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Die Götterbastion Trichinopoli

Auf dem Rücken des mächtigen Felsens von Trichinopoli und im Innern seiner geheimnisvollen Gesteinslabyrinthe vereinigt sich weltliche Kraft und Willensäußerung mit der gewaltigen, geistigen Macht des brahmanistischen Glaubens. Krieger und Priester altindischer Geschlechter haben dort den wehrhaften Fels zum kraftvollen Hüter und Beschützer ihrer religiösen und politischen Bestrebungen geschaffen. Tempel und Bastion sind in enger räumlicher und geistiger Verbundenheit miteinander und gleichen dem Symbol des unerschütterlichen Herrschertums, mit welchem der Brahmanismus den Feinden seines Glaubens trotzte.

Trichy selbst ist eine unbedeutende Stadt, die am rechten Ufer des Flusses Kaveri liegt und etwa 80 000 Einwohner zählt. In ihrem nördlichen Teile erhebt sich der riesige Felskoloß, der wie der Rücken eines gigantischen Ungeheuers aus der Ebene emporragt. Schützend breitet der graue Gneis seinen starren Körper um die Heiligtümer, die tief in dem ausgehöhlten Leib des Felsens verborgen liegen, und durch dumpfe Gänge, reliefgeschmückte Felsgalerien und Treppen, die wie Hohlwege ins Gestein versenkt sind, steigen wir hinauf zum Heiligtum Shivas. In düsterem Dämmerlicht liegen diese Schächte, deren rauhe Wände von den feuchten Niederschlägen mit einer schlüpfrigen, graugrünen Patina des Alters überzogen sind. Die ewig wandernden Scharen von Gläubigen und Pilgrimen, die aus allen Gebieten des Reiches herbeikommen, steigen jährlich durch dieses Felsenwirrsal hinauf zur Höhe dieser mysteriösen Götterwohnungen. Welche Mühe mag allein dazu erforderlich gewesen sein, diesen mächtigen Felsblock in seinem Innern auszuhöhlen und seine Tiefen den Menschen zugänglich zu machen! Zwischen senkrecht aufsteigenden Klüften und hohen Gesteinsspalten dringt spärliches Tageslicht zu uns herab. In den unzähligen Felsgalerien und Verliesen, die wie unterirdische Grüfte zu beiden Seiten in das Gestein hineinführen, herrscht tiefe Finsternis. Feuer, die in Opferbecken flackern, und ewige Lampen, die mit Kokosöl gespeist werden, beleuchten gespenstisch die Götterbilder, die in reliefhafter Vertiefung den gewachsenen Stein der Hallen und unterirdischen Kolonnaden schmücken.

Vor einem dieser Altäre, der das Bild Shivas in einer grotesken Verkörperung, in wilder, tanzender Bewegung zeigt, haben Pilger Mengen von Hibiskusblüten gestreut, so daß wir auf einem weichen Teppich von sterbenden Blumen wandeln. Auch die Götterbilder sind mit duftenden Blumengewinden geschmückt. In Opferschalen schwelen glimmende Sandelholzfeuer, die einen scharfen, aromatischen Wohlgeruch verbreiten. Alle diese unzähligen Aushöhlungen, die aus dem natürlichen Felsen gemeißelt sind und regellos wie riesige Maulwurfgänge den Fels durchqueren, sind mit phantasievollen, plastischen Bildwerken geschmückt, die mit ihren erschreckenden und lebendigen Ausdrucksformen in der Seele des fremden Beschauers ein Gefühl von Furcht und Grauen erwecken. Und überall umgibt uns dämmerhafte Dunkelheit, welche die bizarren, fratzenhaften Bilder zu unfaßbarer Unbestimmtheit verschwimmen läßt und die Schreckhaftigkeit dieser drastischen Formgestaltung steigert.

Mit einem flackernden Windlicht schreitet der Führer, ein Brahmane, vor uns her. Schauerlich hallt das Echo unserer Stimmen und Schritte unter den feuchten Gewölben, und es ist, als ob gespenstische Scharen unsichtbarer Geister unserem Wege folgen. Für den Uneingeweihten ist es mit Lebensgefahr verbunden, ohne Führung in diesen unterirdischen, unheimlichen Felsentempeln umherzuwandern, denn oft plötzlich enden Gänge und Stufen in abgrundtiefer Finsternis, aus der uns ein kühler Hauch entgegenweht. Steine, die in jene dunkeln Schlünde hinabrollen, zeigen uns durch das Geräusch ihres Aufschlages die unergründlichen Tiefen dieser Schächte, deren Sohlen weit unter der Erdoberfläche liegen. Wo wir hinblicken, an Decken, Pfeilern und sogar auf den abgenutzten Steinfliesen des Fußbodens, sehen wir die heiligen Insignien der Götterverehrung. Kein Baum, keine Fläche ist bar von diesen herrlichen Ausdrucksformen eines hohen, gläubigen Sinnes, der dem Geist und den Händen dieser Menschen eine fast übermenschliche und schöpferische Kraft verliehen hat.

Langsam steigen wir höher und höher hinauf. Wir gelangen durch Krypten, die romanischen Kirchenschiffen ähneln und mit reichen Steinskulpturen und wunderlich naiven Fresken in endlos übereinander geordneten Friesen geschmückt sind. Endlich erreichen wir einen Treppenaufgang, der uns wieder den Weg zu dem strahlenden Licht des Tages öffnet. Auf der oberen Plattform des Felsens angelangt, grüßt uns das Leuchten der Abendsonne, die sich inzwischen hinter den Palmenwäldern dem Horizonte genähert hat. Neben der wehrhaften Festung krönt ein kleines Heiligtum Wischnus die Spitze des Felsens. Goldene Reflexe eines warmen, schimmernden Lichtglanzes liegen über der Landschaft, die sich wie ein stilles Meer um die Felseninsel schmiegt. Dort oben in der Kühle des leise herniedersteigenden Abends fühle ich mich nun von der dumpfen, unheimlichen Enge, die mich in diesen verborgen liegenden Felsengängen umfangen hielt, befreit. Ein großer Steinwall, durch dessen Schießscharten der gelbe Abendhimmel sein blendendes Licht wirft, umschließt die Felsenplattform, von der ich einen herrlichen Blick über die weithin gelagerte, mit fruchtbaren Wäldern und Hainen bedeckte Ebene genieße. Bläuliche Rauchfahnen schweben wie leichte Nebel über dem weiten Meer der Häuser und Gärten, die in friedlicher Ruhe um den Fuß dieser schützenden Tempelfeste ausgebreitet sind. Im letzten Lichte der sinkenden Sonne blinkt der heilige Teich zwischen den Häusern der Stadt. In seiner ruhigen, dunkeln Wasserfläche zeigt sich das Spiegelbild der wundersamen, alten Felsenburg in zitternden Umrissen und sattem Farbenspiel.

Fern klingt das Geräusch der Stadt zu mir herauf. Hinter den Palmenwäldern, aus deren dämmerigem Schatten die großen Scharen dieser nächtlichen Gesellen, die fliegenden Hunde, flattern, erheben sich in scharfen Umrissen gegen die Lichtfülle des blendenden Abendhimmels die achtzehn großen Tempeltürme der heiligen Stadt Srirangam. Ihre Tempelwunder liegen 7 km von Trichinopoli hinter dem Palmenmeer verborgen und bilden eine Fortsetzung dieser mysteriösen Heiligtümer, die in dem Leib des Felsgesteins von Trichy in geheimnisvoller Verborgenheit träumen. Als ich in der Frühe des nächsten Tages dort hinüberfahre, begegnen mir unterwegs lange Züge von Pilgrimen, die von einem Opferfest in Srirangam kommen, um mit der Eisenbahn in ihre ferne Heimat im Norden zurückzukehren. Früher geboten es die Gesetze des Glaubens, diese Wallfahrten unter großen, körperlichen Entbehrungen zu Fuß zurückzulegen. Heute schließt selbst der orthodoxe Hindu einen Kompromiß mit der Welt der Ungläubigen und zieht aus den mit seinen Glaubensgrundsätzen in Widerspruch stehenden, modernen Verkehrseinrichtungen, auf Kosten seines Seelenheils, einen Nutzen.

Der Weg nach Srirangam führt in Palmenwälder, durch die sich die rote Straße wie ein tief eingeschnittener Hohlweg hindurchwindet. Auf einer gewaltigen Brücke überquere ich den Fluß Kaveri, der träge in einem schmalen, vertrockneten Sandbett dahinschleicht. Nackte Menschen, Fischer und Pilgrime, die im heiligen Wasser des Flusses baden, beleben die Ufer. Dunkle Körper von Krokodilen liegen träumend, der Harmlosigkeit der Menschen vertrauend, auf den flachen Sandinseln. Weit hinter dem Meer der Palmen teilt sich das Wasser des Flusses, und mit seinen gewundenen Armen umfängt er die Tempelstadt Srirangam, deren Gopurams die höchsten der schlanken Palmenstämme um das Dreifache überragen. Viele Türme, an denen der Reichtum drawidischer Bildhauerkunst Orgien phantastischer Ausdrucksformen feiert, umfassen die Heiligtümer des gütigen und segenspendenden Wischnus.

Srirangams Tempelbauwerke gehören zu den reichsten Schöpfungen, die aus der Blütezeit althinduistischer Kulturperiode stammen. Ihre Entstehung fällt in das sechzehnte bis siebzehnte Jahrhundert. Hohe schützende Mauern schließen die Wohnung dieser mystischen Götterwelt wie eine Festung ein. Es ist unmöglich, dieser Überfülle von fremdartigen Linien und unendlich belebten Formen, die das Auge beim Betreten der weiten Tempelhöfe und Hallen erfaßt, zu folgen. Und trotz all dem überschwenglichen Formenreichtum, der hier aus den durchgeistigten Darstellungen dieser Bildwerke zutage tritt, klingen die reichen Formgestaltungen plastischer und architektonischer Kunst in wunderbar harmonischer Weise überein. Alles ist mit dem genialen Maß höchsten künstlerischen Empfindens und Denkens erschaffen, und nicht einzelne sind es gewesen, die von dieser hohen Begabung erfüllt ihren Göttern diese Welt der Wunder erschaffen haben; ja ganzen gläubigen Geschlechtern war es beschieden, mit der Größe ihres Geistes und der Kunstfertigkeit ihrer Hände den göttlichen Idolen ihres Glaubens diese Denkmäler zu erschaffen. Nirgends beobachten wir das Schema bloßen handwerklichen Könnens und die Wiederholung sich gleichender Formen, und überall sind es sinnvolle Varianten dieses figuralen und ornamentalen Schmuckes, der hier den Stein in der vorstellungsreichsten Formgebung belebt.

Eine große Menschenmenge, brahmanistische Priester, Volksheilige, asketische Sadhus, Tempelmusikanten, Bettler, heilige Tiere, Elefanten und Zebus bevölkern das Innere der Höfe und offenen Hallen. Das Leben der Menschen im Tempel bietet hier dasselbe Bild des bunten religiösen und zugleich weltlichen Treibens, wie man es in den übrigen Hindutempeln des Südens beobachten kann. Man hat den Eindruck, als ob das Volk, das die Heiligtümer und ihre Umgebung vom frühen Morgen bis zum Abend belebt, sein ganzes Dasein nur den Idealen seines Lebens, seinem Glauben und seinen Göttern weiht, und von nichts anderem erfüllt ist wie vom Wallfahren, Beten und mit Inbrunst den Götzen aus Stein opfern. Doch vielen im Volke bringt dieses Dasein voller Frömmigkeit materiellen Gewinn und Reichtum, und nirgends in der Welt treibt das Bettler- und blinde Mitläufertum, das Fischen im Trüben, solche Blüten wie im religiösen Leben des indischen Volkes. Ungeheure Reichtümer werden aus den Sparpfennigen der Millionen von Gläubigen gewonnen. Tempelgemeinden, Klöster, Priester und Volksheilige besitzen oft märchenhafte Vermögen, deren Werte sich in meist eigennütziger und in wenig selbstloser Weise verflüchtigen. In Indien ist es nicht nur das Volk und seine Priester, die betteln, sondern auch die heiligen Tiere des Tempels, die leibhaften Inkarnationen der Götter, sind auf das quälende Heischen des religiösen Tributs abgerichtet. Mit klugen Augen und bittendem Schwenken des Rüssels fordern die in den Tempelhöfen herumlungernden heiligen Dickhäuter von dem Fremden das Almosen. Überall recken sich die dürren, mageren Arme halb verhungerter Gestalten mit den Bettelschalen, und unaufhörlich hört man das wimmernde Klagen und Bitten abgezehrter Hungergestalten, mit schrecklichen Krankheiten behafteter Siecher, aschengeschminkter Sadhus und fordernder Priester.

Auch Srirangam hat seinen Teich, der den Tempelbesuchern zu rituellen Waschungen dient. Wie in den übrigen Tempeln des Südens sind seine Zugänge und Ufer belagert von nackten, braunen Gestalten, die in diesem Becken baden, sich erfrischen, ihre bunten Tücher und Wäsche waschen oder das heilige reinigende Wasser trinken. Im Hintergrund der Tempelstadt blickt dem Beschauer eine endlose Pfeilerfassade, die Halle der Tausend Säulen, entgegen. Es ist ein langgestreckter Wald von Pilastern, der sich über einem reich profilierten, mit den rot-weißen Farben Wischnus bemalten Unterbau erhebt und eine kolonnadenartige Halle umschließt. Jede dieser Säulen, die die ungeheure Last der flachen Steinbedachung stützen, ist in der Form des Skulpturenschmuckes verändert, und doch bietet die gesamte Front dieser meisterhaften Architektur einen überaus einheitlichen Eindruck.

Ungehindert trete ich von einem dieser almosenbittenden Brahmanen geführt in die verborgenen Heiligtümer und Schatzkammern des Tempels. Die Wucht der Eindrücke, die den Fremden beim Betreten der in mystisches Dämmerlicht gehüllten Tempelräume bestürmen, erregt ein Gefühl sinnbetäubenden Rausches, der sich durch die Wohlgerüche heiliger Flammen und den süßlichen Duft verwesender Blumen- und Blütenopfer, welche die Altäre und Götterfiguren schmücken, zu einer atemraubenden Beklemmung steigert. Ringsumher erheben sich aufbäumend die schweren massigen Formen phantastischer Steingebilde, Streitrosse, kämpfende Götter und Fabeltiere, die in der wilden Bewegung eines unruhevollen Rhythmus auf und nieder steigen. Magisch leuchtet das spärliche Tageslicht in das Reich der gespenstisch belebten Finsternis, in der die flatternden Geister einer nächtlichen Tierwelt ihr spukhaftes Unwesen treiben. Zwischen Altären und göttlichen Idolen lagern auf den Steinfliesen des Bodens die angehäuften Reste von Unrat und der Kot, der von heiligen Kühen herrührt, die im Halbdunkel des Steinlabyrinths träge, wiederkäuend ruhen und sich durch die Schar der kommenden und gehenden Menschen, die sie füttern und hegen, nicht stören lassen. Aus dunkeln Hallen tönt das Psalmodieren der Priester. Geschmückte Tempelmädchen mit fahlen, olivfarben geschminkten Gesichtern blicken wie gefangene Tiere hinter den vergitterten Wänden, welche die geheimnisvollen Tempelwohnungen der Brahmanen von den offenen Hallen trennen, hervor.

Froh begrüße ich das Licht des Tages, als ich aus der düsteren, kühlen Tempelstadt wieder in die Freiheit der von dem würzigen Dufte üppiger Vegetation erfüllten Natur hinaustrete. Denn wie ein zauberhafter, suggestiver Bann hält die geheimnisvolle Mystik, die unter diesen dunklen steinernen Göttergewölben wohnt, die Seele des Menschen gefangen. Während der Abend- und Nachtstunden, die ich in der Stille des Hauses der Rast zubringe, wirbeln die Erinnerungen vergangenen Erlebens wie traumhafte Phantome in der Welt meiner Gedanken vorüber. Doch noch sind die Ereignisse überwältigenden, eindrucksvollen Geschehens für mich nicht zu Ende, denn morgen führt mich der Weg weiter in eine der östlich gelegenen Tempelstätte, nach Tanjore, welche ein weiteres Glied in der langen Kette dieser weihevollen Kultstätten des Hinduismus im Süden Indiens bildet.


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