Georg Ebers
Im Schmiedefeuer
Georg Ebers

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Eine gute Weile hatte sie ins Leere geschaut und war dabei einer Reihe von freundlichen Bildern begegnet.

Heinz Schorlin fehlte in keinem. Einmal hatte sie ihm auch im Geiste nach einem großen Siege über die Ungläubigen den Kranz um den Helm gewunden.

Warum sollte dies Gesicht nicht zur Wirklichkeit werden?

Es dankte wohl einer Erinnerung die Entstehung; denn Wolff Eysvogel hatte die Minne zu ihrer Schwester ergriffen, während Els ihm den Lorbeer um die Sturmhaube schlang.

Nachdem der ehrbare Rat beschlossen, die den Geschlechtern angehörenden jungen Herren, die in der Schlacht auf dem Marchfelde mitgekämpft hatten und siegreich heimgekehrt waren, von auserwählten Jungfrauen mit einem Kranze schmücken zu lassen, hatte das Los ihre Schwester bestimmt, ihn dem jungen Eysvogel zu reichen.

Wolff war damals erst vor kurzem von der schweren Wunde genesen, die er von dem Feldzuge heimgebracht 82 hatte. Während er aber vor Els niedergekniet und sein Blick dem ihren begegnet war, hatte die Minne sich seiner so schnell und stark bemächtigt, daß er schon nach wenigen Tagen um sie zu werben beschloß. Die Seinen waren indes seiner Wahl allen Ernstes entgegen gewesen. Der Vater versicherte, er sei eins mit Berthold Vorchtel, ihn mit seiner Tochter Ursula zu vermählen, und ein Rücktritt von seiten des Sohnes stelle ihn bloß. Seine Großmutter, die alte hochmütige Gräfin Rotterbach, stimmte ihm bei und versicherte, Wolff dürfe nur eine Dame von vornehmster Herkunft oder eine Erbin wie Ursula freien; ihre Tochter, Frau Rosalinde Eysvogelin, aber war wie immer das Echo der Mutter.

Uebrigens hätte auch Herr Ernst Ortlieb seine Els weit lieber in ein anderes Haus heiraten sehen; aber Wolff selbst war ein so tadellos ehrenhafter junger Mann, und seine Erwählte so froh geneigt die Seine zu werden, daß er es für Pflicht hielt, die Abneigung zu vergessen, die ihm der Vater und das Wesen der Großmutter und Mutter des Freiers einflößten.

Was Wolff anging, so hatte er den Eltern gegenüber so fest auf seinem Willen bestanden, daß sie ihm die Annäherung an die Herzliebste endlich gestatteten; doch war von seinem Vater die Bedingung gestellt worden, die Lautmerung bei der Jugend des Paares erst zu verkündigen, nachdem Wolff aus Mailand heimgekehrt sei, wo er die in Venedig begonnene Lehrzeit zu beenden habe. Nun war zwar jedermann der Meinung gewesen, diese wäre schon längst zum Abschluß gelangt; Vater Eysvogel hielt 83 aber an seiner Forderung fest und verstand es auch später, die Verbindung des jungen Paares hinauszuschieben, bis das entschiedene Auftreten Wolffs, den er inzwischen in die Leitung des Handelshauses aufgenommen, und das Verlangen seiner eigenen greisen Mutter, einer verständigen Frau, die die Wahl des Enkels von Anfang an billigte und gegen die Herr Kaspar Rücksichten zu üben hatte, ihn zwangen, das Verlöbnis der Oeffentlichkeit zu übergeben.

Wenige Tage später war der Bruder des Herrn Kaspar und bald darauf auch die würdige alte Mutter gestorben. Da hatte er denn diesen Umstand zu einem neuen Aufschub benutzt, und versichert, daß er wie seine Hausfrau eines halben Jahres bedürften, um es über sich zu gewinnen, bei einem frohen Hochzeitsfeste die Trauer zu vergessen. Außerdem würde es ihm gefallen, wenn die Vermählung erst nach der Wahl Wolffs in den Rat stattfände, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu Walpurgis des kommenden Jahres bevorstand.

Murrend hatte Ernst Ortlieb sich in das alles gefügt. Nur aus Liebe zu seinem Kinde und aus Achtung vor der nunmehr gestorbenen Mutter des Herrn Kaspar, die Els wie eine liebe Großtochter ans Herz gezogen hatte, war es ihm geglückt, bei den Verhandlungen mit dem Manne, der ihm in der Seele zuwider, den Jähzorn zu bemeistern und ihm nicht das Jawort, das er dem Sohne so unwillig gönnte, vor die Füße zu schleudern.

Die Freunde, die ihn kannten, bewunderten die Willenskraft, mit der er in dieser Angelegenheit das rasche Wesen beherrschte.

Einige wollten wissen, geheime Verpflichtungen zwängen 84 ihn, sich dem reichen Eysvogel zu fügen; denn wenn auch das Ortliebsche Haus für vermögend galt, so erzielte es doch bei der geschäftlichen Vorsicht seines Leiters bescheidenere Gewinne, und man hatte nicht vergessen, daß es in der schrecklichen Zeit der Willkür, die der Thronbesteigung Kaiser Rudolfs vorangegangen war, schwere Verluste erlitten.

Die Unsicherheit der Straßen hatte jedem Kaufmanne Schaden zugefügt; da es aber die Fügsamkeit des Herrn Ortlieb zu erklären galt, wurde der Ueberfälle, die ihm diesen und jenen Warenzug gekostet, als besonders verhängnisvoll gedacht.

Endlich sollte die Mitgift der Els in keinem Verhältnis zu den großen Summen stehen, die Ernst Ortlieb für die Errichtung des Klarissinnenklosters gespendet, und man schloß daraus, das Vermögen des Hauses habe beträchtliche Einbuße erfahren. Dies wurde noch glaubhafter durch das zurückgezogene Leben, das die Ortliebs, deren »Hof« früher zu den gastlichsten in der Stadt gehört hatte, seit der Erkrankung der Mutter und dem Heranwachsen der weltscheuen Eva führten, und nur wenige unterzogen sich der Mühe, nach den doch so naheliegenden Ursachen dieser Aenderung zu forschen.

Dennoch wurde solcher Auffassung der Dinge auch von vielen widersprochen, ja Herr Berthold Vorchtel, vielleicht der angesehenste und vermögendste Mann in Nürnberg, der die Reichszölle gepachtet, warf, wenn auf diese Dinge die Rede kam, Bemerkungen hin, denen man, wäre es nicht so schwer glaubhaft gewesen, hätte entnehmen können, Kaspar Eysvogel sei eher dem Ernst Ortlieb, als dieser jenem verpflichtet.

85 Auf eine Begründung seiner Meinung ließ sich indes der bedächtige und wohlgesinnte Mann niemals ein; denn er sprach überhaupt von beiden Häusern, dem Eysvogelschen wie dem Ortliebschen, nur in seltenen Fällen; hatte er doch vor der Schlacht auf dem Marchfelde der Ueberzeugung gelebt, seine eigene Tochter Ursula und Wolff Eysvogel würden früher oder später ein Paar werden. Herr Kaspar, der Vater des jungen Mannes, hatte ihn, wo es nur anging, in dieser Meinung bestärkt, er selbst und seine Hausfrau schätzten Wolff, und seine »Ursel« hatte ihn deutlich genug den übrigen Freunden ihres älteren Bruders Ulrich vorgezogen.

Bei der Heimkehr waren die beiden einander wie Bruder und Schwester begegnet, und die Eltern Vorchtel hatten auf Wolffs Werbung gewartet, bis der Tag der Bekränzung sie um einen lieben Wunsch ärmer gemacht und die schönste Hoffnung ihrer Tochter Ursula vernichtet hatte.

Nun hielt zwar der würdige Kaufherr die Minne für ein schönes Ding; in Nürnberg aber war es die Sache der Eltern, für den Sohn wie für die Tochter Weib und Mann zu wählen, und nach der Hochzeit bemächtigte sich die Minne dennoch gemeinhin der Neuvermählten. Ein Verstoß gegen diesen alten Gebrauch gehörte zu den seltenen Dingen, und wenn das Herz Wolffs auch in der That für Els Ortliebin entbrannt war, hätte sein Vater dennoch – meinte Herr Vorchel – ihm die Einwilligung zu einem Verlöbnis vorenthalten sollen, zumal gerade er der Ursel schon wie der künftigen Tochter begegnet war. Es mußte darum doch wohl ein Zwang auf ihn gedrückt haben, als er dem Sohne gestattete, sich 86 eine andere als die ihm von ihm erwählte Hausfrau zu wählen.

Was aber konnte den einen Kaufherrn von dem andern abhängig machen als geschäftliche Verbindlichkeiten, und Berthold Vorchtel sah scharf und meinte auch wahrgenommen zu haben, daß der große Prunk der Eysvogelschen Frauen, die Freigebigkeit. mit der Herr Kaspar für ihre herabgekommenen gräflichen Angehörigen eintrat, und der Aufwand, den sein Schwiegersohn, der verschuldete Ritter Seitz Siebenburg, trieb, an die Einnahmen des alten Hauses zu starke Zumutungen stellte.

Jedenfalls bewies das ganze Gebaren Kaspar Eysvogels auch jetzt noch, wie ungenehm ihm die Wahl des Sohnes war. Grade ihm, dem Vater Ursulas gegenüber, deutete er auch jetzt noch bei mancher Gelegenheit an, daß er keineswegs jede Hoffnung aufgegeben habe, durch den Sohn seinem Hause näher zu treten; denn die Lautmerung sei noch keine Vermählung.

Doch Berthold Vorchtel war nicht der Mann, sich auf so zweideutige Dinge einzulassen, obgleich er deutlich genug sah, wie es mit seinem armen Kinde bestellt war. Es hatte sich keinem anvertraut, doch trotz der verschlossenen Art der Ursel konnte auch ein Fremder gewahren, daß ihr etwas die Daseinslust verkümmerte. Dazu hatte sie beharrlich die ansehnlichen Bewerber abgewiesen, die ihrer, der hübschen Tochter des reichen Herrn Berthold, begehrten und erst in der letzten Zeit den Eltern aus freien Stücken verheißen, von ihrem Widerstande gegen die Ehe zu lassen.

Der Braut Wolffs, die ihr eine der liebsten Freundinnen gewesen, war sie seit ihrer Verlobung, zum aufrichtigen 87 Bedauern der Els, mit unverkennbarer Beflissenheit aus dem Wege gegangen, und Ulrich, der ältere Sohn des Herrn Vorchtel, hielt zu der Schwester und gab Wolff, der ihm von Kind an und auch noch in der Schlacht auf dem Marchfeld ein guter Kamerad gewesen, wo es nur anging zu erkennen, daß er ihm gram sei und sein Verlöbnis mit einer andern wie seine Schwester für einen schmählichen Treubruch erachte.

Der billig gesinnte Vater sah dies Verhalten des Sohnes nicht gern; denn seine Hausfrau hatte von Ursula erkundet, Wolff habe ihr nie von Minne geredet oder ihr gar die Ehe versprochen.

Der alte Herr Berthold Vorchtel begegnete darum dem Vater der Els, wo er mit ihm zusammentraf, – und dies geschah oft auf dem Rate – mit schuldiger Achtung, und gab es einen Herrentrunk in seinem Hause, ließ er, wie in früheren Jahren, auch an ihn eine Ladung ergehen, und Ernst Ortlieb folgte ihr, wenn ihn nichts Ernstliches zurückhielt.

Dem Verhalten seiner Kinder gegenüber blieb der Vater Vorchtel indes machtlos. Dennoch ward er nicht müde, seinem Sohne vorzuhalten, wie ungerecht und gefahrvoll die Angriffe wären, mit denen er Wolff, dessen Kraft und Fechtkunst kaum ihres gleichen hatten in Nürnberg, bei jeder Gelegenheit reizte. In der That hätte dieser den früheren Freund auch schon längst vor die Klinge gefordert, wenn er sich nicht seiner Ueberlegenheit so sicher bewußt und der Gedanke ihm nicht peinlich gewesen wäre, Ursula und ihren Eltern, deren er immer noch mit freundschaftlicher Verehrung gedachte, einen neuen Kummer zu bereiten.

Eva hatte den künftigen Schwager gern, und auch 88 ihr war es nicht entgangen, daß ihn in der letzten Zeit etwas bedrückte.

Was ihm nur war?

Sinnend gab sie dem Rädchen einen Stoß, und während es sich hurtig drehte, erinnerte sie sich an den Schweizertanz von gestern abend, und plötzlich schlug sie mit der zur Faust geballten kleinen Rechten leicht in die Fläche der linken Hand.

Sie meinte die Ursache der Verstimmung Wolffs gefunden zu haben; denn greifbar deutlich sah sie den Gatten seiner Schwester Isabella, den Ritter Siebenburg, vor sich, wie er Gräfin Cordula so unbändig schwenkte, daß die im Edelsteinschmuck funkelnden Röcke ihr flogen. In dem Nebengemache des Rathaussaales hatte er vor der Gräfin auf den Knieen gelegen, und es war ihr als tauchte sein großes, ziegelrotes Gesicht mit dem langen, starken, weit in die Luft hinausragenden gelben Schnurrbarte, desgleichen nur wenige Herren seines Standes trugen, neu vor ihr auf. Wie der eines Trunkenen war der Blick seiner wasserblauen Augen gewesen, mit denen er Cordula ins Antlitz geschaut.

Heute war er ihr wieder auf die Kadolzburg gefolgt und gedachte wohl auch über Nacht dort zu bleiben. So hatte Wolff denn Grund genug, sich um die Schwester und ihren Frieden zu sorgen. Das mußte es sein!

Vielleicht kam er doch noch heute abend, um Els wenigstens von der Straße aus zu begrüßen.

Wie spät es wohl schon war?

Hastig wollte sie die Vorhänge vom Erker zurückziehen, doch das ging nicht so schnell, wie sie dachte; denn sie waren sorgfältig mit Nadeln verschlossen.

89 Das fiel ihr auf, und plötzlich erinnerte sie sich der Worte, die der Vater Els heimlich zugeflüstert hatte.

Gewiß hatten sie dem Fenster gegolten.

Vollmond stand für heute im Kalender, und sie wußte recht wohl, daß der ganz sonderbar auf sie wirkte. Schon seit dem vorigen Jahre schien er freilich seine Macht über sie verloren zu haben; früher aber war sie manchmal, besonders wenn sie sich recht eifrig frommen Uebungen ergeben hatte, ohne selbst zu wissen wie und warum, dem Lager entstiegen und nicht nur im Schlafzimmer, sondern auch im Hause umher gewandelt. Einmal hatte sie den Taubenschlag im Hofe erklettert, und ein anderesmal sich auf den Hausboden verstiegen. Dort war sie, sie wußte selbst nicht mehr wodurch, erwacht. Als sie Umschau hielt, hatte der Mond den weiten Raum erleuchtet und ihr gezeigt, daß sie auf einem der obersten Balken des Sparrenwerkes hockte, das in kunstvollem Gefüge das Hausdach trug. Unter ihr hatte ein unergründlich tiefer Abgrund gegähnt, und da sie zu ihm niederschaute, so furchtbare Angst sie befallen, daß sie in ein lautes Hilfegeschrei ausgebrochen und erst zur Ruhe gekommen war, als die alte Haushälterin Martsche erschrocken das Lager verlassen und ihr den Vater zugeführt hatte.

Mit mühevoller Vorsicht war sie dann heruntergeholt worden; und dabei hatte nur noch der weißhaarige Nickel, der alte oberste Aufläder, der manchmal einen ganzen Tag vergehen ließ, ohne die Lippen zu öffnen, Beistand leisten dürfen; denn Herrn Ernst schien viel daran zu 90 liegen, geheim bleiben zu lassen, wie der Mond auf Eva wirkte. Es hatte freilich auch etwas Unheimliches in diesem Nachtwandeln gelegen; denn noch jetzt erschien es ihr unbegreiflich, wie sie zu dem Balken, der sich in der Höhe dreier Männer über der Diele erhob, gelangt war. Ein Sturz hätte ihr das Leben gekostet, und der Vater war darum im Rechte, wenn er die Wiederholung solcher nächtlichen Ausflüge zu verhindern suchte. Els hatte ihm diesmal geholfen.

Wie treu sie doch alle für sie sorgten!

Wahrlich! Auch dem leisesten Schimmer hatten sie den Zugang versperrt. Lächelnd faßte sie die vielen Nadeln ins Auge, womit die Schwester den Vorhang geschlossen, und dabei ergriff sie ein unwiderstehlicher Drang, das wunderbare Licht wiederzusehen, das den Wuchs des Haares beförderte, wenn man es bei seiner Zunahme schnitt und das auch sonst einen so merkwürdigen Einfluß auf sie und mancherlei übte.

Sie mußte zu dem Monde hinaufschauen!

Flink und geschickt, als hülfen ihr unsichtbare Hände, öffneten ihre zierlichen Finger Vorhang und Fenster.

Tief aufatmend, mit einem Wohlgefühl, wie sie es lange nicht empfunden, schaute sie auf die mit lichtem Silberglanz übergossene Linde vor dem Hause und aufwärts zu der reinen am wolkenlosen Himmel schwebenden Scheibe des Vollmonds.

Wie schön und still diese Nacht war! Wie wonnig mußte es sein, jetzt im Garten auf und nieder zu wandeln mit der Muhme Aebtissin, mit ihrer Els, vielleicht – und sie fühlte, daß ihr dabei das Blut in die Wangen stieg, – vielleicht auch mit ihm, mit Heinz Schorlin.

91 Wo er jetzt wohl weilte?

Gewiß bei dem Kaiser und bei seinen Damen, vielleicht neben der böhmischen Königstochter, der blutjungen Herzogin Agnes, die ihm gestern so deutlich gezeigt, daß er ihr gefiel.

Doch da gab die Scharwache, die von dem Marienturm her nach dem Frauenthore hinzog, ihren schweifenden Gedanken eine neue Richtung. – Den Stadtknechten folgte bald ein Zug Reisiger, der wohl zu den Mannen des Kaisers gehörte.

Es war doch ergötzlich, zu so später Stunde auf die vom Mondlicht erhellte Straße zu schauen, und es wunderte sie, daß sie nie vorher Lust daran gefunden. Hätte Els ihr Gesellschaft geleistet, wäre es freilich noch schöner gewesen, und dazu drängte es sie, ihr mitzuteilen, welche neue Erklärung sie für Wolffs verändertes Wesen gefunden.

Vielleicht schlief die Mutter schon, und sie konnte ihr folgen.

Wie still es im Hause war!

Behutsam öffnete sie die Thüre des Krankenzimmers und schaute hinein. Da stand Els am Hauptende des Lagers und richtete die Mutter mit den jungen kräftigen Armen auf, während Schwester Renata die Kissen zwischen den Rücken der Leidenden und die Bettlehne schob.

Gewiß hatte die Mutter die alte Atemnot wieder befallen.

Ja, ja! Das matte Licht der Ampel schien ihr in das bleiche Antlitz, und schmerzlich bittend schaute sie mit den großen eingefallenen Augen nach dem Gnadenbilde an der Wand ihr gegenüber.

92 Wie gern hätte Eva ihr Erleichterung geschafft! Mit leisem Neid blickte sie auf die Schwester, deren geschickte pflegsame Hände der teuren Frau alles zu dank machten, während sie bei der Wartung nur zu oft das Rechte verfehlte. Aber beten, ihre Heilige recht inbrünstig anflehen konnte sie; ja sie war ihr vertrauter und durfte hoffen, daß sie ihr eher einen rechten Herzenswunsch erfüllte als der Schwester.

Els ans Fenster zu rufen ging jetzt nicht an.

Leise schloß sie die Thür, kehrte in ihr Gemach zurück, kniete vor dem Betstuhle nieder und legte dort mit aller Inbrunst der heiligen Klara ans Herz, der Mutter eine gute Nacht zu schenken. Dann zog sie die Vorhänge wieder recht fest vor das Fenster und schickte sich an, zur Ruhe zu gehen und Kätterle zu rufen, damit sie ihr dabei helfe.

Aber die Gürtelmagd trat eben schon von selbst mit frischem Wasser herein.

Was sie nur hatte?

Die Hand zitterte ihr, während sie der jungen Herrin das Haar strählte, und bisweilen ließ sie den Kamm leise aufseufzend ruhen.

Daß sie nicht sprach, war erklärlich; denn Eva hatte dem Kätterle, wenn es sie bei stillem Denken gestört, oft das Plaudern verboten. – Aber das Mädchen mußte etwas Besonderes auf der Seele haben; denn als Eva schon das Lager bestiegen hatte, konnte es sich nicht entschließen, das Gemach zu verlassen, sondern blieb verlegen an der Schwelle stehen.

Da sprach Eva ihr Mut zu, und nun stammelte die Magd so befangen, daß ihr das Wort oft versagte, und 93 die Bänder, an denen sie zupfte, Gefahr liefen, von der weißen Schürze zu reißen, sie komme nicht in eigener Sache, sondern in der eines andern. Es sei ja im Hause bekannt, daß ihr Verlobter, der treue und standhafte Walther Biberli, einem frommen Ritter, ihrem Landsmanne, diene.

»Ich weiß es,« fiel ihr Eva mit scheinbarer Gelassenheit ins Wort. »Und Dein Biberli trägt Dir auf, mir den ehrerbietigen Gruß des Ritters Heinz Schorlin zu entbieten.«

Ueberrascht schaute die Magd auf die junge Herrin. Sie war auf eine strenge Abweisung gefaßt gewesen, und nur unter Thränen und mit großer Angst hatte Kätterle den Bitten des Herzliebsten nachgegeben, diesen Botendienst zu übernehmen; denn wurde ihre Zwischenträgerei verraten, so verlor sie mit Schimpf und Schande den Dienst, der ihr lieb war. Aber Biberlis Macht über sie und ihr Vertrauen auf ihn waren so groß, daß sie ihm in die Höhle eines Löwen gefolgt wäre, und sehr viel rätlicher war es ihr kaum erschienen, der frommen, den Mannsbildern abholden Jungfrau, die so jäh wie der Vater aufbrausen konnte, eine Liebesbotschaft zu überbringen.

Und nun!

Eva hatte gar eine solche erwartet.

Wie ein Wunder wollte es ihr erscheinen.

Aufatmend und mit einem schnellen Dank an ihre Heilige, begann sie sogleich die Tugend und Frömmigkeit des Dieners wie des Herrn zu preisen; Eva aber schnitt ihr abermals das Wort ab und verlangte kurz zu wissen, was Ritter Schorlin von ihr begehre.

94 Da wiederholte Kätterle mit neu erwachter Sicherheit, und als handle es sich um ein billiges Verlangen, was Biberli ihr eingeprägt hatte:

»Kraft des Rechtes eines jeden guten und frommen Ritters, seine Dame um ihre Farbe zu fragen, stellt der Ritter Schorlin an Euch, Jungfrau Eva, in aller Bescheidenheit das demütige Gesuch, ihm die Eure zu nennen; denn wie könnte er vor Euch und vor der gesamten Ritterschaft bestehen, wenn es ihm versagt bliebe, sie im Streit wie im Frieden zu Eurer Ehre . . .«

Aber wieder unterbrach sie die Herrin mit einem bestimmten: »Ich weiß,« und neu ermutigt führte Kätterle die Lektion des früheren Schulmeisters zu Ende, indem sie fortfuhr:

»Hier unter dem Fenster, sagt mein Verlobter, gedenke sein Herr in aller Ehrfurcht, müßte es sein bis zum Morgen, zu verziehen, bis Ihr ihm das holde Angesicht zeigtet . . . Nein – unterbrecht mich noch nicht, Jungfrau Eva; denn Ihr müßt wissen, daß die Frau Mutter des Ritters Heinz meinen Biberli dem lieben Sohne mitgab, auf daß er seiner warte und ihn vor Schaden und Siechtum behüte. Nun aber wankt sein Herr, seit er Euch begegnete, umher, wie von einem Lanzenwurf getroffen, und weil der Ritter dazu dem treuen Knechte bekannte, kein Arzt könnte ihm helfen, bis Ihr ihm nicht vergönntet, Euch, wo auch immer, das Herz zu eröffnen und Euch zu zeigen, mit wie demütig frommer Ergebung . . .«

Hier aber wurde die Magd in anderer Weise unterbrochen, als sie erwartet; denn Eva hatte sich in den Kissen aufgerichtet und rief, vor lebhaftem Unwillen der Stimme kaum mächtig:

95 »Der Herr, der sich vermißt, durch den Diener . . . Und mit welchem Rechte darf der Ritter sich kecklich . . . Aber nein! Wer weiß, welch bescheidener Wunsch sich in euerem Munde zu einer so unerhörten Forderung verkehrte . . . Mein Antlitz will er sehen? Mir selbst, ich weiß nicht was zu bekennen, verlangt ihn? Du, Du, Kätterle, die Magd, von Dir erwartet der Ritter . . .«

Hier schlug sie mit der kleinen Hand unwillig auf das Holz des Lagers und fuhr mit fliegendem Atem fort:

»Man wird ihm zeigen! . . . Doch nein! Was ich ihm zu antworten habe, das soll kein anderer . . . Durch mich selbst, durch mich allein, mag er ungesäumt erfahren . . . In der Truhe dort, ganz oben, liegt das Papier. Bring es her samt dem Schreibzeug!«

Schweigend beeilte sich die Magd diesem Befehle zu gehorchen; Eva aber preßte die Hand auf die hochwogende Brust und sah ernst sinnend vor sich hin.

Der Knecht und die Magd, die Heinz Schorlin mit einem Botendienste betraut hatte, konnten ja nicht wissen, was sie mit ihm verband; hatte doch sogar ihre eigene Schwester es mißverstanden. Jetzt sollte er erfahren, daß Eva Ortliebin wohl bewußt sei, was ihr geziemte! Aber auch sie verlangte es nach einer neuen Zusammenkunft mit ihm, und sein Verhalten machte eine solche notwendig.

Je eher es zur Aussprache kam zwischen ihnen beiden, um so besser! Getrost durfte sie auch wagen, ihn zu der Begegnung, die ihr im Sinne lag, zu laden; hatte die Muhme Aebtissin ihr doch verheißen, ihr zur Seite zu stehen, wenn sie ihrer im Verkehre mit dem Ritter bedurfte.

96 Aber ihre Farbe?

Kätterle hatte ihr längst das Schreibzeug gereicht und das Papier vor ihr niedergelegt, als sie noch immer überlegte.

Endlich griff sie mit einem zufriedenen Lächeln zur Feder. Die Art und Weise, mit der sie ihm die Farbe zu nennen gedachte, sollte ihm zeigen, wie es mit dem Bande bestellt, das sie vereinte.

Der Feder war sie vollkommen mächtig; denn im Kloster hatte sie die Evangelien, die Psalmen und anderes abgeschrieben. Dennoch zitterte ihr die Hand, während sie die folgenden Zeilen dem Papier anvertraute:

»Daß Ihr, ein frommer Ritter, der die Ehrfurcht doch kennt, die einer Dame geziemt, Euch erkühnt, vor meinem väterlichen Hause meines Grußes zu warten, verdrießt mich, ja gereicht mir zum Kummer. Auch werdet Ihr meiner vergeblich warten. Seid Ihr ein rechter Ritter, so muß Euch bewußt sein, daß Ihr mir freiwillig verhießet, jedem Winke meiner Augen fröhlich zu gehorchen. Auf diese Verheißung darf ich bauen, und da ich es nötig finde, mit Euch zu reden, lade ich Euch ein zu einem Gespräche. Wann und wo soll meine Gürtelmagd Eurem Herrenknechte, der ihr verlobt ist, melden. Eine Freundin wird mir zur Seite stehen, der Euer Heil am Herzen liegt wie das meine. Es soll bald geschehen, wenn die heilige Klara es gestattet, die auf Euch, da Ihr sie zu Eurer Patronin erkoret, niederschaut wie auf mich.

»Was meine Farbe angeht, so weiß ich Euch keine zu nennen, weil der Tand mir fremd ist, der sich mit weltlicher Minne verbindet. Das Blau aber ist die Farbe 97 des reinen Himmels und seiner hohen Königin, der gnadenreichen Jungfrau. Wenn Ihr diese Farbe zu der Euren macht und für sie streitet, so wird es mich freuen, und gern bin ich bereit, sie die meine zu nennen.«

Unter dies Brieflein setzte sie nur ihren Vornamen »Eva«, und als sie es durchlas, fand sie, daß es alles in ziemlicher und zutreffender Form enthielt, was sie dem Ritter zu sagen begehrte.

Während sie das Papier zusammenrollte und überlegte, womit sie es, da kein Wachs zur Hand war, schließen könnte, gedachte sie der Bändchen, mit denen Els die feinen Hals- und Brusttücher, die aus der Wäsche kamen, nach halben Dutzenden zusammenband. Sie waren himmelblau, und etwas Passenderes für diesen Zweck ließ sich nicht denken.

Kätterle nahm denn auch das nächste aus der Truhe. Eva schlang es mit fliegenden Fingern um das Röllchen, und die Magd entfernte sich schnell, der Erkenntlichkeit des treuen und standhaften Biberli versichert.

Als Eva wieder allein war, meinte sie erst, ihrer raschen That froh sein zu dürfen; als sie sich aber frug, was Els wohl zu ihr sagen würde, und mit voller Gewißheit fühlte, sie würde sie mißbilligen, ward sie stutzig und begann sich zu vergegenwärtigen, welche Folge sie nach sich ziehen konnte.

Der Rat, den der Vater neulich Wolff erteilt hatte, nichts Geschriebenes von Wichtigkeit aus der Hand zu geben, bevor nicht eine Nacht darüber verronnen, kam ihr in den Sinn, und von nun an bedrückte ihr das leichte Brieflein wie eine Zentnerlast die Seele.

98 Am liebsten wäre sie aufgesprungen, um es zurück zu verlangen.

Dazu zog es sie mächtig ans Fenster, um sich zu überzeugen, ob Heinz Schorlin wirklich gekommen sei, und ihres Grußes harrte.

Kätterle hatte das Schreiben vielleicht noch nicht aus der Hand gegeben. Wenn sie nun noch vor der Hausthür stand, um Biberli zu erwarten? Blickte sie nur ins Freie, um sich ganz vorsichtig Gewißheit zu verschaffen, so war das kein Ausschauen nach dem Ritter, und diese Entschuldigung machte sie sich ungesäumt zu nutze.

Im Nu sprang sie aus dem Bette und öffnete leise den Vorhang. Die Straße war ganz still. Die Linde und die Häuser in der Nähe warfen dunkle, scharf umrissene Schatten auf das helle Pflaster, und aus dem Klostergarten scholl das Flöten einer Nachtigall durch die in Licht gebadete, ruhende Straße.

Kätterle hatte den Brief doch wohl schon Heinz Schorlin übergeben. Als ein seiner Dame gehorsamer Ritter war er gegangen. Das beschwichtigte ihre Besorgnis, und aufatmend bestieg sie von neuem das Lager.

Der Drang, auf die Straße zu schauen, war indes so stark, daß sie ihm noch einmal unterlag. Bevor sie aber bis zum Fenster gelangt war, nahm sie die starke Willenskraft zusammen, die ihr eigen, und legte sich wieder nieder. Dann schloß sie mit dem festen Vorsatz, nichts mehr zu sehen und zu hören, die Lider, und da sie in der vergangenen Nacht kein Auge zugethan und auch in der vorletzten aus Furcht vor dem Tanzfeste nur wenig geschlafen, geriet sie, obwohl das Mondlicht immer noch durch die offenen Vorhänge schimmerte, sehr bald in einen Zustand, 99 der die Mitte hielt zwischen Wachen und Schlummer. Wohl lähmte ihr schon die Macht der Müdigkeit die Selbstbestimmung; es war ihr aber dennoch als hörte sie draußen auf dem Pflaster bald Schritte, bald tiefe Männerstimmen.

Und was sie da im Halbschlummer, dem übrigens der feste Schlaf der Jugend bald genug folgte, vernahm das war keine bloße Täuschung der Sinne.

 

 


 << zurück weiter >>