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Auf Sankt Sebaldus kündet die Turmuhr mit dröhnenden Schlägen die siebente Abendstunde, als Herr Caspar Nützel die neben der alten Kirche gelegene Schenke betritt. Es ist nur eine kleine Wirtschaft, aber der gemütliche Raum heimelt an. Die bequemen Stühle und Bänke aus altersgebräuntem Eichenholz, laden zum Verweilen. Der Frankenwein, den der Wirt zapft, ist ebenso berühmt, wie die Würstlein, denen das Haus seinen Namen verdankt.
Ehrsame Bürger der freien Reichsstadt, würdige Kaufherrn und zünftige Meister sind es zum größten Teil, die an einem Maienabend des Jahres 1510 hier beim Abendtrunk sitzen. Doch einige Gäste sind auch darunter, deren Namen über die Grenzen des heiligen römischen Reiches hinaus einen guten Klang haben.
In einer Fensternische sitzen Nürnbergs berühmter Maler Albrecht Dürer und der Erzgießer Peter Vischer der Jüngere beisammen. Noch nicht allzulange ist es her, daß Meister Dürer aus dem Lande Italia, wo er zu alten Ehren neuen Lorbeer gewann, in seine Vaterstadt zurückkehrte. Mit begeisterten Worten erzählt er dem Tischgenossen von dem Wunderbaren, was er im sonnigen Südland gesehen. Von den göttlichen Gestalten des Michel Angelo und den farbenprächtigen Bildern des Raffaelo Santi spricht er mit leuchtenden Augen. Schweigend hat Peter Vischer der Rede gelauscht. Nun nimmt auch er das Wort. Von dem Werk beginnt er zu berichten, dessen eherne Gestalten gerade in diesen Wochen und Monaten unter seinen gottbegnadeten Händen entstehen, von den Statuen am Grabmal des heiligen Sebaldus. – – –
Herr Caspar entbietet den beiden Künstlern seinen Gruß und schreitet weiter auf einen Tisch hin, von dem ihm der Ratsherr Leonhard Groland zuwinkt. Eine gelehrte Gesellschaft hat sich hier in kleiner Tafelrunde vereinigt. Da sitzt vor einem Römer klaren Rheinweins der Konsulent des hohen Rates, Herr Christof Scheurl und neben ihm hat der Ratsverwandte Clemens Volkamer Platz genommen. Auch der gelahrte Magister Johannes Cochlaeus, dem der Knecht des Wirtes soeben ein paar dampfende Bratwürstlein hinstellt, gehört zu dieser Runde. Als fünfter reiht sich Herr Caspar ein und bald steht auch vor ihm ein Schoppen.
»Wie war's neulich beim Meister Henlein? Habt Ihr erhalten, was Ihr begehrtet?« fragt ihn der Ratsherr Groland.
»Ein wunderbar Stücklein hab ich erworben«, bejaht Herr Caspar die Frage. »Ein Äpflein aus vielerlei Metall. Unser Meister Henlein ist ein Künstler . . . fast so groß wie jene da . . .«
Während er es sagt, deutet er verstohlen nach dem Tisch hin, an dem Albrecht Dürer und Peter Vischer sitzen.
»Ihr übertreibt wohl um ein weniges, Herr Caspar Nützel«, sucht Herr Volkamer den Überschwang des Sprechers zu dämpfen.
»Gott geb's Herr Caspar, daß Ihr Recht behaltet«, nimmt Christof Scheurl das Gespräch auf. »Bis jetzt haben wir nicht viel Freud am Meister Henlein gehabt. Wollen hoffen, daß sein Weib, die Ernstin, ihn auf dem rechten Weg erhält.«
»Ihr denkt an die alten Geschichten mit dem Clemens Glaser«, bemerkt Herr Groland. »Das ist doch längst abgegolten und verglichen.«
»Ist erst zwei Jahre her, daß der Meister Henlein sich mit den Erben des Erschlagenen vertragen hat«, wirft Herr Clemens Scheurl ein. »Ist doch ein bitterböser Raufhandel gewesen, der unter den Blutbann unserer Stadt fiel. Sie haben in der Nacht auf den achten September des Heiljahres 1504 den Jungmeister Glaser auf den Tod verwundet, die Schlosserknechte Peter Henlein, Jörg Heuß und Paul Tefler. Konnt es der Henlein auch nicht ableugnen, daß er den tödlichen Streich geführt hat und ist gleich nach der Tat in das Barfüßerkloster entwichen.
Vier lange Jahre hat es gewährt bis die schlimme Sach zu einem guten Ende gebracht wurde. Zweiundzwanzigmal hat der Totschläger das Asylrecht des Klosters in Anspruch nehmen müssen, ehe der Vergleich zustande kam. Hat damals nicht viel gefehlt, daß Meister Hämmerlein ihn unter's Beil bekommen hätte.«
»Kann einer leichtlich dazu kommen, dem in der freien Reichsstadt Nürnberg das Messer zu locker sitzt. Hat vordem schon manch besserer Mann um gleicher Ursach willen den Hals auf den Block legen müssen«, meint Herr Leonhard Groland und nimmt einen langen Schluck aus seinem Becher.
»Aus gutem Recht geschieht's!« bekräftigt Clemens Volkamer die Worte des Vorredners. »Hat doch des Herrn Ludwig des Bayern Majestät unserer Stadt die Gnade verliehen, jedem gefangenen schädlichen Mann das Leben abzugewinnen, auf den eidlichen Spruch der Geschworenen hin. Ist's nicht so, Herr Leonhard Groland?«
Der Ratsherr läßt die Frage unbeantwortet, während er sinnend in sein Glas schaut, kraust sich seine Stirn. Seine Gedanken weilen im Augenblick weit ab im Tirolerland. Die letzten Nachrichten, die vom Hoflager aus Innsbruck nach Nürnberg kamen, klangen nicht erfreulich. Zwar ist der römische Kaiser Herr Maximilian erst fünfzig Jahre alt, doch seine Gesundheit ist schwankend. Wer wird einmal sein Nachfolger seid? Wird er die Freiheiten und Rechte der Reichsstadt ebenso schützen und achten, wie die früheren Träger der Krone? Das sind Fragen, die dem Ratsherrn Leonhard Groland wichtiger dünken, als der verjährte Raufhandel des Plattenschlossers Peter Henlein.
»Sind eine jähzornige Art, die Henlein«, nimmt der Ratskonsulent Scheurl das alte Thema wieder auf. »Schnell mit dem Wort und mit der Faust. Der Messerschmied Hermann ist nicht viel anders als sein Bruder, der Peter. Möchte auch am liebsten gleich dreinschlagen, wenn nicht alles nach seinem Willen geht. Ist gut, daß ein hoher Rat über die Ordnung der Stadt wacht und den Ungebärdigen den Daumen auf's Auge hält. Ich wollte, daß . . .«
»Ihr wolltet«, unterbricht ihn Herr Caspar, »daß unseren Zunftmeistern nüchtern Wasser in den Adern flösse, statt des roten und oft hitzigen Blutes. Wären dann gewißlich leichter zu lenken. Ihr hättet ein bequemer Regiment. Aber ob die Nürnberger Gewerke dann wären, was sie heut sind, Herr Scheurl? Ob ihre kunstfertigen Schöpfungen vom fernen Ostland bis tief hinein ins Welsche gerühmt würden? Ob die Majestäten von Polen und Ungarn sich Meister und Gesellen unserer Reichsstadt verschreiben würden . . .?«
Herr Caspar muß einen Schluck Frankenwein nehmen, um die von langer Rede trockene Kehle anzufeuchten.
Herr Scheurl hat derweilen Zeit gefunden, seine Worte zu überdenken und beginnt eine wohlgesetzte Rede.
»Ihr kennet die lingua latina Herr Caspar Nützel. Entsinnet Euch der Stelle aus dem alten heidnischen Poeten, an der er die aurea mediocritas preist. Wir nennen's die goldene Mittelstraße . . .«
»Heißt aber verdolmetschet: Die goldene Mittelmäßigkeit«, verbessert Herr Cochlaeus den Sprecher.
»Geht mir mit der Mittelmäßigkeit!« mischt sich Herr Caspar wieder ein.
»Mit der Mittelmäßigkeit schafft man nicht solch kunstvoll Werklein, wie ich's vor zwei Tagen beim Peter Henlein sah. Da langt keine mediocritas; ingenium tut dazu not, wie der Meister selber sagte . . .«
»ingenium?« greift Herr Cochlaeus das welsche Wort auf, »scheint mir ein zu hochtrabend nomen für die Äpflein, die Meister Peter verfertigt. Ist kunstvoll Handwerksarbeit; will's nicht leugnen, gehen die Äpflein auch weit ins Reich hinaus und bringen manchen Goldgulden nach Nürnberg. Ist aber kein sonderlich ingenium dabei. Ist der Meister Henlein wahrlich ein tüchtiger Zunftmeister, wie wir deren gottlob noch andere haben, doch mehr ist er nicht . . .«
Herr Caspar kämpft einen kurzen Kampf mit sich selbst. Er hat dem Meister über das neue orologium Verschwiegenheit versprochen, aber es wurmt ihn, als er die absprechenden Worte des anderen vernimmt, und der Würzburger Steinwein löst ihm die Zunge.
»Hättet Ihr beim Meister Henlein gesehen, was ich sah, Ihr sprächet anders über ihn«, hebt er an und stockt schon wieder, möchte das Geheimnis doch lieber bewahren. Da mengt sich Clemens Volkamer ein.
»Was hättet Ihr sonst beim Meister gesehen? Uhren gewißlich. Er schafft deren große und kleine. Hat kürzlich ein prächtig Werk für die Frauenkirche gebaut. Laufen jede Stunde Männlein daraus hervor und tanzen gar lustig. Der Meister ist auch vom Rate als Wartmann bestellet worden, die Uhrglocken auf unserer Pfarrkirchen Türme zu versorgen, daß sie richtig schlagen. Ist aber nur Gesellenarbeit; wurden ihm vom Rugamte der Reichsstadt zwei Schlosserknechte über die Zunftzahl hinaus dafür gewährt.«
Herr Caspar hat derweil öfter als einmal das frischgefüllte Glas an die Lippen gebracht. Er möchte dem Redner dazwischenfahren und unterdrückt doch jedesmal die Worte, die ihm auf der Zunge liegen. ›Halt's Maul Caspar!‹ denkt er bei sich, ›laß den Volkamer schwätzen! Der wird die Augen nicht schlecht aufsperren, wenn der Meister Henlein dem Rate sein neu orologium weist‹.
Auch Herrn Volkamers Antlitz hat der Wein gerötet. Lauter als bisher spricht er weiter.
»Wand- und Tischuhren versteht der Meister Henlein zu bauen. Hat auch als Meisterstück eine Standuhr gefertigt, die jetzt im Schreibzimmer des hochwürdigen Abtes von Sankt Aegydien steht. Ist aber keine große Kunst. Es können's die anderen Plattenschlosser auch. Ist kein besonder ingenium dafür vonnöten. Sind die Bisamäpflein schon feinere Arbeit, an der man den artificem, den Künstler, eher erkennen mag . . .«
Nun hält es Herrn Caspar nicht länger. Mit einem langen Schluck spült er die letzten Bedenken hinunter. Recht fein will er's anstellen und beginnt.
»Stellet Euch einmal ein Bisamäpflein vor, Herr Volkamer. Das kleinste, das Ihr je gesehen . . .«
Der Ratsverwandte blickt ihn unsicher an; fragt nach kurzem Besinnen.
»Was soll das Herr Caspar Nützel? Gewiß kann ich mir vorstellen, aber . . .«
»Und nun denket weiter«, fährt Herr Caspar triumphierend fort, »es wäre in solch Äpflein ein Oerlein gefüget. Ein winzig Oerlein, das darin so genau gehet und die Stunden schlägt wie die großen Uhren an den Türmen . . .«
»Will nicht weiter denken!« lehnt der Ratsverwandte Herrn Caspars Aufforderung ab und stützt das Haupt verdrossen in die Hände; »will mir nach Feierabend nicht mehr den Kopf zerbrechen. Will beim Abendtrunk ein verständig Gespräch mit einsichtigen Männern führen.«
»Das von dem zwerghaft winzigen Oerlein im Äpflein hat Euch gewiß geträumt«, kommt der Ratskonsulent Scheurl Herrn Caspar zu Hilfe. »Ihr habt vielleicht zu Abend schwer gegessen und vor dem Einschlafen gar noch in dem Büchlein von den Taten des Doktor Faustus gelesen. Dem wäre solch ein Zauberstücklein wohl möglich gewesen. Hat aber auch ein schlimmes Ende mit ihm genommen. Ist der Leibhaftige selber mit ihm zur Hölle gefahren.« – – –
Der Name des großen Magiers gibt der Unterhaltung eine andere Wendung. Auch Herr Leonhard Groland beteiligt sich jetzt wieder daran. Sie alle, die hier am Tische sitzen, haben ja das neue Rollwagenbüchlein vom Doktor Faustus gelesen. Jeder weiß ein anderes Abenteuer von ihm zu berichten und vom Meister Henlein ist nicht länger die Rede.
Nur einer denkt noch an ihn. Der Magister Cochlaeus hat gewaltig die Ohren gespitzt, als Herr Caspar von ihm sprach. Der sinnt jetzt still vor sich hin und überlegt noch einmal jedes Wort, das er vernahm. Wenn es doch wahr wäre, geht's ihm durch den Kopf. Wenn der Meister Henlein wirklich solch ein Oerlein erfunden hätte? Was für ein Ruhm wäre das für die Stadt Nürnberg. Berichten müßte der Magister darüber in der lateinischen Chronik in dem Kapitel: »De Norimberga Germaniae centro«, an dem er just arbeitet und in dem er das ingenium der Nürnberger Künstler preist. Herr Johannes Cochlaeus beschließt, den Meister Henlein demnächst in seiner Werkstatt zu besuchen.
In seine Überlegungen hinein klingt der Ruf des Wächters . . .
»Verwahrt das Feuer und das Licht,
daß in der Stadt kein Schad geschicht.«
»Feierabend!« gebietet der Wirt im Bratwurstglöckle seinen Gästen.