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Ein Mann und sein Werk.
Dreihundert Jahre nach dem Tode Peter Henleins lebt in Dresden der Uhrmacher Adolf Lange, der trotz seiner Jugend . . . er ist eben 27 Jahre alt . . . als ein hervorragender Künstler seines Faches gilt, dessen Ruf schon über die deutschen Grenzen hinausgedrungen ist. Er ist Inhaber des feinsten Geschäftes der sächsischen Hauptstadt, in wissenschaftlichen und Hofkreisen geschätzt und pflegt Umgang mit geistig regsamen Menschen und Gelehrten. Sogar aus Paris, der damaligen Hochburg des Präzisionsuhrenbaues kommen Uhrmacher als Lehrlinge zu ihm, um die letzten Feinheiten der Kunst zu erlernen.
Freilich ist eine solche Position Adolf Lange nicht mühelos in den Schoß gefallen. In zähester Arbeit hat er sie sich erkämpft. Als Sohn eines Büchsenmachers 1815 in Dresden geboren, verliert er schon früh das Elternhaus, da die gutherzige Mutter sich von dem gewalttätigen Vater trennt. Durch fremde Leute, die sich seiner liebreich annehmen, kommt der anstellige Knabe als Lehrling zu dem sächsischen Hofuhrmacher Gutkäs. Jede freie Stunde seiner Lehrzeit benutzt er, um die Lücken seiner Bildung auszufüllen. Er besucht das Polytechnikum, nimmt Privatstunden und widmet die halben Nächte dem Studium fremder Sprachen, insbesondere dem Französischen. So ist er am Ende der Lehrzeit gut ausgerüstet und geht nach Paris, um dort weiter zu lernen, und es gelingt ihm, bei einem der führenden Uhrmacher anzukommen.
In kurzer Zeit erringt er hier durch seine außergewöhnlichen Fähigkeiten und seine Geschicklichkeit im Konstruieren den Platz eines Werkmeisters. Von anderen Pariser Ateliers werden ihm verlockende Angebote gemacht, aber er erkennt, daß es für ihn in Paris nichts mehr zu lernen gibt und kehrt nach einem vierjährigen Aufenthalt in Frankreich nach Dresden zurück. Hier heiratet er die Tochter seines früheren Lehrmeisters, tritt in dessen Geschäft ein und wird sehr bald Teilhaber.
Ein erfolgreiches Schaffen füllt seine Zeit in Dresden. Nach eigner Konstruktion werden astronomische Pendeluhren, Chronometer und verschiedene andere komplizierte Uhren gefertigt. Das Geschäft nimmt einen bedeutenden Aufschwung. Dankschreiben von Sternwarten und kostbare Geschenke von russischen Großfürsten zeugen für die Güte der gelieferten Werke ebenso sehr, wie erste Preise verschiedener Ausstellungen. So stehen die Dinge um 1842, als etwas in die Erscheinung tritt, was dem Lebensweg Adolf Langes eine neue Wendung gibt. – – –
Schon seit Generationen führt die Bevölkerung im sächsischen Erzgebirge einen harten Kampf ums Dasein. Der Bergbau, der hier im Mittelalter Tausenden reichlich Brot gab, ist infolge der Erschöpfung der Erzvorkommen unaufhaltsam zurückgegangen und muß zu Beginn des 19. Jahrhunderts ganz aufgegeben werden. Früher wohlhabende Orte, wie z. B. die Bergstadt Glashütte, sind zu ärmlichen Flecken hinabgesunken, deren Bewohner durch Strohflechterei und Holzschnitzerei kümmerlich ihr Leben fristen. Und nun zu Beginn der vierziger Jahre wird es ganz schlimm. Der Absatz stockt; es langt nicht mehr zum Allernotwendigsten; Auswanderung scheint die letzte Rettung zu sein.
Wie kann man den Notstandsgebieten Hilfe bringen? Die Frage wird im Ministerium erwogen. Von Berufenen und Unberufenen werden Vorschläge gemacht, ein Weg wird nicht gefunden. Da entsinnt sich Adolf Lange der Tatsache, daß in den Tälern der Schweiz die Uhrenindustrie vielen Tausenden, die sonst nicht leben könnten, ein auskömmliches Dasein sichert und faßt einen Plan, so phantastisch und zu gleicher Zeit so selbstlos, daß er mit Recht die Bewunderung der späteren Generationen verdient. Bedeutet sein Vorhaben doch für ihn das Aufgeben alles dessen, was er sich in Dresden aufgebaut hat, und die Übersiedlung aus der Landeshauptstadt in einen ärmlichen Bergort; bringt es doch den Tausch einer gesicherten Existenz gegen eine mehr als unsichere Zukunft mit sich.
Zweierlei beabsichtigt Adolf Lange. Er will in den Notstandsgebieten eine hochqualifizierte Taschenuhrenfabrikation ins Leben rufen und zu dem Zweck die Gebirgler zu erstklassigen Uhrmachern erziehen. Auch wohlwollende, ernsthaft wägende Menschen können neun gegen eins wetten, daß solch Unterfangen mißlingen muß, daß er hier sein sprichwörtlich gewordenes Glück verscherzen wird. Doch Lange hat seinen Plan in allen Einzelheiten genau durchdacht und jedes für und wider in Rechnung gestellt. Was er der Regierung im Jahre 1844 in einem Schreiben unterbreitet, ist kein vages Projekt, sondern ein sorgfältig ausgearbeitetes Programm. Es heißt darin:
»1. Ein ganz verändertes Verfahren bei den Arbeiten, in dem in allen Teilen bis jetzt nur durch lange und unsichere Versuche das Ziel erreicht wurde, während ich auf einem mehr mathematischen Wege viel Zeit erspare und eine noch ungekannte Genauigkeit erreiche.
2. Eine durch meine Erfindungen herbeigeführte Verbesserung der Maschinen, durch welche eine weit leichtere und ungleich vollkommenere Ausführung der wesentlichen Teile der Uhr erlangt wird.
3. Die große und wichtige Vollkommenheit und Einfachheit, die meinem Denken und Fleiß gelungen ist, der Uhr selbst zu geben. Mit der gefälligen Form der Schweizer Zylinderuhr vereinige ich die große Dauer und die längst erkannte Genauigkeit der sehr teuren, aber dabei unbequemen englischen Ankeruhr. Diese von mir verbesserte Uhr gewährt zunächst die größte Genauigkeit im Gang, ist weit leichter auszuführen als die schwere Zylinderuhr, besteht nur aus zwei Drittel soviel Teilen und hat nicht wie diese so zarte und so leicht zerbrechliche Stücke; sie ist deshalb auch nur einer geringen und wenig kostenden Reparatur unterworfen. Gewiß, die eben genannten Punkte sind wichtig genug, einer neuen Fabrik im Herzen der Schweiz selbst eine glückliche Zukunft zu sichern, hier aber kommt noch ein Umstand, der wiederum ohne alle jene Vorteile allein schon hinreichend wäre, ein glückliches Gelingen zu verbürgen – es ist das ungleich billigere Leben in unserem Erzgebirge im Vergleich mit der Schweiz.
Mein Plan ist nun, uns anfangs nur auf die Fertigung dieser einen Uhr zu beschränken und dazu fünfzehn junge Leute jener Gegend zu wählen, alle aber womöglich aus einem Orte oder doch wenigstens aus einigen einander möglichst nahe gelegenen, damit, wenn sie zurückkehren, sie sich nicht zerstreuen, sondern ein Ganzes bilden. Auch müßte man darauf sehen, womöglich solche zu finden, die schon kleine Sachen gemacht haben, wie z. B. die hübschen Holzschnitzeleien, und dann, daß diese Leute nicht zu jung sind, sondern wenigstens 16–18 Jahre alt. Es ist dies notwendig, damit, wenn sie in einigen Jahren selbständig werden und Geld verdienen, sie zu gleicher Zeit ernst und männlich geworden sind. Mit weniger jedoch als fünfzehn Schüler könnte man, ohne der Sache zu schaden, nicht anfangen. Wenn man auch die ersten Partien (d. i. Teilarbeiten), wie ich es bei meiner Berechnung getan habe, nur durch einen Arbeiter besetzt, ist man genötigt, bei einigen anderen zwei zu nehmen, weil außerdem die Vorarbeiten der ersteren sich nutzlos anhäufen würden. Vereinigen lassen sich hingegen auch keine der ersten Partien, ohne der Sache einen kranken schleppenden Gang zu geben und ihr den Vorteil der Fabrikbetreibung, die Fertigkeit des einzelnen Arbeiters in seiner Partie und die daraus hervorgehende Güte und Billigkeit zu rauben.«
Die Eingabe Adolf Langes schließt mit folgenden Worten:
»Möchte unsere väterliche Regierung diesem Plane ihre Aufmerksamkeit und wohlwollende Unterstützung nicht versagen, der Gegenstand ist wichtig, es ist der kleine Anfang eines dauernden, Nahrung und Wohlstand fördernden Industriezweiges, der im Kanton Neuchâtel allein mehr als 8000 Menschen beschäftigt – es ist ein Samenkorn des Glücks für eine ganze notleidende Provinz.«
Diese Eingabe verfehlt ihren Eindruck nicht, doch verstreicht über Erhebungen und Erwägungen der Regierungsstellen noch ein volles Jahr. Erst im Mai 1845 kommt es zwischen dem königlichen sächsischen Ministerium und Adolf Lange zu einem Vertrage. Der Letztere verpflichtet sich, zunächst 15 Lehrlinge in der von ihm vorgeschlagenen Art praktisch und theoretisch zu Uhrmachern auszubilden. Das Ministerium gewährt eine Unterstützung von 6700 Talern, von denen 1120 Taler zur Beschaffung von Werkzeugen für die Lehrlinge bestimmt, die restlichen 5580 im Laufe der nächsten zehn Jahre in Raten zurückzuzahlen sind. Die Lehrlinge sollen verpflichtet sein, nach Beendigung ihrer dreijährigen Lehrzeit gegen einen Wochenlohn von 3–6 Talern fünf Jahre ausschließlich für Lange zu arbeiten. Sie sollen während dieser Zeit wöchentlich 24 Neugroschen für die Kosten ihrer Ausbildung zurückzahlen und danach Eigentümer ihrer bisher dem Ministerium gehörenden Werkzeuge werden.
Als Sitz für die Neugründung wird das Bergstädtchen Glashütte im Tale der Müglitz gewählt; noch im Jahre 1845 siedelt Adolf Lange mit seinem Gehilfen Adolf Schneider dorthin über und im Dezember werden die von ihm eingerichteten Werkstätten in Betrieb genommen. – – –
Zweifellos hat die geldliche Unterstützung seitens der Regierung die Begründung einer sächsischen Uhrenindustrie in Glashütte erst ermöglicht; daß das Unternehmen aber anfängliche schwere Krisen überwunden hat und schließlich so über alle Erwartungen hinaus gediehen ist, ist in erster Linie der zähen, nie rastenden Arbeit von Adolf Lange zu danken. Denn ähnliche Unternehmungen mit zum Teil viel reicheren staatlichen Unterstützungen sind in der damaligen Notzeit auch an anderen Stellen versucht worden und samt und sonders fehlgeschlagen.
In der Tat liest sich die Geschichte der ersten zehn Jahre der Firma A. Lange & Cie. wie ein Heldenlied von Arbeit und Opfermut. In kritischen Stunden hat ihr Begründer seine Ersparnisse, das Vermögen seiner Frau, den Ertrag der Lehrgelder seiner Privatschüler, den Erlös aus einer goldenen Medaille, kurzum alles was er besaß, hingegeben, um durchhalten zu können. Er hat Tag und Nacht gearbeitet, so daß seine Gesundheit darüber Schaden litt; er ist drückende Privatschuldverpflichtungen eingegangen, um sein Werk zu retten und hat öfter als einmal vor dem Zusammenbruch gestanden, obwohl äußere Erfolge seiner Arbeit nicht fehlen. Hat die Firma doch bereits 1850 die kleine und die große goldene Medaille in der Ausstellung zu Leipzig und 1851 die erste Preismedaille auf der Weltausstellung in London erhalten. Aber während die Lange-Uhr, die »Lange-watch« bereits Weltruf genießt, hat ihr Schöpfer nach wie vor schwer zu kämpfen und muß während einer Erkrankung im Jahre 1851 noch mit der Möglichkeit rechnen, daß im Falle seines Todes alles verloren ist. Erst nach dem Jahre 1851 ist das Schlimmste überwunden und die rastlose Arbeit beginnt ihre Früchte zu tragen. – – –
Die Stellung Adolf Langes zu der wissenschaftlichen Seite seines Faches weist eine überraschende Ähnlichkeit mit derjenigen von Werner Siemens und Ernst Abbe auf. Siemens hat die Elektrotechnik auf exakte Forschung und Messung gegründet und sich zunächst den Vorwurf des »scientific humbug« gefallen lassen müssen, bis der Erfolg ihm Recht gab. Von Abbe stammt das Wort: »Es gibt nichts praktischeres als die Theorie.« Als er es bei Karl Zeiß in Jena unternahm, das Mikroskop vor der Anfertigung genau vorauszuberechnen, wurde er von den »Praktikern« verlacht. Als er den Erfolg erzwungen hatte, versuchten sie's ihm mit allen Mitteln nachzutun. Ebenso wie Werner Siemens und Ernst Abbe hat auch Adolf Lange sein Werk auf einem festen mathematisch-physikalischen Fundament errichtet und auf diese Art erreicht, was einfachen Empirikern, um nicht zu sagen Bastlern, unerreichbar bleiben mußte.
Ein hochgestecktes Ziel hatte er sich gesetzt. Nicht billige Gebrauchsuhren mit mehr oder weniger großen Gangfehlern sollten aus der neu errichteten Werkstatt hervorgehen, sondern Präzisionswerke, die es in jeder Beziehung mit den Spitzenleistungen der ausländischen Taschenuhrenindustrie aufnehmen, ja sie womöglich noch übertreffen sollten. Dafür war es freilich Voraussetzung, daß die Gestaltung für jedes einzelne Teil . . . gleichviel ob Zahnrad, Trieb, Zapfen und Zapfenbohrung oder ob Ankergang und Unruhe . . . theoretisch festgelegt und bei der Herstellung diesem Plan entsprechend genau ausgeführt wurde.
Daß so verfahren wurde, darauf hat Adolf Lange von Anfang an gedrungen. Im theoretischen Unterrichte erwarben seine Lehrlinge und späteren Gehilfen die nicht geringen mathematischen und physikalischen Kenntnisse, die für die Vorausberechnung eines neuen Werkes erforderlich sind; in der praktischen Lehre hatten sie sich jene hohe handwerkliche Geschicklichkeit anzueignen, die sie instand setzte, dem rechnerisch und in der Zeichnung Festgelegten in Stahl und Messing die präzise Form zu geben.
Zwei Hilfsmittel waren dazu notwendig: ein zuverlässiges Maßsystem und exakteste Meßmittel. Als Maßeinheit führte Lange das Millimeter an Stelle des vorher herrschenden Pariser Systems der zwölf Linien ein. Für die Messungen entwarf er hochempfindliche Fühlhebel-Apparate und Mikrometer, mit denen es möglich wurde, zehntel und selbst hundertstel Millimeter genau abzumessen und abzustecken.
Er war auch darin ein Pionier, denn amtlich wurde das metrische Maßsystem in Deutschland erst Jahrzehnte später eingeführt und eine Präzisionsfabrikation, die mit Genauheiten eines hundertstel oder tausendstel Millimeter arbeitete, wurde für andere Erzeugnisse wie beispielsweise Waffen und Werkzeugmaschinen ebenfalls viel später entwickelt.
Es ist gelegentlich die Frage aufgeworfen worden, ob es wirtschaftlich richtig war, in Glashütte sofort auf das höchste Ziel loszustürmen; ob es nicht vorteilhafter gewesen wäre, sich zunächst der Herstellung einfacherer Gebrauchsuhren zuzuwenden. Diese Frage ist nicht unberechtigt, denn Präzisionsuhren, wie Lange sie plante und ausführte, konnten naturgemäß nicht wohlfeil sein und in dem verarmten Deutschland nur einen beschränkten Absatz finden. Sicherlich sind auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen die Glashütter Werkstätten so lange zu kämpfen hatten, auf diesen Umstand zurückzuführen. Lange hätte sich wahrscheinlich manche Sorgen erspart, wenn er den anderen Weg gegangen wäre und doch hat sich letzten Endes gezeigt, daß sein Plan der bessere war.
Nur durch die Schaffung hochwertigster Erzeugnisse konnte es ja gelingen, die danieder liegende deutsche Uhrenindustrie aus der Stagnation zu reißen und ihr jenen gewaltigen Auftrieb zu verleihen, der sie in kurzer Zeit wieder an die Spitze brachte. Nur durch die Pflege höchstqualifizierter Arbeit konnte in dem weltabgeschiedenen Bergstädtchen ein Stamm von Uhrmachern herangebildet werden, der wo anders nicht seinesgleichen hatte; in wie hohem Grade das aber gelungen ist, haben die folgenden Jahre und Jahrzehnte erwiesen.
Der Anfang war alles andere als leicht. Von den zwanzig Lehrlingen, mit denen Lange begann, mußten sechs schon nach kurzer Zeit wieder als unfähig entlassen werden. Doch er hat es verstanden, dafür andere besser geeignete zu finden, hat sie mit unermüdlicher Geduld und Sorgsamkeit herangebildet und so Glashütte zu dem gemacht, was es heute ist. Möglich wurde es nur durch die Vielseitigkeit seiner Begabung. Adolf Lange war gleichzeitig Kaufmann, Erfinder, Konstrukteur und Organisator, war hervorragend als Praktiker wie als Theoretiker und schließlich auch ein begnadeter Lehrer, der es verstand, seine Schüler mitzureißen und zum Höchsten anzuspornen. So vielfache Gaben schenkt die Natur einem Menschen nur selten. In ähnlicher Vollkommenheit lassen sie sich vielleicht nur bei Werner Siemens feststellen. Richtig genutzt führen sie zu Schöpfungen, die ihren Schöpfer lange überdauern. –
Seine Fähigkeit als Organisator hat Lange sowohl bei der Aufteilung der Fabrikation, wie bei der Wahl der Mitarbeiter erwiesen. Er fand die Geeigneten für die einzelnen Zweige und bildete sie als Spezialisten aus für die Unruhmacherei, für das Einrichten der Hemmungen, das Einschleifen der Ankersteine und für das Besetzen der Anker mit Steinen, für die Herstellung der Triebe, nachdem Lange dies Teilgebiet theoretisch ergründet und dadurch die Möglichkeit einer einwandfreien Herstellung geschaffen hatte. Andere Mitarbeiter wurden Spezialisten für die Herstellung der Räder und der Federhäuser und das Ausarbeiten der Zeiger und Kronenaufzüge, andere für den Gestellbau und die Vergoldung der Werkteile. Besondere Schwierigkeiten waren bei der Beschaffung der Gehäuse zu überwinden, die anfänglich noch aus der Schweiz bezogen werden mußten und dadurch unverhältnismäßig teuer wurden. Schon 1848 entschloß sich Lange auch eine eigene Gehäusewerkstatt zu errichten und nach mühevollen und kostspieligen Versuchen gelang es auch in Glashütte, gediegene und formschöne Gehäuse zu erzeugen, die denen des Auslandes zum mindesten gleichwertig waren. – – –
Ein unentbehrliches Maschinenelement für die Kraftübertragung ist das Zahnrad. Mag es sich dabei um jene gewaltigen Getriebe handeln, welche die Energie einer 50 000-pferdigen Dampfturbine passend untersetzt auf die Schraubenwellen eines Überseedampfers übertragen, oder um die winzigen Räderchen einer Taschenuhr; in jedem Falle sollen die Zähne so gestaltet sein, daß ihre Flanken mit geringster Reibung auf einander gleiten. Die Kurvenformen dafür, Zykloiden und Evolventen hatten bereits die großen Mathematiker des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts festgestellt. Praktische Ausführungsformen hatte u. a. der bekannte deutsche Kinematiker Franz Reuleaux entwickelt. Auf dessen Arbeiten baute Adolf Lange weiter und schuf Rad- und Triebformen, welche die in einem Uhrwerke auftretenden Kräfte ohne toten Gang und mit einem kaum noch nachweisbaren Reibungsverlust übertragen. Während man in der Schweiz und auch in Frankreich die Zahnformen immer noch nach alten Erfahrungssätzen, also letzten Endes doch rein empirisch herstellte, wurden sie in Glashütte von Anfang an systematisch nach den Regeln der Wissenschaft gefertigt und wie so oft schon erwies sich auch hier der theoretische Weg als der bessere.
Von den Männern, die Lange auf theoretischem Gebiet zur Seite standen, mag hier nur Moritz Großmann genannt werden, von dem noch im nächsten Abschnitt die Rede sein wird. Ein gutes Jahrzehnt jünger als Lange war er in Dresden geboren, hatte sich aus kleinsten Verhältnissen emporgearbeitet und war ein tüchtiger Uhrmacher geworden. Nach der Teilnahme an dem schleswig-holsteinischen Krieg des Jahres 1848 wollte er nach Amerika auswandern, wurde aber durch die Elbblockade daran gehindert und kam zu Lange nach Glashütte. Noch einmal verließ er die sächsische Bergstadt und verwandte einige Jahre zum Teil im Auslande auf seine weitere Ausbildung. Dann ließ er sich 1854 dauernd in Glashütte nieder und nun beginnt eine Zusammenarbeit von Adolf Lange und Moritz Großmann, die in jeder Beziehung als glücklich und fruchtbringend gelten darf. Im Jahre 1866 gibt Großmann sein erstes Werk heraus: »Der freie Ankergang«, das in London preisgekrönt wurde und seinen Namen in der Fachwelt bei allen zivilisierten Nationen bekannt und geachtet machte. Ihm folgt eine Veröffentlichung über die Glashütter Uhr und eine Reihe weiterer Schriften schließt sich an, die zur Vertiefung der Uhrmacherkunst und zur Verbreitung ihrer Kenntnis unter den Uhrmachern unendlich viel beigetragen haben. In solcher langjährigen Zusammenarbeit der beiden Männer wurde bereits jene Entwicklung angebahnt, durch die Glashütte bald nicht nur der Sitz einer blühenden Industrie, sondern auch die hohe Schule für das deutsche Uhrmacherhandwerk werden sollte.
Dreißig Jahre war es Adolf Lange vergönnt, in Glashütte zu wirken. Ein Menschenalter ausgefüllt von zähem Kampf und schwerer Arbeit, doch belohnt durch schöne Erfolge und eine allgemeine Anerkennung, die ihren äußeren Ausdruck in der Prämierung auf allen in diesen Jahrzehnten beschickten Ausstellungen gefunden hat. – – –
Emil und Richard, die Söhne Adolf Langes waren inzwischen herangewachsen und . . . wie könnte es anders sein . . . hervorragende Uhrmacher geworden. Zu Anfang der siebziger Jahre treten sie in die Fabrik des Vaters ein und die Firma heißt von nun an: Adolf Lange & Söhne. So weiß ihr Begründer sein Werk für die nächste Generation gesichert, als der Sechzigjährige 1875 die Augen für immer schließt. Seine Söhne haben es glückhaft weitergeführt und heute blüht es unter der Leitung seiner drei Enkel Otto, Rudolf und Gerhard.
Die Saat, die Adolf Lange einst ausstreute, ist reich aufgegangen. Wie eine Sage aus längst verklungenen Zeiten klingt die Erinnerung an das Elend vor hundert Jahren auf. Kein Gebirgler braucht heute noch Stroh zu flechten oder an die Auswanderung zu denken. Wie ein mächtiger Magnet hat der große Stamm tüchtiger Facharbeiter, den Adolf Lange ausbildete, auf die feinmechanische Industrie gewirkt. Immer neue Werke und Fabriken sind in und um Glashütte entstanden. Uhrenfabriken zunächst, die auch gute Gebrauchsuhren bauten. Werkstätten für die Erzeugung von Telegraphenapparaten folgten und danach siedelte sich auch die junge Industrie der Rechenmaschinen in Glashütte an. – – –
Noch einmal kamen schwere Zeiten, als dem ersten Weltkrieg die Inflationsjahre folgten. Lohn und Brot fehlten den Gebirglern wie einst vor achtzig Jahren; doch auch diese Prüfung wurde überwunden. Schon die feste Währung brachte Gesundung und der nationalsozialistische Aufbau der Wirtschaft wandelte das Bild von Grund aus. Im Laufe weniger Jahre vervierfachte sich die Zahl derjenigen, die in den Glashütter metallverarbeitenden Berufen ihr Brot finden. Immer neue Betriebe eröffneten ihre Pforten und als der wahre Reichtum eines Volkes hat sich die Arbeit auch in Glashütte erwiesen.