Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)
Don Adone
Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)

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Vierzehntes Kapitel

Während die lange Leidenszeit des armen Luigi diesen löblichen Abschluß fand, glaubte der Herr der beiden sizilianischen Doggen gleich ihnen nicht mehr, der vorgeblichen Jagdpartie zu Gefallen Versteckens spielen zu müssen. Und da er seinem Bruder in Galanterie nicht nachstehn wollte, so beschloß er nach einem Blick in den Saal, den kleinen weiblichen Don Gufo aus seiner unbequemen Lage zu erlösen.

Dies ließ sich, wie er annehmen durfte, recht gut ins Werk setzen, ohne daß sie aufzuwachen brauchte, denn die Foglietta neben Don Gufo war halb leer, und da Capriccia keinen Wein zu trinken pflegte, so mußte Don Gufo, um seiner Männerrolle gerecht zu werden, schon manchen Schluck getrunken haben.

In der That hatte Fiammetta, obschon sie auch fleißig Wasser nachgegossen hatte, ganz wie nach dem Leichenschmaus im Hause der guten Signora Trasi sehr bald gespürt, daß der Wein ihr zwar eine Zeit lang das Herz fröhlich mache und auch dem Geiste 187 zu einer Art von Wetterleuchten verhelfe, daß diesen Wirkungen aber eine unbezwingliche Schläfrigkeit folge. Da nun die kleine Reisegenossin des Don Adone, wie ja schon bei mehreren Veranlassungen zu Tage getreten ist, in fremden Herbergen ganz ebenso fest schlief wie daheim in Sant' Aniello unter den schnarrenden Gewichten der großen Wanduhr in Signora Trasis Rumpelkammer, so hatte der Nimrod mit der Schläferin leichtes Spiel.

Freilich saßen die vorgebliche Signora Lavendola und Don Peselino noch an der nämlichen Tafel, aber ganz am untern hellbeleuchteten Ende, und Don Peselino wenigstens pflegte nur das zu bemerken, was er bemerken wollte. Überdies war es seine Leidenschaft, möglichst lange bei der Flasche zu sitzen, und die Spruchweisheit seines Zechbruders gaudierte ihn so unmäßig, daß er heute selbst in einem brennenden Hause nicht leicht zum Ausbruch zu bringen gewesen wäre.

Somit trat Ruffo möglichst geräuschlos durch die von Luigi offengelassene Gartenthür in den Speisesaal, löschte die zunächst der Thür im Nachtwinde flackernde Lampe vollends aus, begab sich leise nach der Seite der Tafel, wo Fiammetta mit der Nase auf den Händen und auf dem Tische schlief, überlegte, wie er ihr am besten beikomme, faßte mit der Linken dann unter ihre Hände und ihre Stirn, ergriff mit der Rechten den Polsterstuhl, auf dem sie saß, und trug die Schlafende so ins Freie.

Während dieses vorsichtig ausgeführten Manövers hatten sich die Füßchen Fiammettas aus den Seitenquerhölzern der Stuhlbeine, hinter denen sie eingeklemmt gewesen waren, eins nach dem andern 188 herausgezogen, ohne daß sie darum erwacht wäre, und so konnte Ruffo denn den Stuhl ganz beiseite lassen und sie auf den Arm nehmen. Diavolo! knurrte er, welche Seifenblase! – Sie war in der That nach ihrer Loslösung von dem schweren Stuhle jetzt auf einmal federleicht, und Ruffo, dessen grobkörniger Geschmack schon nach Gebühr gewürdigt worden ist, hatte bei dieser Wahrnehmung nicht übel Lust, die zerbrechliche kleine Kreatur wieder in den Saal zurückzutragen.

Sie ist ein Kind, sagte er mit mehr Gutmütigkeit, als seiner rauhen Art sonst entsprach; mag Offella sie beim Abräumen mit dem übrigen Porzellan aus dem Wege schaffen. Ich trage sie wieder in den Saal.

Aber wart, besann er sich, auslachen soll man mich doch auch nicht. Mir kommt ein gescheiter Einfall! Komm, bamboccio, sagte er und stapfte mit der vom Schlafe Umstrickten leise durch eine Seitenthür ins Haus. Wer auf die Maskerade geht, begiebt sich unter das Gesetz der Pritsche. Offellas Schlafkammer ist noch leer. Bis Don Peselino und Signora Lavendola mit ihrem Disputieren zu Ende sind, muß Offella im Saale auf dem Posten bleiben. Mittlerweile magst du drüben auf ihrem Lager dein Räuschchen ausschlafen. Ich bleibe irgendwo in erreichbarer Nähe; sie soll dir nichts anhaben, fürchte nichts. Aber das ganze Haus wird sie in Alarm bringen, und darauf freue ich mich. O der tolle Heidenlärm, lachte Ruffo vor sich hin, wenn sie auf ihrem knisternden Maisstrohsack den Spitzbuben Don Gufo vorfindet!

Und so trug er Fiammetta denn in Offellas 189 Allerheiligstes, worauf er sich erwartungsvoll wie ein Jäger, der ein Netz gestellt hat, in einen entlegnen Hinterhalt zurückzog.

Doch es wird Zeit, daß wir uns auch nach der Signora Lavendola und ihrem Tischnachbar, dem Exabbate, umsehen.

Don Adone war die Mäßigkeit selbst, und die anfangs rege Sorge Don Peselinos um den unverkümmerten Genuß eines seiner Leibgerichte hatte deshalb nicht lange vorgehalten. Sobald Peselino aber dieser Sorge ledig gewesen war, hatte sich seine Engherzigkeit in das Gegenteil verkehrt, und fast eine Stunde lang war er nicht müde geworden, bei jeder neuen Schüssel auszurufen: Aber Donna Lavendola, diesesmal müßt Ihr mir schon erlauben, Euch etwas Gutes auszusuchen. Ihr seid wohl mit Eufemias Kochkunst nicht zufrieden? Thut Euch Gewalt an, beste Signora! Hier dieses Schnepfenbruststück scheint mir nicht verächtlich. Oder zieht Ihr ein paar feiste Schenkel vor? Oder wollt Ihr Euern Appetit für die Fische versparen? Ich schäme mich, nicht besser überreden zu können. Wenn ich Madonna Tiburzias Blicke recht verstehe, so glaubt sie, ich sei ein säumiger Empfehler. Bringt mich nicht in Ungelegenheiten.

Und ehe Don Adone es verhindern konnte, strotzte sein Teller wieder von leckern Bissen.

Endlich hatte er bei solcher Gelegenheit einmal geäußert, er halte es mit dem Spruche des göttlichen Sauhirten Eumäos: »Wenig, aber mit Liebe!« worauf Peselino, dem nur im allgemeinen angedeutet worden war, in seinem als Frauenzimmer verkleideten Tischnachbar werde er einen der närrischsten Käuze 190 des Golfufers kennen lernen, eine Weile stumm geworden war; denn Madonna Lavendola mit Homer zusammenzureimen, wollte ihm doch nicht sogleich gelingen. Und Homer hatte hier in der That ein Zitat herleihen müssen; die hausbackne Redensart stammte aus der Odyssee. Er sah sich also Signora Lavendola eine Weile aufmerksam von der Seite an und fragte dann, wie sie darauf verfallen sei, sich mit einer Dichtung bekannt zu machen, die kaum dem tausendsten Teile der Golfbewohner je zu Gesicht gekommen sein möge.

Hierauf erwiderte Don Adone mit einiger Befangenheit, er bedaure, durch den eiteln Aufputz seiner Rede die Frage selbst veranlaßt zu haben, denn aus allerlei Gründen müsse er sichs verbieten, sie zu beantworten. Er habe aber von Don Luigi gleich anfangs vernommen, jedes derartige, wenn auch freundlich gemeinte Auskundschaften seiner Gäste sei überhaupt in der Villa Tiburzia nicht herkömmlich, und er hoffe also, Don Peselino werde Nachsicht gegen ihn üben.

Madonna Lavendola, rief Peselino, Ihr beschämt mich mehr, als ichs sagen kann. Ich selbst habe diesem Brauche wieder und wieder das Wort geredet, und es war sehr unrecht von mir, gegen ihn zu verstoßen. Verzeiht mir und thut mir nur den Gefallen, solchen Redeschmuck in unsrer weitern Unterhaltung nicht als eiteln Aufputz zu unterdrücken. Zitate in der Rede sind wie die Blumen auf der Trift. Man erholt sich und erquickt sich an ihnen.

Darauf bat er, sein Vergehn dadurch gut machen zu dürfen, daß er der Madonna Lavendola etwas Näheres über die beiden ausgezeichneten Personen 191 sage – Madonna Tiburzia und Capriccia saßen, während dieses Gespräch geführt wurde, noch mit am Tische –, zu denen er wie zu Sonne und Mond aufblicke.

Und er erging sich sofort in einer farbenreichen Schilderung so der Matrone wie ihrer schönen Nichte, der er schließlich – ohne Arg – eine solche Unzahl von Tugenden nachrühmte, daß Don Adone, überwältigt von dem Näherrücken der entscheidenden Krisis und von der Verantwortlichkeit, die das Testament ihm aufgeladen hatte, sich in lauten Seufzern Luft machen mußte. Peselino horchte hoch auf. Steht es so? dachte er; hat auch dieser sonderbare Heilige schon Feuer gefangen? Ich hätte mirs denken können! Wer sieht diese reizende Fee und verliert nicht den Kopf? – Und eingedenk der Worte Madonna Tiburzias: eine kleine Züchtigung sei dem unberufnen Anmaßer eines Weiberaussehens schon zu gönnen, nahm Peselino sich vor, den jungen Mann, der für Signora Lavendola gelten wollte, in eine so närrische Leidenschaft für die schöne Capriccia hineinzuwirbeln, daß die Maskerade darüber von selbst in die Brüche gehn müsse.

Wenn Ihr den rechten Ehegatten für sie wüßtet, Signora Lavendola, fuhr Peselino fort, so thätet Ihr allen jungen Leuten am Golf einen Dienst, den man Euch ewig danken würde.

Wie meint Ihr das? fragte Don Adone verwundert.

Ganz in dem Sinne, wie ich mich aussprach.

Aber eine so tugendhafte und dabei so schöne Jungfrau, rief Don Adone, wird doch nicht um einen Mann in Verlegenheit sein können!

192 Das eben ist ja das Schlimme, sagte Peselino: wir alle beten sie an, und obschon wir wissen, daß sie keinen von uns erhören wird, bleiben wir dabei, uns in Sehnsucht nach ihr abzuhärmen. Der Wunsch, eine solche Marter enden zu sehen, ist wohl gerechtfertigt.

Ei ei, atmete Don Adone auf, so fehlt an diesem stattlichen Bündel Tugenden doch das, was ihnen erst Wert und Würde geben würde: die Demut. Eure angebetete Göttin weiß, daß sie eine Göttin ist. Wie sollte sie sonst unter so vielen Bewerbern um ihre Gunst nicht einen erhören?

Die Sache verhält sich anders, beste Signora, versetzte Peselino leisern Tons und sah Don Adone wie mit prüfendem Auge an; eine Frage zuerst: Habt Ihr einen Sohn, der Euch ähnlicher sieht als dort der schwarzhaarige Don Gufo?

Don Adone sah auf seinen Teller. Was wollt Ihr damit sagen? fragte er verlegen.

Ihr werdet, was ich Euch mitteile, nicht an die große Glocke hängen, Signora Lavendola, flüsterte Peselino weiter, aber ist es Euch nicht aufgefallen, daß die schöne Capriccia, als man Euch ihr vorstellte, die Farbe wechselte?

Und warum hätte sie das gethan?

Trinkt aus, beste Signora, flüsterte Peselino, wir sind an eine mysteriöse Seite unsers Themas gelangt. Er sah sich vorsichtig um und fuhr noch leiser fort: Das Nähere darüber sollt Ihr gleich erfahren. Hier nur zunächst das Wesentlichste. Auf ganz genaue Weise ist der schönen Capriccia einst der beschrieben worden, den der Himmel für sie bestimmt habe. Und da sie – hoffentlich mit Recht – in dieser 193 Offenbarung eine göttliche Willensäußerung sieht, so wird sie sich nur dem zu eigen geben, der durchaus in Alter, Gestalt und Miene dem ihr verheißnen Gatten entspricht. Ihr habt wirklich nicht noch einen zweiten Sohn, Signora Lavendola?

Don Adone fühlte sich unendlich beunruhigt. Ich kann nur von neuem fragen, stotterte er, was wollt Ihr damit sagen?

Verzeiht mir, versetzte Don Peselino, wider Willen behellige ich Euch zum zweitenmal mit Fragen. Antwortet nicht. Mein lebhaftes Interesse für das Glück der schönen Capriccia mag mich bei Euch entschuldigen. Aber kann ich denn überhaupt, nach allem, was ich Euch sagte, noch mit irgend etwas gegen Euch hinterm Berge halten? Nein, ich muß mein Herz gegen Euch ausschütten, hat Euer scharfer Verstand doch ohnehin wohl schon erraten, was mich zu meiner Frage drängte: bis zum Verwechseln, Signora Lavendola, seht Ihr dem ähnlich, den der Himmel für die göttliche Capriccia bestimmt hat.

Don Adone machte ein Gesicht, als solle er einen Regenwurm verschlingen.

Peselino hatte erwartet, seine Mitteilung werde ganz die entgegengesetzte Wirkung zu Folge haben, er unterdrückte jedoch seine Verwundrung und stürzte, wie in großer Aufregung, ein Glas Wein hinunter. Redet, bat er. Wenn Ihr einen Sohn hättet, Signora, der Euch völlig gliche . . . . aber ich wollte ja nicht fragen –

Don Adone suchte beklommnen Tones die Frage zu umgehn. Ihr werdet Gesichter wie meins diesseits und jenseits des Faro gewiß in Menge finden. Was ist an mir besondres?

194 Das muß ich Euch erst sagen? eiferte Peselino, der die ablehnende Haltung seines Nachbars immer weniger begriff; ich rede nicht von Euerm Äußern in Bausch und Bogen. Lockig goldne Haare sind am Golf zwar nicht häufig anzutreffen, aber man findet sie. Im gleichen das sanftblaue Auge, die angenehme Gesichtsrundung, das wohl proportionierte Doppelkinn. Von allen diesen wünschenswerten Dingen, die Euch, wenn Ihr ein Mann wäret, der daseinsfreudigen Erscheinung des Rebengottes so ähnlich machen müßten, sehe ich ab. Das sind Gaben der Natur, deren sich auch andre rühmen können. Aber hier über der linken Braue . . . .

Da bin ich als Kind von einer Dohle gebissen worden, stotterte Don Adone.

Also wirklich! rief Peselino mit großem Ernst; sagtet Ihr: von einer Dohle?

So hat man mich berichtet.

Nun, dann höret, wie es steht: von einer Dohle gerade sollte der gebissen sein, den die Stimme des Schicksals als den Zukünftigen der schönen Capriccia bezeichnet hat. Aber auch alle andern Zeichen treffen zu! – Peselino stützte den Kopf in die Hand. Rätselhaft! sagte er; in der That, ich wage Euch gar nicht mehr anzusehen, werfet selbst einen Blick in den Spiegel hinter uns; die ungesäumten Ohren, der kräftig entwickelte Adamsapfel – o Ihr verzeiht, Signora, daß ich von dem, womit Euch Mutter Natur ausgestattet hat, wie der Botaniker von der Blume rede. Wenn eine Voraussagung Punkt für Punkt mit solcher Präzision zutrifft, und dann nur die eine kleine Nebensache nicht stimmt – das Geschlecht –, da hat wohl der Demütigste Mühe, sich des Gedanken 195 zu erwehren, daß wir Menschen in der Hand des Weltenschöpfers bloß ein Spielball seiner Launen sind.

In diesem Augenblicke fand der plötzliche Aufbruch Capriccias statt, von dem schon berichtet worden ist, und dem der der Matrone folgte.

Don Adone wagte nicht zu atmen; sehr üble Ahnungen belästigten ihn; er dachte an die Tücken und Fallstricke des Bösen – er bekreuzte sich.

Wir haben zu laut gesprochen, Signora, flüsterte Peselino, dem plötzlich ein Licht über den Seelenzustand der vorgeblichen Signora Lavendola aufgegangen war, und dem diese Wendung nur noch willkommner erschien, ich vergaß, daß Capriccia seit Euerm Eintritt in diesen Kreis notwendig einzig mit der wunderbaren Ähnlichkeit beschäftigt sein mußte, und daß meine Worte nur aussprachen, was sie selbst Euch gegenüber empfand. Sie hat, wie ich Euch nicht verschweigen will, lange Zeit gefürchtet, hinter der Prophezeiung stecke der Santo Diavolo, und erst seit Pater Piero, ihr Beichtvater, durch einen Schulterknochen der heiligen Barbara die arme Capriccia in ihrer Kraft gegen solche Einflüsse gestärkt hat, ist sie und sind wir alle von unsrer Befürchtung einigermaßen kuriert worden. Jetzt wird sie plötzlich wieder . . .

Er bekreuzigte sich ebenfalls, und Don Adone, dem die Schönheit Capriccias nun erst recht verdächtig dämonisch vorkam, glaubte Pech und Schwefel zu riechen.

Beide rückten etwas auseinander. Offella servierte eben den Lieblingskäse Don Adones, cacio cavallo. Aber er stöhnte abwehrend: Mir steckt die Geschichte wie ein Pfropf im Halse, keinen Bissen mehr! keinen Bissen!

196 Peselino aß, aber nicht ohne hin und wieder möglichst hörbar mit den Zähnen zu klappern, und eine gute Weile verharrten beide schweigend. Dann ermannte sich Peselino, schob seinen Teller von sich, hielt sein Glas gegen das Don Adones und sagte, als fürchte er selbst seine Fassung zu verlieren: Verzeiht mir, Signora! es überkam mich so! – Aber Ihr seht so gut und treuherzig aus – nichts mehr von dieser unerklärlichen Ähnlichkeit. Reden wir von heitern Dingen.

O, rief Don Adone, der seine Bewegung nicht mehr meistern konnte, wüßtet Ihr von dem greulichen Spuk in der Kirche zu Sant' Aniello, von meiner nächtlichen Heimsuchung in Don Spinaccis Albergo, von der in einem Dornenbusch heute morgen von mir ausgestandnen Höllenpein! Trefflich ersonnen, in der That! murmelte er in sich hinein; die Würdigste, um das Erbteil zuerkannt zu erhalten, und zugleich, wie Beelzebub meinen mag, die Unwiderstehlichste! Aber ich werde widerstehn, so der Versuchung der Habsucht wie der Augenlust. Apage!

Apage! stimmte Peselino feierlich ein, und beide bekreuzten sich von neuem.

Ihr werdet mir das Zeugnis geben, begann Peselino dann wieder sehr ernst, daß ich keins Eurer Geheimnisse aus Euch herauszulocken gesucht habe. Ich muß jedoch auf Eure eben gethanen Äußerungen folgendes antworten. Zunächst: Wenn Ihr aus meiner Schilderung Capriccias geschlossen habt, daß sie vor andern berechtigt sein solle, eine – ich weiß nicht welche – Erbschaft zu thun, so wird es Eure Pflicht sein – vorausgesetzt, Ihr habt über das Legat zu verfügen –, den Charakter der schönen Capriccia selbst 197 gründlich zu prüfen. – Was Ihr weiter von Habsucht und Augenlust redetet, ist mir nicht verständlich gewesen. Da Ihr keinen zweiten Sohn zu haben scheint, kann die Prophezeiung Euch ja im Grunde nicht mehr behelligen. Verbunden aber seid Ihr meines Erachtens – mag der Böse was immer für Pläne gehabt haben – er bekreuzte sich –, nicht von hier fortzuziehn, ohne die unglückliche Schöne versichert zu haben, daß ihre etwa auf Euch gesetzten Hoffnungen bloße Täuschungen sind, daß Ihr mit einem Worte wirklich seid, wofür Ihr Euch ausgebt.

Während er so redete, war Fiammetta eingeschlafen, und Don Luigi vom Tische aufgestanden. Offella nickte in einem Winkel. Niemands Lauschen war zu fürchten.

Don Adone, der schon lange mit sich gekämpft hatte, machte deshalb eine übernatürliche innere Kraftanstrengung, seiner Furcht vor dem Galgen von Castellammare Herr zu werden, und begann endlich wie folgt: Nicht ohne Beschämung, sehr verehrter und gelehrter Herr, erkenne ich die mißliche Lage, in die ich diesem erlauchten Hause und Euch gegenüber geraten bin, und ich würde nicht wert sein, daß mich die Sonne bescheint, wollte ich länger die Schuld, die Eure vertrauensvolle Mitteilsamkeit auf meine Schultern häuft, anwachsen lassen, ohne wenigstens teilweis mit einer Rückzahlung zu beginnen. Ein Weiser des Altertums – ich glaube, man hieß ihn Theophrastos – hat den tiefsinnigen Ausspruch gethan:

Der kollosalste Aufwand ist die Zeit.

Ich möchte, auf unsern Fall angewandt, sagen: Die Zeit, während der man versäumt, zu thun, was zu 198 thun unsre Pflicht ist, kann für die am übelsten genützte gelten.

Ich bin ganz Ohr, verehrungswürdige Signora, sagte Don Peselino sich verneigend und entledigte sich seiner Serviette.

Ich danke Euch, erwiderte Don Adone, wenn ich von meinem Thema abschweife, werdet Ihr die Freundlichkeit haben, mich darauf zurückzuführen. Und also laßt mich fortfahren. In seinem großen Lehrgedichte »Werke und Tage« hat ein alter Dichter des edeln Volks von Hellas – Hesiod mit Namen – die Worte niedergelegt:

Die Hälfte ist mehr als das Ganze.

Ich vermesse mich nicht, über die vielen dieser Stelle zu teil gewordnen Ausdeutungen eine Meinung auszusprechen. Aber wiederum, auf den vorliegenden Fall angewandt, möchte ich mich zu folgender Umschreibung Hesiods bekennen:

Die Hälfte, die ich bezahle, ist mehr als das Ganze, das ich schuldig bleibe,

wohlverstanden für den, der die Zahlung empfängt oder nicht empfängt.

Euer Scharfsinn ist der höchsten Bewundrung wert, sagte Peselino und verneigte sich zum zweitenmale.

Ich danke Euch, lächelte Don Adone, laßt mich fortfahren. Wenn ich, Euer Schuldner, Euch nun etwa nur die halbe Schuld abzahlen sollte, die Ihr von mir zu fordern habt, so wollet Euch freundlich bei dem Ausspruch Hesiods beruhigen. Ich hoffe, ich bin noch bei der Sache.

199 Vollkommen! Und erlaubt mir hinzuzufügen, sagte Don Peselino, indem er sich abermals verneigte, es ist eine Freude, Euch zuzuhören.

Ich danke Euch, versetzte Don Adone, laßt mich fortfahren. Ich sprach zuerst von der Dringlichkeit meiner Eröffnungen, dann von ihrem Umfang. Ich nähere mich nun dem Gegenstande selbst, muß hier aber etwas weiter ausholen. Die Jugend Achills ist Euch bekannt. Um ihn den Gefahren zu entziehn, die die Heldenlaufbahn des Mannes umgeben, steckte seine Mutter ihn in Mädchenkleider und ließ ihn mit den lieblichen Töchtern des Königs Lykomedes auf Skyros erziehn. Ich behalte mir vor, auf dieses Auskunftsmittel und besonders auch darauf zurückzukommen, daß eine Göttin – denn Thetis, die Mutter, war ja eine solche – nicht verschmähte, sich seiner zu bedienen.

Ich werde Euch an beides erinnern, sagte Peselino und verneigte sich von neuem.

Ihr seid die Herzensgüte selbst, sagte Don Adone. Laßt mich fortfahren. Ich komme auf etwas andres, aber es ist nur scheinbar ein Umweg. Wenn ich recht unterrichtet bin, weiß man über die Entwicklung des altgriechischen Schauspiels etwa folgendes. Zuerst – nämlich bis zu des Äschylos Zeit – erlaubte die Sitte in jedem Stück nur das Auftreten eines Schauspielers; zumeist war es der Dichter selbst, und dieser wechselte nach Bedarf so die Rollen wie die Kostüme. Der hochbegabte Äschylos setzte dann durch, daß zwei Schauspieler auftreten durften, von welchen zweien er der eine war. Die Zahl drei wurde durch die Bemühungen des Götterlieblings Sophokles erreicht, der jetzt wiederum von den dreien der eine war. – Obschon nun 200 kein Zweifel darüber sein kann, daß einerseits immer nur Männer in jenen frühen Zeiten die Bühne betraten, daß andrerseits die Stücke aber auch Weiberrollen enthielten, daß somit Männer in Weiberkleidern auftraten und zwar mit erbaulicher Wirkung, so ist doch insonderheit überliefert worden, daß der göttergleiche Sophokles als jugendliche Schöne – nämlich als Nausikaa – auftrat, und daß er in dieser Rolle wegen seines gewandten Ballspiels großen Beifall fand. Auch hierauf zurückzukommen, werdet Ihr mir gütigst gestatten.

Mit Eurer Erlaubnis nehme ich davon Akt, sagte Peselino und verneigte sich nochmals.

Ihr verbindet mich unendlich, dankte Don Adone. Laßt mich fortfahren. Wenn nun aus dem soeben Euch ehrerbietigst Vorgetragnen gefolgert werden darf, daß ein Mann an und für sich nicht als durch das Tragen von Weiberkleidern verunehrt betrachtet werden kann, so möchte der Fall, von dem ein gelehrter Forscher Namens Herodot berichtet, wohl zu der weitern Annahme berechtigen, daß die damaligen Götter an Weiberkleidern sogar ein sonderliches Wohlgefallen hatten. Besagter Herodot erzählt nämlich, aus irgend einem Grunde sei Melissa, die rosige Gattin des Tyrannen Periander von Korinth, als der Tod sie aus diesem Leben abgerufen habe, ohne Kleider verbrannt worden. Bald darauf sei sie dem Periander in nächtlicher Weile als frierender Schatten erschienen, und der erschrockne Tyrann habe, um nachträglich gut zu machen, was versäumt worden war, die sämtlichen vornehmen Weiber Korinths in den Tempel der Hera beschieden, sie dort ihrer Gewänder berauben lassen und diese dann auf dem Altar der 201 grollenden Göttin verbrannt, und infolgedessen sei Melissa nicht mehr von Hera als frierendes Gespenst umher getrieben worden. Auch auf diesen wichtigen Beleg für die richtige Würdigung der Gottgefälligkeit eines Weiberkleides möchte ich noch weiter zurückkommen . . .

Hier wurde Don Adone durch ein Geräusch unterbrochen, das aus der Höhe zu kommen schien. Als er verwundert empor sah, gewahrte er in dem Rahmen des Oberlichtfensters, das in der Gipsdecke des Saales gerade über dem untern Ende der Tafel angebracht war, auf einen Augenblick zu seinem Schrecken das, wie er meinte, ungeduldig nach ihm ausspähende Gesicht der schönen Capriccia, deren dortiges Erscheinen schon ausführlich erzählt worden ist.

Peselino, dessen kurzer und dicker Hals nicht rasch in Bewegung zu bringen war, hatte im Geiste noch mit dem Ausmalen der grausam-originellen Tempelszene vollauf zu thun gehabt, und er konnte nicht auf der Stelle verstehn, was da draußen vorgegangen war.

Gleich darauf folgte aber das Hinausstürzen Luigis, und dann, während Don Adone über das, was er oben zu sehen geglaubt hatte, seinem Tischnachbar Aufschluß geben mußte, war auch Fiammetta auf die schon näher beschriebne Art aus dem Saale verschwunden.

Nur Peselino hatte das Hinauseilen Luigis wie auch bald darauf den Handstreich Ruffos wahrgenommen, und bei seiner genauen Kenntnis der sich in der Villa Tiburzia seit langem kreuzenden Beziehungen folgerte er jetzt mit Recht, daß Luigi dieses mal den Preis seiner Treue und Hingebung davon tragen werde.

202 Neid war nun zwar nicht eigentlich Peselinos Sache, dennoch meinte er, der verliebten Idylle wohl füglich ein kleines Satyrspiel einflechten zu dürfen. Und da der sonderbare Kauz, der im Begriff war, die Signora Lavendola abzustreifen, sich vielleicht auf der Stelle zu einer Störerrolle dieser harmlos volkstümlichen Art verwenden ließ, so sagte Peselino mit einiger Ungeduld: Ich würde mich glücklich schätzen, Signora, Euch noch Stunden, ja Tage und Nächte lang zuzuhören. Die Aufregung der schönen Capriccia mit Bezug auf Euch und jene Prophezeiung scheint aber eine solche Höhe erreicht zu haben, daß es Frevel wäre, wollten wir sie darin belassen. Möchtet Ihr daher nicht einen Versuch machen, in möglichst wenig Worten mir jetzt das Geheimnis anzuvertrauen, das Ihr mir in Aussicht stelltet, und würde es sich dann nicht empfehlen, daß Ihr Euch unverzüglich mit der schönen Capriccia auseinander setztet?

Don Adone holte ein paarmal tief Atem. Ihr habt hundertmal Recht, sagte er, aber . . .

Kein Aber, beste Signora! bat Peselino, laßt hören!

Es wird mir schwer.

Desto froher werdet Ihr sein, wenn es heraus ist.

Ich glaube selbst.

Und also . . .?

Nun denn, sagte Don Adone, indem er sich räusperte, und seine Miene nahm einen gewissen Ausdruck martialischer Entschlossenheit an, wie ihm dies wohl auf kurze Augenblicke zu begegnen pflegte, wenn guter Wein sein Blut erwärmt hatte, und diese Wirkung mit der Erkenntnis einer gebieterischen Pflicht zusammen traf, nun denn: ich bin nicht Signora 203 Lavendola, sondern bin Don Adone von Sant' Aniello, und meine Begleiterin ist nicht Don Gufo, sondern ist die kleine Pflegerin meiner seligen Mutter und hört auf den Namen Fiammetta.

Peselino hatte den Erstaunten spielen wollen, aber Don Adone, der während des Sprechens in nichts weniger als weiblicher Haltung von seinem Stuhle aufgestanden war, schien ihm plötzlich ein so reckenhafter und bedrohlich kräftiger Gesell, und das Bewußtsein, ihn gehänselt zu haben, war deshalb für den Exabbate so beunruhigend, daß er nur stumm und starr den Mund aufzusperren vermochte. Der könnte mich zermalmen! schoß es ihm durch den Sinn. Sein nächster Gedanke galt einem schleunigen Rückzug. Um diesen in möglichst wenig auffälliger Weise zu bewerkstelligen, gab er, indem er sich ebenfalls erhob, zu verstehn, oder versuchte wenigstens, wenn auch höchst ungeschickt, zu verstehn zu geben, seine Überraschung sei so maßlos, daß er sich erst von ihr erholen müsse, ehe er über die jetzt völlig neue Sachlage eine Meinung abgeben könne.

Gewiß, edler Don, setzte er hinzu, ich danke Euch für Euer Vertrauen und versichere Euch, daß ich es zu schätzen weiß. Aber kommt ins Freie; der Mond wird bald aufgehn, und das gute Mädchen dort in der Ecke hat längst schon die Augen nicht mehr offen halten können.

Er ging auf Offella zu, die schlafend und offnen Mundes, mit den Armen hinter dem Kopfe, rücklings gegen die Wand des hohen citronenhölzernen Tellerschranks lehnte. Räume ab, gute Seele, sagte er und klopfte ihr die Wangen, bis sie gähnend in die Höhe taumelte. Dann, nach einem unheilahnenden 204 Blick auf Don Adone, komplimentierte er ihn mit der nervösen Höflichkeit eines sich vor der Abrechnung Fürchtenden ins Freie hinaus, indem er zögernd folgte. 205

 

 


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