Georg Ebers
Eine ägyptische Königstochter Bd. I
Georg Ebers

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Achtes Kapitel.

Zwei Stunden später stand Bartja mit seinen Begleitern vor dem Könige. Bleich und hohläugig saß der riesige Mann auf seinem goldenen Stuhle, hinter dem zwei Leibärzte, mit allerlei Gefäßen und Instrumenten in der Hand, warteten. Kambyses war erst vor wenigen Minuten wieder zu sich gekommen, nachdem er länger als eine Stunde in den Armen jener furchtbaren Krankheit gelegen hatte, welche Leib und Seele zerrüttet, und die wir mit dem Namen der fallenden Sucht oder Epilepsie bezeichnen.

Seit der Ankunft der Nitetis war er von diesem Uebel verschont geblieben, das ihn heut in Folge überwältigender Gemütsbewegungen mit unerhörter Heftigkeit ergriffen hatte(Anm. 103) Wenn Herod. III. 33 erzählt, Kambyses sei schon mit einer gefährlichen Krankheit, welche Einige die »heilige« nennen, geboren worden, so kann er damit kaum ein anderes Leiden, als die fallende Sucht oder Epilepsie meinen..

Wär' er Bartja vor wenigen Stunden begegnet, so würde er ihn mit eigener Hand getödtet haben; der epileptische Anfall hatte aber seinen Zorn zwar nicht gebrochen, aber doch soweit besänftigt, daß er im Stande war, Kläger und Beklagte anzuhören.

Zur rechten Seite des Thrones standen Hystaspes, der greise Vater des Darius, Gobryas, sein zukünftiger Schwiegervater, der betagte Intaphernes, der Großvater jener Phädime, welche wegen der Ägypterin die Gunst des Königs verloren hatte, der Oberpriester Oropastes, Krösus und hinter diesem Boges, der Eunuchenoberst. Zur Linken verweilten Bartja, dessen Hände mit schweren Ketten gefesselt waren, Araspes, Darius, Zopyrus und Gyges. Im Hintergrunde standen mehrere hundert Würdenträger und Große.

Nach langem Schweigen erhob Kambyses seine Blicke, ließ sie vernichtend auf dem gefesselten Jüngling ruhen und sprach mit dumpfer Stimme. »Oberpriester, sage uns, was den erwartet, der seinen Bruder betrügt, den König entehrt und beleidigt und sein Herz mit schwarzen Lügen verfinstert!«

Oropastes trat hervor und antwortete: »Einen solchen erwartet, sobald er überführt ist, ein qualvoller Tod in dieser Welt und ein furchtbares Gericht auf der Brücke Chinvat(Anm. 104) Am dritten Tage nach dem Tode, wenn die glänzende Sonne aufgeht, dann führen die Diws die Seelen an die Brücke Chinvât, wo sie nach dem Lebensbewußtsein und dem Wandel befragt werden. Vendid. Farg. XIX. 93 fgd. Dort kämpfen die beiden himmlischen Mächte um die Seele. Vendid. Farg. VII. 132. Bei diesem Kampfe findet die Seele der Guten, deren Geruch die Diws wie ein Schaf die Wölfe fürchten, Vendid. Farg. XIX. 108, bei den reinen Geistern, Yazatas, Unterstützung und geht siegreich in den Himmel ein, während die Seele des Unreinen keine Hülfe findet und von dem Diw Vizareshô gebunden in die Hölle geschleppt wird. Noch andere nach Rogge's Ansicht schönere Vorstellungen finden sich bei Tiele, D. godsd. v. Zarath. S. 251 fgd. Vortreffliches hierüber von Spiegel, Ausland 1872., denn ein solcher hat gegen die höchsten Gebote gefrevelt, und indem er drei Verbrechen beging, jene Gunst unseres Gesetzes verscherzt, die Demjenigen, welche nur einmal gesündigt, und sei er nichts als ein Sklave, das Leben zu schenken gebietet(Anm. 105) Herod. I. 137.

»So ist Bartja des Todes schuldig! Führt ihn fort, ihr Wachen und erdrosselt ihn! Führt ihn fort! Schweig', Elender, ich will Deine gleisnerische Stimme nie mehr hören, nie mehr die lügnerische Auge sehen, welches Alles mit buhlerischen Blicken betrügt und den Diws seinen Ursprung verdankt. Fort, ihr Wachen!«

Der Hauptmann Bischen nahte, um den Befehl zu vollstrecken; Krösus aber trat in diesem Augenblicke vor den König, warf sich, den Estrich mit der Stirn berührend, zu Boden, erhob die Hände und sprach: »Jedes Jahr, jeder Tag bringe Dir nichts als Glück, Auramazda spende Dir alle Lebensgüter und die Amescha çpenta(Anm. 106) Die Amescha çpenta (heilige Unsterbliche) sind den hebräischen Erzengeln vergleichbar. Dieselben umgeben den Thron Auramazda's und symbolisiren die höchsten Tugenden. Ihre Zahl wird später auf sechs fixirt. mögen die Wächter Deines Thrones sein! Verschließe Dein Ohr nicht der Rede des Alters und bedenke, daß Cyrus, Dein Vater, mich zu Deinem Rathgeber bestellte. Du willst Deinen Bruder umbringen; ich aber sage Dir, folge nicht Deinem Zorne, sondern suche Dich selbst zu beherrschen! Zu prüfen vor dem Handeln ist die Pflicht der Weisen und Könige. Hüte Dich, brüderliches Blut zu vergießen, denn wisse, daß seine Dämpfe ansteigen zum Himmel und zu Wolken werden, welche die Tage des Mörders verfinstern und endlich tausend Blitze der Rache auf ihn hernieder schleudern. Doch ich weiß, daß Du richten und nicht morden willst. Handle denn nach dem Brauche Derer, welche Recht sprechen und höre beide Theile, bevor Du urtheilst. Hast Du dies gethan, ist der Verbrecher überführt worden und geständig seiner Schuld, dann wird die Blutwolke Dein Dasein nicht mehr verfinstern, sondern Dich beschatten, und statt der Strafe der Götter wirst Du den Ruhm eines gerechten Richters gewinnen.«

Kambyses hörte dem Greise schweigend zu, winkte Bischen zurückzutreten und befahl Boges, seine Klage zu wiederholen.

Der Eunuch verneigte sich und begann: »Ich war krank und mußte darum die Aufsicht über die Aegypterin meinem Gefährten Kandaules, welcher seine Unachtsamkeit mit dem Tode büßte, überlassen. Gegen Abend befand ich mich wohler und bestieg die hängenden Gärten, um zu sehen, ob Alles in Ordnung sei und die seltene Blume in Augenschein zu nehmen, welche in dieser Nacht aufblühen sollte Der König, dem Auramazda Sieg verleihe, hatte befohlen, die Aegypterin strenger zu bewachen als sonst, weil sie sich unterfangen hatte, dem edlen Bartja einen Brief . . .«

»Schweig',« unterbrach der König den Eunuchen, »und halte Dich bei der Sache.«

»Als der Tistarstern gerade aufging, langte ich auf den Gärten an und verweilte eine Zeit lang mit diesen edlen Achämeniden, dem Oberpriester und dem Könige Krösus bei der blauen Lilie, denn sie war in der That von zauberhafter Schönheit. Dann rief ich meinem Genossen Kandaules und fragte ihn in Gegenwart dieser edlen Zeugen, ob Alles in Ordnung sei. Er bejahte dies und fügte hinzu, er komme eben von Nitetis, welche den ganzen Tag geweint und weder Trank noch Speise zu sich genommen habe. Ich, besorgt für das Wohlsein meiner hohen Gebieterin, trage Kandaules auf, einen Arzt zu holen, und will mich eben, um mich selbst von dem Befinden der Herrin zu überzeugen, von den edlen Achämeniden trennen, als ich im Mondenschein eine männliche Gestalt erkenne. Ich war so krank und schwach, daß ich kaum stehen konnte und hatte keine männliche Hülfe außer dem Gärtner bei mir.

»Meine Untergebenen hielten, ziemlich weit von uns, an den Eingängen Wache.

»Ich klatschte in die Hände, um einige von ihnen herbei zu rufen, und näherte mich, als sie nicht kamen, von diesen Edlen beschützt, dem Hause. Die männliche Gestalt stand vor den Fenstern der Aegypterin und stieß, als sie uns nahen hörte, einen leisen Pfiff aus. Alsogleich erschien, im hellen Mondlichte genau erkennbar, eine zweite Gestalt, welche aus dem Fenster des Schlafzimmers der Aegypterin in den Garten sprang und mit ihrem Begleiter uns entgegen kam.

»Ich schalt meine Augen Lügner, als ich in dem Eindringlinge den edlen Bartja erkannte. Ein Feigengebüsch verbarg uns den Fliehenden; wir aber konnten sie, da sie kaum vier Schritte weit von uns vorüber gingen, ganz deutlich erkennen. Während ich mich noch bedenke, ob ich das Recht habe, einen Sohn des Cyrus zu verhaften, und Krösus Bartja anruft, verschwinden die Beiden plötzlich hinter einem Cypressenbaume. Wir folgten ihnen und suchten lange, aber vergeblich nach den in räthselhafter Weise Entkommenen. Nur Dein Bruder wird im Stande sein, uns die seltsame Art seines Verschwindens zu erklären. Die Aegypterin lag, als ich gleich darauf das Haus untersuchte, ohnmächtig auf dem Divan in ihrem Schlafzimmer.«

Alle Anwesenden horchten in ängstlicher Spannung; Kambyses aber knirschte mit den Zähnen und fragte mit erregter Stimme: »Kannst Du die Worte des Eunuchen bezeugen, Hystaspes?«

»Ja!«

»Warum legtet ihr nicht Hand an den Frevler?«

»Wir sind Krieger, aber keine Häscher.«

»Oder besser, jener Bube ist euch lieber als euer König.«

»Wir ehren Dich und verabscheuen den Verbrecher Bartja, wie wir den schuldlosen Sohn des Cyrus liebten.«

»Habt ihr Bartja genau erkannt?«

»Ja.«

»Auch Du, Krösus, verneinest nicht meine Frage?«

»Nein. Ich glaube Deinen Bruder im Mondscheine so deutlich, als er dort vor mir steht, gesehen zu habend doch mein' ich, daß uns irgend eine wunderbare Aehnlichkeit getäuscht haben muß.«

Boges erblaßte bei diesen Worten; Kambyses aber schüttelte mißbilligend sein Haupt und sagte: »Wem dürfte ich glauben, wenn die Augen meiner bewährtesten Helden trügen könnten; wer möchte Richter sein, wenn Zeugnisse wie die euren keine Gültigkeit haben sollten?«

»Andere eben so gültige Aussagen als die unseren, werden Dir beweisen, daß wir uns geirrt haben müssen.«

»Wer wagt es für jenen Frevler Zeugniß abzulegen?« fragte Kambyses aufspringend und mit dem Fuße stampfend.

»Wir, ich, wir!« riefen Araspes, Darius, Gyges und Zopyrus wie mit einer Stimme.

»Verräther, Schurken!« schrie der König. Als aber seine Blicke den mahnenden Augen des Krösus begegneten, senkte er seine Stimme und rief: »Was habt ihr für den Frevler vorzubringen? Bedenket euch wohl, eh' ihr redet, und fürchtet die Strafe, welche des falschen Zeugnisses wartet.«

»Wir bedürfen dieser Mahnung nicht,« sagte Araspes; »doch können wir beim Mithra beschwören, daß wir seit der Heimkehr von der Jagd Bartja und seinen Garten keinen Augenblick verlassen haben.«

»Und,« fügte Darius hinzu, »ich, der Sohn des Hystaspes, kann die Unschuld Deines Bruders ganz besonders klar beweisen, denn ich beobachtete mit ihm den Tistarstern, welcher ja, nach der Aussage des Boges, seine Flucht beleuchtet haben soll.«

Hystaspes sah nach diesen Worten staunend und fragend auf seinen Sohn; Kambyses schaute bald den einen, bald den andern Theil der Zeugen, welche sich gegenseitig zu glauben gewohnt waren und einander doch nicht glauben konnten, prüfend und unschlüssig an.

Bartja, der bis dahin geschwiegen und schmerzlich auf die Ketten, welche seine Hände fesselten, geschaut hatte, benutzte das allgemeine Stillschweigen und sagte, sich tief verneigend: »Gestattest Du mir, einige Worte zu reden, mein König?«

»Sprich!«

»Unser Vater gab uns das Beispiel, nur dem Guten und Reinen nachzustreben; darum war mein Wandel bis dahin unbefleckt. Kannst Du mich einer einzigen finsteren Handlung zeihen, so glaube mir nicht; findest Du aber keinen Fehl an mir, so traue meinen Worten und bedenke, daß ein Sohn des Cyrus den Tod einer Lüge vorzieht. Ich gestehe, daß sich noch kein Richter in einer mißlicheren Lage befand als Du. Die Besten Deines Reiches zeugen gegen die Besten, der Freund gegen den Freund, der Vater gegen den Sohn. Ich aber sage Dir, daß, wenn ganz Persien seine Hand gegen Dich aufhöbe und Alle beschwören wollten, Kambyses habe Dies oder Jenes begangen, Du aber versichern würdest: ›Ich that es nicht,‹ ich, Bartja, das ganze Persien Lügen strafen und ausrufen würde: ›Ihr seid falsche Zeugen, denn viel eher wird das Meer Feuer auswerfen, als der Mund des Cyrussohnes mit Lügen umgehen!‹ Wir Beide sind so hoch geboren, daß Du nur gegen mich, Du aber allein gegen Dich selbst zu zeugen vermagst.«

Kambyses sah nach diesen Worten weniger zornig auf seinen Bruder; dieser aber fuhr fort: »So beschwöre ich denn hiermit beim Mithra und allen reinen Geistern meine Unschuld. Wenn ich seit meiner Heimkehr auf den hängenden Gärten gewesen bin, wenn mein Mund Dich jetzt belügt, dann soll mein Leben vergehen und mein Geschlecht aussterben!«

Bartja hatte diesen Eid mit so sicherer, überzeugender Stimme geleistet, daß Kambyses befahl, seine Ketten zu lösen. Dann sagte er nach kurzem Sinnen: »Ich will Dir glauben, denn ich vermag nicht, Dich für den verworfensten aller Menschen zu halten. Morgen wollen wir die Sternendeuter, Weissager und Priester befragen. Vielleicht vermögen sie die Wahrheit an den Tag zu bringen. Siehst Du ein Licht in dieser Finsterniß, Oropastes?«

»Dein Knecht vermuthet, daß ein Diw die Gestalt des Bartja angenommen habe, um Deinen Bruder zu verderben und Deine königliche Seele mit dem Blute des Sohnes Deines Vaters zu beflecken.«

Kambyses und alle Anwesenden nickten beifällig; ja Kambyses wollte eben seinem Bruder die Hand reichen, als ein Stabträger eintrat, welcher dem Könige ein Dolchmesser überreichte. Ein Eunuch hatte es unter dem Fenster des Schlafzimmers der Nitetis gefunden.

Kambyses schaute die Waffe, deren kostbarer Griff von Rubinen und Türkisen wimmelte, prüfend an, erblaßte und warf den Dolch plötzlich so heftig vor die Füße seines Bruders, daß die Edelsteine aus ihrer Fassung fielen.

»Dies ist Dein Dolch, Du Elender!« schrie er und brauste von neuem jähzornig auf. »Heute Morgen beim Jagen hast Du mit ihm dem Eber, den ich erlegte, den letzten Stoß gegeben. Auch Du, Krösus, mußt ihn kennen, denn mein Vater nahm ihn aus Deiner Schatzkammer zu Sardes. Jetzt bist Du überführt, Du Lügner und Betrüger! Die Diws brauchen keine Waffen, und Messer gleich diesem findet man nicht auf allen Wegen. Du faßt nach Deinem Gürtel? Du erbleichst? Dein Messer fehlt Dir?«

»Es ist fort. Ich muß es verloren, und ein Feind von mir . . .«

»Binde ihn, feßle ihn, Bischen! Führt den Verräther und die falschen Zeugen in den Kerker! Morgen werden sie erdrosselt! Tod ist die Strafe für den Meineid! Wenn sie entwischen, so fallen die Köpfe der Wächter. Kein Wort will ich hören; hinaus, ihr meineidigen Schurken. Du eilst auf die hängenden Gärten, Boges, und bringst die Aegypterin zu mir. Aber nein, ich will die Schlange nicht mehr sehen! Bald graut der Morgen. Zur Mittagszeit soll die Verrätherin durch die Stadt gepeitscht werden. Dann will ich . . .«

Weiter konnte der König nicht sprechen, denn er sank, einem neuen epileptischen Krampfe verfallend, auf den marmornen Fußboden der Halle nieder.

Während dieses Entsetzen erregenden Schauspiels trat die blinde Kassandane, geführt von dem greisen Feldherrn Megabyzus, in den Saal. Die Kunde des Geschehenen war in ihre einsamen Gemächer gedrungen; darum hatte sie sich, trotz der nächtlichen Stunde, aufgemacht, um die Wahrheit zu ergründen und ihren Sohn vor Uebereilungen zu warnen. Fest und unerschütterlich glaubte sie an die Unschuld Bartja's und der Nitetis, wenn sie sich das Vorgefallene auch nicht erklären konnte. Zu mehreren Malen hatte sie versucht, sich mit der Aegypterin in Verbindung zu setzen, aber es war ihr nicht gelungen; denn die Wächter hatten die Kühnheit gehabt, ihr, als sie endlich in eigener Person zu den hängenden Gärten kam, den Eintritt zu untersagen.

Krösus eilte der hohen Frau entgegen, theilte ihr in schonender Weise das Vorgefallene mit, bestärkte sie in dem Glauben an die Unschuld der Angeklagten und führte sie zum Lager ihres Sohnes, des Königs.

Die Krämpfe desselben dauerten diesmal nicht lange. Erschöpft und bleich lag er auf seinem goldenen Bette unter Decken von purpurner Seide. Neben ihm saß seine blinde Mutter, am Fußende des Lagers stand Krösus mit Oropastes, und im Hintergrunde des Zimmers beriethen sich vier Leibärzte(Anm. 107) Es ist natürlich, daß die Medizin von den das Leben so hoch schätzenden Persern besonders aufmerksam gepflegt worden ist. Plinius XXX. 1 behauptet sogar, daß die ganze Religion des Zoroaster auf Arzneikunde basirt sei. In der That finden sich in der Avesta viele medizinische Vorschriften. Der VII. Fargard des Vendidad enthält eine detaillirte Medizinal-Taxe. »Einen Priester heile der Arzt für einen frommen Segensspruch, den Herrn des Hauses für ein kleines Zugthier u. s. w., den Herrn einer Gegend um ein Viergespann von Ochsen. Wenn der Arzt zuerst die Frau eines Hauses heilt, so ist ein weiblicher Esel sein Lohn &c. &c.« In demselben Fargard lesen wir, daß der Arzt eine Art von Examen abzulegen hatte. Wenn er dreimal böse Menschen, an deren Körper er seine Kunst versuchen durfte, glücklich operirt hatte, so war er »fähig für immer«. Wenn er drei Böse, Dâevayaçna (Anbeter der Diws), zu Tode kurirte, »so war er unfähig zu heilen für immerdar«. Plinius zählt eine Menge wunderlicher Rezepte der Magier her. Als erste Eigenschaft des Thrita, eines großen Sagenhelden, der auch den Indern nicht fremd ist, nennt der Vendidad seine Heilkunde. XX. Farg. 11., leise flüsternd, über den Zustand des Kranken.

Kassandane ermahnte ihren Sohn mit sanften Worten, sich vor leidenschaftlichem Aufbrausen zu hüten und zu bedenken, wie traurige Folgen jeder Ausbruch des Zorns für seine Gesundheit haben könnte.

»Du hast Recht, Mutter,« antwortete der König, bitter lächelnd. »Es wird nöthig sein,. daß ich Alles, was meinen Zorn erweckt, aus meinem Wege räume. Die Aegypterin muß sterben und mein verrätherischer Bruder seiner Buhlerin folgen!«

Kassandane brauchte ihre ganze Beredsamkeit, um für die Unschuld der Verurteilten zu sprechen und den Zorn des Königs zu besänftigen; aber weder Bitten, noch Thränen, noch mütterlich mahnende Worte vermochten den Entschluß des Kambyses, sich von den Mördern seines Glücks und seiner Ruhe zu befreien, umzustoßen.

Endlich unterbrach Kambyses die wehklagende Greisin und sagte: »Ich fühle mich tödtlich erschöpft und kann Dein Schluchzen und Deine Klagen nicht länger mit anhören. Die Schuld der Nitetis ist erwiesen. Ein Mann hat ihr Schlafzimmer nächtlicher Weile verlassen, und dieser Mann war kein Dieb, sondern der Schönste der Perser, an den sie sich gestern Abend einen Brief zu senden erfrechte.«

»Kennst Du den Inhalt dieses Schreibens?« fragte Krösus und näherte sich dem Lager.

»Nein; es war in griechischer Sprache geschrieben. Die Treulose wählt zu ihren frevelhaften Bestellungen Zeichen, welche niemand an diesem Hofe zu lesen vermag.«

»Gestattest Du mir, daß ich Dir den Brief übersetze?«

Kambyses deutete mit der Hand auf ein Kästchen von Elfenbein, in welchem das verhängnißvolle Schreiben lag und sagte: »Nimm und lies; verschweige mir aber kein Wort, denn morgen werde ich mir diesen Brief nochmals von einem der Kaufleute aus Sinope, die zu Babylon wohnen, vorlesen lassen.«

Krösus athmete in neuer Hoffnung auf und nahm das Papier in die Hand. Als er es überlesen hatte, füllten sich seine Augen mit Thränen und seine Lippen murmelten: »Die Pandorasage ist dennoch wahr, und ich kann den Dichtern, welche die Weiber schmähenSiehe I. Theil Anmerkung 155., nicht mehr zürnen. Alle, alle sind falsch und treulos! O Kassandane, wie trügerisch sind die Götter. Sie schenken uns die Gabe des Alters; aber nur, um uns wie die Bäume, wenn der Winter naht, zu entblättern und uns zu zeigen, daß Alles, was wir für Gold hielten, Kupfer, und das, wovon wir Labung hofften, Gift sei!«

Kassandane weinte laut auf und zerriß ihr kostbares Gewand; Kambyses aber ballte die Fäuste, als Krösus mit bewegter Stimme folgende Worte las:

»Nitetis, Tochter des Amasis von Aegypten, an Bartja, den Sohn des großen Cyrus.

»Ich habe Dir, aber Dir allein, etwas Wichtiges zu sagen. Morgen hoffe ich Dich vielleicht bei Deiner Mutter zu sprechen. Es liegt in Deiner Hand, ein armes, liebendes Herz zu trösten und ihm vor seinem Verlöschen einen glücklichen Augenblick zu gewähren. Ich habe Dir viel und Trauriges zu erzählen und wiederhole Dir, daß ich Dich bald sprechen muß.«

Das verzweifelte Gelächter ihres Sohnes schnitt der Mutter in's Herz. Sie beugte sich über ihn und wollte sein Angesicht küssen; Kambyses aber wehrte ihren Liebkosungen und sagte: »Es ist eine zweifelhafte Ehre, zu Deinen Lieblingen zu gehören. Bartja hat sich von der Verrätherin nicht zweimal rufen lassen und sich mit falschen Schwüren entehrt. Seine Freunde, die Blüthe unserer Jugend, haben sich für ihn mit unauslöschlicher Schande bedeckt, und Deine geliebteste Tochter ist durch ihn . . . . Aber nein, Bartja hat an der Verderbniß dieses Unholds, der die Gestalt einer Peri trägt, keine Schuld. Aus Heuchelei, Lüge und Trug bestand ihr Leben; ihr Tod soll euch beweisen, daß ich zu strafen verstehe. Jetzt verlaßt mich, denn ich muß allein sein.«

Kaum hatten sich die Anwesenden entfernt, als Kambyses aufsprang und wie ein Rasender umherlief, bis der heilige Vogel ParôdarSiehe Anmerkung 98 des II. Theils. den Tag erweckte. Als die Sonne aufgegangen war, legte er sich wiederum auf sein Lager und versank in einen der Erstarrung ähnlichen Schlaf.

Während dieser Vorgänge saßen die jungen gefangenen Helden und der alte Araspes, nachdem Bartja dem Gyges einen Abschiedsbrief an Sappho diktirt hatte, zechend bei einander. »Laßt uns fröhlich sein,« rief Zopyrus, »denn ich glaube, daß es mit der Freude bald vorbei sein wird! Ich will nicht länger leben, wenn wir morgen früh nicht sammt und sonders todt sind. Schade, daß wir Menschen nur einen Hals haben; hätten wir zwei, so würde ich mehr als ein Goldstück für unser Leben verwetten.«

»Zopyrus hat Recht,« fügte Araspes hinzu; »wir wollen fröhlich sein und die Augen aufhalten, denn sie werden sich bald genug auf immer schließen.«

»Wer unschuldig wie wir in den Tod geht, hat keine Ursache zur Trauer,« sagte Gyges. »Füll' mir den Becher, Schenk!«

»He, Bartja und Darius,« rief Zopyrus den Freunden zu, welche sich leise besprachen. »Habt ihr wieder Geheimnisse? Kommt her zu uns und nehmt den Becher! Ich habe mir, beim Mithra, niemals den Tod gewünscht, heute freu' ich mich aber auf den schwarzen Azis(Anm. 108) Ein böser Geist, der die Menschen tödtet. Vendid. XVIII. 45. »Zu mir möchte der von den Dävas geschaffene Azis kommen, welcher erscheint, um mich der Welt zu entreißen.«, denn er wird uns Alle auf einmal entführen. Zopyrus stirbt lieber mit seinen Freunden, als daß er ohne sie lebt!«

»Vor allen Dingen,« sagte Darius, indem er sich mit Bartja zu den Trinkenden gesellte, »müssen wir uns das Vorgefallene zu erklären versuchen.«

»Mir ist's gleich,« rief Zopyrus, »ob ich mit oder ohne Erklärung sterbe, wenn ich nur weiß, daß ich unschuldig bin und den Tod des falschen Zeugen nicht verdient habe! Schaff' uns goldene Pokale, Bischen; aus diesen schlechten, ehernen Bechern will mir der Wein nicht munden. Wenn auch Kambyses unseren Freunden und Vätern uns zu besuchen verbietet, so kann er doch nicht wollen, daß wir in unseren letzten Stunden Noth leiden!«

»Nicht das geringere Metall des Gefäßes, sondern der Wermuthstropfen des Todes verbittert Dir den Trunk,« sagte Bartja.

»Bei Leibe nicht,« rief Zopyrus; »ich hatte schon halb vergessen, daß das Erdrosseln zu tödten pflegt.« Nach diesen Worten stieß er Gyges an und flüstere ihm zu: »Sei doch heiter! Siehst Du denn nicht, daß Bartja der Abschied von der Erde schwer wird? Was sagtest Du, Darius?«

»Ich meinte, es sei nicht anders möglich, als daß, wie Oropastes vermuthet, ein böser Diw Bartja's Gestalt angenommen und sich zu der Aegypterin begeben habe, um uns zu verderben.«

»Thorheit, ich glaube nicht an solche Dinge!«

»Erinnert ihr euch nicht an die Sage vom Könige Kawus, zu welchem gleichfalls ein Diw in der schönen Gestalt eines Sängers trat?«

»Freilich,« rief Araspes. »Cyrus ließ sich diese Sage so oft beim Schmause vorsingen, daß ich sie auswendig weiß. Wollt ihr sie hören?«

»Gern, gern, singe, laß hören!« riefen die Jünglinge. Araspes besann sich einen Augenblick, dann begann er halb sprechend, halb singend:

Nun Kawus, statt des Vaters, König war,
Und alle Welt ihm untertänig war,
Nun er die Erde vor sich beben sah
Und sich von Schätzen reich umgeben sah,
Die Ketten sah, den Thron, die Perlenreih'n,
Der Krone Gold und funkelndes Gestein,
Die Thasirrosse stark von Bug und Weichen,
Schien er sich auf der Erde ohne Gleichen,
So einst in goldgeschmückter Rosenlaube
Erlabt' er sich am süßen Saft der Traube;

Zu einem Höfling unterdessen trat
Ein Diw, in Sängertracht gehüllt, und bat
Um Einlaß bei dem Schah. So hub er an:
»Ich bin ein Sänger von Masenderan(Anm. 109) Mazenderan (wohl besser als das Masenderan bei Schack), ein Gau am Nordrande von Iran, wird in den Heldensagen zwar seiner Fruchtbarkeit wegen gepriesen, von der andern Seite aber ein Sitz der bösen Geister genannt. Heute noch ist der Gau Mazenderan mit einer fast tropischen Vegetation gesegnet, und die Großen von Mazenderan legen sich mit Stolz den Namen der »Diws« bei. Siehe Ritter, Erdkunde VIII. 426 fgd.;
Der Schah, wenn ihm genehm ist, mich zu hören,
Mag Zutritt mir zu seinem Thron' gewähren.«

Und Kawus spricht: »Man führ' ihn gleich herein!
Er nehme Platz in meiner Sänger Reih'n!« –
Da schlägt der Diw die Saiten, und dem schönen
Masenderan läßt er ein Lied ertönen:

»Wollt ihr das Lied von Masenderan hören?«

»Singe, singe weiter!«

        »Gepriesen sei mein Land Masenderan!
Glück lache seine Au'n und Länder an,
Wo in den Gärten stets die Rose blüht,
Am Berghang Tulp' und Anemone blüht,
Wo immer rein die Luft und grün das Land,
Den ew'gen Lenz nicht Frost noch Hitze bannt,
Wo stets die Nachtigall im Walde singt,
Die Hindin an der Bergeshalde springt
Und nie von ihrem muntern Laufe ruht;
Wo Alles prangt in Duft und Farbengluth;
Wo Rosenwasser in den Strömen fließt
Und Wohlgerüche in die Seele gießt.
Im Bahman, Ader, Ferwerdin und Di
Blühn dort die Tulpen; sie verwelken nie;
Der Rand der Bäche grünt das ganze Jahr,
Die Falken sind beim Jagen immerdar;
Das ganze Land, so weit es sich erstreckt,
Ist mit Geschmeide, Seid' und Gold bedeckt;
Die Priester sind dort goldbediademt,
Die Großen tragen Gürtel, goldverbrämt;
Ist Einem dort der Aufenthalt verweigert,
So fehlt ihm, was sein Glück auf's Höchste steigert(Anm. 110) Diesen schönen Gesang haben wir dem Königsbuche des Firdusi entnommen und nach der trefflichen v. Schack'schen Uebersetzung, Berlin, W. Herz, wiedergegeben. Firdusi, geboren um 940 n. Chr., besang die älteste persische Geschichte in seinen unvergänglichen Epen. Jener Kai Kawus, der, von dem Diw verlockt, nach Mazenderan zog, gehörte zu der Familie der Kajaniden. welche nicht, wie einige Gelehrte wollten, mit den Achämeniden gleichgesetzt werden darf, sondern, wenn man sie nicht als rein mythische Personen betrachten will, jedenfalls früher regierte, als diese. Wir nahmen uns die Freiheit, einen so lange nach der Zeit unserer Geschichte lebenden Dichter redend einzuführen, weil sich die Gesänge desselben genau an die altpersische Tradition halten und ächt persisch sind. Außerdem finden wir unser Citat so dichterisch schön, daß wir dadurch unsere Leser mit dem Anachronismus versöhnen zu können hoffen.

»Und Kai Kawus hörte auf die Worte des in Sängergestalt verwandelten Diw und zog nach Masenderan, und wurde dort von den Diws geschlagen und des Augenlichts beraubt.«

»Aber,« fiel Darius ein, »Rustem, der große Held, kam und schlug den Erscheng und die anderen bösen Geister, und befreite die Gefangenen und machte die Blinden sehend, indem er ihnen das Blut der getödteten Diws in die Augen träufelte. Ebenso wird es uns ergehen, ihr Freunde! Wir, die Gefangenen, werden befreit und dem Kambyses und unseren verblendeten Vätern die Augen geöffnet werden, daß sie unsere Unschuld erkennen. Höre, Bischen, gehe, wenn wir dennoch getödtet werden sollten, zu den Magiern, den Chaldäern und dem Aegypter Nebenchari und sage ihnen, sie möchten nicht mehr nach den Sternen schauen, denn sie hätten dem Darius bewiesen, daß sie Lügner und Betrüger wären!«

»Ich habe es immer gesagt,« unterbrach ihn Araspes, »daß nur die Träume zu weissagen verstehen. Eh' Abradat in der Schlacht vor Sardes fiel, sah die unvergleichliche Panthea im Traume, wie er von einem lydischen Pfeile durchbohrt wurde.«

»Grausamer Mensch,« rief Zopyrus, »mußt Du uns erinnern, daß sich's schöner auf dem Schlachtfelde als mit zusammengeschnürtem Halse stirbt?!«

»Hast Recht!« erwiederte der Alte; ich habe manchen Tod gesehen, der mir wünschenswerter vorkam als der unsere, ja selbst als das Leben. Ach, Kinder, es gab eine Zeit, in der es besser war als heut!«

»Erzähle uns etwas aus jenen Tagen!«

»Vertraue uns, warum Du niemals geheirathet hast! In der andern Welt wird Dir's nicht schaden, wenn wir Dein Geheimniß ausplaudern.«

»Ich habe kein Geheimniß; denn das, was ihr erzählt haben wollt, kann euch jeder eurer Väter mittheilen.

»So hört denn!

»Als(Anm. 111) Die Geschichte von der Panthea, dem Abradat und Araspes bringt Xenophon, sehr griechisch gefärbt, in seiner Cyropädie. Er hat diese anmuthige Novelle wahrscheinlich selbst erfunden, um seinen Helden Cyrus zu feiern. Xenoph. Cyrop. V. ich jung war, spielte ich mit den Weibern, aber spottete der Liebe. Da wollt' es der Zufall, daß Panthea, die schönste aller Frauen in unsere Hände fiel. Cyrus machte mich, der sich rühmte, ein unverwundbares Herz zu haben, zu ihrem Wächter. Ich sah Panthea täglich, und, ja meine Freunde, und lernte, daß die Liebe stärker sei als unsere Willenskraft. Sie wies meine Bewerbungen ab, veranlaßte Cyrus, mich aus ihrer Nähe zu entfernen und ihren Gatten Abradat als Bundesgenossen aufzunehmen. Das treue edle Weib schmückte, als es zum Kampfe ging, ihren schönen Gatten mit all' ihrem Geschmeide und sagte ihm, daß er der Tugend des Cyrus, welcher sie, die Gefangene, wie eine Schwester behandelt hatte, nur durch aufopfernde Freundschaft und heldenmütige Tapferkeit danken könne. Abradat stimmte der Gattin bei, kämpfte wie ein Löwe für Cyrus und fiel. Bei seiner Leiche entleibte sich Panthea. Als ihre Diener dieß erfahren hatten, machten sie am Grabe der schönsten Herrin auch ihrem Leben ein Ende. Cyrus beweinte das edle Paar und ließ ihm einen Leichenstein errichten, den ihr heute noch bei Sardes sehen könnt. Auf demselben stehen die schlichten Worte: ›Der Panthea, dem Abradat und den treuesten aller Diener.‹ Seht, ihr Kinder, wer ein solches Weib geliebt hat, der kann wohl nimmer an eine andere denken!«

Die jungen Helden hatten dem Greise schweigend zugehört, und blieben, als er schon längst zu erzählen aufgehört hatte, noch immer stumm. Endlich rief Bartja, seine Hände zum Himmel erhebend: »O großer Auramazda! Warum läßt Du mich nicht enden wie Abradat; warum müssen wir gleich Mördern eines schmählichen Todes sterben?«

In diesem Augenblicke trat Krösus, von Peitschenträgern geleitet, mit gefesselten Händen in die Halle. Die Freunde eilten dem Greise entgegen und bestürmten ihn mit Fragen. Gyges warf sich an die Brust seines Vaters und Bartja näherte sich dem Lenker seiner Jugend mit geöffneten Armen.

Die heiteren Züge des Greises waren streng und ernst und seine sonst so milden Augen düster, fast drohend. Mit einer kalten, gebieterischen Handbewegung wies er den Königssohn zurück und sagte mit zitternder, Schmerz und Vorwürfe athmender Stimme: »Laß meine Hand, verblendeter Knabe; Du bist nicht werth der Liebe, die ich Dir bis zu diesem Tage schenkte. Vierfach treulos hast Du Deinen Bruder betrogen, Deine Freunde hintergangen, das arme Kind, das in Naukratis auf Dich wartet, verrathen und das Herz der unglücklichen Tochter des Amasis vergiftet.«

Anfänglich hörte Bartja gelassen zu; als aber Krösus das Wort »betrogen« aussprach, ballten sich seine Fäuste, und, wild mit dem Fuße stampfend, rief er aus: »Deine Jahre, Deine Schwäche und der Dank, den ich Dir schulde, schützen Dich, Greis, sonst würden diese Schmähreden Deine letzten gewesen sein!«

Krösus hörte diesen Ausbruch gerechten Zornes gelassen an und sagte. »Kambyses und Du seid eines Blutes; dies beweist Dein thörichtes Toben. Es würde Dir besser stehen, wenn Du, Deine Frevelthaten bereuend, mich, Deinen Lehrer und Freund, um Verzeihung bitten, und nicht der unerhörtesten Schändlichkeit den Undank beigesellen wolltest.«

Diese Worte lösten den Zorn des beleidigten Jünglings. Seine geballten Hände sanken kraftlos nieder und seine Wangen wurden todtenbleich.

Diese vermeintlichen Zeichen der Reue milderten die Entrüstung des Greises. Seine Liebe war stark genug, um den schuldigen wie den unschuldigen Bartja zu umfassen und, seine Rechte mit beiden Händen fassend, fragte er ihn, wie ein Vater seinen Sohn fragt, den er auf dem Schlachtfelde verwundet antrifft: »Gestehe mir, Du armer verblendeter Knabe, wie war es möglich, daß Dein reines Herz dem Bösen so schnell anheimfallen konnte!«

Bartja hörte diesen Worten schaudernd zu. Sein Angesicht röthete sich wieder, aber seine Seele erfüllte sich mit bitterem Weh. Zum Erstenmale verließ ihn der Glaube an die Gerechtigkeit der Götter.

Er nannte sich das Schlachtopfer eines grausamen. unerbittlichen Geschicks, er empfand dasselbe, was das unschuldige, gehetzte Wild fühlen muß, wenn es zusammenbricht und das Nahen der Meute und der Jäger vernimmt. Seine zarte, kindliche Natur wußte nicht, wie sie diesen ersten ernsten Schicksalsschlägen entgegentreten sollte. Man hatte seinen Körper und seinen Muth irdischen Feinden gegenüber zu stählen gewußt; aber seine Erzieher hatten ihn eben so wenig als seinen Bruder gelehrt, die Schläge des Geschicks abzuwehren. Schienen Kambyses und Bartja doch bestimmt zu sein, nur aus der Schale des Glücks und der Freude zu trinken.

Zopyrus konnte die Thränen seines Freundes nicht ansehen. Zürnend warf er dem Greise vor, daß er hart und ungerecht sei. Gyges schaute seinen Vater flehend an, Araspes stellte sich zwischen den tadelnden Greis und den gekränkten Jüngling; Darius aber trat mit ruhiger Ueberlegenheit, nachdem er eine Zeitlang alle Betheiligten still beobachtet hatte, Krösus gegenüber und sagte: »Ihr kränkt und beleidigt einander, ohne daß der Angeklagte zu wissen scheint, wessen man ihn bezüchtigt, ohne daß der Richter die Vertheidigung des Beschuldigten hört. Ich bitte Dich, Krösus, theile uns mit, um der Freundschaft willen, die uns bis heute verband, was Dich bewog, Bartja, an dessen Unschuld Du noch vor Kurzem glaubtest, so hart zu verurtheilen?«

Der Greis folgte diesem Verlangen und erzählte, daß er einen eigenhändigen Brief der Aegypterin gelesen, in welchem sie den Jüngling zu einer geheimen Zusammenkunft auffordere. Seine eigenen Augen, das Zeugniß der ersten Männer im Reiche, ja selbst der vor dem Hause der Nitetis gefundene Dolch habe ihn nicht von der Schuld seines Lieblings überzeugen können; jener Brief aber sei gleich einer Brandfackel in sein Herz geflogen und habe den letzten Rest seines Glaubens an die Tugend und Reinheit des Weibes vernichtet.

»Ich verließ den König,« so schloß er, »fest überzeugt von der frevelhaften Verbindung eures Freundes mit jener Aegypterin, deren Herz ich bis dahin für einen Spiegel alles Guten und Schönen gehalten hatte. Könnt ihr mir verargen, wenn ich Denjenigen tadle, welcher diesen klaren Spiegel und die nicht minder makellose Reinheit seiner eigenen Seele so schändlich befleckte?«

»Wie soll ich Dir meine Unschuld beweisen?!« rief Bartja, die Hände ringend. »Wenn Du mich liebtest, so würdest Du meinen Worten glauben; wärest Du mir zugethan . . .«

»Mein Knabe! Um Dein Leben zu retten, verwirkte ich, wenige Minuten ist es her, das meine. Als ich erfuhr, daß Kambyses euren Tod in der That befohlen hatte, eilte ich zu ihm, bestürmte ihn mit Bitten und vermaß mich, als mein Flehen nichts fruchtete, dem gereizten Manne bittere Vorwürfe zu machen. Da riß das dünne Gewebe seiner Geduld, und tobend befahl er den Trabanten, mein Haupt zu fällen. Der Peitschenträger-Oberst Giw verhaftete mich, schenkte mir aber bis morgen das Leben. Er ist mir verpflichtet und wird den Aufschub der Hinrichtung verheimlichen können. Ich freue mich, daß ich euch, meine Söhne, nicht zu überleben brauche und sterbe unschuldig neben euch, den Schuldigen.«

Diese Worte erweckten einen neuen Sturm des Widerspruchs.

Abermals blieb Darius dem allgemeinen Ungestüm gegenüber gemessen und ruhig. Er erzählte dem Greise von neuem den ganzen Verlauf des Abends, die Unmöglichkeit der Schuld des Bartja beweisend. Dann forderte er den der Treulosigkeit Angeklagten zum Reden auf. Bartja wies jedes Einverständniß mit Nitetis so kurz, schlagend und entschieden zurück und bekräftigte seine Aussagen mit einem so furchtbaren Eidschwure, daß die Ueberzeugung des Krösus erst zu schwanken, endlich zu schwinden begann und er, als Bartja seine Rede schloß, ihn hoch aufathmend, als habe man seine Brust von einer schweren Last befreit, in seine Arme schloß.

So sehr sich die Freunde von nun an bemühten, das Vorgefallene zu erklären, so erfolglos blieb ihr Sinnen und Erwägen. Uebrigens waren Alle der festen Ansicht, Nitetis liebe Bartja und habe jenen Brief an ihn in schlimmer Absicht geschrieben.

»Wer sie gesehen hat,« rief Darius aus, »als Kambyses den Tischgenossen mittheilte, Bartja habe sich ein Weib erwählt, der kann nicht an ihrer Leidenschaft für ihn zweifeln. Als sie den Becher fallen ließ, hörte ich schon den Vater der Phädime sagen, die Aegypterinnen schienen großen Antheil an den Herzensangelegenheiten ihrer Schwäger zu nehmen.«

Während dieser Gespräche war die Sonne aufgegangen und schien hell und freundlich in die Wohnung der Gefangenen.

»Mithra will uns das Scheiden schwer machen,« murmelte Bartja.

»Nein,« erwiederte Krösus, »er leuchtet uns nur freundlich voran in die Ewigkeit«


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