Hans Dominik
Das ewige Herz
Hans Dominik

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Von der Viertelstunde zur Mikrosekunde

Die große untrügliche Normaluhr für alle Zeitangaben ist unser Erdball. Wir haben Grund zu der Annahme, daß sich die Umdrehungen um seine Achse seit Jahrhunderten in genau gleichbleibenden Zeitspannen vollziehen, so daß also für einen Beobachter auf der Erde das gestirnte Firmament sich völlig gleichmäßig zu drehen scheint. Die Beobachtung des Durchganges eines Fixsternes durch das Fadenkreuz eines Meridianfernrohres muß daher eine genaue Zeitangabe liefern. Für die Bewegung der Erde um die Sonne besteht eine solche absolute Gleichmäßigkeit nicht. Deshalb gehen die Normaluhren der Sternwarten nach Sternzeit und für die Zwecke des praktischen Lebens wird aus ihr eine gleichmäßige Sonnenzeit errechnet, nach der nun unsere Gebrauchsuhren gehen.

Die Aufgabe der Uhrmacherkunst ist es gewesen, Apparate zu erfinden, die eine ebenfalls möglichst absolut gleichbleibende Drehung erzeugen. Sie löste die Aufgabe, indem sie mechanische Schwingungssysteme (Pendel oder Unruh) von einer konstanten, von äußeren Einflüssen wie Temperatur und Luftdruck unabhängigen Eigenschwingung schuf und diese Schwingungen durch ein als Zählwerk wirkendes Räderwerk auf die Zeiger übertrug. Spitzenleistungen dieser Technik sind die astronomischen Pendeluhren und die Schiffschronometer, die auf lange Zeit nur Abweichungen von geringen Bruchteilen der Sekunde aufweisen.

Das bis zur Höchstleistung entwickelte Schiffschronometer gestattete nicht nur eine sichere Navigation, sondern ermöglichte auch eine zuverlässige Kartographie und die Fertigung von Erdgloben, deren Angaben bis auf wenige Dekameter mit der Wirklichkeit übereinstimmen.

In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts eröffnete die elektrische Telegraphie auch für die Zeitmessung und Zeitübermittlung neue Möglichkeiten. Es war keine sonderlich schwere Aufgabe, etwa an der Pendeluhr einer Sternwarte Kontakte anzubringen, die durch das hin und her schwingende Pendel betätigt, einen Stromkreis in regelmäßigen Intervallen schlossen und öffneten. Die so gewonnenen Stromstöße konnten von dieser ersten Uhr, der »Mutteruhr«, durch den Draht zu beliebigen anderen Stellen geleitet werden, dort Elektromagneten erregen und die Pendel anderer Uhren, der »Tochteruhren« auf hundertstel Sekunden genau im Rhythmus des Pendels der Mutteruhr schwingen lassen.

Nach diesem Schema erhielt beispielsweise die Reichshauptstadt schon zu Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sechs über das Stadtgebiet verteilte Normaluhren, die von einer Pendeluhr der Berliner Sternwarte gesteuert wurden. Die durch diese Anordnung erzielte Genauigkeit der Zeitangabe von Bruchteilen einer Sekunde ging weit über das praktische Bedürfnis hinaus und sehr bald ist man dann auch zu wesentlich einfacheren und entsprechend billigeren Einrichtungen gekommen. In der Tat war ja die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der mechanischen Uhren längst so groß, daß es vollauf genügte, ihre Zeigerstellung in größeren Zeitintervallen zu kontrollieren. So wurden und werden beispielsweise die vielen tausend Uhren auf den Bahnhöfen der preußischen Eisenbahnverwaltung und später der Reichsbahn, von einer Zentralstelle in Berlin jeden Morgen um acht Uhr durch einen über das Netz der Bahntelegraphen gesandten Stromstoß reguliert.

So standen die Dinge, als kurz nach der letzten Jahrhundertwende etwas völlig Neues hinzutrat, die drahtlose Telegraphie. Durch sie vermochte man ein Zeitsignal von irgendeinem Sender aus auf zehntel Sekunden genau über den ganzen Erdball zu verbreiten und die astronomische Ortsbestimmung erfuhr damit eine Steigerung der Genauigkeit bis auf Meter, ja sogar auf Teile eines Meters. Das ging bereits über die Anforderungen der Schiffahrt hinaus, aber die Wissenschaft der Geologen erfuhr dadurch eine Vertiefung ihrer Erkenntnisse, die ihren schönsten Ausdruck in der Theorie von der Verschiebung der Kontinente fand.

Der deutsche Geophysiker Alfred Wegner hatte die Theorie aufgestellt, daß Europa, Afrika, Grönland und Amerika einst eine zusammenhängende Kontinentalscholle bildeten, daß sie etwa zur Tertiärzeit durch unablässig wirkende Flut- und Fliehkräfte auseinandergerissen wurden, und daß Grönland und in noch stärkerem Maße Amerika stetig weiter nach Westen treiben. Die Theorie war bereits durch zahlreiche geologische Tatsachen, wie beispielsweise den durchgehenden Kohlenstrich vom Rheinland und Belgien nach Pennsylvanien und den Diamantenstrich von Südafrika nach Brasilien bekräftigt worden, doch konnten die Bewegungen der grönländischen und amerikanischen Scholle zunächst noch nicht sicher festgestellt werden, da die früheren nach Reisechronometern gemachten Ortsbestimmungen nicht genügend zuverlässig waren. Sobald nun aber die genauere Ortsbestimmung mit Hilfe der Radio-Zeitzeichen einsetzte, gelang der zahlenmäßige Nachweis, daß die Insel Grönland sich jährlich von Europa um elf Meter nach Westen entfernt, die nordamerikanische Scholle um ungefähr den doppelten Betrag.

Es ist hier nicht der Ort näher auf diese überaus interessante Theorie einzugehen. Nur das mag gesagt werden, daß es durch die neue Zeit- und Ortsbestimmung möglich geworden ist, kontinentale Bewegungen sowohl nach Westen wie nach dem Äquator hin auf dem ganzen Globus festzustellen. So wissen wir heute, daß auch unsere deutschen Städte nicht unverrückbar auf demselben Punkte der Erdkugel bleiben, sondern stetig nach Süden wandern, und wenn die jährliche Bewegung auch nur wenige Meter beträgt, so muß sie sich im Laufe der Jahrtausende doch merklich addieren und fühlbare Klimaveränderungen mit sich bringen. –

Weiter erhielt die eigentliche Zeitmeßkunst selbst einen gewaltigen Einfluß durch die Radiotechnik. Wie das Uhrmacherhandwerk mit mechanischen Schwingungssystemen, so arbeitet ja die Radiotechnik mit elektrischen Schwingungskreisen und zwar je nach Bedarf mit solchen einer gleichbleibenden oder einer variablen Eigenschwingung. Bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts genügten die rein elektrischen Schwingungskreise, dann aber wurde es für Sendezwecke erforderlich, Kreise von einer möglichst absolut konstanten Eigenschwingung zu schaffen, und die Entwicklung führte zu einem elektrisch-mechanischen System für das man die Erscheinungen der Piezo-Elektrizität nutzbar machte, die Tatsache nämlich, daß bei gewissen Kristallen durch äußeren Druck Elektrizität erzeugt und umgekehrt durch Elektrizität ihre Gestalt verändert wird.

Als besonders geeignet erwiesen sich Quarzkristalle, die man in Plättchen- oder Stäbchenform schliff und an zwei gegenüberliegenden Flächen versilberte. Wird ein derartiger Kristall in einen elektrischen Schwingungskreis geschaltet, so gerät er durch wechselnde Ladung der Silberbeläge in mechanische Schwingungen, deren Frequenz von der Form des Quarzplättchens abhängt und bei konstanter Temperatur und konstantem atmosphärischem Druck ebenfalls absolut konstant ist, gleichbleibend bis auf zehntausendstel Sekunden und konstanter als diejenige jedes rein mechanischen oder elektrischen Schwingungssystems. Es war eine verhältnismäßig einfache Aufgabe, die Frequenz des schwingenden Kristalles mit elektrischen Mitteln zu unter- oder übersetzen und auch zu verstärken. So ist der Quarzkreis Ausgangspunkt für verschiedene neue Techniken geworden. Nicht nur Radio- und Ultraschalltechnik basieren auf ihm, er gab auch die Grundlage für »Quarzuhren«, welche die mechanische Uhr an Ganggleichheit übertreffen.

Es ist darüber zwischen den Astronomen und den Anhängern der Quarzuhr sogar zu einer heute noch nicht endgültig geklärten Meinungsverschiedenheit gekommen. Als sich nämlich Jahresdifferenzen von Sekundengröße zwischen der astronomischen Sternzeit und der von den Quarzuhren angezeigten ergaben, wurden Zweifel an der völlig gleichmäßigen Drehung des Erdballes geäußert. Die Frage geht also dahin, was von beiden nun gleichmäßiger läuft, der gewaltige Erdball oder der nur wenige Millimeter große Quarzkristall, der Billionen von Schwingungen vollführt, während die Erde sich einmal um ihre Achse dreht. –

Die Hochfrequenztechnik unserer Zeit hat auch dem Begriff »synchron« einen neuen Inhalt gegeben. Schon die ältere Starkstromtechnik verlangte für viele Zwecke den synchronen Lauf von Elektromaschinen. Wechselstromgeneratoren, die parallel geschaltet werden sollen, müssen vorher auf die tausendstel Sekunde synchronisiert werden und so wurde die Millisekunde bald die gebräuchliche Maßeinheit, nicht nur in der Starkstromtechnik, sondern weiterhin auch für den Relaisbau der automatischen Telephonie und der Schnelltelegraphie. Auch dabei ergab sich wieder eine neuartige elektrische Uhr, die »Synchronuhr«.

Alle Wechselstromwerke, die mit dem großen deutschen Überlandnetz verbunden sind, müssen synchron laufen, d. h. auf die Millisekunde übereinstimmend fünfzig Perioden in der Sekunde liefern. Die Elektrizitätswerke müssen, wie der Fachausdruck lautet, ihre Perioden richtig ausfahren. In der elektrischen Synchronuhr befindet sich nun ein kleiner Elektromagnet, der vom Wechselstrom der Lichtleitung gespeist, ein magnetisches Drehfeld liefert und ein in diesem Felde befindliches Eisenscheibchen samt der Welle, auf der es befestigt ist, fünfzigmal in der Sekunde genau im Einklang mit dem Werkstrom rotieren läßt. Durch ein winziges Räderwerk wird diese Drehbewegung passend untersetzt und auf Zeiger übertragen, die nun auf einem Zifferblatt die Stunden, Minuten und bisweilen auch Sekunden angeben.

Das Triebwerk einer elektrischen Synchronuhr nimmt einschließlich des Elektromagneten nicht mehr Raum ein, als eine kleine Weckeruhr; Zifferblatt und Zeiger können jedoch in beliebiger, dem jeweiligen Bedürfnis entsprechenden Größe ausgeführt werden. Der Gang der Uhr ist auf Millisekunden genau, solange das Elektrizitätswerk an dem sie hängt, »richtig geht«, d. h. seine Perioden richtig ausfährt. Daß dies geschieht, dafür sind besondere Kontrollapparate in den elektrischen Zentralen vorgesehen. Die Uhr versagt den Dienst nur, wenn der Werkstrom ausbleibt, eine Eigenschaft, die sie mit allen stromgespeisten Geräten und Lichtquellen gemeinsam hat. Bei der Synchronuhr hat man aber auch hierfür durch den Einbau einer »Gangreserve« in Form einer mechanischen Federuhr Abhilfe geschaffen, durch welche die stromlose Zeit überbrückt wird.

Beachtenswert ist die Leistung des kleinen Getriebes der Synchronuhr. Die erste schnellste direkt von dem magnetischen Drehfeld getriebene Welle führt im Lauf eines Jahres mehr als anderthalb Milliarden Unidrehungen aus, und zurzeit sind bereits viele Synchronuhren mehr als zehn Jahre in ununterbrochenem Betrieb. Diese feine auf Hochglanz polierte Welle läuft in einem sehr langen Achatlager, das von dem Ölbad her, in welches das weitere Räderwerk eingeschlossen ist, ständig benetzt wird. Dies Räderwerk selbst untersetzt die Drehzahl der Synchronwelle zum großen Zeiger hin im Verhältnis von mehr als vier Millionen zu eins und hat dabei nur die Größe einer kleineren Taschenuhr. So zeugt auch die Synchronuhr für den hohen Stand der Uhrmacherkunst und des Uhrmacherhandwerks.

Die jüngste Schöpfung der Hochfrequenztechnik, der elektrische Fernseher, hat ein noch kleineres Zeitmaß, die Mikrosekunde, d. h. die millionste Sekunde mit sich gebracht. Auch ein kleineres Bild mit verhältnismäßig grobem Raster, das vom Fernsender übertragen wird, hat hundertzwanzig Bildzeilen zu wenigstens je hundertzwanzig Bildpunkten, zusammen also etwa 15 000 Bildpunkte, die zeitlich hintereinander auf der Scheibe des Fernsehempfängers aufleuchten. Daß wir sie als zusammenhängendes Bild empfinden, liegt an der Trägheit unserer Netzhaut, auf welcher der einzelne Bildpunkt eine knappe Zehntelsekunde nachwirkt. Daraus ergibt sich die weitere Folgerung, daß das Bild wenigstens zehnmal in der Sekunde vom Sender gegeben werden muß, also 150 000 Bildpunkte in dieser Zeit auszustrahlen sind. Weiter aber müssen die Bildpunkte der einzelnen Zeilen auch auf Bruchteile eines Millimeters richtig übereinanderstehen, da andernfalls ein verzerrtes Bild erscheinen würde, d. h. es muß ein Synchronismus zwischen Sender und Empfänger herrschen, der mindestens auf den zehnten Teil einer Bildpunktzeit genau sein muß. Damit gelangt man zu Mikrosekunden, zu Zeitmaßen, die in ihrer Kleinheit über jedes Vorstellungsvermögen hinausgehen, und doch muß im Fernseher mit solchen – man möchte fast sagen – Zeitatomen gearbeitet werden, denn jede über Mikrosekunden hinausgehende Abweichung verwandelt das eben auf der Fluoreszensscheibe noch klare Bild in einen schimmernden Nebel.

Von der Viertelstunde des Meister Henlein zur Mikrosekunde . . . das ist der Weg, den die Zeitmessung in weniger als einem halben Jahrtausend ging. Mittels körperlicher Werkstoffe waren die letzten Stadien nicht mehr zu meistern; nur mit masselosen Dingen, mit den Atomen der Elektrizität, den Elektronen, ließen sich die letzten Aufgaben lösen.

Von der Schlosserwerkstatt führte die Entwicklung zum Kabinett des Uhrmachers, um schließlich in das Laboratorium des Elektrophysikers zu gelangen. Jede neue Erkenntnis der exakten Wissenschaften, jede Verbesserung von Werkzeugen, Werkstoffen und Arbeitsverfahren wurde, soweit sie dafür in Betracht kam, der Zeitmessung und der Herstellung der Zeitmeßgeräte dienstbar gemacht. So zeigt ein Rückblick auf die verflossenen fünf Jahrhunderte rastlosen Aufstieg, bald einmal zögernd den Schritt verhaltend, dann wieder jäh voranstürmend. Doch ständig ist es mit der Uhrmacherkunst seit den Tagen Peter Henleins aufwärts gegangen.

Das Drehen eines Lagerzapfens von sechs Hundertstel Millimeter Dicke (Stärke eine Barthaares).
Das Arbeitsstück ist zwischen feine Spitzenlager eingespannt, die wieder in dem Spindelstock links und dem Reitstock rechts befestigt sind.
Der Drehstahl wird mit der Hand gehalten.
Die Beobachtung der Arbeit erfolgt durch die über der Drehbank sichtbare Lupe.

Aufsetzen einer Spiralfeder einer Präzisionstaschenuhr.

Feinpolieren des Lagerzapfens einer Taschenuhr.

Eine Taschenuhr wird nach beendeter Überholung mit Öl versehen.

Eine Armbanduhr ist zum Reinigen zerlegt.

Das Ausfeilen eines Rades.

Der Eingriff eines Rades in ein Trieb wird geprüft.

Das Polieren des vier Hundertstel Millimeter dicken Federteils der Ruhefeder eines Marine-Chronometers.

Die Spiralfeder wird auf der Unruh befestigt.
Im Glasteller liegt der Unruhkloben mit dem aufgeschraubten Deckstein.

 


 


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