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XI

Ich will hier nicht über die Verhandlungen des Processes von Rennes berichten.

Obgleich meine Schuldlosigkeit klar zu Tage lag, wurde ich entgegen aller Gerechtigkeit und Billigkeit verurteilt.

Und das Verdict wurde mit mildernden Umständen ausgesprochen. Seit wann giebt es dann mildernde Umstände für Hochverrat?

Aber es waren doch zwei Stimmen für mich, zwei Gewissen waren im stande gewesen, sich über den Parteigeist zu erheben, um nur das Menschenrecht, die Gerechtigkeit, ins Auge zu fassen, und sich vor dem höchsten Ideal zu beugen.

Das Verdict, das fünf Richter auszusprechen wagten, nehme ich aber nicht an.

Ich unterzeichnete am Tage nach meiner Verurteilung mein Revisionsgesuch. Die Urteile der Kriegsgerichte sind allein dem militairischen Revisionsgericht unterstellt; dieses ist nur befugt, über formale Fragen zu entscheiden.

Ich erinnerte mich an die Geschehnisse bei Anlaß des Processes von 1894 und setzte keine Hoffnung auf das Gesuch. Mein Ziel war, die Sache wieder vor den Cassationshof zu bringen, um es diesem zu ermöglichen, das Werk der Gerechtigkeit, das er begonnen, fortzusetzen. Aber ich hatte keine Mittel dazu, denn nach dem Gesetz von 1895 muß man, wenn man der militairischen Gerichtsbarkeit untersteht, ein neues Factum vorbringen oder eine Zeugenaussage als falsch nachweisen, um vor den Cassationshof gehen zu können.

Mein Revisionsbegehren gegenüber dem Gericht bedeutete also nur einen Zeitgewinn.

Ich hatte das Revisionsgesuch am 9. September unterzeichnet. Am 12. September, um 6 Uhr früh, kam mein Bruder Mathieu in meine Zelle; er war vom Kriegsminister, General Galliffet, autorisiert worden, mich ohne Zeugen zu sprechen. Man bot mir Begnadigung an, doch damit die Begnadigungsurkunde unterzeichnet werden könne, mußte ich mein Revisionsgesuch zurückziehen. Obschon ich mir von dem Gesuch nichts versprach, zögerte ich doch, dasselbe zurückzuziehen, denn ich bedurfte keiner Gnade, ich dürstete nach Gerechtigkeit. Andererseits sagte mir mein Bruder, daß meine erschütterte Gesundheit nur wenig Hoffnung gebe, daß ich, zumal unter den Verhältnissen, die man mir nun anweisen würde, längeren Widerstand würde leisten können, daß es nur in der Freiheit viel leichter sein werde, durchzusetzen, daß der entsetzliche Rechtsirrtum wieder gut gemacht werde, dessen Opfer ich immer noch bin; ich gewinne Zeit, was doch auch der einzige Grund des Revisionsgesuches gewesen sei. Mathieu fügte weiterhin bei, daß diejenigen, die in der öffentlichen Meinung und in der Presse am lebhaftesten Partei für mich genommen, ebenfalls geraten hätten, daß ich das Gesuch zurückziehen solle. Und dann dachte ich an die Leiden meiner Frau, an die der Meinigen, an die Kinder, die ich noch nicht gesehen, an die ich seit meiner Rückkehr nach Frankreich ohne Unterlaß denken mußte. Ich willigte denn auch ein, mein Revisionsgesuch zurückzuziehen, aber ich drückte meine unveränderliche, bestimmteste Absicht, die legale Revision des Urteils von Rennes zu erlangen, gleichzeitig klar und deutlich aus.

An dem Tage meiner Freilassung ließ ich eine Notiz erscheinen, die der Ausdruck meiner Gedanken und meines festen Willens ist.

Sie lautet:

»Die Regierung der Republik giebt mir die Freiheit wieder. Diese ist aber wertlos für mich ohne meine Ehre. Von diesem Augenblick an werde ich versuchen, Genugthuung für den entsetzlichen Rechtsirrtum zu erlangen, dessen Opfer ich immer noch bin.

Ich will, daß ganz Frankreich durch ein endgiltiges Urteil erfahre, daß ich unschuldig bin, und mein Herz wird keine Ruhe finden bis zu dem Zeitpunct, wo kein einziger Franzose mir mehr das verabscheuungswürdige Verbrechen zuschreibt, das ein anderer begangen hat.«



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