Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich war in der grenzenlosesten Verzweiflung. Die Nacht, die auf meine Verurteilung folgte, war eine der entsetzlichsten, die ich in dieser Tragödie überhaupt durchgemacht. Wahnsinnige Pläne durchstürmten meinen Kopf, ich war es müde, solche Grausamkeit und Ungerechtigkeit über mich ergehen zu lassen. Aber der Gedanke an Frau und Kind hielt mich vor dem Aeußersten zurück, ich nahm es auf mich, abzuwarten.
Nächsten Tag schrieb ich folgenden Brief:
25. December 1894.
Liebste,
ich leide sehr, aber doch bange ich mich um Dich noch mehr, als um mich. Ich weiß, wie innig Du mich liebst und wie Dir das Herz nun bluten muß. Ich habe Tag und Nacht nur an Dich, mein Liebling, gedacht.
Unschuldig sein, ein makelloses Leben geführt haben und dennoch des entehrendsten Verbrechens angeklagt werden, das ein Soldat begehen kann! Mir scheint oft, als sei ich der Spielball eines verzweifelten Traumes.
Nur um Deinetwillen habe ich bis heute widerstanden, nur um Deinetwillen, Liebste, ertrug ich dieses endlose Martyrium. Werden aber meine Kräfte bis zu Ende aushalten? Ich weiß es nicht. Du allein kannst mir wieder Mut geben; aus Deiner Liebe werde ich ihn schöpfen.
Ich habe den Revisionsantrag unterzeichnet.
Ich wage nicht, von den Kindern zu sprechen, die bloße Erinnerung an sie zerreißt mir das Herz. Erzähle Du mir von ihnen. Mögen sie Dich trösten.
Bis ins Herz hinein bin ich voller Bitterkeit, so daß ich dieses elende Leben schon von mir geworfen hätte, wenn nicht die Erinnerung an Dich mich zurückhielte und ich mich scheute, Dein Leid noch zu vergrößern.
Wenn man aus innerster Ueberzeugung weiß, daß man sich nicht den geringsten Fehltritt, nicht die leiseste Unvorsichtigkeit vorzuwerfen hat, und dann anhören muß, was man mir gesagt, das ist eine unermeßliche seelische Qual.
Ich werde es also um Deinetwillen versuchen, weiter zu leben, doch mußt Du mir dabei helfen.
Auf eines aber kommt es hauptsächlich an: möge aus mir werden, was da will, die Wahrheit muß ans Licht gebracht werden. Himmel und Erde müssen dazu in Bewegung gesetzt werden, unser ganzes Vermögen mag dadurch verschlungen werden, aber mein Name muß von dem Schmutze befreit werden, durch den man ihn gezogen. Er muß um jeden Preis von dem unverdienten Makel reingewaschen werden.
Ich habe nicht die Kraft, länger an Dich zu schreiben. Küsse unsere Eltern, unsere geliebten Kinder, alle Freunde von mir.
Alfred.
Versuche, die Erlaubnis zu erwirken, mich besuchen zu dürfen. Mir scheint daß man Dir dieselbe jetzt nicht mehr verweigern kann.
Am selben Tag, am 23. December, schrieb meine Frau:
Welch ein Unglück, welche Qual, welche Schändlichkeit! Wir alle sind erschüttert und gebrochen. Ich weiß, wie tapfer Du bist, und ich bewundere Dich. Du bist ein unglücklicher Märtyrer. Aber ich flehe Dich an, halte auch den neuen Martern stand. Wir geben unser Leben, unser aller Vermögen hin, um die Schuldigen zu finden, und wir werden sie finden, glaube mir, es wird uns gelingen. Du wirst rehabilitiert werden.
Beinahe fünf Jahre lang sind wir vollkommen glücklich gewesen; von der Erinnerung an dieses Glück müssen wir nun zehren. Eines Tages wird Dir Gerechtigkeit widerfahren und dann kehrt uns auch das Glück zurück, und die Kinder werden Dich verehren, wie einen Heiligen. Wir erziehen dann Deinen Sohn zu einem Mann, der dereinst Dir gleicht, ich wüßte mir kein edleres Vorbild für ihn. Sehnsüchtig hoffe ich, daß es mir erlaubt werden wird, Dich zu besuchen. Wisse aber vor allem das Eine, ich gehe mit Dir, was auch über Dich verhängt werden sollte. Vielleicht ist es zwar gesetzlich nicht gestattet, Dich zu begleiten, aber es kann mir niemand verbieten, Dir nachzureisen, und das werde ich auch thun.
Verliere den Mut nicht, flehentlich bitte ich Dich darum. Du mußt für unsere Kinder und für mich am Leben bleiben.
23. December, abends.
Es war ein Lichtblick in meinem unendlichen Jammer, daß Herr Demange mir Bericht von Dir brachte, und als er so warm und herzlich von Dir sprach, fühlte ich doch ein wenig Trost in meinem armen Herzen.
Du weißt, geliebter Mann, wie innig ich Dich liebe, wie Du mein Ein und Alles bist: und das unaussprechliche Unglück, die entsetzliche Schande, die uns betroffen hat, bindet mich nur noch fester an Dich.
Wohin Du gehen oder verschickt werden magst, ich folge Dir, gemeinsam ertragen wir auch die Verbannung besser, und wir werden dann nur für einander leben, unsere Kinder erziehen und ihre Seelen stählen, daß sie dereinst jedem Schicksalsschlag gewachsen sein werden.
Ich kann nicht ohne Dich leben, Du allein verleihst mir meine Seelenruhe. Der einzige Hoffnungsschimmer, der mir noch verbleibt, ist, daß ich an Deiner Seite meine Tage verbringen kann. Du warst ein Opfer der Ungerechtigkeit und es stehen Dir noch unsägliche Leiden bevor. Die Strafe, die man an Dir vollzieht, ist grauenhaft. Versprich mir aber, daß Du auch sie mutig ertragen willst.
In Deiner Unschuld liegt Deine Stärke. Versuche Dir vorzustellen, daß all das Entsetzliche einem andern angethan wird und nicht Dir, ertrage diese Züchtigung um Deiner Frau willen, die Dich anbetet. Gieb ihr diesen Beweis Deiner Liebe, ihr und den Kindern; sie werden Dir es eines Tages von ganzem Herzen danken. Die armen Kinder schicken Dir Küßchen, sie fragen so oft nach ihrem Papa.
Lucie.
Den Revisionsantrag an das militairische Revisionsgericht hatte ich ohne Hoffnung unterzeichnet. Nur auf Grund eines Formfehlers wäre an dieser Stelle eine Revision überhaupt möglich gewesen; damals wußte ich aber noch nicht, daß die Verurteilung widerrechtlicherweise zu stande gekommen war.
Die Tage vergingen in angstvollem Harren und im heftigsten Seelenkampf zwischen meinem Pflichtgefühl und dem Entsetzen über diese unerhörte und unverdiente Qual. Meine Frau hatte die Erlaubnis, mich zu besuchen, noch immer nicht erhalten; sie schrieb mir lange, zärtliche Briefe, um mich zu stützen und mir Mut einzuflößen, damit ich die Marter der Degradation zu ertragen vermöge.
24. December 1894.
Ich leide mehr, als sich ein Mensch vorstellen kann, wenn ich an die entsetzlichen Qualen denke, die Du ertragen hast. Meine Gedanken verlassen Dich nicht einen Augenblick. Ich stelle mir Dich vor, wie Du in Deinem düstern Gefängnis so ganz Deinen traurigen Reflexionen überlassen bist, und ich vergleiche das Heute mit den glücklichen Jahren, die wir verlebt, mit den köstlichen Stunden, die wir gemeinsam verbracht. Wie gut und hingebend warst Du doch gegen mich, wie pflegtest Du mich in kranken Tagen, was warst Du unsern Lieblingen für ein ausgezeichneter Vater! Diese Gedanken gehen mir beständig durch den Kopf, und ich bin so unglücklich darüber, daß ich allein bin und Dich nicht in meiner Nähe weiß. Geliebter, einziger Mann, wir müssen, müssen wieder vereinigt werden, müssen noch einmal für einander leben können, getrennt vermögen wir alle beide nicht, weiter zu leben. Du mußt alles ertragen, mußt die schlimmsten Qualen über Dich ergehen lassen, Du mußt im Unglück stark und stolz bleiben.
25. December.
Ich weine und weine Tag und Nacht, nur Deine Briefe trösten mich in meinem entsetzlichen Jammer, sie allein stärken mich und halten mich aufrecht. Ich flehe Dich an, geliebter Freund, lebe weiter, mir zuliebe, nimm alle Kraft zusammen, kämpfe Du, wie wir auch gemeinsam kämpfen wollen, bis der Schuldige entdeckt sein wird. Was würde aus mir, wenn ich Dich nicht hätte. Nichts würde mich mehr an das Leben binden, ich würde mich vor Kummer verzehren, wenn mir nicht die Hoffnung bliebe, dereinst mit Dir vereinigt zu werden und an Deiner Seite noch glückliche Jahre zu verleben …
Unsere Kinder sind zu reizend. Dein kleiner Junge fragt so oft nach Dir, und ich kann ihm immer nur Thränen zur Antwort geben. Heute früh fragte er schon wieder, ob Du nicht am Abend nach Hause kommest. Ich habe so sehr, sehr Heimweh nach meinem Papa, sagte er. Jeanne entwickelt sich sehr, sie plaudert schon ganz nett, sucht Sätze zu bilden und wird immer hübscher. Verliere den Mut nicht, Du wirst sie einst wiedersehen, dann erstehen auch unsere Träume, unsere Zukunftspläne aufs neue, und alle unsere Hoffnungen werden sich erfüllen.
26. December 1894.
Ich brachte selber Deine Effecten nach dem Bureau und betrat das Haus, in dem Du Dein furchtbares Martyrium erleidest. Einen Augenblick war mir, als sei ich Dir nun näher, ich hätte die kalten Mauern, die uns trennen, einreißen mögen, um Dich umarmen zu können. Aber es giebt leider Dinge, bei denen der Wille versagt, und die körperlichen und seelischen Kräfte nicht genügen. Mit verzehrender Ungeduld erwarte ich den Augenblick, wo wir uns werden in den Armen halten können …
Ich weiß, daß ich von Dir ein fast übermenschliches Opfer verlange, wenn ich Dich bitte, für die Kinder und mich am Leben zu bleiben, bis Du rehabilitiert sein wirst. Wenn Du nicht mehr wärest, würde ich dem Kummer erliegen, und ich hätte auch nicht den Mut, den Kampf durchzukämpfen, zu dem Du allein mir die Kraft verleihen kannst.
27. December 1894.
Ich werde nicht müde, an Dich zu schreiben und mit Dir zu plaudern; das sind die einzigen guten Augenblicke, die ich habe; ich thue gar nichts anderes, als schreiben und weinen. Deine Briefe thun mir so wohl; ich danke Dir dafür. Fahre nur fort, mich zu verwöhnen. Den Kindern will ich in Deinem Auftrag Spielzeug schenken, sie bedürfen zwar dessen nicht, um Deiner zu gedenken. Du warst zu gut zu ihnen, als daß sie Dich vergessen könnten. Pierre fragt so oft nach Dir, und morgens kommen alle beide in mein Schlafzimmer, Dein Bild zu bewundern. Armer Freund, wie sehr mußt Du darunter leiden, daß Du sie nicht sehen kannst. Bewahre nur den Mut, der Tag wird kommen, an dem wir wieder alle vereinigt und glücklich sein werden, wo Du sie umarmen und Dich ihrer freuen kannst.
Ich bitte Dich inständig, Dich nicht darum zu kümmern, was die Welt denkt; Du weißt doch, wie wetterwendisch die Menge ist. Gieb Dich damit zufrieden, daß alle, die Dich kennen, alle Deine Freunde für Dich sind; die intelligentern Elemente versuchen überdies, von sich aus, das Geheimnis zu entwirren.
27. December 1894.
Ich sehe, daß Du wieder etwas mutiger bist, und dadurch habe auch ich wieder frische Hoffnung. Ertrage die traurige Ceremonie tapfer und rufe erhobenen Hauptes die Kunde von Deiner Unschuld und von Deinem Martyrium Deinen Quälern ins Gesicht.
Sobald dieses Schrecklichste hinter Dir liegt, will ich Dir mit meiner ganzen Liebe, meiner ganzen Zärtlichkeit und Dankbarkeit helfen, das zu ertragen, was nachher kommt. Reinen Gewissens, in der Ueberzeugung, immerdar seine Pflicht gethan zu haben, mit der Hoffnung auf die Zukunft kann man auch alles ertragen …
Lucie.
Am 31. December 1894 erfuhr ich, daß mein Revisionsbegehren abgewiesen worden sei.
Noch am selben Abend erschien Major du Paty im Gefängnis und verhörte mich noch einmal, um mich auszufragen, ob ich nicht irgend eine Unvorsichtigkeit oder einen Versuch der Anköderung auf dem Gewissen habe. Ich gab ihm keine andere Antwort, als die erneute Versicherung, daß ich unschuldig sei.
Als er mich verlassen hatte, schrieb ich folgenden Brief an den Kriegsminister:
Herr Minister,
ich habe auf Ihren Befehl den Besuch des Majors du Paty erhalten und ihm nochmals erklärt, daß ich unschuldig bin und mir auch nicht die geringste Unvorsichtigkeit vorzuwerfen habe. Ich bin verurteilt und habe keine Gnade zu erbitten. Aber im Namen der Ehre, die mir, wie ich zuversichtlich hoffe, eines Tages wieder zuerkannt werden wird, bitte ich Sie, die Nachforschungen gütigst fortsetzen zu wollen. Die einzige Gnade, um die ich bitte, ist, daß wenn ich einmal nicht mehr hier sein werde, man ohne Unterlaß der Sache nachgehe.
Nachher benachrichtigte ich brieflich Herrn Demange von diesem Besuch.
Vorher schon hatte ich meiner Frau mitgeteilt, daß der Revisionsantrag zurückgewiesen worden war.
31. December 1894.
Meine liebe Lucie,
wie zu erwarten, ist mein Revisionsbegehren zurückgewiesen worden. Soeben hat man mir es mitgeteilt. Suche nun sofort die Erlaubnis zu erwirken, mich besuchen zu dürfen.
Der Augenblick der grausamen, schreckensvollen Marter rückt näher, ich werde sie mit der Würde, die ein reines und ruhiges Gewissen verleiht, ertragen. Es wäre eine Lüge, wenn ich sagen wollte, daß ich leide; aber ich werde nicht wanken …
Meine Frau antwortete:
1. Januar 1895.
Gestern nachmittags reichte ich mein Gesuch, Dich besuchen zu dürfen, an zuständiger Stelle ein, bis jetzt haben wir die Antwort umsonst erwartet … Wenn die Erlaubnis doch nur morgen noch eintrifft. Was könnten sie schließlich auch noch für Einwände dagegen erheben? Gründe hat man nicht mehr, es wäre reine Grausamkeit und Barbarei. Armer, armer Freund, könnte ich Dich doch umarmen und trösten. Sieh, mein Herz blutet im Gedanken an Dich und die Qualen, die Du erleiden mußt.
Ein Mensch wie Du, feinsinnig und hochherzig, voll unwandelbarer Güte und voll des heißesten Patriotismus, wird mit einer solchen Grausamkeit, mit einer solchen Hartnäckigkeit gequält und entgilt als Unschuldiger das Verbrechen eines andern, der sich feige hinter seiner Missethat versteckt! Es ist unfaßbar, daß, wenn überhaupt eine Gerechtigkeit existiert, der Thäter nicht entdeckt und die Wahrheit nicht ans Licht gebracht werden sollte.
Lucie.
Endlich wurde meiner Frau gestattet, mich zu besuchen und zwar im Sprechzimmer des Gefängnisses. Es ist das ein öder Raum, in der Mitte durch zwei parallele Gitter geteilt, die mit verticalen und horizontalen Eisenstäben versehen waren. Meine Frau stand auf der einen Seite des einen Gitters, ich auf der anderen des zweiten.
So durfte ich nach all den entsetzlichen Wochen meine Frau wiedersehen. Ich konnte sie nicht einmal küssen und in die Arme schließen, und wir durften nur von weitem mit einander sprechen. Und dennoch empfand ich eine tiefe Freude, als ich ihr liebes Antlitz wieder sah; ich versuchte in demselben die Spuren zu entdecken, die das Leiden und der Schmerz hinterlassen.
Als sie sich entfernt hatte, konnte ich dem Wunsche nicht widerstehen, noch weiter mit ihr zu plaudern.
Mittwoch, 5 Uhr.
Liebste,
ich will noch einige Zeilen an Dich schreiben, Die Du morgen früh beim Erwachen erhalten sollst.
Es hat mir sehr wohl gethan, daß ich mit Dir sprechen konnte, wenn es auch nur durch die Gitterstäbe hindurch geschah. Ich zitterte vor Erregung, als ich Dir entgegen ging, ich mußte mich zusammennehmen, um nicht umzusinken. Noch jetzt bebt meine Hand; unser Wiedersehen hat mich bis in die tiefste Seele erschüttert. Wenn ich aber nicht darauf gedrungen habe, Dich länger zurückzuhalten, so geschah es nur, weil meine Kräfte versagten, es war mir ein Bedürfnis, mich zurückzuziehen, um weinen zu dürfen.
Denke darum nur ja nicht, daß ich weniger stark und mutig bin; die drei Monate Gefängnis haben eben meine Körperkraft geschwächt.
Am meisten hat es mir wohlgethan, daß Du so mutig und tapfer, so voller Liebe für mich bist, und Du wirst auch weiterhin standhaft bleiben, Liebste; durch unsern Mut, durch unsere Haltung zwingen wir der Welt Achtung ab. Du wirst empfunden haben, daß ich meinerseits zu allem entschlossen bin; ich will meine Ehre wieder erlangen und werde sie erlangen; kein Hindernis der Welt vermag mich zurückzuschrecken.
Danke allen, die zu uns halten, danke Herrn Demange für das, was er an einem Unschuldigen gethan, sage Du ihm, da ich es selbst nicht auszusprechen vermochte, wie innig dankbar ich ihm bin. Sage ihm aber auch, daß ich in dem heißen Kampf um meine Ehre noch weiter auf ihn zähle.
Alfred.
Unser erstes Wiedersehen im Sprechsaal des Gefängnisses hatte durch diese äußeren Bedingungen einen so erschütternden Eindruck auf die Anwesenden gemacht, daß Major Forzinetti für mich die Erlaubnis erbat und erwirkte, daß ich meine Frau in seiner Gegenwart in seinem Privatbureau empfangen durfte.
Meine Frau kam ein zweites Mal; damals gelobte ich ihr, mutig die Marter der grauenvollen Procedur zu ertragen. Ich schrieb ihr nach ihrem Besuch:
Ich bin ruhiger, seit ich Dich wiedergesehen habe, und es hat mir unendlich wohl gethan, daß ich Dich küssen und umarmen konnte.
Wie ungeduldig hatte ich jenen Augenblick herbeigesehnt. Ich kann Dir nur danken für die Freude, die Du mir bereitet.
Von ganzem Herzen liebe ich Dich, Du Gute, Liebe. Wir wollen die Hoffnung nicht verlieren, daß alles dieses ein Ende nehmen wird. Ich muß mir aber meine Energie bewahren.
Es war mir auch vergönnt, meinen Bruder Mathieu auf einen Augenblick zu sehen; ich kenne seine bewundernswerte Treue und Anhänglichkeit.
Am 3. Januar erfuhr ich, daß die Vollziehung der Strafe auf den nächstfolgenden Tag festgesetzt worden war.
Donnerstag früh.
Man benachrichtigt mich, daß übermorgen der Zeitpunct ist, an dem die entsetzliche Demütigung vorgenommen werden soll. Ich wußte ja, daß das kommen mußte, und war darauf vorbereitet, und dennoch traf mich die Nachricht wie ein heftiger Schlag. Ich werde aber stand halten, ich habe Dir's versprochen. Die Kraft, die es dazu bedarf, schöpfe ich aus Deiner Liebe und aus der Anhänglichkeit von Euch allen, aus der Erinnerung an unsere geliebten Kinder, und aus der zuversichtlichen Hoffnung, daß die Wahrheit sich Bahn brechen wird. Aber ich muß empfinden, wie Euere Liebe mich umwebt und wie Ihr mit mir kämpft. Forscht, forscht nur nach der Wahrheit, forscht ohne Rast und Ruhe …
Alfred.