Georg Ebers
Eine ägyptische Königstochter Bd. I
Georg Ebers

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Zweites Kapitel.

Schon versuchte die Sonne, sich durch die dichten Vorhänge, welche das Fenster des Krankenzimmers der Aegypterin verschlossen, Bahn zu brechen, als Nebenchari noch immer an ihrem Lager saß. Bald befühlte er ihren Puls, bald bestrich er ihre Stirn und Brust mit duftenden Salben, bald starrte er träumerisch vor sich hin. Die Leidende schien nach einem Krampfanfalle in tiefem Schlummer zu liegen. Am Fußende ihres Bettes standen sechs persische Heilkünstler und murmelten Beschwörungen, während Nebenchari zu Häupten der Kranken saß und von dort aus den Asiaten, die seine überlegenen Kenntnisse anerkannten, Vorschriften diktirte.

So oft der Aegypter den Puls der Kranken berührte, zuckte er mit den Achseln, eine Bewegung, welche seine persischen Kollegen jedesmal einhellig nachahmten. Von Zeit zu Zeit öffnete sich der Vorhang des Zimmers und ließ einen blühenden Mädchenkopf sehen, dessen blaue Augen den Heilkünstler ängstlich fragend anschauten, um von ihm mit demselben bedauerlichen Achselzucken abgefertigt zu werden. Zweimal hatte sich die Fragerin, Atossa, die Schwester des Königs, den schweren Teppich von milesischem Wollengewebe kaum mit den Füßen berührend, bis an das Lager ihrer kranken Freundin geschlichen, um einen leisen Kuß auf ihre von einzelnen feuchten Perlen bethaute Stirn zu hauchen; war aber jedesmal von dem ägyptischen Arzte mit streng verweisenden Blicken in das Nebenzimmer heimgesandt worden.

Hier lag Kassandane, den Ausgang der Dinge erwartend, während Kambyses, als die Sonne aufgegangen und Nitetis in Schlummer versunken war, die Krankenstube verlassen und sich auf ein Roß geschwungen hatte, um, von Phanes, Prexaspes, Otanes, Darius und vielen aus dem Schlaf geweckten Höflingen begleitet, den Thiergarten in einem wilden Ritte zu durchmessen. Er wußte, daß er jede Gemüthsbewegung am besten auf dem Rücken eines unbändigen Hengstes sitzend überwältigen oder vergessen konnte.

Als Nebenchari den dröhnenden Hufschlag aus der Ferne vernahm, schrak er zusammen. Ihm träumte mit offenen Augen, der König ziehe mit unübersehbaren Reiterschaaren in seine Heimath, werfe Brandfackeln in ihre Städte und Tempel und zermalme mit gewaltigen Faustschlägen die Riesenbauten der Pyramiden. In dem Schutte der eingeäscherten Städte lagen Weiber und Kinder, aus den Gräbern schrieen mit klagenden Stimmen die Mumien der Verstorbenen, die sich gleich Lebenden bewegten; und Alle: Priester, Krieger, Weiber, Kinder, Todte und Sterbende, riefen seinen Namen aus und fluchten ihm, dem Verräther seines Vaterlandes. Kalte Fieberschauer durchbebten sein Herz, welches krampfhafter schlug, als die Adern der Sterbenden an seiner Seite. – Wiederum öffnete sich der Vorhang des Nebenzimmers, wiederum schlich Atossa herbei und legte ihre Hand auf seine Schulter, Er schrak zusammen und erwachte. Nebenchari hatte drei Tage und drei Nächte fast ohne jede Unterbrechung an diesem Lager gesessen. Jene Träume waren wohl berechtigt, den Uebermüdeten aufzusuchen.

Atossa schlich zu ihrer Mutter zurück. Tiefes Schweigen lagerte in der schwülen Luft des Krankenzimmers. Der Aegypter gedachte seines Traumes; er sagte sich, daß er im Begriff sei, zum Verräther und Verbrecher zu werden. Nochmals zog Alles, was er im Halbschlummer geschaut hatte, an seinen Blicken vorüber; diesmal aber drängte sich ein anderes Bild vor jene schrecklichen Gesichter. Nebenchari sah sich neben den mit Ketten belasteten Gestalten des Amasis, der ihn verbannt und verspottet, des Psamtik und der Priester, die seine Werke vernichtet hatten, stehen. Seine Lippen bewegten sich leise; sie durften an dieser Stätte den unbarmherzigen Worten, die er im Geiste seinen um Gnade flehenden Feinden zurief, keinen Ausdruck geben. Dann wischte sich der harte Mann eine Thräne aus dem Auge. Vor seiner Seele zogen die langen Nächte vorüber, in denen er, mit dem Schreiberohr in der Hand, beim matten Scheine der Lampe dagesessen und seine Gedanken und Erfahrungen, jeden Buchstaben sorglich malend, in den feinsten hieratischen Zeichen niedergeschrieben hatte. Für manche Krankheit des Auges, welche die heiligen Bücher des Toth und die Traktate eines alten hochberühmten Arztes aus Byblos(Anm. 15) Dem ibisköpfigen Gotte Thoth, dem Himmelsschreiber, den die Griechen mit ihrem Hermes verglichen (s. Pietschmann, Hermes Trismegistos. L. 1875), wird die Erfindung fast aller Wissenschaften zugeschrieben. Er ist der Zweite neben Osiris, der Logos, die Vernunft, die der schaffenden Kraft berathend zur Seite steht. Er, der dreimal große (Trismegistos), soll auch sechs Bücher über die Heilkunde geschrieben haben, welche die Anatomie, die Lehre von den Krankheiten, die Anwendung der Arzneimittel und auch die Augenkrankheiten behandelt haben sollen. Dasjenige über die Arzneimittel ist im Pap. Ebers vollständig erhalten bis auf uns gekommen. Clem. Alex., Strom. VI. 260. Siehe Jamblichus, De myst. Aegypt. VI. 4. Auch Isis und später Serapis werden als heilkundige Götter gerühmt. Diod. I. 25. Tacit. hist. IV. 81. unheilbar nannten, hatte er ein Rettungsmittel gefunden. Aber er wußte wohl, daß seine Amtsgenossen ihn des Frevels bezüchtigt haben würden, wenn er sich herausgenommen hätte, die geweihten Schriften verbessern zu wollen. Darum hatte er als Ueberschrift seines Werkes die Worte gewählt »Einige neue von Nebenchari, dem Augenarzte, aufgefundene Schriften des großen Thoth, die Heilkunde des Gesichts betreffend(Anm. 16) Wir hören mehrfach in den bis zu uns gekommenen Schriften der alten Aegypter von Büchern und Urkunden reden, welche unter dieser und jener Götterstatue gefunden oder zur Zeit alter Könige verfaßt worden sein sollen. Jedenfalls sollte ihre Heiligkeit dadurch erwiesen und die Gottheit als ihr Verfasser bezeichnet werden. Einige Werke nennen freilich den Namen des Autors; so das Märchen von den Brüdern (Papyr. d'Orbiney), dessen Verfasser Anana hieß. Im Papyr. Anastasi IV. werden mit ihm sieben andere Schriftsteller genannt: Kagabu, Hora, Merapu, Bek en Ptah, Amen mes, Sunro und Mer Ptah. Von den hermetischen Büchern war eines allein den Krankheiten des Auges gewidmet, denen auch im Papyr. Ebers ein großer Abschnitt zugetheilt ist. S. 56, 1 beginnt ›das Buch von den Augen‹. Das erste Rezept wird gegen das Zunehmen der Entzündung in den Bluttheilen im Auge verordnet. Andere Mittel sollen helfen gegen das Wasser im Auge, das Triefen des Auges, Augenentzündungen &c. S. 56, 7 handelt vom Eröffnen des Sehens in den Lagen hinter dem Auge, S. 57, 2–4 steht ein Mittel zum Zusammenziehen der Pupille des Auges, 57, 5–6 ein anderes zum Vertreiben des Weißwerdens (albugo) an den Augen. Die Granulationen im Auge, die Verfettung des Sehorgans &c. werden berücksichtigt. S. 63, 8 wird eine Arznei für die Augen nach Angabe eines Semiten aus Byblos mitgetheilt. Es war auch in Alexandrien, wo Herophilus von Chalcedon im dritten Jahrhundert v. Chr. die Netzhaut im Auge entdeckte und benannte. Im Papyr. Ebers wird der Arzt Nebsecht und der priesterliche Schriftsteller Chui erwähnt..« Nach seinem Tode wollte er seine Arbeit der Bibliothek zu Theben(Anm. 17) Die Bibliothek von Theben, welche nach Diodor I. 49 die Inschrift ψυχής ιατρει̃ον, Heilanstalt für die Seele, führte, soll nach Jamblichus, De myst. Aegypt. VIII. 1, 20,000 hermetische oder priesterliche Bücher enthalten haben. Sie befand sich in dem Ramesseum, welches nach Diodor von Osymandyas, dem Ramses Miamun (dem von Ammon geliebten) der Denkmäler, im vierzehnten Jahrhundert v. Chr. erbaut worden ist. Champollion erkannte ihre Räume in den Trümmern des Ramesseum wieder. An der Wand eines hinteren Raumes befinden sich Darstellungen Thoth's, des Gottes der Weisheit, und der Safech, der Göttin der Geschichte. Mehrere hieratische Papyrus, welche wir noch heute besitzen, sind aus dieser Bibliothek datirt, welche nicht selten in den ägyptischen Bücherrollen erwähnt wird. Lepsius fand sogar zu Theben die Gräber von zwei Bibliothekaren unter Ramses Miamun. Die Inhaber waren Vater und Sohn, da auch dieses Amt, wie die meisten, erblich war. Sie führten die Titel »Oberster der Bücher« und »Chef der Bücher«. Siehe Lepsius, Chronologie, Einl. S. 39. Die Bibliotheken scheinen immer zu Tempeln gehört zu haben. Zu Dendera, Edfu und namentlich zu Philae lehren Inschriften, in welchen Räumen der Tempel die Schriftrollen aufbewahrt worden sind. Das Todtenbuch erwähnt gewissen Gottheiten zugehörende Bibliotheken, und Galen spricht von einer zum Tempel der Ptah zu Memphis gehörenden Büchersammlung, in welcher auch medizinische Manuskripte aufbewahrt worden sind. Gal., De comp. med. sec. gen. V. 2. Wir wissen, daß auch zum Serapeum in Alexandria eine große Bibliothek gehörte. S. Parthey's Monographie, Das alexandrinische Museum. Fr. Ritschel bestimmte mit dem ihm eigenen Scharfsinn die Zahl der in den alexandrinischen Bibliotheken aufbewahrten Rollen. vermachen, damit seine Erfahrungen all' seinen Nachfolgern nützlich werden und der ganzen Schaar der Leidenden Früchte tragen möchten. Anerkennung nach dem Tode wünschte er für sich, während er der Wissenschaft den Schlaf seiner Nächte opferte; Ruhm durch seine Mühen für die Kaste, der er angehörte. – Da stand jetzt sein alter Nebenbuhler, nachdem er ihm die Erfindung des Staarschnittes geraubt, an der Seite des Thronfolgers im Haine der Neith und schürte das vernichtende Feuer. Rothe Gluthen färbten die boshaften Züge der Beiden, und ihr hämisches Gelächter stieg mit den Flammen, Rache heischend, gen Himmel. Dort drüben reichte der Oberpriester dem Amasis die Briefe seines Vaters. Hohn und Spott sprühte von den Lippen des Königs, triumphirende Freude aus den Zügen Neithotep's. – So sehr war Nebenchari in seinen Träumen versunken, daß ihn einer der persischen Aerzte auf das Erwachen der Kranken aufmerksam machen mußte. Er nickte demselben, auf seine müden Augen deutend, lächelnd zu, befühlte den Puls der Leidenden und fragte sie in ägyptischer Sprache. »Hast Du gut geschlafen, Herrin?«

»Ich weiß nicht,« antwortete die Kranke mit kaum vernehmbarer Stimme. »Mir war zwar, als wenn ich geschlummert hätte; dennoch sah und hörte ich Alles, was hier im Zimmer vorging. Ich fühlte mich so müde, daß ich den Traum nicht vom Wachen unterscheiden konnte. Ist nicht Atossa mehrmals bei mir gewesen?«

»Ganz recht!«

»Und Kambyses verweilte bis die Sonne aufging bei Kassandane; dann ging er in's Freie, bestieg den Hengst Reksch und ritt in den Thiergarten.«

»Woher weißt Du das?«

»Ich hab' es gesehen.«

Nebenchari schaute besorgt in die glänzenden Augen der Jungfrau, welche fortfuhr: »Auch hat man viele Hunde in den Hof hinter diesem Hause geführt.«

»Der König will seinen Schmerz über Dein Leiden vielleicht durch eine Jagd betäuben.«

»O nein, das weiß ich besser! Oropastes hat mich gelehrt, daß jedem sterbenden Perser Hunde(Anm. 18) Sobald ein Perser starb, stürzte in Gestalt einer Fliege die Drukhs Naçus, der unreine Dämon des Todes, herzu und setzte sich vernichtend, Fäulniß und Verderben bringend, auf den Leichnam und einen der Anwesenden. Vendid. Farg. VII. 2–24. Die Parsen halten heute noch den Sterbenden Hunde vor. Ritter, Erdkunde IV. S. 1092. Vielleicht thun sie das, um das Gespenst des Todes zu veranlassen, in die Thiere zu fahren; außerdem soll aber die böse Drukhs von den Augen zweier besonders gefleckter Hunde verscheucht werden. Letztere Bemerkung bringt der holländische Uebersetzer. Siehe auch Tiele, Godsd. v. Zarath. S. 184. zugeführt werden, damit der Diw des Todes in sie fahre.«

»Du bist ja noch am Leben, Herrin, und . . .«

»O, ich weiß, daß ich sterben werde! Hätt' ich auch nicht gesehen, wie Du und die anderen Aerzte, indem ihr mich anschautet, die Achseln zucktet, so wüßte ich dennoch, daß ich nur noch wenige Stunden zu leben habe. Das Gift ist tödlich!«

»Du sprichst zu viel, Herrin; das Reden wird Dir schaden.«

»Laß mich, Nebenchari! Ich muß Dich um etwas bitten, eh' ich sterbe.«

»Ich bin Dein Diener!«

»Nein, Nebenchari, mein Freund sollst Du sein, mein Priester! Nicht wahr, Du zürnst mir nicht mehr, weil ich zu den persischen Göttern gebetet habe? Unsere Hathor ist doch immer meine beste Freundin geblieben. – Ja, ich seh' Dir's an, daß Du mir vergibst. – Nun mußt Du mir aber auch versprechen, mich nicht von Hunden und Geiern zerreißen zu lassenSiehe I. Theil Anmerkung 110.. O, der Gedanke ist gar zu schrecklich! Nicht wahr, Du wirst meinen Leichnam balsamiren und ihn mit Amuletten schmücken?«

»Wenn der König es gestattet.«

»O gewiß! Wie könnte Kambyses meine letzte Bitte unerhört lassen?«

»Meine Kunst gehört Dir!«

»Ich danke Dir; aber ich habe noch eine Bitte.«

»Fass' Dich kurz! Meine persischen Genossen deuten mir an, daß ich Dir Schweigen auferlegen soll.«

»Kannst Du sie nicht auf einen Augenblick entfernen?«

»Ich will es versuchen.«

Nebenchari näherte sich den Magiern. Wenige Minuten sprach er mit ihnen, dann verließen sie das Zimmer. Er hatte vorgegeben, eine große Beschwörung, der kein Dritter beiwohnen dürfe, vornehmen und ein neues geheimes Gegengift anwenden zu wollen.

Als die Beiden allein waren, athmete Nitetis freudig auf und sagte. »Gib mir Deinen Priestersegen zur langen Reise in die Unterwelt und mach' mich fertig für die Wanderung zum Osiris!«

Nebenchari kniete an ihrem Lager nieder und murmelte leise Gesänge, denen Nitetis mit andächtiger Stimme antwortete. Der Arzt stellte Osiris, den Herrn der Unterwelt, dar; Nitetis die Seele, welche sich vor ihm rechtfertigtSiehe II. Theil Anmerkung 36..

Nachdem diese Ceremonien beendet waren, hob sich die Brust der Kranken in volleren Athemzügen. Nebenchari sah nicht ohne Rührung auf die junge Selbstmörderin. Er war sich bewußt, den Göttern seiner Heimath diese Seele gerettet, einem guten Geschöpfe die letzten schweren Stunden erleichtert zu haben. Während dieser Augenblicke hatte er in reinem Mitleiden und wahrer Menschenliebe jedes bittere Gefühl vergessen; als aber der Gedanke, Amasis habe das Unglück auch Dieses lieblichen Geschöpfes verschuldet, in ihm aufstieg, verfinsterten schwarze Gedanken von neuem seine Seele. – Nitetis, welche eine Zeitlang schweigend dagelegen hatte, wandte sich wiederum freundlich lächelnd ihrem neuen Freunde zu und fragte: »Nicht wahr, ich werde vor den Todtenrichtern Gnade finden?«

»Ich hoffe und glaube es!«

»Vielleicht werde ich Tachot am Throne des Osiris finden, und mein Vater . . .«

»Dein Vater und Deine Mutter erwarten Dich! Segne in Deiner letzten Stunde Diejenigen, welche Dich erzeugten, und fluche Denen, welche Dir Eltern, Thron und Leben raubten.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Fluche Denen, Mädchen, welche Dir Eltern, Thron und Leben raubten!« rief der Arzt zum andern Male, sich hoch aufrichtend und mit tiefen Athemzügen auf die Sterbende herniederschauend. »Fluche den Bösen, Mädchen, denn dieser Fluch wird Dir höhere Gnade vor den Todtenrichtern verschaffen, als tausend gute Werke!« Der Arzt griff, indem er diese Worte ausrief, nach der Hand der Kranken und drückte sie mit Heftigkeit.

Nitetis schaute den Zürnenden ängstlich an und lispelte in blindem Gehorsam: »Ich fluche!«

»Fluche Denen, die Deinen Erzeugern Thron und Leben raubten!«

»Denen, die meinen Erzeugern Thron und Leben raubten! O – ach – mein Herz!« –

Entkräftet sank sie auf das Lager zurück.

Nebenchari beugte sich über die Leidende, drückte, ehe die Aerzte des Königs das Zimmer betreten konnten, einen leisen Kuß auf die Stirn der Sterbenden und murmelte: »Sie stirbt als meine Bundesgenossin. Die Götter vernehmen den Fluch der sterbenden Unschuld! Nicht nur als mein eigener, nein auch als Rächer König Hophra's trage ich das Schwert nach Aegypten!« –

Einige Stunden später schlug Nitetis noch einmal die Augen auf.

Diesmal ruhte ihre kalte Rechte in den Händen Kassandane's. Zu ihren Füßen kniete Atossa; Krösus stand zu Häupten des Bettes und unterstützte mit seinen alten Armen den gewaltigen König, welcher im Uebermaß des Schmerzes gleich einem Trunkenen hin und her wankte. Die Sterbende schaute sich strahlenden Blickes in diesem Kreise um. Sie war unsagbar schön. Kambyses nahte sich den erkaltenden Lippen und drückte einen Kuß auf dieselben, – den ersten und letzten, den er ihr geben durfte. Da entquollen zwei volle, warme Freudenthränen ihren brechenden Augen, der Name Kambyses klang leise von ihrem erbleichenden Munde, sie sank in Atossa's Arme zurück und war nicht mehr.

Wir übergehen die Schilderung der nächsten Stunden, denn es widersteht uns, zu beschreiben, wie auf ein Zeichen des obersten persischen Arztes alle Anwesenden außer Nebenchari und Krösus in großer Eile das Zimmer verließen; wie man Hunde in das Krankenzimmer führte, um ihre klugen Köpfe der Verstorbenen zuzuwenden und die Drukhs Naçus durch die Thiere verscheuchen zu lassenSiehe III. Theil Anmerkung 18.; wie, nach dem Ableben der Jungfrau, Kassandane, Atossa und alle ihre Diener sofort ein anderes Haus bezogen, um von dem Leichnam nicht verunreinigt zu werden, wie man alle Feuer in der alten Wohnung verlöschte, damit das reine Element den bestehenden Geistern des Todes entrückt werde(Anm. 19) Im Winter darf das Feuer nach neun Tagen, im Sommer nach einem Monat in die Wohnung des Verstorbenen zurückgebracht werden. Vendid. Farg. V. 130., wie man Beschwörungsformeln murmelte(Anm. 20) Der ganze zehnte Fargard des Vendidad ist voll von solchen Beschwörungen., wie sich endlich Jeder und Alles, was dem Leichname nahe gekommen war, zahlreichen Waschungen mit Wasser und Rinderurin unterziehen mußte.

Kambyses verfiel am Abende in seine alten epileptischen Krämpfe. Zwei Tage später ertheilte er Nebenchari die Erlaubniß, den Leichnam der Verstorbenen, ihrem letzten Wunsche gemäß, in ägyptischer Weise zu balsamiren. Er selbst überließ sich schrankenlos seinem Schmerze, zerfleischte seine Arme, zerriß seine Kleider und streute Asche auf sein Haupt und sein Lager. Alle Großen des Hofes mußten seinem Beispiele folgen. Die Wachen zogen mit zerrissenen Fahnen, bei gedämpftem Trommelschalle, auf. Die Cymbeln und Pauken der Unsterblichen waren mit Flor umwunden; die Rosse, die der Verstorbenen gedient hatten, sowie diejenigen, welche bei Hofe benutzt wurden, mußten blau gefärbt und ihrer Schweife beraubt werden; das ganze Hofpersonal ging in dunkelbraunen, bis zum Gürtel zerrissenen Trauerkleidern umherSiehe II. Theil Anmerkung 118., und die Magier mußten drei Tage und drei Nächte lang ohne Unterbrechung für die Abgeschiedene beten(Anm. 21) Ueber die Zahl der Sterbegebete bei den verschiedenen Verwandtschaftsgraden siehe Vend. Farg. XII. 1 fgd., deren Seele in der dritten Nacht bei der Brücke ChinvatSiehe II. Theil Anmerkung 104. den Richterspruch für die Ewigkeit erwartete.

Auch der König, Kassandane und Atossa entzogen sich jenen Reinigungen nicht und sprachen, wie für eine nächste Anverwandte, dreißig Sterbegebete, während Nebenchari die Todte in einem vor den Thoren der Stadt gelegenen Hause nach allen Regeln der Kunst in der kostbarsten Weise zu balsamiren begann(Anm. 22) Es gab drei verschiedene Arten von Balsamirungen, die erste kostete ein Silber-Talent (1500 Thlr.), die zweite 20 Minen (400 Thlr.), während die dritte sehr billig war. Herod. II. 86–88. Diod. I. 91. Erst zog man das Gehirn zur Nase heraus und füllte den Schädel mit Spezereien. Dann nahm man die Eingeweide ans dem Leib und that Gewürze in denselben. Endlich legte man den Körper 70 Tage lang in eine Natron-Auflösung und umwickelte ihn mit Byssusbinden, welche mit Gummi bestrichen wurden. Unter Byssus ist hier nach den mikroskopischen Untersuchungen an Mumienbinden des Dr. Ure und Professor Czermak jedenfalls Leinwand, nicht Baumwolle zu verstehen. – Dies ist die kostbarste Balsamirungsart, welche die Griechen nach den neuesten chemischen Untersuchungen ziemlich richtig angegeben haben. L. Penicher behauptet, die Leichen seien erst in Dörröfen etwas ausgetrocknet worden, dann habe man in alle Oeffnungen Cedernharz oder Asphalt gegossen. Traité sur les embaumements selon les anciens et les modernes. Paris 1699. Herod. II. 89 über die Balsamirung der weiblichen Leichname. Besonders ausführlich über die Mumisirung handelt Pettigrew, History of egyptian mumies. Lond. 1834. Czermak's mikroskopische Untersuchungen an ägyptischen Mumien ergeben die wunderbare Erhaltung der kleinsten Theilchen des Körpers und bestätigen viele Angaben des Herodot. Die Denkmäler erhalten auch in Beziehung auf die Balsamirung viel Lehrreiches, und wir kennen die Bestimmung fast aller Amulette, die man den Todten beizugeben pflegte..

Neun Tage lang verweilte Kambyses in einem Zustande, der dem Wahnsinne glich. Bald wüthend, bald stumpf und theilnahmslos, gestattete er selbst nicht seinen Anverwandten und dem Oberpriester, ihm zu nahen. Am Morgen des zehnten Tages ließ er den Obersten der sieben Richter kommen und befahl ihm, das Urtheil über Gaumata, den Bruder des Oropastes, in so milder Weise als möglich zu sprechen. Nitetis hatte ihn auf dem Krankenlager gebeten, das Leben des unglücklichen Jünglings zu schonen.

Eine Stunde später überbrachte man ihm den Wahrspruch zur Bestätigung. Derselbe lautete: »Sieg dem Könige! – Nachdem Kambyses, das Auge der Welt und die Sonne der Gerechtigkeit, in seiner Milde, die so weit ist als der Himmel, und so unerschöpflich wie das Meer, uns befohlen hat, die Verbrechen des Magiersohnes Gaumata nicht mit der Strenge des Richters, sondern mit der Nachsicht der Mutter zu beurteilen und zu bestrafen, so haben wir, die sieben Richter des Reiches, beschlossen, seines verwirkten Lebens zu schonen. Weil aber durch den Leichtsinn dieses Jünglings die Höchsten und Besten im Reich gefährdet worden sind, und befürchtet werden könnte, daß er sein Angesicht und seine Gestalt, welche die Götter in ihrer Huld und Gnade denen des edlen Cyrus-Sohnes Bartja wunderbar ähnlich machten, noch einmal zum Schaden der Reinen und Gerechten mißbrauchen könnte, so haben wir beschlossen, sein Haupt also zu entstellen, daß der Unwürdigste vom Würdigsten im Reiche leicht zu unterscheiden sein möge. Darum sollen dem Gaumata, mit Willen und auf Geheiß des Königs, beide Ohren abgeschnitten werden, zur Ehre der Gerechten und zur Schmach des Unreinen!«

Kambyses bestätigte dieses Urtheil, welches am selbigen Tage vollstreckt wurde.

Oropastes wagte nicht, für seinen Bruder Fürsprache einzulegen; die demselben angethane Schmach kränkte aber seine ehrgeizige Seele tiefer, als wenn man ihn zum Tode verurtheilt haben würde. Er fürchtete, durch den Verstümmelten an Ansehen einzubüßen, und befahl ihm deßwegen, Babylon so bald als möglich zu verlassen und ein Landhaus, welches er auf dem Berge Arakadris(Anm. 23) In der Inschrift von Behistân I. §. IX., bei Spiegel §. XI. wird dieser Berg genannt. In Bezug auf das Abschneiden der Ohren des Gaumata sei gesagt, daß diese Strafe, welche Herodot dem falschen Smerdes angedeihen läßt, in der That selbst bei Persern von hohem Range angewendet wurde. In der Inschrift von Behistân bei Spiegel S. 15 und 21 werden dem vornehmsten Rebellen Fravartis (Phraortes) die Ohren, Zunge und Nase abgeschnitten. Derartige Strafen, von denen berichtet wird, werden aufgeführt bei Brisson, De regn. Persar. II. p. 334 u. 35. besaß, zu beziehen.

Während der letzten Tage hatte sich ein dürftig gekleidetes Weib, dessen Angesicht von einem dichten Schleier bedeckt war, Tag und Nacht an dem großen Eingangsthore des Palastes aufgehalten und sich weder von den Drohungen der Wachen, noch den rohen Späßen der königlichen Dienstleute von ihrem Posten vertreiben lassen. Keiner der Unterbeamten, der das Thor passirte, entging ihren neugierigen Fragen, erst nach dem Befinden der Aegypterin, dann nach dem Ergehen Gaumata's. Als ihr ein gesprächiger Lampenanzünder das über den Bruder des großen Oberpriesters verhängte Urtheil, schadenfroh lachend, mittheilte, geberdete sie sich wie eine Unsinnige und küßte das Gewand des erstaunten Mannes, der sie für eine Geisteskranke hielt und ihr ein Almosen anbot. Sie lehnte es ab und verharrte auf ihrem Posten, indem sie sich von dem Brode, das ihr mitleidige Speisevertheiler zuwarfen, nährte. Als Gaumata drei Tage später in einer verschlossenen Harmamaxa, mit fest verbundenem Haupte, zum Thore des Palastes hinausfuhr, eilte sie dem Wagen nach und lief so lange schreiend neben ihm her, bis der Fuhrknecht seine Maulthiere anhielt und nach ihrem Begehren fragte. Nun schlug sie den Schleier zurück und zeigte dem kranken Jünglinge ihr hübsches, tief erröthendes Gesicht. Gaumata stieß, als er es erkannte, einen leisen Schrei aus, sammelte sich aber bald wieder und fragte. »Was willst Du von mir, Mandane?«

Die Unglückliche hob ihre Hände flehend empor und rief: »O verlaß mich nicht, Gaumata! Nimm mich mit Dir! Ich verzeihe Dir all' das Unglück, in welches Du mich und die arme Herrin gestürzt hast. Ich liebe Dich ja so sehr und will Dich pflegen und für Dich sorgen wie Deine niedrigste Magd!«

Der Jüngling kämpfte in seinem Innern einen kurzen Kampf. Schon wollte er die Thür des Wagens öffnen und die Geliebte seiner Kindheit in seine Arme schließen, als er den Hufschlag nahender Rosse vernahm. Er sah sich um, erbliche einen Wagen voll Magier, welche zum Gebete nach dem Schlosse fuhren, und erkannte in ihnen mehrere frühere Genossen aus der Priesterschule. Seine Scham erwachte; er fürchtete, von ihnen, die er, als Bruder des Oberpriesters, oftmals stolz und hochfahrend behandelt hatte, gesehen zu werden, warf Mandane einen Beutel voll Gold, den ihm sein Bruder beim Abschied geschenkt hatte, zu und befahl dem Fuhrmanne, in aller Eile fortzufahren. Die Maulthiere jagten in wilder Flucht davon. Mandane stieß den Beutel mit den Füßen von sich, lief dem Gespanne nach und hielt sich an dem Kasten des Wagens fest. Ein Rad erfaßte ihr Kleid und riß sie zu Boden. Mit der Kraft der Verzweiflung sprang sie auf, überholte die Mäuler, welche, da die Straße einen Berg hinaufführte, langsamer gehen mußten, und warf sich ihnen in die Zügel. Der Fuhrknecht brauchte seine dreischnürige Geißel, die Thiere bäumten sich, rissen das Mädchen um und jagten davon. Ihr letzter Angstschrei drang wie ein Lanzenstich in die Wunden des Verstümmelten.


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