Georg Ebers
Eine ägyptische Königstochter Bd. I
Georg Ebers

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Neuntes Kapitel.

Am Morgen des Tages, welcher der Bogenprobe folgte, war Kambyses von einem so heftigen Anfalle seiner Krankheit befallen worden, daß er achtundvierzig Stunden lang, krank an Geist und Körper, das Zimmer hüten mußte und bald vollkommen entkräftet niedersank, bald wie ein Rasender tobte.

Als er am dritten Tage sein klares Bewußtsein wieder erlangte, gedachte er jenes schrecklichen Auftrages, den Prexaspes jetzt schon ausgeführt haben konnte. Er zitterte vor dieser Möglichkeit, wie er nie vorher gezittert hatte, ließ zuerst den ältesten Sohn des Botschafters, der die Ehrenstelle seines Schenken bekleidete, kommen und erfuhr von ihm, daß sein Vater, ohne Abschied zu nehmen, Memphis verlassen habe. Dann berief er Darius, Zopyrus und Gyges, von denen er wußte, daß sie Bartja am innigsten liebten, und fragte sie, wie sich ihr Freund befinde. Nachdem er vernommen hatte, daß er sich zu Sais aufhalte, sandte er die Jünglinge sogleich dorthin und trug ihnen auf, Prexaspes, wenn sie ihm begegnen sollten, ungesäumt nach Memphis zurückzuschicken. Die jungen Achämeniden konnten sich das sonderbare Benehmen und die Hast des Königs nicht erklären; machten sich aber schnell auf den Weg, weil ihnen nichts Gutes ahnte.

Indessen konnte Kambyses keine Ruhe finden, verwünschte im Stillen seine Trunkenheit und rührte während dieses ganzen Tages keinen Wein an. Als er im Garten des Pharaonenpalastes seiner Mutter begegnete, wich er ihr aus, weil er fühlte, daß er ihren Blick nicht ertragen würde.

Auch die folgenden acht Tage vergingen, ohne Prexaspes zu bringen, und erschienen ihm so lang wie ein Jahr. Hundertmal ließ er den Mundschenken kommen und fragte ihn, ob sein Vater noch nicht heimgekehrt sei; hundertmal erhielt er eine verneinende Antwort.

Als sich die Sonne des dreizehnten Tages zum Untergange neigte, ließ ihn Kassandane bitten, daß er sie besuchen möge. Nun begab er sich sogleich in ihre Gemächer, denn er sehnte sich jetzt darnach, das Angesicht seiner Mutter zu schauen. Ihm war, als müßte ihm sein Anblick den verlorenen Schlaf wiedergeben.

Nachdem er die Greisin mit einer Zärtlichkeit, welche sie um so mehr überraschte, je weniger sie von seiner Seite an derartige Kundgebungen gewöhnt war, begrüßt hatte, fragte er nach ihrem Begehren und erfuhr, daß Bartja's Gattin unter seltsamen Umständen bei ihr eingetroffen wäre und den Wunsch ausgesprochen habe, ihm ein Geschenk zu überreichen. Ohne Säumen ließ er sie kommen und erfuhr von ihr, daß Prexaspes ihrem Gatten einen Befehl, nach Arabien zu reisen, überbracht, ihr selbst aber, in Kassandane's Namen, nach Memphis zu kommen befohlen habe. Der König erbleichte bei dieser Mittheilung und sah das holde Weib seines Bruders mit schmerzlich bewegten Blicken an. Die junge Griechin fühlte, daß in dem Könige etwas Befremdliches vorgehe, und konnte, von schrecklichen Ahnungen geängstigt, ihm nur mit zitternden Händen das Geschenk, welches sie mitgebracht hatte, überreichen.

»Mein Gatte sendet Dir dies!« sagte sie, indem sie auf das in einer kunstreich gearbeiteten Kiste verborgene Wachsbild der Nitetis deutete. – Rhodopis hatte ihr gerathen, gerade dies Geschenk, gleichsam als Gabe der Versöhnung, in Bartja's Namen dem Zürnenden darzubringen.

Kambyses übergab die Kiste, deren Inhalt seine Neugier nur wenig zu erregen schien, einem Eunuchen, rief seiner Schwägerin einige Worte zu, die wie Dank klingen sollten, und verließ gleich darauf das Haus der Weiber, ohne sich nach Atossa, die er ganz vergessen zu haben schien, zu erkundigen.

Er war der Meinung gewesen, dieser Besuch würde ihm wohlthun und ihn beruhigen, Sappho's Mittheilung hatte ihm aber die letzte Hoffnung, und somit auch den letzten Theil seiner Ruhe geraubt. Prexaspes mußte den Mord schon begangen haben, oder konnte doch in jedem Augenblicke, vielleicht gerade jetzt, den Dolch erheben, um ihn in die Brust des Jünglings zu stoßen. Wie sollte er nach Bartja's Tode seiner Mutter gegenübertreten? Was sollte er ihr und den Fragen jenes holden Weibes, welches ihn so ängstlich und rührend mit den großen Augen angeblickt hatte, erwidern?

Kalte Schauer überfielen ihn, als ihm eine innere Stimme zurief, daß der Mord seines Bruders eine Handlung der Feigheit, der Furcht, der Unnatur und Ungerechtigkeit genannt werden würde. Der Gedanke, ein Meuchelmörder zu sein, schien ihm unerträglich. Ohne Gewissensbisse hatte er schon so manchem Manne den Tod gegeben. aber entweder im ehrlichen Kampfe, oder im Angesicht aller Welt. Er war ja König, und was er that, war gut. Wenn er Bartja mit eigener Hand erschlagen hätte, so würde er mit seinem Gewissen fertig geworden sein; nun er ihn aber heimlich aus dem Wege zu räumen, ihn, nachdem er viele des höchsten Ruhmes würdige Proben männlicher Trefflichkeit abgelegt, zu meucheln befohlen hatte, überkam ihn eine folternde, seinem Herzen bis dahin fremde, mit Ingrimm gegen seine eigene Ruchlosigkeit gepaarte Scham und Reue. Er begann sich selbst zu verachten. Das Bewußtsein, nur Gerechtes gewollt und gethan zu haben, verließ ihn, und er meinte jetzt, daß all' die auf sein Geheiß getödteten Menschen, wie Bartja, unschuldige Opfer seiner Wuth gewesen wären. Um diese Gedanken, welche immer unerträglicher wurden, zu betäuben, griff er von neuem nach dem berauschenden Saft der Rebe. Diesmal verwandelte sich aber der Sorgenbrecher in einen Qualenbringer für Leib und Seele. Sein vom Trunk und der fallenden Sucht zerrütteter Körper schien jetzt den mannigfaltigen grausamen Erregungen der letzten Monde erliegen zu wollen. Endlich fühlte er sich, bald frierend, bald glühend, gezwungen, sein Lager aufzusuchen. – Während man ihn auskleidete, fiel ihm das Geschenk seines Bruders ein. Augenblicklich ließ er die Kiste holen und eröffnen, befahl den Auskleidern, ihn allein zu lassen, und konnte sich nicht enthalten, beim Anblicke der ägyptischen Malerei, welche den Kasten bedeckte, an Nitetis zu denken und sich zu fragen, was wohl die Verstorbene über seine jüngst vollbrachte That gesagt haben würde. Fiebernd und verworrenen Geistes beugte er sich endlich über die Kiste, entnahm ihr das aus Wachs gebildete schöne Haupt, und starrte mit Entsetzen in die glanzlosen unbeweglichen Augen des Bildwerks. Die Aehnlichkeit war so täuschend, und seine Urtheilskraft durch den Wein und das Fieber so geschwächt, daß er von einem Zauber befangen zu sein glaubte. Dennoch vermochte er nicht, seinen Blick von den theuren Zügen abzuwenden. Plötzlich kam es ihm vor, als wenn das Bildwerk seine Augen bewege. Da faßte ihn ein jähes Entsetzen. Krampfhaft schleuderte er das lebendig gewordene Bild an die Wand, so daß die hohle, spröde Wachsmasse in tausend Stücke zersplitterte, und sank stöhnend auf sein Lager zurück. – Von nun an wurde das Fieber immer heftiger. Der Unglückliche glaubte, in wirren Phantasieen, zuerst den verbannten Phanes zu sehen, der ein griechisches Schelmenliedchen sang und ihn so schändlich verhöhnte, daß sich seine Faust vor Ingrimm ballte. Dann sah er Krösus, seinen Freund und Berather. Derselbe drohte ihm und rief ihm jene Worte abermals zu, mit denen er ihn, als er Bartja um Nitetis willen hinrichten lassen wollte, gewarnt hatte: »Hüte Dich, brüderliches Blut zu vergießen, denn wisse, daß seine Dämpfe aufsteigen zum Himmel und zu Wolken werden, welche die Tage des Mörders verfinstern und endlich einen Blitz der Rache auf ihn hernieder schleudern!«

Und in seiner Phantasie gestaltete sich dieses Bild zur Wirklichkeit. Er wähnte, daß ein blutiger Regen aus finsteren Wolken auf ihn herniederströme und mit seinem widrigen Naß seine Kleider und Hände befeuchte. Als derselbe endlich aufgehört hatte, und er sich, um sich zu reinigen, dem Ufer des Nils näherte, trat ihm Nitetis mit süßem Lächeln, wie sie Theodorus dargestellt hatte, entgegen. Bezaubert von der lieblichen Erscheinung, warf er sich vor ihr nieder und faßte ihre Hand. Kaum hatte er sie berührt, als sich an jeder ihrer zarten Fingerspitzen ein Blutstropfen zeigte, und sie ihm mit allen Zeichen des Abscheus den Rücken kehrte. Jetzt flehte Kambyses die Erscheinung demüthig an, ihm zu vergeben und zu ihm zurückzukehren; sie aber blieb unerbittlich. Da ergrimmte er und drohte ihr erst mit seinem Zorne, dann mit furchtbaren Strafen, und vermaß sich endlich, als Nitetis seine Worte mit leisem Hohngelächter beantwortete, seinen Dolch nach ihr zu werfen. Da zerstob sie in tausend Stücke, wie das wächserne Bildwerk an der Wand zersprungen war; – das Hohngelächter tönte aber fort und wurde lauter und lauter, und viele Stimmen mischten sich in dasselbe und suchten sich einander in Spott und Hohn zu überbieten. Und Bartja's und Nitetis' Stimmen klangen am erkennbarsten an sein Ohr und schienen ihn am bittersten zu höhnen, und endlich vermochte er diese furchtbaren Töne nicht länger zu ertragen und hielt sich die Ohren zu und vergrub, als auch dies nichts helfen wollte, seinen Kopf in brennend heißen Wüstensand und dann in den eisig kalten Nil und wieder in die Gluth und wieder in das frostige Naß, bis seine Sinne schwanden. Als er endlich erwachte, konnte er sich nicht mehr in der Wirklichkeit zurecht finden. Er hatte sich Abends niedergelegt und sah jetzt an der Sonne, welche sein Lager mit ihren letzten Strahlen vergoldete, daß es nicht, wie er erwarten mußte, tage, sondern vielmehr dunkle. Er konnte sich nicht täuschen, denn jetzt vernahm er den singenden Priesterchor, der dem scheidenden Mithra die letzten Grüße zuwarf.

Nun hörte er auch, wie sich hinter einem Vorhange, den man zu Häupten seines Lagers angebracht hatte, viele Menschen regten. Er wollte sich umwenden, fühlte aber bald, daß ihm dies aus Kraftlosigkeit unmöglich sei. Endlich rief er, nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, den Traum von der Wirklichkeit und die Wirklichkeit vom Traume zu sondern, seinen Ankleidern und den anderen Höflingen, welche zugegen zu sein pflegten, wenn er sich vom Lager erhob. Sofort traten nicht nur diese, sondern auch seine Mutter, Prexaspes, mehrere gelehrte Magier und einige ihm unbekannte Aegypter vor ihn hin und erzählten ihm, daß er Wochen lang von einem hitzigen Fieber heimgesucht und nur durch die besondere Huld der Götter, die Kunst der Aerzte und die unverdrossene Pflege seiner Mutter vom Tode errettet worden wäre. Nun blickte er erst Kassandane, dann Prexaspes fragend an und verlor wiederum die Besinnung, um am andern Morgen, nach einem gesunden Schlafe, mit neuen Kräften zu erwachen.

Vier Tage später war er stark genug, in einem Lehnsessel sitzen und Prexaspes nach dem einzigen Gegenstande, der seinen Geist beschäftigte, fragen zu können.

Der Botschafter wollte im Hinblick auf die Schwäche seines Gebieters ausweichend antworten; als dieser aber seine abgemagerte Hand drohend emporhob und ihn mit dem noch immer furchtbaren Blicke seines Auges anschaute, zögerte Prexaspes nicht länger und sagte, in der Meinung, Kambyses eine hohe Genugthuung zu verschaffen: »Freue Dich, mein Herrscher! Der Jüngling, welcher sich unterfing, Deinen Ruhm schmälern zu wollen, ist nicht mehr. Diese Hand erschlug ihn und begrub seine Leiche bei Baal Zephon. Niemand hat meine That gesehen, außer dem Sande der Wüste und den unfruchtbaren Wogen des rothen Meeres(Anm. 153) Herod. III. 30 sagt, Einige wollten wissen, daß Bartja, nachdem Prexaspes ihn zum rothen Meere geführt (ες τὴν ’Ερυθρὴν θάλασσαν . . προσαγαγόντα), dort von ihm ermordet worden sei. Es ist möglich, aber keineswegs gewiß, daß Herodot an dieser Stelle den persischen Meerbusen meinte.; niemand weiß um sie, außer Dir und mir und den Möven und Seeraben, die sein Grab umkreisen!«

Ein gellender Schrei der Wuth entfuhr den Lippen des Königs, der, von neuen Fieberschauern ergriffen, neue Phantasieen ausstoßend, zusammensank.

Nun vergingen lange Wochen, in denen jeder Tag das Ende des Königs zu bringen drohte. Endlich besiegte sein starker Leib den gefahrvollen Rückfall; die Kräfte seines Geistes hatten aber den Dämonen des Fiebers nicht zu widerstehen vermocht und blieben zerrüttet und geschwächt bis zu seiner letzten Stunde.

Als er das Krankenzimmer verlassen durfte und von neuem Reiten und den Bogen spannen konnte, gab er sich dem Genuß des Weines zügelloser hin, als vorher, und verlor auch den letzten Rest der Fähigkeit, sich selbst zu beherrschen.

Außerdem hatte sich in seinem zerrütteten Geiste der Wahn festgesetzt, Bartja sei nicht todt, sondern in den Bogen des Königs der Aethiopen verwandelt worden und der FeruerSiehe II. Theil Anmerkung 56. seines verstorbenen Vaters habe ihm befohlen, ihm durch die Besiegung des schwarzen Volkes seine frühere Gestalt wieder zu geben.

Dieser Gedanke, den er jedem Einzelnen in seiner Umgebung, gleich einem großen Geheimnisse, anvertraute, verfolgte ihn Tag und Nacht und ließ ihn nicht ruhen, bis er mit einem großen Heere nach Äthiopien aufgebrochen war. Aber er mußte unverrichteter Sache heimkehren, nachdem der größte Theil der Armee durch Hitze und Mangel an Speise und Trank einen kläglichen Untergang gefunden hatte. Ein Schriftsteller, der beinahe zu seinen Zeitgenossen gehört, erzählt(Anm. 154) Herodot besuchte Aegypten einige 60 Jahre nach dem Tode des Kambyses, 454 v. Chr. Er beschreibt den Zug nach Aethiopien III. 25., daß die unglücklichen Soldaten sich, nachdem der Mundvorrath ausgegangen war, so lange es ging, von Kräutern genährt hätten; als aber in der Sandwüste jede Vegetation aufhörte, sollen sie, von verzweifelter Noth getrieben, ihre Zuflucht zu einem Auskunftsmittel genommen haben, welches die Feder zu berichten sich sträubt. Je zehn Soldaten loosten nämlich mit einander und verzehrten Denjenigen, welcher den unglücklichen Treffer gezogen hatte.

Nun zwang man endlich den Wahnsinnigen, heimzukehren, um ihm, nachdem man wiederum zu bewohnten Gegenden gelangt war, nach asiatischer Sklavenart, trotz seines zerrütteten Geistes, von neuem blindlings zu gehorchen.

Als er mit den Trümmern des Heeres in Memphis einzog, hatten die Aegypter einen neuen ApisSiehe III. Theil Anmerkung 129. gefunden und feierten dem in dem heiligen Stiere verborgenen, neu erschienenen Gotte in herrlichen Kleidern ein großes Freudenfest.

Da Kambyses schon zu Theben erfahren hatte, daß sein gegen die Oase des Ammon(Anm. 155) Auf dieser Oase befand sich jenes Orakel des Gottes Ammon, welches durch den Ausspruch, Alexander sei ein Sohn der Gottheit, so hoch berühmt wurde. Curtius IV. 7. Uebrigens hatte schon Krösus dieses Orakel beschickt. Herod. I. 46. Ueber die Art des Spruchs Jamblichus de Myst. 3. Tacit. hist. IV. 83. Näheres über jene wundersame Oase, welche heute Siwah heißt, bei Minutoli, Reise zum Tempel des Jupiter Ammon &c. und besonders bei Parthey, Zur Erdkunde des alten Aegyptens. Berlin 1859. Auch bei Brugsch, Geographische Inschriften. Populär beschrieben von G. Rasch und jüngst von G. Rohlfs. Abulfeda nennt sie Vach oder el Vach, eine arabische Umschreibung des koptischen uahe, die Oase. Abulfedae descript. Aegypt. 1746., in der libyschen Wüste, geschicktes Heer durch den Wüstenwind(Anm. 156) Furchtbarer aus Südwesten wehender Wind in der libyschen Wüste und Aegypten. Das Beste über ihn bei Grégoire, Du Khamsine et de ses efforts. Ein ähnlicher unter dem Namen»Samum« bekannter Wind wird von den Türken Schamyele genannt. Vielleicht hat dieser die Karawanen schädigende Unhold dem bösen Samiel seinen Namen gegeben. kläglich umgekommen sei, und daß sich die Flotte, der er Karthago zu erobern befohlen hatte, gegen ihre Stammgenossen zu ziehen geweigert habe(Anm. 157) Herod. III. 26. 17. 19., glaubte der König, daß die Memphiten, seiner unglücklichen Kriegszüge wegen, jenes Freudenfest begingen, ließ die vornehmsten Leute der Stadt berufen, warf ihnen ihr Benehmen vor und fragte sie, warum sie sich nach seinem Siege störrig und düster, nach seiner Niederlage ausgelassen fröhlich gezeigt hätten. Da erklärten ihm die Memphiten die Ursache ihrer Festfreude und versicherten, daß das Erscheinen des göttlichen Stiers jedesmal in ganz Aegypten durch Jubelfeste und Aufzüge begangen zu werden pflege. Nun schalt sie Kambyses Lügner und verurteilte sie als solche zum Tode(Anm. 158) So erzählt Herod. III. 27. Plut., Is. u. Os. 12. Wir haben an verschiedenen Stellen hervorgehoben, wie hoch die Perser die Wahrhaftigkeit schätzten. S. I. Th. A. 142. Jetzt soll das leider anders geworden sein. Brugsch versichert in seinem Vortrage »Perser und Germanen«, daß er nirgends unverschämtere Lügner, als im heutigen Persien, gefunden habe. Im Buche des Kawus gibt der weise Schah Kjekjawus seinem Sohne und Thronfolger schon im 11. Jahrh. n. Chr. die Lehre, er möge lieber eine Lüge sagen, die wahrscheinlich, als eine Wahrheit, welche lügenhaft klinge. B. d. Kawus übers. v. Diez S. 376. Dagegen sagt Herod. I. 138 von den Persern des fünften Jahrhunderts: »Lügen und Schulden haben halten sie für die größte Schande,« und der Vendidad bezeichnet an vielen Stellen die Lüge als eine der schwersten Sünden. Brugsch sagt freilich, diese häufigen Verbote seien für das lügenhafteste Volk besonders nöthig gewesen.. Dann ließ er die Priester kommen und bekam von ihnen dieselbe Antwort.

Höhnend und spottend wünschte er jetzt die Bekanntschaft des neuen Gottes zu machen und befahl, ihm denselben vorzuführen. Man brachte den Apis herbei und erzählte ihm, derselbe werde von einer jungfräulichen Kuh durch die Berührung eines Mondenstrahls gezeugt, müsse schwarz sein, auf der Stirn ein weißes Dreieck, auf dem Rücken das Bild eines Adlers und an der Seite einen zunehmenden Halbmond tragen. Am Schwanze suche man bei ihm zweierlei Haar und an der Zunge einen Auswuchs in Gestalt des heiligen Käfers Skarabäus(Anm. 159) S. III. Theil 122 [129]. Ueber die Abzeichen des Apis Herod. III. 28. Ob er ein weißes Dreieck oder Viereck auf der Stirn haben mußte, ist nach den verschiedenen Lesarten des Herodot fraglich; die Denkmäler zeugen für das Dreieck. Nach Ammianus Marcellinus mußte er einen Halbmond auf der rechten Seite haben; Strabo 807 nennt ihn weiß an der Stirn und einigen anderen kleinen Stellen des Leibes, sonst aber schwarz; Aelian sagt, der heilige Stier habe 29 Abzeichen gehabt; Ovid nennt ihn: variis coloribus Apis. Die Denkmäler erklären diese Verschiedenheit der Angaben, denn sie zeigen, daß der heilige Stier nicht immer vollkommen gleich auszusehen brauchte. Bald wird er ganz schwarz dargestellt, bald mit charakteristischen weißen Flecken. Champ. Pantheon ég. Pl. 37. An der von Mariette ausgegrabenen Apisstatue (jetzt zu Paris) hat man viele dieser Abzeichen wieder gefunden. Dieselben sind mit schwarzer Farbe auf den Leib des Thieres gemalt. Die Färbung des Kopfes ist leider verwischt. Mehrere Apisfiguren aus Bronze stellen ihn mit der Sonnenscheibe und Uräusschlange zwischen den Hörnern, einem breiten Halsbande und zwei Geiern auf dem Rücken dar, deren weitausgebreitete Flügel bis zum Ansatze der Vorder- und Hinterbeine reichen und zwischen denen ein kostbares Deckchen liegt. An der Stirn hat er ein Dreieck, das seine symbolische Bedeutung besaß. »Alle guten Hautabzeichen« des Apis werden häufig von den Denkmälern erwähnt..

Als der vergötterte Stier vor ihm stand, und er nichts Außergewöhnliches an ihm entdecken konnte, wurde Kambyses wüthend und stieß ihm sein Schwert in die Seite(Anm. 160) Nach Herod. III. 29 glitt das Schwert des Kambyses aus und fuhr dem Apis in den Schenkel. Weil der König gleichfalls an einer Schenkelwunde stirbt, paßt dieß dem Herodot, welcher stets die Vergeltung des Frevels in das hellste Licht zu stellen bemüht ist; doch wäre der Stier wohl schwerlich an einer bloßen Wunde am Schenkel gestorben.. Da er sodann das Blut strömen und den Apis zusammenstürzen sah, lachte er gellend auf und rief: »Ihr Narren! Eure Götter haben also Fleisch und Blut und lassen sich verwunden? Solche Thorheit ist eurer würdig! Aber ihr werdet sehen, daß ich mich nicht straflos verspotten lasse. Heda, Trabanten! Peitscht diese Priester und tötet Jeden, den ihr bei der wahnsinnigen Feier ertappt!« Man befolgte seine Befehle und steigerte dadurch den Ingrimm der Aegypter auf's Höchste.

Nachdem der Apis an seiner Wunde gefallen war, bestatteten ihn die Memphiten heimlich in den beim Serapeum befindlichen Grüften der heiligen StiereSiehe II. Theil Anmerkung 129. und versuchten dann, unter Psamtik's Führung, einen Aufstand gegen die Perser, der aber bald unterdrückt wurde und dem unglücklichen Sohne des Amasis ein Leben(Anm. 161) Herod. III. 15. kostete, dessen Flecken und Härten durch sein nimmer ruhend Bestreben, sein Volk von der Fremdherrschaft zu erlösen, und durch seinen Tod für die Freiheit, vergessen zu werden verdienen.

Der Wahnsinn des Kambyses hatte indessen neue Formen angenommen. Nach dem fehlgeschlagenen Versuche, dem, wie er wähnte, in einen Bogen verwandelten Bartja seine alte Gestalt wieder zu geben, erhöhte sich seine Reizbarkeit so sehr, daß ihn ein Wort, ein Blick, welcher ihm mißfiel, in Raserei versetzen konnte.

Sein treuer Mahner Krösus wich auch jetzt nicht von seiner Seite, obgleich ihn der König mehrmals den Trabanten zur Hinrichtung übergeben hatte. Diese kannten aber ihren Herrn, hüteten sich wohl, ihre Hand an den Greis zu legen und waren der Straflosigkeit sicher, weil der König am nächsten Tage entweder seinen Befehl vergessen oder ihn längst bereut hatte. Nur einmal mußten die unglücklichen Peitschenträger ihre Nachsicht furchtbar büßen, denn, obgleich sich Kambyses über die Erhaltung des Greises freute, so ließ er seine Lebensretter nichtsdestoweniger wegen ihres Ungehorsams hinrichten(Anm. 162) Herod. III. 36..

Es widersteht uns, viele andere Züge der barbarischen Grausamkeit, welche der wahnsinnige König in jener Zeit begangen haben soll, nachzuerzählen; dennoch mögen wir einige von ihnen, die uns besonders bezeichnend erscheinen, nicht unerwähnt lassen.

Als er eines Tages beim Schmause saß, fragte er trunkenen Muthes den Prexaspes, was die Perser von ihm sagten. Der Botschafter, welcher in dem Bedürfniß, sein marterndes Gewissen durch edle Thaten gefährlicher Art zu übertäuben, keine Gelegenheit vorübergehen ließ, welche ihm gestattete, wohlthätig auf den Unglücklichen einzuwirken, antwortete, daß sie ihn in jeder Hinsicht belobten, doch aber meinten, er sei dem Weine zu sehr ergeben.

Nach diesen halb scherzend gesprochenen Worten brauste der Wahnsinnige auf und schrie: »So sagen die Perser, daß mich der Wein um den Verstand bringe? Jetzt will ich zeigen, daß sie selbst verlernt haben, richtig zu urtheilen!« Bei diesen Worten spannte er seinen Bogen, zielte einen Augenblick und schoß dann dem ältesten Sohne des Prexaspes, der im Hintergrunde der Halle, als Schenk, der Winke des Herrschers harrte, in die Brust. Darauf gab er den Befehl, den unglücklichen Jüngling zu öffnen und zu untersuchen. Der Pfeil war mitten in sein Herz gedrungen. Hierüber freute sich der unsinnige Tyrann und rief lachend: »Jetzt siehst Du, Prexaspes, daß nicht ich, sondern die Perser ihren Verstand verloren haben. Wer könnte sein Ziel unfehlbarer treffen als ich?«

Prexaspes sah, gleich der am Sipylus versteinerten Niobe, bleich und regungslos dem entsetzlichen Schauspiele zu. Seine Sklavenseele beugte sich vor der Allmacht des Königs und zwang ihm nicht den Dolch der Rache in die Rechte. Vielmehr murmelte er, als der Wahnsinnige seine Frage zum andern Male wiederholte, indem er die Hand auf sein Herz drückte: »Kein Gott vermöchte sicherer zu treffen(Anm. 163) Herod. III. 35 meint jedenfalls unter τὸν θεὸν den ferntreffenden Apollon. Seneca de ira III. 14 sagt bei der Erzählung dieser Geschichte ohne Weiteres »Apollo«.

Wenige Wochen später begab sich der König nach Sais. Als man ihm dort die Gemächer seiner einstigen Geliebten zeigte, erwachte die längst vergessene Erinnerung an sie mit neuer Kraft in seiner Seele, und sein getrübtes Gedächtniß mahnte ihn zu gleicher Zeit, daß Amasis ihn und sie betrogen habe. Ohne sich über die einzelnen Umstände Rechenschaft geben zu können, fluchte er dem Verstorbenen und ließ sich tobend zum Tempel der Neith führen, woselbst seine Mumie ruhte. Dort riß er den balsamirten Leichnam des Königs aus dem Sarkophage, ließ ihn mit Ruthen schlagen, mit Nadeln stechen, ihm die Haare ausreißen, ihn in jeder Weise mißhandeln und endlich, gegen das religiöse Gesetz der Perser, welches die Verunreinigung des reinen Feuers durch Leichname für eine Todsünde hielt, verbrennen. Zu gleichem Schicksale verdammte er die Mumie der ersten Gattin des Amasis, welche zu Theben, ihrer Heimath, im Sarkophage ruhte(Anm. 164) Herod. III. 16. Die Offiziere der französischen Fregatte Luxor, die den Obelisken von Theben holten, fanden zu Abd el Qurnah die Mumie wahrscheinlich der Gattin des Amasis, halb verbrannt, in einem Sarkophage..

Nach Memphis zurückgekehrt, scheute er sich nicht, seine Gattin und Schwester Atossa mit eigener Hand zu mißhandeln.

Eines Tages hatte er nämlich ein Kampfspiel angeordnet, in welchem unter Anderen ein Hund mit einem jungen Löwen kämpfen mußte. Als der Leu seinen Gegner bewältigt hatte, riß sich ein anderer Hund, der Bruder des Ueberwundenen, von seiner Kette los, stürzte sich auf den Löwen und bezwang ihn mit Hülfe des Verwundeten. Dieser Anblick, der Kambyses große Freude machte, veranlaßte Kassandane und Atossa, welche dem Schauspiele auf Befehl des Königs beiwohnen mußten, laut zu weinen.

Der erstaunte Tyrann fragte sie um die Ursache ihrer Thränen und erhielt von der heftigen Atossa die Antwort, das tapfere Thier, welches für seinen Bruder sein Leben auf's Spiel gesetzt habe, erinnere sie an Bartja, der ungerochen, sie wolle nicht sagen durch wen, getödtet worden sei.

Diese Worte erregten den Zorn und die schlummernden Gewissensqualen des Rasenden so sehr, daß er die allzukühne Frau mit Fäusten schlug, ja sie vielleicht getödtet haben würde, wenn ihm nicht seine Mutter in den Arm gefallen wäre und sich selbst den Streichen des Tobsüchtigen ausgesetzt hätte(Anm. 165) Herod. III. 32..

Das geheiligte Angesicht und die Stimme der Mutter genügten, seiner Wuth Zügel anzulegen; ihr Blick, welcher ihn voll getroffen hatte, war aber von so brennendem Zorn und so tiefer Verachtung erfüllt gewesen, daß er ihn nicht vergessen konnte, und der neue Irrwahn in ihm erwachte, daß er von den Augen der Weiber vergiftet werden würde. Sobald er von nun an eine Frau erblickte, schrak er zusammen und versteckte sich hinter seine Begleiter, bis er endlich verordnete, daß man alle weiblichen Bewohner des memphitischen Schlosses, seine Mutter nicht ausgenommen, nach Ekbatana bringen solle. Araspes und Gyges erhielten den Auftrag, sie nach Persien zu führen.

Der Reisezug der königlichen Frauen war zu Sais angelangt und dort im Palaste der Pharaonen abgestiegen. Krösus begleitete die Scheidenden bis zu dieser Stadt.

Kassandane hatte sich in den letzten Jahren sehr verändert. Tiefe, von Gram und Leid gefurchte Falten durchzogen ihr einstmals so schönes Angesicht, während der Schmerz nicht vermocht hatte, ihre hohe Gestalt zu beugen.

Atossa, die Tochter der Greisin, war dagegen, trotz manchen Kummers, schöner geworden, als vorher. Das muthwillige Mädchen hatte sich in ein vollkommen entwickeltes, selbstbewußtes Weib, das ungestüme, trotzige Kind in eine lebhafte, willensstarke Frau verwandelt. Der Ernst des Lebens und drei an der Seite ihres rasenden Gatten und Bruders verbrachte traurige Jahre waren für sie zu trefflichen Lehrmeistern in der Geduld geworden, hatten aber nicht vermocht, sie der ersten Liebe ihres Herzens abwendig zu machen. Sappho's Freundschaft mußte sie gewissermaßen für den Verlust des Darius entschädigen.

Die junge Griechin war seit dem Verschwinden ihres Gatten zu einem andern Wesen geworden. Der rosige Schein ihrer Wangen und ihr holdseliges Lächeln hatten sie längst verlassen. Wunderbar schön, trotz ihrer Blässe, ihrer gesenkten Wimpern und schlaffen Haltung, glich sie jener Ariadne, welche des wiederkehrenden Theseus harrte. Sehnsucht und Erwartung sprachen aus dem Blick ihrer Augen, dem Ton ihrer leisen Stimme, der Gemessenheit ihres Ganges. Sobald sich Schritte nahten, wenn eine Thür ging oder eine männliche Stimme unerwartet sich hören ließ, schrak sie zusammen, stand auf und lauschte, um sich bald darauf, enttäuscht und doch nicht irre gemacht in ihrer Hoffnung, der Sehnsucht von neuem hinzugeben, und, wie sie schon früher so gern gethan hatte, zu sinnen und zu träumen.

Nur wenn sie mit ihrem Kinde spielte und für dasselbe sorgte, schien sie wieder die Alte zu werden, denn dann färbten sich ihre Wangen mit neuem Roth, ihre Augen erglänzten, und ihr ganzes Wesen schien wieder, statt in der Vergangenheit oder Zukunft, in der frischen Gegenwart zu leben.

Das Kind war ihr Alles. In ihm lebte Bartja für sie fort; auf das Kind konnte sie, ohne dem Verschwundenen auch nur das Geringste zu entziehen, die ganze Liebesfülle ihres Herzens übertragen; mit dem Kinde hatte ihr die Gottheit ein Lebensziel, ein Band geschenkt, welches sie wiederum mit der Welt, deren schätzbarer Theil seit ihres Gatten Verschwinden für sie verloren schien, vereinte. Manchmal dachte sie wohl, wenn sie in die blauen Augen des holden Wesens schaute, die denen seines Vaters so täuschend glichen: Warum ist sie doch kein Knabe? Der würde ihm von Tag zu Tag ähnlicher werden und endlich als ein zweiter Bartja, wenn es überhaupt einen solchen geben könnte, vor mir stehen!

Aber solche Gedanken pflegten nur von kurzer Dauer zu sein und damit zu enden, daß sie die Kleine mit doppelter Zärtlichkeit an ihr Herz drückte, daß sie sich undankbar und thöricht schalt.

Eines Tages hatte Atossa in gleichem Sinne ausgerufen: »O, daß Parmys kein Knabe ist! Der würde seinem Vater ähnlich werden und Persien als ein zweiter Cyrus regieren!« Sappho stimmte der Freundin, wehmüthig lächelnd, bei und bedeckte die Kleine mit Küssen; Kassandane aber sagte: »Erkenne auch darin die Güte der Götter, meine Tochter, daß sie Dir ein Mägdlein bescherten. Wäre Parmys ein Knabe, so würde man Dir Dein Kind, sobald es das sechste Lebensjahr überschritten, fortnehmen, um es mit den Söhnen der anderen Achämeniden erziehen zu lassen, während Dir das Mädchen noch lange Zeit angehören wird.«

Sappho erbebte in dem bloßen Gedanken, sich je von der Kleinen trennen zu müssen, drückte das blonde Lockenköpfchen fest an ihre Brust und hatte von nun an nichts mehr an ihrem kostbaren Schatze auszusetzen.

Atossa's Freundschaft that dem wunden Herzen der jungen Wittwe wohl. Mit ihr konnte sie, so oft und so viel sie wollte, von Bartja sprechen und war immer einer freundlichen, teilnahmsvollen Zuhörerin gewiß. Auch Atossa hatte den verschwundenen Bruder sehr geliebt. Aber selbst ein Fremder würde den Erzählungen Sappho's gern zugehört haben, – steigerte sich doch ihre Rede nicht selten zu hohem Schwunge, schien sie doch, wenn sie die Erinnerungen aus der Rosenzeit ihres Glückes in Worte kleidete, zur gottbegabten Dichterin zu werden. Und wenn sie gar das Saitenspiel in die Hand nahm und die heißen Sehnsuchtslieder des lesbischen SchwanesSiehe I. Theil Anmerkung 16., in denen sie ihre eigensten Gefühle wiederfand, mit ihrer reinen, holdselig klagenden Stimme sang, dann glaubte sie mit dem Geliebten in schweigender Nacht unter duftendem Akanthus zu verweilen und vergaß, aus der Wirklichkeit in das Zauberland der Phantasie entführt, der trüben Gegenwart. Und jedesmal, wenn sie das Saitenspiel aus der Hand legte, um sich, tief aufathmend, dem Reiche der Träume zu entziehen, wischte sich Kassandane, obgleich sie die griechische Sprache nicht verstand, eine Thräne aus den Augen, beugte sich Atossa zu ihr nieder, um ihre Stirn zu küssen.

So waren drei lange Jahre vergangen, in denen sie ihre Großmutter nur selten gesehen hatte; durfte sie doch auf Befehl des Königs, um Parmys' willen, das Haus der Weiber niemals ohne Kassandane's oder der Eunuchen Begleitung und Erlaubniß verlassen.

Jetzt hatte Krösus, der sie nach wie vor gleich einer Tochter liebte, Rhodopis nach Sais beschieden. Sappho konnte nicht in die Ferne ziehen, ohne ihrer treuesten Freundin Lebewohl zu sagen, und fand bei Kassandane wie bei dem greisen Lyder volles Verständniß für diesen Herzenswunsch. Die Wittwe des Cyrus hatte außerdem so viel von der edlen Großmutter ihrer Schwiegertochter gehört, daß sie dieselbe kennen zu lernen wünschte und sie, nachdem Sappho ein zärtliches Wiedersehen mit ihr gefeiert hatte, zu sich entbieten ließ.

Als die beiden Greisinnen einander gegenüberstanden, hätte ein Fremder nimmer entscheiden können, wer von ihnen die Königin sei; würde er sie doch Beide für Fürstinnen gehalten haben.

Krösus, welcher der Griechin ebenso nahe stand wie der Perserin, versah das Amt des Dolmetschers und wußte, unterstützt von dem biegsamen Geiste der Hellenin, das Gespräch in ununterbrochenem Fluß zu halten.

Nachdem Rhodopis mit dem ihr eigenen Zauber Kassandane's Herz gewonnen hatte, glaubte die Königin, nach persischer Art, derselben ihr Wohlgefallen nicht besser beweisen zu können, als durch die Aufforderung, ihr einen Wunsch vorzutragen.

Die Hellenin zauderte einen Augenblick, ehe sie, ihre Hände wie zum Gebet erhebend, ausrief: »Laß mir Sappho, den Trost und Schmuck meines Alters!«

Kassandane lächelte schmerzlich und gab zurück: »Diesen Wunsch vermag ich nicht zu erfüllen, denn unser Gesetz befiehlt, daß die Kinder der Achämeniden an der Pforte des Königs erzogen werden sollen. Ich darf die kleine Parmys, als einzige Enkelin des Cyrus, nicht von mir lassen, und Sappho wird sich, so sehr sie Dich liebt, in keinem Falle von ihrem Kinde trennen. Auch ist sie mir und meiner Tochter so theuer, ja ich möchte sagen nothwendig geworden, daß ich sie, obgleich ich Deine Sehnsucht nach ihr wohl verstehe, niemals von mir lassen würde.«

Als Kassandane sah, daß sich das Auge der Hellenin mit Thränen füllte, fuhr sie fort. »Aber ich wüßte ein gutes Auskunftsmittel. Verlaß Naukratis und komm' mit uns nach Persien. Dort sollst Du Deine letzten Jahre mit uns und Deiner Enkelin verleben und gleich einer Fürstin gehalten werden!«

Rhodopis schüttelte ihr schönes, greises Haupt und erwiederte mit gedämpfter Stimme: »Ich danke Dir für Deine gütige Einladung, hohe Königin; fühle aber, daß ich sie nicht anzunehmen vermag. Alle Fasern meines Herzens wurzeln in Griechenland und würden mit meinem Leben zerreißen, wenn ich mich von ihm für immer abtrennen wollte. An fortwährende Thätigkeit, regen Austausch der Gedanken und unbedingte Freiheit gewöhnt, würde ich in der Beschränkung des Harems hinsiechen und sterben. Von Krösus auf Deinen gütigen Vorschlag vorbereitet, hab' ich schwere Kämpfe bestanden, eh' ich dahin gelangen konnte, mir zu sagen, daß es meine Pflicht sei, mein liebstes für mein höchstes Gut aufzuopfern. So viel schwerer es ist, schön und gut, als glücklich zu leben, so viel ruhmvoller, so viel würdiger des hellenischen Namens ist es, statt dem Glücke der Pflicht zu folgen. Mein Herz zieht mit Sappho nach Persien, mein Geist und meine Erfahrungen gehören den Griechen. Wenn Du eines Tages vernehmen solltest, daß niemand außer dem Volke in Hellas regiert, und daß sich dieses Volk vor nichts Anderem beugt, als vor seinen Göttern und Gesetzen, dem Guten und Schönen, dann magst Du denken, daß die Aufgabe, an die Rhodopis, im Bunde mit den Besten der Hellenen, ihr Leben setzte, erfüllt sei. Zürne nicht der Griechin, welche, damit ich es nur gestehe, lieber als freie Bettlerin vor Sehnsucht sterben, denn als glücklich gepriesene, aber unfreie Fürstin leben möchte.«

Kassandane hörte der Greisin staunend zu. Sie verstand sie nur theilweis; fühlte aber, daß Rhodopis edle Worte gesprochen habe, und reichte ihr am Schluß ihrer Rede die Hand zum Kusse. Dann sagte sie nach einer kurzen Pause: »Handle nach Deinem Ermessen, und sei versichert, daß es Deiner Enkelin, so lange ich und meine Tochter leben, nicht an treuer Liebe gebrechen wird.«

»Dafür bürgt mir Dein edles Angesicht und der hohe Ruf Deiner Tugend!« antwortete Rhodopis.

»Sowie meine Pflicht, das, was man an Deiner Enkelin verbrochen, nach Kräften wieder gut zu machen.«

Die Königin seufzte schmerzlich, ehe sie fortfuhr: »Auch soll auf die Erziehung der kleinen Parmys aller Fleiß verwendet werden. Sie scheint von der Natur reich begabt zu sein und singt jetzt schon ihrer Mutter die Weisen ihrer Heimath nach. Ich wehre nicht ihrer Neigung zur Musik, obgleich diese Kunst in Persien, außer dem Gottesdienste, nur von niedrig geborenen Menschen ausgeübt zu werden pflegt(Anm. 166) Buch des Kawus S. 732. Brugsch, Reise nach Persien S. 389. Ueber die musikalischen Instrumente der Perser bei Chardin V. S. 69–71.

Rhodopis erglühte bei diesen Worten und rief: »Gestattest Du mir, frei zu reden, o Königin?«

»Sprich ohne Furcht!«

»Als Du vorhin in dem Gedanken an Deinen verschwundenen trefflichen Sohn aufseufztest, dachte ich bei mir: Vielleicht wäre der junge, edle Held noch am Leben, wenn die Perser ihre Söhne besser, ich wollte sagen mannigfaltiger, zu erziehen verständen. Ich habe mir von Bartja mittheilen lassen, was den persischen Knaben gelehrt wird. Bogenschießen, Speerewerfen, Reiten, Jagen, die Wahrheit zu reden und vielleicht einige schädliche und heilsame Kräuter zu unterscheiden, das ist Alles, womit man sie für das Leben ausstatten zu müssen meint. Unsere hellenischen Knaben werden körperlich ebenso unverdrossen geübt und gestählt, denn der Arzt ist nur der Ausbesserer, die Gymnastik aber der Schmied der Gesundheit. Wäre jedoch ein hellenischer Jüngling durch fortwährende Uebung stärker geworden als ein Stier, wahrhaftiger als die Gottheit und weiser als der gelehrteste ägyptische Priester, so würden wir ihn dennoch nur mit Achselzucken anblicken, wenn ihm dasjenige fehlte, was ihm nur durch frühes Beispiel und sorgfältige Pflege der mit der Gymnastik vereinten Musik gegeben werden kann: ›Anmuth und Ebenmaß‹ – Du lächelst, weil Du mich nicht verstehst; wirst mir aber Recht geben, wenn ich Dir gezeigt haben werde, daß die Musik, welche Dir ja, nach Sappho's Erzählungen, zu Herzen zu gehen scheint, eben so wichtig für die Erziehung sei wie die Gymnastik. Beide wirken, so seltsam dies auch klingen mag, gleichmäßig auf die Vervollkommnung der Seele und des Körpers. Wer sich ausschließlich der Musik hingibt, wird zwar anfangs, wenn er wilder Natur war, wie Erz im Feuer, weich und biegsam werden und seine strenge, rohe Art und Weise mildern; aber endlich wird sein Muth zerschmelzen; statt heftig wird er in kleinen Dingen reizbar und wenig tauglich zum Kriegsmanne werden, was ihr Perser doch vor allen Dingen erstrebt. Wer nur Gymnastik treibt, wird zwar, wie Kambyses, Kraft und Mannhaftigkeit in sich vereinen; seine Seele aber – hier höre ich zu vergleichen auf – bleibt stumpf und blind, und seine Empfindungen entbehren der Reinheit. Er wird sich verständigen Gründen taub zeigen und, einem Tiger gleich, mit roher Gewalt Alles durchzusetzen suchen; ja, sein Leben wird wahrscheinlich, der Anmuth und Mäßigung entbehrend, zu einem ungeschlachten, gewaltthätigen Treiben werden. Daher ist die Musik nicht allein für die Seele, die Gymnastik nicht allein für den Körper da, sondern beide, innig verschmolzen, müssen den Körper kräftigen und die Seele erheben und sänftigen, dem ganzen Menschen aber männliche Anmuth und anmuthige Mannhaftigkeit verleihen(Anm. 167) Die Grundgedanken dieser Rede haben wir dem idealen »Staate« des Plato entlehnt.

Rhodopis schwieg einen Augenblick, um bald darauf fortzufahren: »Wem eine solche Erziehung nicht zu Theil wird, und wer außerdem von Kindheit an seine Rohheit straflos auslassen darf, wie und an wem er will; und immerdar nichts als Schmeichelworte, niemals aber gerechten Tadel zu hören bekommt; wer befehlen darf, eh' er zu gehorchen lernt; wer endlich mit dem Grundsatze, Glanz, Macht und Reichthum wären die höchsten Güter, auferzogen wird, der kann niemals jene volle, edle Männlichkeit erwerben, welche wir für unsere Knaben von der Gottheit erflehen. Und wenn ein solcher Unglücklicher mit heftiger Gemüthsart und begehrlichen Sinnen geboren wurde, so wird sich seine Unbändigkeit ohne den besänftigenden Einfluß der Tonkunst durch bloße Leibesübungen steigern, und aus dem vielleicht nicht ohne gute Anlagen zur Welt gekommenen Kinde, durch die Schuld seiner Erziehung, ein reißendes Thier, ein sich selbst vernichtender Schlemmer und ein wahnsinniger Wütherich werdenSiehe II. Theil Anmerkung 21.

Hier schwieg die lebhafte Greisin. Als ihr Blick den feuchten Augen der Königin begegnete, fühlte sie, daß sie zu weit gegangen sei und ein edles Mutterherz gekränkt habe. Darum faßte sie Kassandane's Gewand, führte seinen Saum an ihre Lippen und sagte leise bittend: »Verzeihe mir.«

Kassandane gab ein Zeichen der Bejahung, grüßte die Hellenin und schickte sich an, das Gemach zu verlassen. Auf der Schwelle desselben blieb sie noch einmal stehen und sprach: »Ich grolle Dir nicht, denn Deine Vorwürfe sind gerecht. Aber versuche auch Du zu vergeben, denn ich sage Dir, daß Derjenige, welcher das Glück Deines und meines Kindes mordete, zwar der Mächtigste, aber zu gleicher Zeit der Beklagenswerteste aller Sterblichen ist. Lebe wohl und denke, wenn Du etwas bedürfen solltest, der Wittwe des Cyrus, die Dich zu lehren wünscht, daß man den Persern vor allen Dingen ›Großmuth‹ und ›Freigebigkeit‹ anerzieht.«

Nach diesen Worten verließ Kassandane das Gemach.

Am selben Tage erhielt Rhodopis die Nachricht, daß Phanes, nachdem er zu Kroton in der Nähe des Pythagoras, an seiner Wunde dahinsiechend, in ernsten Betrachtungen gelebt hatte, vor einigen Monden mit der Ruhe eines Weisen gestorben sei.

Rhodopis war tief ergriffen von dieser Kunde und sagte zu Krösus: »In Phanes verliert Griechenland einen seiner tüchtigsten Männer; aber Viele blühen und wachsen heran, die ihm gleichen. Darum fürcht' ich, wie er, nichts von der aufwuchernden Macht der Perser; ja ich glaube, daß mein Vaterland mit seinen vielen Köpfen, wenn die rohe Eroberungssucht ihre Hand nach ihm ausstreckt, zu einem Riesen werden wird mit einem Haupte von göttlicher Kraft, von dem die rohe Gewalt so sicher gebeugt werden wird, wie der Geist dem Körper gebietet.«

Drei Tage später nahm Sappho zum letzten Male von ihrer Großmutter Abschied und folgte den Königinnen nach Persien, wo sie, trotz der folgenden Ereignisse, immer noch an Bartja's mögliche Wiederkehr glaubend, voll Liebe, Hoffnung und treuer Erinnerung ganz der Erziehung ihrer Tochter und der Pflege der greisen Kassandane lebte.

Die kleine Parmys erblühte in seltener Schönheit und lernte neben den Göttern nichts inniger lieben, als das Andenken ihres verschwundenen Vaters, den sie durch tausendfache Erzählungen ihrer Mutter wie einen Lebenden kannte.

Atossa bewahrte ihr, trotz des hohen Glückes, welches ihr bald erblühen sollte, die alte Freundschaft und pflegte sie nicht anders als »Schwester« zu nennen. Im Sommer bewohnte Sappho die hängenden Gärten zu Babylon und dachte dort oftmals in den Gesprächen mit Kassandane und Atossa an die unschuldige, holde Urheberin so vieler für große Reiche und edle Menschen verhängnisvollen Ereignisse, die ägyptische Königstochter.


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