Georg Ebers
Im Schmiedefeuer
Georg Ebers

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Fünftes Kapitel.

Der Minorit war gegangen. Zu seiner Freude hatte Biberli beim Abschiede bemerkt, daß sein Herr ihn nicht wie sonst zurückzuhalten versuchte. Das Eisen schien ihm jetzt heiß, und den Hammer zu schwingen, meinte er, würde sich lohnen.

Die Gefahr, die Heinz lief, ins Kloster gezogen zu werden, ängstigte ihn tief, und schon mehrfach hatte er gewagt, ihr entgegenzutreten. Das Leben lehrte ihn das kleine Uebel willkommen zu heißen, wenn es einem größeren den Weg verlegte, und die Ehe seines Herrn auch mit einer viel geringeren als Eva Ortliebin wäre seiner Begünstigung sicher gewesen, wenn sie seinen Schutzbefohlenen nur von dem Verlangen zurückgehalten hätte, der Welt zu entsagen, in die er gehörte.

»In der luftigen Kutte,« begann er, »schreitet es sich bei solcher Hitze allerdings leichter dahin als in der Rüstung. Das muß dem ehrwürdigen Pater zugegeben werden. Doch der Ritter hat ja, soll es flink gehen, auch das Tanzkleid. O Herr, wie das war, als Ihr mit der süßen Jungfrau Eva im Walzertakte dahinflogt! ›Seht den Heinz Schorlin, den Tapferen vom Marchfeld und das 74 Engelskind, das ihm zuflog,‹ hieß es rings um mich her, wie ich vom Altane aus zusah. Und denken, – ich muß noch einmal davon beginnen – daß jetzt auch ehrbare Leute sich nicht entblöden, mit den Fingern auf sie zu weisen und in die schnöde Afterrede mit einzustimmen, die ein Schelm gegen sie wachrief.«

Da erfüllte Heinz das geheime Verlangen des Dieners, sich nach den E's und was man ihnen vorwarf, ausgefragt zu sehen, – und Biberli schmiedete das Eisen.

Nicht aus Durst, begann er, sondern um sich zu unterrichten, welche Frucht die Höllensaat des Siebenburg und wohl auch die noch schlimmere der Eysvogelschen Weiber gezeitigt, sei er von einer Schenke zur andern gegangen, und da habe er denn Dinge vernommen, die ihm die Faust geballt und ihn im »Roten Ochsen« zu so heftiger Einsprache gereizt, daß er schneller aus der Gaststube hinaus als herein gekommen.

Darauf berichtete er, ohne allzu weit von der Wahrheit abzuweichen, was den schönen E's in Nürnberg nachgesagt wurde.

Daß im Ortliebhofe Ritter aus dem Gefolge des Kaisers bei einem nächtlichen Stelldichein oder auch beim Einsteigen in die Fenster ertappt worden wären, stand überall fest. Beide Schwestern sollte die Schuld treffen. Gegen Els, die Verlobte des von vielen gern gesehenen Sohnes eines edlen Hauses, richteten sich die schärfsten Pfeile. Daß sie dem Fremden, der ein Böhme, ein Schwabe oder auch ein Schweizer, gewiß aber kein Nürnberger sein sollte, den Vorzug gab, verdoppelte in den Augen der meisten die Schändlichkeit des Fehltritts.

Wo Biberli aber auch nach dem Ursprung dieser 75 böslichen Nachreden geforscht, war er auf Seitz Siebenburg, auf seine Bediensteten, auf den Kellermeister, einen Knecht oder eine Magd der Eysvogels gestoßen.

Die Vorchtels, die, wie er von Kätterle wußte, den meisten Grund gehabt hätten, den Ortliebs zu grollen, standen diesen Verleumdungen fern.

Der kluge Bursche hatte das Rechte erkannt; denn nachdem Seitz Siebenburg während des Gewitters im Freien umhergeschweift war, hatte er noch einmal seine Gattin zu sprechen versucht. Umsonst! Weder durch Bitten noch durch Drohungen war sie zu bewegen gewesen, ihm die Thür zu öffnen. Indessen war es spät geworden, und halb von Sinnen vor Ingrimm hatte er sich in den »Grünen Schild« zum Herzog von Pommern begeben, um noch einmal das Glück im Spiele zu versuchen. Die Würfel waren dort wieder in lebhafter Bewegung gewesen; doch auch nicht Einer hatte auf seinen Einsatz hin zum Becher gegriffen. Ein beleidigenderes ihm aus dem Wege gehen ließ sich nicht denken, und die Zurückweisung, die ihm auch sonst von den anwesenden Standesgenossen, und ihnen voran von seiten des Herzogs zu teil geworden war, hatte ihm gezeigt, daß man ihn aus diesem Kreise ausschloß.

Das lehrte ihn zu gleicher Zeit, daß er, kam er der Herausforderung des Schweizers nach, von den Schranken zurückgewiesen werden würde. So stand er vor der Unmöglichkeit, einer Ehrenpflicht zu genügen, und dieser furchtbare Gedanke veranlaßte ihn, alles, was die Ehre ihm bis dahin auferlegt hatte, und damit auch ihren Hütern, den Krieg zu erklären.

Wenn man ihn als Räuber und Entehrten behandelte, 76 wollte er sich als solcher bewähren; – diejenigen aber, die ihn so weit gebracht, sollten es büßen.

Während des Restes der Nacht und am folgenden Tage bis vor Schluß der Thore war er, fortwährend mit dem Becher in der Hand und nur halb seiner Sinne mächtig, von Schenke zu Schenke gewandelt, um den Gästen zu erzählen, was er von den schönen E's wußte, und bei jeder Wiederholung der Anklagen, an deren Berechtigung er nun wieder mit voller Ueberzeugung glaubte, hatte sich sein Haß gegen die Schwestern und diejenigen, die ihre natürlichen Verteidiger und darum seine Widersacher waren, gesteigert. Dazu war, so oft er die alten Beschuldigungen von neuem begann, ein Zusatz getreten, der ihre verleumderische Kraft verschärfte; und als leistete ein geheimnisvoller Bundesgenosse ihm Beistand, begegnete es ihm bald, daß ihm an verschiedenen Stellen die eigenen Erfindungen von anderen, die sie aus dem Munde ihm fremder Leute vernommen haben wollten, gleichsam zurückgebracht wurden. Oft war ihm freilich widersprochen, zuweilen auch heftig entgegengetreten worden; im ganzen aber hatte man ihm williger geglaubt, als es anderen gegenüber geschehen wäre; gestand ihm doch jedermann als Schwager des Verlobten der älteren E das Recht zu, seiner Entrüstung Worte zu leihen.

Bei alledem waren ihm seine Zwillinge oft genug in den Sinn gekommen. Das hätte ihn von diesem nichtswürdigen Treiben zurückhalten sollen; doch der Gedanke, er stehe im Begriff zu rächen, was man der Ehre ihres Vaters und damit auch der ihren angethan, trieb ihn weiter und weiter.

Erst als er nach einem langen Ritte durch den Wald 77 des Rausches ledig geworden war, sah er seine Handlungsweise im rechten Lichte.

In der Stadt hätte ihn sicher Schimpf und Schande erwartet. Bei den Brüdern würde er gute Aufnahme finden. Sie waren seines Blutes und mußten sein scharfes Schwert willkommen heißen. Seite an Seite mit ihnen wollte er kämpfen und – mußte es sein – sterben.

Eine innere Stimme warnte ihn, gemeinsame Sache mit denen zu machen, die das Haus beraubt, dessen Mitglied er geworden; doch wiederum benützte er die Erinnerung an die unschuldigen Lieblinge, um sein Vorhaben zu beschönigen. Nur ihnen zu liebe wollte er mit den Waffen in der Hand als tapferer Ritter im Bunde mit denen, die für das alte Vorrecht ihres Standes das Leben aufs Spiel setzten, in den Tod gehen. Sie sollten nicht einmal zu ahnen brauchen, daß man ihren Vater vom Turnier ausgeschlossen hätte, sondern in der Ueberzeugung groß werden, er sei als heldenhafter Streiter für die Sache der kleineren Ritterschaft, der er angehörte, und der der Kaiser den Fuß auf den Nacken setzte, gefallen.

Die Gewißheit, die Biberli Heinz Schorlin brachte, daß Seitz Siebenburg denen zugeritten sei, die er zu züchtigen hatte, ließ ihm die Aufgabe, die ihm der Kaiser stellte, in einem neuen, reizvollen Lichte erscheinen; dabei aber griff der Bericht des Dieners, so weit er die Ortliebschen Schwestern anging, ihm tief in die Seele. Er allein trug Schuld an der Schande, die über unschuldige Jungfrauen gekommen. Mit der Vernichtung des Verleumders sühnte er wenigstens einen Teil seines Vergehens. Aber damit war es nicht genug. Gut zu machen 78 lag ihm ob, was er an den Schwestern verschuldet. Ueber das Wie? ließ sich freilich die Entscheidung jetzt noch nicht treffen; denn während er im Dienste seines Herrn das Richterschwert führte, mußte das alles zum Schweigen gebracht werden, durfte er an nichts denken als den Auftrag, den ihm sein kaiserlicher Wohlthäter und Kriegsherr erteilt, in seinem Sinne zu erfüllen und ihm zu zeigen, daß er gut gewählt, als er ihn mit dem »Knacken der Nuß« betraut, die er selbst als eine harte bezeichnet. Das Sehnen und Entsagen, die Vorwürfe und Bedenken, die sich ihm in das jüngst noch so leichte Leben gedrängt, hatten es ihm verleidet. Er wollte es nicht schonen. Wenn er aber fiel, war ihm die Möglichkeit genommen, was auch immer für diejenigen zu thun, die durch seine Unbedachtsamkeit den edelsten Besitz, den guten Namen, verloren. Und so oft er sich dies vergegenwärtigte, war es ihm bald, als schaute Eva ihn mit den großen, hellen Augen so vertrauensvoll an wie während der Pause beim Tanze, bald auch, als sähe er sie, wie bei der Einsegnung ihrer Mutter in tiefem Kummer vor dem Altare. Damals hatte Schmerz und Trauer sie nicht wahrnehmen lassen, wie sein Blick auf ihr ruhte, und doch war sie ihm nie begehrenswerter erschienen, hatte es ihn nie leidenschaftlicher gedrängt, sie in die Arme zu nehmen, sie zu trösten und ihr zuzurufen, daß seine Minne sie vergessen lehren sollte, was ihr weh that, daß es ihr bestimmt sei, im Liebesbunde mit ihm neue Glückseligkeit zu finden.

Dies war ihm begegnet, als er eben das Ringen nach einem neuen Leben begonnen. Erschrocken hatte er es dem greisen Wegweiser bekannt und sich der Mittel 79 bedient, die der Minorit ihm anzuwenden geraten, damit ihm das Vergessen und Entsagen gelinge; – aber immer vergebens. Hätte er sich wie der heilige Franz in einen Dornstrauch gestürzt, aus seinem Blute wären nicht Rosen, wohl aber neue Erinnerungen an diejenige erwachsen, deren junges Lebensglück seine Schuld so jäh und grausam vernichtet.

Um ihretwillen hatte er schon auf der Schwelle der neuen Lebensbahn an seiner Berufung zu zweifeln begonnen und erst wieder Mut gefaßt, als Pater Benedictus, der mit der Aebtissin Kunigunde in Verbindung getreten war, ihm mitgeteilt hatte, Eva sei Wachs in ihrer Hand, und in den nächsten Tagen werde sie die Nichte bestimmen, bei den Klarissinnen den Schleier zu nehmen.

Diese Nachricht hatte tief auf die Seele des jungen Ritters gewirkt. Ging Eva ihm in das Kloster voran so war das einzige starke Band zerschnitten, das ihn an die Welt fesselte, und nichts als das Andenken an die Mutter hinderte ihn mehr, seiner Berufung zu folgen. Dennoch ergriff ihn heftige Empörung, als er von Biberli hörte, die Bosheit der Verleumder würde Eva zwingen, bei den Klarissinnen Schutz zu suchen.

Nein und tausendmal nein! Das Weib, das er liebte, sollte sich vor nichts zu retten brauchen, was ihm Heinz Schorlin, Wunsch und Wille gut zu machen geboten. Sie und ihre Schwester vor aller Welt so rein darzustellen, wie sie in seiner Vorstellung lebten, mußte ihm gelingen, sei es im Turnier durch die schärfste Herausforderung eines jeden, der sich weigerte anzuerkennen, daß sie beide von allen Damen auf Erden die sittsamsten und reinsten, und Eva zugleich die liebenswerteste und 80 schönste, sei es endlich auch durch das weithin sichtbare Eintreten des Kaisers oder der Frau Burggräfin für die unschuldig verfolgten Schwestern, nachdem er den erhabenen Gönnern die volle Wahrheit bekannt.

Als Biberli ihn aber auf das sicherste Mittel hinwies, den gefährdeten Ruf der Geliebten wieder herzustellen, und ihn sich zu vergegenwärtigen bat, wie viel schöner ihr der weiße Brautschleier stehen würde, als die Trauerriese, gebot er ihm zu schweigen.

Das Wunder, das für ihn geschehen war, verbot ihm, nach Glück und Freuden hienieden zu trachten. Es hatte ihm vielmehr die Augen öffnen und ihn anhalten sollen, von dem Wege zu lassen, der in die ewige Verdammnis führte. Auf das Himmelreich und seine Seligkeit wies es ihn, und sie war nur durch harte Entsagung und das Miterdulden jedes Leids zu erkaufen, das der Heiland auf sich genommen. Aber eine Ehre konnte er dennoch jetzt schon der Jungfrau erweisen, zu der es ihn so mächtig hinzog und deren Lebensglück durch seine Schuld vernichtet zu werden drohte. Mit ihrer Farbe an Helm und Schild wollte er, hatte er erst in Schwabach die ganze Streitmacht um sich versammelt, in den Kampf ziehen. Die Himmelskönigin würde ihm nicht zürnen, wenn er ihr lichtes Blau trug, um an der frommen und reinen Eva, die ihr sicherer angehörte als er selbst, gut zu machen, was ihr durch tückische Bosheit zugefügt wurde.

Die Freunde Heinz Schorlins hatten nach allem, was ihn betroffen, seine veränderte Stimmung erklärlich gefunden; der junge Graf Gleichen, der ihm am nächsten 81 stand, schaute sogar seit seiner »Berufung« wie zu einem Geweihten zu ihm empor.

Sein längst ergrauter Vetter, der Ritter Arnold Maier von Silenen, war ein frommer Mann, dessen eigener Sohn sich als Benediktiner zu Engelberg glücklich fühlte. Das Zeichen, womit der Himmel Heinz seinen Willen zu erkennen gegeben, hatte tief auf ihn gewirkt, und wenn er ihn auch lieber auf der schön begonnenen Laufbahn hätte fortschreiten sehen, wäre es ihm doch gottlos erschienen, ihn der Berufung zu entziehen, deren der Höchste selbst ihn gewürdigt. Er ließ ihn also gewähren und sandte mit dem nächsten Eilboten einen Brief an Frau Wendula Schorlin, die Mutter des jungen Vetters, in dem er ihr mit Vorwissen, ja im Auftrage des Neffen erzählte, was ihren Sohn betroffen, und sie ersuchte, ihn nicht zu verhindern, der Berufung, deren ihn Gott würdig gehalten, Folge zu leisten.

Biberli schrieb indes der Mutter seines Herrn und Schutzbefohlenen in anderem Sinne und ließ nicht ab, Heinz seine wahre Meinung zu erkennen zu geben und zu versichern, daß er mit dem Schwerte am Gehäng und in der Hand auf den Streithengst, und nicht mit dem Rosenkranze am Lendenstrick in das Kloster gehöre.

Das hatte Heinz verdrossen, ja ihn ernstlich gegen den treuen Gesellen aufgebracht, und als er jetzt gewappnet und gespornt sich anschickte, das Roß zu besteigen, um die letzten Weisungen seines kaiserlichen Herrn zu empfangen, und Biberli ihn frug, auf welchem Gaule er ihm zu folgen habe, erklärte er ihm kurz, er würde diesmal ohne ihn reiten.

Als Heinz aber gewahrte, daß die Augen des »treuen 82 und standhaften« Gefährten bei dieser Erklärung feucht wurden, hatte er ihm über die Kappe mit dem bedeutungsvollen St gestrichen und freundlich gesagt: »Darum, mein Biber, bleibt zwischen uns doch alles beim alten, bis ich meiner Berufung folge und Du Dir mit Deinem Kätterle das eigene Nest baust.«

So war Biberli denn in Nürnberg geblieben, während Heinz Schorlin, nachdem der Kaiser ihn mit freier Vollmacht väterlich gütig entlassen, sich aufgemacht hatte, um an der Spitze seiner Fähnlein, als ihr oberster Befehlshaber, gegen die Siebenburgs und ihre Kampfgenossen ins Feld zu ziehen.

Nur bis vor die Stadt war es dem Diener gestattet worden, ihn zu begleiten.

Vor dem Spitalthore hatte Gräfin Cordula, obgleich sie von einem Ritt ins Freie heimkehrte, den mutigen Scheckenhengst gewandt und sich ihm so zutraulich angeschlossen, als gehörte sie zu ihm. Heinz, der am liebsten allein geblieben und dem jeder andere Begleiter willkommener gewesen wäre, gab ihr dies deutlich genug zu erkennen, sie aber schien es nicht zu bemerken und ließ während des ganzen weiteren, gemeinsamen Rittes der Zunge freien Lauf und schilderte ihm, wie oft er sie auch unwillig unterbrach, mit immer wärmerer Lebendigkeit, was durch seine Schuld über die Ortliebschwestern gekommen. Dabei entwarf sie von der stillen Kümmernis Evas ein so rührendes Bild, daß es Heinz bald drängte, ihr zu danken, öfter aber noch, sie von den Kriegsknechten fortführen zu lassen; war er doch mit dem Wunsche, die Zeit der Fahrt zwischen frommen Betrachtungen und dem Nachdenken über die Anordnung des Feldzuges zu teilen, in den 83 Sattel gestiegen. Was konnte ihm unwillkommener sein als die zudringliche Gesprächigkeit der Gräfin, die ihm Herz und Sinn mit Vorstellungen und Wünschen erfüllte, die sein Vorhaben am schwersten zu beeinträchtigen drohten.

Cordula bemerkte sehr wohl, wie unwillig er ihr zuhörte. Ja, als Heinz immer deutlicher und zuletzt sogar in beinahe verletzender Weise zu erkennen gab, wie wenig genehm ihre Begleitung ihm war, steigerte dies nur die Lebendigkeit ihrer Rede, die ihr die Wirkung nicht ganz zu verfehlen schien, die sie zu Evas Gunsten auf ihn üben sollte. So blieb sie ihm denn länger zur Seite, als sie anfänglich beabsichtigt hatte. Auch kehrte sie nicht um, als ihnen die junge Herzogin Agnes begegnete, die mit ihrem Gefolge bei der Heimkehr von einem Spazierritt der Stadt entgegentrabte.

Der Böhmin war bekannt geworden, daß Heinz zu dieser Stunde dem Feinde durch das Spitalthor entgegenreiten würde, und die Begegnung mit ihr hatte ihm wie ein gutes Vorzeichen erscheinen sollen. Ihm einen wohlgemeinten Segenswunsch mit auf den Weg zu geben, war ihr ein angenehmer Gedanke gewesen. Zwar hielt sie trotz der Anwesenheit Cordulas nicht mit ihm zurück, ihre Gegenwart störte sie aber dennoch, und es verdroß sie, die Gräfin wiederum an der Seite Heinz Schorlins zu finden.

So deutlich gab sie ihr dies denn auch zu erkennen, daß ihre italienische Hofmeisterin und Lehrerin im Gesange, das schon stark verblühte Fräulein Caterina de Celano, sich veranlaßt sah, die Sache der Gebieterin zu der ihren zu machen und die Gräfin höhnisch frug, ob sie auch das Brenneisen mit sich führe.

84 Doch Cordula gab ihr Anlaß, sich in die Lippe zu beißen, als sie schnell versetzte: »O nein! Die Bosheit begegnet einem zwar auf allen Wegen, in Deutschland rauft man sich jedoch nicht gleich das Haar über jedes giftige und seichte Wort auf der Straße.«

Damit wandte sie sich von ihr ab, bis die Herzogin Heinz Lebewohl gesagt, und ritt dann mit ihm weiter; die junge Böhmin aber rief, sobald ein Stück Weges zwischen ihr und der Gräfin lag: »Vor diesem unangenehmen Mannweib muß man Ritter Schorlin sicher zu stellen suchen.«

»Und die lieben Heiligen werden das gute Werk fördern,« versicherte die Italienerin; »denn sie selbst haben ein besseres Anrecht an den liebenswürdigen Ritter. Wie ernst er wieder dreinsah! Gebt acht, Hoheit, er folgt, wie neulich mein Vetter, der flinke Frangipani, den Spuren des Heiligen von Assisi.«

Da brauste die junge Herzogin mit kindlicher Widersetzlichkeit auf: »Doch er soll und darf nicht ins Kloster! Der Kaiser ist gleichfalls dagegen, und das laute Wesen der Montfort ist auch ihm nicht genehm. Wir wollen doch sehen, Caterina, ob ich nichts und gar nichts vermag.«

Hier stockte sie; denn sie hatten das Dorf Röttenpach wieder erreicht, und vor dem neu erbauten Kirchlein stand der Pfarrer mit dem Vorstand der Gemeinde, und die Kinder des Ortes streuten ihr Blumen auf den Weg. – Da brachte sie den Araber zum Stehen, ließ sich aus dem Sattel helfen und besichtigte mit leutseliger Gnade das neue Gotteshaus, den Stolz der Gemeinde.

Auf dem Heimweg sprang dicht hinter dem Dorfe ihr Roß wiederum scheu zur Seite. Vor einem alten 85 Minoritenpater, der sich unter einem Holzapfelbaume an der Straße niedergelassen, hatte das Tier sich erschreckt.

Es war Pater Benedictus, der sich früh aufgemacht, um Heinz zuvor zu kommen und ihn im Nachtquartier durch seine Anwesenheit zu überraschen. Doch er hatte seine Kraft überschätzt und war so langsam vorwärts gekommen, daß Heinz und seine Reisigen, vor denen er sich hinter einem staubigen Weißdorngebüsche verborgen, ihn nicht wahrgenommen hatten. Von Schweinau an war ihm das Wandern schwer geworden, zumal es gegen den Sinn des Heiligen gewesen wäre, sich eines Stabes zu bedienen. Mancher mitleidige Bauer, mancher Müllerknecht und Fuhrmann hatte ihm den Rücken seines Tieres oder einen Sitz auf dem Wagen und Karren angeboten; er war indes, ohne sich ihr freundliches Anerbieten zu nutze zu machen, mit den nackten Füßen weiter geschritten.

Vielleicht war diese Wanderung seine letzte; auf ihr aber wollte er das Wort einlösen, das er dem sterbenskranken Meister gegeben, dem Gebote des Heilands, das Franz von Assisi zu seinem eigenen und zu dem seines Ordens gemacht, gehorsam, hinzugehen, um zu predigen und zu sprechen: »Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.«

»Umsonst,« hieß es, »habt ihr es empfangen, umsonst gebet es auch.« An irdischen Lohn dachte er nicht, um so heißer dürstete es ihn nach dem frohen Bewußtsein, eine Seele dem Himmel gewonnen zu haben.

Wie einst der Heilige ihn, so hatte er Heinz lieben gelernt, und er gönnte ihm die Glückseligkeit, die ihm, dem Achtziger, im Alter des Ritters zu teil geworden. Wie lange war es ihm vergönnt gewesen, sich ihrer zu 86 freuen! In den letzten Jahrzehnten freilich hatte sie manche Trübung erfahren.

Viel Schweres war ihm schon im Dienst seiner heiligen Sache gelungen; je größer aber das Opfer gewesen, das er gebracht, desto köstlicheren Seelenlohn hatte er geerntet. O, wenn diese Wanderung ihm doch das Gelübde Heinz Schorlins, seinem Heiligen und mit ihm dem Heiland nachzufolgen, einbringen wollte! Wenn es ihm dann doch auch noch vergönnt war, mit der Hand des teueren geretteten Jünglings in der seinen diese Welt mit der ewigen Seligkeit zu vertauschen!

Die Erde bot ihm nichts mehr; denn er, der zu den Führern seiner Brüderschaft gehörte, sah sie bekümmert abweichen von den Bahnen ihres Stifters. Die Armut, die dem Leibe die Freiheit sichert, die von Sorgen dieser Welt und von der Last des Besitzes nichts weiß, die der Seele gestattet, fessellos hoch über dem Staube die Schwingen zu regen, sie, die die himmlische Braut des heiligen Franz gewesen, ihr brach man in vielen Kreisen seiner Brüder die Treue. Mit dem Besitze hatte sich das Wohlleben und das Trachten auch nach weltlichem Einfluß in manches Kloster geschlichen. Die Arbeit, die der Heilige seinen Jüngern empfohlen, wiesen viele von sich ab, und neuen Wein, der ihm, Benedictus, nicht mundete und den der Heilige als Gift weit von sich gewiesen hätte, sah er vielfach die alten Krüge füllen. Er war nicht mehr jung und stark genug, um seinen Kummer und Unwillen wie ein reinigendes Gewitter in diese Mißbräuche fahren zu lassen.

Aber Heinz Schorlin!

Wenn er, der an Geist und Körper gleich schön 87 begabte, edel geborene Jüngling, den der Himmel mit Blitz und Donner zu sich berufen, aus reiner Ueberzeugung mit einem Herzen voll jugendlicher Begeisterung sich seiner heiligen Sache hingab, wenn Heinz, von ihm eingeweiht und sich voll bewußt der wahren Absichten des Meisters, der ja auch ungelehrt und nur reich an Wissen des Herzens seine folgenschwere Laufbahn begonnen, sich als furchtloser Streiter zu dem Willen des Heiligen bekannte, dann war der Ritter Georg gefunden, der den Drachen zu töten und wenigstens in den Klöstern Deutschlands aus seinem Blut neues Leben zu erwecken berufen, – dann stand dem Orden vielleicht das neue Erblühen bevor, das er ihm wünschte. Aus den Kreisen des geringeren Volkes empfing er größtenteils seine Ergänzung. Das Beispiel des Ritters Schorlin führte ihm vielleicht auch, als veredelndes Element, die Söhne seiner Standesgenossen zu.

Darum zog er, in Schweiß gebadet und oft dem Zusammenbrechen nahe, Heinz durch den Staub der Landstraße nach.

Manchmal aber, wenn die Kraft ihm erlahmte und er sich am Wege niederließ, um Atem zu schöpfen, gewann das Leben seiner Seele einen höheren Schwung.

Nachdem Heinz an ihm vorbei geritten war, ohne ihn zu bemerken, hatte er die Wanderung fortgesetzt, bis ihm die Füße so schwer geworden waren, daß er sich gezwungen sah, sich hart am Wege niederzulassen. Da war es ihm gewesen, als trete ihm der Heiland selbst entgegen. Liebreich schaute er ihm ins Antlitz und wandte sich dann ab, um, Benedictus wußte nicht wem, in der Höhe zu winken. Da wichen plötzlich die Wolken, die den Himmel bedeckt hatten, auseinander, und es war dem rastenden Greise, 88 als vernähme er das Lied, das der Troubadour der von der Liebe zu Gott ergriffenen Seele, das sein Freund und Meister seinem Heilande zugesungen hatte. Aus dem Munde seiner Engel in der Höhe mußte es kommen; ihn aber drängte es, mit einzustimmen. Zwar drang über seine alten Lippen, wie eifrig sie sich auch regten, kein Ton, er wähnte aber dennoch mit teilzunehmen an diesem dem Erlöser, dem Urquell aller Liebe, gewidmeten Minnegesang der Seele, die ihrem Heiland in schwärmerischen, herzverzehrenden Liebesflammen entgegenloderte.

»In Glut mich Liebe senkte,
Mein Bräut'gam jung erblühend,
Als er den Ring mir schenkte,
Das Lamm, in Liebe glühend,
Den Stahl ins Herz mir senkte,«

begann der feurige Gesang, und eine verzehrende Sehnsucht nach dem Tode und dem geliebten Heiland, dessen Gestalt in dem Flammenmeere, das vor seinen weit geöffneten Augen wogte, verschwunden war, ergriff ihm die Seele, als er den zweiten Vers anhob:

»Mein Herz brach qualentbronnen,
Der Leib sank hin zur Erde,
Der Pfeil der Liebeswonnen
Mit Glut mich ganz verzehrte.«

Mit heißen Wangen, der Welt und was ihn umgab völlig entrückt, hob er die Arme gen Himmel; plötzlich aber sanken sie ihm nieder. Auffahrend fuhr er mit der Hand über die geblendeten Augen und schüttelte wehmütig das Haupt. Statt des Engelgesanges hörte er näher und näher kommenden Hufschlag. Der geöffnete Himmel hatte sich geschlossen, – als ein armer, erschöpfter 89 Mensch lag er mit heiß glühender Stirn am Saume der Straße.

Herzogin Agnes ritt, nachdem sie das neue Kirchlein zu Röttenpach besucht, auf dem Heimwege nach Nürnberg an ihm vorüber.

Weder sie noch ihr Gefolge achteten des alten Mönchs. Nur die Italienerin, die sein edel geformtes Greisenantlitz mit den immer noch feurigen Schwärmeraugen, schon als sie vorhin an ihm vorübergeritten war, angezogen hatte, schaute sich neugierig nach ihm um. Dabei begegnete ihr Blick dem seinen, und die faltigen Züge des Minoriten gewannen einen gespannten, fragenden Ausdruck. Es drängte ihn, sich zu erheben, um zu fragen, wer die Schwarzäugige neben der Herzogin sei. Doch bevor es ihm gelang, sich aufzurichten, war der Reiterzug schon vorüber.

Beunruhigt, kaum mehr fähig, den einen wunden Fuß vor den andern zu setzen, schleppte er sich weiter.

Vor Röttenpach begegnete ihm ein Page der Herzogin, der an der Schmiede des Dorfes zurückgeblieben war und der Gebieterin nachritt. Pater Benedictus rief ihn an, und der Knabe, dem der greise Mönch Ehrfurcht einflößte, stand ihm Rede und gab ihm zu wissen, die Dame auf dem Rappen mit der Blässe an der Stirn sei die italienische Hofmeisterin seiner Herrin, das Fräulein Caterina de Celano.

Da wich dem Minoriten das Blut aus den in Fieber glühenden Wangen, und der Page schickte sich schon an, aus dem Sattel zu springen, um ihm Beistand zu leisten; er aber wehrte ihm ungeduldig und zwang sich mit dem Aufgebot seiner ganzen Willenskraft, weiter zu wandern.

Eben noch hatte er sich am Herzen der ewigen Liebe 90 glückselig gefühlt, jetzt aber änderte sein Antlitz den Ausdruck, und Ingrimm blitzte ihm aus den dunklen, tiefliegenden Augen.

Das welkende Fräulein neben der Herzogin trug den Namen der Frau, deren Treulosigkeit ihn zuerst veranlaßt, im Frieden des Klosters Ruhe und Vergessenheit zu suchen, die ihn dahin geführt, ihr ganzes Geschlecht zu verabscheuen.

Die Enkelin, eine Tochter oder Nichte des Weibes, das ihn so schmählich betrogen, mußte die Reiterin sein. Wie ähnlich sah sie der Verräterin, doch verstand sie es weniger gut, ihre wahre Gesinnung zu verbergen; denn er hatte etwas Hämisches in ihren alternden Zügen bemerkt. Der Groll, den er lange überwunden zu haben meinte, wurde wieder in ihm lebendig. Hätte er ihr doch nacheilen und ihr ins Gesicht rufen können . . . Was denn? Welche Schuld trug die Reiterin an der Treulosigkeit einer andern, die sie vielleicht gar nicht kannte?

Aber er wollte ihr dennoch nach.

Das fiebernde Blut trieb ihn vorwärts; doch der erschöpfte, schmerzende alte Leib versagte ihm den Dienst. Noch ein gewaltsamer Anlauf, und vor den Augen sprühten ihm Funken, die Lippen netzten sich ihm mit Blut, und röchelnd sank er zusammen.

Nach einiger Zeit gelang es ihm, sich bis an den Rand der Straße zu schleppen. Dort blieb er liegen, bis ein Nürnberger Fuhrmann mit seinem Viergespann daherkam, ihn unter Beistand des Stallknechts auf den Wagen hob und mitnahm.

In Schweinau wurde dem Leidenden das Stoßen 91 des Wagens unerträglich, und der Fuhrmann erfüllte gern seinen Wunsch, ihn zu dem Siechenhause zu führen, in dem verstümmelte und wund gefolterte Verurteilte Pflege fanden.

Dort sah man ihm indes sogleich an, daß er nicht in dies dem verbrecherischen Unglück gewidmete Haus gehörte, und die freundlichen Beghinen von Schweinau nahmen ihn bei sich auf.

Auf der Fahrt hatten Leib und Seele des Greises gleich schwer gelitten. Wie ein Verrat an ihm, wie eine Zurückweisung seiner frommen und reinen Absichten war es ihm erschienen, daß der Himmel selbst ihm den Weg verlegte, auf dem er sich müde wanderte, um ihm eine Seele zu gewinnen.

 

 


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