Georg Ebers
Eine ägyptische Königstochter Bd. I
Georg Ebers

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Elftes Kapitel.

Drei Tage vor der zur Abreise der Nitetis bestimmten Zeit hatte Rhodopis eine große Anzahl von Gästen, unter denen sich Krösus und Gyges befanden, nach Naukratis geladen.

Während des Gastmahls sollten sich, von der Nacht und der Sklavin beschützt, die beiden Liebenden im Garten treffen. Als Melitta sich überzeugt hatte, daß die Tischgespräche im besten Gange waren, öffnete sie die Pforte, ließ den Königssohn in den Garten treten und führte ihm das liebende Mädchen entgegen. Dann entfernte sie sich, um die Beiden durch Händeklatschen vor jedem unberufenen Lauscher zu warnen.

»Nur noch drei Tage lang werde ich Dich in meiner Nähe wissen,« flüsterte Sappho. »Weißt Du, manchmal kommt mir's vor, als hätt' ich Dich gestern zum ersten Male gesehen; gewöhnlich mein' ich aber, daß Du mir schon eine Ewigkeit gehörtest und ich Dich lieb gehabt hätte, so lang ich lebe!«

»Auch ich glaube immer, daß ich Dich, so lang ich lebe, besitze; denn ich kann mir nicht vorstellen, daß ich einmal gelebt haben soll ohne Dich.«

»Wäre die Trennungszeit nur erst vorüber!«

»O, glaube mir, sie vergeht schneller wie Du meinst. Das Warten wird uns freilich lang, sehr lang vorkommen; wenn wir aber wieder beisammen sind, so denk' ich, daß es uns sein muß, als hätten wir uns erst eben Lebewohl gesagt. Siehst Du, so ist's mir jeden Tag ergangen. Wie hab' ich mir den Morgen um Dich herbeigesehnt; wenn er aber da war, und Du an meiner Seite saßest, so glaubte ich, ich hätte Dich gar nicht von mir gelassen, und Deine Hand ruhte noch von gestern her auf meinem Haupte.«

»Und dennoch überkommt mich eine mir sonst unbekannte Bangigkeit, wenn ich an die Scheidestunde denke.«

»Ich fürchte mich nicht so sehr vor ihr. Freilich wird mein Herz bluten, wenn Du mir Lebewohl sagst; aber ich weiß, daß Du wiederkommen und mich nicht vergessen wirst. Melitta hat das Orakel befragen wollen, ob Du mir treu bleibst; – sie wollte auch zu einem alten Weibe gehen, das soeben aus Phrygien angekommen ist und bei Nacht aus gezogenen Stricken weissagen kann. Dazu braucht sie, der Reinigungen wegen, Weihrauch, Styrax, mondförmige Kuchen und Blätter von wilden Dornsträuchern(Anm. 205) Dieselben Orakel wollte Glycera befragen, als ihr Geliebter, der Tragiker Menander, von dem Könige Ptolemäus nach Aegypten berufen worden war. Der Brief derselben, Alciphr. II. Ep. 4. ist wahrscheinlich unecht, aber ebenso geistreich als liebenswürdig. Ich erinnere auch an das herrliche Gedicht von dem liebeskranken Mädchen im Theokrit.; aber ich habe mir das Alles verbeten, denn mein Herz weiß ja besser als Pythia, Stricke und Opferrauch, daß Du mir treu bleiben und mich lieb behalten wirst.«

»Und Dein Vertrauen betrügt Dich nicht!«

»Aber ich bin doch nicht ganz ohne Bangigkeit gewesen. denn ich habe, wie die Mädchen zu thun pflegen, wohl hundertmal in ein Mohnblatt geblasen und darauf geschlagen. Wenn es knallte, dann jubelte ich: ›Er wird Dich nicht vergessen!‹ Wenn das Blättlein aber ohne jeden Laut zerriß, so wurde ich betrübt. – Doch es ließ fast immer den erwünschten Ton vernehmen, und ich durfte viel öfter fröhlich, als traurig sein(Anm. 206) Dieses Blumenorakel, welches unserem Zerpflücken von Akazienblättern und Maßliebchen glich, war im Alterthum nicht ungewöhnlich. Pollux IX. 27. Becker, Charikles I. 327. Noch im heutigen Hellas sollen die Mädchen dieses Orakel befragen. Bybilakis, Neugriechisches Leben, S. 20.

»Und so soll es bleiben.«

»Ja, so muß es bleiben! Sprich aber leiser, Liebster, damit uns Knakias, der dort zum Nile geht, um Wasser zu schöpfen, nicht bemerk.«

»Ja ich will leise sprechen. So! Jetzt streich' ich Dir Dein seidenes Haar zurück und flüstre in Dein Ohr: ›Ich liebe Dich!‹ Hast Du's verstanden?«

»Was man gerne hört, sagt mein Ahne, das versteht sich leicht; doch hättest Du mir eben auch in's Ohr gerufen: ›Ich hasse Dich!‹ so würde mir Dein Blick trotzdem mit tausend Stimmen zugejubelt haben, daß Du mich liebst. Des Auges stummer Mund ist viel beredter, als alle Zungen in der ganzen Welt.«

»Könnt' ich nur, wie Du, die schöne Sprache der Hellenen reden, dann wollt' ich . . .«

»O, ich freue mich, daß Du nicht besser sprichst; denn könntest Du mir Alles sagen, was Du fühlst, so würdest Du mir, mein' ich, weit weniger zärtlich in die Augen schauen. Was sind denn Worte? Hörst Du dort die Nachtigall? Der Rede Gabe ward ihr nicht zu Theil und dennoch glaub' ich, daß ich sie verstehe.«

»Willst Du mir's anvertrauen? Ich möchte gern wissen, was Bülbül, wie die Perser die Nachtigall benennen, mit ihrem Liebsten, dort drüben in dem Rosenbusche, zu verhandeln hat. Darfst Du verrathen, was der Vogel spricht?«

»Ich will Dir's leise sagen! Philomele singt dem Gatten zu: ›Ich liebe Dich!‹ Und seine Antwort lautet, höre nur: ›Itys, ito, itys‹(Anm. 207) Also läßt Aeschylus die Nachtigall flöten. Die künstliche Deutung des ίτυς, ίτω ist eine Spielerei, welche wir unserer kindlichen Sappho wohl in den Mund legen durften. Ursprünglich hat der Itysruf der Nachtigall einen ganz anderen Sinn. Philomele klagte um den Itys, den Knaben, der, um sie an dem Tereus, seinem Vater, zu rächen, geschlachtet worden war. Prokne, die Tochter des Pandion von Athen, war die Gattin des Tereus von Daulis in Thracien. Beide hatten einen Sohn Itys. Einst sollte Tereus die Schwester seiner Gattin, Philomele, zu dieser geleiten. Unterwegs that er dem Mädchen Gewalt an, schnitt ihr, damit sie das Geschehene nicht verrathen möge, die Zunge aus und ließ sie im Walde zurück. Philomele wußte aber ihrer Schwester von dem ihr Zugefügten durch Zeichen, die sie in ein Gewand webte, Kunde zu geben. Prokne schlachtete nun ihren eigenen Sohn und setzte ihn dem Vater Tereus zur Speise vor. Dieser bemerkte zu spät, womit er sich gesättigt, eilte den fliehenden Schwestern nach und wurde auf deren Gebet mit ihnen verwandelt. Nach der ursprünglichen Fassung der Sage floh Prokne in die Wälder als Nachtigall und klagte ihrem geopferten Itys nach, Philomele ward zur Schwalbe, die wegen der ausgeschnittenen Zunge nur zwitschern und »Tereu« rufen konnte; Tereus selbst wurde zum Wiedehopf, welcher, auch in Bezug auf Itys, stets »pou?« wo? rufen mußte. Die in die Nachtigall verwandelte Schwester ward mit ganzer, die zur Schwalbe gewordene mit halber Schlaflosigkeit gestraft. Ob Prokne, ob Philomele in die Nachtigall verwandelt worden sei, darüber herrschen in den verschiedenen Mittheilungen verschiedene Ansichten. Ovid, der die Sage Metamorph. VI. 425 seq. auf's Anmuthigste wiedergibt, läßt die Frage unentschieden. Uebrigens läßt er doch auch, Amores II. 6. 7–10. Philomele zur Nachtigall werden, was man auch später allgemein annahm.

»Und was heißt ›Ito, Ito‹?«

»Ich nehm' es an, ich nehm' es an!«

»Und ›Itys‹?«

»Das müßte man, um's richtig zu verstehen, schon künstlich deuten. Itys ist ein Kreis; der Kreis bedeutet, so ward ich belehrt, die Ewigkeit, denn er hat keinen Anfang und kein Ende. Drum ruft die Nachtigall: ›Ich nehm' es an, ich nehm' es an für alle Ewigkeit!‹«

»Und wenn ich Dir nun sag': ›Ich liebe Dich‹?«

»So geb' ich, wie die Sängerin der Nacht, Dir jubelnd wieder: Ich nehm' es an, für heut', für morgen, für die Ewigkeit!«

»O welche Nacht, wie Alles ruht und schweigt; ich höre selbst die Nachtigall nicht mehr. Dort drüben im Akazienbaume, dessen Blüthentrauben so süßen Duft versenden, weilt sie jetzt. Der Palmen Kronen spiegeln sich im Nil und zwischen ihnen schimmert des Mondes Bild gleich einem weißen Schwan.«

»Und seine Strahlen fesseln mit Silberfäden Alles, was da lebt. Drum liegt die ganze Welt wie ein gefangenes Weib in tiefem Schweigen da und regt sich nicht. Ich könnte jetzt, so froh ich bin, nicht lachen und noch viel weniger mit lauter Stimme sprechen.«

»So flüstere oder singe!«

»Du hast recht. Gib mir mein Saitenspiel! Ich danke Dir. Laß mich mein Haupt an Deinen Busen lehnen und Dir ein stilles Friedensliedlein singen. AlkmannSiehe Anmerkung 6. Eigene Uebersetzung. der Lyder, der zu Sparta weilte, hat es erdacht, die stille Nacht zu preisen. Jetzt lausche mir, denn dieses sanfte Schlummerlied muß leise, leise von den Lippen wehen. – Küß' mich nicht mehr, nein, bitte, küß' mich nicht, bevor ich fertig bin; dann aber fordr' ich selbst den Kuß zum Dank:

»Es schlafen die Gipfel der bergigen Höh',
Es schlafen die Klippen in schlummernder See;
Es schlafen die Schluchten, der Blätter Schaar,
Der Wurm, den die nährende Erde gebar.

»Die Thiere der Berge, sie träumen schwer,
Es schlummert der emsigen Bienen Heer;
Es schläft in des purpurnen Meeres Fluth
Der salzigen Tiefen furchtbare Brut;
Die hurtigen Vögelein schlafen fest
Und ruhen die Schwingen im traulichen Nest.«

»Nun, Geliebter; meinen Kuß?«

»Ich hatte vor Lauschen das Küssen vergessen, wie ich vorhin vor Küssen das Lauschen vergaß.«

»Du Loser! Ist mein Liedchen nicht schön?«

»Schön, wie Alles, was Du singst.«

»Und die großen hellenischen Sänger dichten.«

»Auch darin geb' ich Dir Recht.«

»Habt ihr in Persien keine Sänger?«

»Wie magst Du also fragen? – Könnte ein Volk sich edlerer Gefühle rühmen, wenn es den Gesang verachtete?«

»Aber ihr habt doch recht schlimme Sitten.«

»Nun?«

»Ihr nehmt so viele Frauen zur Ehe!«

»Meine Sappho . . .«

»Versteh' mich nicht falsch! Sieh', ich habe Dich so lieb, daß ich Nichts will, als Dich glücklich sehen und Dein ganzes Dasein theilen zu dürfen. Verstößt Du, wenn Du mich allein zum Weibe nimmst, gegen die Sitten Deiner Heimath, sollte man Dich Deiner Treue wegen verachten oder nur tadeln wollen, denn wer dürfte meinen Bartja verachten, so nimm Dir andere Weiber neben mir; aber erst laß mich nur zwei, nur drei Jahre lang Dich ganz allein besitzen. Willst Du das, Bartja?«

»Ich will.«

»Und dann, wenn meine Zeit vorüber ist und Du der Sitte Deines Landes nachgeben mußt, denn aus Liebe wirst Du keine Zweite heimführen, so laß mich Deine erste Sklavin bleiben. O, ich habe mir das so herrlich ausgemalt! Wenn Du in den Krieg ziehst, so setze ich Dir die Tiara auf die Locken, so gürte ich Dir das Schwert um und gebe Dir die Lanzen in die Hand. Wenn Du als Sieger heimkehrst, dann bekränze ich Dich zuerst. Reitest Du zur Jagd, so schnalle ich Dir die Sporen an, und gehst Du zum Gastmahle, dann schmücke und salbe ich Dich, winde Dir Pappel- und Rosenkränze und schlinge sie um Deine Stirn und Deine Schultern. Bist Du verwundet, so pflege ich Dich, bist Du krank, so weiche ich nicht von Deiner Seite, bist Du glücklich, dann ziehe ich mich zurück und weide mich aus der Ferne an Deiner Ehre und Deinem Wohlergehen; vielleicht rufst Du mich dann zu Dir und Dein Kuß sagt mir, daß Du mit Deiner Sappho zufrieden bist, daß Du mich noch immer liebst.«

»O Sappho, wärest Du doch heute schon mein Weib! Wer einen so großen Schatz besitzt wie ich in Dir, der mag ihn hüten, aber nicht nach anderen Schätzen, die doch nur, mit ihm verglichen, ärmlich sein können, streben. Wer Dich geliebt, liebt keine Andre mehr! In meiner Heimath ist es zwar der Brauch, daß jeder Mann viele Weiber heimführt; aber dies wird nur gestattet, keineswegs durch ein Gesetz befohlen. Auch mein Vater hatte zwar hundert Sklavinnen, aber nur eine rechte, echte, wahre Gattin, unsere Mutter Kassandane.«

»Und ich werde Deine Kassandane sein?«

»Nein, meine Sappho, denn was Du mir wirst, das war noch keinem Manne sein Gemahl!«

»Wann kommst Du mich zu holen?«

»Sobald ich kann und darf.«

»Nun will ich wohl geduldig warten!«

»Und werde ich Nachricht von Dir erhalten?«

»Ich schreibe Dir lange, lange Briefe und trage allen Winden Grüße für Dich auf . . .«

»Thu' das, mein Liebchen; und was die Briefe anbelangt, so übergib sie dem Boten, welcher Nitetis von Zeit zu Zeit Nachrichten aus Aegypten überbringen wird.«

»Wo find' ich ihn?«

»Ich werde einen Mann zu Naukratis anstellen, der Alles, was Du ihm zukommen läßt, besorgen soll. Das Nähere will ich mit Melitta besprechen.«

»Wir dürfen ihr vertrauen, denn sie ist klug und treu; doch habe ich noch eine andere Freundin, welche mich nach Dir am meisten liebt, und die auch ich nach Dir am liebsten habe.«

»Du meinst Deine Großmutter Rhodopis?«

»Meine treue Pflegerin und Lehrerin!«

»Sie ist ein edles Weib! Mein Vater Krösus hält sie für die trefflichste der Frauen, und er kennt die Menschen wie der Arzt die Kräuter und die Wurzeln. In jenen weiß er, schlummert arges Gift, in diesen Tropfen, welche Heilung spenden, und Rhodopis, so sagte Krösus oft, gleicht einer Rose, welche Duft verleiht und Labungsöl für schwache Kranke spendet, selbst wenn sie welkend Blatt auf Blatt verliert und in Geduld des Windes wartet, der sie ganz verweht.«

»O, daß sie lange lebe! Liebster Mann, gewähre mir noch eine große Bitte!«

»Sie ist gewährt, schon eh' ich sie vernommen.«

»Laß Rhodopis, wenn Du mich heimwärts führst, nicht in Aegypten zurück. Sie soll uns folgen. O, sie ist so gut und liebt mich so innig, daß sie, was mich beglücken mag, beglückt, und daß, was meinem Herzen theuer ist, auch ihrem liebenswerth erscheinen muß.«

»Sie sei der erste Gast in unserem Hause!«

»Wie gut Du bist! Jetzt bin ich ganz zufrieden und beruhigt. Die gute Greisin bedarf ja meiner! Sie kann nicht leben ohne mich, ihr Kind. Ich lache ihr die trüben Sorgen fort, und wenn sie, mich belehrend, bei mir sitzt, wenn sie mir Lieder singt, wenn sie mir zeigt, wie man den Griffel führt, die Laute schlägt, dann glänzt ein reineres Licht von ihrer Stirn, und alle Furchen, die der Gram gepflügt, sie glätten sich, ihr mildes Auge lacht, und sie vergißt so manchen bösen Tag, indem sie froh der Gegenwart genießt.«

»Ich frage sie, bevor wir scheiden, ob sie uns in meine ferne Heimath folgen will?«

»O, wie bin ich froh! – Und weißt Du auch, daß mir die erste Zeit der Trennung gar nicht furchtbar scheint? Jetzt darf ich Dir, als meinem Mann und Herrn, wohl Alles sagen, was mich schmerzt und freut; vor Anderen aber muß ich schweigsam sein. So wisse, Liebster, daß wir, wenn ihr in eure Heimath zieht, zwei kleine Gäste in unserem Hause erwarten; des guten Phanes Kinder, jenes Mannes, für den Dein Freund, der Sohn des Krösus, eine so edle That begangen hat. Ich will für die Kleinen immerdar wie eine Mutter sorgen, und wenn sie brav gewesen sind, dann werde ich ihnen schöne Mährchen singen von einem Königssohne, einem starken Helden, der sich ein schlichtes Mädchen zum Weibe nahm; und wenn ich dann beschreibe, wie der Prinz, der junge Held zu schauen war, so wirst Du hell vor meinen Augen stehen, und, ohne daß mein Pärchen etwas merkt, beschreib' ich Dich vom Kopfe bis zum Fuß. Mein Held erfreut sich Deines hohen Wuchses, ihn zieren Deine goldnen Locken, Dein blaues Augenpaar schmückt seine Stirn und Deiner Kleider königliche Pracht umgibt auch seine prangende Gestalt; Dein edles Herz, Dein treuer wahrer Sinn, die Ehrfurcht vor den Göttern, die Dich ziert, die Tapferkeit, Dein hoher Heldenmuth, kurz Alles, was an Dir mir lieb und werth, das wird dem Helden meines Liedes zu Theil. Die Kinder werden lauschen! Und wenn sie ausrufen werden: ›O wie lieben wir den Königssohn, wie ist er schön und gut; ach, könnten wir den edlen Jüngling sehen‹ – dann presse ich sie liebend an mein Herz und küsse sie, so wie ich Dich geküßt, und auch der Kinder Wunsch ist dann erfüllt, denn, weil Du ja in meinem Herzen thronst, so bist Du in mir lebend, ihnen nah, und, wie sie mich, umarmen sie auch Dich!«

»Ich aber geh' zu meinem Schwesterlein, Atossa, und erzähle ihr von Allem, was ich auf meiner Fahrt gesehen habe. Und wenn ich der Griechen Anmuth, den Glanz ihrer Werke und die Schönheit ihrer Frauen preise, so will ich Dein holdes Wesen schildern, als das Bild der goldnen Aphrodite. Ich werde ihr von Deiner Tugend, Deiner Schönheit und Sittsamkeit, von Deinem Sange, dessen Wohllaut selbst die Nachtigall, wenn sie ihn hören darf, zum Lauschen zwingt, von Deiner Liebe, Deiner Zärtlichkeit gar viel erzählen. Dieß Alles aber übertrage ich von Dir auf Cypris göttliche Gestalt und küsse meine Schwester, wenn sie ruft: ›O Aphrodite, könnte ich Dich sehen!‹«

»Horch, was war das, da klatscht die Wärterin! Leb' wohl, wir müssen fort! auf baldiges Wiedersehen!«

»Noch einen Kuß!«

»Leb' wohl!«

Melitta war auf ihrem Posten, von Müdigkeit und Alter überwältigt, eingeschlafen. Endlich wurde sie durch ein lautes Geräusch aus ihren Träumen gerissen. Sie klatschte sogleich in die Hände, um das Paar zu warnen und Sappho herbeizurufen, denn sie sah an den Sternen, daß der Morgen nicht mehr fern sei.

Als sich die Alte mit ihrer Schutzbefohlenen dem Hause näherte, bemerkte sie, daß jenes Geräusch, welches sie vorher geweckt hatte, von den Gästen ausgehe, die sich zum Aufbruch anschickten.

Zur höchsten Eile drängend, schob sie das erschreckte Mädchen durch die Hinterthüre in das Hans, führte sie in ihr Schlafzimmer und wollte eben beginnen die Jungfrau zu entkleiden, als Rhodopis eintrat.

»Du bist noch auf, Sappho?« fragte dieselbe. »Was bedeutet das, mein Kind?«

Melitta bebte und hatte eine Lüge auf den Lippen; Sappho aber warf sich ihrer Großmutter an die Brust, umschlang sie zärtlich, küßte sie voller Innigkeit und erzählte ihr ohne Rückhalt die Geschichte ihrer Liebe.

Rhodopis erbleichte.

»Verlaß uns!« herrschte sie der Sklavin zu. Dann stellte sie sich vor ihre Enkelin, legte die Hände auf ihre Schultern und sprach: »Sieh mir in die Augen, Sappho! Kannst Du mich noch ansehen, eben so heiter, eben so kindlich rein, als vor der Ankunft jenes Persers?«

Das Mädchen schaute lächelnd und freudig zu der Großmutter empor; da zog sie Rhodopis an ihre Brust, küßte sie und sprach: »Seit Du die Kinderschuhe ausgezogen hast, war ich bestrebt, Dich zu einer würdigen Jungfrau zu machen und Dich vor der Liebe zu bewahren. Ich wollte Dir bald einen passenden Gatten erwählen und Dich ihm nach hellenischer Sitte(Anm. 208) Während die Spartaner, der Neigung ihres Herzens folgend, heiratheten, pflegte man zu Athen nur mit den Eltern der Braut wegen der Ehe zu verhandeln. Dies war die Ursache oder Folge des sehr eingezogenen Lebens der attischen Jungfrauen. Näheres über die Heirathen bei den Griechen im Text des dritten Theils und daselbst Anmerkung 62 und 63 [64 und 65]. zum Weibe geben; aber die Götter haben es anders gewollt. Eros spottet aller Schranken, welche Menschenhände ihm entgegenzustellen vermögen; das heiße äolische(Anm. 209) Sappho's Großvater Charaxus, der Bruder der Dichterin Sappho, war, als Lesbier, ein Aeolier. Blut in Deinen Adern hat Liebe gefordert, das stürmische Herz Deiner lesbischen Ahnen klopft auch in Deiner Brust. Das Geschehene ist nicht zu ändern. Bewahre denn die Freudenstunden dieser Deiner reinen ersten Liebe wie ein kostbares Eigenthum in dem Hause Deiner Erinnerung, denn die Gegenwart eines jeden Menschen wird früher oder später so arm und öde, daß er solcher Erinnerungsschätze bedarf, um nicht zu verschmachten. Gedenke des schönen Knaben in der Stille, sage ihm Lebewohl, wenn er in seine Heimath zurückkehrt, aber hüte Dich auf ein Wiedersehen zu hoffen. Der Sinn der Perser ist leicht und wankelmüthig; alles Neue reizt ihn, alles Fremde nimmt er auf mit offenen Armen(Anm. 210) Herod. I. 135. Auch hierin bewähren sich die Perser als germanische Nation. Sie sind heute noch, wie zur Zeit des Herodot, nach allem Fremden und Neuen begierig.. Dein anmuthiges Wesen hat dem Königssohne wohl gefallen. Jetzt glüht er für Dich, aber er ist jung und schön, von allen Seiten umworben und ein Perser. Gib Du ihn auf, damit er Dich nicht aufgebe!«

»Wie sollt' ich, Großmutter! Hab' ich ihm nicht Treue für die Ewigkeit geschworen?«

»Ihr Kinder spielt mit dieser Ewigkeit, als sei sie ein Augenblick! Was Deinen Schwur betrifft, so tadle ich ihn; aber ich freue mich, daß Du an ihm festhältst, denn ich verabscheue jenes frevelnde Sprichwort, welches lehrt, Zeus höre nicht die Schwüre der Liebenden. Warum sollte die Gottheit den in Beziehung auf das Heiligste im Menschen geleisteten Eid geringer achten, als eine Betheuerung, welche kleinliche Fragen des Mein und Dein betrifft? Halte denn, was Du versprochen, vergiß niemals Deiner Liebe, gewöhne Dich aber an den Gedanken, der Person des Geliebten entsagen zu müssen.«

»Niemals, Großmutter! Wäre denn Bartja mein Freund geworden, wenn ich ihm nicht vertrauen könnte? Gerade, weil er ein Perser ist, der die Wahrhaftigkeit seine schönste Tugend nennt, darf ich zuversichtlich hoffen, daß er seines Schwures gedenken und mich, trotz der Unsitte der Asiaten, zu seinem einzigen Weibe machen werde.«

»Und wenn er seines Schwures vergißt, so wirst Du Deine Jugend elend vertrauern und mit vergiftetem Herzen . . .«

»O gute, liebe Großmutter, höre auf, so schreckliche Dinge zu reden! Wenn Du ihn kennen würdest, wie ich ihn kenne, so müßtest Du mit mir jauchzen und mir zugeben, daß wohl der Nil versiegen und die Pyramiden einstürzen mögen, mein Bartja aber mich nicht betrügen kann!«

Das Mädchen sprach diese Worte mit so freudiger Zuversicht, mit so überzeugender Gewißheit, und ihre dunklen, von Thränen erfüllten Augen glänzten dabei so warm und selig, daß auch das Antlitz der Greisin wieder freundlich wurde.

Sappho schlang nun noch einmal ihre Arme um den Hals der Großmutter, erzählte ihr jedes Wort, welches der Geliebte zu ihr gesprochen hatte, und endete ihre lange Rede mit dem Ausrufe: »O Großmutter, ich bin so glücklich, so glücklich! Und wenn Du nun gar mit uns nach Persien kommst, dann hab' ich nichts mehr von den Unsterblichen zu erbitten.«

»Nur zu bald werden sich Deine Arme wieder nach ihnen ausstrecken,« seufzte Rhodopis. »Nur mit neidischem Blick betrachten sie das Glück der Sterblichen und wägen uns das Schlimme mit verschwenderischen, das Gute mit kargen Händen zu. Geh jetzt in's Bett, mein Kind, und bete mit mir, daß dies Alles ein glückliches Ende nehmen möge. Einem Kinde habe ich meinen Morgengruß gebracht, einer Jungfrau sage ich gute Nacht; mögest Du mir als Gattin eben so freudig Deinen Mund zum Kusse bieten, als eben jetzt. – Morgen will ich euretwegen mit Krösus reden. Von seinen Ausspruche wird es abhängen, ob ich Dir gestatten kann, die Rückkehr des Persers zu erwarten, oder ob ich Dich beschwören muß, den Königssohn zu vergessen, um bald die Hausfrau eines Hellenen meiner Wahl zu werden. Schlafe wohl, mein Liebling, schlummre ruhig; Deine alte Großmutter wacht für Dich!«

Sappho entschlief von seligen Träumen eingewiegt; Rhodopis aber schaute mit offenen Augen bald lächelnd, bald bedenklich die Stirn runzelnd, in die aufgehende Sonne und den lichten Tag.

Am folgenden Morgen ließ Rhodopis Krösus ersuchen, ihr eine Stunde zu schenken.

Sie erzählte dem Greise ohne Umschweif, was sie von Sappho erfahren hatte, und schloß ihre Rede mit den Worten: »Ich weiß nicht, welche Ansprüche die Perser an die Gattin eines Fürsten machen; kann Dir aber sagen, daß mir Sappho des ersten aller Könige würdig zu sein scheint. Sie stammt von einem edlen freien Vater, und ich habe gehört, daß nach euren Gesetzen ganz allein der Vater die Herkunft des Kindes bestimmt. Auch in Aegypten genießen die Nachkommen der Sklavin gleiche Rechte mit denen der Fürstentochter, wenn beide demselben Erzeuger(Anm. 211) Diod. I. 81. ihr Dasein verdanken.«

»Ich habe Dir schweigend zugehört,« antworte Krösus, »und muß Dir sagen, daß ich ebensowenig wie Du in diesem Augenblicke weiß, ob ich mich freuen darf, oder ob ich diese Liebe beklagen soll. – Kambyses und Kassandane, die Mutter Bartja's und des Königs, wünschten schon vor unserer Abreise den Prinzen zu verheirathen. Der König selbst erfreut sich bis heute keiner Nachkommen. Sollte er kinderlos bleiben, so beruht die einzige Hoffnung auf die Fortpflanzung des Geschlechts seines Vaters Cyrus auf Bartja, denn der große Gründer der persischen Macht rühmte sich nur zweier Söhne, des Kambyses und des Freundes Deiner Enkelin. – Dieser Letztere ist der Stolz aller Perser, der Liebling des ganzen Hofes und Landes, die Hoffnung aller Würdenträger und Unterthanen. Er ist eben so schön als edel, eben so tugendhaft als liebenswerth. – Wohl verlangt man von den Königssöhnen, daß sie sich mit Weibern aus ihrem, dem Geschlechte der Achämeniden, vermählen, aber die Perser haben eine unbegrenzte Vorliebe für alles Fremde und würden, von der Schönheit Deiner Enkelin entzückt, von Bartja's Liebe zu ihr nachsichtig gemacht, gar bald den Verstoß gegen die alte Sitte vergeben, zumal jedwede That, welche der König gut heißt, keinen Einwand der Unterthanen zuläßt. Auch liefert die iranische Geschichte Beispiele genug, daß selbst Sklavinnen Könige zeugten(Anm. 212) Königsbuch des Firdusi. Söhne Feridun's.. Die Mutter des Herrschers, welche in beinah' eben so hohem Ansehen steht, als dieser selbst, wird dem Glücke ihres jüngsten und Lieblingssohnes nichts in den Weg legen. Wenn sie sieht, daß Bartja nicht von Sappho ablassen will, wenn sie bemerkt, daß das lachende Antlitz des angebeteten Ebenbildes ihres großen verstorbenen Gatten sich verfinstert, dann würde sie ihm, um ihn wieder fröhlich zu machen, selbst nicht verweigern, eine Scythin heimzuführen. Auch Kambyses wird, wenn die Mutter zur rechten Stunde in ihn dringt, seine Einwilligung nicht versagen.«

»Nun so wären ja alle Schwierigkeiten beseitigt,« rief Rhodopis voller Freude.

»Nicht die Vermählung, sondern die Zeit nach derselben macht mir Sorge.«

»Meinst Du, daß Bartja –«

»Von seiner Seite fürchte ich nichts. Er hat ein reines Herz und ist der Liebe so lange fremd geblieben, daß er, nun sie ihn einmal überwältigt hat, warm und dauernd lieben wird.«

»Aber –«

»Aber Du mußt bedenken, daß, wenn auch alle Männer die anmuthige Gattin ihres Lieblings jubelnd empfangen sollten, tausend Weiber in den Frauengemächern persischer Großen müßig verweilen, welche sich's zum Geschäfte machen werden, der jungen Emporgekommenen mit Ränken und Schlichen aller Art zu schaden, deren höchste Freude es sein wird, das unerfahrene Kind zu verderben und unglücklich zu machen.«

»Du denkst sehr übel von den Perserinnen.«

»Sie sind eben Weiber und werden diejenige beneiden, welche den Mann zu gewinnen wußte, nach dem sie alle für sich oder ihre Töchter sehnsüchtig ausschauten. Neid gestaltet sich in den müßigen, einförmigen Räumen des Harems gar leicht zum Hasse, und die Befriedigung desselben muß diesen armseligen Geschöpfen zum Ersatze für ihren Mangel an Liebe und Freiheit dienen. Sappho wird, das wiederhole ich Dir, je schöner sie ist, je boshafteren Anfeindungen ausgesetzt sein, und selbst, wenn Bartja sie innig liebt und in den ersten Jahren keine zweite Gattin heimführt, so schwere Stunden zu bestehen haben, daß ich in der That nicht weiß, ob ich Dir zu der scheinbar glänzenden Zukunft Deiner Enkelin Glück wünschen darf.«

»Dasselbe empfinde auch ich. Ein schlichter Hellene wäre mir zum Eidam lieber gewesen als dieser edle Sohn eines großen Königs.«

In diesem Augenblicke trat, von Knakias eingeführt, Bartja in's Zimmer. Er flehte die Greisin an, ihm ihre Enkelin nicht zu versagen, schilderte seine heiße Liebe zu ihr, und betheuerte, daß Rhodopis sein Glück verdoppeln würde, wenn sie mit ihm nach Persien ziehen wolle. Dann ergriff er die Hand des Krösus, bat ihn um Verzeihung, weil er ihm, seinem väterlichen Freunde, so lange verschwiegen habe, was sein Herz beglücke, und flehte ihn an, seine Werbung zu unterstützen.

Lächelnd hörte der Greis die leidenschaftlichen Worte des Jünglings und sprach: »Wie oft, mein Bartja, hab' ich Dich vor der Liebe gewarnt! Sie ist ein brennendes Feuer.«

»Aber ihre Flammen sind bunt und leuchtend!«

»Sie verursacht Schmerzen.«

»Aber diese Schmerzen sind süß.«

»Sie verwirrt den Geist!«

»Aber sie kräftigt das Herz!«

»O, diese Liebe!« rief Rhodopis. »Redet der Knabe nicht, von Eros begeistert, als sei er sein Leben lang bei einem attischen Sprachmeister in die Schule gegangen?«

»Und doch,« erwiederte Krösus, »nenne ich die Liebenden die ungelehrigsten aller Schüler. Man mag ihnen noch so klar beweisen, ihre Leidenschaft sei Gift, Feuer, Narrheit, Tod, so werden sie trotzdem ausrufen: ›aber sie ist süß‹, und unbeirrt zu lieben fortfahren!«

In diesem Augenblicke trat auch Sappho in das Zimmer. Ein weites Festgewand mit purpurrothen gestickten Rändern und weiten Aermeln umwallte ihre zarten Glieder in freien Falten, welche an den Hüften von einem goldnen Gürtel zusammengehalten wurden. In ihren Haaren prangten frische Rosen und ihren Busen schmückte der blitzende Stern, das erste Geschenk des Geliebten.

Anmuthsvoll und schämig verneigte sie sich vor dem Greise, dessen Blicke lange auf ihr ruhen blieben. Und je länger er in dieses jungfräulich holde Antlitz schaute, je freundlicher wurde das seine. Erinnerungsbilder stellten sich vor seine Seele, während eines Augenblickes wurde er selbst wieder jung, unwillkürlich näherte er sich dem Mädchen, liebreich drückte er einen Kuß auf ihre Stirn, faßte ihre Hand, führte sie Bartja entgegen und rief. »Nimm sie hin, sie muß Dein Weib werden, und wenn sich alle Achämeniden gegen uns verschwören sollten!«

»Habe ich denn gar nichts mitzureden?« fragte Rhodopis, unter Thränen lächelnd.

Jetzt erfaßte Bartja die rechte, Sappho die linke Hand der Greisin, und zwei flehende Augenpaare schauten in ihr Angesicht. – Da rief sie, sich hoch aufrichtend, gleich einer Seherin: »Möge Eros, der euch zusammenführte, möge Zeus und Apollo euch schirmen! Wie zwei Rosen an einem Stengel sehe ich euch liebend und glücklich im Lenze des Lebens prangen; was Sommer, Herbst und Winter euch bringen werden, das liegt tief verborgen im Schooße der Götter. Mögen die Schatten Deiner verstorbenen Eltern, meine Sappho, freundlich lächeln, wenn diese neue Botschaft von Dir zu ihnen dringt in die Häuser der Unterwelt!«

Drei Tage später wogte am Landungsplatze bei Sais wiederum ein dichtes Menschengedränge. Das Volk hatte sich versammelt, um der in die Fremde gehenden Tochter des Königs ein letztes Lebewohl zuzurufen. In dieser Stunde zeigte es sich, daß die Aegypter, trotz aller Aufreizungen der Priester, mit inniger Liebe an ihrem Königshause hingen.

Als Amasis und Ladice Nitetis zum Letztenmale weinend umarmten, als sich Tachot im Angesicht aller Saïten auf der großen Stromtreppe der Schwester schluchzend um den Hals warf, als sich endlich der die scheidende Königsbraut tragende Kahn mit schwellenden Segeln vom Lande entfernte, da blieben wenige Augen thränenleer.

Nur die Priester sahen ernst und kalt, wie immer, dem ergreifenden Schauspiele zu.

Als endlich auch die Schiffe der die Aegypterin entführenden Fremden vom Südwinde erfaßt wurden, klangen ihnen viele Flüche und Verwünschungen nach; die zurückgebliebene Königstochter aber winkte den Scheidenden noch lange mit ihrem Schleiertuche. Sie weinte ohne Unterlaß. Galten diese Thränen der Gespielin ihrer Jugend, galten sie dem schönen, geliebten Königssohne?

Amasis umarmte vor dem ganzen Volke seine Gattin und Tochter. Er hielt den kleinen Necho, seinen Enkel, hoch empor und ließ die Aegypter bei seinem Anblicke in lauten Jubel ausbrechen. Psamtik, der Vater des Kindes, stand schweigend und trockenen Auges neben dem Könige, welcher ihn nicht zu beachten schien. Endlich näherte sich ihm Neithotep, der Oberpriester, führte den Zaudernden seinem Vater entgegen, legte seine Hand in die des Königs und rief laut den Segen der Götter über das königliche Haus.

Während seiner Worte knieten die Aegypter mit erhobenen Händen nieder. Amasis zog den Sohn an seine Brust und flüsterte dem Oberpriester zu, als dieser sein Gebet vollendet hatte: »Laßt uns Frieden halten, um unsrer selbst und um Aegyptens willen.«

»Hast Du jenen Brief des Nebenchari empfangen?«

»Ein samisches Seeräuberschiff verfolgt die Triere des Phanes.«

»Dort fährt das Kind Deines Vorgängers, die rechtmäßige Erbin des ägyptischen Thrones, ungehindert in die Ferne.«

»Der hellenische Tempelbau zu Memphis soll eingestellt werden.«

»Isis verleihe uns Frieden, und Glück und Wohlfahrt breite sich über Aegypten!«

In Naukratis hatten die in Aegypten wohnenden Hellenen der in die Ferne ziehenden Tochter ihres Schutzherrn Amasis ein Fest bereitet.

Auf den Altären der griechischen Götter wurden zahlreiche Opferthiere geschlachtet, und als die Nilbarken im Hafen landeten, erscholl ein lautes »Ailinos«!

Festlich geschmückte Jungfrauen überreichten Nitetis einen goldnen Reifen, welcher, als Brautkranz, mit tausend duftenden Veilchen(Anm. 213) Die Brautkränze bei den Hellenen bestanden gewöhnlich aus Veilchen und Myrten. Ueber die Hochzeitsgebräuche im dritten Theil Anmerkung 62 und 63 [64 und 65]. umwunden war.

Als schönste Jungfrau von Naukratis durfte ihn Sappho der Scheidenden überreichen.

Nitetis küßte, die Gabe annehmend, dankbar ihre Stirn. Dann bestieg sie die ihrer harrende Triere.

Die Ruderknechte gingen an ihre Arbeit und stimmten das KeleusmaDas Lied, nach dessen Takte die griechischen Matrosen zu rudern pflegten. an(Anm. 214) Der Rhythmus des Keleusma wurde gewöhnlich von einem Flötenbläser, dem Trieraules, angegeben. Aeschylus, Perser 403. Laërt. Diog. IV. 22. Becker, Charikles I. S. 213. In den Fröschen des Aristophanes singen die Sumpfbewohner das Keleusma V. 205.. Der Südwind schwellte die Segel und ein tausendfaches Ailinos erscholl zum Zweitenmale. Bartja winkte vom Verdecke des Königsschiffes seiner Verlobten die letzten Liebesgrüße zu. Sappho betete leise zu Aphrodite Euploia, der Schutzpatronin der Schiffer. Eine Thräne benetzte ihre Wangen; aber ihren Mund umspielte ein Lächeln der Hoffnung und der Liebe, während die alte Sklavin Melitta, welche den Sonnenschirm der Jungfrau trug, wie eine Verzweifelnde weinte. Als dem Kranze, welcher das Haupt ihres Pfleglings zierte, zufällig einige Blätter entfielen, vergaß sie jedoch während eines Augenblickes ihres Schmerzes und leise flüsterte sie Sappho zu: »Ja, Herzchen, man sieht, daß Du Liebe empfindest, denn alle Mädchen, welche Blätter aus ihren Kränzen verlieren, deren Herz hat Eros getroffen(Anm. 215) Siehe Epigramm des Kallimachus 45. Bei Athenäus XV. p. 69.


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