Georg Ebers
Im Schmiedefeuer
Georg Ebers

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Dreizehntes Kapitel.

Eva stand am geöffneten Fenster. Die Macht des Gewitters schien erschöpft. Das Gewölk zog nach Norden, und der Donner folgte in immer längeren Zwischenräumen dem Blitze.

Am Himmel trat Ruhe ein, in der Stadt und auf der Straße wurde es aber immer lebendiger und lauter.

So kräftig hatte sie die Sturmglocken noch nie die eherne Zunge rühren, das Blasen des Türmers noch nie mit so weit hinschallender Stärke die Luft erschüttern und Hilfe heischen hören.

Die metallenen Stimmen aus der Höhe riefen auch nicht vergebens nach Beistand; denn während ein rosenroter Schimmer die Laubkrone der Linde vor ihrem Fenster und die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite der Straße mit den Tinten des Morgenglühens färbte, wogten immer dichtere Menschenmengen vom Frauenthore her der St. Klarengasse entgegen.

Das Kloster war von ihrem Gemache aus nicht sichtbar, doch der starke Geruch des Rauches und die lauten Stimmen, die von dort her ihr Ohr erreichten, lehrten sie, daß das Feuer nicht klein war. Während sie dann die Stelle aufsuchte, von der aus Heinz den Blick zu ihrem 194 Fenster erhoben haben mußte, traten zuerst die Ortliebschen Knechte, zu denen sich auch einige Montfortsche gesellt hatten, mit Eimern und Leitern aus dem Hause.

Ihnen nach huschte eine weibliche Gestalt auf die dunkle Straße. Ein schwarzes Tuch verbarg ihr Kopf und Oberkörper, und in der Hand trug sie ein Bündel.

Das mußte Kätterle sein!

Wohin sie in dieser Stunde nur wollte? Den Löschenden konnte sie, da sie das Päcklein mit sich führte, kaum beizustehen wünschen. Ob sie sich aus Furcht vor Strafe aus dem Hause fortstahl? Armes Geschöpf! Auch die Magd sollte durch ihre Schuld ins Unglück geraten!

Das griff ihr ans Herz. Während sie aber den Namen »Kätterle!« hinunterrief, um sie zurück zu halten, zog sie etwas anderes, das sie stärker fesselte, von ihr ab; denn vom Hausthor her klang ihr die laute Stimme der Gräfin Cordula entgegen.

Mit wem sprach sie?

Wollte das Mädchen, das sich so manches herausnahm, was einer sittigen Jungfrau nicht anstand, sich auch hier den Männern gesellen? Daß sie selbst zu den Nonnen geeilt wäre, wenn der Vater sie nicht zurückgehalten hätte, vergaß sie.

Da stand die Gräfin schon auf dem Vorplatz.

Nachdem Eva ihr einen flüchtigen Blick geschenkt, schaute sie noch einmal der Gürtelmagd nach, doch sie war schon im Dunkel verschwunden. Das that ihr leid. Sie hatte etwas verabsäumt, was die Magd, der sie gut war, vielleicht von einer Unbesonnenheit zurückgehalten hätte. Während sie aber von der sonderbaren Erscheinung 195 der Gräfin angezogen worden war, hatte sie der anderen vergessen.

Cordula mochte eben das Lager verlassen haben; denn sie trug nur ein schlichtes, hoch aufgeschürztes Kleid, kurze Stiefelchen, deren sie sich sonst wohl auf der Jagd bediente, und ein auf der Brust zusammengeknüpftes Tuch. Ein anderes umwand ihr das Haupt wie den Bauerweibern, die an kalten Wintertagen ihre Ware zu Markte führen. Schlichter war kaum eine Maiersfrau gekleidet, und – Eva konnte nicht umhin es zuzugeben – etwas Vornehmes lag trotzdem in ihrer sicheren Haltung.

Der Kaplan ihres Vaters und der in seinem Dienst ergraute Stallmeister waren ihre Begleiter. Beide bemühten sich, sie zurück zu halten. Jener wies auf einen Zug Weiber, der dem Pfänder und etlichen Stadtknechten folgte und sagte, als er sich dem Vorhofe näherte, in ermahnendem Ton: »Das alles sind verworfene Dirnen, denen es in dieser Stadt obliegt, auf dem Brandplatze beim Löschen zu helfen. Wie würde es Eurer gräflichen Gnaden anstehen, sich neben dieser Schande ihres Geschlechts . . . Nein, nein! Morgen würde es heißen, unter diesen Verachteten hätte die Zierde des Montfortschen Hauses . . .«

»Hätte Gräfin Cordula die Hände beim Löschen geregt,« unterbrach ihn diese mit heiterem Selbstgefühl. »Ist das etwa ein schimpfliches Werk? Soll es mir, weil ich von vornehmer Geburt bin, versagt sein, mich zu denen zu zählen, die dem Nächsten helfen, so weit es in ihrer Kraft steht? Was hier Gutes vollbracht werden 196 soll, die beklagenswerten Weiber dort machen es durch ihre Beihilfe wahrlich nicht schlechter. Glaubt man aber hier zu Lande dennoch, daß sie es thun, so lüstet es mich doppelt, es durch meine Mitwirkung zu adeln. Mich setzt das Löschen nicht herab, die Dirnen aber macht es besser. Fort denn! Seht nur, wie die Flamme dort aufloht. Da bedarf es der Hilfe, und, gottlob, ich gehöre nicht zu den Schwachen. Und dann. Es sind Frauen, denen es hier Beistand zu leisten gilt, und dem Weibe in Gefahr ist das Weib der willkommenste Helfer!«

Da nickte der alte Stallmeister ihr mit feucht schimmernden Augen zu und trat der Gräfin voran auf die Straße; sie aber folgte ihm nicht sogleich, sondern schaute sich nach dem Pagen um, der ihr das Verbandzeug nachtragen sollte, das sie daheim unter ihren Hörigen zu brauchen gelernt. Der flinke Knabe ließ sie nicht lange warten. Während aber die Herrin prüfte, ob er nichts Wichtiges vergessen, bemerkte er Eva, deren Schönheit ihm längst das junge Herz entzündet hatte, am Fenster und schaute verliebt zu ihr hinauf. Da nahm auch Cordula sie wahr und rief ihr einen freundlichen Gruß zu; Eva aber schickte sich schon an, ihr im gleichen Tone zu danken, als ihr wieder in den Sinn kam, daß Cordula vor anderen von Heinz Schorlin geredet hatte, als sei er ihr in aller Unterthänigkeit gewärtig. Da wallte es unwillig in ihr auf, und als hätte sie den Gruß überhört, trat sie in das Zimmer zurück.

Die Gräfin nahm es wahr und zuckte bedauerlich die Achseln.

Unzufrieden mit sich selbst fuhr Eva fort, nachdem die von der Stadt herkommende Menschenmenge Cordula 197 ihren Blicken entzogen, auf die Straße zu schauen. Es schien ihr, als sollte ihr nichts mehr gelingen, was ihr selbst zur Zufriedenheit gereichte. So haltlos, so unwirsch, so leer jeden Selbstvertrauens hatte sie sich noch nie gefühlt. Wie sonst Trost bei ihrer Heiligen zu suchen, ging jetzt nicht an. Es gab da unten zu viel, was sie abzog.

Aus dem rosigen Schein an der Linde war ein roter Glanz, aus dem Schimmer an den gegenüberliegenden Wänden ein blendendes Flackern geworden. Von der St. Klarengasse aus trug der Wind, der jetzt von Westen her wehte, brennende und funkensprühende Körper – von den Flammen ergriffene Heubündel – aus dem Speicher des Klosters dem Marienturme entgegen und in die Straße. Dazu wurde es immer lauter über und hinter, vor und unter ihr. Das Geläut und Blasen von den Türmen dauerte fort, und in dies beständige Schallen, Tönen und Schmettern aus der Höhe mischten sich vom Kloster her die hohen, weithin vernehmbaren Stimmen des Nonnenchors, der in inbrünstigen Bittgesängen die Hilfe der Stifterin des Klarissinnenklosters anrief. Oft freilich wurde der Gesang von dem Lärm auf der Straße übertönt; denn die Brandherren und Viertelmeister waren zu rechter Zeit benachrichtigt worden, und Scharwächter, Söldner der Stadt, Spitalknechte, sowie die feilen Dirnen, denen das Gesetz gebot, beim Löschen zu helfen, kamen in kleinen Rotten, Büttel und Bedienstete des Rates, die zur Mithilfe verpflichteten Bader, deren wundärztliche Geschicklichkeit hier leicht Verwertung finden konnte, Herren vom Rate, Priester und Mönche einzeln daher. Auch vom Hufschlag vieler Rosse scholl die Straße wider; 198 denn erst sprengten berittene und geharnischte Reisige herbei, um die Büttel bei der Aufrechterhaltung der Ordnung zu unterstützen, dann trabte der Brunnenmeister mit seinem Oberknecht auf den schweren Pferden, die der Rat ihnen beim Brande zur Verfügung stellte, auf die St. Klarengasse zu. Ihm folgten die Müller mit messingenen Spritzen. Während ihre wohlgenährten Gäule die Last der hölzernen Wasserbottiche, deren man für die Löscharbeit bedurfte, auf Schlitten mit geringem Geräusch durch den Schmutz der vom Regen aufgeweichten Straße schleiften, gab es ein lautes Klirren und Rasseln, als die Wagen erschienen, mit denen die Fuhrleute auf der Peunt große und kleine Leitern, Haken und Hebebäume, Eimer und Fackeln auf die Brandstätte brachten.

Uebrigens wünschten außer denen, die das Gesetz dazu verpflichtete, auch viele andere den beliebten Klarissinnen Beistand zu leisten und sich damit einen Gotteslohn zu erwerben. Ein Brauer hatte seine kräftigen Hengste gestellt, um die acht Maurer, denen es oblag, beim Löschen ihre Geschicklichkeit zu bewähren, mit ihrem Handwerkzeuge an die Arbeit zu führen. Johlend und schreiend folgte ihnen allerlei Gesindel – Männer und Weiber – um beim Rettungswerk im Trüben zu fischen. Doch die Büttel behielten es scharf im Auge und schafften Platz, als der Komtur der deutschen Herren mit einigen Begleitern, denen das weiße Kreuz vom schwarzen Gewand leuchtete, hoch zu Roß erschien und endlich auch der alte Herr Berthold Vorchtel auf seinem der ganzen Stadt bekannten frommen und edlen 199 Schimmel herangetrabt kam. Immer noch hielt der Greis sich gut im Sattel, doch sein Haupt war gebeugt, und wer da wußte, daß man ihm vor nur einer Stunde die Leiche des ältesten, im Zweikampfe erschlagenen, wohlgeratenen Sohnes ins Haus gebracht hatte, der bewunderte die Willenskraft des längst ergrauten Herrn. Als erster Losunger und Obristhauptmann stand er an der Spitze des Rates und somit auch der Stadt. Die Pflicht hatte ihm geboten, das Roß zu besteigen; doch wie bleich und müde war sein sonst so lebhaftes kluges Gesicht!

Vor dem Ortliebhofe ritt der Komtur der deutschen Herren ihm an die Seite, und Eva sah, wie er ihm die Hand so warm und kräftig schüttelte, als läge ihm daran, dem Greise recht herzlich zu zeigen, wie innigen Anteil er an etwas Schwerem nahm, das ihn betroffen.

Die Vorchtels hatten aufgehört, den Ortliebs nahe zu stehen, seit Wolffs Verlobung mit Els bekannt geworden war; doch der alte Herr Berthold war, obgleich er wohl selbst in dem jungen Eysvogel den künftigen Gatten seiner »Ursel« gesehen, Eva stets freundlich begegnet, und – sie täuschte sich nicht – was ihm dort im Licht der Fackeln auf der Wange schimmerte, das waren Thränen! – Ihr Anblick griff dem Mädchen ans Herz, und wie gern hätte es erfahren, was den Vorchtels zugestoßen war und dem Greise ihr Mitgefühl zu erkennen gegeben. Was konnte ihm so Schmerzliches widerfahren sein? Erst vor wenigen Stunden war ja der Vater von dem fröhlichen Herrentrunk in seinem Hause gekommen. Die Gemahlin Herrn Bertholds, seine Tochter Ursula und einen seiner beiden kräftigen Söhne konnte es kaum getroffen haben. Vielleicht hatte der Tod ihm nur einen 200 weniger nahen, geliebten Verwandten entrissen. Doch auch das hätte sie wissen müssen; denn die Ortliebs waren mit dem alten Herrn wie mit seiner Hausfrau verschwägert.

Von einer schlimmen Ahnung beängstigt schaute Eva ihm nach und spähte dabei auch unter den Leuten auf der Straße nach Heinz Schorlin umher. Mußte die Besorgnis um sie ihn nicht hieherführen, wenn er erfuhr, wie nah von ihrem Hause es brannte?

Sobald ein Helm oder eine Rittermütze, die Menge überragend, sich zeigte, meinte sie, daß er komme. Einmal glaubte sie ihn sicher erkannt zu haben; denn nicht zu Roß, sondern zu Fuß erschien ein hochgewachsener junger Mann von ritterlicher Haltung, der gegenüber dem Ortliebhofe stehen blieb. Das mußte er sein! Als er aber zu ihrem Fenster hinauf schaute, zeigte ihr der Widerschein des Feuers, daß derjenige, dem ihr Herz so schnell entgegenschlug, wohl ein Ritter war, und zwar ein junger und schöner, doch keineswegs der, für den sie ihn gehalten. Boemund Altrosen war es, ein als Sieger in manchem Turnier wohlberufener junger Ritter, der auch bei ihrem Oheim, dem Schultheißen, als Knabe verkehrt hatte. Wegen seines kohlschwarzen welligen Haares war er nicht zu verkennen. Es hieß, daß der dunkelblaue Aermel eines Frauengewandes, den er beim Tjost an der Helmzier zu tragen pflegte, der Gräfin Montfort angehöre. Sie sei seine Dame, und für sie habe er so viele Siege erfochten.

Heinz Schorlin hatte ihn beim Tanze seinen Freund genannt und ihr gesagt, der wackere Ritter bemühe sich vergebens um die übermütige Gräfin. Jetzt schaute er 201 vielleicht um Cordulas willen so aufmerksam auf ihr Haus hin. Oder hatte Heinz, sein Freund, ihn gesandt, damit er, den der Kaiser vielleicht zurückhielt, über sie wache?

Aber nein. Eben war er dem Hause näher getreten, um einen Knecht in den Montfortschen Farben zu befragen, und jetzt veranlaßte ihn die Antwort, dem Kloster entgegen zu schreiten.

War es der Rauch, der von der Brandstätte her immer dichter in die Straße hineinquoll oder Enttäuschung und bitteres Seelenweh, was ihr das Auge mit Thränen füllte?

Auch die Gefahr, in der die Muhme Aebtissin und ihre lieben Klarissinnen schwebten, steigerte ihre peinliche Erregung. Die Nonnen selbst schienen sich zwar sicher zu fühlen; denn es ließen sich immer noch abgerissene Accorde ihres Gesanges durch das Schallen und Lärmen ringsum vernehmen; aber der Brand mußte den Löschenden doch große Schwierigkeit bereiten. Das bewies der immer gleich helle Feuerschein an der Linde und die Kommandorufe, die unverständlich, doch hörbar, jedes andere Geräusch gebieterisch übertönten.

Unten auf der Straße wurde es leerer. Was sich, um zu helfen, der nächtlichen Ruhe begeben, war schon größtenteils auf die Brandstätte gelangt. Nur vereinzelt zogen noch einige Nachzügler durch das weit geöffnete Frauenthor dem Marienturme entgegen. Unter ihnen befanden sich auch Reiter, und Eva schlug das Herz wiederum schneller; doch nur kurze Zeit; denn Heinz Schorlin war weit größer als derjenige, der sie von neuem getäuscht, und zwei berittene Fackelträger hätten ihm auch schwerlich den Weg beleuchtet. Bald flog ihr sogar ein Lächeln um die frischen Lippen; denn der kleine, starke Mann auf dem großen, starkknochigen Vinzgauer Hengste, den sie nun deutlich erkannte, war der liebste ihrer Verwandten, ihr Pate, der gute, kluge kaiserliche Schultheiß Berthold Pfinzing, der Gatte der Schwester ihres Vaters, der wackeren Muhme Christine.

Wenn er zu ihr hinaufschaute, mußte er ihr Auskunft wegen des alten Herrn Vorchtel erteilen.

Und er ritt nicht an dem Hause seiner Lieblinge vorüber, ohne den Blick zu ihrem Fenster zu erheben, und als er wahrnahm, daß Eva ihm winkte, gebot er den Knechten, zurück zu bleiben und hielt auf dem Vorplatze hinter den Ketten.

Nachdem er der Nichte einen kurzen Gruß zugerufen, und sie sich nach den Vorchtels und was sie betroffen, erkundigt, frug er besorgt: »So wißt ihr noch nichts? Und Els? Auch ihr blieb es verschwiegen?«

»Was denn, in aller Heiligen Namen?« verlangte Eva in steigender Besorgnis zu wissen.

Da gebot ihr der Schultheiß, der die Hausthür offen stehen sah, rasch zu ihm herunter zu kommen.

Bald stand Eva denn auch neben dem großen Braunen des Paten, und während sie dem prächtigen Tier den glatten Hals streichelte, sagte er schnell und mit gedämpfter Stimme: »Gut, daß es so kam. Du kannst es der Schwester allmälich beibringen, Kind. Heute nacht . . . Nimm Dich zusammen; denn es gibt Dinge zu hören, die auch einen Mann . . . Kurz denn! . . . Heute nacht geriet Wolff Eysvogel mit dem jungen Vorchtel in Händel, oder besser: Ulrich reizte euren Wolff so grausam, daß er blank zog.«

203 »Wolff!« schrie Eva, die schon die Hand von dem Pferde gelassen, angstvoll auf, »Wolff! Er ist so furchtbar stark, und wenn er im Zorne das Schwert zog . . .«

»Mit einem gewaltigen Stoße traf er den Gegner,« versetzte der kaiserliche Schultheiß mit einer bezeichnenden Geberde. »Durch und durch drang der Schwertstich. – Doch ich muß weiter . . . Nur das noch! Als Leiche brachten sie Ulrich zu den Eltern zurück. Und Wolff . . . Wo er sich verbirgt? . . . Mögen die lieben Heiligen recht lange die einzigen bleiben, denen es bewußt ist. Ein Streit mit solchem Ausgang unter den Augen des Kaisers Rudolf, jetzt, wo der Landfrieden eben erklärt ward! Wer weiß, was über ihn verhängt wird, wenn die Büttel sich diesmal findiger zeigen als sonst . . . Mein Amt zwang mich, die Meute gegen ihn loszulassen. Daher auch mein verspätetes Kommen . . . Bring es der Els so schonend bei, wie es angeht.«

Damit grüßte er ritterlich und trabte davon; Eva aber eilte, wie von Feinden verfolgt, die Treppe hinauf, warf sich vor dem Betpult auf die Kniee und schluchzte.

Gewiß hatte der junge Vorchtel von den Vorgängen im Soler erfahren, Wolff von dem nächtlichen Stelldichein seiner Braut mit einem Ritter geredet und den Zorn des starken Mannes dadurch gereizt. Wie furchtbar war das alles! Wie sollte sie es ertragen? Ihre Unbedachtsamkeit hatte ein Menschenleben, einem Elternpaar den Sohn gekostet! Durch ihre Schuld schwebte der Bräutigam der Schwester, der auch ihr lieb war, in Gefahr, dem Bann zu verfallen, vielleicht gar auf dem Richtblocke zu enden.

Auch an andere Gründe zu denken, die heißblütige 204 junge Männer veranlassen die Schwerter zu kreuzen, lag ihr fern, und fest überzeugt, daß ihr unseliges Schreiben Heinz Schorlin in ihr Haus gezogen und all dies Schreckliche verschuldet habe, rang sie vergebens nach Fassung.

Bald stellte sich ihr das Bild der verzweifelnden Els, bald das der alten in Kummer vergehenden Vorchtels, bald Wolff, der vogelfrei wie ein gehetztes Wild sich im Dickicht der Wälder verbarg, bald die Gürtelmagd, die mit ihrem Bündlein in die Nacht hinaus floh, bald das brennende Kloster und dazwischen auch Heinz Schorlin, wie er vor ihr auf den Knieen lag, und die Hände mit leidenschaftlichem Verlangen zu ihr erhob, vor das innere Auge.

Doch wie eine Sünde wies sie jetzt jeden Gedanken an ihn von sich und bezwang auch den Drang, auf die Straße und nach ihm auszuschauen. Für die Schwester, die sie ins Unglück gestürzt, und ihr armes, aus tiefen Wunden blutendes Herz, ihre Heilige und die gnadenreiche Mutter Gottes anzuflehen, war jetzt ihre einzige Pflicht; doch der Trost, den ihr sonst der bloße Aufschwung der Seele zum Gebete gewährte, blieb aus, und es konnte ja nicht anders sein; denn bei dem fortwährenden Schauen und Horchen in sich selbst hinein und um sich her, ließ sich zu keiner rechten Andacht gelangen.

Obwohl sie neue und immer neue Anläufe nahm, sich zu sammeln und unentwegt mit gefalteten Händen vor dem Betpult kniete, entging ihr doch kein Hufschlag eines Rosses, kein lauter Ruf einer Menschenstimme auf der Straße. Auch das hellere Auflohen und zeitweise Verblassen des Feuerscheins, der durch das Fenster fiel, nahm sie wahr, und das Läuten und Blasen, das nicht 205 aufhören wollte, sorgte dafür, daß die Erregung ihrer Seele nicht nachließ.

Aber das Gebet war das einzige, womit sie gut machen konnte, was sie der Schwester angethan hatte, und so ließ sie nicht ab von dem Versuche, sich für sie an die hohen Helfer über ihr zu wenden; doch es wollte und wollte nicht glücken. Aber selbst als sie ganz in der Nähe des Hauses Stimmen hörte, unter denen sie die der Gräfin Cordula und, irrte sie nicht, auch die des Vaters erkannte, widerstand sie dem Drange, sich von den Knieen zu erheben.

Endlich wurde diesem vergeblichen Ringen von außen her ein Ende bereitet. Im Soler hatte sich ein ungewöhnlich lautes Rufen und Fragen erhoben, und plötzlich öffnete sich die Thür des Gemaches, und die alte Martsche schaute zu ihr herein. Die Schaffnerin suchte hier etwas; als sie indes das fromme Kind auf den Knieen fand, wollte sie es nicht stören und begnügte sich mit dem Zeugnis ihrer Augen. Eva aber hielt sie zurück und erfuhr, daß sie nach Kätterle ausschaue, die weder auf ihrer Kammer noch sonst wo zu finden. Der Herr Vater habe die Gräfin Montfort mit Brandwunden heimgebracht, und es gäbe allerlei für die Gürtelmagd zu schaffen.

Da hielt sich Eva schaudernd an der Lehne des Pultes fest; denn die Gewißheit, daß das unglückliche Mädchen in der That die Flucht ergriffen habe, streute ihr Salz in die Wunden.

Als Martsche sie verlassen und Els zu ihr eintrat, 206 hatte die Erregung ihrer Seele solche Höhe erreicht, daß sie sich wie außer sich vor ihr niederwarf, ihre Kniee umschlang und indem sie mit leidenschaftlichem Ungestüm Selbstanklage auf Selbstanklage häufte, sie schluchzend um Vergebung anflehte und Gnade.

Els war indes schon durch den Vater von der unglückseligen That ihres Verlobten unterrichtet worden, und sobald sie wahrnahm, was die Schwester so furchtbar ängstigte und quälte, sprach sie ihr liebreich zu und befreite sie von dem Vorwurfe, auch an diesem Unheil Schuld zu tragen; denn der Zweikampf hatte so früh stattgefunden, daß noch keine Kunde von den Vorgängen im Soler zu dem jungen Vorchtel gelangt sein konnte, als er mit Wolff in Händel geriet.

Nicht nur um sie zu beruhigen, gab sie Eva die Versicherung, daß, so sehr sie auch der Tod des unglücklichen Ulrich und der Schmerz seiner Eltern bekümmere, Wolffs That weder ihre Liebe noch die Hoffnung auf seinen Besitz beeinträchtigen könnte.

Leuchtenden Auges folgte Eva dieser Versicherung. Unerschütterlich fest wie der alte Felsen ihrer heimischen Burg, der jedem Wetter trotzte und dem selbst der vernichtende und zündende Blitzstrahl nichts anhaben konnte, stand die Minne im Herzen ihrer Schwester. Das machte sie ihr doppelt lieb, und aus dumpfer Verzweiflung rang ihre zu jedem Aufschwung geneigte Seele sich schnell zu hoffnungsreicher Begeisterung in die Höhe.

Als Els sie endlich bat, ohne sie zur Ruhe zu gehen, sagte sie es willig zu; denn die Mutter befand sich leidlich und Schwester Renata wachte bei ihr.

Eva hielt auch Wort, nachdem Els, die noch nach 207 der Gräfin Montfort sehen wollte, sie über das Ergehen der Nonne beruhigt und ihr verheißen hatte, sich gleichfalls, so bald es anging, nieder zu legen.

Aus dem Verstummen der Sturmglocken ging hervor, daß das Feuer gebändigt. Auch sein Widerschein war erloschen; dafür aber begann sich draußen der Osten mit sanftem Rot zu färben.

Als die Schwester sie verlassen, zog Eva selbst die Vorhänge vor das Fenster, und der Schlaf unterbrach bald genug ihr Sinnen und Sehnen, ihr Leid und ihr Hoffen.

 

 


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