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Minister des Innern und Ministerpräsident.
Polizeigewahrsam St. Martin-de-Ré, 26. Januar 1895.
Herr Minister,
ich bin um des niederträchtigsten Verbrechens willen, das ein Soldat begehen kann, verurteilt worden, und ich bin unschuldig.
Nach meiner Verurteilung war ich entschlossen, mich umzubringen. Aber meine Angehörigen, meine Freunde haben mir klar gemacht, daß mit meinem Tode alles zu Ende sein würde; daß mein Name, der Name, den meine geliebten Kinder tragen, für alle Zeit geschändet wäre.
Ich mußte also am Leben bleiben.
Meine Feder ist zu schwach, um Ihnen das Martyrium zu schildern, das ich erdulde; Sie, als Franzose, werden in Ihrem Herzen das besser mitempfinden können, als ich es Ihnen zu beschreiben vermag.
Sie, Herr Minister, kennen das Sendschreiben, das die Anklage gegen mich begründet hat.
Ich habe jenen Brief nicht geschrieben.
Ist er eine Fälschung? … Ist er wirklich an eine bestimmte Adresse und von den Documenten, die darin angeführt sind, begleitet, gerichtet worden? … Hat man meine Schrift nachgeahmt, mit der Absicht, mich speciell ins Auge zu fassen? … Oder muß man eine verhängnisvolle Ähnlichkeit der Schriften annehmen? …
Das sind alles Fragen, auf die mein Gehirn nicht im stande ist, die Antwort zu finden.
Ich wende mich nicht an Sie, Herr Minister, um Gnade oder Mitleid zu erflehen, ich verlange nur Gerechtigkeit.
Im Namen meiner Soldatenehre, die man mir entrissen hat, im Namen meiner armen Frau, im Namen endlich meiner unglücklichen Kinder, flehe ich Sie an, die Nachforschungen fortsetzen zu wollen, die zur Entdeckung des wirklichen Schuldigen führen.
Es ist unmöglich, daß in einem Jahrhundert, wie dem unsrigen, in einem Lande, wie Frankreich, das ganz von freiheitlichen Ideen, von Ideen der Gerechtigkeit erfüllt ist, es mit den mächtigen Mitteln, die Ihnen zur Nachforschung zur Verfügung stehen, Ihnen nicht gelingen sollte, diese Tragödie aufzuklären, das Ungeheuer zu entlarven, das Unglück und Schande über eine ehrenhafte Familie gebracht.
Ich flehe, Sie, Herr Minister, noch einmal an, und zwar im Namen dessen, was Ihnen selbst auf der Erde das Liebste ist: der Gerechtigkeit; der Gerechtigkeit genügen Sie, indem Sie die Nachforschungen fortsetzen lassen.
Ich für mich verlange nur, daß mein Name in Stille und Vergessenheit versenkt werde, bis zu dem Tag, wo meine Unschuld anerkannt sein wird.
Bis ich hierher gekommen bin, habe ich in meiner Zelle arbeiten und schreiben dürfen, ich konnte die Correspondenz mit den Gliedern meiner Familie aufrecht erhalten und täglich an meine Frau schreiben. Das war für mich ein Trost in der entsetzlichen Lage, in der ich mich befinde, einer Lage, Herr Minister, die thatsächlich so schauderhaft ist, daß kein menschlicher Geist sie sich furchtbarer ausdenken kann.
Gestern noch im Glück, so daß man keinen auf der Welt zu beneiden hatte; heute, ohne irgend etwas dazu gethan zu haben, von der Gesellschaft in Acht und Bann erklärt! Herr Minister, ich glaube nicht, daß in unserem Jahrhundert irgend ein Mensch ein derartiges Martyrium erduldet hat. Wenn man so sehen muß, wie einem die Ehre, die man so hoch stellt, wie diejenige irgend eines Menschen auf der Welt, von Seinesgleichen entrissen wird! Giebt es denn überhaupt für einen Unschuldigen eine entsetzlichere Qual?
Ich befinde mich nun, Herr Minister, Tag und Nacht in einer Zelle eingeschlossen, allein mit meinen Gedanken, ohne irgendwelche Beschäftigung. Mein Kopf, der durch diese tragische, so unerwartete Katastrophe schon an und für sich ganz erschüttert ist, hält nicht mehr sehr viel aus. Ich bitte Sie darum auch, mir gütigst die Erlaubnis zu geben, in meiner Zelle arbeiten zu können.
Ich möchte Sie auch darum bitten, daß ich von Zeit zu Zeit mit den verschiedenen Mitgliedern meiner Familie (Schwiegereltern, Brüdern, Schwestern) correspondieren darf.
Nun ist mir gestern noch mitgeteilt worden, daß ich nur noch zweimal wöchentlich an meine Frau schreiben dürfe. Ich flehe Sie an, mir zu gestatten, des öfteren an dieses arme Wesen zu schreiben, das in der entsetzlichen Lage, die ein Verhängnis über uns heraufbeschworen, des Trostes, der Stütze so sehr bedarf.
Gerechtigkeit, Herr Minister, Gerechtigkeit und die Erlaubnis, zu arbeiten, damit sein Gehirn im stande ist, auf die Stunde zu warten, in welcher seine Unschuld leuchtend zu Tage treten wird, das ist alles, was der Unglücklichste aller Franzosen von Ihnen erbittet. Genehmigen Sie, Herr Minister, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung.
Alfred Dreyfus.
Salut-Inseln, 8. Juli 1897.
An den Herrn Präsidenten der Republik.
Herr Präsident,
ich gestatte mir, noch einmal Ihr hohes Gerechtigkeitsgefühl anzurufen, den Ausdruck meiner tiefsten Verzweiflung, den Schmerzensschrei aus meinem Jammer zu Ihnen dringen zu lassen.
Ich werde Sie vollkommen in meiner Seele lesen lassen, Herr Präsident, denn ich bin sicher, daß Sie mich verstehen werden. Ich bitte Sie, für die Form, für das Unzusammenhängende meiner Gedanken um Nachsicht. Ich habe allzuviel gelitten, bin körperlich und seelisch zu sehr gebrochen, mein Gehirn ist zu sehr zermalmt, als daß ich noch die Anstrengung ertragen könnte, meine Gedanken zusammenzuhalten.
Sie wissen ja, Herr Präsident, daß ich, nachdem ich auf eine Schriftprobe hin des niederträchtigsten Verbrechens, der grauenhaftesten Missethat, die ein Soldat, ein Mensch überhaupt begehen kann, angeklagt und dafür verurteilt worden bin, doch am Leben bleiben wollte, um die Aufklärung in dieser entsetzlichen Tragödie zu erwarten, um den Tag, an welchem meine Ehre mir für meine Kinder wiedergegeben sein wird, zu schauen.
Herr Präsident, mein Herz allein weiß, was ich seit dem Beginn dieses düstern Dramas erlitten. Ich habe oft den Tod mit aller Kraft herbeigewünscht, ich richtete mich aber wieder auf, da ich hoffte, die Stunde der Gerechtigkeit leuchtend anbrechen zu sehen.
Ich habe mich vollkommen, gewissenhaft allem unterworfen, ich werde mich jedem stellen, der mir den Vorwurf incorrecten Verhaltens machen sollte. Ich habe aber nie vergessen und werde bis zu meinem letzten Atemzug nicht vergessen, daß es sich in dieser furchtbaren Sache um zwei Interessen handelt: um dasjenige des Vaterlandes, und um dasjenige meiner selbst und meiner Kinder, das eine ist so heilig wie das andere.
Sicherlich habe ich gelitten, dadurch, daß ich das entsetzliche Leiden meiner Frau und meiner Lieben nicht erleichtern konnte; ich habe gelitten, daß ich nicht mit Leib und Seele mich der Enthüllung der Wahrheit hingeben konnte, aber nie ist mir der Gedanke gekommen, nie wird mir der Gedanke kommen, daß diese Wahrheit durch Mittel entdeckt werden sollte, die den höhern Interessen des Vaterlandes widersprechen. Ich würde die Lauterkeit meiner Gedanken mit Schweigen übergehen, wenn nicht die Rechtlichkeit meines Handelns seit Beginn dieses furchtbaren Dramas für mich bürgen würde.
Ich habe mir, Herr Präsident, gestattet, an Ihren hohen Gerechtigkeitssinn zu appellieren, damit die Wahrheit entdeckt werde. Ich habe auch die Regierung meines Landes angefleht, da ich annahm, daß es jener möglich sein würde, zu gleicher Zeit die Interessen der Gerechtigkeit und des Mitleides, das eine so entsetzliche, grauenhafte Situation einflößen muß, mit den Interessen des Landes zu vereinigen.
Herr Präsident, unter den furchtbarsten Beleidigungen, als meine Schmerzen so grauenhaft wurden, daß mir der Tod eine Erlösung gewesen wäre, als mein Verstand zusammenzubrechen drohte, als alles in mir blutete, als ich mich wie den Elendesten der Elenden behandelt sah, als ein Schrei der Auflehnung beim Gedanken an meine heranwachsenden Kinder, deren Namen nun entehrt ist, sich meiner Brust entrang, … da, Herr Präsident, richtete ich meinerseits meinen Aufruf an Sie, an die Regierung meines Landes, nach dieser Seite hin wandten sich meine Augen. Ich hoffte wenigstens, Herr Präsident, daß man mich nach meinen Thaten beurteilen würde. Seit dem Beginn dieser Tragödie bin ich nicht einen Schritt von dem Wege abgewichen, den ich mir für mein Betragen vorgezeichnet, den mir mein Gewissen unerbittlich vorschrieb. Ich habe alles ertragen, alles erlitten, unbarmherzig ist Schlag auf Schlag auf mich niedergefallen, ohne daß ich je gewußt hätte, warum … Stark durch mein Gewissen habe ich es vermocht, zu widerstehen.
Ich habe freilich Augenblicke gehabt, wo Zorn oder Ungeduld sich meiner bemächtigten, ich habe alle die Bitterkeit ausströmen lassen, die eine so gemarterte Seele, die von Beschimpfungen angefressen, die in ihren innersten Empfindungen verwundet worden, erfüllen können. Ich habe aber nicht einen Augenblick vergessen, daß über allen menschlichen Leidenschaften das Vaterland steht.
Und dennoch, Herr Präsident, ist meine Lage noch täglich verschlimmert worden, die Schläge fielen hageldicht auf mich nieder, unaufhörlich, ohne daß ich je etwas davon verstehen konnte, ohne daß ich sie je hervorgerufen hätte, durch Worte oder Thaten.
Denken Sie sich zu meinem eigenen, so grausamen, intensiven Schmerz noch die Qualen, die durch die Schande, durch das Klima, durch die zuchthausartige Abgesperrtheit veranlaßt wurden, die oft nicht verhüllte Verachtung, die beständigen Verdächtigungen derer, die mich Tag und Nacht bewachen; ist das nicht, Herr Präsident, allzuviel für einen Menschen, der immer und überall seine Pflicht gethan?
Und da ist noch etwas Entsetzliches, das mein schon so von Hinundherdenken erfüllter, abgestumpfter Geist, der unter den Schlägen, die ohne Unterbruch niederfallen, fast zusammenbricht, kaum fassen kann, das ist, zu sehen, wie ein Mensch, trotz aller Ehrenhaftigkeit seiner Handlungen, trotz seines unbesieglichen Willens, der durch kein Leiden verletzt zu werden vermag, als anständiger Mensch als loyaler Franzose zu sterben, wie er als solcher gelebt hat, dennoch täglich härter, elender behandelt wird.
Mein Elend ist mit keinem andern zu vergleichen, es giebt in meinem Leben keinen Augenblick, der nicht mit Leid angefüllt ist. Wie rein auch das Gewissen, die Seelenstärke eines Menschen sein mag, ich breche zusammen und das Grab wäre mir eine Wohlthat.
Und aus dieser tiefsten Verzweiflung meiner gebrochenen Seele heraus, die durch die Leiden zermalmt, durch diese Lage voller Schande vernichtet ist, aus dem Schmerz heraus, der mich an der Kehle zu packen scheint und mich erwürgt, aus dem Gehirn heraus, das durch die beständigen, ununterbrochenen Schicksalsschläge verwirrt ist, wende ich mich an Sie, Herr Präsident, an die Regierung meines Landes, und richte an Sie meinen Hilferuf, denn ich bin sicher, daß er gehört werden wird.
Ich will, Herr Präsident, nicht von meinem Leben sprechen. Heute wie gestern gehört es meinem Vaterlande an. Das einzige, was ich von ihm als höchste Gunst verlange, ist, daß man mir mein Leben rasch wegnehme und mich nicht in einer langsamen Agonie, unter Qualen, die mich schänden, die ich nicht verdient habe und nicht verdiene, dahinsiechen lasse.
Was ich aber noch ferner von meinem Land verlange, das ist, daß volle und ganze Aufklärung über das entsetzliche Drama geschaffen werde, denn meine Ehre gehört ihm nicht, sie ist das Erbe meiner Kinder, sie ist das Privateigentum zweier Familien.
Und ich flehe auch aus ganzer Seele, daß man an die furchtbare, unerträgliche Lage denke, die schlimmer ist als der Tod, in der sich meine Frau und die Meinigen befinden, daß man auch an meine Kinder denke, an die lieben Kleinen, die heranwachsen und nun Parias geworden, daß man alle möglichen Anstrengungen mache, kurz, alles thue, was mit den Interessen des Vaterlandes vereinbar ist, um so bald als möglich dem Leiden so vieler menschlicher Wesen ein Ende zu setzen.
Ich vertraue Ihrer Rechtlichkeit und bitte Sie, Herr Präsident, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung zu genehmigen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 25. November 1897.
Herr Präsident,
ich erlaube mir einen erneuten und dringlichen Appell an Ihren hohen Gerechtigkeitssinn zu richten und Ihnen meine tiefste Verzweiflung auszudrücken.
Seit drei Jahre fordere ich als Mensch, der an dem Verbrechen unschuldig ist, um dessenwillen man ihn verurteilt hat, nichts anderes als Gerechtigkeit und die Entdeckung der Wahrheit.
Seit dem Tage nach meiner Verurteilung, als Major du Paty de Clam im Auftrag des Herrn Kriegsministers zu mir kam, um mich zu fragen, ob ich unschuldig oder schuldig sei, als ich ihm antwortete, daß ich unschuldig sei, aber daß ich Aufklärung fordere, vollständige Aufklärung, seit jenem Tage habe ich auch verlangt, daß alle gebräuchlichen Hilfsmittel für die Nachforschung zur Mithilfe herbeigezogen werden sollten, ebensowohl durch die Militärattaches, als auch durch die anderen Mittel, über die die Regierung verfügt.
Es wurde mir geantwortet, daß höhere Interessen die Anwendung der gebräuchlichen Nachforschungsmittel verhindern, daß die Untersuchung aber fortgesetzt werden solle.
Seit drei Jahren also warte ich in der entsetzlichsten Lage, die man sich vorstellen kann, ich warte immer noch, und die Nachforschungen führen zu keinem Ziel.
Wenn nun einerseits höhere Interessen verboten und wahrscheinlich immer noch verbieten, daß die gebräuchlichen Mittel der Nachforschung, die allein im stande sind, das Ende des Martyriums so vieler Menschen herbeizuführen, angewendet werden, so wäre das allerdings ein Grund für mich, dieselben zu respectieren.
Aber, Sie sehen andererseits, Herr Präsident, daß ich drei Jahre lang diese furchtbare Lage ertrage, meine Kinder sind entehrt und wachsen als Parias auf, es ist unmöglich, sie zu erziehen, ich werde wahnsinnig vor Schmerz darüber … Dieselben Interessen können doch immerhin nicht erfordern, daß meine liebe Frau, meine armen Kinder darüber zu Grunde gerichtet werden.
Ich will nichts weiter, als diese entsetzliche Lage Ihrer hohen Rechtlichkeit, derjenigen der Regierung unterbreiten. Ich will nur für die Meinigen, für meine Kinder, die die ersten und bedauernswertesten Opfer sind, Gerechtigkeit fordern.
Indem ich Ihrem hohen Billigkeitssinn vertraue, bitte ich Sie, Herr Präsident, daß Sie den Ausdruck meiner hochachtungsvollen Ergebenheit genehmigen wollen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 20. December 1897.
Herr Präsident,
ich gestatte mir, einen verzweifelten Appell an Ihren hohen Gerechtigkeitssinn, an denjenigen der Regierung zu richten.
Ich erkläre einfach wieder, daß ich nicht der Urheber des Briefes, der mir zugeschrieben. Ich füge noch hinzu, daß meine ganze Vergangenheit, die heute vollkommen klar zu Tage liegen muß, sich erhebt und gegen den bloßen Gedanken an die Möglichkeit einer so schändlichen Handlung protestiert.
Seit dem ersten Tag dieses entsetzlichen Dramas, warte ich auf die Erklärung desselben, auf ein besseres Morgen, auf Licht.
Die schon seit drei Jahren ertragene Lage ist ebenso entsetzlich für meine Frau und meine armen Kinder, wie für mich. Ich wende mich nun an Sie, um ihr Los, mein Los in Ihre Hände, in diejenigen des Herren Kriegsministers, in die Hände des Herren Justizministers meines Vaterlandes zu legen, um zu fragen, ob es denn nicht möglich wäre, endlich eine Lösung zu finden, dem entsetzlichen Martyrium so vieler Menschen endlich ein Ende zu setzen.
Indem ich ihrem hohen Billigkeitssinn vertraue, ersuche ich Sie, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung zu genehmigen.
Salut-Inseln, 12. Januar 1898.
Herr Präsident,
unschuldig an dem entsetzlichen Verbrechen, für welches ich verurteilt wurde, fordere ich vom ersten Tage an nichts anderes, als Aufklärung.
So oft ich darum gebeten habe, daß man die der Regierung zur Verfügung stehenden Mittel der Nachforschung in Anwendung bringen möge, damit dem Martyrium so vieler Menschen endlich ein Ende gesetzt werde, wurde mir entgegnet, daß diesem Vorgehen höhere Interessen im Wege stehen, als die meinigen. Ich habe mich davor gebeugt, wie ich mich auch heute noch vor diesen Interessen beuge, wie ich mich immer vor diesen Interessen beugen werde; das ist meine Pflicht.
Aber es sind nun drei Jahre, daß ich warte.
Diese Lage ist für alle die Meinigen entsetzlich, unbarmherzig für mich.
Es giebt keine Interessen, die es erheischen könnten, daß eine Familie, daß meine Kinder, daß ein Unschuldiger durch sie vernichtet werden dürften.
Ich appelliere also einfach nur an Ihren hohen Gerechtigkeitssinn, an denjenigen der Regierung, um meine Ehre zu fordern und Gerechtigkeit für so viele unschuldige Opfer.
Indem ich Ihrem hohen Billigkeitssinn vertraue, bitte ich Sie, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung zu genehmigen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 16. Januar 1898.
Herr Präsident der Republik,
ich resümiere und erneuere das letzte Gesuch, das ich an das Staatsoberhaupt, an die Regierung, an den Herrn Kriegsminister richtete, und bitte, mir meine Ehre zurückzugeben, mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wenn man nicht will, daß ein Unschuldiger, der am Ende seiner Kräfte angelangt ist, stündlich, minütlich eine derartige Todesstrafe erleidet und dazu den schrecklichen Schmerz erdulden muß, seine Kinder entehrt zurückzulassen.
Im Vertrauen auf Ihre, auf der Regierung, auf des Herrn Kriegsministers Billigkeit bitte ich Sie, den Ausdruck meiner Hochachtung genehmigen zu wollen.
Salut-Inseln, 1. Februar 1898.
Herr Präsident,
mit der ganzen Kraft meines Wesens erneuere ich das Gesuch, das ich an das Staatsoberhaupt, an die Regierung, an den Herrn Kriegsminister gerichtet habe.
Ich bin nicht schuldig. Es wäre für mich eine Unmöglichkeit, schuldig zu sein. Im Namen meiner Frau, meiner Kinder, kurz, aller meiner Angehörigen fordere ich die Revision meines Processes, das Leben meiner Kinder, Gerechtigkeit für so viele unschuldige Opfer.
Im Vertrauen auf Ihre, der Regierung, des Herrn Kriegsministers Billigkeit bitte ich Sie, den Ausdruck meiner Hochachtung genehmigen zu wollen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 7. Februar 1898.
Herr Präsident,
während dreier Monate im Fieber und im Delirium, habe ich zahlreiche Gesuche an das Staatsoberhaupt und an die Regierung gerichtet, ohne die Befreiung, ohne ein Ende dieses schrecklichen Martyriums so vieler menschlicher Wesen erlangen zu können.
Vor wenigen Tagen habe ich ein neues Gesuch verfaßt.
Soeben aber habe ich Briefe von meiner teuren Frau und von meinen Kindern empfangen, und wenn einerseits mein Herz bricht, wenn es zerrissen wird nach so vielen unverdienten Leiden, so empört es sich aber auch.
Wie ich schon gesagt habe und wie ich hier wiederhole – denn allzu schrecklich ist das alles – habe ich am Tage nach meiner Verurteilung, d. h. vor mehr als drei Jahren, als Herr Major du Paty de Clam mich im Namen des Kriegsministers fragte, ob ich unschuldig oder schuldig wäre, erklärt, daß ich nicht allein unschuldig sei, sondern, daß ich auch Aufklärung, volle Aufklärung verlange; ich habe sofort die Hilfe aller üblichen Mittel der Untersuchung, sei es durch Militairattachés, sei es durch sonstige Organe, über die die Regierung verfügt, gefordert.
Es ward mir geantwortet, daß höhere Interessen die Anwendung der üblichen Mittel der Untersuchung verhindern, daß dagegen die Nachforschungen fortgesetzt würden
Ich habe somit während drei Jahre gewartet, in der schrecklichsten Situation, die es giebt, und die Nachforschungen führen zu keinem Resultate.
Wenn also auf der einen Seite immer höhere Interessen verhindert haben und immer verhindern müssen, daß diejenigen Mittel der Untersuchung zur Anwendung gebracht werden, die allein diesem schrecklichen Martyrium so vieler menschlicher Wesen ein Ziel zu setzen im stande sind, so habe ich allerdings Grund, diese Interessen zu respectieren und habe dieses auch stets und beharrlich gethan.
Auf der andern Seite dauert nun aber diese harte Situation länger als drei Jahre; meine treue Frau erduldet ein schreckliches Martyrium, meine Kinder wachsen entehrt, als Parias auf; ich erleide in meinem Kerker alle Qualen der Schande; es giebt kein Interesse auf der Welt, – denn ein solches Interesse würde ein Verbrechen gegen die Humanität sein – welches verlangen könnte, daß eine Frau, daß Kinder, daß ein Unschuldiger ihm geopfert würde.
Zum letztenmal will ich Ihrem und der Regierung erhabenen Billigkeitsgefühl den ganzen tragischen Schrecken dieser Situation vorführen. Ich verlange Gerechtigkeit für die Meinen, das Leben meiner Kinder, kurz, ein Ende dieses schrecklichen Martyriums so vieler menschlicher Wesen
Im Vertrauen auf Ihre und der Regierung Billigkeit bitte ich Sie, den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung genehmigen zu wollen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 12. März 1898.
Herr Präsident,
ich habe an Sie am letzten 20. November ein Gesuch gerichtet, um die Revision meines Processes zu erbitten.
Unter demselben Datum habe ich an die Loyalität des Generals de Boisdeffre, des Generalstabschefs der Armee, appelliert, um ihn zu bitten, dem Oberhaupt des Staates seine Ansicht über die Revision auszudrücken.
War seine Ansicht günstig, so ist auch Ihre Ansicht, Herr Präsident, in gleicher Weise der Revision günstig gewesen, da mir ja officiell erklärt worden ist, daß mein vom genannten Tage datiertes Gesuch unter Beobachtung der constitutionellen Form der Regierung übermittelt worden ist.
Ich erneuere also heute einfach diese Gesuche.
Ich appelliere an Ihr und der Regierung erhabenes Billigkeitsgefühl, um gemäß den infolge des Gesuchs vom 20. November 1897 ergangenen Gutachten, denen die heutigen doch nicht widersprechen können und die günstig gewesen sind, da mir ja officiell erklärt worden ist, daß sie der Regierung überreicht worden sind, um zu bitten, sage ich, daß endlich mir Gerechtigkeit wird, daß endlich die Revision stattfindet.
Im Vertrauen auf Ihre Billigkeit und auf die der Regierung bitte ich Sie, den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung genehmigen zu wollen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 20. März 1898.
Herr Präsident,
ich resumiere alle vorausgegangenen Gesuche. Unschuldig des fluchwürdigen Verbrechens, für das ich verurteilt worden bin, appelliere ich an die erhabene Gerechtigkeit des Staatsoberhauptes, um die Revision meines Processes zu verlangen.
Im Vertrauen auf Ihre Billigkeit bitte ich Sie, die Ausdrücke meiner vorzüglichen Hochachtung genehmigen zu wollen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 22. April 1898.
Herr Präsident,
da ich nicht weiß, welche Folge den Bitten um Revision gegeben worden ist, die ich an Sie gerichtet habe, resumiere ich sie alle insgesamt in diesen wenigen Worten.
Unschuldig des fluchwürdigen Verbrechens, für das ich verurteilt worden bin, appelliere ich an die erhabene Gerechtigkeit des Staatschefs, um die Revision meines Processes zu verlangen.
Im Vertrauen auf Ihre Billigkeit, bitte ich Sie, die Ausdrücke meiner vorzüglichen Hochachtung genehmigen zu wollen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 28. Mai 1898.
Herr Präsident,
seit November 1897 habe ich zahlreiche Gesuche an das Staatsoberhaupt gerichtet, um Gerechtigkeit für die Meinen und ein Ende des ebenso schrecklichen wie unverdienten Martyriums so vieler menschlicher Wesen, die Revision meines Processes zu erbitten.
Ich habe gleichermaßen an die Regierung, den Senat, die Deputiertenkammer, an diejenigen, die mich verurteilt haben, kurz, an das Vaterland appelliert, an alle die, denen es obliegt, die Sache in die Hand zu nehmen. Denn es ist die Sache der Gerechtigkeit des guten Rechtes. Seit dem ersten Tage dieses düstern Dramas verlange ich weder Gnade noch Begünstigung, nur die Wahrheit, denn schließlich, wenn es sich um zwei Dinge handelt, die sich »Gerechtigkeit« und »Ehre« nennen, müssen alle persönlichen Fragen verschwinden und alle Leidenschaften verstummen.
Das dauert nun sechs Monate, und ich weiß nicht, welche Folge definitiv allen meinen Revisionsgesuchen gegeben wurde, ich weiß immer noch nichts … ja, ich weiß eines, daß eine edle Frau, Gattin, Mutter, daß zwei Familien, denen die Ehre alles bedeutet, das Martyrium erleiden.
Ja, ich weiß auch, daß ein Soldat, der seinem Vaterland immer treu und redlich gedient, der alles geopfert hat, Stellung, Vermögen, um ihm die ganze Kraft, die ganze Intelligenz zu widmen, in einem Kerker zu Grunde geht, Tag und Nacht den Qualen der Schande, der unverdienten Verdächtigungen, aller Beleidigungen ausgesetzt.
Noch einmal, Präsident, appelliere ich im Namen meiner Frau, meiner Kinder, meiner Familie an das Vaterland, an den ersten Beamten desselben, um für so viele unschuldige Opfer Gerechtigkeit, die Revision meines Processes zu fordern.
Indem ich Ihrem hohen Billigkeitssinn vertraue, bitte ich Sie, den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung zu genehmigen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 7. Juni 1898.
Herr Präsident,
seit langen Monaten sende ich einen Aufruf nach dem andern an das Staatsoberhaupt, um die Revision meines Processes zu fordern. Ich habe diesen Aufruf am 26. Mai d. J. wiederholt. Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde erwarte ich die Antwort.
Meine körperlichen und seelischen Kräfte nehmen täglich ab. Ich verlange vom Leben nur noch eines, beruhigt ins Grab steigen zu können, mit dem Bewußtsein, daß der Name meiner Kinder von diesem entsetzlichen Makel befreit ist.
Wenn ich als unschuldiges Opfer sterben muß, so werde ich auch im stande sein, zu sterben, Herr Präsident, und ich vermache meine unglücklichen Kinder meinem geliebten Vaterland, dem ich immer treu und redlich gedient … Aber wenigstens erbitte ich mir von Ihrem Wohlwollen, Herr Präsident, eine Antwort auf meine Revisionsgesuche, die Antwort, die ich in Seelenangst von Tag zu Tag erwarte.
Indem ich mein ganzes Vertrauen in das hohe Billigkeitsgefühl des Staatsoberhauptes setze, ersuche ich Sie, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung genehmigen zu wollen.
A. Dreyfus.
Salut-Inseln, 5. Juli 1898.
Herr General,
gebrochenen Herzens, zerrissenen Geistes wende ich mich an Sie, Herr General, und sende aufs neue einen Verzweiflungsschrei, einen weit schmerzlicheren Verzweiflungsruf, als je, an Sie. Ich will Ihnen weder von meinen Leiden, noch von den unaufhörlichen Schlägen, die auf mich niederfallen, die ich nicht verstehe, die ich nie, weder durch Worte, noch durch Thaten provociert habe, sprechen. Aber ich will Ihnen, Herr General, von den entsetzlichen Leiden meiner Familie, der Meinigen sprechen, von einer furchtbaren Lage, der jeder schließlich unterliegen müßte. Ich werde Ihnen immer wieder von meinen Kindern reden, von den lieben kleinen Wesen, die ehrlos aufwachsen, die Parias geworden, und ich flehe Sie mit der ganzen Kraft meiner Seele, mit gerungenen Händen, in verzweifeltem Bitten, aus meinem Herzen als Franzose, als Vater heraus, an, daß Sie alles thun mögen, was menschenmöglich ist, um dem grauenhaften Martyrium so vieler Wesen ein Ende zu setzen.
Herr General, sagen Sie sich nur, daß seit zwei und einem halben Jahr, seit drei Jahren bald, es keinen Augenblick meines Lebens giebt, der nicht Leiden bedeutet, daß wenn ich durch diese entsetzlichen Minuten und Secunden durchgekommen bin, es geschah, Herr General, weil ich gerne ruhig sterben möchte und zufrieden in dem Bewußtsein, daß der Name, den meine Kinder tragen, geehrt und geachtet wird. Heute, Herr General, ist aber meine Lage zu grauenhaft geworden, die Leiden zu entsetzlich … und … ich breche vollständig zusammen. Darum stoße ich diesen gellenden Schrei der hellsten Verzweiflung noch einmal aus, den Schrei eines Vaters, der Ihnen das Kostbarste, was er auf Erden besitzt, das Leben seiner Kinder, das Leben, das nicht zu ertragen ist, bis ihr Name nicht von dem entsetzlichen Makel rein gewaschen ist, ans Herz legt.
Meine ganze Seele drängt sich aus dieser furchtbaren Agonie heraus, stürmisch Ihnen entgegen, aus blutendem, stöhnendem Herzen schreibe ich diese Zeilen an Sie und bin sicher, daß Sie mich verstehen.
Und ich flehe Sie, Herr General, an, daß Sie meiner armen Frau ein gutes Wort geben mögen, daß Sie sie Ihrer mächtigen und ehrenvollen Mithilfe versichern.
Genehmigen Sie den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung.
Alfred Dreyfus.
Salut-Inseln, 8. September 1898.
Herr General,
ich erlaube mir, nur einfach die Bitte zu wiederholen, die ich vor zwei Monaten an Sie gerichtet, indem ich Ihr Wohlwollen, Ihre Intervention in Anspruch nahm, um meine Forderungen zu unterstützen, damit unserem entsetzlichen Leiden endlich ein Ende gesetzt werde, indem ich für meine armen Kinder, die bedauernswertesten Opfer in dieser Tragödie, um Ihre Protection bat.
Indem ich auf Ihr Rechtlichkeitsgefühl vertraue, bitte ich Sie, den Ausdruck meiner ergebensten Hochachtung zu genehmigen.
Alfred Dreyfus.