Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)
Don Adone
Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Während sich der Governatore durch die Allee von Granatbäumen, die von der Granguardia bis zu dem Palast Carraccioli reichte, in der heitersten Laune unbemerkt nach dem Palast hinüberbegab, dankte der Reisegenosse Fiammettas im stillen allen Göttern, von denen ihm jemals Kunde geworden war, für die glimpfliche Wendung, die das Verhör genommen hatte. Sogar für den gefürchteten Bargello fühlte er eine sympathische Regung, zumal da einige gelehrte Floskeln, mit denen ihm dieser zu dem nachsichtigen Tone des Governatore gratuliert hatte, wie dies immer bei Don Adone der Fall zu sein pflegte, auf sehr guten Boden gefallen waren.

Don Boltraffio durfte in der That für einen Mann gelten, mit dem sich handeln ließ, wenn er auch, so lange dies verabsäumt wurde, sehr unangenehme Manieren herauskehren konnte. Zwar hatte er nicht eigentlich eine gewinnsüchtige Ader, und beim Glase Wein oder in Stunden erotischen Wohlergehns war er sogar die Freigebigkeit selbst. Seine 311 Xanthippe jedoch sorgte dafür, daß ihm der Grundsatz gegenwärtig blieb, man dürfe aus Rücksicht auf seine Amtsnachfolger keine Sportelgewohnheit einschlafen lassen. Sie führte den prächtigen Namen Carmosina und war vor Jahren eine Schönheit ersten Ranges gewesen, hatte auch, seit sie dem Kultus des Bacchus etwas mehr als billig zugethan war, keine Ursache gehabt, über das Verbleichen ihres Wangenrots zu klagen; aber da ihr Gatte weit lieber auf einen Teil ihrer robusten Reize verzichtet hätte, als auf eine wenn auch noch so bescheidne Portion weiblicher Sanftmut, so war er aus einem verhältnismäßig nicht gemütlosen Menschen ebenfalls zu einem Trinker geworden – und zwar zu einem sehr unberechenbaren –, und seine liebenswürdigern Herzens- und Charaktereigenschaften hatten sich merklich vermindert.

Es war ihm nun nicht entgangen, daß der Mönch schon während des Transports hin und wieder Griffe nach seiner linken Hüfte gethan hatte, wie als habe er dort etwas Wertvolles verborgen und werde durch die Sorge vor dessen Abhandenkommen immer von neuem gedrängt, sich von dem Gegenteil zu versichern.

Im Grunde hielt er diese Annahme nun zwar nicht für ganz glaublich, denn Klosterleute sind ja selten mit Geld versehen, auch solche, die den reichsten Klöstern angehören. Die Möglichkeit aber, daß sich die Flüchtlinge von außen Barschaft verschafft, oder daß sie Wertsachen mitgenommen hatten, war nicht ausgeschlossen, und Signora Carmosina – das sah Don Boltraffio voraus – würde ihm jedenfalls das Bad empfindlich heizen, wenn er eine Schröpfung vorzunehmen nicht mindestens versuchte.

312 Nachdem daher Don Boltraffio pflichtgemäß den Delinquenten, wie der Befehl des Marchese lautete, nach dem Schloßgefängnis abgefertigt, ihn jedoch nicht fortgelassen hatte, setzte er sich mit dem Mönch zu einem vertraulichen Plauderstündchen nieder, einerseits um seine Razzia zu versuchen – behutsam und höflich, denn nach des Marchese Geheiß durfte der Mönch nicht belästigt werden –, andrerseits um den studierten Zivil-Bargello besser als bisher herauszukehren, eine seiner liebsten Verrichtungen.

Das niedrige Gemach, worin Don Boltraffio jetzt mit dem Mönche in halber Vertraulichkeit niedersaß, ein enger, mit zwei Gitterfenstern versehener Raum, übelriechend und dumpfig, aber durch eine Strohflasche und zwei Gläser, die der Bargello auf den Tisch stellte, doch auch in gewissem Grade behaglich, war nun Zeuge folgender Unterhaltung.

Zunächst bat Don Boltraffio höflich um Vergebung, wenn er seines Amts vorhin vielleicht mit zu viel Eifer gewartet habe. Aus der gnädigen Miene des Signor Governatore schließe er, daß der Signor Frate imstande gewesen sei, sich genugsam zu legitimieren; auch glaube er erlauscht zu haben, daß der Signor Frate dem Signor Governatore mit einem gelehrten Zitat gedient habe, das den Signor Governatore einigermaßen außer Fassung gebracht hätte. Da er – Don Boltraffio – nun nicht oft Gelegenheit habe, sich im Gespräch mit einem gleich ihm studierten Manne alter schöner Musentage zu erinnern, so bitte er den Signor Frate, mit ihm auf vergangne fröhliche Zeiten anzustoßen – das noch zu erledigende Geschäft der Visitation werde dabei in aller Gemütlichkeit abgemacht werden können.

313 Die letzten Worte machten, daß der im Steigen begriffne Gradmesser der Stimmung Don Adones wieder ins Fallen umschlug. Ich kann Euch versichern, edler Signor Bargello, beteuerte er, daß keinerlei Visitation nötig ist.

Wieso nicht nötig? schmunzelte Don Boltraffio; per Bacco! wie zitiert noch Cicero in seinen Paradoxen die Worte des Philosophen Bias, der ohne Habe aus seinem Vaterlande floh – Omnia mea mecum porto – »Das Meinige führe ich alles bei mir.« Meint Ihr, ein Zivil-Bargello, der den Philosophen Bias festgehalten hätte, würde sich bei einer solchen Antwort beruhigt haben? Auch Ihr habt diese selbe Devise, Signor Frate, wie jeder Eurer ehrenwerten Genossen. Aber was ist »das Meinige«? Darüber verlangt der Staat Aufschluß. Trinkt aus. Ich bin für gute Argumente nicht unzugänglich, aber gut argumentiert muß werden. Ihr sagt, eine Visitation sei nicht nötig. Warum ist sie nicht nötig? Argumente, Signor Frate, Argumente. Audiatur et altera pars, beim heiligen Seneca! auch die andre Partei komme zu Wort! Aber Argumente, Signor Frate, Argumente!

Er war herrlich in Zug gekommen und schüttelte, während Don Adone bewundernd zuhörte, das zur Zeit seiner hohen Schulstudien leidlich gefüllte, jetzt aber freilich stark zerlöcherte Gelehrsamkeitstäschlein seines Gedächtnisses um und um. Argumente! Signor Frate, rief er dann von neuem, Argumente! Warum ist eine Visitation nicht nötig?

Und dabei mußte Don Adone immer anstoßen.

Endlich konnte auch der Mönch zum Antworten gelangen. Ihr seid ein so grundgelehrter Mann, Signor 314 Bargello, sagte er, daß Ihr jedenfalls den großen Denker Aristodemos kennt.

Gewiß, versetzte Don Boltraffio in den Tag hinein, nicht ohne sich im stillen mit einem leisen Gewissensschauder der Zeit zu erinnern, wo er den griechischen Vokabeln vorsichtig aus dem Wege gegangen war. Trinkt aus, Signor Frate, trinkt aus!

So erinnert Euch gefälligst, edler Don Boltraffio, fuhr Don Adone fort, daß nach dem Ausspruch des Aristodemos nur das nötig ist, dessen Unterlassung einen Nachteil im Gefolge hat.

Das sagt er, bestätigte Don Boltraffio auf gut Glück; das sagt er.

Als einen Nachteil, fuhr Don Adone fort, kann aber nach der weitern Ausführung des weisen Polemon nicht der Verlust einer Augenweide gelten, die alltäglicher Art ist. Nur etwas derartiges nun würde für Euch bei eingehender Prüfung meiner Kleidungsstücke herauskommen. Folglich ist die Visitation unnötig.

Don Boltraffio blickte eine Weile auf seine Fingernägel. Er hatte Respekt vor einem logisch konstruierten Satz. Aber er sah zugleich ein, daß er die gelehrte Überlegenheit des Mönchs nicht mit bloßer Lateinerweisheit aus dem Felde schlagen würde, und er beschloß daher, den Disputierspieß umzudrehn.

Ich mußte mich einige Augenblicke besinnen, sagte er, denn im Amte vernachlässigt man seine Studien; jetzt fällt mir aber ein, daß gerade der weise Polemon sich an einer andern Stelle, wo er über die Sicherheit des Staates spricht, folgendermaßen ausdrückt: Sofern ein Mensch, dessen Thun und Lassen du zu beurteilen 315 hast, sehr rundlich aussieht, da halte ihn für verdächtig und gehe ihm auf den Kern. – Er machte dabei ein möglichst gelehrtes Gesicht, schlug dem Mönche aber doch vertraulich auf den Bauch.

Dieses Ausspruchs, versetzte Don Adone in steigendem Unbehagen, erinnere ich mich nicht, möchte aber doch in aller Bescheidenheit zu Gunsten der rundlichen Form auf eine Äußerung des gelehrten Platon hinweisen.

Des gelehrten Platon? vortrefflich, er war immer mein Lieblingsschriftsteller, versetzte der Bargello.

Don Adone verneigte sich und fuhr fort: In der ihm eignen Knappheit des Ausdrucks sagt dieser große Denker: »Die Welt ist kugelförmig, ebenso wie ihr Erzeuger.« – Ist nun, fahre ich mit Eurer Erlaubnis fort, der Weltenschöpfer kugelförmig, und muß nach der weitern Meinung des weisen Karneades unser Bestreben dahin gehn, ihm möglichst ähnlich zu werden, so sollte mir, glaube ich, die von Euch an mir beobachtete Rundlichkeit in Euern Augen eher zur Empfehlung gereichen als zur Verdächtigung. Dieses Argument werdet Ihr, denke ich, gelten lassen.

Don Boltraffio fand die Nuß etwas hart zu knacken, doch gedachte er der schneidigen Zunge seiner schwer zu beruhigenden Signora Carmosina und ließ sich darum keine Mühe verdrießen, seinem eigentlichen Zwecke dennoch näher zu kommen. Auch diese zwei trefflichen Aussprüche, versetzte er, sind mir sehr wohlbekannt, Signor Frate. Gerade der letzte, höchst umsichtige Denker kommt jedoch in seiner Abhandlung über die Geheimnisse der Götter auf die sogenannten verborgnen Dinge zu sprechen und gelangt unter Hinweis auf die feuerspeienden Berge zu dem Schluß, 316 daß die Götter den Vorhang dieser Geheimnisse nicht, wie sie es doch thun, hie und da lüften würden, wollten sie den Forschertrieb des Menschen einschläfern. Daran knüpft der große Philosoph die auf jeden guten Bürger des Staates, zumal aber auf dessen dazu berufne Beamte abzielende dringende Ermahnung, bei Visitationen mit Gründlichkeit zu verfahren. Was sagt Ihr zu diesem Argument?

Bei den letzten Worten that er einen Griff nach der linken Hüfte des Mönchs, und ein muntrer Klang von Goldstücken gab ihm Bescheid.

Don Adone verstummte, Don Boltraffio schob die leergetrunkne Strohflasche mit dem Ellbogen auf die Seite, stand auf und holte ein Taschenmesser hervor.

Wäret Ihr an einen Militär-Bargello geraten, Signor Frate, begann er begütigend von neuem, indem er das Messer auf der Tischplatte wetzte, so würdet Ihr jetzt bis unter die Fingernägel nach Feilen, Dietrichen und sonstigen verbrecherischen Utensilien untersucht werden. So verlangt es das Gesetz, und der damit betraute Mann müßte wohl oder übel seine traurige Schuldigkeit thun. Anders steht es glücklicherweise mit den für einen Zivil-Bargello geltenden Vorschriften. Da nur Studierte dieses Amt bekleiden, so stellt der Staat in ihr Ermessen, in welcher Weise sie visitieren wollen. Nun ist schon, wie Ihr wißt, von einem der klarsten Köpfe des Altertums der Beweis geführt worden, daß, wenn das Faß des Diogenes nicht diesen ehrlichen Alten enthalten hätte, sondern Wein, und zwar in gehörigem Verschluß, daß sich dann das Verhalten des Ungelehrten von dem des Gelehrten beim Ermitteln des Inhalts besagten 317 Fasses wie folgt unterschieden haben würde: Der Ungelehrte hätte die Reifen und Dauben ausgebrochen, sodaß der Wein darüber verschüttet worden wäre, der Gelehrte hätte sich mit einem Bohrloch begnügt. – Schneidet auf, Signor Frate, auch wir wollen uns an einem Bohrloch genug sein lassen.

Don Adone hatte allmählich verstanden, um was es sich handelte: die Erbschaftstasche sollte herhalten. Er war darüber nicht wenig betrübt und suchte das große Unglück dadurch abzuwenden, daß er vorgab, ihm werde beim Hantieren mit scharfen Gegenständen allemal ganz schlimm zu Mute, eine hoffentlich entschuldbare Idiosynkrasie oder Antipathie, da ja selbst dem erhabnen Weltweisen Pythagoras übel zu werden pflegte, so oft er nistende Schwalben sah oder nicht gehörig zugedeckte Betten oder gar Kochtöpfe mit abgestoßnen Nasen.

Diese letzten, sagte Don Boltraffio, sind auch mir ein Greuel, zumal wenn sie nicht eins meiner Leibgerichte enthalten, und ich finde überhaupt, setzte er hinzu, daß man im Leben einander nach Möglichkeit Unangenehmes abnehmen soll. Bei diesen Worten that er selber, unter Aufzählung einiger seiner Leibgerichte, mit dem Messer einen herzhaften Kreuz- und Querschnitt in das dicke Tuch der Kutte, und nun mußte sich Don Adone bequemen, in die dadurch zu Tage gekommne Tasche selbst hinabzugreifen.

Auf diese Weise wanderte eine Zecchine nach der andern in die Hand Don Boltraffios, der diese Besitzübertragung, so oft Don Adone aufhören wollte, mit der Bemerkung wieder in Fluß brachte: nur auf diese Weise sei der Signor Frate vor den Prozeduren des Bargello armato sicherzustellen, und es freue ihn recht 318 herzlich, einem Bruder Studio solcher Art über alle Unannehmlichkeiten hinauszuhelfen.

Wie viel oder wie wenig von dem Vermächtnis der Signora Trasi bei dieser Hilfleistung übrig bleiben würde, erwog Don Adone inmitten seines verdrießlichen Geschäfts eben noch mit niedergeschlagnem Gemüt, als das Aufspringen der Thürklinke der Sache plötzlich ein Ende machte. Silvestro hatte draußen den Klang der Zecchinen gehört und steckte sein schwarzbärtiges Gesicht mit der Frage ins Zimmer, ob Don Boltraffio gerufen habe?

Komm herein, guter Silvestro, schmunzelte der Bargello und ließ Don Adone seine Kutte wieder in Ordnung bringen, ja freilich habe ich gerufen. Und hier schenkt der Signor Frate dir eine von unserm heiligen Vater selber geweihte Münze. Küsse dem Signor Frate die Hand. Du kannst, wenn du die Münze am Halse trägst, künftig von keiner Pike und von keinem Spieße geschädigt werden, guter Silvestro. So, das wollte ich dir sagen. Und jetzt sorge, daß der Signor Frate auf der Stelle nach dem Schlosse hinübergeschafft wird. Aber ohne alle Belästigung, guter Silvestro. Du stehst mir mit deinem Kopfe dafür. Ohne alle Belästigung.

Und so endete auch diese Schmerzensstunde Don Adones, und bald marschierten die drei Sbirren mit ihm ab. 319

 

 


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