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Colombo

Nachdem ich die Zollhalle passiert habe, trete ich auf einen freien Platz hinaus, der sich vor dem Hafen erstreckt. Blendende Fülle eines warmen Sonnenlichtes liegt über den Straßen und Häusern, die einen repräsentativen Charakter haben. Kaum betrete ich den Boden der Stadt, als ich auch schon von einer vielköpfigen Rickschabande umringt bin. Mit Worten und Gesten versucht man mir klarzumachen, daß eine Reise zu Fuß in die Stadt für den Europäer nicht nur unschicklich, sondern auch unrentabel sei. Und ich muß mich entschließen, dem Drängen dieser losgelassenen Meute nachzugeben, um eines dieser menschlichen Vorspanne zu benützen. Als ich einsah, daß dieses graziöse Wägelchen mit seinem menschlichen Vorspann eines der üblichen Verkehrsmittel Colombos bedeutet, überwand ich alle Zweifel, die sich aus einem rein menschlichen Empfinden ergaben, und in leichtem Trab geht es durch die von dichten Baumkronen überschattete breite Straße der Stadt zu. Es ist ein erhebendes Gefühl, nach einer so langen Seefahrt wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Besonders aber empfinde ich den Sieg der Sonne, die über die Grauheit der letzten Tage leuchtend emporgestiegen ist als ein glückliches Symbol, das mir wie eine gute Vorbedeutung für meine Reisepläne auf Ceylon scheinen will.

siehe Bildunterschrift

Banianenbaum mit Luftwurzeln

siehe Bildunterschrift

Landschaft in Kandy, Ceylon

siehe Bildunterschrift

Eingang zum Tempel von Rameswaram

In Colombo öffnet mir das gastfreundliche Haus Hagenbeck seine Pforte, und unter den lieben und frohen Landsleuten, die ich dort in großer Anzahl getroffen habe, schwindet in mir fast völlig das Gefühl der Fremdheit, welches ich fern von der Heimat beim Betreten dieses fremden Bodens empfand. Colombo und seine Umgebung tragen das schimmernde Kleid einer üppigen Tropenvegetation. Es gleicht einem paradiesischen Garten, über dessen leuchtender Landschaft und exotischen Flora sich azurblaues Himmelslicht wölbt. Der Anblick dieser von wundervoller Farbenharmonie erfüllten Natur ist von unendlichen Reizen begleitet, deren Eindrücke sich dem fremden westlichen Gast unvergeßlich einprägen. Eine warme, rotbraun leuchtende Erde, aus der das ewige Leben der Fruchtbarkeit sprießt, ist der Träger alles Lebens und aller Kultur, die Ceylon im Laufe der Jahrhunderte zu einem Dorado des Ostens werden ließ. Und die Pforte, welche zu diesem Eden führt, ist Colombo, eine internationale Hafenstadt, die von der Flut des modernen Weltverkehrs bespült ist. Colombo ist der Puls, dessen Schlag das Leben und die Welt des Ostens und Westens miteinander verbindet. Sein Hafen ist einer der bedeutendsten des Orients. Aus ihm fließt der Quell des wirtschaftlichen Reichtums in alle Teile der Erde. Denn Ceylon ist erstaunlich produktiv an Bodenschätzen und wirtschaftlichen Erträgnissen, von denen allein die Teeausfuhr einen großen Teil des Weltbedarfes deckt. Colombo selbst ist in malerische Reize gehüllt. Alles in ihm atmet leidenschaftliches Licht und Farbe.

Die Stadt teilt sich in drei Teile, die in ihren äußeren und inneren Wesenserscheinungen einen strengen Gegensatz zueinander bilden. Es ist das in enger Gedrängtheit lebende Viertel der Eingeborenen, die »Pettah«, das Hafenviertel, in dem das Wesen des Abendlandes und eines internationalen Fremdenverkehrs dominiert, und die Zimtgärten, in denen die kultivierte Üppigkeit eines fruchtbaren Wachstums sprießt. Die Pettah ist in ihrem ganzen Gepräge mindestens ebenso international wie die Europäerstadt am Hafen. Nur unterscheidet sie die düstere Enge ihres niedrigen und durcheinandergewürfelten Häusermeeres, in denen der seßhafte Internationalismus des Ostens wohnt, von den großen, prunkenden Gebäuden am Hafen, durch dessen Pforten der Strom eines ewig wogenden Fremdenverkehrs flutet. Selten habe ich später in den Hafenstädten Indiens eine solche Mannigfaltigkeit eingeborener Rassen gesehen, wie sie mir in der Pettah Colombos begegnet ist. Keineswegs ist dort der Typus der uransässigen Singalesen vorherrschend, denn sein Geschlecht bildet nur eine Sprosse in der Stufenleiter dieses bunten Völkergemischs, welches im Laufe der Jahrhunderte die Insel zu seiner Heimat erwählt hat. Es ist ein eigentümliches Menschengewirr, das einen beim Betreten dieses Viertels umgibt. Doch vergeblich suche ich dort in der Düsterheit dieser Straßen und Gassen den Reiz des Malerischen, wie ich ihn später in den von heiterer Buntheit erfüllten Städten Indiens so häufig gefunden habe. Zwischen schmutzigen, engen Straßen und niedrigen Häusern drängt sich das Leben eines wirren Verkehrs. Schwerfällige Wagen, Tiere und Menschen, mit Lasten bepackt, ziehen unaufhörlich auf und nieder. Vor ihren Hütten sitzen exotische Vertreter aller Länder und Erdteile, Chinesen, Araber, Malaien, Inder und Singalesen mit allen möglichen und unmöglichen Produkten feilschend und Handel treibend. Schwärme von Krähen bedecken die Straßen und grauen Dächer dieser Stadt. Sie sind die wertvollen Gehilfen der Gesundheitsbehörde, die in ständigem Kampfe mit dem Unrat dieser Stadtviertel steht. Sogar auf dem Rücken der gutmütigen Zebukühe und Wasserbüffel, welche die Lasten durch die Gassen schleppen, haben sich einzelne dieser dreisten Vögel niedergelassen, um dort das Ungeziefer zu erbeuten. Mitten in dem Gewirr der Häuser steht ein hinduistischer Tempel. Die barocke Fülle seiner fratzenhaften Ornamente und Götzenfiguren bildet einen eigentümlichen Gegensatz zu der Profanie seiner Umgebung. Die Götter, die in seinen Mauern wohnen, sind dem Boden, welcher die uralte Heimat des Buddhismus ist, ebenso fremd wie die drawidischen Abkömmlinge Indiens, die heute die Insel in großen Mengen bevölkern.

Mein Weg führt mich zurück in jenen Teil der Stadt, welcher sich an die belebten Gestade des Hafens anlehnt. Hier herrscht der Gegensatz einer wohlgepflegten Sauberkeit und Ordnung. Große ansehnliche Gebäude, welche zum Teil dem Sitze der Behörden dienen, umsäumen die breiten schattigen Straßen. Ein lebhafter Verkehr flutet auf den Fahrdämmen. Reihen großer Geschäftshäuser und europäischer Basare wechseln mit den riesigen Gebäuden der Hotels, die das luxuriöse Treiben eines ewig pulsierenden, kosmopolitischen Lebens bergen. Auch in den Straßen wallt dieser hastende Betrieb nervösen, geschäftlichen Wirrwarrs, wie wir ihn in den kontinentalen Großstädten finden. Eingeborene Kuriositäten- und Edelsteinhändler mit Talmiwaren belagern die Straßen, durch die der Kurs des Abendlandes drängt. Sie suchen aus dem Vertrauen, das die Fremden ihrem angeborenen Gaunertum entgegenbringen, Nutzen und Gewinn zu schlagen. Doch es ist auch gar zu verführerisch, wenn sich die Kisten und Kasten mit dem gleißenden und exotischen Inhalt vor den Augen der Erwartungsvollen auftun und die Preise von Minute zu Minute im Fallen begriffen sind.

Breite Alleen mit uralten Bäumen, die in der flammenden Pracht roter Blütenfackeln leuchten, führen hinaus zu den herrlichen Gefilden Colombos, die man Zimtgärten nennt. Ihren Namen verdankt diese Kolonie der »fremden Einheimischen« den von den Holländern kultivierten Zimtpflanzungen, deren Reste noch heute diese herrlichen Anlagen bedecken. Zwischen wundervollen, schattenspendenden Hainen von alten Zimtbäumen, und inmitten einer üppigen parkähnlichen Landschaft, die mit blühenden Azaleenbäumen und schlanken Palmen bewachsen ist, liegen trauliche Bungalows mit weit vorspringenden, schattenspendenden Dächern. Ihre Besitzer sind bedeutende, wohlhabende Persönlichkeiten Colombos. Es ist die Insel der Ruhe und Erholung, zu welcher der ermattete Körper an den kühlen Abenden der arbeitsreichen Tage seine Zuflucht nimmt. Doch die Schwüle will auch in den sternendurchglühten Nächten nicht von der roten Erde der Zimtgärten weichen, während drüben an dem palmenumsäumten Strand des Ozeans die nächtlich-kühlende Brise den letzten schwülen Hauch des Tages verzehrt. Zweifellos ist der Anblick dieser ceylonesischen Küste das eindrucksvollste Erlebnis, welches sich dem menschlichen Auge auf dieser Insel bietet. Selten sah ich während meiner Reisen in Indien ein reizvolleres Bild der tropischen Meeresufer, als an der südwestlichen Küste Ceylons. Ein Tag voll leuchtender Klarheit strahlt aus der märchenhaften Bläue des Himmels, die sich in ihrer Unendlichkeit weit hinter den atmosphärischen Umrissen des Eilandes hinabsenkt. Das mattgrüne Band des Palmenmeeres, das oft bis zur Brandung des Ozeans herabreicht, begleitet die reizvolle Perspektive dieser Küste bis zu der dunsthaft fernen Linie des Horizontes. Dort lösen sich diese zu schattenhaften Phantomen verwandelten Ufer in dem Gleichklang einer Lichtfülle, welche die Erdenschwere in sich aufzunehmen scheint. In dieser göttlichen Einsamkeit der Küste wohnen friedliche Fischer, die im Frühlicht des Tages auf ihren schmalen Einbäumen in die Stille dieses blauen Meeresspiegels hinaustreiben. Ihre Hütten stehen am Saume der Palmenwälder, die sich oft in merkwürdiger Lebendigkeit über die Brandung des um ihre Wurzeln schäumenden Meeres neigen. Doch in dieser Welt der Erhabenheit vergesse ich fast, daß ich mich in der Nähe dieses wogenden Getriebes einer von ewiger Unruhe und Hast durchpulsten Großstadt befinde. Wie oberflächlich erscheinen mir nun nach diesem wundervollen Erleben alle jene Eindrücke, die ich aus meinen Betrachtungen und Erlebnissen in dieser ewig pulsenden Unruhe modernen menschlichen Geistes gewonnen habe. Immer, wenn ich mich in der Nähe dieses Meeres befinde, werde ich der geheimnisvollen Kraft, die mich dort bindet, folgen müssen. So verweile ich oft lange und genußvolle Stunden an dieser endlos weiten Küste, deren wallender Rhythmus meine Seele und Gedanken bewegt.

Da ich so sehr die Nähe dieses schimmernden tropischen Meeres liebe, wähle ich meine Ausflüge in Colombo stets so, daß mich das Ziel meiner Reise in diese eindrucksvolle Küsteneinsamkeit führt. Ich unternehme eine Eisenbahnfahrt nach Port de Galle, einem alten in öder Verlassenheit liegenden Seehafen, der an der südlichen Seite der Insel liegt. Die fast hundert Kilometer weite Strecke führt nur mit kurzen Unterbrechungen unmittelbar an diesem herrlichen Gestade entlang, und oft ist der Steindamm, auf dem die Eisenbahn fährt, von dem schäumenden Gischt der Brandung umspült. In rascher Fahrt geht es durch schmale Hohlwege, die zwischen den Domen der Kokos- und Arekapalmenwälder hindurchführen. An den Idyllen menschlicher Siedlungen, an Tümpeln, Seen und Binnenmeeren, durch die Wildnis von Sumpf- und Schilfdickichten, an Wasserläufen und Sanddünen führt der Weg vorbei. Und alle diese wundersamen Eindrücke eilen mit der leidigen Hast, die uns jene Errungenschaften modernen Menschengeistes gebracht haben, an meinen Augen vorüber.

Auch dem kleinen Vorgebirge Mount Lavinia, das in unmittelbarer Nähe der Stadt liegt, statte ich einen Besuch ab; denn ich will keine dieser Kostbarkeiten, die mir die wunderbare Natur dieses Küstenlandes zeigt, ausschlagen. Die Schönheit dieser, leider mit einem profanen Hotel bebauten kleinen Halbinsel besteht in der Freiheit und Losgelöstheit, welche man hier in geradezu wunderbarer Weise empfindet, wenn man die Unendlichkeit des Meeres in den Stunden des Abends auf sich einwirken läßt. Man glaubt sich auf einem kleinen, weltverlorenen Eiland zu befinden, das inmitten der bezwingenden Einsamkeit des Meeres liegt. Unvergeßlich ist dort der Anblick des Sonnenunterganges, dessen spektralisches Leuchten von einer überwältigenden Schönheit ist.

Unter diesen bezwingenden Ereignissen, die sich in wechselvoller Folge fast überstürzen wollen, eilen die Tage meines Aufenthaltes an der Küste der Insel nur allzu rasch vorüber. Doch der Trieb des Wanderns, das ewige Drängen, welches draußen in der Welt die menschliche Seele bewegt, läßt uns unaufhörlich in der Zukunft suchen, was an Schönheiten der Welt die Vergangenheit in unser Herz versenkt hat. Die Welt meiner gedankenvollen Phantasie blickt hinüber nach den fernen Zielen im Osten, wo ich im Geiste jenes alte Lanka vor mir sehe, über dessen geschichtlicher und kultureller Vergangenheit der Glorienschein geistvoller Größe und Erhabenheit leuchtet.


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