Hans Dominik
Befehl aus dem Dunkel
Hans Dominik

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mit der täglichen Luftpost war auch diese Nummer der »Australian World« zu ihrer Abonnentin Anne Escheloh nach Singapore gekommen. Sie hielt das Blatt weniger der politischen als der allgemeinen Nachrichten wegen. Aus den Briefen Georgs hatte sie sich unter Zuhilfenahme einer guten Landkarte ein recht genaues Bild von der Landschaft um Paulinenaue gemacht und verfolgte die Nachrichten aus dieser Gegend mit besonderem Interesse.

So hatte sie auch die ausführlichen Berichte aus Georgetown über die Diamantenfunde Jans mit größter Aufmerksamkeit gelesen. Georg schrieb in seinen Briefen in einer Weise davon, als lege er der Sache gar keine besondere Bedeutung bei, und gerade das machte sie argwöhnisch. In den vielen freien Stunden des Tages hatte sie immer wieder lange Ketten von Gedanken, Kombinationen aneinandergereiht. Und fast immer waren ihre Finger dann mechanisch zu dem Diamanten geglitten, jenem Geschenk Georgs, das sie auf der Brust trug. Georg hatte diesen Stein sonderbarerweise nie wieder erwähnt. Vermutungen, Hoffnungen tauchten in ihr auf, die sie, kaum gedacht, immer wieder verwarf. –

Sie hielt die neue Ausgabe der ›Australian World‹ in der Hand, warf von der Zeitung bisweilen sorgende Blicke zu Lady Wegg. Das Befinden der Kranken war wieder einmal recht schlecht und stellte Annes Geduld oft auf harte Proben. Das schon an sich nervöse Wesen der Lady hatte sich seit der Explosionskatastrophe zu einer übertriebenen Reizbarkeit gesteigert. Ausbrüche grundloser Unzufriedenheit und häßlicher Tadelsucht wechselten unvermittelt mit Stimmungen, in denen sie Anne mit überströmender Herzlichkeit für ihre liebevolle Pflege dankte und sie um Verzeihung bat.

Der Gouverneur, der nur zu wohl sah, wie wertvoll und unentbehrlich Annes Anwesenheit für die Leidende war, gab der Anerkennung dafür des öfteren in seiner wortkargen Weise Ausdruck. –

Am Nachmittag ging Anne zur Stadt, um einige Besorgungen für sich zu machen. Auf dem Rückweg benutzte sie die Straßenbahn. Ihr gegenüber auf dem Perron stand ein Herr, der eifrig in einer Zeitung las. So hatte sie Gelegenheit, Gestalt und Gesicht des Mannes unauffällig zu betrachten. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, doch vergeblich suchte sie in ihrem Gedächtnis, wo sie ihn wohl schon gesehen haben könnte.

Als sie nach Hause kam und in ihrem Zimmer stand, fiel ihr Auge auf die letzte Nummer der ›Australian World‹. Unwillkürlich fuhr sie zusammen, als sie das Bild des entsprungenen politischen Gefangenen aus Canberra sah. Jetzt wußte sie, warum ihr der Mensch in der Straßenbahn so bekannt vorgekommen war.

Während sie sich für die Abendtafel umkleidete, überlegte sie, ob sie sich nicht sofort dem Gouverneur mitteilen sollte, doch ihre ständige Befangenheit Sir Reginald gegenüber hielt sie davon ab. Sie hoffte auf Clifton. Wenn der an der Mahlzeit teilnahm, wollte sie sich an ihn wenden.

Hauptmann Clifton stand schon im Speisezimmer, als sie eintrat. Während der Mahlzeit wartete sie, bis Sir Reginald in ein Gespräch mit Lady Wegg verwickelt war und machte dann dem Adjutanten Mitteilung von ihrer Entdeckung. Clifton hörte zunächst etwas belustigt über den Eifer, mit dem sie ihre Beobachtungen hervorsprudelte, zu. Doch zum Schluß wurde sein Gesicht sehr ernst.

»Was Sie mir da sagen, Miß Escheloh, kann doch äußerst wichtig sein. Ich möchte Sie bitten, die Zeitung sofort zu holen. Ich werde Ihr Fortgehen bei Lady Wegg entschuldigen.« –

Als Anne in das Speisezimmer zurückkam, schauten ihr beide Männer gespannt entgegen. Clifton hatte dem Gouverneur inzwischen von ihrer Entdeckung berichtet. Sie reichte das Blatt dem Adjutanten. Der warf einen kurzen Blick darauf und gab es an Wegg weiter. Der Gouverneur betrachtete das Bild lange eingehend. Die finstere Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich dabei noch stärker. Er winkte Clifton zu sich, sprach eine Zeitlang flüsternd mit dem. Dann wandte er sich zu Anne, reichte ihr die Hand und sagte:

»Miß Escheloh, ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet.« –

In den nächsten Tagen herrschte in den höheren Regierungsstellen von Singapore eine nervös emsige Tätigkeit. Man war gerade noch rechtzeitig einem ungeheuerlichen Verbrechen auf die Spur gekommen. Ungeheuerlich auch insofern, als ein höherer Militär – der Fall lag ähnlich wie vor einiger Zeit in Penang – in ganz unbegreiflicher Weise Pflicht und Ehre vergessen hatte.

Auf Grund von Nachrichten, die trotz des Geheimcode ganz unerklärlicherweise zur Kenntnis einer anderen Macht gekommen waren, hatte sich ein Agent an jenen Offizier herangemacht, in dessen Abteilung die neuen Pläne für die veränderten Minensperren bearbeitet waren. Wie es dem Agenten gelungen war, den Offizier zu solch unglaublichem Verrat zu bewegen, blieb rätselhaft. Der Beschuldigte, der sofort verhaftet wurde, erklärte immer wieder, er müsse in Geistesverwirrung gehandelt haben. Einen Tag später wurde er in seiner Zelle erschossen aufgefunden. Er hatte einen Revolver, den ein mitleidiger Kamerad bei einem Besuch vergaß, benutzt, um seinem Leben ein Ende zu machen.

Tagelang gingen in einer neu zusammengestellten Geheimchiffre Depeschen zwischen London und Singapore. Der Name Turi Chan war darin sehr oft erwähnt. Sein Bild befand sich alsbald bei allen Stellen der politischen Polizei des englischen Reiches. –

Daß auch in der englischen Botschaft in Tokio ein Beamter war, der Staatsgeheimnisse preisgab, ließ sich in London wohl niemand träumen. So hatte Turi Chan alsbald von den Maßnahmen der englischen Regierung erfahren, und so kam es, daß er einige Tage später auf dem Wege zu Jemitsu einer Fülle sehr unangenehmer Gedanken nachhing.

Er würde es in Zukunft nur in sehr geschickter Verkleidung wagen können, englische Gebietsteile zu betreten. Dazu die unablässig wie Gift an ihm fressende Erinnerung an die Ereignisse in Australien. Diese schmählichen Niederlagen trotz stärkster Benutzung der Allgermissenschen Mittel raubten ihm Tag und Nacht die Ruhe . . .

Die furchtbare Macht in den Händen dieses Astenryk . . . unausdenkbar ihre Wirkung! . . . Mußte nicht alles, was er in langer, mühevoller Arbeit erdacht, geschaffen, an ihr zerschellen . . . wie konnten er und seine Kraft in offenem Kampf gegen jene bestehen? . . . Wurden nicht einfach alle seine . . . Jemitsus Pläne vollkommen in Frage gestellt? . . .

Die Furcht, seine Unterlegenheit, seine Schwäche Jemitsu einzugestehen . . . diesen vielleicht zu veranlassen, das große Unternehmen hinauszuschieben oder gar aufzugeben . . . diese quälende Furcht hielt immer wieder die Worte auf seinen Lippen fest, in denen er all das Verhängnisvolle Jemitsu offenbaren wollte. Die unabweisbare Folge mußte es ja sein, daß Jemitsus Zuversicht auf den Sieg aufs schwerste erschüttert wurde . . . Wie durfte ein Krieger ohne Siegesbewußtsein in die Schlacht gehen . . .?

Er erreichte das Kriegsministerium und betrat das für ihn reservierte Zimmer.

Von dem Schreibtisch leuchtete ihm von weitem die verhaßte »Australian World« entgegen. Wieder ein Artikel von M. D.? dachte er wütend. Er griff das Blatt, sein Auge ging zu der gewohnten Spalte. Und während er langsam Satz für Satz die Worte vom Tode Umlius las, wurde sein Gesicht immer düsterer, ernster.

Er ließ sich schwer in den Stuhl fallen, starrte wie hypnotisiert auf die Zeilen, deren ganze Bedeutung nur er allein fassen konnte. Welch neue furchtbare Entdeckung für ihn! Daß man auf gegnerischer Seite durch Verrat von all dem erfahren hatte, war ja ausgeschlossen. Man mußte sie belauscht haben – mit Hilfe des Verstärkers – damals, als der »Ito« den »James Cook« überholte . . .

Diesen Zauberapparat hatte er den Gegnern entrissen, hatte ihn sicher in den Händen gehabt . . . Oh, er Tor, warum hatte er damit nicht sofort Australien verlassen? . . . Warum hatte er ihn nicht gleich nach Japan gebracht, ihn dort durch japanische Physiker prüfen und in Gang setzen lassen? . . .

Oh, daß er dieser kleinlichen menschlichen Schwäche nachgegeben hatte, daß er sich nicht den Gipfel seines Triumphes versagen konnte . . . daß er den unterlegenen, in seinem Bann befindlichen Feind aufs tiefste erniedrigen wollte! . . . Georg Astenryk selbst sollte ihm, dem Sieger, den Apparat in allen Teilen erklären, sollte ihn in der Kunst, den zu bedienen, unterweisen . . .

Für solch kleinliche, unwürdige Tat hatten ihn die Götter gestraft. Wäre es ihm nicht doch gelungen, etwas von Allgermissens Pulver mit in die Gefängniszelle zu nehmen, er wäre noch heut in der Hand des Feindes . . . des Feindes, der über alle gegen ihn geplanten Dinge unterrichtet wäre  . . . und durch wen? . . . Durch Turi Chan selbst, den Urheber all dieser Pläne . . . Welch tödliche Ironie! –

Mit wütender Gebärde ballte der die Zeitung zusammen und warf sie weit von sich.

Verflucht der Name Allgermissens und all das, was der je erdacht, ersann! Verflucht der Tag, der mir das Geheimnis seiner Pulver in die Hände spielte, während seine andere große Erfindung dem Deutschen zufiel. Verflucht ich selbst, daß ich mir den Apparat Allgermissens im letzten Augenblick noch entreißen ließ von dem, der schon gefangen in meiner Hand war!

Doch mißgönnten mir auch die Götter die Macht dieses Kleinodes, froh soll der andere seines Besitzes nicht werden, solange ich atme. Ich will ihn samt seinem Zauberapparat vernichten. Mögen mir die Himmlischen wenigstens dazu ihren Beistand leisten . . . sonst wäre alles verloren.

Er ging zu dem Buddhabild, wollte niederknien, da kam Jemitsu in das Gemach.

Schon beim ersten Blick sah Turi Chan, daß der etwas Großes, Wichtiges sagen wollte. Mit erhobenem Haupt, festen Schrittes, die Augen funkelnd in freudiger Genugtuung, kam Jemitsu auf ihn zu, legte ihm die Hände auf die Schultern, sah ihm tiefatmend ins Gesicht.

»Morgen nacht, Turi Chan, beginnt das eiserne Spiel! . . .«

Er hielt einen Augenblick inne, erwartete wohl, daß der seiner freudigen Überraschung Ausdruck geben würde. Doch Turi Chan hatte sich bei dessen letzten Worten angstvoll vorgebeugt, daß seine Brust an der Jemitsus lag, sein Kopf auf dessen Schulter ruhte. Ein Zittern ging durch seinen Körper.

Jemitsu, der nichts anderes glauben konnte, als daß der Freund durch den Eindruck seiner Worte zu erschüttert sei, um seiner Freude offenen Ausdruck zu geben, sprach mit erhobener Stimme weiter:

»General Borodajew wird mit seiner gesamten Armee morgen nacht den Ussuri überschreiten und Chabarowsk angreifen. Gelingt dieser erste, schwierigste, Schritt, sich in den Besitz von Chabarowsk zu setzen, hat er gewonnen. Alle zum Abfall neigenden russischen Heeresteile werden nach dem Erfolg zu ihm übergehen. Sein weiterer Vorstoß zum Meer wird dann in dreimal vierundzwanzig Stunden geschehen sein. Wie die Ereignisse weitergehen, weiß niemand. Das hängt davon ab, ob sich die Abfallbewegung schneller oder langsamer fortpflanzt . . . Auf die Nachricht, daß Borodajew das Meer erreicht hat, fällt der erste Schuß auf Singapore!«

Jemitsu schwieg. Seine Hände gingen zu Turi Chans Kopf, wollten ihn umwenden, ihm ins Gesicht zu schauen, sich zu weiden an der großen Wirkung seiner Worte. Doch der hielt in festem Widerstreben sein Gesicht stumm an Jemitsus Schulter gepreßt.

So tief, so gewaltig die freudige Erschütterung! dachte Jemitsu, während ein frohes Lächeln über sein Gesicht lief. Nicht ein Wort vermag er zu sprechen, so erfüllt ist er von dem Gehörten! Mit liebevoller Berührung strich er über Turi Chans Kopf, als der sich jetzt frei machte, die Hände vor das Gesicht gepreßt, sich umwandte, zu dem Buddhabild eilte, sich dort im Gebet niederwarf. Während die Rosenperlen des Gebetkranzes langsam durch seine Finger rannen, verließ Jemitsu den Raum. Alle Fragen, die er Umlius wegen auf den Lippen hatte . . . einer anderen Stunde mußten sie vorbehalten bleiben.

*

Die Enthüllungen der »Australian World« über den Untergang des englischen Kreuzers »Brisbane« wurden von der europäischen Presse viel besprochen und, je nach der politischen Einstellung, mehr oder weniger scharf kritisiert.

Waren schon die sehr gemäßigten Besprechungen der französischen Zeitungen Alfred Forbin stark auf die Nerven gegangen, so fluchte er Stein und Bein, als er die Urteile der englischen Presse in die Finger bekam. Er brannte darauf, deswegen mit Mr. Shugun Rücksprache zu halten. Kaum hatte er gehört, daß der in Paris wieder anwesend, so suchte er ihn auf.

Der Japaner hörte seine wenig gewählten Ausdrücke des Mißvergnügens und der Sorge mit seinem ewig gleichbleibenden Lächeln an und suchte ihn zu beruhigen. Shuguns Anteilnahme an dem Wohlergehen seines Freundes Forbin hatte stark abgenommen, seitdem Helene sich von ihm getrennt. Ganz fallen lassen konnte er ihn nicht; Alfred Forbin wußte zuviel.

Als Forbin sich von Mr. Shugun verabschiedete, war ihm nur wenig leichter ums Herz. Innerlich verwünschte er den Tag, an dem er nach Kiel gefahren war. Er nahm sich vor, in der nächsten Zeit London zu meiden.

Einige Tage später leistete er sich auf sein Vorhaben einen heiligen Schwur und erweiterte das Gelübde dahin, in seinem Leben keinen Fußbreit englischen Bodens zu betreten. Die Parlamentsberichte aus England waren allerdings von seinem Standpunkt aus sehr wenig erfreulich.

Eine der ersten Anfragen in der neuen Session betraf die Vorgänge beim Untergang der »Brisbane«. Schon nach den ersten Worten des Ministers war zu erkennen, daß der Regierung diese Anfrage offenbar recht ungelegen kam. Der Minister erklärte, sichtlich nicht ganz frei, die Regierung hätte schon vor dem Erscheinen des Artikels in der »Australian World« eine Nachricht bekommen, in welcher der anonyme Schreiber die gleichen Behauptungen bezüglich der »Brisbane«-Katastrophe aufstellte. Die sofort angestellten Recherchen hätten allerdings ergeben, daß tatsächlich im Sommer des vorigen Jahres in Kiel eine größere Menge Schrott, darunter auch alte Minenkörper, von einem Manne, der sich als ein Mr. Newstead aus Alexandria auswies, gekauft und nach dem Osten verschifft worden seien. Es hätten sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte ergeben, diese Tatsache irgendwie mit dem Untergang der »Brisbane« in Verbindung zu bringen.

Auf eine erneute Anfrage wenige Tage später erwiderte der Minister, daß er zu dem Fall nichts weiter zu sagen habe. Selbstverständlich werde die Regierung diese Angelegenheit nicht aus den Augen lassen.

Presse und Publikum zeigten sich von der ministeriellen Antwort wenig befriedigt, doch trat die Angelegenheit allmählich in den Hintergrund. Neue alarmierende Nachrichten von der russisch-mandschurischen Grenze lenkten die allgemeine Aufmerksamkeit dorthin. Ein englischer Korrespondent, dem es gelungen war, unerkannt das Sungarital zu besuchen, sandte von Schanghai aus mehrere Berichte, welche die flagrante Kriegsgefahr im Fernen Osten in krassen Farben malten. –

Auch in dem Kreis der Freunde in Paulinenaue verfehlten diese Artikel ihre Wirkung nicht. Man besprach indessen weniger die Nachricht an sich als die Kommentare in- und ausländischer Zeitungen darüber.

»Es ist unglaublich«, sagte Dale, »daß es überall noch Leute gibt, die sich Politiker nennen und doch anscheinend noch immer nicht begriffen haben, daß dies das Vorspiel – wenn der Teufel will – zu der Tragödie der weißen Rasse hier im Osten werden kann. Sie können sich keinen Begriff machen, wie man im Generalstab bei uns über diese unglaubliche Verbohrtheit in London denkt. Trenchham darf man nicht in die Nähe kommen. Er steht ständig in Gefahr, zu explodieren.

Doch lassen wir das unfruchtbare Gerede! Was kommen muß, wird kommen. Wir wollten doch eigentlich von der Person sprechen, die letzten Endes alle diese üblen Dinge verursacht hat, von Turi Chan.«

Mit der Nennung dieses Namens war das Stichwort für die weitere Unterhaltung gegeben. All die Geschehnisse, die Erlebnisse, wie sie doch jeder von ihnen mit diesem furchtbaren Manne gehabt, wurden besprochen.

Jan Valverde äußerte immer wieder seine Unzufriedenheit über das Entkommen Turi Chans. Er nannte es eine traurige Blamage. Seine nachträglichen Ratschläge, wie man das hätte vermeiden können, waren ja auch nur allzu richtig.

»Das beste wäre gewesen«, meinte er, »Turi Chan in Clennans Wohnung zu schaffen und dort unter den Bann einer schnell gefertigten Platte zu bringen. Die hätte ihn besser festgehalten als Gefängnismauern. Dann hättet ihr Zeit und Muße genug gehabt, ihm nach und nach sämtliche Würmer aus der Nase zu ziehen. Später konntet ihr ihn meinetwegen in das Gefängnis abliefern, obgleich ich ein einfacheres, besseres Mittel gewußt hätte, ihn unschädlich zu machen. Wenn er mir noch einmal in den Weg laufen sollte, weiß ich jedenfalls, was ich zu tun habe.«

Dabei tat Jan Valverde einen nicht mißzuverstehenden Griff nach seinem Browning. »Ich werde ihm nie vergessen, wie er mich behandelt hat.«

Bei diesen Worten bewegte Jan unwillkürlich die Lippen, als wolle er einen schlechten Geschmack vertreiben. »Die infame Bestie! Hätte er wenigstens mein Taschentuch als Knebel benutzt. So nahm er einen alten schmierigen Lappen, der schon zu Gott weiß welchen Zwecken gedient hatte . . .«

»›Der Einbrecher wurde jedoch durch die Sicherheitsvorrichtungen verscheucht‹ . . . stand wohl in der ›Australian World‹?« Clennan sah bei diesem Zitat Jan verschmitzt von der Seite an.

»Der Teufel soll den holen, der das 'reingesetzt hat!« schrie der erbost.

Gesicht und Haltung Jans waren dabei so drollig, daß alle in ein herzhaftes Gelächter ausbrachen.

»Wie gut es war, Herr Dale, das Bild mit dem Bericht zu veröffentlichen . . .«

»Ah, Sie waren's, Herr Major!« knurrte Jan.

». . . wie gut das war«, fuhr Georg fort, »haben wir ja gesehen. Der Luftpostbrief meiner Verlobten aus Singapore zeigt es zur Genüge. Meine gute Anne drückt sich anscheinend bewußt diplomatisch aus. Aber zwischen den Zeilen ist doch zu lesen, daß man auf diese Veröffentlichung hin rechtzeitig ein schweres Verbrechen verhindern konnte.«

Dale machte ein finsteres Gesicht. »Ich kann Ihnen nichts Näheres über die Vorfälle in Singapore sagen. Die Angelegenheit ist streng geheim. Jedenfalls hat dieser Teufel ein wertvolles Menschenleben mehr auf dem Gewissen.«

Während die anderen weitersprachen, saß Dale in Gedanken versunken . . . Singapore . . . vor Singapore würde einst der Tanz beginnen, hatte er mehr als einmal im Kreise seiner Kameraden geäußert.

Was ihm jetzt durch andere militärische Stellen über die Vorgänge in Singapore bekanntgeworden, erfüllte ihn mit schwerer Sorge. Wer konnte wissen, ob nicht schon früher ähnliche Fälle von Verrat vorgekommen waren. Diese überaus komplizierten mechanischen Verteidigungsanlagen einer modernen Festung waren ja wie das Nervensystem eines menschlichen Körpers. Durch die Verletzung einer lebenswichtigen Stelle wird doch die Kraft auch des stärksten Mannes gebrochen . . .

Auch Georg war nachdenklich. Was ihm Anne über ihre Schwester Helene schrieb, erregte in ihm recht zweifelhafte Gefühle. Diese exzentrische Frau . . . woher hatte sie das unruhige Blut, das sie zu solch abenteuerlichem Leben trieb? Gewiß kein Schade, daß sie sich von Alfred Forbin getrennt hatte. Aber in welche neue unmögliche Situation hatte sie sich da begeben? . . .

»Nun dürfte bald Herr Arngrim kommen«, unterbrach Clennan die Stille. »Ich war reichlich erstaunt, Herr Astenryk, als Sie mir vorgestern telephonierten, daß er wieder nach Georgetown zurückgekehrt ist. Als seine Leidensgefährten haben wir doch wohl einiges Interesse, zu hören, wie es ihm ergangen und wie er den Klauen dieses Teufels entronnen ist.«

»Turi Chan, Turi Chan! Du hast dir mit der Zeit ein schönes Süppchen eingebrockt«, tönte Jans Baßstimme.

»Turi Chan?! Wer spricht hier von Turi Chan?«

Wie aus Geistermunde gekommen hallten die Worte durch den Raum. Aller Köpfe wandten sich erschreckt zur Tür.

Da stand Arngrim mit bleichem, finsterem Gesicht. Eine Weile herrschte tiefe Stille. Der Anblick des Mannes, seiner Züge, so voller Haß und Pein, lähmte ihnen die Zunge.

Georg war der erste, der sich dem Bann entzog. Er sprang auf, eilte auf Arngrim zu, griff freudig dessen Hand. Auch die anderen umdrängten ihn, bestürmten ihn mit Fragen. Nur allmählich kehrte die Ruhe wieder, kam Ordnung in ihr Gespräch.

Arngrim hatte am Tisch Platz genommen und erzählte. Es war eine lange Geschichte, die in dem deutschen Neustadt anfing, nach Gartok . . . nach Georgetown führte . . . Seine Begegnung mit Turi Chan . . . seine geistige Knebelung . . . seelische Martern . . . nach Tokio verschleppt . . . Flucht aus dem Gefängnis auf ein Schiff . . . in Niutschwang erneut verhaftet, nach Mukden ins Gefängnis gebracht . . . und von dort . . .

Jeder der Zuhörer merkte, wie Arngrim hier in seiner Erzählung etwas ins Stocken geriet, wie er nach Worten suchte, um seine Flucht aus dem Gefängnis dort zu erklären. Offensichtlich war er bemüht, die näheren Umstände zu verschleiern.

In Seemannskleidung war er von Mukden nach Niutschwang gekommen und hatte einen deutschen Dampfer gefunden, der ihn nach Schanghai brachte. Von dort war er im Flugzeug nach Australien zurückgekehrt. –

Zum Schluß seiner Erzählung waren die Züge Arngrims immer ruhiger, freier geworden. Als er mit seinem Eintreffen bei Musterton in Georgetown schloß, lag es wie heller Sonnenschein auf seinem Gesicht . . . seine Gedanken kehrten zu der Stunde zurück, da er in Mustertons Haus trat und Musterton ihn in die Arme schloß. Nach einer Weile war der hinausgegangen, hatte die Tür hinter sich geschlossen . . . Wenige Minuten später . . . in der geöffneten Tür stand Lydia Algermissen. Ein Aufschrei aus ihrem Munde, als sie ihn sah . . . dann lag sie in seinen Armen. –

Lange noch saßen sie zusammen, sprachen von Turi Chan und vor allem von Algermissen. Georg teilte Arngrim das Geheimnis von Allgermissens Verstärker mit. Arngrim wußte, wenn nicht alles, so doch Wichtiges über die Pulver Allgermissens, denen Turi Chan seine Macht verdankte, zu berichten. –

Die Nacht war fast herum, als Arngrim sich verabschiedete.

In ihm war eine glückliche Wandlung vorgegangen. Jetzt, da man ihm alles berichtet hatte, was man von Turi Chans Taten und Worten wußte, atmete er erleichtert auf; was ihm so lange als Versäumnis auf der Seele gebrannt – nicht längst das, was er von Turi Chan und seinen Plänen wußte, jemandem mitgeteilt zu haben – war kein Versäumnis. Die wußten das ja schon alles und noch mehr. Sein langer Brief an Major Dale, in dem er dem alle seine Wahrnehmungen mitteilte, konnte ruhig in Turi Chans Händen bleiben. –

Immer wieder gingen seine Gedanken zu seiner Flucht aus Mukden zurück. Sicherlich hatten die anderen wohl gemerkt, daß er die näheren Umstände seiner Flucht absichtlich unvollständig und unrichtig wiedergab . . . Zu ärgerlich, daß ich mir die Sache nicht vorher in anderer Weise klarlegte! Oder . . . warum habe ich eigentlich nicht alles so erzählt, wie es in Wirklichkeit war?

Wären die Gäste aus Canberra nicht dagewesen, hätte ich keinen Grund gehabt, etwas zu verschweigen. Ist doch Helene Forbin für Jan und für mich tot . . . für mich? . . . Wo sie mich erst vor kurzem aus der Gefangenschaft der Gelben befreit hat? . . . Ihr verdanke ich mein Leben. Ihr, an die ich stets nur mit Haß und Verachtung zurückgedacht habe. Sie, die mich beinahe zum Mörder machte . . . die mein ganzes Leben zerstörte . . . Sie – so wollte es das Schicksal – mußte mich aus Todesnot erretten!

Wollte ich nicht im ersten Augenblick, als ich in den Seemannskleidern versteckt den Brief fand, ihre wohlbekannten Züge las, die gereichte Hand zurückstoßen . . . es verschmähen, die Freiheit durch ihre Hilfe wiederzugewinnen? Was war es, was mich nach quälendem Zögern bewog, doch die gebotene Hilfe anzunehmen?

Die Lust am Leben nur war's sicherlich nicht! . . . Lydia! . . . Wäre sie nicht gewesen, hätte ich nicht mit allen Fasern meines Seins daran gehangen, sie wiederzusehen, ihre Liebe zu gewinnen, dann . . .

Die ersten Häuser von Georgetown tauchten auf. Die hohen weißen Mauern des Instituts leuchteten ihm entgegen. »Lydia!« Unwillkürlich drängte der Name über seine Lippen. Verschwunden, wie weggewischt, die Gedanken an Helene und all das andere.

*

Die Sonne kam eben über dem Horizont, da heulte die Sirene der Alarmvorrichtung durch das Gutshaus von Paulinenaue. Marian, der in der Nähe des Laboratoriums schlief, war im Augenblick aufgesprungen und stürzte dorthin. Ein Apparat, der herannahende Flieger signalisierte, hatte das Alarmzeichen ertönen lassen und automatisch den Verstärker und eine Wachsplatte in Tätigkeit gesetzt, deren Befehle jetzt mit einer Kraft von fünfzig Kilowatt aus der Antenne in den Äther spritzten.

Noch einen schnellen Blick über die Apparatur, ob alles in Ordnung, dann eilte Marian ins Freie. Nach und nach trafen auch die anderen bei ihm ein. Mit Feldstechern konnte man deutlich erkennen, wie vier Flugzeuge in der Richtung nach Süden wegflogen.

»Sind es Freunde«, sagte Georg zu Dale und Clennan, »werden sie ihren Flug – wohl etwas verwirrt, erstaunt – fortsetzen. Sind es Feinde, werden sie sicherlich umdrehen und wiederkommen.«

»Zum Teufel, Herr Astenryk! Was soll das bedeuten? Was haben Sie sich da wieder ausgedacht?«

»Lassen Sie sich das von Marian erzählen. Ich muß die vier Flugzeuge beobachten.«

Marian erklärte den erstaunt Zuhörenden die Konstruktion des von Georg so geistvoll ersonnenen Apparates, der Flugzeuge schon auf weite Entfernungen meldete. Durch eine automatische Verbindung sei er mit dem Verstärker und einer Wachsplatte gekoppelt, die jetzt unaufhörlich den Befehl »Fliegt weg! Fliegt weg!« in den Raum strahlte.

Georg sah währenddessen mit grimmen Behagen, wie die Flieger jetzt wieder kehrtmachten. Er schloß daraus, daß sie, aus dem Zwangsbereich des Verstärkers gekommen, nun wieder Herren des eigenen Willens, ihr ursprüngliches Ziel von neuem ansteuern wollten.

»Geh nach oben«, rief er Marian zu, »setze dich unter den Verstärker. Wenn die Flieger näher kommen, gib deine Kommandos.«

»Sie nehmen wohl an, Herr Astenryk, daß es japanische Flieger sind?« fragte Clennan.

Georg zuckte die Achseln. »Das werden wir gleich wissen.«

Dale, der, den Feldstecher vor den Augen, die Flieger beobachtete, rief jetzt: »Unsinn! Es sind australische Flugzeuge. Ich sehe es genau am Bau und an den Abzeichen.«

»Hm, hm«, brummte Georg, »kann sein, kann nicht sein.« Wiederholte dann seine Worte von vorher, »Das werden wir gleich wissen«. Er wandte den Kopf zu Marian empor, der am Laboratoriumsfenster stand. »Nun mal los, mein Junge!«

Marian verschwand von Fenster. Kurz darauf bogen die vier Flieger scharf nach links ab.

»Es sind Japaner, Herr Major.«

»Japaner . . . die mit falschen Abzeichen fliegen?« In Dales Gesicht blitzte es auf »Das wäre doch wirklich eine Unverschämtheit sondergleichen.«

»Für mich gibt es keinen Zweifel, meine Herren«, sagte Georg, während er zu den Fliegern hinaufschaute. »Marian steht am Verstärker und kommandiert: Australier rechts! Japaner links! Und es dürfte den Herren doch bekannt sein, daß ein Widerstand gegen die Befehle meines Verstärkers nicht möglich ist.«

»Was haben Sie jetzt weiter vor«, drängte Dale. »Sie werden sie doch nicht einfach nach Hause schicken?«

»Keineswegs! Marian ist für diesen Fall schon instruiert. Sie werden gleich sehen, wie die vier Flugzeuge auf der großen Koppel dort hinten niedergehen. Ich denke, wir steigen in unseren Wagen und fahren dorthin. Marian wird uns auf unserem Weg mit dem Fernglas folgen und die entsprechenden Befehle geben. Nämlich«, setzte er scherzend hinzu, »denen befehlen, uns nicht totzuschießen und sich widerstandslos von uns gefangennehmen zu lassen.«

Sie waren eben in den Wagen gestiegen und rollten aus dem Hof, da hörten sie von weitem den Donner einer schweren Explosion.

»Aha!« nickte Dale befriedigt, »Bombenflieger! Eine der Karren ist beim Landen unsanft aufgestoßen und glatt in die Luft geflogen.«

Eine Minute später fuhr der Wagen durch das Gattertor auf die Koppel. Schon von weitem sahen sie, daß Dale mit seiner Vermutung recht hatte.

Eine gewaltige schwarzgelbe Wolke hob sich über einer Stelle, wo Trümmer eines Flugzeuges in hellen Flammen standen.

»Die anderen sind vorsichtiger gewesen«, rief Clennan, »sehen Sie dorthin! Da kommen uns drei Flieger entgegen. Und jetzt . . . Marian arbeitet wirklich prompt . . . heben sie die Hände über dem Kopf.«

»Feine Sache, Herr Astenryk!« Dale drückte Georg die Hand, daß der sein Gesicht schmerzlich verzog. »Hoffentlich werden Sie dieses Experiment zu gegebener Zeit recht oft erfolgreich wiederholen. Ich werde General Scott und Trenchham den Bericht über den Vorfall persönlich geben. Zunächst mal mache ich mich auf einen furchtbaren Anranzer gefaßt. Auf die erste Nachricht von den Ereignissen werden die sich natürlich sagen: Das kommt alles davon, daß dieser deutsche Eckkopf keine Vernunft annehmen will und sich nicht lieber unter militärischen Schutz begibt.«

»Na, ich danke«, scherzte Georg, »meine Schutzeinrichtung, die uns auch nachts einen sicheren Schlaf garantiert, wird denen eine bessere Meinung von dem deutschen Querkopf geben.« –

Die Gefangenen wurden nach Paulinenaue gebracht. Dale telephonierte nach Canberra. Gegen Mittag würde eine Kommission in Paulinenaue sein, um das Weitere zu veranlassen. Im Banne des Verstärkers hatten die gefangenen Flieger, über Zweck und Ziel ihres Fluges befragt, übereinstimmend geantwortet: Paulinenaue durch Bombenabwürfe vom Erdboden zu vertilgen.

»Ich glaube, Herr Astenryk«, sagte Clennan, nachdem die Japaner in einem sicheren Raum untergebracht waren, »ohne Ihre brillante Idee mit dem automatischen Fliegeralarm wäre Paulinenaue und alles was darin jetzt in Atome zerrissen. Von den vier Bomben, die jedes der vier Flugzeuge mit sich führte, hätte schon eine einzige dazu genügt.«

»Bin mal neugierig, was man mit den Burschen anfängt«, sagte Jan, der von Georgs Einrichtung nichts wußte und den Vorgängen mit beinahe wortlosem Staunen gefolgt war.

»Das soll nicht meine Sorge sein«, meinte Georg, »dafür mag Freund Dale sorgen. Ich bin zufrieden, daß mein Apparat auch diese Probe gut bestanden hat.«

»Sagen Sie nicht Apparat, Herr Astenryk. Bei solcher Leistung müssen Sie schon Großsender sagen.«

»Nennen Sie es, wie Sie wollen«, nickte Georg vergnügt.

»Bei dieser Gelegenheit, Herr Astenryk«, sagte Dale, »möchte ich . . . muß ich eine Frage anschneiden, die uns in Canberra schon lange auf der Seele liegt. Immer, wenn ich Sie fragte, wie Sie sich die Mobilisierung Ihres Verstärkers im Kriegsfalle denken, gaben Sie ausweichende Antworten. Sie sagten, das wäre eine nebensächliche Angelegenheit. –

Selbstverständlich bietet es keine Schwierigkeiten, die fünfzig bis hundert Kilowatt, die Ihr Verstärker braucht, aus irgendeiner fahrbaren Motordynamo zu nehmen. Gestern abend machten Sie gelegentlich die Bemerkung, Sie würden demnächst mit einer Energie von hundertfünfzig Kilowatt und noch mehr arbeiten . . .«

»Ja, gewiß, Herr Dale. Da sagte ich. Aber warum . . .«

»Nun, diese hundertfünfzig Kilowatt sind natürlich auch in Form eines fahrbaren Aggregats zu beschaffen. Aber hier fängt die Sache an, etwas umständlich zu werden. Sie würden dazu doch eines umfangreichen Fuhrparks benötigen. Den im gegebenen Augenblick in der besten Form bereitzustellen, dürfte vielleicht Schwierigkeiten bieten. Ich hatte, als ich hierherkam, die Absicht, diese Frage mit Ihnen zu besprechen, um danach sofort die nötigen Anschaffungen zu machen.«

»Nicht nötig, Herr Dale! Ich werde Ihnen gleich zeigen, daß der erste beste solide Kraftwagen genügt.«

»Aha!« entschlüpfte es Clennan unwillkürlich.

Georg lachte.

»Habe mir längst gedacht, Herr Clennan, daß Sie da schon allerhand gerochen haben. Nun, jetzt ist es wohl an der Zeit, Ihnen auch darüber volle Aufklärung zu geben. Kommen Sie, bitte, mit nach oben in das Laboratorium.«

Während Georg auf dem Weg zum Hause voranging, flüsterte Clennan Dale zu: »Ich glaube, Herr Major, wir werden etwas Außerordentliches erleben.« Auf Dales fragenden Blick fuhr er fort: »Hinter der Energiequelle, die Astenryk zum Betrieb seines Verstärkers benutzt, steckt ein Geheimnis oder – ich will es noch anders sagen – steckt das wirkliche Geheimnis dieses Mannes. Ein Mensch von der Tatkraft und den geistigen Qualitäten Astenryks sieht das Ziel seines Schaffens nicht in den Arbeiten mit dem phantastischen Verstärker. Dieser nüchterne, klare Kopf hat sich – darüber war ich mir nie im Zweifel – höhere, realere Aufgaben gestellt. Ich denke, wenn wir wieder herunterkommen, werden wir etwas gesehen haben, was über kurz oder lang die Welt in Staunen setzen wird.«

»Lassen Sie doch, Clennan! Meine Neugierde ist schon groß genug. Sie machen's ja noch schlimmer.«

Sie gingen zu Georg ins Laboratorium. Der begann: »Meine Herren, aus Gründen, die Sie begreifen werden, bin ich genötigt, mich vorweg Ihres unverbrüchlichen Schweigens über das zu versichern, was ich Ihnen jetzt vorführen will. Wenn Sie, Herr Major«, er wandte sich zu Dale, »es für erforderlich halten, dem General Scott eine Mitteilung zu machen, sei es Ihnen unbenommen. Aber überlegen Sie es sich, bitte, genau. Ihnen, Herr Clennan, will ich zunächst einmal zeigen, wohin das Stromkabel des Verstärkers führt. Das hat ja, wie ich wohl merkte, schon längst Ihre Neugier erregt.«

Er öffnete die Tür zu einem kleinen Nebenraum.

»Hier endet das Kabel des Verstärkers. Die Batterie, an die es angeschlossen ist, macht beim flüchtigen Hinblick vielleicht den Eindruck einer Akkumulatorenbatterie. Das ist sie aber keineswegs. Sie haben hier . . .«, Georg machte eine wohlberechnete Pause, ». . . die primäre Energiequelle!«

Obwohl die Spannung und Erwartung der beiden schon sehr hoch war, verschlug es ihnen bei diesen Worten Astenryks doch die Sprache. Da standen in einem einfachen Holzkasten von der Größe eines Kabinenkoffers mehrere Reihen von Elementen, Georg schaltete das Kabel ein. »Der Sender ist jetzt betriebsfertig. Sehen Sie, bitte, hierher auf das Wattmeter.«

»Hundertfünfzig Kilowatt?!« kam es fragend, staunend, ungläubig von den Lippen Clennans und Dales. –

Als beide eine Stunde später allein durch den Park gingen, sagte Clennan scherzend zu Dale:

»Nun, so schweigsam, Herr Major? War ein toller Brocken, den uns Astenryk da vorsetzte. Bißchen schwer zu verdauen! Was?«

»Sie haben gut lachen, Herr Clennan. Sie ahnten schon etwas von dieser phänomenalen Sache. Das wird ein schönes Geschrei in der Welt geben, wenn sie eines Tages davon erfährt. Schon die wenigen Andeutungen Astenryks genügten, um mir eine völlig veränderte Energiewirtschaft zu zeigen.

Aber lassen wir das jetzt und denken wir an nichts anderes als den Verstärker. Jetzt bekommt die Sache natürlich ein ganz anderes Gesicht. Jetzt kann man den Verstärker in der einfachsten, unauffälligsten Weise mobilisieren. Der erste beste Kraftwagen genügt, um darin die ganze Apparatur betriebsbereit zu installieren.« –

Es war am Abend des folgenden Tages. Die drei japanischen Gefangenen waren unter militärischer Obhut nach Canberra gebracht worden. Auch Clennan und Dale hatten Paulinenaue verlassen.

Georg war im Laboratorium beschäftigt. Ein Batterieglas zeigte eine ganz unerklärliche Abweichung an seinen Meßinstrumenten. Während die anderen mit dem gleichen Elektrolyten gefüllten Elemente die frühere Leistung von zweiundneunzig Prozent auswiesen, waren hier fünfundneunzig Prozent zu lesen. Die an sich so erfreuliche Tatsache bereitete Georg gewaltiges Kopfzerbrechen. Wie war diese Abweichung von den anderen Elementen zu erklären? Sollte es wieder, wie damals bei der Diamantensynthese, ein Zufallstreffer sein, der erst in langwieriger Arbeit erforscht werden mußte, um die Gründe für das unerwartete Ergebnis zu finden?

Aus seinem Nachdenken schreckte er auf, als Jans Stimme neben ihm erklang.

»Immer wieder die alte Geschichte!« sagte der behäbig lächelnd. »Schweifst in die Ferne, wo das Gute doch so nahe liegt. Hast du immer noch keine frischen Kohlenlösungen angesetzt . . . für neue Diamantensynthesen?«

»Laß mich doch damit in Ruhe, Jan! Diese Arbeiten sind für mich erledigt. Was ich da unter dem doppelten Zwang wissenschaftlichen Ehrgeizes und der Notwendigkeit, dir zu helfen, einmal tat, genügt . . . muß genügen. Oder . . .« er machte einen Versuch, zu scherzen, »hast du noch eine faule Bürgschaft am Halse?«

»Gott sei Dank nicht. Aber man braucht ja nicht gerade in solcher Klemme zu sein, um sich noch so ein nettes Schüsselchen mit Diamanten zu wünschen. Es war doch ein unbeschreibliches Gefühl, als ich wie Marian mit den Händen in die Schale fuhr und meine Finger in den Steinen badete.«

»Bist ein Schlemmer, Jan! Mach's wie die anderen Menschen, da drüben steht ein Waschbecken. Was du so gern möchtest, würde ich zum zweitenmal nur im Falle höchster Not tun, und selbst dann nicht ohne schwere Bedenken. Es ist und bleibt für mich ein unbehagliches Gefühl, jemandem synthetische Steine zu verkaufen. Wenn sie auch den natürlichen nicht im geringsten nachstehen, der Käufer würde sich doch betrogen fühlen, wenn er ihre Herkunft kennte.«

»Ach was, deine Sophistereien! Dem Manne in Georgetown, der sein Brötchen ißt, ist es ganz egal, ob der Weizen dazu auf meinem oder auf des Nachbars Acker gewachsen ist. Willst du es denn etwa ewig für dich behalten, daß du Diamanten machen kannst?«

»Keineswegs, lieber Jan. Dagegen würde sich mein Erfinderehrgeiz denn doch mit Recht wehren.«

»Na, das mag ja einen schönen Krach geben, wenn die Welt von deiner Kunst erfährt!«

»Krach ist gut gesagt, Jan, aber in anderem Sinne. Der Krach hieße Bankerott. Es muß daher auf alle Weise vermieden werden, daß Milliardenwerte auf einen Schlag wertlos werden. Denke an die unglückseligen Juweliere in der ganzen Welt, die über Nacht ruiniert wären. Denke an die Unsummen, die in den Diamantengruben der Welt investiert sind. All die Leute, die mit diesem Industriezweig verbunden sind, zu Bettlern zu machen, ist nicht meine Absicht.«

»Ja! Aber? . . . Was denn? . . .« Jan stand mit offenem Mund da, schaute Georg fragend an.

»Ich denke mir die Sache folgendermaßen, Jan: Beiläufig wird eines Tages die Öffentlichkeit erfahren, daß es mir gelungen ist, winzige Diamanten auf synthetischem Wege herzustellen. Ein Zusatz, daß es leider auf absehbare Zeit ausgeschlossen scheine, größere Diamanten zu machen, wird das erste Warnungszeichen sein.

Nach einer gewissen Zeit werde ich in vorsichtigster Form weitere Mitteilungen in die Presse lancieren, die von Fortschritten in der Diamantensynthese sprechen. In dieser Weise werde ich über einen längeren Zeitraum hin Schritt für Schritt vorgehen. In der gleichen abgebremsten Form wird sich dann auch wohl die Deroute auf dem Diamantenmarkt vollziehen. Eine Umstellung wird sich auf diese Weise ohne allzu große Schädigung der interessierten Kreise erreichen lassen, wie es ja auch früher schon bei anderen Erfindungen der Fall war.«

»Schade!« brummte Jan mit enttäuschtem Gesicht vor sich hin. »Ich glaube, Georg, die meisten Leute, die davon wüßten, würden dich für einen Narren halten.«

»Nun«, lachte Georg, »bleibe du bei deiner Auffassung, ich bleibe bei meiner. Aber komme bitte mal hierher und sieh dir das Element an. Das Meßinstrument zeigt fünfundneunzig Prozent . . .«

Georg wollte noch weitersprechen, da kam es hastig aus Jans Mund: »Oh, das ist ja sehr interessant, aber ich muß . . . entschuldige mich . . .« Bei den letzten Worten verließ Jan ziemlich fluchtartig das Laboratorium. Georg schüttelte sich vor Lachen. Mit wissenschaftlichen Erklärungen konnte man Jan sehr schnell loswerden.

Gleich darauf saß Georg wieder bei seiner Arbeit. Der Wirrwarr von Gedanken, in den er sich verstrickt hatte, war gewichen. Die Unterbrechung durch Jans Besuch erwies sich als sehr heilsam. Mit kühlem Kopf ordnete er das ganze Material der letzten Versuchsreihen und verglich systematisch alle Ansätze der Elektrolyte mit den Resultaten. Und dann . . . hatte er die Lösung dieses »Fehlresultates«. In freudiger Hast mischte er frische Elektrolyts, füllte eine neue Batterie damit.

». . . Habe ich auch das theoretische Maximum noch nicht völlig erreicht, so wäre es doch wahrscheinlich in Kürze zu erwarten . . . Aber jetzt habe ich Wichtigeres zu tun . . . vor allem muß ich wissen, warum der versprochene Kraftwagen für meinen Verstärker nicht kommt.«

Er ging zum Telephon und ließ sich mit Clennan verbinden.

»Der Kraftwagen wird morgen bestimmt in Paulinenaue sein«, sagte der. »Dale hielt es für richtig, einige Verbesserungen daran vornehmen zu lassen. Wenn möglich, komme ich selbst mit.« –

Am nächsten Tage begann in dem Autoschuppen Jans ein geheimnisvolles Schaffen. Der Kraftwagen war gekommen. Dale hatte ihn mit einer wirksamen, unauffälligen Panzerung versehen lassen. Georg und Marian waren eifrig beschäftigt, die Installation für den aufschiebbaren Antennenmast zu machen. Gleichzeitig wurden die Stellen, wo der Verstärker und die Batterie ihren Platz finden sollten, vorgerichtet. –

Als sie nach getaner Arbeit ins Haus kamen, fanden sie Jan am Radioempfänger. Bei Georgs Eintritt stand er auf und rief ihm entgegen:

»Das Neueste, Georg! Bericht aus Canberra: Es geht los!«

Der stutzte. »Was meinst du damit? Was geht denn los?«

»Der Krieg in Sibirien! Die russische Freiwilligenarmee unter General Borodajew hat den Grenzfluß Ussuri überschritten!«

»Hm! . . . Also doch . . . aber nun ja . . . nach den letzten Nachrichten konnte es ja kaum anders kommen.«

Er wandte sich zur Treppe, nach oben zu gehen. Dachte dabei: Sollte wirklich, wie Dale immer prophezeit, der Krieg in Sibirien der Auftakt zu dem anderen großen Kriege sein?

Die Nachrichten in den folgenden Stunden überschlugen sich. Russische Meldungen sprachen von schweren Kämpfen im Ussurigebiet. Nachrichten aus Mukden meldeten erfolgreiche Kämpfe um Chabarowsk und schon kurz danach die Einnahme der Stadt. –

Chabarowsk, an der Mündung des Ussuri in den Amur gelegen, war ein strategischer Schlüsselpunkt erster Ordnung. Durch seine Wegnahme war das ganze südliche Küstengebiet mit Wladiwostok von seiner Landverbindung mit dem russischen Mutterland abgeschnitten. Offensichtlich war es die Absicht Borodajews, sich von hier aus näher an Wladiwostok heranzuschieben, wobei ihm ja die Bahnverbindung längs des Ussuri gute Dienste leisten mußte, während er gleichzeitig vom Westen her Truppen über den Ussuri warf. Hierbei würden ihm die Amphibientanks ebenso wie beim Übergang nach Chabarowsk sehr nützlich sein.

Doch alle diese Vermutungen erwiesen sich als falsch. Sämtliche russischen Garnisonen im südlichen Küstengebiet gingen in den nächsten Tagen zu Borodajew über. In Rücken und Flanke gedeckt, setzte der General seinen Marsch nach Nordosten fort. In drei Tagen mußte seine motorisierte Vorhut das Meer erreicht haben. –

Während Presse und Publikum überall in der Welt je nach ihrer politischen Einstellung mit mehr oder weniger Interesse den weiteren Verlauf des Borodajewschen Unternehmens verfolgten, tobte in den englischen Zeitungen ein heftiger Streit gegen die Regierung. Jedermann schien sich jetzt bewußt zu sein, wie leicht der Brand in Ostsibirien sich zu einem großen Feuer entfachen und den ganzen Fernen Osten ergreifen könne. Dies um so mehr, als jetzt allmählich bekanntwurde, daß in den letzten Wochen – am stärksten in den letzten Tagen – alle militärpflichtigen Japaner in Europa ganz unauffällig die Rückreise in ihre Heimat angetreten hatten.

Das englische Kabinett tagte in Permanenz. Die Verhandlungen mit dem japanischen Botschafter wurden immer schwieriger. Als endlich die Regierung, von allen Seiten gedrängt, eine schärfere Sprache annahm, erfolgte das Gefürchtete. Der Botschafter brach im Auftrage seiner Regierung die diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien ab und verlangte seine Pässe.

Die unmittelbar danach erfolgende Abreise bewies zweifellos, daß man sich schon seit Tagen auf diesen Moment vorbereitet hatte. Die in letzter Stunde vom Botschafter vorgebrachte Forderung, Australien müsse das Einwanderungsverbot für japanische Untertanen aufheben, konnte nach Lage der Dinge nur als ein allzu durchsichtiger Vorwand für den gewollten Bruch gelten. Die letzten Schleier fielen, als bekanntwurde, daß Japan den Schutz seiner Untertanen in allen Teilen des britischen Reiches den diplomatischen Vertretungen Frankreichs übertragen habe.

*


 << zurück weiter >>