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Montag, den 5. Juni 1899, um halb ein Uhr mittags, stürzte der Oberwärter in meine Zelle und überbrachte mir folgendes Schreiben:

»Benachrichtigen Sie sofort den Hauptmann Dreyfus von dem Beschluß des Cassationshofes, der folgendermaßen lautet: Der Cassationshof annulliert das am 22. December 1894 durch das erste Kriegsgericht der Commandantur von Paris über Alfred Dreyfus verhängte Urteil und verweist den Angeklagten vor das Kriegsgericht von Rennes etc. etc.

Es ist verfügt worden, daß der gegenwärtige Beschluß gedruckt und in den Acten des ersten Kriegsgerichts auf den Rand des annullierten Beschlusses übertragen werden soll; kraft dieses Beschlusses hört Hauptmann Dreyfus auf, den Deportationsverordnungen unterstellt zu sein, er ist einfach sistiert, erlangt seinen Grad wieder und darf Uniform tragen.

Bewirken Sie Entlassung aus der Strafhaft durch die Verwaltung der Strafcolonie und ziehen Sie die militairische Bewachung von der Teufelsinsel zurück; der Truppencommandant hat den Sistierten in Haft zu übernehmen, und die Wärter durch eine Polizeibrigade zu ersetzen, welche in der reglementairen Position der Militairgefängnisse den Wachtdienst auf der Teufelsinsel zu besorgen hat.

Der Kreuzer »Sfax« geht heute von Fort-de-France ab und hat Ordre, den Sistierten von der Teufelsinsel abzuholen und nach Frankreich zu bringen.

Teilen Sie Hauptmann Dreyfus den Beschluß und den Abgang des »Sfax« mit.

Meine Freude war unsäglich, unaussprechlich. Endlich wurde ich von der Folterbank befreit, aus der ich fünf Jahre lang festgebunden gewesen, wo ich um der Meinigen, um meiner Kinder willen, ein ebenso großes Martyrium erlitt, wie um meiner selbst willen. Das Glück folgte auf die unaussprechlichen Qualen, das Morgenrot der Gerechtigkeit erhob sich endlich auch für mich. Nach der Verfügung des Gerichtshofes schloß ich, daß alles zu Ende sei, und daß es sich nur noch um eine einfache Formalität handle.

Von meiner eigentlichen »Geschichte« wußte ich nichts. Ich steckte noch im Jahr bei dem Bordereau, dem einzigen Schriftstück des Dossier, beim Kriegsgericht, bei der grauenhaften Executionsparade, bei dem Wutgeheul einer mißgeleiteten Menge; ich glaubte an die Loyalität des General Boisdeffre, ich glaubte an das Staatsoberhaupt, Felix Faure, die ich mir alle voll Eifers und Begeisterung für Wahrheit und Recht vorstellte. Nachher hatte sich ein Schleier über meine Augen gesenkt, der täglich undurchdringlicher wurde, die vereinzelten Thatsachen, die ich seit einigen Monaten erfahren, waren mir unverständlich geblieben. Ich hatte den Namen Esterhazy gehört, vernahm die Fälschung und den Selbstmord Henrys; ich hatte nur dienstliche Beziehung zu dem heldenhaften Oberstlieutenant Picquart gehabt. Der großartige Kampf, den einzelne hervorragende Geister, denen Aufklärung und Wahrheit über alles ging, eingeleitet, war mir vollkommen unbekannt.

Aus der Verfügung des Gerichtshofes hatte ich herausgelesen, daß meine Unschuld erkannt worden sei und dem Kriegsgericht, an welches man mich verwies, nur noch die Ehre vorbehalten sein sollte, einen furchtbaren Rechtsirrtum wieder gut zu machen.

Am selben Nachmittag, 5. Juni, ließ ich folgende Depesche an meine Frau abschicken:

Bin von ganzem Herzen bei Dir und den Kindern, allen. Reise Freitag. Erwarte mit ungeheurer Freude den Augenblick höchsten Glücks, Dich in meine Arme zu schließen. Tausend Küsse.

Am Abend kam eine Brigade Gensdarmerie von Cayenne herüber, um mich bis zu meiner Abreise zu bewachen. Ich sah die Wärter abziehen, mir war, als wandle ich nach einem langen furchtbaren Albdrücken im Traum.

Ich erwartete aufgeregt die Ankunft des »Sfax«. Donnerstag Abend sah ich in der Ferne eine Rauchwolke auftauchen und erkannte bald darauf ein Kriegsschiff. Es war aber zu spät, als daß ich noch hätte eingeschifft werden können.

Dank der Zuvorkommenheit des Bürgermeisters von Cayenne hatte ich einen Anzug, einen Hut, etwas Wäsche, kurz, das Notwendigste, um nach Frankreich zurückkehren zu können, erhalten.

Freitag, 9. Juni, früh um 7 Uhr holte man mich in der Schaluppe der Strafcolonie von der Teufelsinsel ab. Endlich verließ ich diese unselige Insel, auf der ich so viel gelitten hatte. Der »Sfax« war wegen seines Tiefgangs sehr weit draußen stationiert. Die Schaluppe brachte mich bis an die Stelle, wo das Schiff vor Anker lag, aber da mußte ich zwei Stunden lang warten, bis man mich aufnahm. Die See ging hoch und die Schaluppe, eine wahre Nußschale, tanzte auf den hohen Wogen des Atlantischen Oceans. Ich wurde seekrank, wie alle, die sich an Bord befanden.

Um zehn Uhr kam die Ordre, daß wir anbooten sollten; ich stieg an Bord des »Sfax« und wurde vom ersten Schiffsofficier empfangen und in die Unterofficierscabine geführt, die extra für mich hergerichtet worden war. Das Fenster der Cabine war vergittert worden (ich glaube, diese Vorbereitung war der Grund gewesen, warum man mich so lange hatte warten lassen); die Thüre mit Glasfenster wurde durch eine Schildwache in Waffen bewacht. Abends erkannte ich aus der Bewegung des Fahrzeugs, daß der »Sfax« Anker lichtete und sich in Gang setzte.

Meine Behandlung an Bord des »Sfax« war diejenige eines Officiers in Arrest, morgens und abends durfte ich eine Stunde auf der Commandobrücke auf und ab gehen. Die übrige Zeit blieb ich in meiner Cabine eingeschlossen. Auch an Bord des »Sfax« hielt ich die Haltung bei, die ich von Anfang an aus dem Gefühl meiner persönlichen Würde und der Gleichberechtigung mit allen angenommen: außer über Fragen des Dienstes sprach ich mit niemand.

Sonntag, 18. Juni, liefen wir die Cap-Verdeschen Inseln an, wo der »Sfax« hielt und Kohle aufnahm; wir fuhren Dienstag, den 20., wieder weiter. Das Schiff hatte eine geringe Fahrgeschwindigkeit, 8–9 Knoten die Stunde.

Am 30. Juni erblickten wir die französische Küste. Nach fünf Jahren des Martyriums kehrte ich zurück, um Gerechtigkeit zu suchen. Der entsetzliche Traum war zu Ende. Ich glaubte, daß die Menschen nun ihren Irrtum erkannt haben, ich erwartete, daß ich die Meinigen wiederfinden werde und hinter meiner Familie die Kameraden, die mich mit Thränen in den Augen, mit offenen Armen empfangen würden.

Am selben Tag erlebte ich die erste Enttäuschung, den ersten traurigen und schmerzlichen Eindruck.

Am Morgen des 30. hielt der »Sfax« an. Man informierte mich, daß ein Boot mich abholen würde, um mich an Land zu bringen, aber man wollte mir nicht sagen, wo das geschehen sollte. Ein erstes Boot kam, es brachte einfach die Ordre, daß auf offener See manövriert werden sollte. Die Ausbootung war verschoben. Alle diese Vorsichtsmaßregeln, dieses geheimnisvolle Kommen und Gehen erweckten in mir eine unangenehme Empfindung. Ich hatte eine Art unbestimmter Ahnung der Ereignisse, die da kommen sollten.

Mittags nahm der »Sfax« langsam die Fahrt wieder auf und hielt Curs an der Küste entlang. Gegen sieben Uhr abends hielt der Kreuzer wieder an. Die Nacht war dunkel, die Luft feucht und der Regen goß in Strömen. Man benachrichtigte mich, daß der Dampfer mich am spätern Abend abholen werde.

Um neun Uhr sagte man mir, daß eine Jolle an der Falltreppe des »Sfax« liege, die mich zum Dampfer bringen solle, der zwar angekommen war, sich aber wegen des schlechten Wetters nicht nähern konnte. Die See ging hoch, es herrschte ein wütender Sturm und es regnete in Strömen. Die Jolle tanzte auf den Wellen vor der Falltreppe des »Sfax« ganz entsetzlich und konnte sich kaum dort halten. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich hineinzustürzen, und ich verwundete mich dabei ernstlich. Die Jolle fuhr dann unter heftigsten Regengüssen ab. Durch die Aufregung, die diese Ausbootung mir verursachte, durch die Kälte und die durchdringende Nässe zog ich mir einen Fieberanfall zu, so daß mir die Zähne klapperten. Dank meiner Willensanstrengung und Energie vermochte ich dennoch, mich zu beherrschen. Nach einer tollen Fahrt auf den schäumenden Wogen langten wir bei dem Dampfer an; ich hatte große Mühe, die Treppen hinanzusteigen, denn die Wunde am Bein, die ich mir beim Sprung in die Jolle gestoßen, schmerzte sehr. Ich beobachtete immer dasselbe Schweigen. Der Dampfer bewegte sich und hielt dann an. Ich war vollkommen im unklaren darüber, wo wir uns befanden und wo wir hinfuhren, man hatte nicht ein Wort an mich gerichtet. Nach ein oder zwei Stunden wurde ich gebeten, das herabgelassene Boot zu besteigen. Die Nacht war immer gleich dunkel, der Regen fiel immer noch in Strömen, doch die See war ruhiger. Ich wurde mir klar darüber, daß wir uns in einem Hafen befinden müssen. Um 2¼ Uhr morgens landeten wir an einer Stelle, die, wie ich später erfuhr, Port-Houliguen war.

Dort wurde ich mit einem Polizeihauptmann und zwei Polizisten in einen Wagen gebracht, und dieser Wagen führte mich zwischen zwei Reihen von Polizisten hindurch an einen Bahnhof. Am Bahnhof stieg ich mit denselben Begleitern, ohne daß ein Wort gewechselt wurde, in einen Eisenbahnzug, der mich nach zwei oder drei Stunden Fahrt wieder zu einem andern Bahnhof brachte, wo ich ausstieg. Ich fand da einen weiteren Wagen vor, der mich im raschen Lauf in eine Stadt und dann in einen Hof führte. Ich stieg aus und merkte an dem Personal, das mich umgab, daß ich mich im Militairgefängnis von Rennes befand. Es war ungefähr sechs Uhr morgens.

Man kann sich leicht vorstellen, wie groß in mir Ueberraschung, Erstaunen, Betrübnis und Schmerz über eine derartige Rückkehr in die Heimat waren. Da, wo ich geglaubt, Menschen anzutreffen, die von einem gemeinsamen Zug der Gerechtigkeits- und Wahrheitsliebe erfüllt und von dem Wunsche beseelt waren, mich alle Schrecken des Rechtsirrtums vergessen zu machen, fand ich nur ängstliche Gesichter, kleinliche Vorsichtsmaßregeln, eine verrückte Ausschiffung auf wütender See mitten in der Nacht und körperliche Schmerzen, die sich mit meinen seelischen vereinigten. Glücklicherweise hatte ich während der langen Jahre meiner Gefangenschaft gelernt, meinem Gemüt, meinen Nerven, meinem Körper eine ungeheure Widerstandskraft zu verleihen.

Es war der 1. Juli. Um neun Uhr morgens wurde mir mitgeteilt, daß ich in wenigen Augenblicken, in dem anstoßenden Zimmer, meine Frau würde sehen können. Dieser Raum war, wie der meinige, durch ein dichtes Holzgitter geschlossen, so daß man nicht in den Hof sehen konnte, man hatte einen Tisch und Stühle hineingestellt. Alle meine Zusammenkünfte mit den Meinigen, mit meinen Verteidigern fanden dort statt. Wie stark ich auch war, es ergriff mich doch ein heftiges Beben, die Thränen strömten mir aus den Augen, die Thränen, die ich schon seit so langer Zeit nicht mehr kannte, aber ich vermochte bald wieder, mich zu beherrschen.

Die Erschütterung, die wir beide, meine Frau und ich, bei diesem Wiedersehen empfanden, war zu stark, als daß man ihre Intensität durch Worte wiedergeben könnte. Es mischte sich alles durcheinander, Freude und Schmerz, wir suchten gegenseitig in unsern Mienen die Spuren unserer Leiden zu lesen, wir hätten uns gleich alles sagen mögen, was wir auf dem Herzen hatten, alle die Empfindungen, die wir in so langen Jahren unterdrückt und erstickt hatten, aber die Worte erstarben uns auf den Lippen. Wir gaben uns damit zufrieden, uns zu betrachten, und erkannten durch den Austausch unserer Blicke die ganze Macht unserer Liebe und unseres Willens. Die Gegenwart eines Infanterielieutenants, der beauftragt worden war, unserer Unterhaltung beizuwohnen, hemmte auch jede Intimität. Andererseits wußte ich nichts von den Ereignissen, die sich zugetragen in den letzten fünf Jahren; ich war voller Zuversicht zurückgekehrt. Diese Zuversicht war zwar durch die Wechselfälle der aufregenden Nacht, die ich hinter mir hatte, sehr erschüttert worden. Ich wagte aber nicht, meine geliebte Frau darüber zu befragen, weil ich fürchtete, ihr Schmerz zu bereiten, und auch sie zog vor, es meinen Advocaten zu überlassen, mich über die Vorfälle zu informieren.

Meiner Frau wurde gestattet, mich täglich eine Stunde zu besuchen. Ich sah der Reihe nach alle Mitglieder unserer Familie wieder, und nichts ist mit der Freude zu vergleichen, die wir empfanden, als wir uns nach so langen, schmerzvollen Jahren wieder umarmen konnten.

Am dritten Juli waren die Herren Demange und Labori bei mir. Ich warf mich Herrn Demange in die Arme, dann wurde ich Herrn Labori vorgestellt. Mein Vertrauen in Herrn Demange und in seine absolute Zuverlässigkeit war sich vollkommen gleich geblieben; ich empfand sogleich eine lebhafte Sympathie für Herrn Labori, der sich ebenso mutig wie beredt zum Verteidiger der Wahrheit gemacht hatte, ich drückte ihm auch meine tiefe Dankbarkeit aus. Dann gab mir Herr Demange eine gedrängte Uebersicht der »Affaire«. Ich hörte atemlos zu, und die einzelnen Vorfälle dieser dramatischen Geschichte verketteten sich allmählich in meinem Geist. Dieses erste Exposé wurde durch Herrn Tabori ergänzt. Ich vernahm nun die lange Reihe von Missethaten und Verruchtheiten, von bewiesenen Verbrechen gegen meine Unschuld. Ich hörte von den heldenhaften Thaten, den außerordentlichen Anstrengungen einiger hervorragender Geister, dem herrlichen Kampf, der von einer Handvoll Männer von großem Herzen und großem Charakter gegen diesen ganzen Bund von Lüge und Ungerechtigkeit unternommen worden war. Was war das für mich, der ich nie an der Gerechtigkeit der Gerichtsbarkeit gezweifelt, für ein Zusammenbruch aller meiner Ueberzeugungen! Die Illusionen, die ich meinen früheren Vorgesetzten gegenüber gehegt, schwanden eine nach der anderen, und meine Seele füllte sich mit ungeheuerem Schmerz. Ich wurde von unsäglichem Mitleid und großer Trauer für die Armee, die ich über alles liebte, erfaßt.

Nachmittags sah ich meinen geliebten Bruder Mathieu, der sich seit dem ersten Tage meines Unglücks meiner angenommen, der während fünf Jahren mit bewundernswertem Mut, Klugheit und Willenskraft auf der Bresche gestanden, der das schönste Beispiel von Bruderliebe gegeben hat.

Am folgenden Tag, 4. Juli, übergaben mir die Advocaten die Auszüge aus dem Proceß von 1898, die Enquête der Criminalkammer, die definitiven Verhandlungen vor dem Cassationshof. Ich las den Zola-Proceß in der darauf folgenden Nacht und konnte mich davon nicht losreißen. Ich sah, wie Zola verurteilt wurde, weil er die Wahrheit gewollt und gefordert hatte, ich las von dem Eid des Generals Boisdeffre, der die Authenticität der Fälschung Henrys beschwor. Während ich immer trauriger wurde, als ich so sah, wie die Leidenschaften die Menschen irre zu führen vermögen, während ich von all den Verbrechen las, die gegen die Unschuld begangen worden, erhob sich doch ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und Bewunderung für alle die mutigen Männer in mir, die sich als Gelehrte oder Arbeiter, oder Niedrige tapfer in den Kampf für den Sieg der Gerechtigkeit und Wahrheit, für die Aufrechterhaltung der Grundsätze, die das Erbe der Menschheit sind, gestürzt. Es wird auch diese Erhebung von Männern aller Kategorieen ein Ruhmesblatt in der Geschichte Frankreichs bedeuten; da waren Gelehrte, die bis dahin sich in die stillen Arbeiten des Laboratoriums oder des Studierzimmers vergraben, Arbeiter, die ihr hartes Tagewerk verrichten, Politiker, die das allgemeine Interesse über ihr persönliches stellten, sie alle traten dafür ein, daß die hohen Gedanken von Gerechtigkeit, Freiheit, Wahrheit die Oberherrschaft bewahren sollten.

Dann las ich das bewundernswerte Gesuch, das Herr Monard dem Cassationshof eingereicht, und das Gefühl tiefster Hochachtung, das ich von jenem Augenblick an für den hervorragenden Advocaten hegte, wurde nur noch verstärkt, als ich ihn persönlich kennen gelernt und seine hohe, unabhängige Intelligenz schätzen konnte.

Ich stand früh, zwischen vier und fünf Uhr, auf und arbeitete den ganzen Tag. Ich schlug in lebhaftester Wißbegier die Acten nach und gelangte von Ueberraschung zu Ueberraschung vor dieser gewaltigen Menge von Ereignissen. Ich erfuhr nun auch die Illegalität des Processes von 1894 die geheime Mitteilung von falschen oder mich nicht betreffenden Actenstücken an die Mitglieder des ersten Kriegsgerichts, die durch General Mercier anbefohlen worden, ich erfuhr die geheimen Machenschaften, durch die man den Schuldigen retten wollte.

Ich erhielt zu jener Zeit auch tausende von Briefen von bekannten und unbekannten Freunden, aus allen Ecken und Enden Frankreichs, Europas, der ganzen Welt; ich habe ihnen nicht einzeln antworten können, aber es war mir ein Herzensbedürfnis, ihnen hier auszusprechen, wie sehr mein Gemüt durch diese Beweise der rührenden Sympathie bewegt wurde, wie wohl sie mir gethan, und wie viel Kraft ich daraus geschöpft.

Der Klimawechsel hatte mich sehr mitgenommen; ich fror immer und mußte mich warm kleiden, obschon wir uns mitten im Sommer befanden. In den letzten Tagen des Juli hatte ich starke Fieberanfälle, die von einem acuten Leberleiden begleitet waren, ich mußte das Bett hüten, wurde aber dank energischer ärztlicher Behandlung bald wieder hergestellt. Ich lebte dann nur von Milch und Eiern, und hielt diese Lebensweise während meines Aufenthaltes in Rennes aufrecht, während der Verhandlungen fügte ich noch etwas Cola bei, um die langen, endlosen Audienzen ertragen und mich aufrecht erhalten zu können.

Der Termin der Eröffnung der Verhandlungen war auf den 9. August festgelegt. Ich mußte auf die Zähne beißen. Ich war ungeduldig für meine geliebte Frau, die von den beständigen Aufregungen erschöpft war, sowie auch für mich selbst endlich das Ende des schrecklichen Martyriums zu erreichen. Ich war ungeduldig, meine geliebten Kinder wieder zu sehen, die noch von nichts wußten, und ungeduldig in aller Ruhe mit meiner Frau und ihnen die Kümmernisse der Vergangenheit zu vergessen und zu neuem Leben zu erstehen.



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