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Meister Henlein hätte wohl Ursache, mit seinem Los zufrieden zu sein. Sein Ruf als kunstfertiger Schlosser ist von Jahr zu Jahr gestiegen, die Erzeugnisse seiner Werkstatt, besonders die Äpflein gehen weit ins Reich hinaus, seine Wand- und Tischuhren werden allenthalben gerühmt und gekauft und auch die kleinen tragbaren Oerlein haben seit jenem Tage, an dem Herr Caspar Nützel als der erste ein solches orologium von ihm bekam, manchen Liebhaber gefunden.
Doch seit Monden läßt eine heimliche Sorge den Meister seines Lebens nicht mehr froh werden. Im Nebelmond des Jahres 1516 hat es damit begonnen, als die Kunde von einer Mordtat durch die Gassen Nürnbergs lief. Ein »jung Bettelmaidlein«, wie es in den Gerichtsakten der Stadt heißt, ist des Nachts auf den Tod verwundet worden. Noch sind die Täter dem Rate unbekannt, doch leise zuerst und bald lauter geht ein Gerücht um, das den Messerschmied Hermann Henlein mit der Bluttat in Verbindung bringt. Wie ein Stich ist es dem Meister Peter durch's Herz gegangen, als er das erste Mal davon raunen hörte. Erleichtert hat er aufgeatmet, als der hohe Rat drei fahrende Gesellen als des Totschlages verdächtig in das Stadtgefängnis einliefern ließ. Hat sich immer wieder an dem Gedanken aufzurichten versucht, daß sein Bruder solcher Tat nicht fähig sei, obwohl er sich in nachdenklichen Stunden eingestehen muß, daß dem das Wort und das Messer recht locker sitzen. – – –
Ein milder Vorfrühlingstag ist über die alte Reichsstadt heraufgezogen. Schon hat die warme Märzensonne an den Böschungen der Burggräben die ersten Veilchen hervorgelockt. Ein Ahnen des nahen Frühlings liegt in der Luft, als Meister Peter Henlein um die Mittagsstunde sein Haus betritt. Mit verstörter Miene läßt er sich in seinen Sessel fallen, stützt das Haupt in die Fäuste und stiert wie abwesend vor sich hin.
»Jesus, Maria und Josef! Was gibt's denn eh schon?«
Erschrocken über sein verzweifeltes Wesen bringt Frau Kunigunde die Worte hervor, tritt näher an ihn heran, will ihn beruhigen, legt ihm tröstend die Hand auf die Schulter. Mit einer jähen Bewegung stößt er sie zurück und stöhnt laut auf.
»Sprich doch, Peter!« beginnt die Frau von Neuem. Da bricht er los:
»Die Schande auf unseren Namen! Ich überleb's nimmer!«
Wild fährt sich der Meister durch's Haar; wie irre schaut er sein Weib an.
»Sprich Peter! Wird Dir leichter um's Herz danach« hebt die Meisterin wieder an.
»Ist alles aus und vorbei, Kuni! Hab's eben am Markt gehört. Der Rat läßt den Hermann als Malefikanten ins Gefängnis werfen. Sind die Stadtknechte wohl jetzt schon unterwegs, ihn zu holen.«
Vergebens bemüht sich die Meisterin den Gebrochenen aufzurichten. Verzweifelt hockt er im Sessel, will nicht essen noch trinken. Geht auch an diesem Tage nicht wieder in seine Werkstatt. – – –
»Kommt heute nicht zu uns der Meister? Hat ihn der Frühlingstag wohl vor's Tor ins Freie gelockt?« meint Valentin.
»Ist nicht der Frühling!« gibt Georg dem jungen Gesellen zur Antwort. »Ich denk viel eher, es ist die Sach mit seinem Bruder. Die Stadtknecht haben den Messerschmied in ein schlimmes Haus gebracht. Führt ein schmales Brücklein aus dem Hause, das sie den Henkersteg nennen. Kann dem Hermann dies Mal an Haut und Haar gehen. Ist ein böseres Ding als das andere, um dessentwillen der Rat ihn im letzten Weinmond in den Turm gesetzt hat; hat nicht viel Freud an seinem Bruder, unser Meister.« – – –
»Wie gedenket Ihr Euch post confrontationem zu stellen, Herr Groland?« fragt Herr Caspar Nützel den Ratsherrn. Der zuckt die Achsel und antwortet nur zögernd.
»Hat nichts erbracht, die Gegenüberstellung Herr Nützel. Die drei, die mit ihm unter Verdacht stehen, haben ihn nicht als Spießgesellen erkennen wollen. Hab überlegt, ob man sie peinlich befragen soll, um ihr Gedächtnis zu stärken. Hab's aber gelassen. Sind die drei nicht bescholten und der Henlein ist eingesessener Meister auf der Zunft der Messerschmiede.« . . .
»Ich versteh Euch Herr Groland«, würdigt Herr Caspar Nützel die Bedenken des Ratsherrn. »Käme nicht sonderliche Ehre für die Reichsstadt Nürnberg dabei heraus, so Ihr den drei Gesellen zu den blauen Daumen verhülfet. Würde der Meister Hermann dann am End auch in die Sache verwickelt um eines armseligen Bettelmaidleins willen . . .«
»Erlaubet Herr Nützel, daß ich Euch widerspreche«, unterbricht ihn Herr Groland. »Die Ratsmannen und Richter unserer Stadt sind durch schweren Eid gebunden, das Recht zu sprechen ohne Ansehen der Person. Bluttat heischt blutige Sühne, gleichviel wer sie verübte, gleichviel wen sie traf.«
»Ihr habt recht gesprochen, Herr Groland«, bestätigt Herr Caspar die Worte des Ratsherrn. »Doch lasset mich wissen«, wiederholt er seine frühere Frage, »wie Ihr's mit dem Meister Hermann halten wollt?«
»Wir entlassen ihn aus der Haft«, sagt Herr Groland, »doch haben wir ihm auferlegt, sich zur Verfügung der Obrigkeit zu halten. Die Untersuchung wird weitergeführt.« – – –
Die Dämmerung des Märztages fällt schon ein, als der Klopfer gegen die Tür des Meisters Peter Henlein schlägt.
»Komme nur auf einen Sprung vorbei«, sagt zwischen Tür und Angel Herr Caspar Nützel zu Frau Kunigunde. »Bestellet dem Meister, daß sein Bruder noch heute aus der Haft entlassen wird. Hat sich nichts Ernstliches gegen ihn gefunden.«
»Wollt Ihr's ihm nicht selber sagen?« fragt die Meisterin. »Es wird ihn aufrichten in seiner großen Betrübnis.«
»Möcht heut nicht zu ihm gehen Frau Meisterin«, wehrt Herr Caspar ab. »Wollt euch nur die tröstliche Kunde bringen.«
Bevor die Meisterin noch etwas erwidern kann, ist Herr Caspar schon wieder im Dunkel verschwunden.
Meister Henlein hat die Botschaft aus dem Munde seines Weibes vernommen und ein wenig reißt sie ihn aus seiner Verstörtheit. ›Es kann noch gut gehen mit dem Hermann‹, wiederholt er immer wieder für sich, als er zu später Stunde sein Lager aufsucht. ›Kann noch gut werden‹, flüstert er, bis der Schlaf ihn übermannt. – – –
»Willst nicht in die Werkstatt gehen, Peter?« fragt die Meisterin am nächsten Morgen.
»Muß erst wissen, Frau, wie's mit dem Hermann steht. Werde wohl selbst hingehen müssen.«
»Überleg Dir's noch Peter. Warst schon gestern nicht an Deinem Platz unten. Gibt leicht unnützes Gerede, wenn Deine Leut Dich nicht sehen. Iß erst einmal ordentlich etwas«, ermahnt ihn die Meisterin und geht in die Küche hinaus. Mit gedämpfter Stimme gibt sie der Magd einen Auftrag und kommt bald mit einem Glas heißen Würzweines zurück.
Meister Henlein greift danach und leert es in langen Zügen. Er hört darüber kaum, daß die Haustür geht.
»Ist gut der Wein«, meint er tiefatmend, »kannst mir noch einmal einen Becher davon geben«.
›Gelobt seien die Heiligen‹, denkt die Frau. ›Er hat wieder Freude am Frühtrunk‹. »Werd Dir eine Kanne voll zurecht machen, Peter«, sagt sie und geht wieder hinaus.
Meister Henlein bleibt mit seinen Gedanken allein. Der Würzwein hat ihn erfrischt und läßt sein Blut schneller pulsen. ›Es kann um Hermanns Sach nicht schlecht stehen,« sinniert er. »Hätten die Herren vom Rat etwas gegen ihn gefunden, so hätten sie ihn so schnell nicht wieder entlassen. War vielleicht gut so, daß sie ihn verhört und den Anderen gegenübergestellt haben. Wird das üble Gerücht dadurch am besten zum Schweigen gebracht. Kann der Hermann wieder jedem frei ins Antlitz schauen.‹ – – –
Die Meisterin hat indessen draußen den Wein fertig gemacht. Eben will sie die Küche damit verlassen, als die Magd zurückkommt. Ihr Atem geht hastig; sie ist auf dem Rückweg gelaufen.
»Wie steht's beim Messerschmied?« wird sie von der Frau empfangen. »Hast Du den Meister gesehen? Hast was Neues gehört?«
Die Bärbel muß sich erst ein wenig verschnaufen, ehe sie auf die Fragen antworten kann.
»Ist große Unruh im Hause drüben«, beginnt sie. »Der Meister Messerschmied ist seit der Früh fort. Weiß niemand wo er ist. Seine Leut haben erst gemeint, er wär zur Messe gegangen. Müßt aber längst wieder daheim sein, wenn's so wär.«
Fast wäre der Meisterin die Kanne entglitten, als sie die Worte hört. Sie fühlt ihre Knie schwach werden und muß sich setzen. Beginnt dann von Neuem zu fragen, doch die Magd weiß nichts Weiteres zu vermelden.
Frau Kunigunde sieht die Sache des Messerschmiedes nicht so günstig an, wie Meister Peter es in diesem Augenblick tut. Sie entsinnt sich recht wohl der Mitteilung des Herrn Caspar Nützel, daß der Meister Hermann sich zur Verfügung des Rates zu halten habe, und ein böser Verdacht kommt ihr. Sollte ihr Schwäher ein schlechtes Gewissen haben und stadtflüchtig geworden sein? Wie ein Schuldbekenntnis würde das aussehen und den Fall arg verschlimmern. Mit Mühe zwingt sie sich zur Selbstbeherrschung und kehrt in das Gemach zurück.
Peter Henlein nimmt ihr die Kanne aus der Hand, schenkt sich ein und trinkt. »Ist gut der Wein, Kuni«, sagt er und stutzt, als er ihre Miene sieht. Fragt und erfährt nach kurzem hin und her, was geschehen ist. Als er's erfaßt hat, springt er auf.
»Wohin willst Du, Peter?« fragt die Frau.
»Muß zum Hermann hinüber. Muß selber nach dem Rechten sehen.«
Damit verläßt er das Gemach und wenige Minuten später das Haus. – – –
In der Werkstatt des Bruders trifft er die Gesellen in müßigem Gespräch. Bei seinem Erscheinen machen sie sich wieder an die Arbeit, aber er merkt wohl, daß sie mit ihren Gedanken nicht dabei sind. Etwas Neues erfährt er nicht von ihnen. Niedergedrückt kehrt Meister Henlein in sein eigenes Heim zurück. In qualvoller Erwartung vergeht ihm der Tag, verstreicht auch die folgende Woche. Der Messerschmied ist und bleibt verschwunden. – – –
Peter Henlein ist wieder in seine Werkstatt gegangen, sitzt an seinem Platz und beschaut sich, was der Martin geschafft hat. Verstohlen sieht ihn der Gesell von der Seite an, sieht mit Besorgnis seine vergrämten Züge, faßt sich ein Herz und beginnt zu sprechen:
»Mit Verlaub, Meister. Möcht Euch etwas berichten.«
»Was ist's denn, Martin?«
»Fuhr heute in aller Frühe ein Hauderer mit seinem Einspänner in die Stadt. Kam aus dem Ansbachischen, um seine Töpfe auf unseren Markt zu bringen. Ich kenne den Mann und er weiß, daß ich bei Euch Gesell bin. Als er mich sah, verhielt er seinen Gaul und winkte mir. Ließ mich wissen, daß er Euern Bruder noch gestern in Roth gesehen, wo er Unterkunft bei einem Zunftgenossen gefunden, hat.«
Schwer atmend läßt Meister Henlein das Haupt auf den Tisch sinken.
›Roth . . . das ist markgräflich‹, spricht er für sich hin, ›ist der Hermann stadtflüchtig geworden.‹ »Dank Euch für Eure Kunde, Martin«, fährt er laut fort. »Muß ein wenig ins Freie gehen. Mach Deine Sach nur weiter.« – – –
Meister Peter läuft ohne Ziel und Plan durch die Stadt. Vergebens wartet sein Weib mit dem Mittagsmahl. Erst am Spätnachmittag kommt er zurück und brütet verschlossen vor sich hin. Die Frau weiß sich keinen Rat mehr mit ihm. – – –
»Hat seine Sach nicht gebessert durch sein Entweichen, der Meister Hermann Henlein«, sagt Herr Groland mit gekrauster Stirn zu Christof Scheurl. »Will jetzt von markgräflichem Gebiet her verhandeln. War denen in Roth Wasser auf ihre Mühle. Ginge gegen Reputation und Jurisdiktion der Stadt so wir's konzedierten.«
»Umso mehr, Herr Groland«, bestätigt der Konsulent die Meinung des Ratsherrn, »alsmaßen das Ansuchen eine Confessio enthält. Der Messerschmied gibt zu, die Dirn verwundet zu haben. Schreibt zwar, daß er's unwissend getan, als er einen Anderen, einen Niederländer, der sich an ihr vergreifen wollte, abgetrieben habe, sei ihm das Maidlein dabei unversehens ins Schwert gelaufen. Hätten wir's früher gewußt, wäre er nimmer aus der Haft entlassen worden.«
Nachdenklich stützt Herr Groland das Haupt in die rechte Hand. Noch einmal durchliest er das Schreiben, das gestern Mittag von Roth her an den Rat kam. Spricht dabei zu den Anderen: »Will sich unserm Gericht stellen, der Hermann Henlein, so wir ihm frei Geleit zusichern . . .«
»Unmöglich«, ruft Herr Scheurl dazwischen.
»Laßt dem Inkulpaten schreiben, Herr Scheurl«, faßt Herr Groland seinen Entschluß: »So er unschuldig sei, brauche er sich keiner Gefahr zu versehen. Frei Geleit könne ihm nicht gegeben werden, nur ein gerecht und unparteiisch Urteil dürfe er von uns erwarten. Nehmt sein Ansuchen und eine Copia unseres Ratsverlasses zu den Akten.« Herr Scheurl erhebt sich, um das Gebotene zu veranlassen.
Der Ratsherr bleibt allein im Gemach und kann seine Gedanken so schnell von dem Fall nicht frei machen. ›Ist schad um den Messerschmied‹, geht's ihm durch den Sinn; ›tut mir fast mehr noch um den Schlosser leid. Wird schwer an dem Geschick des Anderen tragen, der Meister Peter. Ich weiß ja, wie sie aneinander hängen, die beiden Brüder. Haben stets zusammengehalten in guten und bösen Zeiten . . . Mögen die Heiligen geben, daß es zu einem guten Ende kommt . . . wäre das Beste, wenn der Hermann sich erst einmal mit den Angehörigen des Maidlein vergliche; könnte dann wohl ohne Gefahr in unsere Stadt zurückkehren . . .‹ Herr Groland streicht sich über die Stirn, als wolle er die lästigen Gedanken verjagen und geht aus dem Gemach. Andere Geschäfte der Stadt erfordern seine Gegenwart. – – –
»Ich kenn mich mit dem Meister nicht mehr aus«, sagt Martin zu Georg. »Er nimmt sich die Sach mit dem Bruder allzusehr zu Herzen. Hat keinen Sinn für seine Arbeit. Liegen die Oerlein, die er begonnen, noch unfertig auf seinem Tisch wie vor eines Mondes Frist. Kümmert sich auch um die Äpflein nicht. Sitzt müßig in der Werkstatt. Geht alles bei uns zurück, machen eben gerad noch die Bestellungen, die uns ins Haus gebracht werden.«
»Wird noch schlimmer kommen, Martin!« erwidert der erste Gesell, »wird von Tag zu Tag mehr vom Meister Hermann in der Stadt geredet.«
»Wie meinst Du das?« fragt der Andere.
»Hab ein Vöglein singen hören, Martin. War ein böses Lied, das der Vogel pfiff. Es hat der Messerschmied sich an das kaiserliche Landgericht des Burggraftums Nürnberg gewandt. Kannst Dir denken, wie er den Rat der Stadt damit wider sich aufgebracht hat. Stehen ja schon immer wie Hund und Katz gegeneinander, das städtische und das burggräfliche Gericht. Jetzt hat's der Hermann Henlein bei unseren Herren für immer verspielt. Würden ihm den Kopf vor die Füße legen, so er sich heut in die Stadt wagte.
Könnt Euch wohl denken Martin, was für ein gefunden Fressen das für die Burggräflichen war, als der Messerschmied ihr Gericht anrief. Haben mit beiden Händen zugegriffen und des Meister Hermann Sach angenommen. Ist unser Rat aber auch nicht müßig gewesen, und hat dawider an das Reichskammergericht appelliert. Hat sich's was kosten lassen, seine Kompetenz zu wahren, denn billig macht's das höchste Gericht des heiligen römischen Reiches nicht.«
»Woher wißt Ihr das alles, Georg? Ist doch geheime Sach des Rats?« fragt Martin zweifelnd. Georg lacht hell auf.
»Geheime Sach hin und geheime Sach her! Brauchst nur in eine Baderstube zu gehen, Martin. Kannst da vieles hören, was geheim sein sollte. Erzählen die Bartschaber die Mär vom Meister Hermann und dem Bettelmaidlein jetzt alle Tag wilder und grausiger. Mag wohl ein Schreiber, der dort hinging, sich Schröpfköpfe setzen zu lassen, ein Wörtlein zu viel gesprochen haben. Kann Dir nicht sagen, wie's ruchbar geworden ist. Weiß nur, daß es in der ganzen Stadt herum ist. Wird gewißlich auch unser Meister davon gehört haben. Mag ihm das Herz danach noch schwerer geworden sein, als es zuvor schon war.« – – –
Meister Peter hat's nicht nur in der Baderstube gehört. Herr Caspar Nützel ist bei ihm gewesen, wußte noch Genaueres und hat's ihm haarklein berichtet.
»Ist allzu töricht vom Hermann zu den Markgräflichen zu laufen«, meint Herr Caspar. »Kann jetzt niemand Eurem Bruder mehr helfen. Liegt das GeständnisDas Geständnis des Messerschmiedes, noch heute im Staatsarchiv Nürnbergs vorhanden, lautet »das er allain auß einem Wirthshauß zu Nürmberg ganngen sey, annheyms zu gehen. Do er also zu des Thumers Hauß bey vnnser l. Fravenn Capell gangen sey, hab er gehört, das ainer mit ainem clainen maidlin vmbgehe, hab ainer mit ainem liecht herauß gesehen, sey er hinzugangen vnnd sehen wollen, was er doch mit dem maidlin wolt begynnen. Derselb were woll drey oder viermal durch die leud mit liechternn zerstört worden. Aber er het doch sorg, es möcht dem maidlin schad gescheen, were noch ainer zu Ime komen, hab sich derselb angericht, wie woll das maidlin geschrien bey Acht Jarenn alt, Es hab sollich schreyen nit geholffen, hab er zum selbenn getracht, zu Ime geschlagen, derselb sey aufgewuscht, sich sein geweret. Also das zu Ime geschlagen, derselb sey aufgewuscht, sich sein geweret, Also das er Ime sein were zu zwaien Malen enntzway geschlagen hab, Dannoch sey Ime geraten, das er Ime ain Straich mit seiner Werehe gethann hab, das er gefallen sey. Nun hab dasselb maidlin Inn sollichem schlagenn ain straich enntphanngen, das es gestorben.«, das er dem ambachischen Gericht gemacht, in den Akten unseres Rates. Hab mir eine Abschrift davon genommen; könnt's mit eigenen Augen sehen. Werdet mir Recht geben, daß er ein toter Mann ist, so er sich danach in unserer Stadt noch blicken läßt.«
Während Herr Caspar Nützel spricht, zieht er ein Blättlein aus dem Wams und reicht es Peter Henlein hin. Mit stockendem Atem liest der Meister die Sätze, die darauf stehen. Ein Schluchzen entringt sich seiner Brust, als er das Papier zurück gibt.
»Versteh wohl, daß es Euch nahe geht. Ihr möcht Euch damit trösten, daß es an Eure Ehre nicht tastet«, versucht Herr Caspar den Gebrochenen aufzurichten. »Ihr bleibt ein angesehener Meister unserer Stadt. Der Rat ist Euch gewogen und weiß Eure Kunstfertigkeit zu schätzen. Man erwartet von Euch noch viel für den Ruhm des Nürnberger Handwerkes.«
Er meint es gut mit seinem Zuspruch, der Herr Caspar Nützel, doch zu groß ist in diesem Augenblick die Betrübnis des Meisters. Er schaut kaum auf, als der Besucher sich zum Gehen anschickt. – – –
Ein Jahr ist ins Land gegangen und schon meldet ein neuer Frühling sich mit den ersten Knospen. Von dem flüchtigen Messerschmied hat man nichts mehr gehört. ›Ist im Elend verdorben und gestorben‹, heißt es, wenn einmal irgendwo die Rede auf ihn kommt. – –
Am Morgen eines Tages im Aprilmond betritt ein Fremder die Werkstatt von Meister Henlein. Er könnte leichtlich für einen Kriegsmann gehalten werden, wie er hochgewachsen und breitschultrig, ein kurzes Schwert an der Seite, mit festem Schritt auf den Meister zugeht; könnte nach seiner reich mit wertvollem Pelz verbrämten Kleidung aber auch für einen vornehmen Kaufherrn geschätzt werden. Von weither muß er wohl kommen, das verrät die breite fast schwerflüssige Sprache, die anders klingt als die in der Reichsstadt übliche Redeweise.
»Ich bin der Kaufmann Jens Rasmussen«, macht er sich dem Meister Henlein bekannt. »Ich komme aus der Stadt Kjöbenhavn im Königreich Dänemark. Der Ruf Eurer kleinen orologia ist über die Ostsee zu uns gedrungen. So möchte ich solch ein Werk von Euch erwerben und mit nach Hause nehmen.«
»Ich steh Euch gern zu Diensten, Herr«, erwidert der Meister, »sind hier zwei fertige Oerlein; nur im Gehäus verschieden. Könnet wählen, welches Ihr möget.«
Die Wahl ist bald getroffen, der Preis festgesetzt und von dem Käufer in guter Reichsmünze erlegt. Schon will der aufbrechen, als er den Meister noch einmal scharf ins Auge faßt. So lange und so fragend läßt er den Blick auf ihm ruhen, daß dem das Blut zu Kopfe steigt. Schon will er aufbrausen, als der Däne zu sprechen anhebt.
»Ich habe einen deutschen Mann in Kjöbenhavn kennen gelernt, der nennt sich Hermann Henlein. Hat eine so große Ähnlichkeit mit Euch, daß mir's aufgefallen ist.«
Dem Meister strömt das Blut zum Herzen zurück. Es braucht eine Zeit bis er sich gefaßt hat und Worte findet.
»Heißt Hermann Henlein?« sagt er, »könnte vielleicht einer von meiner Sippe sein . . .«
»Das mußte ich auch denken, als ich Euch jetzt so recht ins Auge faßte, Meister Henlein.«
»Wes Zeichens ist der Hermann Henlein?« fragt der Meister.
»Ein geschickter Messerschmied ist er«, kommt die Antwort, »wird gerühmt wegen seiner schmucken Arbeit, wie sie vordem in Kjöbenhavn kaum bekannt war.«
»So, geht es dem Henlein gut in der Fremde?«
Herr Rasmussen lacht behaglich vor sich hin und spricht: »Das kann ich wohl sagen, Meister. Euer Namensvetter steht auch beim Hofe in gutem Ansehen. Er hat vor kurzem dem König Christian Proben seiner Kunst vorlegen dürfen und ist von der Majestät mit gnädigen Worten und Aufträgen bedacht worden. Es kann ihm nicht fehlen, wenn er sich in der königlichen Huld erhält.«
Meister Henlein sitzt schweigend da, die Hände vor's Gesicht gelegt.
»Jetzt denkt Ihr wohl am Ende darüber nach, Meister«, fragt der Däne mit leichtem Spott, »ob Ihr nicht noch näher mit dem Meister Henlein in Kjöbenhavn verwandt seid? Ich kann ihm gelegentlich einen Gruß bestellen, wenn's Euer Wunsch ist.«
Erst nach einiger Zeit läßt der Meister die Hände vom Gesicht.
»Bringt ihm einen Gruß von seinem Bruder Peter«, sagt er. »Und . . .« mit brüchiger Stimme kommen die Worte: »Bestellt ihm auch, er solle nimmer wieder nach Deutschland zurückkehren.«