Georg Ebers
Eine ägyptische Königstochter Bd. I
Georg Ebers

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Fünftes Kapitel.

Nach dem ägyptischen Gesetze mußte Zopyrus zum Tode verurtheilt werden.

Sobald die Freunde dies erfahren hatten, stand ihr Entschluß fest, sogleich nach Sais zu reisen und dort zu versuchen, den Gefangenen mit List zu befreien. Syloson, welcher in der Residenz bekannt und der ägyptischen Sprache mächtig war, bot sich freiwillig an, ihnen hülfreiche Hand zu leisten.

Durch Färbung der Haare und Augenbrauen, sowie durch breitkrämpige Filzhüte(Anm. 67) Diese Filzhüte (πέτασος, petasus) dienten als Schutz gegen die Sonnenstrahlen erst bei den Griechen, dann bei den Römern, und werden von den Hellenen in Aegypten, wo das Sonnenlicht mit besonders blendenden Strahlen scheint, entschieden gebraucht worden sein. Auf dem berühmten Reiterzuge am Parthenon (jetzt im British Museum) tragen fast alle Reiter den Petasos. Als Reisehut wurde er am häufigsten gebraucht. Eine Figur mit dem breitkrempigen Hute am Rücken sollte einen Reisenden vorstellen. Wir erinnern an die Darstellung von Pilgern auf mittelalterigen Bildern. selbst für Freunde unkenntlich, und von Theopompus mit ganz einfachen hellenischen Anzügen ausgestattet, trafen Bartja und Darius mit dem reichgekleideten Syloson, eine Stunde nach der Verhaftung des Zopyrus, am Nilufer zusammen, bestiegen ein dem neuen Freunde gehörendes und von dessen Sklaven gerudertes Boot und langten nach kurzer, vom Winde begünstigter Fahrt, ehe das Tagesgestirn die Mittagshöhe erreicht hatte, zu Sais an, welches, einer Insel gleich, aus den überschwemmten Fluren hervortauchte.

An einer entlegenen Stelle stiegen sie aus und kamen zunächst in das Viertel der Handwerker, die, trotz der großen Mittagshitze, ihre Hantirungen fleißig verrichteten.

In dem offenen Hofe eines Bäckerhauses sah man Gesellen, die den groben Teig mit den Füßen, den feinen mit den Händen kneteten. Brode in allen Gestalten wurden aus den Oefen gezogen, kreisrunde und ovale Backwerke, Semmeln in Gestalt von Schafen, Schnecken und Herzen in Körbe gelegt. Flinke Bursche stellten drei, vier und fünf derselben auf ihre Köpfe, und trugen sie rasch und sicher zu den in anderen Stadttheilen wohnenden Kunden(Anm. 68) Das Leben und Treiben der Handwerker findet sich häufig und anschaulich auf den alten Denkmälern dargestellt; namentlich in den Mastaba von Saqqara, den Felsengrüften von Benihassan und Theben. Bei Wilkinson im 2. u. 3. Bande a. v. O. Rosellini, Mon. civil. T. 41 fgd. Im Besondern die Bäcker 1. Mos. 40, 16. Herod II. 36. Ebers, Aegypten I. S. 330 fgd.. Ein Fleischermeister schlachtete vor seinem Hause einen Ochsen, dessen Beine zusammengeknebelt waren, während seine Gesellen ihre Messer an Schleifsteinen schärften, um die Glieder einer wilden Ziege zu zerlegen(Anm. 69) Schlächter. Wilkinson II. 375. Dümichen, Resultate, T.. VIII. u. XI. Ebers, Aegypt. in Bild u. Wort I. S. 155.. Lustige Schuster(Anm. 70) Schuster. Wilkinson III. 160. riefen aus ihren Buden die Vorbeieilenden an, und Zimmerleute, Schneider, Tischler und Weber(Anm. 71) Holzarbeiter. Wilkinson III. 144. 174. 183. Weber II. 60. III. 134 u. 135. Rosellini, Mon. civ. T. 41 fgd. Lepsius, Denkm. II. 126 aus Benihassan. Im berliner Museum befinden sich einige altägyptische Spindeln, im leydener Museum ein schöner, noch immer mit rothem Garn umwickelter Garnstock und viele Proben von altägyptischen Stoffen. waren in voller Arbeit.

Handwerkerfrauen traten, mit nackten Kindern an der Hand, aus den Häusern, um Einkäufe zu besorgen, während einige Soldaten sich dem Wein- und Bierschenker, der seine berauschende Waare(Anm. 72) Das ägyptische Bier, welches die Griechen (ζύθος) Zythos (Zythum) nannten, war im Alterthum berühmt, doch nicht hoch geachtet. Der Gott Osiris sollte dasselbe, wie den Wein, den Menschen geschenkt haben. Diod. I. 34. In Pelusium wurde der beste Gerstensaft gebraut. Columella X. 116. Plin. h. n. XXII. 82. In den altägyptischen Schriften, welche es ziemlich oft erwähnen, heißt es »Hek«. Eine besondere Art ward Hek nezem, süßes Bier, genannt. Es mag nicht uninteressant erscheinen, daß unser Gambrinus mit Aegypten, dem ersten Bier trinkenden Lande, in Verbindung gebracht worden ist. In des Aventinus Annal. Boj. heißt es nämlich I. 6. 11, Gambrinus sei der Sohn der Isis gewesen. S. wegen des Rausches Bd. I. A. 132. an offener Straße feilhielt, näherten.

Unsere Freunde bemerkten nur wenig von diesem Treiben und folgten schweigend dem Syloson, der sie bei der Wache der hellenischen Söldner ersuchte, auf ihn zu warten.

Der Samier kannte zufälligerweise den dienstthuenden Taxiarchen und erkundigte sich bei ihm, ob er von einem Mörder gehört habe, der von Naukratis nach Sais gebracht worden sei.

»Freilich!« rief der Hellene, »vor kaum einer halben Stunde ist er hier eingetroffen. Man fand an seinem Gürtel einen vollen Beutel und hält ihn für einen persischen Spion. Du weißt doch, daß Kambyses gegen Ägypten rüstet?«

»Es ist nicht möglich!«

»Ganz gewiß! Der Pharao ist auch schon unterrichtet. Arabische Kaufleute, deren Karawane gestern in Pelusium eintraf, brachten diese Nachricht mit.«

»Die ebenso falsch sein wird, wie der Verdacht gegen den Lyder. Den kenne ich recht gut und beklage den armen Jungen. Er stammt aus einem der reichsten Häuser von Sardes, ist aber von dort entflohen, weil er einen Streit mit dem persischen Satrapen Oroetes hatte und von dessen allmächtiger Feindschaft verfolgt wurde. Ich will Dir die ganze Geschichte ausführlich erzählen, wenn Du mich nächstens zu Naukratis besuchst. Natürlich bleibst Du einige Tage in meinem Hause und bringst mehrere Freunde mit. Mein Bruder hat mir einen Wein von Samos geschickt, der Alles übertrifft, was Du jemals gekostet hast. Nur einer feinen Zunge, wie der Deinen, gönne ich diesen Göttertrank!«

Das Angesicht des Taxiarchen verklärte sich, während er, Syloson's Hand ergreifend, ausrief: »Beim HundeSiehe I. Theil Anmerkung 186., Freund, wir werden nicht auf uns warten lassen und Deinen Schläuchen hart zusetzen! Wie wär's, wenn Du Archidice(Anm. 73) Eine von Herod. II. 135 erwähnte berühmte Hetäre zu Naukratis. Flötenspielerinnen pflegten bei den Symposien der griechischen jungen Herren selten zu fehlen., die drei Blumenschwestern und ein paar Flötenspielerinnen zum Imbiß bestelltest?«

»Keine soll fehlen! Dabei fällt mir auch ein, daß der arme junge Lyder um der Blumenschwestern willen gefangen sitzt. Ein eifersüchtiger Tölpel überfiel ihn mit mehreren Gesellen vor ihrem Hause. Mein lydischer Hitzkopf wehrte sich . . .«

»Und schlug den Angreifer zu Boden?«

»So, daß er nie wieder aufstehen wird.«

»Der Junge muß eine gute Faust schlagen.«

»Er hatte ein Schwert bei sich.«

»Desto besser für ihn.«

»Nein, desto schlimmer, denn sein Opfer ist ein Aegypter.«

»Das ist eine dumme Geschichte, die ein schlechtes Ende nehmen wird. Ein Fremder, der einen Aegypter erschlägt, ist des Todes so sicher wie Jemand, der schon den Strick um den Hals hat(Anm. 74) Aegyptische Verbrecher wurden nicht selten aufgeknüpft. I. Mose 40, 20–23. Rosellini, Mon. civ. T. 124.. Uebrigens wird er einige Tage Frist haben. Die Priester sind alle mit Gebeten für den sterbenden König beschäftigt und haben keine Zeit zum Gerichthalten.«

»Ich gäbe viel darum, wenn man dem armen Schelme helfen könnte. Ich kenne seinen Vater.«

»Ja, und im Grunde hat er nichts wie seine Schuldigkeit gethan. Man kann sich nicht prügeln lassen!«

»Weißt Du, in welchem Gefängnisse der arme Jüngling sitzt?«

»Freilich! Das große Gefangenenhaus wird umgebaut, darum ist er einstweilen in den Speicher gesperrt worden, der die Hauptwache der ägyptischen Leibgarde von dem Haine des Neithtempels trennt Ich kam eben erst nach Hause und sah den armen Schelm dorthin abführen.«

»Er ist kühn und stark. Könnte er wohl, wenn man ihm forthülfe, entwischen?«

»Nimmermehr! Der Raum, in den man ihn gesteckt hat, ist zwei Stock hoch, und sein einziges Fenster schaut in den Hain der Göttin, der, wie Du weißt, von zehn Fuß hohen Mauern umgeben und gleich einer Schatzkammer bewacht wird. An allen Thoren stehen doppelte Posten. Nur da, wo das Wasser die Mauer bespült, braucht man zur Ueberschwemmungszeit natürlich keine Schildwachen aufzustellen. Die Thieranbeter sind vorsichtig wie Bachstelzen.«

»Das ist schade, dann müssen wir den armen Wicht seinem Schicksale überlassen. Leb' wohl, Dämones, und folge bald meiner Einladung!«

Der Samier verließ die Wachtstube und gesellte sich sofort zu den Freunden, die mit Ungeduld auf ihn warteten und seinem Berichte mit großer Spannung lauschten.

Als der Hellene mit der Beschreibung des Gefängnisses fertig war, rief Darius: »Ich glaube, daß wir Zopyrus mit einiger Kühnheit retten können. Er ist behend wie eine Katze und stark wie ein Bär. Ich habe einen Plan!«

»Theile ihn mit,« sagte Syloson, »und laßt euch sagen, daß auch ich nicht ohne Hoffnung bin.«

»Wir kaufen Strickleitern, einen Bindfaden und einen guten Bogen, schaffen das Alles in den Nachen und fahren, wenn es dunkelt, zu der unbewachten Stelle der Tempelmauer. Ihr helft mir, sie zu überklettern. Ich nehme die eingekauften Gegenstände mit mir, stoße den Adlerschrei aus, durch welchen mich Zopyrus sogleich erkennen wird, da wir uns von Kindheit an mit diesem Schrei auf Jagden und Fahrten zu rufen pflegen, schieße den Pfeil mit dem Bindfaden in sein Fenster, – ich fehle niemals, – rufe dem Freunde zu, das Ende der Schnur zu beschweren und herabzulassen, befestige die Strickleiter an die Schnur, Zopyrus zieht das Rettungswerkzeug hinauf, schlingt es um den eisernen Nagel, der in jedem Falle mit der Leiter hinaufwandern muß, denn man kann nicht wissen, ob sich ein Gegenstand, um sie zu befestigen, in seiner Zelle befindet, steigt herunter, eilt mit mir zu der Stelle der Mauer, wo ihr mit dem Boote wartet, überklettert sie mit Hülfe einer zweiten Strickleiter, die dort hängen muß, springt in den Kahn und ist gerettet!«

»Herrlich, herrlich!« rief Bartja.

»Aber sehr gefährlich!« fügte Syloson hinzu. »Wenn wir im heiligen Hain ergriffen werden, so sind wir schwerer Strafe gewiß. Die Priester feiern dort bei Nacht eigentümlich geheimnisvolle Feste, von denen jeder Unberufene streng ausgeschlossen ist. Uebrigens soll der See im HaineSiehe I. Theil Anm. 150. III. Theil Anm. 130. der Schauplatz derselben sein, und dieser ist ziemlich weit von dem Gefängnisse des Zopyrus entfernt.«

»Um so besser!« rief Darius; »aber jetzt zur Hauptsache! Wir müssen eiligst zu Theopompus schicken und ihn ersuchen, eine schnelle Triere für uns zu miethen und zum Absegeln fertig machen zu lassen. Die Nachricht von den Kriegsrüstungen des Kambyses ist bereits hier eingetroffen; man hält uns für Spione und wird Zopyrus und seine Befreier mit allen Kräften verfolgen; darum wäre es frevelhaft, wenn wir uns unnützen Gefahren aussetzen wollten. Du, Bartja, sollst die Botschaft ausrichten und Dich heute noch mit Sappho vermählen, denn wir müssen morgen, geschehe was da wolle, von Naukratis aufbrechen. Keine Widerrede, mein Freund, mein Bruder! Du kennst ja unsern Plan und weißt, daß Du bei dem Rettungswerke, das doch nur Einer ausführen kann, den müßigen Zuschauer spielen würdest. Ich habe den Anschlag erdacht und lasse mir's nicht nehmen, ihn auszuführen. Morgen sehen wir uns wieder, denn Auramazda beschirmt die Freundschaft der Reinen!«

Lange weigerte sich Bartja, die Gefährten im Stich zu lassen; gab aber endlich den vereinten Bitten und Vorstellungen nach und ging dem Wasser zu, um dort ein Boot zur Reise nach Naukratis zu miethen, während Syloson und Darius die Werkzeuge zur Flucht des Zopyrus erstanden.

Um auf den Platz zu gelangen, wo die zu vermiethenden Nachen lagen, mußte der Königssohn an dem Tempel der Neith vorüber. Die Aufgabe war nicht leicht, denn das Volk umwimmelte in dichten Haufen die Eingangspforte der Götterwohnung. Als sich Batja bis zu den Obelisken vorgedrängt hatte, die bei der mit der geflügelten Sonnenscheibe und flatternden Fahnen geschmückten Pforte des Tempels standen, wurde er von priesterlichen Dienern zurückgehalten, welche die von Sphinxen begrenzte ProzessionsstraßeSiehe I. Theil Anmerkung 149. freihielten. Die riesigen Thorflügel des Pylon öffneten sich, und Bartja, der gegen seinen Willen in die vorderste Reihe der Zuschauer gedrängt werden war, sah nun einen glänzenden Zug dem Tempel entströmen. Der unerwartete Anblick vieler ihm aus früherer Zeit bekannter Gesichter nahm seine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß er den Verlust seines breitkrämpigen Hutes, der ihm im Gedränge abgerissen worden war, kaum beachtete. Aus den Reden zweier hinter ihm stehender ionischer Söldner entnahm er, daß die Familie des Amasis, um für den sterbenden König zu beten und zu opfern, im Tempel gewesen sei.

Reichgeschmückte Priester mit Pantherfellen oder in langen weißen Gewändern gingen dem Zuge voran. Diesen folgten Hofbeamte, welche goldene Stäbe führten, an deren Spitzen Pfauenfedern und silberne Lotusblumen befestigt waren. Dann erschienen Pastophoren(Anm. 75) Diejenigen Priester, welche bei feierlichen Aufzügen die heiligen Thiere, Götterbilder &c. zu tragen hatten. Die Priesterschaft wurde nach Clemens v. Alexandrien, Strom. VI. 663, und den bilinguen Dekreten von Rosette und Canopus eingetheilt in Oberpriester, Propheten, Stolisten, denen die Sorge für die Götterbilder, das Opfer und das Lehramt oblag, Federträger oder Schreiber der heiligen Geheimschrift, Hierogrammaten oder Weise (ägyptisch: Wissende der Dinge), zu denen Horoskopen, Astrologen, Kalendermacher und Zeichendeuter gehörten, die heiligen Väter, zu denen die Sänger und Bewahrer der Vorschriften des königlichen Lebens gerechnet wurden, die Priester geringerer Ordnung, d. h. Pastophoren (Träger der heiligen Bilder und Symbole bei den Prozessionen), Taricheuten oder Balsamirer, Neokoren oder Tempeldiener &c. Näheres bei Ebers, Aegypten &c. S. 341 fgd., die eine goldene Kuh, das Thier der Isis, auf den Schultern trugen. Nachdem sich die Menge vor diesem Heiligthume verneigt hatte, nahte die Königin in priesterlichem Gewande, einen reichen Kopfputz mit der geflügelten Sonnenscheibe und den Uräusschlangen auf dem Haupte, ein heiliges goldenes Sistrum(Anm. 76) Ein nicht selten sehr kunstreich gearbeitetes Instrument, welches beim Gottesdienst gebraucht wurde. Es bestand aus einem Bogen, in welchem an Stäben Ringe hingen, die man zusammenklingen ließ. Plutarch, Is. u. Osir. 63, beschreibt es genau und sagt, es sei angewendet worden, um Typhon zu verscheuchen. Auf der Rundung des Blechs habe man das Bild einer Katze mit menschlichen Zügen angebracht &c. Ein Sistrum von Bronze im berliner Museum bestätigt die Beschreibung Plutarch's. Auf dem Bogen desselben ruht eine Katze mit dem Sonnendiscus auf dem Kopfe. Am Griff eines andern ist eine doppelte Isismaske zu sehen. S. auch Wilkins. I. 145. Es soll auch zu der ägyptischen Kriegsmusik gehört haben. Vergil., Aen. VIII. 696. Es ist falsch, daß es statt der Trompete diente, denn diese war gleichfalls, wie die Denkmäler z. B. zu Dêr et Bahri lehren, in Gebrauch. Prop. III. 11. 43., dessen Klang die Dämonen des Unheils vertreiben sollte, in der Linken und Lotusblumen in der Rechten tragend. Der hohen Frau folgten die Gattin, Tochter und Schwester des Oberpriesters in ähnlichem, aber weniger kostbarem Schmucke(Anm. 77) Aehnliche Aufzüge von Frauen befinden sich auf den Denkmälern, z. B. zu Theben, wo die Gattin Ramses des Großen und die Mutter, Tochter und Schwester eines Priesters zum Gebete gehen. Wilkinson I. 260. Die Frage, ob es Priesterinnen gegeben habe, ist durch die Papyrus und Denkmäler bejahend entschieden worden, namentlich auch durch die bilingue Tafel von Canopus.. Dann erschien der Thronerbe in reichem Festornate. Hinter ihm wurde von vier jungen, weißgekleideten Priestern Tachot, die Tochter des Amasis und der Ladice, die falsche Schwester der Nitetis, in einer offenen Sänfte getragen. Die Wangen der kranken Jungfrau waren von der Andacht des Gebetes und der Hitze des Sommertages leicht geröthet. Ihre blauen Augen schwammen in Thränen und waren auf das Sistrum, welches ihre schwachen, abgezehrten Hände kaum zu halten vermochten, gerichtet.

Ein Murmeln der Theilnahme zog durch die Menge, welche mit Liebe an dem sterbenden Könige hing und seiner hinwelkenden, jungen Tochter jenes Mitleid freigebig schenkte, welches einem siechen Jugendleben, besonders wenn dasselbe zu Größe und Hoheit geboren zu sein scheint, so gern gezollt wird. Manches Auge wurde feucht, als sich die schöne Kranke zeigte, und Tachot schien die Theilnahme des Volkes zu bemerken, denn sie erhob ihre Blicke von dem Sistrum und schaute die Menge freundlich und dankbar an. Da plötzlich verschwand das Roth von ihren Wangen, tiefe Blässe bedeckte sie, und klirrend fiel das goldene Instrument aus ihren Händen auf die Steinplatten des Prozessionsweges, dicht vor Bartja's Füße, nieder. Der Jüngling fühlte, daß er erkannt sei und bedachte einen Augenblick, ob er sich nicht hinter seine Nachbarn verbergen sollte; aber nur einen Augenblick dauerte dies Zaudern, denn schon hatte der ritterliche Sinn des jungen Helden jede Besorgnis überwunden. Schnell wie der Gedanke warf er sich auf das Sistrum und hielt es, nicht achtend der Gefahr, erkannt zu werden, der kranken Königstochter hin.

Tachot blickte ihn, ehe sie seine Hände von dem goldenen Funde befreite, fragend an; dann lispelte sie, nur ihm verständlich: »Bist Du Bartja? Bei Deiner Mutter frage ich Dich, bist Du Bartja?«

»Ich bin es,« gab er eben so leise zurück, » Bartja, Dein Freund!«

Mehr konnte er nicht sagen, denn schon drängten ihn die Tempeldiener unter das übrige Volk zurück. Als er wieder auf seinem Platze stand, bemerkte er, daß sich Tachot, deren Träger dem Zuge von neuem zu folgen begannen, noch einmal nach ihm umschaute. Ihre Wangen hatten sich wiederum geröthet und ihre leuchtenden Augen suchten die seinen. Er wich dem Blicke der Kranken nicht aus, bückte sich abermals, um eine Lotusknospe, die sie vor ihm niederwarf, aufzuheben, und brach sich gewaltsam durch die Menge Bahn, deren Aufmerksamkeit er durch seine rasche That erweckt hatte.

Eine Viertelstunde später saß er in einem Nachen, der ihn zu Sappho, der ihn zur Hochzeit führen sollte. Seine Besorgniß um Zopyrus war verschwunden; er hielt ihn schon für gerettet. In seinem Herzen wohnte, trotz der ihn bedrohenden Gefahren, eine wunderbare Zufriedenheit, er wußte selbst nicht, warum.

Indessen war die kranke Königstochter heimgekehrt, hatte sich des festlichen Schmuckes, der sie beengte, entkleiden und mit ihrem Ruhebette auf einen Altan des Schlosses tragen lassen, woselbst sie während der heißen Sommertage, von Blattpflanzen(Anm. 78) Wilkinson II. 121 u. 129. Nach Darstellungen aus Theben. und einem zeltartigen Tuche überschattet, am liebsten verweilte.

Sie konnte von dort aus den großen, mit Bäumen bepflanzten Vorhof des Schlosses überschauen, welcher heut' von Priestern und Höflingen, sowie von Befehlshabern des Heeres und der Nomen wimmelte. Aengstliche Spannung malte sich in allen Gesichtern, denn die Todesstunde des Amasis rückte immer näher heran.

Tachot vernahm mit fieberhaft gespanntem Gehör, ohne selbst bemerkt zu werden, Vieles von dem, was unter ihr gesprochen und verhandelt wurde.

Jetzt, wo man den Verlust des Königs zu befürchten hatte, waren Alle, selbst die Priester, seines Lobes voll. Da hörte man die Weisheit und Kühnheit seiner neuen Schöpfungen, die Umsicht seiner Regierungsmaßregeln, die Unermüdlichkeit seines Fleißes, die Mäßigung, welche er stets gezeigt hatte, und die Schärfe seines Witzes preisen. »Wie hat sich der Wohlstand Aegyptens unter seinem Scepter gehoben!« sagte ein Nomarch. »Welchen Ruhm brachte er unsern Waffen durch die Eroberung von Cypern und den Krieg mit den Libyern!« rief ein Kriegsoberster. »Wie glänzend schmückte er unsere Tempel, wie hoch wußte er die Göttin von Sais zu ehren!« fügte ein Sänger der Neith hinzu. »Wie herablassend und gnädig er war!« murmelte ein Höfling. »Wie geschickt wußte er Frieden mit den mächtigsten Staaten zu erhalten!« sagte der Oberste der Schreiber, während der Schatzmeister, eine Thräne aus dem Auge wischend, ausrief: »Und wie weise hielt er mit den Einkünften des Landes Haus! Seit Ramses III. waren die Kammern des Schatzhauses nicht so gefüllt als heute(Anm. 79) Rhampsinit, von dessen Schatzhause uns Herodot II. 121 u. 122 jenes anmuthige Märchen erzählt, welches Graf Platen dramatisch behandelte. Appian gibt die kaum glaubliche Angabe, daß der Schatz des Ptolemäus Philadelphus 740,000 ägyptische Talente enthalten habe. Dies wären, wenn man auch das ägyptische Talent zu einem halben äginetischen rechnen wollte, 555,000,000 Thlr. Vielleicht ist Böckh's (Staatshaushalt d. Ath. I. S. 14) Konjektur richtig, daß hier die Gesammteinnahme seiner 38jährigen Regierung gemeint sei. Uebrigens soll eine Inschrift am Schatzhause Ramses des Großen (Osymandyas) besagt haben, daß die Gold- und Silbergruben der Aegypter jährlich 32 Millionen Minen, das sind 600 Mill. Thlr., eingebracht hätten. Diod. I. 49. Nach demselben, I. 62, enthielt der Schatz des Rhampsinit 4 Mill. Talente, d. s., wenn man wiederum ägyptische Talente rechnet, 3000 Mill. Thlr. Ein glücklicher Zufall hat es gefügt, daß eine Darstellung des Inhaltes des durch das oben erwähnte Märchen berühmten Schatzhauses dieses reichen Königs bis auf uns gekommen ist. Sie befindet sich bei den Schatzkammern im Tempel von Medinet Habu und ist publizirt worden von Dümichen in den historischen Inschriften altägyptischer Denkmäler Taf. XXX. fgd. Hier tritt uns in der That ein kolossaler Reichthum an Gold, Silber, Electrum, Lapis Lazuli, Glasflüssen (mafek), ja sogar an arabischen Spezereien entgegen. In Säcken, Vasen und Haufen lagert das edle Metall, das unedle in ziegelartigen Barren.!« – »Psamtik hat eine große Erbschaft zu erwarten,« lispele der Höfling, während der Krieger ausrief: »Doch wird er sie wohl schwerlich zu ruhmreichen Kriegen verwenden; der Thronerbe ordnet sich ganz dem Willen der Priester unter.« – »Du irrst,« erwiederte der Sänger; »seit geraumer Zeit scheint unser Herr die Rathschläge seiner treuesten Diener zu verschmähen!« – – »Nach solchem Vater,« rief der Nomarch, »ist es schwer, sich allgemeine Anerkennung zu erwerben. Nicht Jedem ward der hohe Geist, das Glück und die Weisheit eines Amasis zu Theil!« – »Das wissen die Götter!« murmelte der Krieger.

Tachot hörte all' diese Worte und ließ ihren Thränen freien Lauf. Was man ihr bis jetzt verschwiegen hatte, bestätigte sich: sie sollte bald ihren geliebten Vater verlieren.

Nachdem sie sich diese schreckliche Gewißheit klar zu machen versucht und ihre Dienerinnen vergeblich gebeten hatte, sie an's Bett des Kranken zu tragen, wandte sie ihr Ohr von den Gesprächen der Höflinge ab und schaute, als suchte sie dort einen Trost, auf das Sistrum, welches Bartja in ihre Hand gegeben, und das sie mit sich auf den Altan genommen hatte. – Und sie fand, was sie suchte, denn es war ihr, als würde sie von dem Klange der goldenen Ringe des heiligen Instrumentes dieser Welt entrückt und in eine lachende Sonnenlandschaft versetzt.

Jene der Ohnmacht gleichende Mattigkeit, welche die Schwindsüchtigen oftmals überkommt, hatte sie ergriffen und schmückte ihre letzten Stunden mit lieblichen Träumen.

Die Sklavinnen, welche mit Fächern und Wedeln die Fliegen aus der Nähe der Schläferin scheuchten, versicherten später, Tachot niemals so schön und lieblich gesehen zu haben wie damals.

Eine Stunde mochte sie so gelegen haben, als ihre Athemzüge tief und röchelnd wurden, ein leiser Husten ihre Brust erhob, und lichtes Blut von ihren Lippen auf ihr weißes Gewand herniederrieselte. Jetzt erwachte die Schläferin und blickte verwundert und enttäuscht auf die Anwesenden. Als sie ihre Mutter Ladice bemerkte, welche in diesem Augenblicke den Altan betrat, lächelte sie wiederum und sagte: »O Mutter, wie süß hab' ich geträumt!«

»So ist meinem theuren Kinde der Gang in den Tempel wohl bekommen?« fragte die Königin, welche die Blutstropfen auf den Lippen der Kranken bebend wahrnahm.

»Ach, Mutter, sehr gut! Ich habe ihn ja wiedergesehen!«

Ladice blickte die Dienerinnen ihrer Tochter ängstlich an, als wollte sie fragen: »Hat auch der Geist eurer armen Herrin gelitten?« Tachot bemerkte diesen Blick und sagte mit fieberhafter Lebendigkeit. »Du glaubst, daß ich irre rede, Mutter? Ich habe ihn aber ganz gewiß nicht nur gesehen, sondern auch gesprochen. Er gab mir das Sistrum in die Hand und sagte, er sei mein Freund. Dann nahm er meine Lotusknospe auf und verschwand im Gedränge. Sieh' mich nicht so bekümmert und staunend an, Mutter; ich rede die volle Wahrheit und habe nicht etwa geträumt. – Da hörst Du's, Tent-rut hat ihn auch bemerkt! Er ist ganz gewiß um meinetwillen nach Sais gekommen, und das Kinderorakel im Vorhofe des Tempels hat mich doch nicht betrogen! Jetzt fühl' ich auch gar nichts mehr von meiner Krankheit, und mir hat geträumt, ich läge in einem blühenden Mohnfelde, so roth wie das frische Blut der jungen Opferlämmer, und Bartja säße an meiner Seite, und Nitetis kniete neben uns und spielte wunderbare Lieder auf einer Nabla von Elfenbein. Und auch in der Luft hat es geklungen, daß mir um's Herz wurde, als küsse mich Horus, der liebe Gott des Morgens, des Lenzes, der Auferstehung. Ja, ich sage Dir, Mutter, daß er bald kommen wird, und wenn ich gesund bin, dann – dann – o weh! – Mutter, ich sterbe!

Ladice kniete vor dem Lager ihrer Tochter nieder und drückte heiße Küsse auf die gebrochenen Augen der Jungfrau.

Eine Stunde später stand sie an einem anderen Lager, dem Sterbebette ihres Mannes.

Die Züge des Königs waren entstellt von schweren Leiden; kalter Schweiß bedeckte seine Stirn und seine Hände klammerten sich an die goldenen Löwen(Anm. 80) Bei Wilkinson und Rosellini. S. oben im I. Th. Anmerkung 133., welche die Seitenlehnen des tiefen Krankenstuhls, in dem er ruhte, bildeten.

Als Ladice in das Zimmer trat, öffnete er seine Augen, die noch immer, trotz ihrer einstigen Blindheit, scharf und geistsprühend glänzten.

»Warum bringst Du Tachot nicht zu mir?« fragte er mit trockener Stimme.

»Sie ist zu krank und leidend, als daß –«

»Sie ist todt! Ihr ist wohl, denn der Tod ist keine Strafe, sondern das letzte Ziel des Lebens, – das einzige Ziel, das wir ohne Mühe, aber, die Götter wissen es, unter wie vielen Leiden, erreichen. Ra führt sie heim in seiner Barke mit seinen Getreuen und Osiris wird sie aufnehmen, denn sie war schuldlos. Auch Nitetis ist todt. Wo ist der Brief des Nebenchari? – Da steht es: ›Sie nahm sich selbst das Leben und starb, indem sie einen großen Fluch über Dich und die Deinen ausrief. Diese Kunde, welche so wahr ist wie mein Haß gegen Dich, sendet Dir der arme, verbannte, verhöhnte und beraubte Augenarzt aus Babylon nach Aegypten.‹

»Höre diese Worte, Psamtik, und laß Dir von Deinem sterbenden Vater sagen, daß jedes Unrecht, welches Dir auf Erden eine Drachme Genuß verschafft, Deine Todesstunde mit einem Talente Verzweiflung belastet. Um Nitetis willen wird furchtbares Unglück über Aegypten hereinbrechen. Die Nachricht der arabischen Händler ist wahr. Kambyses rüstet gegen uns und wird Aegypten überfallen wie ein brennender Wüstenwind. Vieles, was ich geschaffen, woran ich den Schlaf meiner Nächte und das Mark meines Lebens setzte, wird vernichtet werden. Aber dennoch hab' ich nicht umsonst gelebt, denn vierzig Jahre lang bin ich der sorgende Vater, der Wohlthäter eines großen Volkes gewesen. Ferne Enkel werden den Namen des Amasis als eines großen, weisen und menschenfreundlichen Königs nennen, und von meinen Bauten zu Sais und Theben mit Bewunderung lesen den Namen ihres Gründers und preisen die Fülle seiner Macht! Ja, auch Osiris und die zweiundvierzig Richter werden mich in der Unterwelt nicht verdammen, und die Göttin der Wahrheit, die Herrin der Waagschale(Anm. 81) S. II. Theil Anmerkung 94 [Seite 193]. Der Beiname »Herrin der Wagschale« kommt daher, weil die Göttin der Wahrheit die Seelen der Verstorbenen in der Unterwelt abwog. In den Todtenbüchern, welche fast alle in der größten Vignette (zu Kap. 125) die Wägung der Seelen zeigen., wird finden, daß das Gewicht meiner guten die Last meiner bösen Thaten überwiegt!« – Der König seufzte und schwieg lange Zeit. Endlich blickte er seine Gattin mit herzlicher Innigkeit an und sagte: »Du, Ladice, bist mein treues, tugendhaftes Weib gewesen. Ich danke Dir dafür und bitte Dich für Vieles um Verzeihung. Häufig konnten wir uns nicht verstehen. Ja, es ist mir leichter geworden, mich in die Eigenart Deines Volkes hineinzudenken, als Dir, das ägyptische Wesen zu verstehen. Du weißt, wie hoch ich die Kunst Deiner Landsleute schätze, wie gern auch ich mit Pythagoras, Deinem Freunde, verkehrte, der tief eingeweiht war in Alles, was wir wissen und glauben, und Vieles davon freudig aufnahm. Er, der die tiefe Weisheit der Lehren erfaßt hatte, die mir hochheiliger erscheinen als alles Andere, was ich kenne, hütete sich wohl, der Wahrheiten zu spotten, die die Priesterschaft vielleicht zu ängstlich dem Volke verbirgt. Das beugt sich willig vor dem Unbegreiflichen und dessen Verkündern; wär' es denn aber nicht schöner und edler, wenn man es das Wahre zu verstehen lehrte und es aufrichtete, anstatt es zu beugen? Freilich würden so die Priester weniger gehorsame Diener, die Götter aber mehr freie und würdige Verehrer finden. Mit unserem Thierdienste, Ladice, konntest Du Dich am wenigsten befreunden; aber ich meine doch, es sei richtiger und des Menschen würdiger, den Schöpfer im Geschöpfe, als in steinernen Bildsäulen anzubeten. Zudem sind eure Götter allen menschlichen Schwächen unterworfen, ja ich hätte meine Königin sehr unglücklich gemacht, wenn ich gleich dem hellenischen Zeus gelebt haben würde.«

Bei diesen Worten lächelte der König; dann fuhr er fort: »Aber weißt Du, woher das komm? Den Hellenen geht die schöne Form über Alles; darum vermögen sie den Leib, den sie für das Herrlichste alles Geformten halten, nicht von der Seele zu trennen, wie sie auch behaupten, daß ein schöner Geist nothwendig in einem schönen Körper wohnen müsse. So sind ihre Götter nichts als gesteigerte Menschen, während wir die Gottheit in der Natur und in uns selbst als körperlos wirkende Kraft erkennen. Zwischen dieser und dem Menschen steht das Thier, welches nicht, wie wir, nach dem Buchstaben, sondern nach den ewigen Gesetzen der Natur handelt(Anm. 82) Nach Anacharsis bei Diodor.. Dieser ist nur von Menschen erdacht, jene aber verdanken der Gottheit ihren Ursprung. Und wer von uns strebt wohl so dringend nach Freiheit, dem höchsten Gute, als die Thiere? Wer lebt ohne Lehren und Anweisungen so gleichmäßig fort von Geschlecht zu Geschlecht, als jene?«

Hier versagte die Stimme des Königs, der nach kurzer Pause fortfuhr: »Ich fühle, daß es zu Ende geht, darum genug von diesen Dingen. Laß Dir, mein Sohn und Nachfolger, meinen letzten Willen aussprechen. Handle nach ihm, denn die Erfahrung spricht zu Dir! Aber ach, ich habe in meinem langen Leben hundertfach gesehen, daß alle Lebensregeln, die Andere uns mit auf den Weg geben, unnütz sind. Kein Mensch darf für einen zweiten Erfahrungen machen. Nur durch eigene Verluste wird man vorsichtig, nur durch eigenes Lernen klug! Du besteigst den Thron in gereiften Jahren, mein Sohn, und hast Zeit gehabt, über das Rechte und Unrechte, das Heilsame und Schädliche nachzudenken und Dinge verschiedener Art zu sehen und zu vergleichen. Darum gebe ich Dir keine allgemeinen Lehren, sondern begnüge mich damit, Dir einzelne nutzbare Rathschläge zu ertheilen. Ich reiche sie Dir mit der rechten Hand, aber ich fürchte, daß Du sie mit der linken aufnehmen wirst.

»Vor Allem magst Du wissen, daß ich in den letzten Monaten, trotz meiner Blindheit, nur scheinbar theilnahmlos Deinem Treiben zugesehen und Dir in guter Absicht freies Spiel gelassen habe. Rhodopis erzählte mir einst eine Fabel ihres Lehrers Aesop: ›Ein Wanderer begegnete einem Manne und fragte ihn, wie lange Zeit er brauchen würde, um bis zur nächsten Stadt zu gelangen. »Geh' nur, geh'!« rief der Befragte. – »Ich will doch aber erst wissen, wann ich in der Stadt sein werde!« – »Geh' nur, geh'!« – Der Wanderer entfernte sich empört und Verwünschungen ausstoßend. Nachdem er einige Schritte fortgewandert war, rief ihn der Gescholtene zurück und sagte: »Du wirst eine Stunde bedürfen, um zur Stadt zu gelangen. Ich konnte Deine Frage nicht eher richtig beantworten, als bis ich Deinen Gang gesehen!«‹

»Zu Deinem Besten merkte ich mir diese Fabel und beobachtete schweigend die Art Deines Regierungsganges, um Dir sagen zu können, ob Du zu schnell oder zu langsam wandertest. Jetzt weiß ich, was ich zu erfahren wünschte, und gebe Dir zu meinen Ratschlägen die Lehre in den Kauf: ›Prüfe Alles selbst!‹ Jeder Mensch, besonders aber ein König, hat die Pflicht, sich von Allem, was Diejenigen betrifft, für deren Wohl er zu sorgen hat, selbst zu überzeugen. Du, mein Sohn, siehst zu viel durch fremde Augen, hörst zu viel durch fremde Ohren und gehst zu wenig zu der ersten Quelle zurück. Deine Rathgeber, die Priester, wollen sicher nur das Gute; aber, – Neithotep, ich bitte Dich, uns einen Augenblick allein zu lassen.«

Sobald sich der Oberpriester entfernt hatte, rief der König: »Sie wollen das Gute, aber nur das, was ihnen gut ist! Wir aber sind nicht die Könige der Priester und Vornehmen, sondern die Fürsten des Volkes. Höre darum nicht ausschließlich auf den Rath jener stolzen Kaste, sondern überzeuge Dich selbst, indem Du alle Bittschriften liesest und treue, Dir ergebene und im Volke beliebte Monarchen anstellest, was den Aegyptern gebricht, was sie hoffen und wessen sie bedürfen. Weißt Du genau, wie es im Lande steht, dann ist es unschwer, gut zu regieren. Wähle nur die rechten Beamten; für die richtige Eintheilung des Reiches bin ich besorgt gewesen, und unsere Gesetze sind gut und haben sich bewährt. An ihnen halte Dich, und traue Keinem, der sich für klüger ausgibt als das Gesetz, denn ich sage Dir, das Gesetz ist überall und immer klüger als der Einzelne, und der Uebertreter einer Strafe werth. Das empfindet niemand tiefer als das Volk, welches sich für uns um so freudiger opfert, je williger wir unsern Einzelwillen dem Gesetze zu opfern verstehen. Du fragst nichts nach dem Volke. Seine Stimme pflegt freilich rauh zu sein; sie gibt aber gewöhnlich gesunden Anschauungen Ausdruck; sie kennt keine Lüge, und Niemand bedarf dringender der Wahrheit, als ein König. Der Pharao, welcher den Priestern und Höflingen am willigsten folgt, wird die meisten Schmeichelworte hören; derjenige, welcher die Wünsche des Volkes zu erfüllen strebt, durch seine Umgebung viel zu leiden haben, in seinem Herzen aber zufrieden sein und von der Nachwelt gepriesen werden. Ich habe in meinem Leben oft gefehlt, und dennoch werden mich die Aegypter beweinen, denn ich kannte stets ihre Bedürfnisse und war wie ein Vater auf ihr Wohl bedacht. Für einen König, der seine Pflichten kennt, ist es leicht und schön, sich die Liebe des Volkes, undankbar, den Beifall der Großen, beinahe unmöglich, die Zufriedenheit Beider zu erwerben.

»Erinnere Dich, das wiederhole ich, stets daran, daß Du und die Priester für das Volk und nicht das Volk für Dich und die Priester da ist. Ehre die Religion um ihrer selbst willen und als die wesentlichste Stütze des Gehorsams der Völker gegen die Könige; zeige aber ihren Verkündigern, daß Du sie nicht als Gefäße, sondern als Diener der Gottheit betrachtest. Sie haben es verstanden, sich im Bewußtsein der Menge über die Gottheit zu stellen und aus den Aegyptern gehorsamere Priesterknechte als Götterdiener zu machen. Dieser ihrer Jahrtausende langen Arbeit vermag keine Herrschermacht entgegen zu wirken; wohl aber können wir ihnen in den Arm greifen, wenn sie das Leben des Staates ihren Einzelzwecken unterzuordnen versuchen. Glaube mir, mein Sohn, daß die Priesterschaft stündlich bereit ist und sein wird, sobald sie die Macht ihrer Kaste gefährdet sieht, das Wohl des Gesammtwesens zu schädigen, ja zu vernichten!

»Halte, wie das Gesetz befiehlt, am Alten fest; verschließe aber niemals dem besseren Neuen das Thor des Reiches. Frevler brechen schnell mit dem Hergebrachten, Narren finden nur Fremdes und Neues wünschenswerth; beschränkte Thoren oder eigennützige Bevorzugte klammern sich unbedingt an das Alte und nennen den Fortschritt Sünde; Weise bemühen sich, durch die Vergangenheit Bewährtes festzuhalten, schadhaft Gewordenes zu beseitigen, Gutes, möge es stammen, woher es wolle, aufzunehmen. Darnach handle, mein Sohn! Die Priester werden Dich rückwärts drängen, die Hellenen Dich vorwärts zu treiben versuchen. Schließe Dich dem einen oder dem anderen Theile an; hüte Dich aber, in der Mitte stehen zu bleiben und heute diesen, morgen jenen nachzugeben. Wer zwei Sessel zugleich benutzen will, kommt auf die Erde zu sitzen. Eine Partei sei Dein Freund, die andere Dein Feind, denn versuchst Du es mit Beiden zu halten, so werden sehr bald Beide Deine Feinde werden. Die Menschen sind einmal so, daß sie Diejenigen hassen, welche ihren Gegnern Gutes erweisen.

»In den letzten Monaten, welche Dich selbstständig regieren sahen, hast Du durch Dein unseliges Hin- und Herschwanken beide Theile verletzt. Wer bald vorwärts, bald rückwärts geht wie die Kinder, kommt zu spät zum Ziele und ermüdet vorzeitig. Ich hielt es mit den Hellenen und trat den Priestern entgegen, bis ich meine letzte Stunde nahen fühlte. Im lebendigen Treiben des Lebens schienen mir die tapferen und klugen Griechen besonders brauchbar; zum Sterben aber bedarf ich Derer, welche den Paß in die Unterwelt ausstellen. Mögen mir die Götter verzeihen, daß ich selbst in der letzten Stunde meinen Mund so leichtfertig klingenden Worten nicht zu verschließen vermag. Sie haben mich gemacht, wie ich bin, und müssen mich nun auch ebenso hinnehmen. Ich rieb mir die Hände, als ich König wurde; mögest Du die Hand auf's Herz legen, wenn Du den Thron besteigst! Rufe Neithotep wieder herein, ich muß euch Beiden noch etwas sagen!«

Als der Oberpriester an seiner Seite stand, strecke der König ihm die Hand entgegen und sprach: »Ich scheide ohne Groll von Dir, obgleich ich meine, daß Du Deine Pflichten als Priester besser zu erfüllen verstandest, wie die als Sohn Deines Vaterlandes und als Diener Deines Königs. Psamtik wird Dir, denk' ich, williger gehorchen, als ich; Eins aber lege ich euch Beiden an's Herz: Entlaßt die hellenischen Söldner nicht eher, als bis ihr die Perser mit ihrer Hülfe bekriegt und hoffentlich geschlagen haben werdet! Meine Weissagung von vorhin hat keinen Werth; man verliert die gute Laune und sieht ein wenig schwarz, wenn's an's Sterben geht. Ohne die Hülfstruppen werdet ihr rettungslos verloren sein; mit ihnen ist es nicht unmöglich, daß die ägyptischen Heere siegen. Seid klug und macht die Ionier darauf aufmerksam, daß sie am Nile für die Freiheit ihrer eigenen Heimath kämpfen. Der siegreiche Kambyses wird sich nicht mit Ägypten begnügen, während eine Niederlage der Perser auch den geknechteten Ioniern die Freiheit bringen kann. Ich wußte, daß Du mir zustimmen würdest, Neithotep, denn im Grunde meinst Du es doch wohl gut mit Aegypten. Jetzt bitte ich Dich, mir die heiligen Gebete vorzulesen. Ich fühle mich sehr erschöpft; bald ist's vorbei. Könnte ich nur der armen Nitetis vergessen! Hatte sie das Recht uns zu verfluchen? Die Todtenrichter und Osiris mögen sich unserer Seelen erbarmen! – Setze Dich hierher, Ladice, und lege die Hand auf meine heiße Stirn; Du aber, Psamtik, schwöre in Gegenwart dieser Zeugen, daß Du Deine Stiefmutter hochhalten und ehren willst, als wärst Du ihr eigenes Kind. Armes Weib! Du solltest mich bald aufsuchen bei Osiris. Was willst Du noch ohne Gatten und Kinder auf dieser Erde? Wir haben Nitetis wie unsere eigene Tochter auferzogen, und dennoch werden wir um ihretwillen so schwer bestraft. Aber ihr Fluch trifft uns allein; nicht Dich, Psamtik, nicht Deine Kinder! Bringt mir jetzt meinen Enkel! Ich glaube, daß das eine Thräne war. Nun, man pflegt sich gewöhnlich von kleinen Dingen, an die man sich gewöhnt hat, am schwersten zu trennen!«


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