Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)
Don Adone
Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)

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Vorwort

Motto: »Das begreif ein andrer! Ich verstehe kein Wort von alledem. Irgend eine Teufelei muß dahinter stecken. Aber ich setze mein Blut zum Pfande, daß er die Wahrheit sagt.«

»Der Rabe«, von Carlo Gozzi

Auf der Terrasse des Hotel Rispoli zu Sorrent steht die junge mingrelische Fürstin Nadeschda Lwowna und schüttelt ungeduldig die schwarzen Locken, denn ihr in der Ferne im behaglichen Nachtischgespräch verweilender Gemahl hält noch die Serviette von der Table d'hôte in der Hand und bemerkt nicht, daß Nadeschda Lwowna eine sehr dringende Frage auf den Lippen hat.

Endlich gewahrt er seine Versäumnis, schleudert die Serviette einem Cameriere zu und eilt heran.

Was Nadeschda Lwowna zu erfahren wünscht, ist etwas, womit es im Grunde keine Eile hat. Aber wenn man ungeduldig ist, wird alles dringend.

Wer war denn also der unleidliche Gian Francesco? ruft Nadeschda Lwowna, ich muß es endlich einmal erfahren. Sie Böser, Sie Achtloser, Sie VI Pflichtvergessener, der Sie immer alles wissen und sich doch nie die Mühe geben, mich zu belehren! Wer war Gian Francesco?

Und ehe der Fürst antworten kann, fährt sie fort:

Sie sagen, er war Improvisator. Was ist das für ein Bescheid? Ich bitte mir zu sagen: Wer hat ihn noch gekannt? welcher Art waren seine Improvisationen? sprach er in Prosa oder in Versen? war er hübsch oder häßlich, blond oder schwarz, groß oder klein? Seit acht Tagen wird über Tisch immer nur von Gian Francesco und seinem Don Adone gesprochen, und Sie, mein Herr Gemahl, nicken dazu, als sei er einer Ihrer Bekannten gewesen. Flüstre ich Ihnen aber zu: Was ists mit Gian Francesco und der viel beredeten Geschichte? so antworten Sie mir mit Achselzucken und haben angeblich nur aus Gefälligkeit die Miene des Eingeweihten angenommen. Ich bitte mir gleich jetzt beim Nachtischkaffee den alten redseligen Magister dort vorzustellen, der immer von jedem Gericht dreimal nimmt und bei jedem letzten Bissen das Don Adone-Loblied wieder von neuem anstimmt. Für einen Guck-in-die-Welt zu gelten, das ist ja unter Umständen ganz erwünscht, und bisweilen höre ichs ganz gern, wenn Sie mich wie einen Säugling abfertigen. Aber dann wieder ist mirs doch auch verdrießlich, daß wir Spätgebornen so vieles versäumt haben: das Menuett, die Schönpflästerchen, den Puder, den Grafen Cagliostro und vor allem die italienischen Improvisatoren! – Nicht wahr, Signor Dottore, wendet sie sich lächelnd gegen den mit seiner Kaffeetasse auf des Fürsten Wink schon dienstfertig herankommenden Gian Francesco-Schwärmer, nicht wahr, Sie werden mir endlich über Gian Francesco VII ein Licht aufstecken? Denken Sie, gestern habe ich die ganze Nacht von ihm geträumt! Ohne alle Zeremonie! Von einem Menschen, der mir nicht vorgestellt worden ist! Ich möchte doch wenigstens nachträglich wissen, in welche Gesellschaft ich da geraten bin.

Durchlaucht, beginnt der Angesprochne, nachdem der Fürst die Bitte seiner Gattin höflichst unterstützt hat, vor jetzt gerade dreißig Jahren saß ich eines Abends in dem kleinen Mailänder Teatro carcano während einer Vorstellung des Volksstückes l favolone favoloso (der fabelhafte Fabulant), und zwar saß ich neben einem Manne, der sich durch seine weißbestäubte Jacke als einen Mehlmüller, durch sein breites 'gnor si und 'gnor no aber als einen Uferbewohner des Golfs von Neapel verriet. Der Fabulant selbst war die Hauptfigur des Stücks, und gutherzige Züge aus seinem Leben, Wunderlichkeiten harmloser Art, die er begangen hatte, und zuguterletzt sein seliges Ende samt poetischer Apotheose bildeten den Inhalt. Mein Nachbar war häufig bis zu Thränen gerührt, dann wieder schalt er laut: So hat sichs nicht verhalten! das ist erlogen! nie hat Gian Francesco (ich hörte damals von ihm zum erstenmal) solchen Unsinn geredet! Demenzia! Follia! Pazzia! Und als ich ihn endlich fragte, was er denn wolle? die Sache sei ja eine freie Erfindung, er möge die Leute doch nur reden lassen, wie der Dichter es ihnen vorgeschrieben habe – da rechtfertigte er sich umständlich: Gian Francesco Sabattini habe aber doch erst vor zwei Jahren das Zeitliche gesegnet, und jedermann an der Spiaggia della Marinella könne doch bestätigen, daß er nie weite grüne, sondern immer enganschließende VIII zimmetbraune Beinkleider getragen habe, ebenso daß der große Schirm, unter dem er fünfzig Jahre lang gerade der Kirche Santa Maria del Carmine gegenüber als Schreiber gesessen habe, nicht blau, sondern granatrot gewesen sei, und im gleichen, daß er beim Improvisieren, seinem lustigen Nebengeschäft, nie eine Guitarra francesce zur Begleitung benutzt habe, sondern eine Mandolina oder einen Brummtopf. – Der Mann beschrieb in dieser berichtigenden Weise nach und nach den ganzen Gian Francesco und fügte hinzu, sein strohgelbes geblümtes Halstuch und sein weißlicher Filzhut, unter dem er gern ein schwarzes Sammetkäppchen getragen habe, seien jedem Kinde am Golfe lieb und vertraut gewesen, und einen bessern, herzigern, mitteilsamern, grundgelehrtern Menschen – denn er sei nicht immer nur öffentlicher Schreiber gewesen – habe es in der ganzen weiten terra di avoro nie keinen zweiten nicht gegeben.

Nadeschda Lwowna schaut etwas ernüchtert. Aber der Gian Francesco-Schwärmer fährt nur um so lebhafter fort:

So viel, Durchlaucht, über sein Wesen und sein Äußeres. Von den Geschichten, die er improvisierte (ich stöberte ihnen sofort nach), hat sich leider nur eine einzige erhalten, aber welche! Eben jener Don Adone! Für Kenner, Durchlaucht, ein Kabinettstück; meines Wissens nur zwei oder dreimal nachgeschrieben, unschätzbar schon wegen der reichen Fülle mundartlicher Wendungen, die sie enthält – zu Ihrer Verfügung, Durchlaucht, wenn Durchlaucht sich nicht an den Dialekt stoßen und nicht minder an das vergilbte Papier.

Nadeschda Lwowna dankt natürlich auf das verbindlichste und bittet recht sehr, ihr wenigstens einen IX flüchtigen Einblick in den interessanten Schatz gönnen zu wollen.

Als ihr Gemahl aber wieder herantritt, während der Sammler sich entfernt, um das Schriftstück zu holen, flüstert sie:

Was habe ich angerichtet! Gian Francesco ist ein alter Philister! Fünfzig Jahre lang hat er als öffentlicher Schreiber auf demselben Fleck gesessen! Ich bitte Sie, Iwan Platonowitsch, kann ein solches Mammut jemand interessieren? Ein Glück, daß mir der Vorwand der Unleserlichkeit des Manuskripts und der Dialektschwierigkeiten bleibt. Ich dächte, wir reisten lieber heute als morgen.

Der Fürst ist immer der Meinung seiner jungen Frau, und Trophim, sein Kammerdiener, erhält stehenden Fußes den Befehl, die Koffer zu packen.

Inzwischen ist der Sammler mit einem gewichtigen Quartbande geschäftig zurückgekehrt.

Ich begreife, mein Herr, sagt die Fürstin, daß Sie das kostbare Werk nur mit Zittern aus den Händen geben würden. Wir sind aber ohnehin genötigt, uns zur Reise zu rüsten; und so wird ein oberflächlicher Blick für mich einfältiges Kind wohl genügen.

Dies verscheucht einige Bedenken, die soeben in mir aufgestiegen waren, sagt der Sammler, indem er das Buch öffnet und ein Blatt nach dem andern mit zärtlichen Blicken behutsam umwendet.

Wieso? fragt die Fürstin.

Ich würde wohl Mühe haben, mich deutlich zu machen . . . ohnehin handelt es sich, wie Durchlaucht sagen, ja nicht mehr um die Lektüre dieser merkwürdigsten aller Erzählungen.

X Sie machen mich neugierig. Es sind wohl Liebesabenteuer?

Die Wahrheit zu gestehn – und das sind meine Bedenken –, Gian Francesco war in seinen jungen Tagen ein gar lockrer Vogel, wurde von vier Universitäten relegiert, und das ganze Golfufer ist noch voll von den Wiederhallen seiner losen Streiche . . . . aber ich langweile Sie?

Durchaus nicht! Also lose Streiche hat er begangen?

Zu dreien malen, fährt der Sammler kleinlaut fort, hat Gian Francesco Nonnen entführt; schlimmer noch: er bezauberte eine Prinzessin – der Name sei hier schonend verschwiegen –, bezauberte sie bis zu dem Punkte, daß sie ihm in Nacht und Nebel nach Capri folgte und dort einen ganzen Maimonat mit ihm in den Trümmern des Tiberiuspalastes hauste, ja daß sie sich ins Meer stürzte, als ihr Vater sie von ihm trennen wollte. Von einem solchen Abenteurer Ihnen zu reden, ist – ich fühle es, Durchlaucht – ein mißliches Unterfangen.

Ich würdige Ihre Empfindungen . . . aber . . . fahren Sie, bitte, fort; also er war verführerisch schön . . .

Der Sammler streichelt das Buch. Drüben in dem Kirchlein in Puzzuoli, sagt er mit einem begütigenden Seufzer, hängen noch ein oder zwei Dutzend wächserne und auch goldne Votivherzen, sämtlich mit G. F. oder G. F. S. gezeichnet, die von Jungfrauen herrühren, die ihr Herz an Gian Francesco verloren hatten und nun in der landesüblichen Weise sich des gnädigen Beistandes der Madonna zu versichern wünschten . . . ich bitte, Durchlaucht, meine Weitläufigkeit zu entschuldigen.

XI Sie können nicht weitläufig genug sein. Wie schade, daß er schon tot ist!

Daß er nach einem Wagnis von besonders sträflicher Vermessenheit dem Galgen nur entging, weil sich eine sehr hochgestellte Dame dieses Landes lebhaft, ja leidenschaftlich für ihn verwandte – auch das, so wenig es zu seinem Ruhme gereicht, darf ich zum Schlusse nicht verschweigen.

Aber Sie reden wirklich von jenem Gian Francesco, der fünfzig lange Jahre . . .

Ich rede von seinen Jugendstreichen, Durchlaucht.

Natürlich! Von der Zeit, wo er behende, keck, unwiderstehlich war. Welcher Schatz von bunten, farbenreichen Erinnerungen! Was meinen Sie, Iwan Platonowitsch, vielleicht ließe sich unsre Abreise um einen Tag verschieben?

Sofern nicht doch die Bedenken . . . wirft der Fürst ein.

Man kann ja dies und das überschlagen, ruft die Fürstin.

Aber die Schwierigkeiten des Dialekts, wendet wieder der Fürst ein.

Signor Dottore, sagt die Fürstin mit einem bittenden Blick, indem sie ihre kleine Hand auf das Buch legt, als fürchte sie, es könne durch Zauber davonfliegen, wollen Sie Ihrer Liebenswürdigkeit die Krone aufsetzen, so führen Sie uns in das Verständnis des seltnen Schriftstellers ein, und zwar sofort. Mein Gatte ist die Herzensgüte selbst und wird alle Reiseanordnungen rückgängig machen. Meine Teilnahme für die unglücklichen Jungfrauen in Puzzuoli braucht sich wohl nicht zu verbergen.

XII Ihr Wunsch ist mir Befehl, Durchlaucht, sagt der Sammler und verneigt sich; wenn Sie aber insonderheit von den Damen in Puzzuoli etwas zu hören erwarten . . .

Was ist mir Hekuba! Es gab ja noch andre Beziehungen des gefährlichen Menschen!

Oder von der Prinzessin im Palast des Tiber . . .

Die thut mir herzlich leid; aber wer hieß sie sich so weit vergessen?

Oder von der hochgestellten Dame . . .

Die ihm das Leben rettete . . . ich bin ihr gut, aber sie alle treten in diesem Augenblick gegen ihn selbst zurück. Nicht wahr, Iwan Platonowitsch, wir wollen Gian Francesco kennen lernen, keinen andern. Unser Interesse ist rein litterarisch.

Aber, Durchlaucht, in Don Adone zeigt er sich in einem Spiegel, der geflissentlich weder sein eignes Bild, noch das jener Schönen in erkennbarer Weise zurückwirft.

Diskretion ist das oberste Gesetz eines Mannes von Ehre.

Er plaudert nicht das Mindeste aus der Schule.

Wie würde er denn sein eigner Leporello sein!

Er bemüht sich sogar, den Spröden zu spielen.

Was ihm sehr gut zu Gesicht stehn muß!

Er schildert sich als einen Hasenfuß.

Der Schalk! Ich sehe im Geiste sein verschmitztes Lächeln.

Er hat nie von Amors Köchern und Pfeilen auch nur reden hören.

Genug der Vorrede! Beginnen Sie, bester Signor Dottore; ich glaube Gian Francesco aus der Spiaggia della Marinella mit seiner Mandoline an einer Säule XIII lehnen zu sehen und höre das Gekicher der jungen verliebten Dirnen, die ihm lauschen.

So sei es denn gewagt, sagt der Sammler. Darauf läßt er sich von Nadeschda Lwowna zu einem bequemen Armsessel verhelfen, putzt die Gläser seiner goldnen Brille und räuspert sich.

Und als wir andern bereitwilligst der Einladung der Fürstin zur Teilnahme an dem ihr bevorstehenden Genuß entsprochen hatten, hob die absonderliche Historie wie folgt an – um von da an den Kreis des Hotel Rispoli während drei Abenden in angenehmer Spannung zu erhalten.

R. W.

 


 


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