Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)
Don Adone
Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)

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Achtzehntes Kapitel

Aber Susina hatte kein unwahres Wort gesagt. Die mitten in der Nacht angekleidet auf dem erhöhten Rande des mondbeschienenen flachen Daches sitzende Frau – das erste lebende Wesen, dessen die Ankömmlinge gewahr wurden – war in der That ganz so stumpf und interesselos, wie Susina sie geschildert hatte. Sie mochte nach dem Meere hinausstarren. Die Stirn auf die Hand gestützt, das bleiche, strenge Gesicht von aufgelösten schwarzen Haaren umhangen, glich sie einer unheilkündenden Sibylle.

Don Adone wurde von einem Schauder geschüttelt.

Fiammettas Zähne begannen zu klappern.

Kehren wir um! flüsterte Don Adone.

Die kleine Bucklige hörte es und sagte bittend: Thut es nicht, gute Signora. Vigilia hat Euch nicht einmal bemerkt. Sie ist völlig ohne Zusammenhang mit ihrer Umgebung. Ihr werdet sehen, sie bleibt die ganze Nacht auf dem Dache sitzen. Hernach pflegt sie unruhig zu werden, aber dann bin ich schon wieder zur Hand. Es soll Euch kein Leids geschehn.

243 Don Adone hatte seine Worte schon bereut, denn wo sein Mitgefühl lebendig angeregt war, pflegten seine Furchtanwandlungen ihn nur zeitweilig zu beherrschen.

Wir bleiben, sagte er mit starker Betonung; es war nichts als eine mir angeborne Scheu vor Menschen, die nicht bei Verstande sind. Wo schlafen die Kinder?

Susina führte ihre Gäste ein paar schlechtgefugte Stufen treppan und öffnete dann einen größern, vom Monde schwach erhellten Raum, der stark nach Senfstroh und Raupenunrat roch, und den ein leises, knisterndes Geräusch erfüllte, das von vielen Tausenden fressender Raupen herrührte. Rasch schüttete sie neues Laub auf die rings an den Wänden befestigten Holzgitter, indem sie hie und da die abgeweideten Blätter beseitigte und solchen Raupen, die schon, um sich einzuspinnen, nach dem buschartig in geringer Höhe darüber angebrachten Senfstroh hinaufstrebten, den Rückweg erschwerte oder abschnitt.

Kommt, kommt, sagte sie dann, jeden Augenblick nützend und während des Gehns ein gut Teil ihres Geschäfts erledigend, wir sind gleich bei den Kindern. Der kleine Umweg kommt den Raupen zu statten.

Sie faltete einen löcherigen Wollenvorhang zusammen und wies Don Adone in ein anstoßendes, großes, vom Mondlicht teilweise heller beleuchtetes Gemach, das ein einziges halb verhängtes, scheibenloses Fenster hatte. Für gewöhnlich diente dieser Raum jedenfalls als Küche, und ein niedriger Kochherd mit schwarz und rußig darüber emporragendem Schornstein verriet durch einen auf spärlichen Kohlenresten dampfenden Kupferkessel, daß auch jetzt noch 244 seine Bestimmung die nämliche sei. Zugleich lagen aber hie und da Hemdchen und Kleider auf dem Estrich umher, und während Susina diese mit entschuldigenden Worten auflas und auf allerhand schadhaften Bänken und Stühlen unterbrachte, meldeten sich in einem Winkel des Zimmers Kinderstimmchen.

Wie die jungen Vögelchen aus einem Nest die Hälse hervorrecken, so erhob sich denn auch in dem Winkel jetzt ein Köpfchen, jetzt ein Händchen, jetzt ein Beinchen, und Susina hatte sofort wieder alle Hände voll zu thun, um die kleine nackte Brut zuzudecken, zu welchem Zwecke eine einzige große graue Filzdecke im Dienst war.

Dabei flüsterte sie: Schlaft, Kinderchen, schlaft; und beteuerte, zu Don Adone gewandt, die Kinder seien die Artigkeit selbst, und die gute Signora werde von ihnen keinerlei Ungelegenheiten haben, worauf sie aber dennoch für nötig hielt, die Signora in das Geheimnis des dampfenden Kessels einzuweihn, der nämlich ganz, ganz dünnen Maisbrei und Süßholzaufguß enthalte – ein Blechlöffel liege daneben, und so wie eins nicht ruhig sein wolle, möge die Signora ihm nur einen halben Löffel in den Schreihals schieben, gleich habe sie wieder Frieden.

So redend lupfte und schüttelte die kleine Bucklige unweit des Vogelnestes ihr eignes Lager auf, einen Haufen sauberer Steppdecken, der – vielleicht von Cola Bisis weiten, weiten Reisen herstammend – einen gewissen strengen Teer-, Werg- und Kajütenduft ausströmte, und bat die Signora, sichs darauf bequem zu machen; sie selbst werde doch vor dem Morgen nicht Zeit finden, sich niederzulegen.

Don Adone und Fiammetta hatten kaum etwas 245 Besseres erwarten können, doch sah Fiammetta voraus, ihr Herr werde mit den Kindern keinesfalls fertig werden, und sie bat darum, die liebe Mama möge sichs anderswo bequem machen und ihrem Sohne das ihr zugemutete Geschäft überlassen. O gute Signora, fiel hier aber Susina, die immer alles hörte, wieder ein, nicht wahr, Ihr überlaßts ihm nicht? Eine Mutter muß mit schlimmern Dingen fertig werden als mit dem, was hier zu thun ist. Kommt mit, junger Herr! Mir brennts auf den Fingern, bis ich wieder fort bin und frische Blätter pflücke. Hier nebenan hat der arme Cola geschlafen, so oft er nicht auf der See war. Gott hab ihn selig.

Und ehe Fiammetta noch Einspruch erheben konnte, war ihr im Nebengemach ihr Lager angewiesen, worauf sich Susina dann lautlos aus dem Staube machte.

Im Vogelnest wurde es gleich darauf still, vielleicht weil sich die Kinder vor den beiden fremden Hausgästen fürchteten, und Don Adone blieb einige Zeit lang in Gedanken stehn, während Fiammetta zwischen ihrem Lager und dem Don Adones hin und her gehend ihrem Herrn zuredete, er möge, nun Susina fort sei, sich Colas Lager aneignen und solcher Art endlich einmal zur Ruhe kommen.

Wovon sprachst du? fragte er zuletzt Fiammetta.

Sie wiederholte ihre Bitten.

Nicht doch, sagte er, unter keinen Umständen.

Als ob Ihr mit Kindern umzuspringen wüßtet!

Wir wollen es abwarten. Du hast es eingerührt, heißts im Terenz, du mußt es auch ausessen. So lange es mir nicht gelingt, diese Weiberkleider loszuwerden, so lange bin ich deine Mutter und kann 246 die daraus hervorgehenden Folgerungen der Leute nicht abweisen.

Und wer hindert uns hier, den Kleidertausch vorzunehmen, rief Fiammetta, bereit, zu solchem Zweck ins Nebengemach zu schlüpfen.

Alles hindert uns daran, gab Don Adone zurück. Oder sollen wir dieses arme überbürdete Frauenzimmer auch noch mit dem Geheimnis beladen, das der Anfang zu einer so entsetzlichen inquisitorischen Untersuchung sein kann? Bei der ohnehin schon übergroßen Last ihres Unglücks fehlte es noch gerade, daß wir sie zur Mitwisserin und als solche in den Augen der Inquisitoren zur Mitschuldigen machten! Das sei fern von mir.

Nun denn, sagte Fiammetta, die ihrer Männerkleider eigentlich noch nicht überdrüssig war, so weckt mich wenigstens, wenn es dort in der Ecke wieder lebendig werden sollte. Ich habe leider, wie Ihr wißt, den Schlaf eines Murmeltiers. Rüttelt mich unsanft am Arme, wenn ich auf Euer Rufen nicht zur Hand sein sollte. Ich bleibe gestiefelt und gespornt. Man kann nicht wissen, was es giebt.

Don Adone blickte frostschaudernd nach dem Schornstein, als sehe er schon die arme Vigilia durch ihn vom Dache ins Zimmer herabfahren.

Ich hätte nie geglaubt, sagte er, daß ich in einer so bedrohten Lage, wie der gegenwärtigen, würde Luft schöpfen können. Hinter uns Colantonio, vielleicht Ruffo, vielleicht gar die schöne Capriccia . . .

Aber, bester Herr, fiel ihm Fiammetta ins Wort, Ihr seid ja selbst schuld, wenn die Kinder wieder unruhig werden. Legt Euch schlafen und vertraut auf den Schutz der Mutter unsers Heilands!

247 Ich werde nicht schlafen, sagte Don Adone, aber ich werde, was der weise Xenokrates bis zu seinem Tode im zweiundachtzigsten Jahre täglich eine Stunde lang that, den Rest der Nacht dem Schweigen und der Beschaulichkeit widmen. Wieviel Stoff zu ernstem Nachdenken giebt allein schon das Schicksal der armen Mutter, die wir auf dem Dache nach dem Meere hinausschauen sahen, und vor der mich nicht zu fürchten ich jetzt wirklich versuchen will! Dann das Los der vier hilflosen Waisen dort im Winkel! Dann das aufopfernde kleine, verwachsene Wesen selbst, die rührend geschäftige Susina! Wahrlich, man schäme sich, angesichts solcher Heimsuchungen noch an sich selbst zu denken!

Fiammetta warf die Lippe auf. Mir scheint, Don Adone, sagte sie, nach Capriccia kommt nun Susina an die Reihe. Setzt der nur auch noch was in den Kopf. Ihr seid auf dem besten Wege! – Und sie zog sich schmollend in ihr Gemach zurück.

Aber Don Adone hatte seiner Natur zu viel zugetraut. Er war kaum allein und wollte sich eben beschaulichen Rückblicken auf seine so mannigfach verwunderlichen Reiseerlebnisse hingeben, als seine Augen schon zufielen, und er sich nach vergeblichen Widerstandsversuchen auf Susinens Lager zurückziehn mußte.

Im Vogelnest hatte währenddessen die älteste der Geschwister, die sechsjährige Mariuccia, über die große bald hoch bald niedrig sprechende Signora ihre eignen, besorglichen Gedanken gehabt. Sie war ein reizbares Kind und hatte besonders bei Mondenschein von ängstigenden Träumen zu leiden. Ungleich ihren Geschwistern, die schon unter Susinas freundlichem 248 Zuspruch wieder eingeschlafen waren, hatte sie darum ihre Augen nicht zu schließen vermocht. Nach und nach steigerte sich ihre Angst zu einer immer unerträglichern Höhe. Sie hörte, wie sich die große fremde Signora auf Susinas Lager hin und her wandte, bildete sich bei jeder neuen Bewegung ein, die Fremde komme näher und näher heran, vermischte diese bängliche Vorstellung mit allerlei Warnungen, die Tantchen Susina ihr hinsichtlich Taranteln, Vampiren und sonstigen Untieren eingeprägt hatte, und hielt es endlich nicht länger unter der Filzdecke aus. Mit einem Sprunge war sie auf den Füßen und suchte, um ganz davonlaufen zu können, am Boden nach ihrem Hemdchen. Da sies nicht gleich fand, kam das Weinen über sie, und dann, in dem Maße, wie dieses lauter wurde, die Angst, die fremde Signora werde erwachen und nach ihr schnappen; und so rannte sie endlich schreiend, als stecke sie am Bratspieß, aus dem Gemache hinaus.

Auch die drei Geschwister begannen nun unter ihrer Decke die Stimmchen zu erheben, und da sie Mariuccia vermißten, kroch eins nach dem andern unter der Decke hervor, und als Don Adone endlich die Augen öffnete, sah er einen schreienden Knäuel von nackten kleinen Liebesgöttern im Mondenschimmer auf dem Estrich herumkriechen und glaubte schier, eine Gruppe aus dem großen Trauerspiel des bethlehemitischen Kindermordes zu sehen.

Er hatte jedoch nicht fest genug geschlafen, als daß er nicht im nächsten Augenblick der ihm jetzt obliegenden Pflichten hätte eingedenk sein sollen. So rasch es ihm möglich war, erhob er sich von seinem Lager und eilte nach dem dampfenden Kessel am 249 Feuerherd hinüber. Während er aber den Deckel des Kessels abhob, den wässerigen Maisbrei mit dem Blechlöffel umrührte, seine Hitze prüfte und dann, indem er aus vollen Backen blies, mit dem gefüllten dampfenden Löffel zur Fütterung der kleinen Schreihälse heranrückte, hatten diese, soweit sie schon Namen aussprechen konnten, bald nach Mariuccia, bald nach Tantchen Susina gejammert und geschrieen, und als nun Don Adone mit dem Löffel vor ihnen niederhockte, stieg ihr Gezeter und Gequiekse zu einer so ohrenzerreißenden Höhe, daß ihm fast das Trommelfell springen wollte.

In seiner Ratlosigkeit versuchte Don Adone den Knäuel zu entwirren und griff mit beschwichtigenden Zureden bald nach einem Füßchen, bald nach einem Nacken, bald nach einem Ärmchen. Der so von ihm gepackte Cupido mochte aber erst recht des Todes zu sein glauben, denn sein Wehgeschrei erreichte eine so krampfhafte Höhe, daß Don Adone allemal nichts eiligeres zu thun hatte, als seinen Fang wieder los zu lassen.

Eine gute Weile hatte dieses entsetzliche Konzert gedauert, und Don Adone begann ernstlich die Möglichkeit zu erwägen, daß ein durch das Geschrei angelockter Nachtwandrer hier eindringen und ihn dann als auf frischer That ertappten Menschenfresser festnehmen könne – da stand plötzlich die Irrsinnige mit stieren Augen und hocherhobnen Brauen im Zimmer.

In die Falten ihres langen grauen Kleides hatte sich im selben Augenblick die kleine Mariuccia eingenistet, und das verweinte Gesichtchen des Kindes guckte aus den Falten des Kleides heraus wie ein Hühnchen aus den Federn einer Glucke.

250 Don Adone, vor Schreck geradezu gelähmt, hatte weder Kraft genug, sich zu erheben noch zu reden. Er konnte nur noch auf den jetzt verstummten Knäuel hindeuten und mit dem Löffel zu verstehn geben, welche guten Absichten ihn in diese verfängliche Lage gebracht hatten.

Vigilia stand eine Weile unbeweglich, und ihr leerer Blick zeigte deutlich, daß der ganze Vorgang sie in keiner Weise beschäftige. Dann schritt sie festen Tritts, indem sie Mariuccia von sich stieß, auf das Nebengemach zu, blieb mit gesenktem Haupte auf der Schwelle stehn und lehnte sich endlich, indem sie leise trällernd vor sich hinstarrte, mit dem Rücken gegen den einen Thürpfosten, ohne dem Lager ihres Gatten und dem Schläfer darauf irgend welche Beachtung zu schenken.

In dieser Stellung verblieb sie, und zwar auch dann, als Fiammetta, von dem Schreien der Kinder schon längst halb geweckt und sich jetzt aus ihren Träumen völlig loswindend, die Beine vorsichtig auf dem Lager zusammenzog und sich dann, seitwärts entschlüpfend, in das anstoßende Gemach flüchtete.

Hier saß Don Adone mit dem Blechlöffel in der Hand noch auf dem Estrich. Still, flüsterte er, indem er bei Fiammettas Anblick einen vergeblichen Versuch machte, sich aufzurichten; ganz still! Ich bin ohnehin mehr tot als lebendig!

Mariuccia hatte inzwischen ihre kleinen Geschwister vom Boden aufstehn lassen, und der ganze kleine Trupp, wie gescheuchte Lämmchen aneinandergepreßt, hielt sich in der Nähe des Ausgangs und wußte nicht, ob von der fremden Signora oder von der Mutter 251 oder von draußen, wo es kaum erst bläßlich zu tagen begann, die nächste Gefahr drohe.

Fiammetta hielt es für nötig, vor allem nur erst die Kinder in Sicherheit zu bringen. Sie raffte deshalb die Filzdecke vom Boden auf, faßte Mariuccia ohne weiteres bei der Hand, bedeutete sie, Tantchen Susina müsse gleich wieder mit Nebbia einrücken, wickelte alle vier kleinen Amorinen in die weite Decke und führte sie dann, ohne Widerstand zu finden, in einen Winkel des großen Raums, wo die Seidenraupen schon wieder auf frisches Futter harrten. Dort richtete Fiammetta den mittlerweile ganz folgsam gewordnen Kleinen auf allerlei Matten und weichem Gerümpel ein neues Lager ein und begab sich dann wieder zu Don Adone hinüber.

Er hatte sich endlich erhoben.

Kommt lieber ins Freie, bester Herr, sagte sie leise. Ihr habt, wie ich sehe, Eure Aufgabe, soweit es nötig war, erfüllt. Die kleine Sippe ist still und artig, und die Stelle, wohin ich sie umgebettet habe, liegt so versteckt hinter Kisten und Kasten, daß die irrsinnige Mutter sie dort nicht suchen wird. Am ratsamsten wäre es nun, wir sattelten und ritten. Ist Nebbia erst wieder in der Nähe, da macht uns Lazaro vielleicht nochmals Schwierigkeiten, und auf alle Fälle haben wir hier nichts mehr zu suchen. Meint Ihr aber, das genossene Nachtlager mit Eurer Kinderwartung und mit dem Schreck, den uns die Signora da drüben in die Glieder gejagt hat, noch nicht genügend bezahlt zu haben, nun so will ich bis zur Rückkehr der Buckligen bei den Kindern bleiben; Euch möchte ich aber einstweilen nach einer vorher von mir bemerkten Stelle führen, wo ein großer 252 Haufen Orangenblätter liegt, ein so großer, daß ein halbes Regiment Hakenschützen darin und darunter übernachten könnte. Dort hätten wir eigentlich gleich einsprechen sollen, denn ich sehe voraus, wir kommen von dieser Herberge nicht fort, ohne daß Ihr in die Zecchinentasche greifen werdet; und nachdem wir nicht einmal zum Zwecke unsrer Sättigung hineingreifen dürfen, müßt Ihr mirs schon verzeihn, wenn ich Eure Mildherzigkeit nicht gemißbraucht sehen möchte.

Fiammetta hatte die letzten Worte noch nicht zu Ende gesprochen, als Tritte in der Seidenzüchterei die Rückkehr Susinas verrieten. Gleich darauf trat die kleine Bucklige herein.

Wie ist es gegangen? fragte sie und legte dann, da sie die im Nebengemach gleichgiltig vor sich hin singende Vigilia gewahrte, kopfschüttelnd den Finger auf den Mund – ach, es steht um nichts besser, sagte sie leise, laßt mich mit ihr reden.

Stören wir nicht, sagte Don Adone zu Fiammetta und zog sie mit sich hinaus, nicht ohne sich wieder und wieder ängstlich umzuschauen, bis sie im Freien waren.

Hier, angesichts des sich rötenden Morgenhimmels, begann Fiammetta von neuem auf nunmehrigen Aufbruch zu dringen. Man war ja in der Casa Bisi immer noch nicht gar weit von der Villa Tiburzia entfernt, und wenn die schöne Capriccia durch die Flucht Don Adones nicht von ihren Plänen auf seine Hand kuriert sein sollte, so mochte jedes längere Verweilen die Gefahr nur vergrößern.

Don Adone sträubte sich eine gute Weile, obschon ihn die Furcht vor der armen Irren nicht 253 losließ; aber endlich gab er unter der Bedingung nach, daß man zum wenigsten irgend eine Wohlthat ausfindig mache, durch die Susinas Lage erleichtert werde.

Nehmt eins der Kinder an, sagte Fiammetta, da sind wir zu Hause gleich wieder unsrer drei! Ich wette, Ihr gebt einen trefflichen Hausvater ab.

Man soll Geschwister nicht auseinander reißen, sagte Don Adone ablehnend; und dann – du weißt ja, daß ich mich in ein Kloster zurückziehn will. Was hast du für thörichte Gedanken!

Wenn das Kloster nicht wäre, versetzte Fiammetta, so wollte ich Euch über das Auseinanderreißen der Geschwister schon weghelfen. Wir nähmen meinetwegen alle vier mit und ließen Salerno Salerno sein.

Du weißt nicht, was du redest, zürnte Don Adone. Er versicherte, durch längeres Nachdenken schon noch etwas ausfindig machen zu wollen, und Fiammetta mußte sich bescheiden, ihn bis zum völligen Tagwerden seinen Gedanken zu überlassen.

Mittlerweile hatte die unermüdliche Susina durch sanftes Zureden ihre Schwägerin, wie gewöhnlich gegen Morgen, soweit aus ihrer Starrheit erlöst, daß Vigilia sich zum Schlafen niederlegte, eine freilich nur selten von Erfolg begleitete Nachgiebigkeit, da selbst bei scheinbarem Einschlummern eine wirkliche Erquickung Vigilias nicht einzutreten pflegte. Darauf war Susinas Sorge den blökenden und grunzenden Haustieren zugewandt gewesen, die sich in ihren Ansprüchen nicht minder unabweisbar verhielten wie die Seidenraupen. Endlich hatte sie die Kinder gewaschen und gekämmt, wie auch notdürftig frisch gekleidet, 254 und nachdem sie dann sich selbst, nicht ohne einen Anflug von Eitelkeit, soweit herausgeputzt hatte, daß sie sich den Gästen vor deren Abmarsch noch zeigen und ihnen eine karge Labe bieten konnte, trat sie beim ersten Sonnenblick ins Freie hinaus und rief gedämpften Tons nach der Signora und deren Sohn, die soeben beschäftigt waren, von den eignen Anzügen zum Zweck einer Abschiedsspende etwas Entbehrliches auszulesen.

In diesem Augenblick ließ sich vom Stalle her wieder Lazaros Gevatter-, Gevatter-, Gevatterschrei vernehmen, und nun entwickelte sich folgende, in Rücksicht auf die Anwesenheit Susinas stumme Szene. Don Adone sah Fiammetta an, als wollte er sagen: Und an den dachte keins von uns? Der muß sich erst selbst melden? Worauf Fiammetta erschrocknen Blicks durch ein bittendes Zusammenpressen ihrer Hände zu verstehn gab: Ihr denkt doch nicht daran, als Trinkgeld Lazaro wegzuschenken? Worauf Don Adone etwa wieder, indem er die Backen sorglos aufblies, sagte: Was brauchen wir ihn, liebes Kind? In den Graben geworfen hat er uns ohnehin! Und endlich Fiammetta, indem sie Mühe hatte, ihre Thränen zurückzuhalten: Und gerade den guten, lieben Lazaro! Handelte sichs noch um den Tückebold Pantaleone! Aber Lazaro, der wie ein Lazarus geschunden und zerdroschen in unsern Stall kam, und an dem ich ein Dutzend Krüge unsers besten, klarsten Olivenöls verrieb! O liebster Herr, mit Euch ist wahrlich nicht mehr auszukommen!

Alles das wurde auf dem Wege der Mienen- und Gebärdensprache hin und her gewinkt und gezwinkert in dem Augenblick, wo Lazaro schrie, und Susina die 255 beiden Gäste zu einer kargen Labe in den engen Rebengang, der die Stirnseite der ärmlichen Casa Bisi verdeckte, herbeirief.

Hol ihn nur immerhin herbei, flüsterte Don Adone dann der widerstrebenden Fiammetta in einem so warm vom Herzen kommenden Tone zu, daß sie wohl oder übel jeden Einwand aufgab und seufzend seiner Weisung Folge leistete.

Was habt Ihr Euerm Sohne unerfreuliches aufgetragen? fragte Susina, nachdem sie Don Adone mit einer Schale frisch gemolkner Milch und einer Dattel- und Feigenspende erquickt hatte, denn ihr Spürsinn sagte ihr, daß man ihr ein Entgelt zudenke; ich nehme nichts an, Signora – wir arbeiten uns schon wieder heraus; die Madonna wird ja meine arme Schwägerin nicht über ihr Vermögen heimsuchen.

Aber als Fiammetta, während Don Adone durch Loben der Milch und der Früchte den Fragen Susinas auszuweichen suchte, mit dem wohlgenährten Lazaro herankam und Nebbia mit schäkernden Sprüngen ihm folgte, da hörte Susina die Eröffnung Don Adones mit keinerlei Verwunderung an und sagte nur errötend einmal über das andre: Wie gut es die heilige Gottesmutter meint! – Und Ihr habt ihn Lazaro getauft? – Nach fünf Jahren kommt er wieder! Er war uns gestohlen worden; der ihn Euch als sein Eigentum verkauft hat, dem wird der Herrgott schon noch irgendwo das Genick brechen. – Ich traute nur gestern nicht dem Mondschein! – Und dann – was hättet Ihr von mir denken müssen, Signora! – Ich hätte auch heute nichts gesagt! kein Wort, per certo, Signora! – Aber die Nebbia wäre uns vor Kummer 256 draufgegangen! – Ach, Signora, Ihr wißt nicht, was Ihr der ganzen Casa Bisi für eine Freude bereitet – Cola hat nie verwunden, daß uns das gute Tier abhanden gekommen war. Es war sein Liebling! O was wird Vigilia sagen! – Und die Geistesgestörtheit der Schwägerin vor Freude ganz vergessend, rief sie ins Haus hinein: Vigilia! Vigilia! Belone ist wieder da! Belone ist wieder da!

Belone – der Schreier, der Blöker – hörte nicht sobald seinen alten Namen, als er auch schon aus vollen Lungen wieder Gevatter! Gevatter! Gevatter! in den Morgen hineinzuposaunen anhob; und so mächtig war dieses mal der Ton, daß sich alle drei Zuhörer die Ohren zuhalten wollten, und sich nur Nebbia vor Lust ins Gras warf und sich kugelte.

Darüber sah man Mariuccia ins Haus springen und in demselben Augenblick erschrocken umkehren, denn sie war auf Vigilias lange Gestalt gestoßen, die ihr jetzt auf dem Fuße folgte. Das schwarze Haar hing der eben vom Lager emporgescheuchten noch wirr um die Schläfen, aber ihr blaues Auge starrte nicht mehr völlig ziellos ins Leere, es spähte, es suchte, es fragte.

Als Susina die große mit Vigilia vor sich gegangne Veränderung gewahrte, rang sie vor schmerzlichem Freudenübermaß die Hände. Komm, komm! rief sie, Belone ist wieder da! Die gute Signora hat ihn uns zurückgebracht. Da! Streichle das gute Tier! Ei gewiß, Belone, wandte sie sich zu dem fast menschlich dreinblickenden Esel, das ist die pflegsame, gute Vigilia, die dir immer die gelben Cucuzzenblüten und das prächtige Limonenlaub in die Krippen gesteckt hat.

257 Und Vigilia beugte sich über den Nacken des sich treuherzig nach ihr umsehenden Tieres und weinte.

Auch Susinas Augen flossen über. Sie lehnte ihre Stirn an Vigilias Schulter und rief: Iddio sei gelobt! Iddio sei gepriesen!

Fiammetta sagte zu Don Adone: So kann es einem ergehn! Da hängt man an solch einen Nichtsnutz sein Herz und meint, auch er könne einen nimmer missen. Und mit einmal zeigt sichs, daß er sich schon wer weiß mit wie vielen andern eingelassen hat. Wenns nur wenigstens ein paar kleine Belones oder Nebbias als Ersatz mit zu nehmen gäbe! Die bedinge ich mir jedenfalls für später aus, Don Adone. Laßt mich nur machen.

Susina hatte wieder alles gehört. Sie drückte Fiammetta die Hand und ergriff dann die Don Adones. Lacht nicht über unser kindisches Behaben, Signora, sagte sie leise, indem sie seine Hand an ihre Lippen führte, nicht wahr, es sieht thöricht aus, was wir hier treiben? Aber was fragt der dunkle Trieb nach Gründen? Da drängen sich die Kinderchen um ihre Mutter, und sie stößt sie von sich. Und an das unverständige Tier verschwendet sie Liebkosungen und Thränen! Ich schäme mich selbst. Freilich, Cola ist einst in einer Osterprozession, wo er den Heiland darstellte, auf Belone geritten, und wer kann sagen, wie ungestüm ein gestörter Geist Entlegnes und Nahes durcheinander wirrt!

Liebes Kind, sagte Don Adone, freut Euch der Rührung, die über Eure beklagenswerte Schwägerin gekommen ist, und sorget nicht, daß wir unsern herzlichen Anteil an dem ganzen Vorgang durch irgend welche kleinlichen Nebenbetrachtungen vermindern lassen. Es 258 ist wahr, es handelt sich dem Anscheine nach um etwas lächerlich Geringfügiges, wenn schon das Haus, worin den Tieren Liebe und freundliche Pflege zu teil wird, vor vielen anders gearteten Häusern dem Himmel wohlgefällig sein mag. Aber überhaupt hat der Esel im Altertum, wie schon aus der Heiligen Schrift ersichtlich ist, durchaus keine mißachtete Rolle gespielt, und aus andern Büchern könnte ich unter den Aussprüchen des berühmten Weisen Namens Plato einen anführen, der dem Esel sogar das Recht einräumt, mit dem tiefsinnigen, wenn auch langsamen Denker Xenokrates verglichen zu werden, insofern nämlich besagter Plato diesen seinen langsamen Schüler mit einem andern, unruhiger vorwärts dringenden, Namens Aristoteles, in Parallele stellend sich der Worte bedient: »Wo ist die Deichsel, an die ich jenen Esel neben dieses Pferd spannen kann?«

Damit griff Don Adone, um mit möglichst weiblichem Anstande die Treppe hinabzusteigen, hinter sich in die weiten Falten seines Rockes, und als er diesen in der wie er glaubte herkömmlichen Weise aufgenommen hatte, gab er Fiammetta, die sich mittlerweile über den von Susina gespendeten Morgenimbiß hergemacht hatte, ein Zeichen, sie möge ihm folgen, und verließ gleich darauf in ihrem Geleit mit freundlich dankenden Blicken das Bereich der Casa Bisi. 259

 

 


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