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Das Haus der Rast

Auf den Reisen und Wanderungen in Indien begegnet man fast überall diesem Hause der Rast, dessen schützendes Dach ein Asyl des Wanderers bildet. In der Sprache des Landes nennt man es Dak- oder Travellor Bungalow, weil es den im Lande Umherreisenden zur Unterkunft dient. Seine Einrichtung stammt aus jener Zeit, in der sich die Verkehrsverhältnisse unter dem Regime Englands noch im Anfangsstadium der Entwicklung befanden und die weiten Reisen im Lande in kurzen Etappen zurückgelegt werden mußten. Doch auch heute noch, nachdem ausgedehnte Eisenbahn- und Straßennetze alle Gebiete des Reiches miteinander verbinden, ist das Haus der Rast für den Reisenden unentbehrlich. Zudem sind bei der ungeheuren Ausdehnung Indiens diese Rasthäuser ein notwendiges Bedürfnis des Verkehrs geworden. So findet man das Haus der Rast sogar in den entlegensten Gegenden des Landes. Ja, selbst in den unzugänglichen Urwäldern, unter der Sonnenglut der indischen Tiefebenen, vor den Mauern antiker Tempelstädte und an den steilen Hängen wilder Gebirgszüge gewährt das schattenspendende Dach dieses kleinen, traulichen Häuschens ein Obdach. Und wer könnte es je vergessen, daß er diesem Ort der Gastlichkeit köstliche Stunden der Ruhe und Erholung verdankt.

Auf meinen Reisen in Indien habe ich das friedliche Idyll der Rasthäuser den meist unzulänglichen und ungenießbaren Gaststätten stets vorgezogen. In vielen Fällen war ich auch auf die Benutzung des Hauses der Rast, welches oft in manchen Distrikten die einzige menschenwürdige Stätte der Unterkunft ist, angewiesen. Meine Eindrücke, die ich an diesen Orten romantischer Poesie gewann, sind von eigenartigen Reizen erfüllt. Sie gehören zu jenen Erlebnissen, welche die Empfindsamkeit der Seele tief bewegen und in der Erinnerung des Menschen unverlöschlich haften. Manchmal ist das Wesen dieses kleinen Hauses der Rast recht dürftig und kümmerlich. Alter und Verwahrlosung haben es nicht selten in einen recht schlechten Zustand versetzt, so daß die Gastlichkeit unter seinem Dache von oft zweifelhafter Art ist und man dem unwohnlichen Ort oft gerne wieder den Rücken wendet. Doch meist ist der in ihm wohnende Frieden von einer lieblichen Poesie, welche die Stunden der Ruhe zur beschaulichen Erholung gestalten. Und dann fällt es schwer, von ihm Abschied zu nehmen. In größeren Städten Indiens findet man außer den Häusern der Rast die oft vorzüglich geleiteten Hotels, die selbst die verwöhntesten Ansprüche des Europäers erfüllen können. Doch nichts gleicht diesem ruhigen, freundlichen Häuschen, das draußen, fern von dem bewegten Treiben der Menschen, unter schattigen Bäumen in blühenden Gärten und in der stillen Behaglichkeit einer lauschigen Natur verborgen liegt und dem Fremden, der seine Gastlichkeit begehrt, die Pforten öffnet.


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