Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)
Don Adone
Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)

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Sechstes Kapitel

Fiammetta wartete übrigens den Rest der Nacht nicht ab. Mit dem ersten Hahnenschrei war sie aus den Federn. Sie kleidete sich hurtig an und weckte Don Adone.

Wir haben gestern, sagte sie, die Kreide der Signora Spinacci schon näher kennen gelernt, als es für unsre Reisekasse wünschenswert war. Wie sie uns etwa auch noch die Schrecken dieser Nacht in Rechnung bringen wird, darauf sollten wir hiernach wohl kaum länger als nötig warten. Laßt uns dieses Haus so rasch wie möglich verlassen, Don Adone.

Du hast nicht Unrecht, versetzte Don Adone, geh in den Stall hinab und sorge, daß unsre Vierfüßler bereit stehn. In wenigen Minuten komme ich dir nach.

In der That hatte Fiammetta kaum die Tiere aus dem Stalle gezogen, als Don Adone ihr auch schon folgte. Bevor der Hahn zum zweitenmal gekräht hatte, saßen beide Reisenden im Sattel. Dann gings in leisem Schritt aus dem Orte hinaus.

73 Aber beim letzten Hause zog Fiammetta den Zügel ihres Esels kürzer und sagte:

Ich habe Euch nicht an die zehn Zecchinen erinnert, Don Adone; denn, die Wahrheit zu gestehn, seit Ihr sie mir gestern in Obhut gegeben habt, haben mir ihr Glanz und ihre feine Präge ausnehmend gut gefallen, daß ich mich nicht wieder von ihnen trennen mochte. Seid Ihr derselben Meinung, so behalten wir sie. Den Richter zu bestechen, das war an sich kein löbliches Beginnen. Aber zu verhindern, daß ein Mörder die ihm gebührende Strafe empfange, scheint mir nicht in der Ordnung. Ich hoffe also, wir brauchen uns von den niedlichen Goldstücken nicht zu trennen. Verschweigen mag ich Euch die Unterlassung aber freilich nicht.

Fiammetta, versetzte Don Adone, deine Rede setzt mich in Erstaunen. Ein weiser Mann, den die alten Griechen Diogenes nannten, sagte einst zu einem wohlerzognen Jüngling, der unanständige Worte redete: »Du holst aus elfenbeinerner Scheide ein bleiernes Schwert hervor.« So muß ich auch dir antworten. Wir sind durch das Verdienst des Paters heute nacht aus den Klauen des Bösen errettet worden, aber ich sehe, der Teufel des Geizes hat sich vor der Beschwörung zu verstecken gewußt, und du hast ihn nun unzweifelhaft im Leibe. Hole die zehn Zecchinen hervor; ich werde zurückreiten und sie der armen Alten bringen, denn ein andrer weiser Mann, dessen Name mir entfallen ist, hat gesagt: Man soll das Almosen, das man schon in der Hand hielt, nicht wieder in den Beutel stecken, dieweil es dem gehört, dem man es zudachte.

Fiammetta zog mit widerstrebendem Zögern aus 74 ihrem Busen das Tüchlein hervor, in das sie die zehn Zecchinen geknüpft hatte, und Don Adone ritt im Morgengrauen nach dem Gasthause zurück.

Hier machte er ohne große Mühe den Verschlag ausfindig, wo sich die Alte mit dem Kinde eben zum Aufbruch rüstete, und verehrte der dankbar Erstaunten das ihr Zugedachte.

Ehe er jedoch wieder im Sattel saß, war die Wirtin samt ihrem Gemahl die Treppe herabgekommen, und nun mußte sich Don Adone die Rechnung für das während der Nacht von ihm Zertrümmerte und sonst Beschädigte gefallen lassen, wobei die Wirtin es einzurichten wußte, daß der ganze Rest der schon gestern von ihr erspähten Silberbarschaft ihrem Gaste abgenommen wurde.

Mißmutig langte Don Adone wieder bei Fiammetta an, und da auch sie Mühe hatte, ihren eingebüßten kleinen Schatz zu verschmerzen, so blieb das Gespräch der Reisenden während des ganzen folgenden Rittes ziemlich einsilbig. Der Tag verstrich übrigens ohne Abenteuer; eingekehrt wurde nicht, und so blieben die beiden Reisenden ihre eignen Gesellschafter. Gegen abend wurde das Örtchen Vico Equense erreicht, dessen Lage ja keine minder anmutige ist als die Carotas.

Da die mitgenommnen reichlichen Vorräte noch für manchen Tag vorzuhalten versprachen, obschon die Reisenden auch heute keineswegs gefastet hatten, so konnte das Versiegen der Silberbarschaft nur wegen der Kosten der Nachtquartiere Verlegenheiten bereiten.

Wenn Ihr meinen Rat befolgen wollt, sagte Fiammetta, als kurz vor Vico Equense diese 75 Besorgnis aufs Tapet kam, so versuchen wir es heute einmal bei Leuten, die nicht wie die geschäftsmäßigen Wirte auf das Prellen und Plündern eingeübt sind.

Da hast du wieder einmal einen verständigen Gedanken gehabt, stimmte Don Adone bei; fern sei es zwar von mir, deine harten Worte, soweit unsre gestrigen Wirte in Betracht kommen, zu billigen, denn wenn sie einzig auf ihren Vorteil bedacht gewesen wären, so hätten sie mir den ihnen durch mich verursachten Schrecken füglich mit in Rechnung stellen können. Aber ich sehe allerdings nicht ein, wie wir in einem Gasthaus umsonst unterkommen wollen. In der Behausung irgend eines braven Bürgers dieses Orts können wir dagegen recht wohl die Gastlichkeit dadurch wett machen, daß wir ihn an unserm Abendmahl teilnehmen lassen.

Es wurde nun ein etwas zerlumpter Knabe, der mit Steinen nach Vögeln warf, und dem diese unstatthafte Beschäftigung zu verweisen Don Adone ohnehin für geboten fand, über ein zu solcher Unterkunft geeignetes Haus befragt.

Als der Knabe von dem Abendmahl reden hörte, versicherte er redselig, wenn Don Adone bei seinen Eltern einkehren wollte, da erwische derselbe zwei Bremsen mit einer Klatsche; brauche er, der Knabe, doch eben des Abendessens wegen die Vögel, die Don Adone verschont wissen wolle, und könne deren Fang doch dann freilich, wie der Signor es begehre, unterbleiben.

So sagend warf er die aufgesammelten Steine von sich und schob zwei blutende Rotkehlchen, die er schon erlegt hatte, in die Hosentasche.

Da seht Ihr einmal wieder, sprach Fiammetta, 76 als die beiden Reisenden dem Knaben folgten, wie nützlich der Besitz des Geldes ist. Gewiß giebt es nichts Anmutigeres als das unschuldige Lied eines Rotkehlchens. Aber wenn der Magen knurrt, hört die Menschlichkeit auf, und also geben die Eltern dieses Knaben zu, daß er einem so grausamen Gewerbe nachgeht. Besäßen wir nur Geld, so würden wir, indem wir der Armut dieser Leute abhülfen, allabendlich vielleicht einem Dutzend der lieblichen Tiere das Leben retten.

Don Adone erwiderte nichts, aber er nahm sich vor, wenigstens mit Vernunftgründen versuchen zu wollen, ob diesem mörderischen Treiben in der fremden Familie nicht ein Ende zu machen sei.

Das Haus, wohin der Knabe sie führte, lag übrigens keineswegs in dem Orte selbst, sondern ein gutes Stückchen über denselben hinaus. Es wird gleich kommen, war jedesmal die Antwort des Knaben, so oft Fiammetta ungeduldig wurde, und Don Adone mußte ihm einmal über das andre bedeuten, daß dies ein Ausdruck sei, dessen man sich bei unbeweglichen Gegenständen nur auf Kosten der Verständlichkeit bediene.

Endlich wurde das Haus sichtbar. Es sah im Abenddunkel nicht schlechter und nicht besser aus als die meisten kleinern Behausungen, die diese Seite des Golfs umgeben. Kein ragender Giebel, aber auf dem weißbekalkten Würfel, wie ihn der Maurer aus etlichen hundert Tuffsteinen zu einer Menschenwohnung zusammengefügt hat, ein flaches Dach, zweifellos mit der entzückendsten Aussicht. Keine Scheiben in den Fenstern, dafür aber grünes Rankenwerk in bunter Fülle, sodaß alles wie verhängt und vergittert 77 erscheint. Über der Hausthür, zu der ein halbes Dutzend ungleicher Peperinstufen hinaufführte, eine beliebige Anzahl morscher Holzstangen, getragen von vierkantigen Tuffsteinpfeilern, zugleich ein Schmuck und ein Zubehör von hoher Nützlichkeit, indem ja diese luftigen Pergolas als Spaliere von Trauben, Kürbissen und Melonen gute Dienste leisten und zugleich die wohlfeilste Art von Vorzimmern hergeben, wenn dieser Ausdruck auf Wohnungen angewandt werden kann, in denen jede Räumlichkeit so ziemlich ein und denselben Rang einnimmt. Zur Rechten oder zur Linken dann noch, womöglich aus antiken Säulenkapitälen und ähnlichen brüchigen Nachbarfunden zusammengestoppelt, ein Stall für eine Kuh, und vielleicht noch ein troglodytisches Unterkommen für Borstenvieh – so ungefähr waren schon zu Zeiten des Vizekönigs die meisten Häuser beschaffen, die den Golf umgaben, und so auch sah das Vaterhaus des kleinen Vogeljägers aus.

Fiammetta hatte ihre neugierigen Augen schon wieder weit offen. Alle Verdrießlichkeiten der Nacht und alle Verstimmungen des Tages waren vergessen. Ich möchte hundert Jahre so mit Euch durch die Welt ziehn, Don Adone, sagte sie; was für ein vergnügliches Ding, nie zu wissen, wo man sein Abendgebet sprechen, in welche Gesichter, in welche Stuben, in welche Betten und Wiegen man hineingucken, was man hören, riechen, sehen und schmecken wird! Ja, riecht nur, wie es hier prächtig duftet, Don Adone. Die Reben müssen schon in Blüte stehn. Bei uns haben sie noch volle vierzehn Tage Zeit dazu.

Der Knabe war vorausgesprungen.

Ein halbes Dutzend winziger Geschwister, zumeist 78 nur in zerrissenen Hemden oder auch nur in Röckchen oder Höschen, das kleinste nackt wie ein kleiner Liebesgott, kamen das eine hier, das andre dort zum Vorschein.

Don Adones Lippen verzogen sich zu einem befriedigten Lächeln. Ein weiser Mann, den man Zenon nannte, sagte er, hat ein Wort gesprochen, das ich hier, wo Einfachheit und Unschuld ihren Sitz zu haben scheinen, mit Vergnügen wiederhole, denn ich hoffe, wir werden es bewährt finden. Die Tugenden, so heißt das schöne Wort, begleiten einander; wer eine hat, hat alle.

Dann wünsche ich von Herzen, versetzte Fiammetta, daß Reinlichkeit eine der Tugenden sei, die man mit der Einfachheit in den Kauf bekommt. Ich für meinen Teil habe immer gefunden, daß ein derber Genueser Staubkamm und ein tüchtiges Stück venetianische Seife nirgends zu verachten sind.

Sei uns willkommen, edler Fremdling, klang jetzt von der Pergola herab eine wohltönende Greisenstimme, und zwei altersschrumpflige, aber schön geformte Hände begleiteten diese Worte mit ansprechend würdevoller Gebärde.

Dies ist mein Großvater, sagte der Knabe erläuternd, oben auf der Treppe und auf den Redenden weisend, der gleich darauf an der Hand des Knaben bis an den Rand der obersten Stufe vortrat. Nach Art der Blinden trug er das Haupt in einer halb gen Himmel gerichteten Haltung, wodurch die feierliche Wirkung seines langgewellten Silberbartes und seiner schlichten härenen Kleidung noch erhöht wurde.

Sei uns willkommen, wiederholte der Greis, und 79 wolle, wie du solches von meinem Enkel begehrt hast, dir für diese Nacht unser Dach als Obdach gefallen lassen.

Ehrwürdiger Vater, erwiderte Don Adone, von der Herzlichkeit dieser schlichten Ansprache ergriffen und bewegt, gestatte, daß meine Begleiterin an dem Steintische dort ein kleines Nachtmahl aus unserm Reisevorrat bereite, und laß uns solcherart deine Gastfreundschaft nach Kräften lohnen; denn unsre Barschaft hat schon heute früh ein Ende gehabt, und wir können morgen beim Abschied deinen lieben Kleinen keinerlei Spende hinterlassen.

Sie dürfen von einem Wandersmann nie auch nur das kleinste Angebinde annehmen, versetzte der Greis ablehnend, denn das Geld des Reisenden, so sagt das Sprichwort, schmilzt ihm ohnehin wie Schnee in der Hand. Aber auch Sättigung darfst du nicht anbieten; Feigen, Datteln, Mais sind rings in Fülle zur Hand, und der Brunnenquell drüben sprudelt Tag und Nacht.

Unter solchen Wechselreden, die Don Adone durch manchen Ausspruch heidnischer Weisheit höflich, und zwar mit Erfolg, widerlegte und würzte, waren die Reisenden aus den Sätteln gestiegen, und während der kleine Vogelsteller die Vierfüßler Don Pantaleone und Lazaro in einen Schuppen zog und sie dort mit frisch gepflücktem Citronenlaub und zusammengerauftem Gras versorgte, ordnete Fiammetta das Nachtmahl.

Sie war noch nicht damit fertig, als von der einen Wegseite mit der Futterbürde auf dem Haupt ein derbes, sonnengebräuntes junges Weib, aufgeschürzt bis übers Knie, herankam, während neben dem 80 Steintisch, wo sich die kalte Küche Fiammettas breit machte, eine an das Haus gelehnte Leiter zu zittern und zu ächzen begann, und ein Mann im knappsten Lazzaronikostüm, aber von marsartigem Gliederbau mit einem Korb voll Oliven auf der Hüfte die Leiter herabstieg. Er kam vom Dach des Hauses, und seine Miene ließ erraten, daß ihm nicht fremd sei, was unten vorging. Nicht minder nickte das Weib zu dem Bericht der Kinder, die ihr entgegengesprungen waren, mit zustimmender Freundlichkeit; doch wollte es Fiammetta scheinen, als ob die gefüllte Ledertasche, die an Don Adones Gürtel hing, die Aufmerksamkeit des Ehepaares mehr als nötig in Anspruch nahm.

Als der Greis den Schritt seiner Tochter nahen hörte, erhob er die Hände gerührt zum Himmel. Und wenn ich tausend Jahre alt werden sollte, rief er, nie werde ich ohne innige Bewegung dich von der Arbeit heimkommen hören, o du meine liebe Tochter! Verzeiht meine Säumnis, Signore! Dies hier ist meine Niccolosa, wandte er sich an Don Adone, indem er seine Hand nach ihr ausstreckte, und sie sowohl wie ihr braver, gottesfürchtiger, tugendliebender Gatte Nello – wo bist du, Nello? – sind der Trost meines Alters, mein Stab und meine Leuchte. Setzet euch zu dem fremden Herrn an den Tisch, fuhr er fort, auch ihr, meine kleinen Lieblinge, so viel euer sind; er will es einmal nicht anders, nicht wahr? Und das Mädchen mit der silberhellen Stimme, das ihn begleitet – wo bist du, vortreffliches Kind? –, würde wohl auch billig zürnen, wenn wir verschmähten, was es so schmackhaft Duftendes aufgetragen hat.

Als der Aufforderung allseitig entsprochen worden war, und nach einem halben Stündchen beherzten 81 Zugreifens – wobei der Großvater unter fleißigem Essen eine rührende Geschichte aus dem Leben jedes Familiengliedes zum besten gab – auch die Nachträge, die Fiammetta auf den wiederholten Befehl Don Adones herbeigeschafft hatte, zu Ende gingen, begann dieser wie folgt:

Der ehrwürdige Greis, dem ich gegenüber sitze, hat mir so vieles von den Einzelschicksalen dieses anmutigen Kreises erzählt, daß es wohl billig ist, ihm auch einiges über die Geschichte derer zu sagen, die hier so freundliche Aufnahme gefunden haben. – Er gab nun eine kurze Schilderung seines Vaters, der leider nach Gottes Ratschluß früh abgerufen worden war, dann seiner Mutter, deren gute Seiten allein ihm noch gegenwärtig waren, und fügte hinzu, wenn er nach einem erst vor so kurzer Zeit über ihn hereingebrochnen Trauerfall vielleicht gefaßter, ja heiterer scheine, als dies begreiflich sei, so danke er diese Gemütsstimmung einer Reflexion, die er im Laufe des heutigen Tags angestellt habe. In einer Stadt, die Athen hieß, fuhr er fort, bestand vor grauen Zeiten ein Gesetz, das mir immer einen gelinden Schauer bereitet hat, und an dessen Wiederaufleben ich nie ohne Bangigkeit denken mag. Es verfügte: Wer sein väterliches Gut verzettelt und verzehrt, der ist keiner Bestattung im Vaterlande würdig zu erachten. Ob ein solcher Unglücklicher nach seinem Tode einfach über die Grenze geschafft zu werden pflegte, wie man wohl bei Nacht ein krepiertes Haustier über den Zaun des Nachbars wirft, darüber habe ich nichts ermitteln können. Vielleicht gab es für solche Leichen Abgründe, wie der vom Taygetos, in den hinab die Spartaner jedes schwächliche Kind stürzten. Auch das Spoliarum 82 schrecklichen Andenkens, wenn es jenseits der Grenze lag, würde dafür getaugt haben, jener grauenhafte Ort, wohin die im römischen Zirkus Verendeten geschleift wurden, und wo man auch den tödlich Verwundeten den Rest gab. Doch das sind nur Mutmaßungen; wohin Athen die Verschwender schaffte, ist nicht festzustellen, kümmert uns auch nicht mehr. Ich lenke auf die Gründe zurück, warum mich die Erinnerung an dieses düstere Gesetz in diesem Augenblick weniger beklommen macht, als dies sonst der Fall zu sein pflegte. Diese Reise hat nämlich den einzigen Zweck, ihr lieben Freunde, mein väterliches Gut unangerührt, oder doch so viel wie möglich unangerührt, in die Hände einer würdigen Verwandten zu überliefern, sodaß, sollte dieses Gesetz jemals bei uns eingeführt werden, ich also nie der leichtsinnigen Vergeudung meines väterlichen Erbes angeklagt werden kann. Diese Reflexion stimmt mich fast fröhlich!

Und ist dieses Gut belangreich? fragte der Greis teilnehmend.

Das kommt auf den Maßstab an, dessen sich der Abschätzende bedient, erwiderte Don Adone, indem er seine Tasche, wie um ihres Inhalts Bedeutung als ihm jetzt völlig gleichgiltig zu bezeichnen, auf die Seite schob, sodaß sie fast hinter ihm zu hängen kam. Er gab dann Auskunft über sein mütterliches Erbteil – das Haus und die Masseria – indem er bei der dennoch fraglichen Unzulänglichkeit seiner künftigen Einkünfte zu verstehn gab, er sei glücklicherweise aus eignem Antrieb überhaupt entschlossen, sich völlig den Wissenschaften zu ergeben und irdischer Schätze nimmer zu achten. Und dabei erinnere ich 83 mich gern, setzte er hinzu, der stolzen Worte des Diogenes, die dieser große Denker zu dem Krieger sprach, in dessen Gefangenschaft er gefallen war, und der ihn nun als Sklaven verkaufen wollte. Immerhin! sagte Diogenes; verkünde, ob sich jemand einen Herrn kaufen will. So stolz, fuhr Don Adone fort, vermag aber nur der Bedürfnislose zu sprechen, und deshalb gedenke ich mich aller Bedürfnisse zu entäußern. Eure Bekanntschaft nun, ehrwürdiger Vater, hat mich in diesen Vorsätzen nur noch mehr bestärkt. Nehmt meine Äußerungen darum als einen Beweis des Vertrauens an, das Ihr mir einflößt; denn Räubern und Wirten gegenüber würde ich mirs nicht zum Verbrechen anrechnen, von dem Zwecke meiner Reise zu schweigen.

Hierauf erhob sich Don Adone und ließ sich in das Haus führen, wo er unter den fast völlig leeren Räumen, nachdem ihm die Wahl freigestellt worden war, die beiden bescheidensten für sich und seine Begleiterin aussuchte.

Da die Einfachheit der ganzen Einrichtung keine Thüren erlaubte, und Don Adone doch aus anerzogner Gewohnheit ungern auf irgendwelche Sonderung der Schlafräume ganz verzichtet hätte, so schaffte Niccolosa Schilfmatten herbei, wie sie die Sonnenseite der Pergola schützten, und verhängte hiermit zuerst Fiammettas Thür. Dann, da es schon stark dunkelte, holte sie eine irdene Öllampe herbei, zündete sie an und gab sie Don Adone zum Leuchten in die Hand, während sie auch die Thür zu verhängen begann, die aus Don Adones Schlafgemach in ein drittes Zimmer führte. Dort, sagte sie, jenseits der Matte deutend, an der sie zwirnte, pflege ich sonst den Kindern ihr 84 Strohlager zu bereiten, doch habe ich sie für heute nacht in der kühlen und angenehmen Räumlichkeit untergebracht, wo wir unsre Oliven pressen. Und auf Don Adones Einwand, er wolle nicht die Ordnung des Hauses stören, antwortete sie mit lächelnder Miene, dergleichen Umquartierungen seien ja für Kinder fröhlichere Ereignisse als die größten Festlichkeiten. Wir andern aber würden die Pflichten der Gastlichkeit sehr schlecht zu erfüllen glauben, wenn wir nicht alles, was Eure Nachtruhe stören kann, aus dem Wege räumten, weshalb sich auch der Vater in ein anstoßendes Gemach umquartiert hat, sodaß Ihr auf jener Seite nur Eure hübsche kleine Begleiterin, auf dieser Seite aber nur meinen guten Nello und mich zu Nachbarn habt.

Während sie so redete, erlosch die Lampe, da ihr Ölinhalt nur noch in einer Neige bestanden hatte. Don Adone erbot sich, den Ölkrug zu holen, Niccolosa bat ihn aber, da ihr Geschäft gleich beendigt sei, es nicht zu thun, indem ihr guter Nello sonst auf ihr Ausbleiben aufmerksam werden möchte, wo er dann in eine seiner eifersüchtigen Launen verfallen könnte. Denn, setzte sie hinzu, da er im vorigen Jahre durch einen Unfall auf dem Wasser sein Gehör völlig eingebüßt hat, so ist er in der traurigen Lage, nur am Tage wissen zu können, was um ihn her vorgeht, versteht Ihr mich, Eccellenza? Die Folge aber ist, daß er nach Art der tauben Menschen sich bei jedem Anlaß mißtrauische Gedanken macht, wie er wahrscheinlich jetzt schon sehr bedenklich findet, daß ich hier mit einem so schönen jungen Herrn allein bin.

Bei den letzten Worten, die sie in verschämtem Tone vorbrachte, brach sie plötzlich ab und verschwand 85 auf das allerhurtigste, worauf sich Don Adone nach dem noch leidlich hellen Fenster wandte, vor dem er nun nicht ohne Bestürzung eine Menschengestalt gewahrte, ohne allen Zweifel keinen andern als Nello selbst, den das Erlöschen des Lichts näher herbeigelockt haben mochte.

Im nächsten Augenblick erschien auch in der That Niccolosa draußen an seiner Seite, und beide gingen nun um die Ecke des Hauses.

Don Adone kämpfte lange vergebens mit der Verstimmung, die die Furcht vor Nellos Eifersucht, das Bedauern über dessen körperliches Gebrechen und die Teilnahme für die treuherzige Niccolosa in ihm wachgerufen hatten.

Endlich versuchte er Fiammetta zu wecken, da er ihr noch nicht für die schmackhafte Art, wie auch die heute verzehrten Reste des Leichenmahls bereitet worden waren, seine Anerkennung ausgesprochen hatte, und da die möglichen Ausbrüche von Nellos Eifersucht ihm nicht minder geeignet schienen, beizeiten erwogen zu werden.

Fiammetta war jedoch nicht völlig wieder ins Wachen zu bringen. Er sah sich deshalb genötigt, seinen Betrachtungen über die im ganzen so exemplarische Haltung dieser doch von Blindheit, Taubheit und Dürftigkeit in ihrem Glück beeinträchtigten Leute allein nachzuhängen und konnte nicht umhin, ihren Leiden einige Seufzer herzlichen Mitgefühls zu weihen.

Endlich erinnerte er sich aber, wie Apollodorus die Betrübnis eine vernunftwidrige Zusammenziehung der Seele genannt hatte, und verbannte deshalb mit einer letzten mannhaften Anstrengung alle trüben 86 Gedanken aus seinem Herzen, sodaß er mit einer dankbaren Erinnerung an die erfreulichsten der Eindrücke des heutigen Abends schlafen ging.

Er mochte noch nicht lange geschlafen haben, als er von den lauten Hilferufen einer Weiberstimme geweckt wurde. Erschrocken und mit bebenden Knieen richtete er sich aus seinem Sitz in die Höhe. Alles war dunkel. Jetzt hob das Schreien von neuem an. Eine rauhe Männerstimme zeterte drein. Stockschläge pfiffen durch die Luft und droschen hörbar nieder.

Don Adone lauschte mit klappernden Zähnen. Fiammetta! wollte er rufen, aber ihm versagte die Stimme.

Offenbar kam das Getöse aus dem Gemach, wo Nello und Niccolosa die Nacht hatten verbringen wollen; das nun beginnende Rennen, Zerren, Flüchten und Verfolgen ließ ihm bald keinen Zweifel darüber, daß sich der Zorn des Wüterichs wie ein überkochender Topf auch über seine Umgebung ergießen werde.

Diese Betrachtung veranlaßte Don Adone, schleunigst aufzuspringen, um die Seitentaue der Schilfmatte fester zu binden.

Er hatte sie aber, im Dunkeln seinen Weg suchend, noch nicht erreicht, als sie sich ihm plötzlich entgegenbauschte. Im selben Augenblick stieß ihn etwas unsanft gegen die Brust, und nun erkannte er an schluchzenden, halb erstickten Tönen, daß Niccolosa zu ihm herüber geflohen war. Rettet mich, bester Signore! hörte er sie rufen und fühlte zugleich die vor ihm zu Boden Sinkende seine Kniee umschlingen, um Euretwillen muß ich diese entsetzlichen Schläge erdulden; 87 gebts nicht zu, Signore, windet ihm den Stock aus den Händen, beschützet mich! – Sie überströmte den Geängstigten mit einer Flut von Wehklagen, Beschwörungen und Schmerzensrufen, daß ihm fast die Besinnung schwinden wollte, während nebenan der im Dunkeln herumtappende Nello mit seinem Stocke so bedrohlich um sich fuchtelte, daß sich Don Adones Rücken unwillkürlich im Vorgefühl der auch ihm bevorstehenden Prügel krümmte.

Dabei zog sie, wie er sie wenigstens sagen hörte, ihre große Nadel aus dem Haar und vermaß sich, wenn Don Adone ihr nicht helfe, sich diese subito ins Herz zu stoßen.

Thut das ja nicht! wollte Don Adone bitten, aber weder zum Reden noch zu dem ihm doch zugemuteten Entwaffnen des nebenan rumorenden Haustyrannen ließ sie ihm vor lauter Angst und Unruhe hinreichende Bewegungsfreiheit. Wenn Ihr wüßtet, Donna Niccolosa, konnte er endlich hervorstoßen, wie sehr ich Euch beklage. Aber was soll ich Unbewaffneter gegen einen Wütenden ausrichten? Wird er mich nicht geradezu totschlagen wollen, wenn er Euch, die er doch als Gatte liebt, schon so arg behandelt? Ich höre seine Schritte sich entfernen. Ohne Zweifel sucht er Euch auf der entgegengesetzten Seite. Erlaubt, daß ich den günstigen Augenblick benutze, mich, den doch wahrlich unschuldigen Gegenstand seines Verdrusses, samt meiner Reisegenossin im Schutze der Nacht unbeachtet zu entfernen.

O misericordia! wehklagte Niccolosa, während sie ihn immer noch nicht lassen wollte, wenn Ihr ihm nur wenigstens etwas von Euern Fäusten zu kosten geben möchtet. Er verdients. Glaubt mirs, Signore!

88 Er verdients? wiederholte Don Adone vorwurfsvoll, indem er sich einige Schritte von der verhängnisvollen Matte zu entfernen suchte, ohne übrigens von der Schluchzenden frei zu kommen; das ist nicht schön von Euch gesprochen, Signora Niccolosa, und nur Euer kläglicher Zustand kann diese herbe Anklage einigermaßen rechtfertigen. Es ist aber auch nicht verständig gesprochen. Oder trägt man etwa, wo es schon brennt, noch Pech und Schwefel hinzu? Würde ich nicht der Schleifstein sein, auf dem sich die Schneide seines Ingrimms erst recht tödlich wetzte und schärfte? Würdet Ihr, armes Weib, nicht jeden blauen Fleck, den ich ihm beibrächte, büßen müssen? Nein, nicht nach Rache dürsten soll der Weise. Beachtets nicht, wenn ich und meine Begleiterin Euer gastliches Haus möglichst leise verlassen; und wenn Euers guten Mannes heftiges Blut Euch dann auch ferner noch mit Argwohn zu schaffen machen sollte, so tröstet Euch womöglich mit dem Bewußtsein, mir, dem Fremden, indem Ihr allen Racheempfindungen entsagt, die höchste Achtung abgenötigt zu haben.

So sprechend führte er die endlich von ihrem Ungestüm Ablassende mit leisem Zwange wieder bis an die Matte, hinter der inzwischen alles ruhig geworden war, sodaß Niccolosa selbst für geboten erachtete, sich mit einem felicissima notte zurückzuziehn. Dann, nach der andern Seite seines Gemachs sich behutsam auf den Zehen hinüberbegebend, weckte er die euch diesesmal noch fest im Schlafe liegende Fiammetta, hieß sie sich hurtig zur Reise rüsten und schob sich, nicht ohne einige Mühe, durch das Fenster ins Freie hinaus.

Wenig Augenblicke darauf war Fiammetta an 89 seiner Seite. Sie wollte wissen, was ihn so plötzlich forttreibe, aber er bat sie, kein Wort zu reden und nur so rasch wie möglich mit ihm davonzueilen.

Und solcherart gelangten sie wiederum auf die nächtlich dunkle Landstraße hinaus. 90

 

 


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