiesen; diesmal aber verließen ihn die Töchter schweren und beunruhigten Herzens.

Eva quälte die Furcht vor dem Vorhaben des Vaters wie ein neues Unglück, und auch Els und die Gräfin hofften, die Bittschrift würde ohne die Anklage gegen Heinz abgehen.

Während die Sänfte die Mädchen heimtrug, wurde wenig gesprochen. Erst als sie sich dem Frauenthor näherten, entspann sich ein lebhafteres Gespräch, das sich auf Biberli und die Frage bezog, ob der ehrbare Rat auch Kätterle zur Rechenschaft ziehen würde, und was man thun könnte, um beide vor schwerer Strafe zu behüten. Cordula hatte den rechten Vorhang geöffnet und schaute scheinbar neugierig, in Wirklichkeit aber besorgt auf die Straße. Doch der Ohm Schultheiß hatte das Seine gethan, und außer einigen Stadtknechten gab es wenig Leute in der Nähe des Ortliebhofes zu sehen.

Jenseits des Vorhofes wurde ein Roß auf- und niedergeführt, und hinter den Ketten stand eine Sänfte mit etlichen Knechten, denen das Töchterlein der Kerzenhändlerin eben Feuer aus der Küche gebracht hatte, um die Fackeln zu entzünden. Die hübsche Metz schaute dabei so fröhlich drein, als ob die böse Verwundung des längst ergrauten Meisters, der sie zu seiner Hausfrau erwählt, ihr geringen Kummer bereite.

 

 


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