Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)
Don Adone
Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)

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Dreißigstes Kapitel

Dolcebona war schon öfter durch die Veranstaltungen ihrer Tante in Ungelegenheiten geraten, in einer so schlimmen Lage, wie die heute von ihr selbst verschuldete war, aber noch nie gewesen. Als sie aus der lebensgefährlichen Einpressung, die im Dunkel des Klosterthürgangs ihr fast den letzten Atem genommen hatte, ins Freie entschlüpfte, war ihre erste Empfindung die eines dankbaren Gebets zu ihrem Schutzheiligen gewesen; aber unter dem weichstimmenden Einfluß der ambrosischen Nacht überkam sie ein Weinkrampf, der ihr so heftig zusetzte, daß sie sich nicht auf den Füßen zu halten vermochte. Lange jedoch gönnte sie ihrer Schwäche nicht die Oberhand. Wenn sie gründlich in Angst versetzt worden war, so gab es, wie sie wußte, für sie keine Rettung und Beruhigung als an der Brust ihrer Mutter. Sobald sie sich einigermaßen erholt hatte, raffte sie sich auf und begab sich im Sternenschimmer auf den Heimweg.

Inzwischen war auch Don Adone, der eine andre Richtung eingeschlagen hatte, so weit zu sich selbst gekommen, daß er seine wunderlichen letzten Erlebnisse 407 überdenken konnte. In dem Maße, wie er sich dabei des Gedankens entschlug, er selber sei das Stichblatt aller dieser Teufeleien gewesen, begann er sich um Fiammetta Sorge zu machen. Wo bleibt sie nur? fragte er sich; ich weiß gewiß, daß sie mir immer dicht auf den Fersen war. Glücklich herausgebracht habe ich sie. Aber was ist seitdem aus ihr geworden? – Jetzt begann er sich eines wütenden Geschreis zu erinnern, das sich in seinem Rücken erhoben hatte, eben als er und in seinem Gefolge Fiammetta ins Freie schlüpften, und mit Betrübnis gelangte er nach manchem weitern Nachdenken zu der trostlosen Wahrscheinlichkeit, daß Fiammetta wieder eingefangen worden sei. Das Nächste, aber durchaus Vergebliche war ein längeres Kopfzerbrechen. Natürlich lag es ihm ob, sie zu befreien. Aber wie? das brachte er nicht heraus.

Einstweilen zermarterte er sich mit Vorwürfen. War ich es nicht, rief er, der sich den unartigen Vorschlag Don Zoppos aneignete und nach dem Abenteuer mit der Tochter und dem Schwiegersohne des schönen Greises auf den Kleidertausch drang? Das ganze Wirrsal habe einzig ich verschuldet, und nun wirst du, arme kleine Fiammetta, vielleicht für alles büßen müssen.

Er seufzte schwer und schritt am Fuße des Hügels, worauf das Kloster lag, händeringend auf und ab. Wie er sich aber bewußt war, der Versuchungen des Gottseibeiuns nie ganz ledig zu werden, so hörte er auch jetzt wieder eine deutliche Stimme in sich, die ihn anreizen wollte, er möge wenigstens sich selbst raschmöglichst in Sicherheit bringen. In der That war das nicht so schwer. Wenn er im Schutze der Nacht an den grottenreichen Strand hinabstieg und 408 sich in einem der Verstecke zunächst des roten Burnus und des Staatskleids der Donna Vittoria entledigte: wenn er sich darauf, nach Art der marmornen Brunnengötter, die er auf dem Marktplatze von Castellammare gesehen und beneidet hatte, mit einem Schurz aus Schilf die Hüften kränzte; wenn er demnächst, soweit ihn seine Füße tragen würden, am Meeresstrande weiter und immer weiter ging und sich endlich beim Morgendämmern in völlig neuer Gegend, fern von dem Bezirke des fürchterlichen Don Boltraffio, wie der gestrandete Dulder Odysseus in irgend einem Gebüsch versteckte – sollte da nicht der Himmel auch ihm ein erbarmendes Menschenkind senden? Ja, seine Rettung konnte in der That jetzt nicht mehr schwer sein.

Aber wie lockend dieser Phäakenplan ihn auch anmutete – der Gedanke, daß nur der Teufel ihm ein so feiges Imstichlassen Fiammettas eingeben konnte, veranlaßte ihn doch, diesen Ausweg bald zu verwerfen, und da ihm keine Mittel zur Verfügung standen, Mauern umzustürzen und Schlösser zu sprengen, so hielt er es endlich für das ratsamste, geduldig am Fuße des Klosterhügels im Dunkel eines dichtbelaubten Karubenbaums abzuwarten, ob Fiammetta nicht selbst Mittel und Wege finden werde, sich ihm wieder zuzugesellen.

Inzwischen hatte der Governatore einen Schritt gewagt, der ihm mißlingen sollte. Seine Schwester länger als nötig in ihrem Gefängnisse sitzen zu lassen, schien ihm grausam. Deshalb hatte er sich bald, nachdem Dolcebona und Don Adone aus dem Garten verschwunden waren, im Dunkeln in die Loge des Portiers verfügt und dort die Schlüssel an sich genommen. Mit diesen versehen begab er sich nun leise, leise nach 409 der Thür des Gefängnisses und suchte mit allerhand gedämpften Zurufen die Stimme des Mönchs nachzuahmen.

Es dauerte lange, ehe er eine Antwort bekam. Nun ließ er sich verführen, indem er unter den Schlüsseln erst weitläufig den rechten heraussuchte, Donna Sirena über ihren Plan mit der Maultiersänfte noch etwas eingehender auszufragen – immer in der, wie er glaubte, täuschend nachgeahmten Stimme des Mönchs und von der Voraussetzung geleitet, Donna Sirena habe die Unterredung zwischen Dolcebona und dem Mönche nicht hören können, sondern harre nach wie vor der befreienden Rückkehr des Mönchs.

Dies war aber keineswegs der Fall. Donna Sirena hatte gerade genug erlauscht, daß sie eine entsetzlich beschämende Viertelstunde verlebt hatte; darauf hatte sie ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden, die ganze Veranstaltung als ein Machwerk ihres lachlustigen Bruders erkannt und sich von da an einzig mit dem Gedanken beschäftigt, wie er für diese billera, diesen Schabernack, zu strafen sei.

Daß er sie jetzt auch noch unter der Maske des Fra Ippolito zu foppen versuchte, kam ihr trefflich zu paß. Sie ging, ihm durch die noch verschlossene Thür antwortend, auf den Ton des draußen stehenden ein, hielt sich dann, als er öffnete, so weit im Hintergrunde des völlig dunkeln Gemachs, daß der leise eintretende nun auch noch drinnen seine Rolle fortspielen mußte, und lohnte ihn dann plötzlich mit einem derben und glücklich treffenden Nasenstüber, worauf sie an dem erschrocken stutzenden vorbeischoß und im Enteilen die Thür hinter sich ins Schloß warf.

Jetzt hatte sie den größten Teil ihrer guten Laune wiedergefunden. Der allmächtige Tyrann von 410 Castellammare saß hinter Schloß und Riegel. Sie trat von außen an das Gitterfenster, lachte ihn tüchtig aus, schürzte sich und machte sich aus dem Staube.

Über dem wohlgelungnen Gegenstreich verdampfte zuerst ihr Unmut über sich selbst, dann der Verdruß über den unzuverlässigen Fra Ippolito, endlich sogar der über Beata und das ganze Weibergeschlecht.

Daß Dolcebona mit ihren Befreiungsplänen nicht allein fertig werden würde, hielt sie für ausgemacht. Sie beschloß darum, sich – wie sie ging und stand – der Nachtkühle wegen in der ihr doch nun einmal preisgegebnen grauen Kutte Fra Ippolitos zu näherer Prüfung der Sachlage in die Nähe des Klosters zu begeben.

Kurze Zeit, ehe sie diesen löblichen Vorsatz faßte, war Donna Carmosina, die geldgierige Gattin Don Boltraffios, siegreich aus einem Gardinengefecht hervorgegangen, das sie diesem Ehrenmanne geliefert hatte, nachdem der größte Teil seines Raubes von ihr ausfindig gemacht und mit Beschlag belegt worden war. Der von seinen Tagesthaten ermüdete hatte wieder aufstehn und im Finstern nochmals auf den Argonautenzug noch dem goldnen Vließe ausrücken müssen, von dem er unvorsichtig eingestanden hatte, daß er nur einen Teil davon in Sicherheit gebracht habe. Daß der Mönch im Schloßverließ festgesetzt worden sei, diese Beteuerung Don Boltraffios hatte nichts verschlagen. Mit der Weisung, kein babaccione zu sein, also zu nehmen, so lange etwas zu nehmen sei, und sich zu diesem Zwecke unter irgend einem Vorwande Eingang zu dem Gefangnen zu verschaffen, war er demnach abermals auf die Wanderschaft geschickt worden.

Draußen im Sternenschimmer räsonnierte er jedoch so: Wie immer kurz vor Schlafengehn hat 411 Donna Carmosina einen Sparren; wie soll ich Unglücksmann Leute plündern, zu denen man nicht gelangen kann? Da sie mir aber drinnen keine Ruhe läßt, so gehe ich zur Osteria des Signor Pancrazio, klopfe ihn auf, vertrinke mit ihm, was ihr von meiner Barschaft nicht in die Hände gefallen ist, und kehre erst morgen früh heim; bis dahin hat Donna Carmosina ihre fünf Sinne wieder beisammen.

Signor Pancrazio, dessen Kneipe nahe bei dem Kirchlein Santa Costanza lag, wurde denn auch in der That aufgeklopft, und Don Boltraffio ließ sofort zwei seiner Goldfüchse springen, wofür beide Vettern nach und nach vier bis fünf Flaschen guten Sommas gewissenhaft ausstachen.

Darüber bekam aber Don Boltraffio Sausen im Ohre. Nun begann er die Notglocke der Ursulinerinnen deutlich zu hören, eine Glocke, die seit dem Sarazeneneinbruch im Jahre 881 im Munde der Leute ihr Wesen trieb, ohne übrigens wirklich zu existieren. Signor Pancrazios Sinne waren von den Folgen des bluterhitzenden Sommas nicht minder behelligt, doch hörte er nicht die Notglocke, sondern das Schnauben eines Haifischs. Über die zwiespältige Auslegung ihres Ohrenbrausens erzürnten sich die Vettern. Signor Pancrazio warf Don Boltraffio zur Osteria hinaus. Don Boltraffio schlug, draußen angelangt, mit seinem Amtsstabe dem groben Wirte sämtliche Scheiben ein – wie er wenigstens meinte, es gab deren aber keine –, und dann zog er singend ab, um mit den Ursulinerinnen »etwas zu schäkern.«

Ihm liefen nun im Finstern Dolcebona und Ciutazza – Dolcebonas Zofe – in den Weg, die von Donna Olimpia, die endlich um ihr Töchterchen besorgte Mutter, auf die Suche nach ihrem Kinde 412 ausgesandt worden war, und die die Gesuchte eben heim geleitete; doch konnten sich die beiden Jungfrauen ohne große Mühe des Angeheiterten entledigen, da Ciutazza aus manchem kleinen Scharmützel mit dem Allmannskunden Boltraffio seine schwachen Seiten kannte und sich im Abwehren seiner Zudringlichkeiten ihrer natürlichen Waffen mit Unbefangenheit bediente.

An einer andern Wendung des Wegs stieß Don Boltraffio im Finstern auf Donna Sirena, die sich ihm in der Meinung genähert hatte, Ippolito oder Beata kämen ihr entgegen. Auch Donna Sirena war aber zu wenig blöde, als daß der schwankende Patron trotz aller Aufgelegtheit Lorbeeren bei ihr hätte pflücken können, und so trällerte er im Dunkeln seine Straße weiter.

Im Grunde war ihm überaus vergnüglich zu Mute. Die Gelehrsamkeit, die er, wenn er nüchtern war, zuweilen nur mühsam auftischte, erfüllte ihn, sobald er einen Rausch hatte, ganz und gar. Deshalb geriet er, sobald sein erotischer Anflug vorüber war, ins Perorieren, wobei er, über sich selbst lachend, einen Sprachwirrwarr in die Nacht hinausschwatzte, als sei er mitten in dem Redegeschwirr des Turmbaus von Babel.

Als er nahe an die Stelle gekommen war, wo Don Adone unter der Karube im Grase saß und seinen trübsinnigen Betrachtungen nachhing, hatte Don Boltraffio auf solche Art das Fehlschlagen seiner verschiednen Schäkerversuche schon gründlich vergessen, und er guckte unternehmungslustig, wenn auch mit mühsamem Behaupten seines Gleichgewichts, in die Höhe, um sich zwischen den einzeln wieder sichtbar werdenden, sämtlich tanzenden Sternen und den 413 ebenfalls tanzenden Lichtern in den Fenstern des oberhalb des Abhangs himmelhoch ragenden Klosters zurecht zu finden. Dies wollte ihm jedoch nicht gelingen, sodaß er, unschlüssig wie die Festung da oben zu traktieren sei, wieder ins Singen verfiel und das damals beliebte Spottlied Meso seccato! etwa in folgender Fassung zu den Nonnen hinauf schnarrte:

Beim Piedigrottafest beganns,
Da hieß es: Welche ein Schwarm!
Nehmt doch mein Töchterchen in Schutz
Und reicht ihm euern Arm!
                  Meso secc-a-to!

Beim nächsten Feste hieß es dann:
Ei, Herrchen, merkt euch was:
Die man beim letzten Fest geführt,
Der schenkt man dies und das.
                  Meso secc-a-to!

Und nun ich dies und das geschenkt,
Nun kräht die Tantenschar:
Man schenkt nur, wo mans ernstlich meint;
Wann geht es zum Altar?
                  Meso secc-a-to!

So häkelt eins ans andre sich;
Das klappt als wie ein Reim;
O liebe Leut, ich bitt, ich bitt,
Wer hilft mir von dem Leim?
                  Meso secc-a-a-a-to!

Die klägliche Melodie, worauf dieses Lied gesungen zu werden pflegte, hätte wohl einem gewöhnlich organisierten Zuhörer weniger Teilnahme als Unbehagen eingeflößt. Auf Don Adone aber wirkte sie in der ersten Richtung, und ohne Ahnung, daß der jammernde Heiratspflichtige sein Plündrer sei, erhob sich Don Adone, um, dem Tone der 414 Stimme in der Dunkelheit nachgehend, ihm einige Trostworte zu sagen. Guter Freund, redete er ihn von weitem an, ein alter Weltweiser hat das wahre Wort gesprochen: »Den Weg zum Orkus findet man auch mit geschlossenen Augen.« Wenn ich die ergreifende Schilderung Euers Mißgeschicks recht verstand, so hat sich dieser Ausspruch leider auch an Euch bestätigt. Laßt Euch aber das schöne Wort eines andern alten Weltweisen ins Gedächtnis rufen: »Nur der Knecht fürchtet.« Wenn Ihr Euch ganz von der Größe dieses einfachen Diktums durchdringt, so ist es nicht anders möglich, als daß Ihr Euerm Schicksal mit mannhafter Stärke in die Augen seht.

Holla! rief in lallendem Tone der inzwischen nah und näher an den Tröster heranschwankende Bargello, wie ist mir? Sollten wir einander nicht schon das Kinn gestreichelt haben? Ei, per Bacco! wart Ihr es nicht, ehrwürdiger Frate, der mich im vorigen Frühjahr als Majordomo in Euern peruanischen Goldminen anstellte? Helft mir doch auf die Sprünge. Ihr sollt keinen Schaden dabei nehmen. Denn seht, mein Vetter, der Signor Pancrazio in der schäbigen, schimmligen, schlampampigen Osteria zur Gualchiera – zur Walkmühle – ist der größte Spitzbube, dem der heilige Januarius jemals Asche aus den Haaren gelesen hat. Trinkt mir der Schlauch fünf Foglietten Somma vor der Nase aus, und ich muß sie zahlen – mit Euern Pfennigen, bester Frate; haltet still, ich bitte Euch, haltet still! Es taugt nichts, wenn die Kühe beim Melken den Melkeimer umwerfen . . . ei seht, da liegt er, da liegt er! Per Dio! Was hab ich Euch gesagt, Ehrwürdigster? Per Dio! Per Bacco! Per Bacco Diana!

In der That war zwar kein Melkeimer zu Fall 415 gekommen, wohl aber Don Boltraffio selbst, denn während er diese Rede mit zudringlichen Visitiergriffen begleitet hatte, war Don Adones Wohlwollen beim Erkennen seines vorherigen Schröpfers rasch ins Gegenteil umgeschlagen, und er hatte sich desselben, soweit dieser Ausdruck auf seine sanfte Art paßte, mit Gewalt erwehrt.

Dabei war Don Boltraffios mächtiger Amtsstock in Don Adones Hand zurückgeblieben.

Nichts wäre Don Adone jetzt leichter gewesen, als sich an dem Manne zu rächen, der ihn und Fiammetta in so große Ungelegenheit gebracht hatte, und Don Adone erinnerte sich in diesem Augenblick der Püffe Bibianas, nicht ohne sich versucht zu fühlen, mit dem Stocke Don Boltraffios bewaffnet einmal eine Probe zu machen, wie das Abstrafen eines andern schmecke. Während er aber noch darüber nachsann, war der zu Fall gekommne wieder aufgestanden, hatte sich seines Stocks rasch von neuem bemächtigt, und im nächsten Augenblick tanzte dieser auf Don Adones Kopf und Schultern.

Dieser, vor Überraschung, Schmerz und Verdruß völlig außer Fassung, schwankte eben noch zwischen Flucht und dem Versuch einer vernichtenden Ansprache an den unverständigen Wüterich, als Fiammettas Stimme an sein Ohr klang, und fast im selben Augenblick sich ihre im Dunkeln ihm nur wie ein Schattenriß aufgehende kleine Gestalt zwischen ihn und den Unhold drängte, der unter Verwünschungen auf ihn einhieb. Denn obschon sie von allen überstandnen Ängsten jetzt endlich in solchem Grade erschöpft war, daß sie sich kaum noch auf den Füßen zu halten vermochte, bot sie doch sofort ihre letzten Kräfte auf, ihren lieben Herrn zu schützen, wobei sie durch 416 empfindliche Aufschreie verriet, daß auch sie schon von den Hieben Don Boltraffios in demselben Augenblick zu kosten bekam.

Und hier ereignete sich nun ein folgenschwerer Umschwung. Denn gleich bei dem ersten Jammerruf seiner kleinen Leidensgefährtin schmolzen wie Wachs an der Sonne die sämtlichen sanftlebigen Betrachtungen, mit denen Don Adone bisher jede ihm angethane Unbill friedfertig hingenommen hatte.

Mit einem einzigen herzhaften Griff brachte er den abscheulichen Stock wieder in seine Gewalt. Und nun – als würde er plötzlich erst gewahr, daß er ja mit sehr brauchbaren Knochen und Muskeln ausgerüstet sei – begann Don Adone dem nächtlichen Turbulanten in langer und unermüdlicher Arbeit mit Wucher jeden Schlag zurückzuzahlen, den dieser Stock jemals ausgeteilt haben mochte.

Trotz des Halbdunkels gewahrte Fiammetta durch ihre Thränen das unerhörte Ereignis. Sie traute ihren Sinnen nicht. Sie brach in lautes Lachen aus, mitten in ihrem Schluchzen und Ächzen. Es ist ja nicht möglich! stammelte sie. Don Adone! Bester, lieber Herr! Träume ich denn? Seid Ihrs wirklich? O bitte, laßt Euch die Mühe nicht verdrießen! Nur noch nicht müde werden! Noch eins, immer noch eins, bester Herr, Ihr glaubt nicht, wie die Motion Euch gut thun wird!

Don Adone beteuerte aber, indem er immer mit dem Stocke fortwalkte, daß er nie einen Genuß wie den dieses Strafvollzugs geschmeckt habe. Und erst als sich der hohe Kragen Don Boltraffios bei dessen Fluchtanstrengungen von dem Rocke trennte, und der bisher an diesem Rockteile unerbittlich festgehaltne nun mit weiterer Preisgebung von Hut und Perücke 417 fluchend im Dunkeln davon torkelte, erst da beruhigte sich Don Adone bei Fiammettas Versicherung, ihr lieber Herr werde ja doch ohne Zweifel auf dieser dornenvollen Pilgerschaft wohl noch weitere Gelegenheit haben, sich seiner Widersacher mit Herzhaftigkeit zu entledigen.

Es ist in Wahrheit ein herrliches Ding um das Prügeln, sagte Don Adone mit selbstzufriednem Aufatmen und fuchtelte noch eine ganze Weile mit dem Stocke in der Luft herum; wie schade, daß Don Zoppo mir jetzt nicht erreichbar ist, du weißt, der freche Patron, der mich in meinem eignen Hut gefangen hielt, während er sich von dir artige Worte und gute Bissen gefallen ließ! – Aber erzähle, arme kleine Fiammetta, wie ist es dir ergangen? wie bist du entschlüpft?

Herr, gab Fiammetta zur Antwort, ist es die Freude, Euch wieder nahe zu sein, oder ist es die über Don Boltraffios Züchtigung, oder ist es wohl gar die Nachwirkung all der heute erlebten Nöte und Ängste – mir wollen vor Müdigkeit die Augen zufallen. Laßt mich nur ein kurzes Viertelstündchen einnicken – dort unter der breiten Karube sucht und sieht uns niemand; an dem leeren Strande drunten etwas auszurichten, wenn uns die guten Leute im Schlosse nicht beistehn wollen, ist ja doch ein vergebnes und gefährliches Bemühen. Kommt uns aber von der herzigen Dolcebona Hilfe – und nach Eurer Schilderung der lieben Signorina hoffe ich, sie wird uns nicht im Stich lassen –, so gewahren wirs am ersten von diesem Platze aus. Ich brauche nur ein ganz kurzes Schläfchen. Dann löse ich Euch ab. Gute Nacht, bester, lieber Herr! – Und so, fast schon im Schlaf redend, ließ sie sich von Don Adone nach dem tiefdunkeln Versteck 418 unter der Karube führen, wo sie, gegen den Stamm umsinkend, im nächsten Augenblick von den Traumfäden dicht umsponnen wurde.

Während die Natur bei der Vielgeplagten in dieser Weise ihre Rechte geltend machte, begann hoch oben im fernen Kloster leise, leise der Horagesang. Das von dem Kampfe mit Don Boltraffio aufgeregte Blut Don Adones besänftigte sich unter dem Einfluß des friedlich in die Nacht heraustönenden Bußpsalms, und nachdem auch er sichs bequem gemacht hatte, schaute er mit Rührung aus dem Schatten des Baums auf das aus der Ferne herüberblinkende Meer, dessen glatter Spiegel von dem Sternenlicht mit silbernen Punkten übersät war.

So stimmte er denn, wie es im Hause der Signora Trasi von denen zu geschehn pflegte, die aus irgend einem Grunde um die Zeit des Horagesangs wach im Bette lagen, leise in den Gesang ein, und erst als sich dieser in das Miserere mei Domine verwandelte und die Responsorien ora pro ea! der entflohenen Nonne wie einer dem Leben entrückten mit klagender Fürbitte gedachten, verstummte Don Adone, um lieber über die glückliche Rettung nachzudenken, für die sie beide dem Himmel Dank zu sagen hatten. 419

 

 


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