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Das Haus der Rast in den Bergen

Einsam liegt das kleine Bungalow an einem öden Gebirgshang, der wie eine Halbinsel in die Tiefe eines kraterartigen Abgrundes hineinragt. Es ist das Haus der Rast, in welchem wir häufig auf unseren Jagdstreifen in den wilden Gebirgsgegenden des südlichen Indiens Unterkunft finden. Dach und Mauern sind mit der grün-grauen Patina feuchter Zersetzung überzogen, und rings um das einsame, ruinenhafte Haus wuchert das dichte Gestrüpp des Urwaldes. Eine Flut von Lianen rankt um Fenster und Türen, hinter denen die einsamen, dämmrigen Kammern liegen, und es ist, als ob dieser Ort schon seit Jahrhunderten in trauriger Vergessenheit liegt.

Uns ist dieses Haus der Rast nicht unbekannt. Denn vor nicht allzu langer Zeit fanden wir unter seinem Dache Schutz und Zuflucht, während draußen über dem Gebirge das schwere Wetter des Nordwest-Monsuns tobte. Damals war der Aufenthalt in den Wäldern durch die Feuchtigkeit und die damit verbundene schwere Blutegel- und Fiebermückenplage zur Unmöglichkeit und großen Gefahr geworden. Wir erlebten zu jener Zeit in dem unheimlichen, ruinenhaften Gemäuer des Hauses einen furchtbaren, nächtlichen Gewittersturm, der nach einem schwülen Tage die Wildnis in ein wahres Inferno verwandelte. Es schien uns, als ob in dieser unheimlichen Nacht das Vorgebirge, auf dem sich das Bungalow befand, in den Schlund einer feuerspeienden Hölle versinken wolle. Ewiges Brüllen des Donners, dessen Echo sich hundertfach an den Wänden der steilen Berge brach, und das fahle Leuchten der Blitze zerriß die Finsternis der Nacht. Ringsumher dröhnte gespenstisches Ächzen und Stöhnen der von dem Orkan geschüttelten Urwaldriesen, und über uns schwankte das ausgehöhlte Gerippe des morschen Dachbodens, dessen Gebälk auf uns herabzustürzen drohte.

Noch heute finden wir bei unserer Wiederkehr an einem Frühlingsmorgen die Spuren der Verwüstung, die jenes nächtliche Wetter in der Umgebung des Bungalow angerichtet hatte. In der Nähe liegen die vom Sturme gefällten Stämme des Urwaldes, die wie gebrochene Säulen eines eingestürzten gigantischen Tempels durcheinander liegen. Aus ihren vom Blitze erschlagenen Leibern wuchert bereits das ewig-triebhafte Leben des Urwalds hervor. Lianen und schlingendes Blättergewirr haben bereits die Ruinen des Dschungels mit einem grünen Leichentuch bedeckt, und aus der Fäulnis der Baumleichen erheben sich die geisterhaft blassen Häupter der Orchideen, die zwischen brennendroten, duftenden Blüten und einem Rankenwerk von Dornengewächsen auf dem erstorbenen Körper der Bäume ein Fest der Auferstehung feiern. Tief unten in dem Bergkrater, an dessen steilen Wänden einst die Wolkentrümmer des Sturmes brandeten, blicken wir jetzt hinab auf das unendliche Blättermeer des Urwaldes. Unsichtbare, feuchtheiße Dünste des Fiebers steigen zu dem Vorgebirge herauf. Eintausendstimmiger Vogelchor schwebt schillernd über den Wipfeln. Über uns wölbt sich der klare, tiefblaue Himmel, und vergeblich suchen die Dünste des Nebels aus den tiefen Tälern den Weg zu dem reinen Äther, der die Gipfel der Berge umgibt. Zwischen klaffenden Wolken einer nebelhaften Atmosphäre hindurch blicken wir in kurzen Zwischenräumen in die tief unter uns leuchtende, sonnenbeschienene Ebene, aus der nachts das Trompeten der Elefantenherden zu uns heraufdringt, und um uns hegt der furchterweckende Zauber der Einsamkeit. Man hört nur die Stimmen der Wildnis, deren merkwürdiger Klang dem menschlichen Ohr so fremd erscheint.

Suchend schweift das Auge über die wipfelbedeckten Hänge und Schluchten, aus denen bald nah, bald fern diese eigenartigen Geräusche des Urwaldes zu uns heraufsteigen. Oft ist es das dumpfe Schrecken des Samburs, das schrille Pfeifen des Muntjaks, das schnarrende Röhren des im Dickicht verborgenen schwarzen Panthers oder das erregte Kläffen der Affenmeuten, die sich geräuschvoll den Weg durch das grüne Meer der dichten Laubkronen bahnen. Der Blick, der sich uns vom Hause der Rast öffnet, ist von überwältigender Schönheit. Wenn sich am Tage die atmosphärischen Dünste wie die leisen Schleier bläulicher Rauchfahnen aus den Tälern erheben, weitet sich dem Auge die Sicht in die Raumlosigkeit des Weltenraumes, und fern am Horizont steigt wie ein blauer, glitzernder Spiegel der weite Ozean empor. Hinter seiner Raumlosigkeit taucht der Himmel in jene Weiten, in die wir nur mit der Kraft unserer Phantasie zu folgen vermögen. Es ist, als ob sich die Augen an diesem ewig wechselvollen Spiel von Melancholie und Freude nicht satt zu sehen vermögen. Diese göttliche und zugleich dämonische Natur, deren Anblick in uns eine tiefe Ergriffenheit weckt, ist von unerhörter Grandiosität. In unendlicher Ferne, gleichsam getragen von jenem dunsthaften Hauch einer flimmernden Atmosphäre, schwebt wie ein Trugbild das von den Strahlen der Sonne überflutete Paradies der fruchtbaren Westküste von Malabar.

Mit unbeschreiblichen Gefühlen erleben wir von unserem herrlichen Aussichtspunkte die überwältigend schönen Reize des tropischen Tages und der von grünlichem Dämmer erfüllten zauberhaften Nächte, das Erwachen und Versinken des feurigen Lichtkreises der Sonne, dieses lebenspendenden und zugleich vernichtenden Himmelslichtes, welches die Fluren Indiens in seiner Glut verzehrt, um sie nach der Zeit des Regens bald wieder zu neuem Leben zu erwecken. Aus den verborgenen Gründen der Natur tönt das rätselhafte Weben unsichtbarer Geister, und Myriaden geflügelter Sänger und zirpender Musikanten erfüllen die Dunkelheit der Nacht mit ihrem unruhevoll schwirrenden Chor. Alle diese wundersamen Erscheinungen der Natur sind von jenem unwiderstehlichen Zauber der Ursprünglichkeit begleitet, der auf die Seele und die phantasievolle Gedankenwelt des Menschen einen tiefen Eindruck hinterläßt und uns diese wunderbaren Erscheinungen in der Natur zu unvergeßlichen Erlebnissen macht. Von der Morgenfrühe des beginnenden Tages, wenn der Schein des zarten Frühlichts im Osten dämmert, hören wir im weiten Umkreis diese geheimnisvollen Stimmen des Waldes, welche die Laubkronen und Dickichte des Dschungels beleben, und auch die Nächte sind ewig erfüllt von den Geräuschen leidenschaftlichen Lebens dieser Insektenheere, deren Lieder in zitternden Wellen die einsame Stille der Nacht durchfluten.

Doch auch in dem ruinenhaften Hause der Rast erwacht das merkwürdige Dasein eines nächtlich-spukhaften Treibens. Eine Welt geflügelter, schleichender und kriechender Geister, die sich unter dem schützenden Dache dieses Bungalows niedergelassen hat, beginnt sich allmählich über die seltenen Gäste, die die Ruhe ihres Versteckes gestört haben, zu wundern. Leise, zaghaft, doch neugierig kriechen sie aus ihren dunkeln Winkeln im Fußboden, aus dem zerfallenen Gemäuer und unter dem knisternden Gebälk des Daches hervor, und bald bilden wir den Mittelpunkt eines fremdartigen Tierlebens, das durch den Schein der flackernden Kerze angelockt, sich von Minute zu Minute zu vermehren scheint. Unter den schweren Holzdielen des Fußbodens lebt ein Reich, das Milliarden von Einwohnern zählen mag. Es ist der geordnete Staat der weißen Ameisen, die dieses alte Haus zu einer Stätte der Unrast gemacht haben. Wimmelnde Millionenheere ziehen lautlos die tiefgefurchten Straßen ihrer unterirdischen Welt hinauf und hinab. Ein ewiges unruhevolles Wandern, dessen Monotonie von ermüdender Wirkung auf die Sinne ist. Dieses geräuschlos nagende Volk wird dieses Haus in kurzer Zeit zu einem Trümmerhaufen machen, denn auch das Gebälk des Daches ist schon ein hohles Gerippe, dessen unaufhörliches Knistern und Rieseln das baldige Ende seiner stützenden Kraft bedeutet.

Durch die von blühenden Ranken überwucherten Fensteröffnungen weht die Kühle der Nacht. Doch auch der Hauch des Fiebers, die grauen Moskitoschwärme finden durch diese Löcher ihren Eingang in die Dumpfheit des Hauses. Wir löschen das Licht, und nun erst beginnt der Tanz eines höllischen unsichtbaren Daseins verborgener Wesen, die im Schutze der Finsternis aus ihrem Hinterhalt hervorbrechen. Ein einleitender Chor fremder, geisterhafter Stimmen, die aus einer unbekannten Welt dringen, schwebt durch den kleinen Raum. Auf dem morschen Dachboden, dessen Gebälk einen Regen von Staub auf unsere Köpfe herniedersendet, erhebt sich ein wahrer Hexensabbat. Das keifende und fauchende Geräusch zeigt uns, wie heftig sich die Tiere um die Seßhaftigkeit in diesem Asyl der Menschen bekämpfen. Dunkle Schatten, die geräuschvoll trippelnd über den Fußboden huschen, vermehren sich in erschreckender Weise. In dem Dämmerlicht, das über dem Raume liegt, erkenne ich die Scharen großer Ratten, die sich quiekend zu bekriegen scheinen. Manche versuchen ihre Zähne an den Wänden unserer blechbeschlagenen Koffer, in denen sie die Lebensmittel wittern. Andere schleppen unsere Ausrüstungsgegenstände, die auf dem Fußboden liegen, zu ihren Löchern und suchen sie in ihre Verstecke zu zerren. Bald entspinnt sich ein heftiger Kampf um die einzigen erreichbaren Leckerbissen, die Stummel unserer Kerzen, welche für die Tiere eine Delikatesse zu sein scheinen.

siehe Bildunterschrift

Priestersänfte in einer Tempel-Prozession

siehe Bildunterschrift

Teich im Tempel von Madura

siehe Bildunterschrift

Große Gopuram des Tempels von Kumbakonam

Auch in den Fensternischen zwischen den Schlinggewächsen rührt sich das Leben dieser nächtlichen Insassen. Dort bewegen sich die dunkeln Schatten fliegender Hunde, die laut piepend und quiekend, im Gemäuer ihre Beute erhaschen. An Ruhe und Schlaf ist während dieses geräuschvollen Treibens nicht zu denken. Wir kriechen aus den Netzen und vertreiben das Gezücht der Nacht, indem wir die Hunde aus ihrem Verschlag herüberholen und mit ihnen den Kampf gegen die nächtlichen Ruhestörer beginnen. Von draußen dringt kühle Nachtluft durch die Mauerlöcher herein. Bald knistert ein loderndes Feuer im Kamin, und langsam verrinnen die Stunden der Nacht. Die Jagd auf das Ungeziefer, welches in den feuchten Spalten des Gemäuers und unter dem Fußboden lebt, bringt interessante Beobachtungen und Ergebnisse. Dutzende von fußlangen Tausendfüßlern räubern in dem dunklen Staate der Ameisen. Ihre träge dahinschlängelnden, wohlgenährten Leiber sind prall gefüllt mit den Eiern, die sie sich nächtlicherweile aus den unerschöpflichen Nestern der Ameisen stehlen. Ein großer Skorpion sitzt regungslos unter dem lockeren Verputz der Mauer. Seine Scheren umfassen den Leib einer zappelnden Vogelspinne. Noch hat er sie mit dem Gift seines Stachels nicht getötet, und wollüstig quält er das verzweifelte Opfer zwischen seinen Fängen, bis der Tod aus der Ätherflasche dieses grausame Spiel beendet.

Nach Mitternacht wird es stiller im Hause der Rast, und langsam verstummt das Leben dieser gespenstischen Welt, die den beginnenden Tag flieht. Auf der vom fahlen Mondlicht beschienenen Veranda geigt eine Zikade ihr einschläferndes Lied. Rudel heulender Schakale ziehen an dem Bungalow vorüber, hinein in die Finsternis des Urwaldes, in dem ihr Bellen zu einem kläglichen Wimmern erstirbt. Es sind die letzten Geräusche dieser unheimlichen Nacht. Der dämmernde Morgen erweckt uns mit tauiger Frische, und über den Kuppen der dunstbedeckten Berge schimmert der rosige Schein des Frührots empor. Grüne, emsige Sittiche sind die ersten geräuschvollen Sänger des Urwaldes, unter dessen dämmriger Decke sich leise das Leben des neuen Tages zu regen beginnt.


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