Georg Ebers
Eine ägyptische Königstochter Bd. I
Georg Ebers

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Ein neuer Gast war am selben Abend bei Rhodopis eingetroffen; Kallias, der Sohn des PhaenippusSiehe I. Theil Anmerkung 63 und 69., den wir bereits als Erzähler des Verlaufs der olympischen Spiele kennen gelernt haben.

Der muntere Athener kam soeben aus seiner Heimath zurück und war, als alter, bewährter Freund, mit Freuden von der Greisin aufgenommen und in das Geheimniß des Hauses eingeweiht worden.

Knakias, der alte Sklave, hatte zwar die Empfangsfahne seit zwei Tagen mit in's Haus genommen, wußte aber, daß Kallias seiner Herrin stets willkommen sei und führte ihn deßwegen ebenso schleunig zu ihr, wie er jeden anderen Besucher zurückwies.

Der Athener wußte viel Neues zu erzählen und führte endlich, als sich Rhodopis in Geschäften entfernte, Sappho, seinen Liebling, in den Garten, um dort mit ihr scherzend und neckend nach dem sehnlich erwarteten Geliebten auszuschauen. Als er länger und länger ausblieb und die Jungfrau besorgt zu werden begann, rief er die alte Melitta, die beinahe noch ängstlicher als ihre Herrin nach Naukratis blickte, und ersuchte sie, das Saitenspiel, welches er mitgebracht hatte, in den Garten zu bringen.

Nachdem er die schöne, ziemlich große Laute von Gold und Elfenbein der Jungfrau überreicht hatte, sagte er lächelnd: »Dieses herrliche Instrument hat sein Erfinder, der göttliche Anakreon, auf meinen Wunsch eigens für mich machen lassen. Er nennt es Barbiton(Anm. 83) Barbitos und Barbiton (βάρβιτος u. βάρβιτον). Ein Saiteninstrument der Griechen, das größer war als die gewöhnliche Leier (Jul. Poll. IV. 59) und sich, wie Anthony Rich treffend bemerkt, zur gebräuchlichen Laute verhalten zu haben scheint wie das Cello zur Violine. Anakreon begleitete damit seine Lieder und soll es erfunden haben. und entlockt ihm wunderbare Töne, die selbst nach im Schattenreiche fortklingen werden.(Anm. 84) S I. Theil Anmerk. 36 und Athen. IV. p. 175. Gr. Blumenlese III. 47. (Simonides) 50. 51. (Antipater v. Sidon) u. a. a. O.. Ich habe dem Dichter, der sein Leben wie ein großes, den Musen, dem Eros und dem Dionysus dargebrachtes Opfer verbringt(Anm. 85) Epigramm des Antipater v. Sidon. Gr. Blumenlese III. 52:

»Dreien allein, dem Dionysus und den Musen und Eros
Hattest Du, fröhlicher Greis, all' Dein Leben geweiht.«

, von Dir erzählt und ihm versprechen müssen, Dir folgendes Liedchen, das er für Dich ersonnen, als ein Geschenk von ihm zu überbringen. Höre:

Tantalus Tochter ward gebannt
Zu Felsgestein im Phrygerland,
Und als ein Vogel flog vor Zeiten
Pandion's Kind in alle Weiten;

»Ich aber möcht' ein Spiegel sein,
Dann säh'st Du stets in mich hinein;
Ich würde gern zu Deinem Kleid,
Dann trügest Du mich allezeit

»Ich wollte, daß ich Wasser wär',
Dann plätschert' ich rings um Dich her;
Auch möcht' ich gern, o Mägdelein,
Um Dich zu salben, Balsam sein!

»Zum Gürtel dient' ich gerne Dir,
Zur Perle, Deines Halses Zier,
Zum Schuh, den Du Dir angeschnürt,
Damit mich nur Dein Fuß berührt'(Anm. 86) Anacr. ed. Melhorn.. κβ'. Eigene Uebersetzung

»Zürnst Du dem unbescheidenen Sänger?«

»Wie sollt' ich! Dem Dichter muß man schon eine Freiheit gestatten!«

»Und noch dazu solchem Dichter!«

»Der einen so meisterhaften Sänger zum Ueberbringer seiner Lieder wählt!«

»Schmeichlerin! Ja, als ich zwanzig Jahre jünger war, wurde meine Stimme und mein Vortrag mit Recht gerühmt; jetzt aber . . . .«

»Du willst nur neues Lob ernten; ich lasse mir aber nichts abzwingen! Doch möchte ich gern wissen, ob dieses sogenannte Barbiton mit seinen weichen Klängen auch für andere Lieder als die des Tejers geeignet ist?«

»Ganz gewiß! Nimm' das Plektrum(Anm. 87) Ein Stäbchen von Elfenbein, mit dem die Saiten gerührt wurden. und versuche selbst, die Saiten zu schlagen, welche freilich für Deine zarten Finger etwas schwer zu bemeistern sindSiehe III. Theil Anmerkung 83.

»Ich kann nicht singen, denn ich bin der Ausbleibenden wegen gar zu unruhig!«

»Oder Du fühlst mit anderen Worten, daß Dir vor Sehnsucht die Stimme versagt. Kennst Du das Lied Deiner lesbischen Muhme, der großen Sappho, welches die Stimmung schildert, in der Du Dich in diesem Augenblick aller Wahrscheinlichkeit nach befindest?«

»Ich glaube nicht.«

»So höre. Früher glänzte ich am liebsten mit diesem Gesange, den kein Weib, sondern Eros selbst erdacht zu haben scheint:

»Selig, gleich den Göttern in der Höhe,
Preis' ich Jenen, der in deiner Nähe,
Der bei Dir, an Deiner Seite weilt;
Der den süßen Ton von Deinem Munde
Saugen darf, und ach die holde Kunde,
Die Dein Liebeslächeln ihm ertheilt.

»Tritt mir solches Bild im Geist entgegen,
Klopft mein Herz die Brust in wilden Schlägen,
Und in meinem Mund erstickt das Wort;
Zähmung fesselt plötzlich meine Zunge,
Und ein Feuer pflanzt mit wildem Sprunge
Sich durch meine Haut und Glieder fort.

»Mein Gesicht hat seine Kraft verloren,
Ein Gebrause tönt in meinen Ohren,
Und vor Zittern kann ich nicht mehr steh'n.
Kalter Schweiß befeuchtet meine Glieder,
Gleich dem Grase sink' ich welkend nieder,
Könnt' ich athmen! 's ist um mich geschehen(Anm. 88) Dieses Lied, welches wir frei in deutsche Reime zu übersetzen wagten, ist die zweite der beiden einzigen vollständig erhaltenen Oden der Sappho. Aufbewahrt von Longinus, lateinisch nachgeahmt von Catull. Die Freiheiten, welche wir uns namentlich in der letzten Strophe erlaubt haben, empfehlen wir der Nachsicht des kundigen Lesers. Köchly, Akademische Vorträge und Reden S. 191, faßte die »feuergemischten« Worte dieser Ode so auf, als wären sie gedichtet worden, um einer jungen Freundin der Sappho (Attis) zu der bevorstehenden Vermählung mit dem geliebten Bräutigam in ihrer Weise Glück zu wünschen. Aber die heiße Gluth des Sanges scheint uns gerade unsere Auffassung zu rechtfertigen, wenngleich auch wir von der Sappho etwas Anderes erwarten, als eins von »unseren landläufigen Gratulationscarminibus«.

»Nun, was sagst Du von diesem Liede? Aber, beim Herkules, Kind, Du bist ganz bleich geworden! Haben Dich die Verse so sehr ergriffen, oder bist Du nur erschrocken von dem treuen Bilde Deines eigenen sehnsüchtigen Herzens? Beruhige Dich, Mädchen! Wer weiß, was Deinen Liebsten zurückhält –«

»Nichts, gar nichts!« rief in diesem Augenblicke eine frische Männerstimme, und wenige Sekunden später lag Sappho an der Brust des geliebten Jünglings.

Kallias spielte den schweigenden Zuschauer und lächelte vor Freude über die wunderbare Schönheit des jungen Paares.

»Nun aber,« rief der Königssohn, nachdem er mit Kallias bekannt geworden war, »muß ich die Großmutter eiligst aufsuchen. Statt in vier Tagen soll heute noch die Hochzeit sein! Jede Stunde des Zauderns kann uns gefährlich werden. Ist Theopompus hier?«

»Ich vermuthe es fast,« – antwortete Sappho; »denn ich wüßte sonst nicht, warum die Großmutter so lang im Hause bleibt. Aber was ist es mit der Hochzeit? Ich meine . . .«

»Laß uns erst hineingehen, meine Liebe; ich fürchte, daß ein Gewitter heraufzieht. Der Himmel verfinstert sich schon, und es fängt an unerträglich schwül zu werden!«

»So kommt schnell,« rief Sappho, »wenn ihr nicht wollt, daß ich vor Neugier vergehe! Vor dem Gewitter braucht ihr euch nicht zu fürchten. Seit meiner Kindheit hat es in Aegypten während dieser Jahreszeit weder geblitzt, noch gedonnert(Anm. 89) Obgleich ein Gewitter in Aegypten sehr selten ist, so kommt es doch vor: wir erlebten ein solches im Januar 1870 in der Nähe des in Oberägypten gelegenen Antinoe. Es war so heftig, daß arabische Nachen auf dem Nile umschlugen und von dem dürren arabischen Gebirge reißende Ströme herniederschossen. Einige Fellahhütten wurden fortgeschwemmt und Palmen entwurzelt. Uebrigens versicherte uns der alte Ortsvorsteher, bei seinen Lebzeiten nichts Aehnliches erlebt zu haben. Herodot erzählt als ein Wunder, daß es zur Zeit unserer Erzählung in Oberägypten geregnet habe. III. 10.

»Dann wird Dir heut' etwas Neues begegnen,« lachte der Athener. »Soeben fiel ein schwerer Regentropfen auf mein kahles Haupt, – die Nilschwalben flogen bei meiner Herfahrt ganz dicht über dem Wasser hin, und schon breitet sich eine Wolke über den Mond. Kommet schnell herein, damit ihr nicht naß werdet. He, Sklave, sorge dafür, daß man den Göttern der Unterwelt ein schwarzes Lamm opfert(Anm. 90) Die Griechen pflegten, wenn ein Gewitter drohte, den Stürmen, die zu den Göttern der Unterwelt gehörten, ein schwarzes Lamm zu opfern. Als in den Fröschen des Aristophanes Aeschylus den Euripides mit fürchterlicher Heftigkeit anzugreifen beginnt, ruft Dionysus: »Ihr Sklaven, bringt ein Lamm, ein schwarzes Lamm, ein gräßlich Ungewitter ist im Anzug!« Aristophanes Frösche 853

Im Wohnzimmer der Rhodopis saß Theopompus, wie Sappho richtig vermuthet hatte. Er war eben mit seiner Erzählung von der Verhaftung des Zopyrus und der Reise des Bartja und seiner Freunde fertig geworden.

Je größere Besorgniß in den Beiden wegen dieser Vorgänge erwacht war, desto freudiger wurden sie von der unerwarteten Erscheinung des Königssohnes überrascht, der in geflügelten Worten die Erlebnisse der letzten Stunden wiederholte und Theopompus bat, sich nach einem segelfertigen Schiffe für ihn und seine Freunde umzusehen.

»Das trifft sich herrlich!« rief Kallias. »Meine eigene Triere, welche mich heut' nach Naukratis brachte, liegt vollkommen ausgerüstet im Hafen und steht Dir zu Diensten. Ich brauche nur dem Steuermanne zu befehlen, die Mannschaft zusammen und Alles fertig zu halten. – Du bist mir nicht verpflichtet; ich muß Dir vielmehr für die mir erwiesene Ehre danken! Heda, Knakias, eile und sage meinem Sklaven Philomelus, der draußen im Vorsaale wartet, er möge sich in den Hafen rudern lassen und meinem Steuermanne Nausarchus befehlen, Alles zur Abreise bereit zu halten. Gib ihm dies Siegel, welches ihn zu Allem bevollmächtigt!«

»Und meine Sklaven?« fragte Bartja.

»Knakias soll meinem alten Schaffner den Auftrag geben, sie zum Schiffe des Kallias zu führen,« erwiederte Theopompus.

»Wenn sie dieses Zeichen sehen, so werden sie ihm unbedingt folgen,« fügte Bartja hinzu und gab dem alten Diener seinen Ring.

Als sich Knakias unter tiefen Verbeugungen entfernt hatte, fuhr der Königssohn fort: »Jetzt aber muß ich Dir, meine Mutter, eine dringende Bitte vortragen.«

»Ich errathe sie,« lächelte Rhodopis. »Du wünschest, daß man die Hochzeit beschleunige, und ich sehe ein, daß ich Deinem Verlangen nachgeben muß!«

»Wenn ich nicht irre,« rief Kallias, »so stehen wir hier dem seltenen Falle gegenüber, daß sich zwei Menschen über eine Gefahr, in der sie schweben, von Herzen freuen.«

»Du magst Recht haben,« gab Bartja, die Hand seiner Geliebten verstohlen drückend, dem Athener zurück. Dann wandte er sich nochmals an Rhodopis und bat sie, ihm ohne Säumen ihr Liebstes, dessen Werth er wohl zu schätzen wisse, anzuvertrauen.

Rhodopis richtete sich hoch empor, legte ihre Rechte auf Sappho's, ihre Linke auf Bartja's Haupt und sagte:

»Es gibt eine Sage, ihr Kinder, welche erzählt, daß im Lande der Rosen ein blauer See bald sänftlich ebbe, bald stürmisch fluthe, und daß das Wasser dieses Sees halb süß wie Honig, halb bitter wie Galle schmecke. Ihr werdet den Sinn dieser Sage kennen lernen und in dem erhofften Rosenlande eurer Ehe bald stille, bald bewegte, bald süße, bald bittere Stunden erleben. So lange Du ein Kind warst, Sappho, sind Deine Tage dahingegangen, ungetrübt, gleich einem Frühlingsmorgen; sobald Du zur liebenden Jungfrau wurdest, hat sich Deine Brust dem Schmerze geöffnet, der jetzt durch lange Monde der Trennung ein wohlbekannter Gast in ihr geworden ist, ein Gast, der bei Dir anklopfen wird, so lange Du lebst. Deine Aufgabe, Bartja, wird es sein, den Zudringlichen, soweit es in Deinen Kräften steht, von Sappho fern zu halten. Ich kenne die Menschen und wußte, ehe mich Krösus Deines Edelsinnes versichert hatte, daß Du meiner Enkelin würdig wärest. Darum gestatte ich Dir, mit ihr den QuittenapfelSiehe III. Theil Anmerkung 64. zu verzehren, darum übergebe ich Dir ohne Zagen ein Wesen, welches ich bis dahin als ein heiliges, mir anvertrautes Pfand behütet habe. Betrachte Du Dein Weib in gleicher Weise als einen dargeliehenen Schatz, denn nichts ist gefährlicher für die Liebe, als die behagliche Sicherheit des ausschließlichen Besitzes. – Man hat mich getadelt, weil ich das unerfahrene Kind in die den Frauen ungünstigen Verhältnisse Deiner fernen Heimath ziehen lasse; ich kenne aber die Liebe und weiß, da es für eine liebende Jungfrau kein anderes Vaterland gibt, als das Herz des Mannes, dem sie sich hingibt, daß ein von Eros getroffenes Weib kein anderes Unglück achtet, als das, getrennt von dem Manne ihrer Wahl leben zu müssen. Und außerdem frage ich euch, Kallias und Theopompus, sind eure Gattinnen vor denen der Perser so sehr bevorzugt? – Muß die ionische, attische Frau nicht, gleich der Perserin, in den Weibergemächern ihr Leben verbringen und froh sein, wenn man ihr ausnahmsweise gestattet, tiefverschleiert und von mißtrauischen Sklaven begleitet, über die Straße zu gehen? – Was die Vielweiberei der Perser anbelangt, so fürchte ich sie weder für Sappho, noch für Bartja! – Er wird seiner Gattin treuer sein als ein Hellene, denn in Sappho wird er vereint finden, was ihr, Kallias, einerseits in der Ehe, andererseits in den Häusern der gebildeten HetärenSiehe I. Theil Anmerkung 10. sucht. Hier Hausfrauen und Mütter, dort geistig belebte und belebende Gesellschafterinnen. Nimm' sie hin, mein Sohn; ich übergebe Dir Sappho vertrauensvoll und gern, wie ein alter Kämpfer seinem starken Sohne das Beste, das er besitzt, seine Waffen, mit Freuden hingibt. – In wie weite Ferne sie auch zieht, wird sie doch stets Hellenin bleiben und, das ist mir ein hoher Trost, in ihrer neuen Heimath dem Griechennamen Ehre bringen und dem Griechenthume neue Freunde werben. Ich danke Dir für Deine Thränen, Kind! Ich vermag den meinen zu gebieten, doch habe ich für diese Kunst dem Schicksale Unermeßliches gezahlt! Diesen Schwur, edler Bartja, hörten die Götter. Vergiß ihn niemals und nimm' sie hin, als Dein Eigenthum, – Deine Freundin, – Dein Weib! – Führe sie fort, sobald Deine Gefährten heimkehren. Die Götter wollen nicht, daß zu Sappho's Vermählungsfeier der Hymenäus gesungen werde(Anm. 91) Hymenäen hießen die Hochzeitlieder, weil bei ihnen der Refrain »Hymen o! Hymenae' o!« stets wiederkehrte. Dieser Sang gab Veranlassung, einen Gott der Ehe, Hymen, zu gestalten, dessen Person mit reichen Mythen ausgeschmückt wurde. Zuletzt sollte er nach dem schönen Sange des Catull mit den Musen auf dem Helikon wohnen. Köchly über Sappho l. 1. S. 195 meint die Hymenäen gewissermaßen lyrische Dramen nennen zu dürfen. Sie gliederten sich gleichsam in mehrere Akte, in denen die bezeichnenden Theile der Hochzeitfeier in Gesang geschildert und mit rhythmischer, ihren Inhalt andeutender Aktion begleitet wurden.

Bei diesen Worten fügte die Greisin die Hände des Paares in einander, umarmte Sappho heiß und innig und hauchte einen leisen Kuß auf die Stirn des jungen Persers. Später wandte sie sich an die in tiefer Rührung dastehenden hellenischen Freunde und sprach:

»Das war eine stille Vermählung, ohne Sang und Fackelschein. Möge ihr eine um so freudigere Ehe folgen! Geh' hin, Melitta, und hole das Hochzeitsgeschmeide der Braut, die Armbänder und Halsketten, welche in dem Bronze-Kästchen auf meinem Putztische liegen, damit unser Liebling ihrem Eheherrn, angethan, wie es der zukünftigen Fürstin ziemt, die Hand reichen könne(Anm. 92) Die hellenische Braut erschien in schönem Schmucke, und auch die Brautführer erhielten Festgewänder. Hom. Odyss. VI. 27. Außerdem wurde sie nach dem Bade, welches Braut und Bräutigam nehmen mußten (Thucid. II. 15), mit duftenden Essenzen gesalbt. Xenoph. Symp. II. 3. Böttger, Aldobr. Hochzeit S. 41.

»Eile Dich,« rief Kallias, der jetzt seine alte Heiterkeit wieder erlangt hatte; »auch darf die Nichte der größten Hymenäen-SängerinDie Lesbierin Sappho. nicht ganz ohne Sang und Klang in das Brautgemach treten. Da das Haus des jungen Eheherrn allzufern ist, so nehmen wir an, die leere Andronitis wäre seine Wohnung. Dorthin führen wir die Jungfrau durch die Mittelthür und genießen am Herde des Hauses ein fröhliches Hochzeitsmahl. Herbei, ihr Sklavinnen, und theilt euch in zwei Chöre. Ihr übernimmt den der Jünglinge, ihr den der Jungfrauen und singt uns den Sappho'schen Hymenäus: ›Wie im Gebirge.‹ Ich selbst spiele den Fackelträger(Anm. 93) Die Brautmutter zündete die Fackel an. Iphigenie a. Aulis 722. Der Träger der Fackel sollte wohl den Hymen darstellen. Aldobr. Hochzeit S. 142. Becker, Charikles III. S. 306., eine Würde, die mir ohnedem zukommt. Du mußt wissen, Bartja, daß meine Familie das erbliche Recht besitzt, die Fackeln bei den Mysterien von Eleusis zu tragen, weswegen man uns Daduchen oder Fackelträger nenntSiehe I. Theil Anmerkung 69.. Heda, Sklave! Sorge für Kränze an der Thür der Andronitis und befiehl Deinen Genossen, daß sie uns bei unserem Eintritt mit Zuckerwerk bewerfen(Anm. 94) Dieser Gebrauch war auch zu Rom üblich. Schol. zu Aristophanes. Plutarch 768. Becker, Charikl. III. S. 306.! Ei, sieh' da, Melitta, wie hast Du die schönen Braut- und Bräutigams-Kronen von Veilchen und Myrten so schnell beschaffen könnenSiehe I. Theil Anmerkung 213.? – Der Regen fließt stromweis durch die Oeffnung im Dache! – Sehet, – Hymen hat Zeus überredet, daß er euch zu allen Gebräuchen der Vermählungsfeier verhelfe. Da ihr das Bad, welches Braut und Bräutigam nach alter Sitte am Hochzeitsmorgen zu nehmen pflegen, nicht haben könnt, – so müßt ihr einen Augenblick hierher treten und das Naß des Zeus für geheiligtes Quellwasser gelten lassen! Jetzt aber stimmt den Gesang an, ihr Mädchen! Laßt die Jungfrau den Verlust ihrer Rosenzeit beklagen und die Jünglinge das Loos der Jungvermählten preisen.«

Nun begannen fünf hohe, wohlgeübte Stimmen den Chor der Jungfrau wehmüthig klagend zu singen:

»Wie im Gebirge die Hirten die Hyacinthe mit Füßen
Treten, daß abgeknickt die purpurne Blüthe zur Erde
Hinsinkt, wo sie von Keinem beachtet im Staube dahinwelkt;
Also die Jungfrau, wenn sie der Keuschheit Blüthe geopfert,
Wird von den Knaben verachtet und von den Mädchen gemieden.
Hymen o Hymenäus, o Hymen, komm' Hymenäus!«

Und der andere tiefere Chor gab in jubelnden Tönen den Mädchen zurück:

»Wie auf kahlem Gefilde die Rebe, die einsam getrauert,
Da sie der Ulme vermählt, sich emporhebt, Ranken und Trauben
Hoch um die Wipfel geschlungen, des Landmanns herzliche Freude;
Also die Frau, die in blühender Jugend den ehelichen Bund schloß,
Wird von dem Manne geliebt und erfreuet die Herzen der Eltern.
Hymen o Hymenäus, o Hymen, komm' Hymenäus(Anm. 95) Diesen Gesang geben wir nach Köchly's (über Sappho S. 198) meisterhafter Herstellung. Nur die beiden ersten Verse sind uns, wie sie Sappho gesungen, erhalten worden; für das Folgende mußte Catull's Nachbildung, ja fast Uebersetzung, wie die erhaltenen Verse lehren, benützt werden.

Nun vereinten sich beide Chöre, um das »Hymen komm', Hymenäus« sehnsüchtig rufend und doch jubelvoll aber- und abermals zu wiederholen. Plötzlich verstummte der Sang, denn das Licht eines Blitzes, dem ein heftiger Donnerschlag folgte, strahlte durch die Oeffnung im Dache, unter welche Kallias das junge Paar geführt hatte. »Seht ihr?« rief der Daduche, seine Hand gen Himmel erhebend, »Zeus selbst schwingt die Hochzeitsfackel und singt den Hymenäus für seine Lieblinge.«

Als der nächste Morgen graute, traten Bartja und Sappho aus dem Brautgemach in den Garten, welcher nach dem Gewitter, das während der ganzen Nacht in unerhörter Heftigkeit getobt hatte, so heiter und morgenfrisch strahlte wie das Angesicht der Neuvermählten.

Die Beiden hatten sich so zeitig von dem hochzeitlichen Lager erhoben, weil in Bartja's Seele die Besorgniß um seine Freunde, welche er im Rausche der Zärtlichkeit beinahe vergessen hatte, von neuem, und heftiger als vorher, erwacht war.

Der Garten lag auf einem künstlichen Hügel, welcher die überschwemmte Ebene überragte und einen freien Blick über dieselbe gestattete. Auf dem Spiegel des Nilwassers schwammen weiße und blaue Lotusblumen, am Ufer und über den Untiefen zeigten sich dicht aneinander gedrängt große Schwärme von Wasservögeln. Wie Schneefirnen am Hochgebirge boten sich die am Stromesrande stehenden Schwärme von Silberreihern den Blicken dar. Einsam kreisten breitbeschwingte Adler in der reinen Morgenluft, in den Kronen der Palmen wiegten sich Turteltauben und die Pelikane und Enten auf dem Spiegel des Wassers flogen schreiend und schnatternd in die Höhe, sobald sich das bunte Segel einer Barke zeigte. Ein frischer Nordostwind durchwehte die von dem nächtlichen Gewitter abgekühlte Luft und trieb, trotz des frühen Morgens, eine ziemliche Anzahl von Fahrzeugen über die unter Wasser stehenden Aecker hin. Der Gesang der Matrosen vereinte sich mit dem Plätschern der Ruderschläge und dem Gezwitscher der Vögel, um die einförmige und dennoch bunte Landschaft des überschwemmten Nilthals auch mit Tönen zu beleben.

Das junge Ehepaar stand eng aneinander gelehnt an der niedern Mauer, welche den Garten der Rhodopis umgab, und schaute, zärtliche Worte tauschend, diesem Schauspiele zu, bis Bartja's scharfes Auge ein Fahrzeug entdeckte, welches, vom Winde und kräftigen Ruderschlägen getrieben, gerade auf das Landhaus der Greisin zusteuerte.

Wenige Minuten später landete das Boot bei der Gartenmauer, und bald darauf stand Zopyrus mit seinen Rettern vor dem Königssohne.

Der Plan des Darius war, Dank dem Gewitter, welches die Aegypter, seiner ungewohnten Zeit und Heftigkeit wegen, erschreckt hatte, wohl gelungen; dennoch durfte keine Zeit verloren werden, denn es stand zu erwarten, daß die Saïten den Flüchtling mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln verfolgen würden.

Nach einem kurzen, aber um so zärtlicheren Abschiede trennte sich Sappho von ihrer Großmutter und bestieg an Bartja's Hand, von der alten Melitta, die ihr nach Persien folgte, begleitet, den Kahn des Syloson und eine Stunde später die schöngezimmerte Hygieia, das schnell segelnde Meerschiff des Kallias.

Der Athener erwartete die Flüchtlinge an Bord seiner Triere und nahm besonders von Sappho und Bartja herzlichen Abschied. Letzterer hängte dem Alten eine überaus kostbare Kette als Zeichen seiner Dankbarkeit um den Hals, während Syloson dem Darius, zum Andenken an die gemeinsam bestandene Gefahr, seinen Purpurmantel, ein unschätzbares Meisterwerk sidonischer Färberkunst, welches die Bewunderung des Hystaspessohnes erweckt hatte, um die Schultern legte. Darius nahm diese Gabe freudig an und rief dem Bruder des Polykrates beim Abschiede zu: »Erinnere Dich stets daran, hellenischer Freund, daß ich Dir Dank schulde, und gib mir sobald als möglich Gelegenheit, Dir einen Gegendienst zu leistenSiehe III. Theil S. 267.

»Erst aber wendest Du Dich an mich, den Zopyrus!« rief der Befreite, seinen Retter umarmend. »Ich bin bereit, mein letztes Goldstück mit Dir zu theilen und, was mehr sagen will, Dir zu Liebe in dem verwünschten Loche, aus dem ihr mich befreit, eine volle Woche zu sitzen! – Aber die Anker werden gelichtet! Lebe wohl, braver Hellene! Grüße die Blumenschwestern von mir; besonders die kleine Stephanion, und sage ihr, sie habe es mir zu danken, wenn sie ihr lästiger langbeiniger Bräutigam so bald nicht wieder versorgen werde. – Aber noch Eins! Nimm diesen Beutel mit Gold für das Weib und die Kinder des ägyptischen Naseweis, dem ich in der Hitze des Gefechts so übel mitgespielt habe.«

Während dieser Worte fielen die Anker rasselnd auf das Deck des Schiffes, der Wind schwellte das ausgebreitete Segel, und aus dem Raume der Triere erklang das einförmige Keleusma oder Ruderlied, dessen Rhythmus der Trieraules mit der Flöte angabSiehe I. Theil Anmerkung 214.. Die Spitze des Fahrzeuges mit der hölzernen Bildsäule der Hygieia bewegte sich. Bartja und Sappho standen am Ruder und schauten so lange nach Naukratis zurück, bis die Ufer des Nils ihren Blicken entschwanden und die grünen Wogen des hellenischen Meeres den Bord der Triere bespülten.


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