Georg Ebers
Im Schmiedefeuer
Georg Ebers

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Siebenzehntes Kapitel.

Zwei und dreimal klopfte Siebenburg an, aber immer vergebens. Dennoch war der Schorlin zu Hause. Sein Waffenträger hatte es Seitz unten gesagt, und er hörte von drinnen her die Stimme des Schweizers. – Da schlug er mit dem Griff des Stoßmessers so stark an die Thür, daß es durch das ganze Haus dröhnte. Dies Verfahren half; denn man öffnete, und der schmale Kopf Biberlis schaute dem Ritter verwundert entgegen.

»Sagt Eurem Herrn,« herrschte dieser den Diener an, den er als den des Schweizers kannte, »wenn er vor mahnenden Handwerkern das Quartier verschließe . . .«

»Bei Eurem Klopfen, Herr,« unterbrach Biberli den Ritter, »dachten wir wirklich, der Schwertfeger wäre gleich mit Hammer und Ambos gekommen. Vor den Gläubigern braucht mein Herr sich hier übrigens keineswegs zu fürchten; denn wenn Ihr, Herr Ritter, es noch nicht wißt: Während des Reichstages gibt es großmütige Edelleute hier zu Nürnberg, die Schloß und Land zu seinen Gunsten auf den Spieltisch werfen.«

»Und naseweisen Burschen noch schneller die Faust in den Nacken!« rief Siebenburg und erhob drohend die 257 Rechte. »Jetzt führst Du mich ungesäumt zu Deinem Herrn!«

»Wenigstens in seine vier Pfähle,« versetzte der Diener, indem er Seitz in das schmale Vorgemach vorantrat, aus dem er gekommen. »Wie es mit dem ›ungesäumt‹ beschaffen, das ruht indes in der lieben Heiligen Händen; denn Ihr müßt wissen . . .«

»Possen,« fiel ihm der Ritter ins Wort. »Sag Deinem Herrn, es fehle dem Siebenburg an Lust und Zeit, in seinem Vorzimmer zu warten.«

»Und dem Ritter Schorlin,« versicherte Biberli, »könnte sicher und gewiß keine größere Freude begegnen, als wenn Ihr ihn recht bald wieder allein ließet.«

»Unverschämter Wicht!« donnerte Seitz, dem der in dieser Annahme verborgene Hohn nicht entging, den Diener an und schlug ihm die Hand in die Halsöffnung des langen Gewandes; Biberli aber fühlte, daß er nur die Kapuze ergriffen, hakte sie mit einem schnellen Griffe los, und während er flink auf die Seitenthür zueilte, durch die man laute Stimmen vernahm, hörte Siebenburg den leisen Aufschrei eines weiblichen Wesens. Er kam von einem Vorhange her, der sich über aufgehängte Kleider breitete, und Seitz sagte sich, daß er kaum von einer andern als von der Gürtelmagd, der er vorhin begegnet war, ausgegangen sein konnte. Sie stand im Dienste Els Ortliebs, und es war ihm lieb, dies lebende Beweisstück zur Hand zu haben.

Wenn er Heinz veranlaßte, ihm hier im Vorzimmer Rede zu stehen, war ihr die Möglichkeit genommen, sich zu entfernen. Als habe er nichts bemerkt, gab er sich darum 258 das Ansehen, das behende Entweichen des Dieners belustigend zu finden. Mit einem erzwungenen Auflachen warf er ihm die Kapuze an den Kopf und verlangte, bevor er die Thür zum Nebenzimmer geöffnet, von neuem, seinen Herrn zu sprechen.

Da versicherte Biberli, er werde sich dennoch gedulden müssen; denn der Ritter führe erbauliche Gespräche mit einem frommen alten Bettelmönche. Wenn er ihm raten dürfe, möge er den Herrn jetzt überhaupt nicht stören; denn er habe betrübende Nachrichten erhalten, und der Schneider, der ihm Maß für die Trauerkleider genommen, ihn eben erst verlassen. Wenn Seitz ein Anliegen an den Ritter zu bringen habe und etwas übriges von seiner Gunst und seltenen Großmut erwarte . . .

Weiter ließ ihn indes Siebenburg nicht kommen. Ohne der List, die Heinz hierher locken sollte, weiter zu gedenken, brauste er auf, versicherte in ernstem Unwillen, daß er von niemand und am letzten von einem Schorlin Gnade und Großmut begehre, trat auf die Thüre zu und schleuderte den Diener, der sich ihm in den Weg stellte, mit so roher Gewaltsamkeit an die Wand, daß er in ein lautes Zetergeschrei ausbrach.

Bevor dies noch verstummt war, trat Heinz über die Schwelle. Ein langes weißes Gewand hob die Blässe seines gestern noch so frischen Gesichtes, und seinen geröteten Augen war es anzusehen, daß er vor kurzem auch Thränen vergossen.

Als er gewahrte, was hier vorgegangen, und seinen treuen Gefährten sich die Schulter reiben und das Gesicht schmerzlich verziehen sah, flammten ihm die Wangen zornig auf und mit gerechtem Unwillen verwies er 259 Siebenburg das unziemliche Eindringen in sein Quartier und sein rohes Betragen.

Dann frug er Biberli, ohne des Ritters zu achten, ob man ihn ernstlich verletzt. Da der Diener dies verneinte, wandte er sich Seitz wieder zu und bemerkte kurz, er meine zu wissen, was ihn zu ihm führe. Wenn er sich zu bekennen bequeme, sinnlos berauscht sittsame Jungfrauen verlästert, und nicht gewußt zu haben, was er gethan, als er sein Schloß und Land gegen das Gold einsetzte, das vor ihm, dem Ritter Schorlin, gelegen, möge er sein Tannenreuth behalten. In welcher Form er die Verleumdung der Ortliebschen Jungfrauen zurückzunehmen habe, wünsche er, weil es ihm jetzt an Zeit mangle, später mit ihm zu besprechen. Augenblicklich beschäftigten ihn würdigere Dinge als die häßlichen Irrreden eines Berauschten, und er ersuche den Ritter darum, ihn zu verlassen . . .

Bei den letzten Worten hatte Heinz auf die Thüre gewiesen, und diese unbedachte, nichts weniger als einladende Bewegung raubte Siebenburg den letzten Rest der mühsam behaupteten Fassung.

Nichts wirkt verletzender gerade auf schwache Naturen, als wenn andere ihnen das Gegenteil dessen zutrauen, was sie nach einem Siege über niedere Triebe als das Rechte erkannten und es zu vollbringen gedachten. Ihn, der gekommen war, um dem verlorenen Besitz freiwillig zu entsagen, sah der Schweizer für einen lästigen Bittsteller an, ihm, der hier stand, um zu beweisen, daß er Els Ortliebin mit vollem Recht eines Vergehens geziehen, mutete Schorlin zu, einen Widerruf gegen besseres Wissen zu leisten. Und was war der Preis, den der Unverschämte 260 für das gewonnene Gut und das Recht forderte, ihn als Verleumder zu brandmarken? Die Freude, den unwillkommenen Gast sich schnell entfernen zu sehen. Ein höherer Grad von Nichtachtung und beleidigender Selbstüberhebung ließ sich nicht denken, und indem Seitz das eigene sittliche Verhalten in den letzten Stunden hoch über das ruchlose Gebaren des Schweizers stellte, ließ er in aufrichtiger Empörung und weit entfernt, des weißen Gewandes und veränderten Aussehens des Gegners zu achten, dem Ingrimme die Zügel schießen.

Bleich vor Zorn warf er dem Schweizer das ihm abgenommene Gut gleichsam vor die Füße und ließ es dabei an verletzenden Worten nicht fehlen.

Anfänglich hörte Heinz in stummem Erstaunen dem Wutausbruche des unglücklichen Spielers zu; als dieser aber zu drohen begann und sogar an das Schwert schlug, gewann er die Ruhe, an der es ihm nie gebrach, wenn es etwas zu bestehen galt, was einer Gefahr gleich sah, schnell zurück.

Seit der ersten Begegnung mit Siebenburg hatte er eine starke Abneigung gegen ihn gefaßt. Die verleumderische Rede, mit der er gestern den guten Namen einer Jungfrau in den Staub gezogen, von der Heinz wußte, daß sie nur durch seine Schuld in einen falschen Verdacht geraten, hatte ihn mit Verachtung erfüllt. So ließ er ihn denn mit gelassener Geringschätzung toben; als aber derjenige, mit dem er sich vorher unterredet, der alte Minorit, den er an der Landstraße gefunden und nach Nürnberg geleitet hatte, sich an der Thür des Nebenzimmers zeigte, rief er Seitz ein entschiedenes »Genug!« zu, wies auf den Greis und schenkte in kurzen, 261 schlichten Worten das Schloß und die Flur von Tannenreuth dem Kloster der Bettelmönche vom Franziskanerorden zu Nürnberg.

Mit einem höhnischen Achselzucken folgte Siebenburg dieser Verordnung; dann aber sagte er bitter: »Ich dachte, in Armut zu leben sei das oberste Gebot in der Regel des heiligen Franciscus. Doch gleichviel! Mag das erwürfelte Geschenk den frommen Brüdern bekommen. Euch, Herr Ritter, wird diese Gabe die Gunst des Heiligen von Assisi gewinnen, dessen Macht man ja rühmt. Ihr habt also weise gehandelt.«

Hier stockte er; denn es war ihm, als schnüre ihm der Ingrimm den Hals zu. Während aber der Minorit Heinz für die großmütige Gabe dankte, fiel Siebenburgs Auge wiederum auf den Vorhang, hinter dem die Magd sich verbarg.

An ihn kam jetzt die Reihe, dem Schweizer einen Streich zu versetzen. Der alte Bettelmönch war eine würdige, Achtung gebietende Erscheinung, und es hatte das Ansehen, als sei Heinz an seiner guten Meinung gelegen. Gerade deswegen sollte der Minorit erfahren, wie der Wohlthäter seines Ordens beschaffen.

»Da Ihr so dringend begehrt, Ritter Schorlin,« fuhr er fort, »meiner Gesellschaft ledig zu werden, thu' ich Euch den Willen. Nur gabt Ihr Euch eben das Ansehen, mir gewisse Worte, die in dieser Nacht fielen, und die sich auf eine Jungfrau bezogen . . .«

»Laßt das ruhen,« fiel ihm Heinz mit scharfem Nachdruck ins Wort.

»Diesen Wunsch durfte ich zu hören erwarten,« versetzte Siebenburg höhnisch; »denn da Ihr im Begriff 262 steht, Euch mit frommen Werken des Himmels Gunst zu erwerben, wird es Euch genehm sein . . .«

»Was?« frug der Schweizer scharf.

»Wird es Euch sicherlich auch am Herzen liegen,« lautete die Antwort, »von einem Wandel zu lassen, der ehrbaren Leuten und wie viel mehr noch den hohen Heiligen zum Aergernis gereicht. Ihr, der Ihr dem Bräutigam die Braut abwendig macht und sie zu nächtlichen Zusammenkünften verlockt, wähnt Euch wohl jetzt sicher vor ihrem Verlobten, den der Ausgang des Zweikampfes – Ihr wißt ja – von ihr fern hält. Wolff aber ist zufällig mein Schwager, – und wenn es mich gelüstet, an seine Stelle zu treten und mit Euch eine Lanze zu brechen . . .«

Da unterbrach ihn Heinz totenbleich und rief im Ton der tiefsten Verachtung: »So lassen wir es dabei: beim Lanzenstechen, mein' ich, und fügen noch den Schwertkampf hinzu.«

Einen Augenblick blickte Siebenburg, verwirrt von der scharfen Angriffsweise des Gegners auf ihn hin; schnell aber gewann er die Fassung zurück und sagte: »Angenommen! Beim Tjost mit scharfen Waffen zeigt sich wohl, auf wessen Seite das gute Recht steht.«

»Das Recht?« frug Heinz erstaunt und zuckte höhnisch die Achseln.

»Ja, das Recht,« brauste der andere auf, »für das Ihr die Schätzung verloret.«

»So wenig,« entgegnete der Schweizer gelassen, »daß ich, bevor wir mit dem Herold über die Kampfweise 263 reden, von Euch fordern muß, die Schmähungen zurückzuziehen, mit denen Ihr gestern im Rausch einer tugendsamen Jungfrau vor anderen Rittern und Herren die Ehre kränktet.«

»Zu deren Hüter,« lachte Seitz, »Ihr Euch, wie es scheint, an Stelle ihres Bräutigams auf eigener Wahl bestelltet.«

»Nehmt dies an,« erwiderte Heinz mit überlegener Ruhe. »Nicht Ihr, nein, ich werde an Wolff Eysvogels Stelle streiten, – und mit seiner Einwilligung, denk' ich. Ich kenne ihn und schätze ihn so hoch . . .«

»Daß Ihr,« fiel der andere ihm spöttisch ins Wort, »seine Braut zu nächtlichen Kosestündchen ladet und Botschaften mit ihr wechselt.«

Das war Heinz Schorlin zu viel, und in ehrlicher Entrüstung aufwallend rief er: »Beweist das! Oder – bei Gottes Blut! . . . Das Schwert, Biberli! – Trotz des Landfriedens sollt Ihr, bevor Ihr noch einmal den verläumderischen Mund aufthut, erfahren . . .«

Hier aber stockte er plötzlich; denn während Biberli sich entfernte, um diesem Befehle nachzukommen, den er, so wohl er ihm auch zusagte, doch nur zaudernd ausführte, um den Herrn und Schutzbefohlenen vor einer Unbesonnenheit zu bewahren, eilte Siebenburg, außer sich vor Wut, auf den Vorhang zu. Bevor Heinz es verhindern konnte, zog er ihn so heftig zurück, daß er von den Stiften riß, und zwang die entsetzte Magd, deren Arm er ergriffen, sich mit ihm dem Schweizer zu nähern.

Heinz hatte Kätterle nur im Mondschein und im Halbdunkel gesehen und nichts von ihrem unerwarteten Erscheinen erfahren. Erstaunt, als sei sie aus der Erde 264 gestiegen, maß er sie darum mit fragenden Blicken; Siebenburg aber ließ ihm keine Zeit sich zu sammeln, sondern zog die Gürtelmagd vor den Mönch und gebot mit drohend erhobener Stimme: »Sage dem frommen Bruder dort, wer Du bist, Weibsbild!«

»Das Kätterle von Sarnen,« gab sie weinerlich zurück.

»Und wem dienst Du?« verlangte der Ritter weiter zu wissen.

»Den Ortlieb-Schwestern, den Jungfrauen Els und Ev,« lautete die Antwort.

»Den schönen E's, wie man sie hier nennt, frommer Bruder,« lachte Siebenburg schadenfroh auf, »als deren Gürtelmagd ich sie kenne. – Wenn sie nicht etwa hierherkam, um dem Freunde ihrer Herrin die Wäsche zu stopfen . . .«

Hier aber unterbrach Biberli, der bei seiner Rückkehr in das Vorgemach die Geliebte mit Entsetzen gewahrte, den Ritter, indem er Heinz zurief: »Vergebung, Herr! Ihr wißt ja, daß sie meine Verlobte. Vorhin – kaum ein Dutzend Paternoster ist's her – trat sie hier ein, um mit mir wegen der Hochzeit zu reden.«

Verwundert folgte Kätterle der kecken Rede des treuen und standhaften Geliebten, doch gefiel sie ihr nicht übel; denn unaufgefordert hatte er noch nie von der Hochzeit gesprochen. Dabei fühlte sie die Verpflichtung, ihm Beistand zu leisten, und nickte ihm beistimmend zu, während Siebenburg den Diener unwirsch unterbrach und dem Mönche zurief: »Lug und Trug, würdiger Bruder. Weiß gebrannt soll hier werden, was schwarz ist. Um Botschaft von dem ältern schönen E zu bringen, mit dem 265 dieser fromme Ritter heute nacht überrascht ward, schlich sie sich vermummt zu dem Galan ihrer Herrin.«

Wieder gab das stürmische Aufbrausen des andern dem Schweizer die Besonnenheit zurück. Mit einer Gelassenheit, die dem Diener unbegreiflich erschien und ihn zugleich mit Entzücken erfüllte, wandte er sich an den Mönch und sagte ernst und schlicht: »Der Schein, Pater Benedictus, mag gegen mich sprechen. Ich enthülle Euch sogleich den wahren Hergang. Wie die Magd hieher kommt, wird sich später erweisen. Was die Jungfrau angeht, die dieser das ältere schöne E nennt, so hab' ich ihrer – bei unserem Heiligen schwör' ich's – nimmer begehrt und auch nicht das leiseste Zeichen ihrer Gunst je und je von ihr erhalten.«

Dann wandte er sich Siebenburg zu und fuhr, immer noch ruhig, doch mit bedrohlichem Ernste, fort: »Kenn' ich Euch recht, so geht Ihr jetzt von einem zum andern und thut ihm zu wissen, was Ihr hier fandet, um der Jungfrau den Leumund zu schädigen, die der wackere Bruder Eurer Hausfrau zum Weibe erwählte, und um meinen Namen zugleich mit dem ihren an den Pranger zu stellen.«

»Wohin Els Ortliebin,« fiel ihm Siebenburg wütend ins Wort, »eher gehört als in das ehrbare Haus eines Nürnberger Geschlechtes. Wenn sie zu gering wurde für meinen Schwager, so habt Ihr es verschuldet. Daß ihm reiner Wein eingeschenkt und ihm bekannt wird, wo und zu welcher Zeit seine Braut fremden Herzensbrechern zu Willen, dafür freilich werde ich sorgen. Auch anderen die Augen über sie zu öffnen, soll mir eine angenehme Pflicht sein.«

266 Da sprang Heinz auf Biberli zu, um ihm das Schwert aus der Hand zu reißen, er aber hielt es fest und suchte mit einem flehentlich mahnenden Blicke das Auge des Herrn; – seine treue Sorge wäre aber vergebens gewesen, hätte der Mönch ihm nicht Beistand geleistet. Der Mahnung, die der Greis dem jungen Freunde zuraunte, dem kaiserlichen Herrn, dem er Großes schulde, neues schmerzliches Herzleid zu ersparen, gelang es, dem empörten jungen Ritter die Herrschaft über sich selbst zurückzugeben. Mit einer schnellen Bewegung strich er sich das volle Haar aus der Stirn und fuhr im Tone der tiefsten Mißachtung fort:

»So thut, was Ihr mögt; – doch nehmt dies mit auf den Weg: Hütet Euch, daß Ihr nicht, statt auf dem Roß, auf der Barre zu reiten kommt, bevor das Lanzenstechen beginnt. Auch die Jungfrauen, deren reinen Namen Ihr zu verunglimpfen trachtet, sind Damen, und wenn sie aufstehen, um gegen Euch zu klagen . . .«

»So trete ich mit der Wahrheit hervor,« versicherte Siebenburg, »und Damengericht und Wappenkönig sprechen eher Euch, dem schnöden Verführer, als mir, die Turnierfähigkeit ab, mein schöner Ritter!«

»Darauf mag es ankommen,« entgegnete Heinz gelassen. »Das übrige mögt Ihr mit meinem Herold besprechen. Auch Wolff Eysvogel – verlaßt Euch darauf – klopft bei Euch an, wenn Ihr Euren schnöden Willen zur That macht.«

Damit wandte er Seitz ohne Gruß den Rücken, wies dem Pater die geöffnete Thür zum Nebenzimmer, ließ ihm den Vortritt und zog sie hinter sich ins Schloß.

»Zu Dir wird er kommen, Du Prahlhans!« rief 267 Siebenburg dem Schweizer höhnisch nach und wandte sich dann an den Diener und die Magd, um in herablassendem Ton eine Frage an sie zu stellen; Biberli aber eilte, ohne auch nur die Lippen zu einer Antwort zu öffnen, dem Eingange entgegen und veranlaßte den Ritter, mit einer vielsagenden Handbewegung, sich zu entfernen.

Seitz ließ es geschehen und eilte die Treppe hinunter. Dabei leuchteten ihm die Augen, als hätte er einen großen Sieg erfochten. An der Hausthür schlug er auf den Griff des Schwertes und drehte mit schnellen Handbewegungen die Enden des Schnurrbarts. Die Ueberraschung, die er dem frechen Schweizer durch das Erscheinen der Liebesbotin – wie ein Zauber war es gewesen – bereitet, hätte nicht besser gelingen können. Und was hatte Schorlin zu seiner Rechtfertigung vorgebracht? Nichts, rein gar nichts. Wolff Eysvogels Herold sollte den Schweizer vor die Klinge fordern, nicht ihn, der dem betrogenen Bräutigam die Augen über seine Verlobte zu öffnen gedachte.

Auf das Lanzenstechen und den Schwertkampf mit Heinz freute er sich. Je schärfere Bedingungen der Herold stellte, desto besser. Gewaltigere Gegner als diesen hatte er aus dem Sattel gehoben und sich dabei aus ritterlicher »Courtoisie« nicht einmal seiner Kraft mit voller Rücksichtslosigkeit bedient. Heinz Schorlin sollte sie zu fühlen bekommen.

Wie ein Triumphator schaute er sich um, und mit selbstbewußt zurückgeworfenem Haupte schritt er die Bindergasse hinunter und diesmal an den Barfüßlern vorbei, dem Rathause und dem Fischmarkte entgegen. Dort wohnte der Schwertfeger Eber, mit dem er, so viel er ihm auch 268 schuldete, wegen der scharfen Waffen, deren er für den Tjost bedurfte, zu reden gedachte. Dabei ließ er seiner Einbildungskraft freien Lauf. Sie zeigte ihm sein ungestümes Anrennen gegen den Feind, dessen Sturz in den Sand, den Schwertkampf und das Ende des Tjost, den schnellen Tod des Verhaßten.

So tief beschäftigten ihn diese Zukunftsgemälde, daß er weder sah noch hörte, was um ihn her vorging. Mancher und manche, denen er auszuweichen vergaß, schauten sich unwillig nach ihm um. Plötzlich aber sah er sich verhindert, weiter zu schreiten. Der Ausrufer hatte eben die Stimme erhoben, um den Leuten, die ihn zwischen dem Rathause und den Barfüßlern umdrängten, etwas Wissenswertes zu verkünden. Vielleicht wäre es ihm gelungen, den Auflauf gewaltsam zu durchbrechen; als er aber den Namen »Ernst Ortlieb« aus der eintönigen Rede des Ausrufers hervorklingen hörte, folgte er seiner weiteren Meldung. Sie that den Bürgern und Bürgerinnen gemeiner Stadt zu wissen, daß aus dem Hause des ehrbaren Herrn Ernst Ortlieb vom Rate seit dem Gewitter in der letzten Nacht eine Gürtelmagd abhanden gekommen, eine Schweizerin von Geburt, Katharina von Sarnen, »Kätterle« gerufen, ein unbestraft und unbescholten Weibsbild. Wer etwas von dem Verbleib der Verschwundenen in Erfahrung bringe, der wurde ersucht, dies im Ortliebhofe zu melden.

Was hatte das zu bedeuten?

War das Mädchen schon um Mitternacht verschwunden und nicht wieder zu ihrer Herrschaft zurückgekehrt, konnte es Heinz Schorlin doch kaum als Liebesbotin der Els aufgesucht haben. War sie aber nicht im Auftrag einer 269 der E's zu dem Schweizer gekommen, welchen Beweis besaß er dann noch für die Schuld der Braut seines Schwagers? Wie würde es ihm gelingen, Wolff begreiflich zu machen, daß seine geliebte Els sich gegen ihn vergangen, wenn die Gürtelmagd bei der Beweisführung aus dem Spiel bleiben mußte. Schon gestern abend hatte er nichts weniger als fest an die Schuld des Mädchens geglaubt; heute morgen war es ihm selbst schmählich erschienen, sie vor anderen verdächtigt zu haben. Erst die Begegnung mit der Magd bei dem Schweizer hatte ihn bewogen, so herausfordernd auf seiner Beschuldigung zu bestehen . . . Und nun? – Gelang es Heinz Schorlin im Bunde mit den Ortliebs die Unschuld der Verdächtigten sicher zu beweisen, dann – es war nicht auszudenken! – dann konnte ihm auf die Klage der Dame hin die Turnierfähigkeit abgesprochen werden, – dann drohte ihm alles Schimpfliche, was dem verleumderischen Ehrabschneider angethan werden konnte, – dann zog ihn außer Heinz Schorlin auch Wolff zur Rechenschaft, derselbe Wolff, den er zu hassen begonnen, seit er ihn mit dem eisernen, unwiderstehlichen Arme zum erstenmale der Schadenfreude der Umstehenden im Fechtsaale preisgegeben hatte.

Aber das war es nicht, was ihm plötzlich das Haupt senkte und ihm mit lauter Stimme zurief, er habe wieder einmal wie ein unbesonnener Thor gegen sich selbst gewütet. Feigheit war sein geringster Fehler. Was ihm im Kampfe zustoßen konnte, fürchtete er nicht. Ob er turnierfähig bleiben würde, das war die entsetzliche Frage, die ihm den hellen Morgen, der schon dem Mittag entgegenging, verfinsterte. Er hatte Els vor anderen treuvergessen gescholten und sie, die Braut eines Ritters, 270 dadurch der tiefsten Verachtung preisgegeben. Und dann! Narr, der er war! Seine Brüder hatten wiederum einen Warenzug auf der Landstraße geworfen und würden bald als Räuber zur Rechenschaft gezogen werden. Das veranlaßte den Schweizer und andere gewiß auch, auf seine Vergangenheit zurückzuschauen, und wer »Handel und Kaufmann geschädigt,« den schloß der Wappenkönig vom Tjost und Turnier aus. Was würde sein Feind, der dem Kaiser so nahe stand, nicht aufbieten, um ihn vor aller Welt zu Grunde zu richten. Aber – und bei diesem Gedanken stieß er einen leisen Fluch aus – aber wie konnte er überhaupt zum Tjoste reiten, wenn ihm sein Schwiegervater die Kasse, die ja noch dazu leer sein sollte, verschloß? Mußte sich der Alte für zahlungsunfähig erklären, so legten seine, des Siebenburgs, Gläubiger zuerst Beschlag auf seine prächtigen Rosse und die köstlichen Rüstungen, von denen kaum die Hälfte bezahlt war. Und wie viel Geld bedurfte er für den Einsatz und das Pfand im Falle des Unterliegens! Was er noch besaß, waren Schulden. Nur – wie eine Erleuchtung erschien ihm dieser Gedanke – nur der alte, wertvolle Schmuck seiner Hausfrau war doch wohl noch zu retten, und vielleicht ließ sie sich bestimmen, ihm einen Teil des Geschmeides für das Turnier zu überlassen. Es galt nur, ihr deutlich zu machen, daß an seiner Ehre auch die der Zwillinge hing. Wollte der Himmel doch seinen Buben solche Stunden der Angst und Selbstanklage ersparen!

Aber was war das? Täuschte er sich und ließ ihn die überreizte Einbildungskraft nur ein Sterbegeläute hören, das seiner Ehre und seinen Hoffnungen galt, die er beide zu Grabe tragen sollte. Doch nein! Was auch 271 an Bürgern und Bauern, an Männern und Frauen, an Großen und Kleinen auf dem Salzmarkte, den er eben betrat, sich neben ihm hin und ihm entgegen bewegte, hob zugleich mit ihm das Haupt; denn von allen Türmen auf einmal erscholl das klagende Sterbegeläut, das der Stadt den Heimgang eines »Ehrbaren« vom Rate, eines weltlichen oder geistlichen Fürsten verkündete. Auf dem Dache des Rathauses, nach dem er sich umwandte, wehte schon die Trauerfahne, und Stadtknechte hißten eben auch andere schwarze Flaggen am Almosenamte auf, und nun zog der Hegelein im Trauerkleide auf einem von Flor umwehten Rappen anderen Reitern in Trauerkleidern voran und verkündeten der Menge, Hartmann, der blühende Sohn des Kaisers Rudolf, habe ein vorzeitiges Ende gefunden. In den Wogen des Rheins sei der edle Jüngling beim Baden ertrunken.

Da war es, als sei ein Frost auf den blühenden Garten gefallen. Wie gelähmt schien das fröhliche Treiben auf dem Markte. Das laute Schluchzen vieler Weiber mischte sich in die Rufe des Bedauerns und der Klage von bärtigen Lippen, die eben noch Salz und Fische, Fleisch und Wild mit fröhlichem Eifer zum Verkauf angeboten hatten oder zu erhandeln begehrt. Boten mit Flor an Hut oder Kappe brachen sich Bahn durch die Menge, und ein Zug von deutschen Herren, Priestern und Mönchen zog gesenkten Hauptes, mit Kerzen in der Hand, zwischen dem Rathaus und St. Sebald hindurch, dem Kornhause und der Burg entgegen.

Dazu breitete sich dunkles Gewölk langsam über die 272 lichte Bläue des Juniushimmels. Ein Dohlenschwarm umflatterte das Rathaus und flog mit lautem Gekreisch auf die Burg zu.

Gleichgiltig schaute Seitz ihnen nach. Auch der große, allmächtige Herr da oben bekam sein Kreuz zu tragen, – auch in seinem stolzen Schloß flossen Thränen, gab es schmerzliche Seufzer zu hören. So war es gerecht. Er hatte noch keinem, der ihn in Frieden gelassen, Böses gewünscht; aber wäre er auch im stande gewesen, dies tiefe Weh von Kaiser Rudolf fern zu halten, er hätte keinen Finger gerührt. Seine Krönung war ihm und den Seinen ein Schlag ins Antlitz gewesen. Straflos hatten sie vorher auf der Landstraße treiben dürfen, was ihnen beliebte; der Habsburger, der Schweizer aber war ihrem räuberischen Treiben schonungslos entgegen getreten. Jetzt sollte es erst recht angehen mit dem Richten der wegelagernden Ritter und dem Brechen ihrer Burgen.

In einen blöden Schafsstall, hatte der Absbacher gerufen, denke der Kaiser Deutschland zu verwandeln. Die Brüder Siebenburg waren seine treuen Kumpane, und obgleich sie gemeinsam klagten, das fröhliche ritterliche Waffengeklirr würde unter solchem Kaiser verstummen, sorgten doch gerade er und seine Spießgesellen dafür, daß stürmischer Fehde und Kriegslärm, Wehegeschrei und Hilferuf auf den Handelsbahnen der Kaufleute nicht zum Schweigen gelangten. Aber nicht allein darum zuckte Seitz bei den Kundgebungen des wärmsten Mitgefühls ringsum die Achseln. Heinz Schorlin stand dem Herzen des Kaisers nahe, und der Mann, der seinem Feinde so gütig gesinnt war, konnte nimmer sein Freund sein. Vielleicht schon morgen sprach Rudolf seinen Brüdern den Kopf ab und 273 erhob Schorlin zu höheren Ehren. Er, Seitz, dem die Augen übergeflossen waren, als der Türmer auf der heimischen Burg sein altes Weib, das seine Amme gewesen, verloren hatte, fand in diesem Falle keinen Grund, mit den Betrübten zu trauern.

So setzte er unter fremden Klagen und Thränen und belastet von den eigenen Sorgen den Weg fort. Im Eysvogelhofe fand er ein lebhaftes Aufundnieder der zahlreichen Dienerschaft; denn auch dorthin war die Trauerkunde schon gedrungen. Herr Kaspar hatte das Haus verlassen. Wahrscheinlich befand er sich bei Ernst Ortlieb. Wenn dieser bereits erfahren hatte, was er, Seitz Siebenburg, seiner Tochter beim Spiele nachgesagt, dann war er es vielleicht, der gegen das wankende Haus, in dem, blieb es stehen, sein Weib und die Zwillinge in jedem Falle Unterkunft gefunden hätten, den ersten entscheidenden Stoß that. Zum Schelm und zugleich zum kurzsichtigsten der Narren hatte ihn der Groll gegen den Schweizer, hatte Haß und Eifersucht ihn gemacht.

Als er sich dem oberen Stockwerke, wo die Kinderstube lag und wo er sein Weib zu finden erwartete, näherte, war es ihm plötzlich, als zeige sich ihm ein Stern in finsterer Nacht. Wenn er Isabella das Herz ausschüttete und sie teilnehmen ließ an seiner furchtbaren Seelenqual, dann erwachte vielleicht in ihr, die ihn doch liebte und die ihm teurer war als er es auszusprechen vermochte, freundliches Mitleid. Ihr Geschmeide hatte gewiß sehr hohen Wert, doch weit köstlicher erschien ihm die Hoffnung, das schwere Haupt an ihre Brust schmiegen zu dürfen, sich von ihrer schmalen weißen Hand das Haar aus der sorgenvollen Stirn streichen zu lassen. O, wenn das 274 Unglück sie ihm wieder so nahe brachte, wie sie ihm in den ersten Monden der Ehe und auch vorhin noch gestanden, dann konnte er sich kurz vor dem Verschmachten noch einmal neu gekräftigt erheben und den halbverlorenen Kampf zum Siege zu führen unternehmen. Und sie war ja auch klug und hatte Macht über die Herzen der Ihren und zeigte ihm vielleicht den Rettungsweg, den sein des Denkens ungewohnter Geist noch nicht zu finden vermochte.

Hoch klopfenden Herzens und von neuer Hoffnung belebt, betrat er den Flur, an dem das Quartier lag, das er mit ihr bewohnte. Der Wunsch, sie allein zu finden, sollte sich indes nicht erfüllen; denn verschiedene Stimmen klangen ihm von dorther entgegen.

Und was hatte das zu bedeuten?

Vor der Thür der Kinderstube stand Isabella, bleich und hochaufgerichtet, mit einem strengen, frostig kühlen Zug an den schönen Lippen, wie eine Fürstin, die einem Frevler das Urteil spricht. Sie atmete tief, und vor ihr, der Mutter und Großmutter, bewegte sich mit lebhaften Gesten der hübsche Page der Gräfin Cordula, den Siebenburg nur zu wohl kannte. Er hielt den Rosenstrauß in der Hand, den er der neugewonnenen Gattin und Herzliebsten gleichsam als Versöhnungszeichen geschickt, und Siebenburg hörte, wie er mit der hellen Knabenstimme dringlich ausrief: »Ich sagte es ja schon, und, edle Frau, Ihr dürft es mir glauben: für die Gräfin von Montfort, meine vielgnädige Herrin, war der Strauß hier bestimmt, den die Botin uns brachte. Einen schönen Morgengruß sollte sie bestellen, und – laßt es euch nicht verdrießen; denn es geschah ja nur in fröhlichem 275 Minnespiel, wie die Gewohnheit es vorschrieb. – Ehrt doch, seit wir hier sind, Euer Herr meine Gräfin Tag für Tag mit dem Allerschönsten, was in den Gärten Frankens die Knospen öffnet. Doch meine gnädige Gebieterin ist, wie Ihr schon hörtet, der Meinung, Ihr, edle Frau, hättet ein besseres Recht auf diese besonders schönen Kinder des Lenzes, als sie, die Eurem Herrn schon gestern abend ans Herz legte, in Euch, schöne Dame, das vornehmste Ziel seiner Huldigungen zu erblicken, nicht in ihr. So sandte sie mich denn aus, um Euch, Vielgnädige, was Euer ist, zu Füßen zu legen.«

Damit versuchte der geschmeidige Knabe Frau Isabella die Rosen mit einer zierlichen Verbeugung in die Hand zu spielen; sie aber begehrte des Straußes nicht. Bei der heftigen Bewegung, mit der sie ihn zurückwies, fiel er unversehens zu Boden. Ohne seiner weiter zu achten, erteilte sie dem Pagen die vornehm kühle Antwort: »Dankt Eurer Herrin und sagt ihr, ich erkennte die gute Absicht, doch wären die Rosen gar dornig, die sie verschenkt.« Damit wandte sie dem Knaben den Rücken und schritt mit stolzer Majestät auf die Thüre des Kinderzimmers zu.

Mutter und Großmutter wollten ihr folgen; Siebenburg aber drängte sich zwischen sie und sein Weib, und aus seiner Stimme klang der ganze Jammer einer von Verzweiflung ergriffenen Seele, als er ihr flehentlich zurief: »Höre mich, Isabella! Hier waltet ein unseliger Irrtum! Bei allem, was Dir und mir heilig, bei unserer Minne, bei unseren Büblein schwör' ich Dir zu: Für Dich, die Herzliebste, und ganz allein für Dich waren die Rosen bestimmt.«

276 Hier aber schnitt ihm die Großmutter das Wort ab, indem sie hell aufkichernd ausrief: »Die unreifen Frühbirnen vom Obstmarkt kommen wohl später der Hausfrau zu Händen: die Rosen fanden schneller den Weg zu der Montfort.«

An diese bitterbösen Worte schloß sich wie das Echo die weinerliche Klage Frau Rosalindes: »Nur zu wahr, gnädige Frau Mutter. Auch das noch!«

Aber der Ritter achtete nicht des empörten und scheltenden Weibes, sondern eilte der Gattin nach, um sich ihr zu Füßen zu werfen und ihr alles der Wahrheit gemäß zu bekennen; sie aber, die schon längst gehört, daß ihr Gatte der Gräfin Cordula in auffälligerer Weise huldige, als es einem redlichen Eheherrn geziemte, und nach der glückseligen Stunde von vorhin bis zum Erscheinen des Pagen den Beginn einer besseren, ihrer würdigeren Zeit erwartet hatte, fühlte sich jetzt doppelt herabgesetzt, mißhandelt, betrogen.

Ohne dem unseligen Manne auch nur einen Blick oder ein Wort zu schenken, trat sie, bevor er sie erreichte, in das Kinderzimmer zurück; er aber fühlte, daß er ihr um jeden Preis nachdringen müsse, legte die Hand an das Schloß und wollte es öffnen. Doch die starke Eichenthür widerstand seinem Ziehen und Zerren. Isabella hatte den schweren Eisenriegel geschlossen. Da pochte er erst mit dem Finger und schlug dann mit der Faust an die Thür, bis die Großmutter ihm zurief: »Das Haus habt Ihr zu Grunde gerichtet; so schont wenigstens der Thüren.«

Da begab er sich mit einem wilden Fluche in sein Gemach, steckte dort hurtig zu sich, was er an Geld und 277 an Kostbarkeiten besaß und betrat dann wiederum die Straße. Der Weg führte ihn an der Blumen-Kuni vorbei, von der er die Rosen gekauft. Die Bettlerin, die den Strauß seiner Gemahlin hatte überbringen sollen, hörte schlecht mit dem verbundenen Kopfe und war, da sie den Ritter nicht verstanden, zu dem Mädchen, bei dem sie Seitz die Rosen hatte erwerben sehen, gegangen, um es zu fragen, wohin sie gehörten; Kuni aber hatte sie in das Montfortsche Quartier gewiesen, wohin sie schon so viele Sträuße für Siebenburg gesandt. Dieser gewahrte die Blumenverkäuferin wie die Bettlerin, doch suchte er sich bei keiner Gewißheit zu verschaffen, wie die Rosen, die er seiner Gattin bestimmt, zur Gräfin Cordula geraten. Er ahnte das Rechte, doch trug er kein Verlangen, es sich bestätigen zu lassen. Das Schicksal wollte ihn vernichten; er hatte es erfahren. Welcher Mittel es sich dazu bediente, kümmerte ihn wenig. Es wäre auch thöricht gewesen, sich gegen die Uebermacht eines solchen Widersachers zu wehren. Mochte das Verderben denn seinen Gang gehen. Das Einzige, wonach ihn verlangte, war, dies Elend, wenn auch nur auf kurze Zeit, zu vergessen. Mit Hilfe des Trunks, das wußte er, konnte er dahin gelangen, und so trat er in das Weinhaus zum Spiegel und leerte dort Humpen auf Humpen mit einer Schnelligkeit, die auch den an große Leistungen seiner Gäste gewohnten Wirt veranlaßte, den Kopf auf dem überstarken Halse bedenklich hin und her zu wiegen.

Die wenigen jetzt schon anwesenden Gäste hatten sich zusammengeschart und redeten bekümmert von dem Unglück, das den Kaiser betroffen. Der Schmerz, den jeder, 278 wie Seitz meinte, heuchlerisch zur Schau trug, verdroß ihn und er blickte darum so finster und bedrohlich drein, daß keiner es wagte, ihm näher zu rücken. Bald schaute er in den Wein, bald starr vor sich hin, bald auch zu der gewölbten Decke in die Höhe. Den Wirt und den Aufwärter, die ihn anzureden versuchten, wies er barsch zurück; als sich aber die Weissagung des Bauern erfüllte, und dem Unwetter in dieser Nacht um Mittag ein nicht minder schweres folgte, stand er auf und verließ die Schenke. Der Regen lockte ihn ins Freie. Es war so schwül, so grausam schwül in der Trinkstube gewesen. Das Naß des Himmels sollte ihn erfrischen.

 

 


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