Hans Dominik
Befehl aus dem Dunkel
Hans Dominik

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Dasselbe dachte Georg, der allein auf dem Deck des »James Cook« stand und auf Clennan wartete, der ihn gebeten hatte, einem interessanten Versuch mit beizuwohnen. Je weiter er sich von Europa und von Anne entfernte, desto größer wuchs seine Sehnsucht nach ihr. Desto stärker drängte sich ihm der Gedanke auf: Durfte er sie so schutzlos in den Händen der Forbins lassen? Hätte er nicht alles versuchen müssen, sie doch woanders, vielleicht bei einer befreundeten Familie, unterzubringen? Immer wieder machte er sich den Vorwurf, daß er nicht gut an Anne gehandelt habe. –

Clennan riß ihn aus seinen Grübeleien. Sie gingen zusammen zur Funkkabine, und Clennan begann mit einer neuen Peilvorrichtung zu experimentieren. Nach längeren Versuchen arbeitete die Apparatur exakt. Zum Schluß war Clennan sehr befriedigt, und auch Georg hielt mit seiner Anerkennung nicht zurück. –

Schon seit einiger Zeit hatten sie backbords achteraus ein Schiff bemerkt, das, wie die aufkommenden Positionslichter zeigten, mit großer Geschwindigkeit fahren mußte. Georg und Clennan waren aufgestanden und wollten sich unter Deck begeben. Das fremde Schiff war inzwischen mit dem »James Cook« auf die gleiche Höhe gekommen und lief etwa sechs Kilometer nach Backbord ab neben ihm. Da klangen in der Funkkabine Morsezeichen. Gewohnheitsmäßig blieb Clennan stehen und horchte. Auch Georg hörte auf die Zeichen.

Wie? . . . Was wurde da gemorst? Ob Mr. Soyjen an Bord wäre? . . . Einen Augenblick des Überlegens, dann sprang Clennan zur Kabine und riß die Tür auf.

Zu spät! Der Funker hatte gerade geantwortet: »Nein. Mr. Soyjen ist in Colombo an Land gegangen.«

»Schade!« murmelte Clennan, der einer der wenigen war, die von den Gründen für Mr. Soyjens vorzeitige Landung wußten. »Schade! . . . Wahrscheinlich hätte ich ein bißchen aus dem Burschen 'rausholen können. Ob der Anruf vielleicht von dem Dampfer da drüben kommt? . . . Nach der schnellen Fahrt zu schließen, muß das ein Kriegsschiff sein.« –

Clennan wunderte sich, daß Georg diesen doch zweifellos nicht ganz uninteressanten Zwischenfall so unbeachtlich zu finden schien. Der hatte ihm die Hand zum Abschied gereicht und drängte offensichtlich, fortzukommen.

Kaum war er in seiner Kabine, so stieß er die Antenne durch das Bullauge, schaltete ein und setzte sich unter die Ausgangsantenne seines Verstärkers. –

Wohl eine Stunde hatte Georg dort gesessen, hatte auf sich wirken lassen, was sein Apparat aus dem Raume fing und millionenfach verstärkt auf ihn niederstrahlte.

Daß der Anruf von dem Schiff da drüben stammte, und daß das der japanische Kreuzer »Ito« war, hatte er unschwer feststellen können. Außer den Wachoffizieren auf der Brücke hatte sich noch ein einzelner Mann auf dem Achterdeck befunden, der, wie es Georg schien, nicht zur Besatzung gehörte. Nach kurzer Zeit war es ihm gut gelungen, sich auf dessen Gedankenstrahlung und Gedankengänge einzustellen. Doch was der dachte, fühlte, war Georg so fremd, daß er in das Vernommene keinen rechten Sinn bringen konnte. Er nahm den Block vor, auf dem er sich Notizen gemacht hatte, las, verglich.

Was war das für ein Mann, der diese Gedanken dachte, strahlte? . . . Der hatte Indien bereist. Hatte dabei mit vielen maßgebenden Persönlichkeiten der indischen Freiheitsbewegung Fühlung genommen . . . ihnen Freiheit . . . Unterstützung versprochen . . . der hatte an Nachrichten gedacht, die er aus China bekommen hatte, wo die japanfreundliche Bewegung in den militärischen Kreisen außerordentliche Fortschritte machte . . . Dann wieder waren Gedanken an einen Aufenthalt in England gekommen . . . an eine Flucht unter schwierigen Verhältnissen aus Indien . . . an eine Aufnahme auf hoher See durch einen japanischen Kreuzer . . .

Vieles andere, was er gehört und notiert hatte, war Georg unverständlich. Es betraf innere japanische Verhältnisse, die ihm ja völlig fremd waren. Er wollte eben den Apparat abschalten . . . da auf einmal hörte er von neuem die Gedanken dieses Mannas, der mit drei anderen wieder auf Deck gekommen war.

Die Unterhaltung der vier Männer war anscheinend sehr erregt. Man sprach über ein geheimnisvolles Unternehmen. Zwei Stimmen machten sich dabei besonders bemerkbar. Die eine, die des Mannes, der vorher allein auf Deck gewesen war, und jetzt von den anderen mit Exzellenz und bisweilen auch mit dem Namen Turi Chan angeredet wurde. Die zweite besonders bemerkbare Stimme war die eines Offiziers namens Umliu. Sie bekämpften einander mit scharfen Worten. Die Stimmen der anderen, darunter auch die des Kommandanten, waren seltener zu hören, doch schienen sie sich auch gegen den Offizier Umliu zu wenden. Aber es war Georg unmöglich, aus diesen sich kreuzenden, sich überlagernden Gedankenwelten einen logischen Sinn zu entnehmen.

Da . . . jetzt trennten sich die Männer. Nur der Offizier Umliu blieb auf Deck. Jetzt waren dessen Gedankengänge reiner und klarer zu vernehmen. Doch der Offizier schien in starker seelischer Erregung zu sein. Wild gingen seine Gedanken durcheinander, wechselten in ihrer Stärke fortwährend. Sie bezogen sich wohl auf die Unterredung mit den dreien, die unter Deck gegangen waren.

In nervös-fiebrigem Grübeln lauschte Georg den Gedanken dieses Mannes. Er hatte den Eindruck, es müßte ein stolzer, gerader Charakter sein, der ein geplantes gewaltsames Unternehmen als eine unfaire, feige Tat ansah im Gegensatz zu jenen drei anderen.

Aber was Georg am höchsten interessierte . . . Das Unternehmen?! . . . Gegen wen richtete es sich? Ein paarmal war von Brisbane die Rede gewesen. Aber das hatte doch keinen Sinn . . . ein Angriff auf die Stadt Brisbane? . . . Es war doch kein Krieg . . . oder . . . noch kein Krieg . . . Und der Angriff sollte mit Minen gemacht werden . . . ja, war es denn ein kriegerischer Angriff oder ein verbrecherischer Anschlag? . . . Das war für Georg schwer zu unterscheiden . . . Dann wieder hatte der Offizier sich entrüstet, daß zweitausend tapfere Soldaten heimtückisch aus dem Hinterhalt getötet werden würden . . .

Da, jetzt . . . Georg schrak zusammen . . . der Mann, der da dachte . . . der Offizier Umliu . . . was hatte der jetzt für einen entsetzlichen Entschluß gefaßt? . . . Die befleckte Ehre des Vaterlandes zu reinigen . . . sich selbst zu töten . . . Harakiri zu machen . . . Als sähen seine Augen das Schreckliche vor sich geschehen, schlug Georg die Hände vors Gesicht, wollte aus dem Bannkreis der Antenne fliehen, doch seine Glieder waren wie gelähmt. Mit tiefstem Entsetzen . . . der Herzschlag stockte ihm . . . nahm er wahr, wie der Offizier einen Dolch zog, den Wachoffizieren auf der Brücke zurief: »Für die Ehre des Vaterlandes!« . . . sich die Waffe in den Leib stieß . . .

Ins Tiefste erschüttert stürzte Georg aus der Kabine hinaus aufs Deck. Der japanische Kreuzer hatte den »James Cook« längst überholt und war nicht mehr zu sehen. Lange ging er auf dem menschenleeren Deck hin und her. Die durch das mit geistigem Auge Geschaute aufgepeitschten Nerven kamen nur schwer zur Ruhe.

Er hatte das stärkste Bedürfnis, sich irgendwie jemand mitzuteilen. Nicht Marian, der dachte und fühlte wie er. Der konnte ihm hier nicht helfen, raten. Ein anderer . . . vielleicht Clennan oder Major Dale. –

Die Sterne verblaßten, da begab er sich wieder in seine Kabine und legte sich nieder. –

Die Sonne stand hoch am Himmel, als er erwachte. Marian mochte wohl schon in der Kabine gewesen sein. Das Frühstück stand auf einem Tischchen neben dem Bett.

Georg stand auf und zog sich hastig an, stürzte dabei eine Tasse Tee hinunter. Dann ging er zur Kabine Dales und atmete erfreut auf, als er den allein vorfand. Daß Dale sehr nachdenklich war fiel ihm nicht auf.

»Hallo, Mr. Astenryk! So eilig? Aber . . .« Dale stand auf und trat auf Georg zu. »Mann, wie sehen Sie aus? Was ist mit Ihnen? Sind Sie krank?«

»Nein, Herr Major. Ich bin nicht krank. Aber meine Nerven sind erregt durch Vorgänge, die ich in dieser Nacht erlebte. Ich muß einen Menschen haben, mit dem ich mich aussprechen kann. Würden Sie so liebenswürdig sein und mit mir in meine Kabine kommen?«

Dale sah ihn erstaunt an. »Wenn Sie wünschen, gern, Herr Astenryk.«

Sie traten in Georgs Kabine.

»Entschuldigen Sie, Herr Major, daß es hier noch unaufgeräumt aussieht, ich bin eben erst aufgestanden. Warten Sie bitte einen Augenblick, ich will auch Mr. Clennan holen«

Dale sah ihm kopfschüttelnd nach. Bald darauf kam Georg mit Clennan zurück.

»Sie betreten meine Kabine zum erstenmal, Herr Clennan«, sagte Georg mit gezwungenem Lächeln, »ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, daß ich es bisher stets vermied, Sie hier zu empfangen. Jetzt will, muß ich Ihnen das erklären. Verzeihen sie, Herr Major, wenn ich Herrn Clennan jetzt einen kleinen Vortrag halte, dem Sie vielleicht nicht in allen Einzelheiten folgen können. Aber es ist nötig, um das, was ich dann später zu sagen habe, glaubwürdig zu machen.«

Georg ging zu dem Fußende seines Bettes, zog ein Tuch, das über den Verstärker gebreitet war, fort und deutete darauf.

»Diesen Apparat, Herr Clennan, werden Sie wohl ohne weiteres als einen Elektronenverstärker erkennen.« Er öffnete den Deckel und ließ Clennan hineinschauen. »Es ist jedoch nicht ein Verstärker gewöhnlicher Art, sondern ein Verstärker von absoluter Aperiodizität.«

Clennan fuhr erstaunt zurück.

»Wie? Was? . . . Absolut aperiodisch?! Ist das überhaupt möglich? Wie kommen Sie dazu? . . .«

»Ihnen das zu erklären, würde die schon an sich lange Besprechung, die ich mit Ihnen haben werde, unnötig verlängern. Darüber bei einer anderen Gelegenheit. Ich will jetzt nur die Einzelheiten dieses Verstärkers erklären, damit Sie imstande sind zu begreifen, was er zu leisten vermag.« –

Eine halbe Stunde wohl hatte Georg gesprochen. Immer wieder von Clennan unterbrochen, der ihm mit brennenden Augen zuhörte. Als Georg geendet, stand Clennan auf und lief in dem engen Raum erregt hin und her.

»Gewiß, das ist ja alles richtig, was Sie sagten. Theoretisch durchaus denkbar. Aber . . . um mich völlig zu überzeugen . . . müssen Sie schon mir und . . .« er deutete auf Dale, »dem Herrn Major einen praktischen Beweis geben.«

»Selbstverständlich, Herr Clennan! Und das ist ja sehr leicht zu machen. Bitte, wollen Sie sich hierhin setzen, und Sie, Herr Dale, dorthin. Sie, Herr Major, sitzen jetzt unter der Eingangsantenne, Sie, Herr Clennan, unter dem Ausgang des Verstärkers.

Bitte, Herr Dale«, Georg ging zu einem Schalter, »denken Sie etwas, sobald ich eingeschaltet habe.«

Clennan hatte einen Block gegriffen, horchte mit gespanntem Gesicht und schrieb. Ab und zu ging ein leichtes Lächeln über seine Züge. Nach einer Weile schaltete Georg den Apparat ab.

»Nun, meine Herren?!«

Clennan, in dessen Gesicht sich die verschiedensten Gefühle widerspiegelten, stand auf und griff Georg an beiden Händen.

»Mann, was haben Sie da geschaffen!« Er starrte Georg an von Kopf bis zu Füßen, als könne er nicht begreifen, daß dieser Mensch hier vor ihm schon ein Problem, das von der Welt als kaum lösbar betrachtet wurde, in höchster Vollendung beherrschte. Auch Dale, der inzwischen das von Clennan Geschriebene überlesen hatte, trat jetzt zu Georg heran und schüttelte ihm die Hand.

»Besser als Ihre verwickelten technischen Ausführungen, die mir ja leider zum größten Teil zu hoch waren, hat mir der gelungene Versuch den Beweis für Ihre Kunst erbracht. Ich revoziere daher alles, was ich gedacht habe.«

»Und da war manches gerade nicht schmeichelhaft für Herrn Astenryk«, sagte Clennan lachend. ». . . Total verrückte Sache . . . der Astenryk scheint entweder einen Sonnenstich zu haben oder hat die Nacht mit zuviel Whisky-Soda verbracht . . . bin neugierig, was Clennan sagt . . . Nette Gedanken unseres Freundes Dale . . . Doch Scherz beiseite – über Ihren wunderbaren Verstärker und Ihre fabelhafte Entdeckung werden wir später reden – jetzt zur Hauptsache! Was war denn das, was Sie heute nacht von dem vorüberfahrenden japanischen Kreuzer ›Ito‹ hörten und was Sie so ungewöhnlich erregt hat?«

Georg nahm den Block, auf dem er seine Notizen gemacht hatte, legte ihn auf den Tisch und bat Clennan und Dale, die Aufzeichnungen zu lesen . . . vielleicht, daß sie, mit den politischen Verhältnissen des Ostens gut vertraut, sie besser verstehen würden.

In diesem Augenblick kam Marian in die Kabine.

»Gut, daß du kommst, Marian, ich habe auch mit dir zu sprechen. Ich gehe auf Deck, meine Herren. Lesen Sie inzwischen bitte alles das. Ich bin in kurzer Zeit wieder hier. Es ist besser, wenn Sie erst einmal alles lesen, ehe wir darüber sprechen.«

Als Georg nach einiger Zeit wieder in die Kabine kam, fand er die beiden in höchster Erregung. Dale stand auf und trat zu ihm.

»Ach, hätte ich doch alles mitangehört! Vieles, was Sie nicht begriffen haben, würde mir wohl verständlich gewesen sein. So sind viele und anscheinend sehr wichtige Dinge nur zu erraten.

Das eine ist mir klar. Über die Person der mysteriösen Exzellenz Turi Chan werde ich sofort durch unseren Nachrichtendienst Erkundigungen einziehen. Das wird nicht schwer sein, nach den Anhaltspunkten, die wir hier haben. Dann werde ich der Regierung umgehend ausführlichen Bericht erstatten.«

»Herr Major, bitte kommen Sie schnell! Um Gottes willen, was lese ich hier!«

Dale fuhr herum, eilte zu Clennan. Der deutete mit dem Finger auf ein paar Zeilen, die sie bisher noch nicht gelesen hatten.

»Ist das möglich? Ist das denkbar? Ein solches Verbrechen! Was machen wir?«

Dale überflog die Zeilen, fuhr einen Schritt zurück. Das Gesicht totenbleich, die Augen funkelnd in höchster Empörung, die Fäuste geballt, als wolle er sich auf einen unsichtbaren Gegner stürzen.

»Diese Schufte! Diese Verbrecher! So also ist es gewesen!«

Georg starrte von einem um anderen.

»Meine Herren, was ist das? Was bedeuten denn die Worte, die ich da aufgeschrieben habe?«

Clennan hob die Hand. »Ach ja, Sie wissen es noch nicht, Herr Astenryk, weil Sie außer uns noch niemand auf dem Schiff gesprochen haben. Vor ein paar Stunden erreichte uns eine Funknachricht der australischen Regierung. Der neue Kreuzer ›Brisbane‹ ist im Hafen von Talufuata bei einem starken Sturm in die Luft geflogen. Fast die gesamte Besatzung ist ertrunken.«

Dale, der, während Clennan zu Georg sprach, wie ein Rasender in der Kabine hin und her gelaufen war, blieb jetzt stehen.

»Was ist zu tun, meine Herren? Es ist klar, daß das Verbrechen so geschickt eingefädelt wurde, daß nicht die Spur eines Verdachtes auf Japan fallen wird . . . und doch . . . sind wir nicht verpflichtet, unserer Regierung Aufklärung zu geben? Wir wissen doch, wie es geschah.«

Er unterbrach sich. Ein Steward kam herein und überreichte Clennan eine Depesche. Der überflog sie: »Von den 2130 Mann der Besatzung des gesunkenen Kreuzers ›Brisbane‹ sind nur vier Leute gerettet. Die Hälfte davon hat so starke Verletzungen, daß an ihrem Aufkommen gezweifelt wird. Am Strande von Talufuata wurden von Eingeborenen Sprengstücke von Minen gefunden, von denen eins den Fabrikationsstempel ›KMV Kiel‹ trägt.«

Clennan reichte die Depesche wortlos Dale. Der las sie langsam vor.

»Natürlich!« meinte er ironisch. »So muß es gewesen sein! Ein paar deutsche Treibminen aus dem Weltkrieg sind durch einen unglücklichen Zufall gegen die ›Brisbane‹ getrieben worden und haben die Katastrophe verursacht.

Aber nochmals, meine Herren! Diesen frechen Betrug dürfen wir nicht ruhig mitansehen, wo wir wissen, daß ein japanisches U-Boot die Treibminen vor der ›Brisbane‹ ausgelegt hat.«

Clennan zuckte die Achseln und sah zu Georg hinüber.

»Ich glaube«, begann er zögernd, »daß Herr Astenryk anderer Meinung ist. Und ich, Herr Major«, sagte er zu Dale gewendet, »bin auch dagegen, wenn auch aus anderen Gründen.«

Dale wollte aufbrausen, doch Georg legte beruhigend die Hand auf seinen Arm.

»Hören Sie mich bitte erst einmal in Ruhe an, Herr Major. Gewiß, Sie haben recht. Ich wäre in der Lage, klipp und klar den Beweis zu erbringen, daß dies abscheuliche Verbrechen von japanischer Seite inszeniert und durchgeführt ist. Dazu müßte ich aber meine Erfindung bis in alle Einzelheiten publizieren. Das ist allein schon eine höchst bedenkliche Sache. Denn dadurch würden die Gegner auf ein Machtmittel aufmerksam gemacht werden, über dessen große Bedeutung Sie sich zweifellos schon in dieser kurzen Zeit ein Bild gemacht haben.

Der beste Teil einer neuen Waffe, das Überraschungsmoment, würde dann wegfallen, von Abwehrmaßregeln, die vielleicht entwickelt werden könnten – ich sage: vielleicht – ganz zu schweigen.«

Hier unterbrach ihn Clennan.

»Ich bin durchaus der Meinung des Herrn Astenryk. Außerdem glaube ich, Herr Major, daß es unserer Regierung im Augenblick keineswegs angenehm wäre, mit Japan in Kriegszustand zu geraten.«

Dale zog mißmutig die Brauen zusammen.

»Das ist leider sehr wahr, Herr Clennan. Man hat in London schlechte Politik getrieben, daß man sich nicht rechtzeitig militärisch und politisch auf den Zerfall des angelsächsischen Blocks eingestellt hat.«

Clennan zuckte die Achseln.

»Wer hätte auch annehmen können, daß die Amerikaner so töricht sein würden, ein solch unbegreifliches Desinteressement an den ostasiatischen Angelegenheiten zu zeigen.«

»Alles Gründe genug, um mich zu nötigen, die Herren bei Ihrem Wort zu halten. Ich bitte Sie, über alles, was ich Ihnen anvertraut habe, strengstes Stillschweigen zu bewahren«, schloß Georg. –

In den nächsten Tagen begann ein eifriges Experimentieren mit dem Verstärker. Es war für Georg eine große Erleichterung bei seinen Arbeiten, daß Clennan nun um die Sache wußte. Georg konnte jetzt mittels größerer Antennen, die auf Deck gespannt waren, arbeiten und erreichte damit viel bessere Empfangsverhältnisse.

Auch mit Dale, der technisch weniger geschult war, hatte er viel zu tun. Der betrachtete die ganze Angelegenheit hauptsächlich auf die militärische Verwendbarkeit hin und stellte alle möglichen und unmöglichen Fragen.

Wie Dale vorausgesagt hatte, beruhigte sich die Welt bald über den Untergang des Kreuzers »Brisbane«. Die Ursache des Unglücks war ja so klar, daß niemand mit irgendwelchen anderen Möglichkeiten rechnete. –

Für Alfred Forbin war es zunächst nicht gerade ein angenehmer Gedanke, daß durch seine Tätigkeit, den Ankauf der zum Verschrotten lagernden alten deutschen Minenkörper, der Untergang der »Brisbane« indirekt verursacht worden war.

»Dafür hätte man mich eigentlich besser bezahlen müssen«, meinte er zu Helene, mit der er sich jetzt wieder in seiner Pariser Pension befand.

In diesem Augenblick klirrte die Flurglocke. Anne kam herein und sagte, ein Herr sei da, der Herr Forbin zu sprechen wünsche.

»Führe ihn hierherein!«

Bald darauf trat ein Herr ins Zimmer, der sich als Monsieur Fabre vorstellte. Er bat, mit Herrn Forbin allein sprechen zu dürfen.

»Ist nicht nötig, mein Herr!« sagte Forbin, »meine Frau kann alles hören«, wobei er das Wort »alles« betonte.

Der Fremde zögerte eine kurze Weile, während er die Augen prüfend über Helene gehen ließ. Dann ließ er sich, mit einer bedeutsamen Verbeugung zu ihr, am Tisch nieder.

»Ich komme, um Sie um einen Dienst zu bitten, Herr Forbin. Herr Shugun gab mir Ihre Adresse.«

Forbin tauschte einen schnellen Blick mit Helene. Der Name Shugun klang ihnen immer angenehm im Ohr.

»Wenn ich mich Ihnen, Herr Forbin, in einer sehr diffizilen Angelegenheit rückhaltlos anvertraue, so tue ich das, nachdem Herr Shugun sich für ihre Person verbürgte . . .

Ich habe im Auftrag eines japanischen Herrn eine größere Anzahl Banknoten einer fremden Macht drucken lassen. Bisher ist alles gut verlaufen. Jetzt, wo ich den Rest der Summe zu liefern habe, fühle ich mich beobachtet. Auch der Drucker ist der Polizei verdächtig. Er hat den bewußten Rest des Betrages daher aus seiner Wohnung entfernt und ihn in der Wohnung eines pensionierten verwitweten Polizeikommissars, der im selben Hause wohnt, versteckt.«

Forbin sah ihn erstaunt fragend an. Fabre lächelte.

»Natürlich ohne Wissen dieses Polizeikommissars. Das Wie ist leicht zu erklären: indem er sich in Abwesenheit des Kommissars mittels Nachschlüssel Zugang zu dessen Wohnung verschaffte.

Ich möchte Ihnen nun den Vorschlag unterbreiten, daß Sie, der Sie ja der Polizei gänzlich unverdächtig sind, dieses Geld dort abholen. Eine gute Provision ist Ihnen selbstverständlich sicher.«

Ein Blick Helenes zu Forbin genügte, um den sofort sagen zu lassen: »Ich muß sehr bedauern, Herrn Fabre. Gerade im Interesse meiner Unverdächtigkeit muß ich Ihren Vorschlag ablehnen.«

Fabre nickte. »Ich kann Ihren Standpunkt verstehen, Herr Forbin. Deshalb möchte ich Ihnen noch einen anderen Vorschlag machen, der für Sie keinerlei Risiko birgt.

Sie fahren morgen früh um acht Uhr im Auto nach Moreville, wo Sie um neun Uhr sein dürften. In dem Gasthaus zum Löwen stellen Sie Ihren Wagen in die große Garage, die hinter dem Hotel liegt. Ihr Gepäck tun Sie in einen Koffer, den ich in meinem Wagen unten mitgebracht habe. Der Wagen, in dem Sie fahren, wird mitsamt dem Chauffeur von mir gestellt. Sie gehen mit dem Chauffeur in das Restaurant des Gasthofes.

Eine viertel oder halbe Stunde später werde ich in einem anderen Wagen dorthin kommen mit einem Koffer, der die Geldscheine enthält. Er wird dreißig Kilo wiegen. Sie müssen dafür sorgen, daß Ihr Koffer das gleiche Gewicht hat. Die beiden Koffer sind von derselben Firma und äußerlich in nichts zu unterscheiden.«

Forbin nickte.

»Ah, Sie verstehen, mein Herr?«

»Natürlich«, meinte Forbin, »das ist ja alles sehr einfach. Sie werden Ihren Wagen auch in der Garage einstellen, die beiden Koffer vertauschen und ich werde gleich darauf in meinem Wagen weiterfahren.«

»So ist es, mein Herr. Und zwar müßten Sie bis Lille fahren und Ihren Wagen im Hotel Bristol einstellen. Ein Herr wird dort unauffällig den Koffer übernehmen.«

Helene und Forbin sahen sich eine Weile überlegend an.

»Gut, Herr Fabre! Der Vorschlag erscheint mir annehmbar. Doch ehe ich zustimme, möchte ich Sie um eine Erklärung bitten, wie Sie den Koffer bei dem verdächtigen Drucker abzuholen gedenken.«

Fabre zuckte die Achseln.

»Das ist vielleicht eine riskante Geschichte. Ich fahre mit meinem Wagen an dem Haus, in dem der Drucker wohnt, langsam vorbei. In dem Augenblick, wo ich die Haustür passiere, wird er herauseilen, mir den Koffer ins Auto werfen, und ich fahre mit größter Geschwindigkeit fort. Werde ich verfolgt, muß ich mich auf die Schnelligkeit meines Wagens verlassen, die allerdings sehr groß ist.«

Forbin zögerte einen Augenblick. Der Gedanke an die eventuelle Verfolgung war ihm zweifellos unangenehm, doch Helene sagte kurz entschlossen:

»Wir nehmen an!«

Nachdem Forbin seinen Besucher vorsichtigerweise durch den Ausgang des Hinterhauses entlassen hatte, trat er händereibend zu Helene ins Zimmer.

»Das wird jedenfalls ein sehr ertragreicher Fischzug werden, Helene. Ein Risiko für mich sehe ich nirgends dabei.«

Helene wollte etwas sagen, da schrillte das Telephon. Forbin ging zum Apparat und kam nach einer Weile mit einem halb mißmutigen, halb vergnügten Gesicht zurück.

»Morgen werden wir endlich das Vergnügen haben, den geheimnisvollen Herrn Krall kennenzulernen.«

Helene sprang auf und eilte zu ihm.

»Wie? Was? Hat Meunier endlich Farbe bekannt? Das ist ja glänzend. Wann sollen wir zu ihm kommen?«

»Morgen früh um neun Uhr.«

»Ah, das ist ärgerlich! Was machen wir nun mit der Fabreschen Sache?«

»Ja, das ist's ja eben! Zwei so gute Gelegenheiten, von denen man sich keine entgehen lassen möchte. Was ist da zu tun?«

Helene überlegte einen Augenblick und sagte dann zögernd: »Anne muß morgen früh in Fabres Auto fahren.«

Forbin stutzte einen Augenblick, lachte dann.

»Der Gedanke ist wieder mal gut. Viel zu tun hat sie ja bei der ganzen Sache nicht. Ob es dem Herrn Fabre recht ist oder nicht, soll mir egal sein. Wenn ihr nachher in Lille der Koffer fehlt, dann wird sie gewiß zunächst unglücklich darüber sein. Aber das ist ja weiter nicht schlimm.«

Als nach einiger Zeit Anne in das Zimmer kam, war Forbin beschäftigt, verschiedene Teile seiner Garderobe in einen neuen Koffer zu packen.

»Nun, schon wieder verreisen, Alfred?« fragte sie beiläufig.

Der nickte gleichgültig. »Ja! Wir fahren morgen im Auto nach Lille. Dort werden wir ein paar Tage bleiben, ich habe da Geschäfte.« –

Als am folgenden Morgen Anne reisefertig in das Zimmer ihrer Schwester kam, fand sie die und ihren Schwager in scheinbar erregtem Gespräch. Forbin trat auf sie zu und sagte in gespielt brüskem Ton:

»Du mußt vorausfahren, Anne. Hier dies«, er übergab ihr ein versiegeltes Päckchen, »muß heute noch in Lille in die Hände eines Herrn Mirette kommen, der mich dort erwartet. Du steigst im Hotel Stadt Brüssel ab, bestellst Zimmer für uns drei und sagst dem Portier, wenn ein Herr Mirette nach Forbin fragt, solle er ihn an dich weisen. Du wirst ihm das Päckchen dann übergeben. Helene und ich werden vielleicht erst spät am Abend in Lille sein.«

Anne, an derartige plötzliche Änderungen der Reisepläne längst gewöhnt, ging, von ihrer Schwester begleitet, aus dem Hause zu einem dort haltenden starken Kraftwagen. Einen Augenblick ging es ihr durch den Sinn, als wäre der Abschied ihrer Schwester heute herzlicher als sonst. –

Als eine Stunde später Forbin und Helene aus dem Hause traten, um sich ein Auto zu suchen, sah wohl mancher mit bewundernden Blicken der schönen Frau nach.

Helene hatte mit besonderer Sorgfalt Toilette gemacht. Es war ihr wohl bewußt, wie oft der Reiz ihrer Persönlichkeit und ihr gewinnendes Wesen, das sie, wenn es darauf ankam, zu berückendem Zauber zu steigern wußte, bei geschäftlichen Verhandlungen ihrem Mann die Wege geebnet hatten.

Als sie vor dem Hause Meuniers ankamen, warf Helene einen flüchtigen Blick über das große Schild über der Tür. »C. Meunier, Versicherungsagentur« stand in schweren Goldbuchstaben darauf. Sie lachte. Meinte dann, auf das Schild deutend: »Schöne Versicherung, die gleichzeitig bemüht ist, recht viele ums Leben zu bringen.«

Nach einer kurzen Wartezeit wurden sie in das Privatbüro Meuniers geführt. Bei ihrem Eintritt begrüßte Meunier, ein kleiner, untersetzter Herr von jovial-liebenswürdigem Wesen, Helene mit besonderer Freundlichkeit. Ein anderer Herr, der im Hintergrund des Zimmers stand und die Eintretenden von der Seite mit scharfem Blick musterte, trat hinzu und wurde als Herr Krall vorgestellt.

In kurzer Zeit entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch. Dieser Herr Krall, aus dessen Sprechweise selbst die geübten Ohren des Ehepaares Forbin keinen Schluß auf seine Nationalität zu ziehen vermochten, sprach zur Freude Helenes anscheinend ganz freimütig und ohne Rückhalt.

Zwar vermied er es, sich über das Unternehmen an sich irgendwie näher auszulassen, doch war er, soweit es die geschäftlichen Dinge betraf, durchaus offen. Hin und wieder ließ er ein paar Andeutungen zwischenfallen, daß es nicht ohne Gefahr für jeden der Beteiligten wäre, auch nur im geringsten von dem Versprechen strengster Verschwiegenheit abzuweichen. Doch Helene sah mit Genugtuung, daß er sich bei solchen Worten stets nur an Alfred Forbin wendete. –

Nach stundenlanger Verhandlung hatte Forbin einen Vertrag in der Tasche, der eine große Lieferung von Kavallerie-Ausrüstungsstücken betraf. Man erhob sich zum Abschied. Da trat ein Mann ins Zimmer, bei dessen Anblick Helene auch ohne die devoten Begrüßungen durch Meunier und Krall sofort wußte, daß hier eine hohe Persönlichkeit, vielleicht gar einer der Führer des Unternehmens, vor ihr stand.

Es war ein schon älterer Mann von straffer, gerader Haltung, trotz der Jahre, die seine Augen dicht mit Krähenfüßen umgeben hatten. Die leicht vorspringenden Backenknochen, die stumpfe, fleischige Nase über dem buschigen Schnurrbart gaben dem Gesicht einen unverkennbar slawischen Typ. Doch dies fast alltägliche Gesicht wurde von den großen, durchdringenden Augen, die beim Sprechen in fast jugendlichem Feuer glänzten, so vollkommen beherrscht, daß der ganze Mann einen ungemein kraftvollen, faszinierenden Eindruck machte.

Ein paar leise geflüsterte Worte Kralls mochten ihm über Forbin und Helene Aufklärung gegeben haben. Nach einer kurzen Vorstellung – »General Borodajew« – begrüßte er flüchtig Forbin, wandte sich dann mit großer Liebenswürdigkeit zu Helene und verwickelte sie schnell in eine angeregte Konversation. Doch dies Gemisch von alltäglichen und dann wieder aktuellen politischen Fragen gab der Unterhaltung einen so eigenartig interessanten Charakter, daß Helene, aufs stärkste gefesselt, alle Kräfte und Künste ihres klugen, blendenden Geistes heranziehen mußte, um dem General eine ebenbürtige Partnerin zu sein. Sie fühlte dabei sehr wohl, das es Borodajew auf eine kleine Probe ihrer intellektuellen Kräfte und Fähigkeiten ankam. Mit geheimer Befriedigung stellte sie aber auch fest, daß der General jedenfalls nicht unempfänglich für ihre körperlichen Vorzüge geblieben war. –

Auch das gehörte zu den angenehmen Erinnerungen, die Helene von diesem Zusammensein mit sich nahm. Sehr einsilbig ging sie neben ihrem Gatten her, der, in großen Hoffnungen schwelgend, sich in kühnen geschäftlichen Projekten überschlug.

Ein Mann! Endlich einmal ein Mann! dachte sie immer wieder. –

Als am Spätnachmittag Forbin und Helene reisefertig die Wohnung verlassen wollten, um nach Lille zu fahren, wurde ihnen ein Telegramm aus Brüssel gebracht. Forbin riß es auf. Er las: »Bin in Ostende, Hotel d'Angleterre. Bitte kommen. Anne.«

Er fuhr zurück, reichte es mit erschrecktem Gesicht Helene. Die las es und erblaßte leicht.

»Was ist das? Anne ist in Ostende? Was ist da passiert?«

Je länger sie sich anschauten, desto unruhiger wurden sie beide. Allem Anschein nach war das Unternehmen mißglückt.

»Vielleicht ist es am besten, wir fahren auch über die Grenze. Es ist doch nicht ausgeschlossen, daß wir indirekt in diese höchst bedenkliche Affäre verwickelt würden. Ich will sofort an Anne depeschieren, daß wir kommen.« –

Als sie am Abend in Ostende ankamen, trat außerhalb des Bahnhofs ein Mann zu ihnen, in dem Helene den Chauffeur von heute früh wiedererkannte. Der gab folgenden Bericht:

»In Moreville ist alles programmäßig verlaufen. Sofort nachdem Monsieur Fabre die Koffer vertauscht hatte, bin ich mit der Dame weitergefahren. Beim Verlassen der Garage sah ich aber von Paris her ein Polizeiauto kommen, das vor dem Hotel haltmachte. Ich ahnte nichts Gutes und fuhr mit größter Schnelligkeit.

Als ich in das Städtchen Boucy kam, mußte ich tanken. Ich ließ den Wagen vor einem kleinen Wirtshaus stehen. Vorsichtshalber führte ich die Dame hundert Schritte weiter in ein Café. Als ich wieder auf die Straße kam, um irgendwo Brennstoff aufzutreiben, sah ich neben meinem Wagen jenes Polizeiauto halten. Ein starker Tourenwagen, der vor dem Café stand, brachte mich auf einen rettenden Gedanken. Ich ging in das Café und bat die Dame, sofort mit mir zu kommen. Draußen forderte ich sie auf, in den Wagen zu steigen. Als sie zögerte, sagte ich ihr, wir müßten unverzüglich fliehen, die Polizei wäre hinter uns her.

Noch ehe sie sich besinnen konnte, hatte ich sie in den Wagen gedrängt, sprang auf den Führersitz und fuhr in der Richtung der Grenze los. Ich baute meine Hoffnung darauf, unangehalten über die grüne Grenze zu kommen. Und das, meine Herrschaften . . .« er lachte, »ist, wie Sie sehen, geglückt. Der Koffer ist allerdings zum Teufel.«

Mit diesen Worten verschwand der Chauffeur in dem Gedränge der Passanten. Sehr einsilbig und nachdenklich erreichten die beiden das Hotel d'Angleterre.

Als sie in Annes Zimmer traten, fanden sie die mit verweinten Augen in verzweifelter Stimmung. Forbin wollte tröstend die Hand auf ihre Schulter legen. Da fuhr sie auf und überschüttete ihn mit einer Flut leidenschaftlicher Vorwürfe.

»Keinen Tag länger will ich bei euch bleiben! Es war schon übergenug, daß ich euer abenteuerliches Leben und Treiben mitansehen, mitleben mußte. Mich jetzt in ein so verbrecherisches Unternehmen zu verwickeln, daß ich genötigt war, mich heimlich über die Grenze bringen zu lassen, das ist das Schlimmste, was mir durch euch passieren konnte. Morgen fahre ich nach Neustadt zurück. Irgendeine Beschäftigung werde ich ja finden, die mich vor dem Verhungern schützt.«

Helene, die wortlos die ja nur zu berechtigten Klagen Annes mitangehört hatte, schickte Forbin hinaus und setzte sich dann neben sie. Wie immer gelang es ihren schmeichelnden, so herzlich klingenden Worten, den Zorn ihrer Schwester zu besänftigen, sie zu beruhigen. Anne atmete erleichtert, als Helene zum Schluß sagte:

»Ich sehe ein, Anne, daß dein Wunsch, dich von uns zu trennen, berechtigt ist. Den Gedanken, nach Neustadt zu fahren, schlage dir aber aus dem Kopf. Ich werde mich bemühen, dir so bald als möglich eine passende Unterkunft zu verschaffen.«

»Unterkunft verschaffen? . . . Was verstehst du unter Unterkunft, Helene? Glaubst du vielleicht, ich wollte in irgendeiner Pension von eurem Gelde leben? Ausgeschlossen! Niemals werde ich in Zukunft einen Pfennig anrühren, der von euch kommt.«

Helenes Züge verfinsterten sich.

»Du sprichst da sehr unfreundliche Worte, Anne. Ich will sie deiner Erregung zugute halten. Jedenfalls kann ich dir versichern, daß es keineswegs meine Absicht ist, dich in irgendeiner Pension unterzubringen. Ich werde versuchen, dir eine angemessene Position zu schaffen. So lange mußt du natürlich noch bei uns bleiben . . . so schwer es dir auch fallen mag«, setzte sie mit einem bitteren Zug um den Mund hinzu. –

Nicht ohne Grund machte Helene in dem in vollem Gang befindlichen Saisonleben Ostendes frische Bekanntschaften und erneuerte alte. Was da in französischen Zeitungen – die sie aber Anne geflissentlich vorenthielt – über die üble Affäre stand, war recht bedenklich. Zwar hatte man aus dem im Auto gefundenen Gepäck Annes glücklicherweise nichts anderes feststellen können, als die Anfangsbuchstaben ihres Namens A. E. Dagegen war in den Zeitungen eine ziemlich genaue Personalbeschreibung Annes und des Chauffeurs enthalten.

Auch Forbin ging sehr gedrückt umher. Aus den Zeitungen hatte er ersehen, daß der Inhalt des bewußten Koffers aus dreißigtausend falschen Hundertpfundnoten bestand. Die entgangene – zweifellos hohe – Provision schmerzte ihn tief. –

Eines Morgens begrüßte Helene ihre Schwester mit freudigem Gesicht.

»Ich habe eine Stellung für dich gefunden, Anne, die dir sicherlich gefallen wird. Gestern abend lernte ich im Kurhaus eine englische Dame kennen. Es ist Lady Evelyne Wegg, die Gattin des Gouverneurs von Singapore. Sie fährt in der nächsten Woche ihrem Manne nach, der schon dort ist. Sie sucht eine Gesellschafterin, die über gute Sprachkenntnisse verfügt und sich gleichzeitig etwas um den Haushalt kümmert. Ich meine, diese Position müßte dir liegen.«

Über Annes bleiches Gesicht ging ein froher Zug. Während Helene sprach, waren ihr mancherlei Gedanken durch den Kopf gegangen. Es war ihr sehr wohl aufgefallen, daß Forbin und Helene sich bemühten, sie am Tage möglichst im Hotel zu lassen. Der Grund war ihr nicht verborgen geblieben, es geschah sicherlich der Polizei wegen.

Der andere Gedanke: In Singapore war sie Georg ein großes Stück näher. Mochte die Lady Wegg sein, wie sie wollte! Das Gefühl, fort von hier zu kommen, überwog alles. Blieb nur die Frage, ob sie der Lady gefallen würde.

Auch diese Sorge war schon am selben Tage behoben. Lady Evelyne Wegg hatte sie fest engagiert. Am übernächsten Tage schon sollte sie mit der nach England fahren, von wo dann in der folgenden Woche die Reise nach Singapore angetreten würde.

*

Clennan trat mit einem Telegrammstreifen in Georgs Kabine. »Ich bringe Ihnen eine erfreuliche Nachricht, Herr Astenryk.« Der nahm erstaunt das Papier in die Hand und las: »Begleite Lady Evelyne Wegg als Gesellschafterin nach Singapore. Anne.«

In Georgs Gesicht spiegelte sich eine Flut von Empfindungen. Die erste Frage: Was war geschehen, daß Anne das Haus ihrer Schwester verlassen? Die nächste: Wie war sie zu dieser Stellung gekommen? . . .

»Nun, Sie machen ja ein Gesicht, Herr Astenryk, als wüßten Sie nicht, ob Sie weinen oder lachen sollen.«

Der schaute auf. Die Schatten auf seinem Gesicht verschwanden.

»Ich glaube, ich habe tatsächlich allen Grund, mich zu freuen.«

»Oh, dann lassen Sie mich mich mitfreuen«, sagte Dale, der gerade in die Tür trat, »Was haben Sie da?«

Georg reichte Dale das Telegramm.

»Ah! Das ist ja eine ebenso merkwürdige wie glückliche Fügung. Das freut mich für Sie und für Ihre Verlobte.«

»Nun, Sie sprechen ja so, als kennten Sie die junge Dame«, sagte Clennan.

»Gewiß kenne ich sie. Ich hatte das Vergnügen, sie auf einer Fahrt von Paris nach Brüssel kennenzulernen und muß gestehen . . .« er sah mit einem vieldeutigen Blick zu Georg hinüber, »Herr Astenryk ist zu beglückwünschen.« –

Das Heulen der Sirenen des »James Cook« rief die drei auf Deck. Das Schiff war im Begriff, in den Hafen von Penang einzulaufen. Langsam schob sich der mächtige Rumpf durch ein Gewimmel von Booten, Prähmen und Dampfbarkassen zu seinem Liegeplatz. Ein Tender, der den Passagierwechsel besorgte, machte längsseit fest.

Neue Reisende kamen an Bord. Darunter zwei englische Kolonialoffiziere, die mit Sir Reginald Wegg eine längere Unterredung hatten. Als die Offiziere wieder von Bord gingen, schien das ernste, strenge Gesicht des Gouverneurs noch um einige Nuancen düsterer zu sein. Ein paar merkwürdige Fälle militärischen Verrats in Penang, die andernfalls sehr nachteilige Folgen gehabt hätten, konnten gerade noch im letzten Augenblick aufgedeckt werden. Die Forts von Penang waren in den letzten Jahren mit Rücksicht darauf, daß die Insel den Eingang der Malakkastraße beherrschte, stark ausgebaut worden. Wichtige Nachrichten über die neuen Befestigungsanlagen wären um ein Haar zur Kenntnis eines fremden Agenten gekommen. Fast ebenso schlimm wie dieser Verrat selbst war der Umstand, daß er von einem hochangesehenen, bis dahin völlig untadligen Offizier versucht worden war.

Sir Reginald wollte sich unter Deck begeben, da trat ihm einer der neuen Passagiere in den Weg und begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. Der Gouverneur schien sich einen Augenblick zu besinnen und gab dann den Gruß mit kühler Freundlichkeit zurück. Sie machten noch ein paar Schritte auf dem Deck hin und her, dann ging Sir Reginald Wegg nach unten.

Georg, der zufällig vorbeikam, hörte noch, wie der Gouverneur sich von dem Herrn mit den Worten verabschiedete: »Auf Wiedersehen, Mr. Turi.«

Bei den Worten »Mr. Turi« gab es Georg innerlich einen Ruck. Er hatte sich den neuen Passagier schon vorher genauer angesehen, weil dessen Äußeres sein Interesse erregte. Der Mann mußte verschiedenes Blut in sich haben. Für einen Ostasiaten war er verhältnismäßig groß. Machte in der tadellos sitzenden Tropenkleidung auch für europäische Begriffe einen guten Eindruck. Nur die etwas schräg gestellten Augen und das starke, tiefschwarze Haar verrieten den Exoten. Ein Eurasier besten Formats, dachte Georg im stillen, und sicherlich ein Mann von Bedeutung.

Bei der Anrede »Mr. Turi« war es ihm, als fiele ein Schleier von seinen Augen . . . Mr. Turi . . . Turi Chan . . ., die Gedanken des Mannes auf dem japanischen Kreuzer, die er in jener Nacht, da die »Brisbane« unterging, vernommen hatte, konnten wohl zu diesem Kopf passen.

Lange stand er und überdachte eine Idee, die sich ihm bei seinen Überlegungen immer wieder aufdrängte. Dann war sein Entschluß gefaßt. Er suchte Clennan auf und bat ihn um eine kurze Unterredung.

Alles, was er an Verdachtsgründen hatte, legte er dem dar und bat ihn zum Schluß, ihm bei der Ausführung seines Planes zu helfen. Es handelte sich darum, eine kleine Vorrichtung zu schaffen, die nur Clennan ausführen konnte.

Der war ohne Zögern sofort bereit, das zu tun, was Georg wünschte. Und das war, während des Mittagessens in der Kabine des Mr. Turi unauffällig einen isolierten Draht zu verlegen, der bis zu der drei Türen entfernten Kabine Georgs führte. Dale, der immer in Gesellschaft Gamps war, konnte er erst im letzten Augenblick, als man sich schon zu Tisch setzte, von seinem Verdacht und seinem Vorhaben verständigen.

Wie erwartet, saßen Wegg und Turi am gleichen Tisch. Georg hatte seinen Platz zu weit entfernt, um ein Wort ihrer Unterhaltung zu verstehen, doch betrachtete er immer wieder die Erscheinungen dieser beiden Männer. Neben dem dunklen Eurasier der schmale, blonde Kopf des Angelsachsen. Die etwas großen Augen schimmerten in einem harten, hellen Blau. Nicht die geringste Spur von Freundlichkeit milderte die hochmütige Kälte dieser Züge. Wenn er lebhafter sprach und die Lippen das starke Gebiß enthüllten, legte sich ein brutaler Zug um den massigen Mund. Wenn diese Köpfe einmal zusammenstießen, dann mochten wohl Funken sprühen.

Mit Ungeduld erwartete Georg das Ende der Mahlzeit. Ob es wohl Clennan gelungen war, unbemerkt die Leitung zu legen? Ob Dale, der mit Gamp näher an dem Tisch Weggs saß, etwas zu berichten wußte? Der hatte ihm verschiedene Male bedeutsam zugenickt. Als endlich Oberst Gamp aufstand, machte sich Dale frei und ging zu Georg. Er wollte mit ihm auf Deck gehen, doch Georg zog ihn mit zu seiner Kabine. Hier fanden sie Clennan, der eben sein vollendetes Werk betrachtete.

»So! Das wäre in Ordnung. Aber ich habe auch noch eine andere gute Nachricht Während Sie beim Mittagessen saßen, ließ ich in Penang anfragen, ob man sagen könne, wann ein gewisser Mr. Turi dort angekommen sei. Die Antwort lautete: ›Gestern oder vorgestern.‹ Genaueres konnte man mir sofort nicht sagen. Jedenfalls hat er gestern ein chiffriertes Radiogramm nach Tokio gegeben . . .«

»Und jetzt komme ich, meine Herren«, sagte Dale. »Oberst Gamp mag sich wohl über meine Zerstreutheit bei Tisch gewundert haben. Ich lauschte natürlich gespannt auf die Unterhaltung am Tische Weggs. Mr. Turi erzählte von seinem Aufenthalt in England und nannte verschiedene Namen, die auch mir bekannt sind. Nehmen wir alles zusammen, so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß der Passagier Turi oder Turi Chan identisch ist mit dem bewußten Manne auf dem japanischen Kreuzer. Jetzt wäre die Frage: Was will dieser Teufel hier an Bord? Weswegen hat er den japanischen Kreuzer verlassen?«

»Wie ich vom Zahlmeister erfuhr«, sagte Clennan, »hat er Passage bis Singapore und will dort auf den Anschlußdampfer nach Hongkong übergehen. Er hat jedenfalls telegraphisch auf dem niederländischen Dampfer ›Utrecht‹ eine Kabine belegt.«

»Nun, die vielen Fragen, die wohl jeder von uns unausgesprochen bei sich stellt, werden wir, wenn dieser Mensch nicht im letzten Augenblick seine Kabine wechselt, sehr wahrscheinlich heut abend beantwortet bekommen.« –

Sir Reginald Wegg hielt sich gegen seine Gewohnheit bis zum Abend unter Deck auf. Er erschien erst im Speisesaal, als das Supper fast beendet war, und ging sofort nach dem Essen wieder in seine Kabine. Mr. Turi, der von den drei Verbündeten scharf beobachtet wurde, ging erst sehr spät nach unten.

Die Neugier Dales und Clennans war derart groß, daß Georg die Ausgangsantenne seines Verstärkers so legte, daß sie alle drei bestrahlte. Sie vernahmen deutlich, wie Mr. Turi mißmutig über fehlgegangene Erwartungen nachsann. . . . Die heutige Nacht würde günstiger gewesen sein, Wegg durch die Kraft meiner Gedanken zum Sprung in die See zu zwingen, dachte es in ihm wiederholt . . . Ehe das Schiff stoppte, ein Boot klarmachte, wäre es wohl gesunken . . . Jemitsu wird mir vielleicht zürnen, wenn er es hört . . . sein Charakter ist so ganz anders . . . er kämpft am liebsten nach altem Brauch mit Schwert und Schild . . .

Aber einerlei, geschehen muß es . . . morgen soll er mir nicht entgehen . . . lebend soll Reginald Wegg, was an mir liegt, nicht nach Singapore kommen . . . und bleibt er wirklich von den Haifischen verschont, ist er die längste Zeit Gouverneur gewesen . . . ein Mann, der offensichtlich geistesgestört einen Selbstmord begehen will, ist für diesen Posten unmöglich . . .

Ob wohl die schöne Evelyne noch die begehrenswerte Witwe zu spielen vermag? . . . Sie war nicht in London, war ja in Ostende, als ich drüben war . . .

Bei Robert Roux ging ich fast zehn Schritte hinter ihm, als ich ihn zwang, von der Seinebrücke zu springen . . . allerdings hatte ich Zeit, ihn mir auf dem langen Weg ganz gefügig zu machen . . . hier muß es schneller gehen . . . Wegg wird wohl nicht leicht geneigt sein, mich zu längerem Beisammensein aufzufordern . . . Für den stolzen, selbstbewußten Sohn Albions werde ich immer das tiefer stehende Halbblut bleiben . . . daß ich neben ihm zu Tisch sitzen durfte, war wohl in seinen Augen eine unverdiente Auszeichnung . . .

Wären wir nicht von einem Herrn, der ein Stück weiter saß, ständig beobachtet worden . . . es wäre mir vielleicht doch gelungen, Wegg beim Einschenken des Weines etwas von dem Pulver Allgermissens in das Glas zu tun . . . wie ärgerlich, daß ich vergaß, mich bei einem Steward zu erkundigen, wer der Fremde war . . . sein Gesicht gab mir viel zu denken . . . Wenn auch wohl die meisten an ihm vorübergehen mögen, ohne ihm irgendwelche Bedeutung zu schenken, er ist bestimmt ein ungewöhnlicher Mensch . . . hinter diesen Augen schlummern Kräfte, hinter dieser Stirn brüten Ideen, die den Mann eines Tages hochtragen werden . . . er scheint noch jung zu sein. In einigen Jahren, wenn alles in ihm ausgereift, möchte wohl sein Name weithin klingen . . . wenn er's erlebt . . . . . . Doch ich will schlafen. Mein Geist muß morgen stark sein. –

Mit verhaltenem Atem . . . kaum daß ihre Augen sich anzublicken wagten . . . hatten die drei die Gedanken Turi Chans vernommen. Auch jetzt, wo der sich zur Ruhe gelegt hatte, saßen sie noch in tiefem Schweigen. Und doch bewegten jeden die gleichen Gedanken.

Der Name Algermissen . . . öfters von Georg genannt . . . jetzt hier in die Gedanken Turi Chans verwoben!

Turi Chan im Besitze jenes anderen Teiles von Allgermissens Kunst! Wie war er dazu gekommen? Wieweit hatte er es verstanden, sie sich anzueignen? Wo lagen die Grenzen, die seinen übernatürlichen Kräften gezogen waren? . . .

Wegg wollte er ermorden . . . so, wie Robert Roux vernichtet worden war?!

Sie erschauerten bis in ihr tiefstes Innere bei der Vorstellung, wie ein gesunder, starker Mann, so seines eigenen Willens beraubt, einem anderen Willen unterjocht . . . völlig geistig versklavt, sich selbst den Tod geben mußte . . .

Wie das Verbrechen verhindern? Sir Reginald Wegg würde sicher der Letzte sein, der Warnungen solch mysteriöser, unwahrscheinlicher Art Glauben schenkte.

Clennan und Dale schauten zu Georg hinüber, der plötzlich aufgestanden war und an dem Verstärker schaltete, dann sich an die Eingangsantenne setzte und stumm in sich gekehrt dasaß. Jetzt schaltete er den Verstärker aus und sagte:

»So nur können wir diesen Verbrecher unschädlich machen. Ich habe den Apparat durch Umschaltung zum Verstärker der von mir ausgehenden Gedankenwellen gemacht. Mit einem Wort: die Situation ist umgedreht. Turi Chan unterliegt jetzt meinen durch den Apparat vielfach verstärkten Gedankenwellen vollständig.

Ich habe ihm befohlen, sofort einzuschlafen. Da der Moment günstig liegt – er war schon zur Ruhe gegangen –, wird sich ohne mein Zutun der natürliche Schlaf sofort daran anschließen. Es steht in unserem Belieben, wie lange wir ihn schlafen lassen wollen, vorausgesetzt, daß einer von uns unter der Eingangsantenne sitzenbleibt und den Befehl unablässig weiterdenkt. Morgen früh zur gegebenen Zeit werde ich ihn aufwachen lassen . . .«

»Und dann?« drängte Dale. »Was dann weiter!?«

»Nun, dann werde ich ihn nur den einen Gedanken haben lassen: ›Ich kann nicht aufstehen, meine Beine sind gelähmt.‹ Und das so lange, bis wir morgen abend in Singapore sind, der Gouverneur das Schiff verlassen hat und Turi Chan auf den Dampfer ›Utrecht‹ übergeht.«

»Aber wird Turi Chan nicht, sobald er aus dem Bereich der Antenne kommt, wieder Herr seines eigenen Willens und seiner Glieder sein?«

»Allerdings! Das ist richtig. Aber ich stelle mir das doch etwas anders, für uns günstiger, vor. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß, wenn Turi Chan erklärt hat, nicht aufstehen zu können, der Arzt geholt wird. Ich werde dann Turi Chan befehlen, folgendes zu sagen: ›Ich kann nicht aufstehen, Herr Doktor, und habe überaus große Schmerzen in den Füßen. Geben Sie mir bitte ein Betäubungsmittel und lassen Sie mich in Singapore zu dem Anschlußdampfer hinüberbringen.‹«

Clennan schüttelte Georg vergnügt lachend die Hand.

»Das haben Sie sich vorzüglich ausgedacht. Klappt alles so, wie Sie sagten, dann Hut ab vor Ihrem Verstärker! Dann sehe ich tatsächlich einige Träume unseres Freundes Dale Wirklichkeit werden.«

Doch der machte ein finsteres Gesicht.

»Was? . . . Wir sollen diesen Schurken, diesen Verbrecher laufenlassen? Wir wissen, was er schon alles auf Kerbholz hat . . . können bestimmt annehmen, daß er noch andere Verbrechen für die Zukunft plant. – Ginge es nach mir, würden wir diesem Teufel den Tod bereiten, den er Wegg zugedacht hat . . . aber ich muß mich fügen, weil ich im voraus weiß, daß Sie beide anderer Meinung sind. Ich weiß aber bestimmt, daß Sie es eines Tages bereuen werden, wenn Sie nicht jetzt die Gelegenheit benutzen, diesen Satan für immer unschädlich zu machen.«

Georg wiegte nachdenklich den Kopf.

»Vielleicht haben Sie recht . . . Wir wollen uns jetzt die Mühe, Turi Chan in unserer geistigen Gewalt zu halten, erleichtern, indem wir uns an dem Apparat ablösen und auch meinen Marian dabei zu Hilfe nehmen.« –

Als Turi Chan am nächsten Morgen erwachte, fühlte er eine unerklärliche Müdigkeit in seinen Gliedern. Er bemühte sich vergeblich, die Füße aus dem Bett zu bringen. Ebenso unbegreiflich erschien es ihm, daß er trotz schärfster Anstrengung nicht fähig war, seine Gedanken klar zu ordnen. –

Waren das vielleicht physische oder psychische Folgen des häufigen Genusses der Allgermissenschen Pulver? Als er sich gestern den Adjutanten des Kommandanten von Penang gefügig machte, um wichtige militärische Geheimnisse zu erfahren, hatte er große Dosen genommen. Oder . . . hier stockte er, wie von einer schlimmen Ahnung befallen . . . sollte ein anderer, noch stärkerer, Geist über ihm sein?

Sein Zustand ähnelte dem, den er immer gehabt, wenn er mit Jemitsu Versuche gemacht hatte, um die Wirkung der Pulver an sich selbst auszuprobieren . . . Aber wen auf der Welt gäbe es . . . außer vielleicht Sifan-Arngrim . . . der um solche Kräfte wüßte? . . .

Der eintretende Steward riß ihn aus seinen Gedanken. Er hieß ihn den Schiffsarzt holen. –

Dr. Oné trat gerade in die Kabine Turi Chans, als Clennan auf Georgs Kabinentür zuging.

»Er hat den Doktor holen lassen«, sagte Clennan lachend zu Georg, der unter der Antenne saß. »Eben ist er zu ihm 'reingegangen. Das wird eine harte Nuß für Dr. Oné geben.«

Georg schüttelte den Kopf, winkte Clennan zu schweigen. Dachte mit stärkster Konzentration. –

Und so geschah es, daß zum Erstaunen Turi Chans Dr. Oné sofort nach seinem Eintritt erklärte: »Jawohl, Sie haben starke Schmerzen in den Füßen. Sie können sich nicht bewegen. Ich werde Ihnen eine ordentliche Morphiumspritze geben.«

Er zog ein Etui aus der Tasche und verabfolgte Turi Chan eine einschläfernde Einspritzung. »Wenn Sie beim Einlaufen in Singapore noch nicht erwacht sein sollten, werde ich Sie auf Ihren Anschlußdampfer hinübertragen lassen.«

Turi Chan sah den Arzt mit Augen an, aus denen größte Überraschung sprach. Wie konnte der Mann wissen, daß er selbst das alles gedacht hatte und dem sagen wollte? Sollte das Sendepulver, das er gestern genommen hatte, noch so stark bei ihm nachwirken?

Die Flut der vielen sich in seinem Kopf kreuzenden Gedanken verebbte in der immer stärker werdenden Müdigkeit, die das Morphium ihm brachte. Gleich nachdem Dr. Oné die Kabine verlassen hatte, lag er in festem, tiefem Schlaf, aus dem er erst erwachte, als der Dampfer »Utrecht« den Hafen von Singapore verlassen hatte und auf die hohe See hinaussteuerte. –

Es setzte ihn kaum in Erstaunen, daß seine Füße wieder ihren Dienst versahen, als er den Versuch machte, aufzustehen.

Darüber, daß die Lähmung, die Schmerzen, überhaupt sein ganzer Zustand nicht auf eine natürliche Indisposition zurückzuführen war, hatte er wenig Zweifel. Während der ganzen langen Fahrt bis Hongkong beschäftigte er sich fast ausschließlich mit Gedanken über das rätselhafte Erlebnis. Kaum daß er nachts einige Stunden Schlaf fand.

*

Das alte Städtchen Georgetown im Nordosten von Neusüdwales war nach einer kurzen Zeit unverhoffter wirtschaftlicher Blüte in seinen alten Schlummerzustand zurückgesunken.

Auf die Kunde von den Diamantenfunden am Naomi River waren vor einem Jahrzehnt eine Menge von Menschen dort zusammengeströmt. Die Zahl der Einwohner hatte sich in kurzer Zeit vervielfacht, die Grundstücksspekulanten machten Riesengewinne, Handel und Wandel erlebten eine tropische Blüte.

Doch der Traum von der werdenden Großstadt war bald zerronnen. Die Diamantenfunde wurden spärlicher. Die Nachrichten von neuen, besseren Funden in den Bergen lockten den größten Teil der Diamantensucher fort. Wenige Jahre später, und die letzten Spuren des Diamantenfiebers waren mit dem letzten Gräber verschwunden. Die damals über Nacht entstandenen neuen Stadtteile . . . in Wirklichkeit nur roh zusammengezimmerte Holzbaracken . . . waren den Weg alles Irdischen gegangen. Ein Ausgewanderter, der nach langen Jahren zurückkehrte, fand das Städtchen in demselben Zustand, in dem er es verlassen hatte.

Eine der wenigen Erinnerungen an die große Zeit war ein schönes Sandsteingebäude, das errichtet war, um für die größere Stadt als Rathaus zu dienen. Doch da der Traum von der werdenden Großstadt eher ausgeträumt war, als der Neubau fertig wurde, war er nicht bezogen worden.

Nachdem er mehrere Jahre leergestanden, erbarmte sich die Regierung und übernahm den Bau für staatliche Zwecke. Sie richtete in einem Flügel eine landwirtschaftliche Schule ein und bestimmte den anderen Teil des Gebäudes für ein kleines Pflanzenphysiologisches Institut.

Hier hatte Dr. Musterton als Leiter dieses Instituts mit seinem Assistenten Arngrim seine Tätigkeit aufgenommen. An das Gebäude schloß sich ein großer Garten, der ursprünglich als Park der zukünftigen Großstadt gedacht war, nun aber als Botanischer Garten für Akklimatisierungsversuche mit allerlei ausländischen Gewächsen Verwendung fand.

Die eigentlichen Versuchsfelder für die Züchtung von ausländischen Nutzgräsern sollten überall in der Umgegend verstreut auf Privatfarmen angelegt werden, um die besten Verhältnisse für die erste Akklimatisierung feststellen zu können. Die Regierung hatte sich die Sache viel Geld kosten lassen. Lag es doch im Interesse der australischen Viehzucht, die einheimischen Weidegründe mit allen Mitteln moderner Pflanzenforschung in reichem, widerstandsfähigem Wuchs zu halten. –

»Das hier ist mein Versuchsfeld«, sagte Jan Valverde zu Georg Astenryk, dem er eben von dem neuen Institut der Regierung in Georgetown erzählt hatte. Er wies dabei auf ein größeres, frisch gepflügtes eingezäuntes Areal, das sich von dem Abhang, auf dem sie standen, bis zum Fluß hinunterzog.

»Ich denke, wir steigen hier von den Pferden und nehmen unseren Imbiß unter dem großen Eukalyptus da oben. Da haben wir einen weiten Blick, und ich kann dir alle Schönheiten der Gegend zeigen. Gestehe ruhig, daß du von dem, was du hier siehst, angenehm enttäuscht bist. Du hattest sicherlich so eine flache, öde Steppe mit halb verdorrtem Gras erwartet, wie sie allerdings weiter landeinwärts im Busch reichlich zu finden sind, von den großen Wüsten ganz abgesehen.«

Sie schritten die Höhe hinauf, banden ihre Pferde fest, und traten in den Schatten des alten Eukalyptusbaumes. Während Georg mit dem Feldstecher die Bergkämme im Süden und Osten betrachtete, hatte sich Jan zwischen den Wurzeln des mächtigen Stammes ausgestreckt und begann sein Frühstück zu verzehren.

Sein rotes Gesicht, die gutmütigen, braunen Augen hinter der Schildpattbrille deuteten auf Hang zu ruhiger, behaglicher Lebensführung. Wenn auch seine Haare an den Schläfen schon stark ergraut waren, so bewiesen doch die breiten Schultern und die elastische Haltung der kräftigen Figur, daß er die erste Hälfte der Dreißig kaum überschritten hatte.

»Ja, Georg, so nahe wie an deinem Wilden Rain hast du die Berge hier nicht. Aber wenn du mal Lust hast, da oben ein bißchen 'rumzukraxeln, will ich dich an einen Bekannten verweisen, der da drüben am Abhang der Cotchilly Mountains eine Farm hat.

Der kleine Flußlauf da unten ist die Grenze meines Besitzes. Auch da glaube ich dich eines Besseren belehren zu können. Du hast wohl im stillen gedacht, ich wäre hier der Besitzer einer Farm von der Größe eines deutschen Herzogtums. Weit gefehlt, mein Junge! Dieser fruchtbare Weizenboden hier ist nicht billig. Mein ganzer Besitz ist nicht viel größer als ein anständiges Rittergut in Deutschland, hat aber ebensoviel Wert. Denn dort erntet man noch nicht die Hälfte von dem, was wir in guten Jahren hier haben.

Aber komm, setz dich zu mir, und iß, wir haben noch einen gehörigen Ritt vor uns. Und fahre fort mit deinen Erzählungen aus Deutschland. Du glaubst ja gar nicht, wie ich mich gefreut habe, als du schriebst, du würdest hierherkommen. Und nicht zum wenigsten freue ich mich, nun mal wieder aus der Heimat zu hören. Von Neustadt, dem alten Nest, vom Rhein und seinen schönen Städten.«

Georg streckte sich neben Jan aus, begann wieder zu erzählen, und er hatte wohl nie einen aufmerksameren Zuhörer gehabt, als er, von den vielen Erinnerungen der Jugendzeit ausgehend, von Land und Leuten in und um Neustadt berichtete.

Am Tage zuvor war er mit Marian bei Jan angekommen, und seitdem hatte er kaum was anderes zu tun gehabt, als Jan zu erzählen. Das war ja auch begreiflich, Deutsche saßen in dieser Gegend nur sehr wenig. Die großen Entfernungen verhinderten einen engeren Verkehr.

Die Tante Mila in München hatte in ihren Briefen an Jan nur das wenige über die alte Heimat schreiben können, was sie gelegentlich von Georg erfuhr. Eine Person, die zu erwähnen Georg immer vermieden hatte, war Helene Forbin. Obwohl das doch so nahe lag, da er natürlich oft von Anne Escheloh, ihrer Schwester, sprach.

Es gab ihm einen kleinen Ruck, als jetzt Jan, während er sich eine Pfeife anzündete, unvermittelt fragte: »Wie geht es Helene Escheloh . . . oder vielmehr Forbin, wie sie ja wohl jetzt heißt. Der Mann ist Kaufmann, wie ich hörte. Wo leben sie?«

Georg begann zu berichten. Ab und zu warf er einen Blick zu Jans Gesicht, doch das blieb anscheinend ganz gleichmütig. Nur daß er immer wieder seine Pfeife ausgehen ließ, verriet, daß da Saiten angeschlagen waren, die in Erinnerung an diese Episode seines Lebens stark nachklangen.

»Und von Rochus Arngrim hast du nie wieder etwas gehört?« fragte Jan, als Georg geendet hatte.

»Nein, Jan! Es ist sicher anzunehmen, daß er Europa verlassen hat.«

»Nun, Georg, lassen wir jetzt die Vergangenheit ruhen. Besonders die Kapitel, unter die ich für immer einen Strich gezogen habe. Komm, wir wollen weiterreiten! Unterwegs kannst du mir noch einmal etwas Näheres über deine Kohlenenergie erzählen, und besonders über deine Absicht . . .« hier sah Jan den Bruder mit einem zweifelnden Lächeln von der Seite an, »Diamanten zu machen.«

Sie bestiegen ihre Pferde und ritten den Abhang hinunter zum Flußufer. Dabei berichtete ihm Georg nochmals über seine Arbeiten und was er da alles erreicht hatte.

»Wenn wir nach Hause kommen, Georg, werden wir sofort das Material, das du brauchst, von Brisbane kommen lassen. Vielleicht würde es auch schon in Warwick zu haben sein. Aber sicherer ist Brisbane, wenn es auch etwas länger dauert.«

Sie waren von dem Flüßchen abgebogen und folgten jetzt dem Lauf eines Baches, der in schnellen Sprüngen aus den Bergen zu Tale eilte.

»Hier waren meine Claims«, sagte Jan und deutete auf den Boden, der an vielen Stellen Löcher und Gräben zeigte. »Das heißt, ich selbst habe mich mit diesem unlohnenden Geschäft nicht abgegeben. Die armen Teufel, die hier gruben, verdienten trotz sechzehnstündiger Arbeit gerade soviel, um ihr Leben kümmerlich fristen zu können. Von den erhofften Reichtümern war nie die Rede.

Das mag einen schweren Aufruhr rundherum geben, wenn wir nun nach einiger Zeit mit einem Schubkarren voll deiner künstlichen Diamanten hierherfahren und die Gegend damit besäen. Na, ich bin gespannt wie ein Flitzbogen, wie wir damals als Jungen in Neustadt sagten.

Aber jetzt wird es allmählich Zeit, umzukehren. Wir müssen gut zureiten, um zum Mittagessen zu Hause zu sein. Meine Haushälterin, die alte Brigitt, liebt die Pünktlichkeit.«

Auf dem Heimweg gab Georg immer wieder seiner Bewunderung über das landschaftlich so schöne, fruchtbare Tal Ausdruck.

»Freut mich, alter Junge, daß es dir hier gefällt. Wenn es nun mit deinen Kohlenideen doch nicht so klappen sollte, wie du denkst, schmeiß den ganzen Kram in die Ecke und werde Farmer wie ich!

Du siehst mich so von der Seite an, Georg. Nein, das ist kein Scherz. Du heiratest deine Anne Escheloh, setzest dich hier zu mir auf Paulinenaue und lernst von mir die Wirtschaft. Später werden ja deine Kinder doch mal alles zu Erbe kriegen.«

»Du meinst es sehr gut mit mir, Jan«, sagte Georg lachend. »Aber willst du denn wirklich ewig Junggeselle bleiben?«

»Natürlich will ich das. Ich hab' mich nun mal an das Junggesellenleben gewöhnt. Was hier in der Gegend so an jungen Mädchen 'rumläuft, ist nicht nach meinem Geschmack. Also . . . Aber jetzt fix, da steht schon die biedere Brigitt und winkt.« –

Eine Woche später war das neue Laboratorium fertig eingerichtet. Georg hatte Jan um einen nicht unbedeutenden Vorschuß bitten müssen. Der Gedanke, etwa längere Zeit seinem Bruder, der ihm zweifellos von Herzen jede Unterstützung gewährte, auf der Tasche liegen zu müssen, spornte ihn zu intensivster Arbeit an der Diamantensynthese an.

Zwar waren die Aufzeichnungen des betreffenden Protokollbuches im Ofen am Wilden Rain stark beschädigt worden, doch ließen sich die Bestandteile der Elektrolyten, die wahrscheinlich in Frage kamen, wenigstens noch qualitativ feststellen. In vielen Dutzenden von Versuchsgläsern waren danach Lösungen verschiedener quantitativer Zusammensetzung gemischt worden. Doch selbst wenn eine unter diesen war, die sowohl in qualitativer wie quantitativer Zusammensetzung jener glücklichen am Wilden Rain entsprach, mußten viele Tage, Wochen vergehen, ehe vorsichtig dosierte Verdunstung die kostbaren Kristalle erzeugen konnte.

Selbstverständlich hatte Georg auch nach und nach die Kohlenbatterien aufgebaut, um das Problem der Kohlenenergiegewinnung, dem doch seine Hauptarbeit galt, weiter zu fördern. Bei all dem war Marian eine unentbehrliche Hilfe für ihn, soweit der nicht seinem Wanderdrang folgte und zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten in unbekannter Gegend umherschweifte oder auf die Jagd ging, wofür er eine besondere Passion entwickelte.

Von seinem Verstärkerapparat hatte Georg Jan vorläufig nichts gesagt, wohl aber benutzte er dessen große Radioantenne, um immer wieder neue Versuche und Verbesserungen zu machen.

Der Abschied von Major Dale und Clennan war nicht leicht gewesen. Nur schwer hatten die beiden eingewilligt, sich von ihm zu trennen und ihn mit seinem Verstärker auf die Farm ziehen zu lassen. Dale hatte Georg vorgeschlagen, seinen Wohnsitz in Canberra, der Hauptstadt des Australischen Union, zu nehmen. Ihm werde es sicher gelingen, aus dem Geheimfonds für die Landesverteidigung Mittel für Georg zu bekommen, ohne dabei etwas von dem Geheimnis der Erfindung preisgeben zu müssen. Auch Clennan hatte Georg dringend gebeten, diesen Vorschlag Dales anzunehmen. Doch Georg hatte ihre Bitte rundweg abgeschlagen. Sein Stolz, sein Selbstbewußtsein wehrten sich dagegen, wieder einmal, jetzt sogar von Fremden, abhängig zu werden.

So hatte sich schließlich Dale damit begnügt, dafür zu sorgen, daß Clennan von der Regierung als Experte für Hochfrequenztechnik übernommen wurde. Denn Clennan, nun einmal in alles eingeweiht, würde gegebenenfalls nur schwer zu erreichen sein, wenn er mit dem »James Cook« wieder nach Europa zurückkehrte . . . und man wußte doch nicht, wann dieser »Fall« eintreten würde. –

Eines Morgens beim Frühstück klingelte das Telephon in Paulinenaue. Es war Dr. Musterton, der sich für einen Besuch der Farm im Laufe des Nachmittags ansagte. –

Musterton und Arngrim saßen in ihrem Kraftwagen, der ein halber Lieferwagen war, da sie die zur Aussaat bestimmten Gräsersamen mit sich führten. Paulinenaue lag ungefähr vierzig Kilometer nordwestlich von Georgetown. Sie hatten gedacht, schon um drei Uhr dort zu sein, doch eine Panne, deren Reparatur sie lange Zeit aufhielt, ließ sie erst um die vierte Stunde des Nachmittags die Farm in Sicht bekommen.

Der Wagen, der von Arngrim gesteuert wurde, bog eben von der großen Straße auf den Weg zu Jans Farm ab, als ihnen ein Mann vom Gutshause her entgegenkam. Die umgehängte Büchse verriet, daß er wohl zur Jagd wollte. Interessiert sahen beide dem Näherkommenden entgegen. Vielleicht, daß es der Besitzer selbst war.

Arngrim verringerte die Fahrgeschwindigkeit und fuhr langsam. Plötzlich zuckte er zusammen und stoppte den Wagen. Auch der Mann war stehengeblieben, schaute in seltsamer Erstarrung auf Arngrim.

»Herr Arngrim?!« kam es zögernd aus seinem Munde.

Der, als müsse er sich besinnen, gab nach einer Weile zur Antwort: »Ja, Marian . . . ich bin es.«

Dr. Musterton, der mit verständnislosem Blick dies unerwartete Zusammentreffen angesehen hatte, unterbrach die Stille:

»Nun, Herr Arngrim, haben Sie hier plötzlich einen alten Bekannten getroffen?«

Doch Arngrim schwieg. Er öffnete die Tür, ging auf Marian zu und reichte dem die Hand. Musterton, ein wenig verwundert über das auffällige Benehmen seines Assistenten, schaute Neugierig zu den beiden hin.

»Wo kommst du her, Marian? Wohnst du hier? Bei wem bist du?« überstürzten sich die Fragen aus Arngrims Munde.

Marian zögerte, als müsse er sich erst sammeln, die richtigen Worte suchen. Dann begann er leise und stockend:

»Ich bin hier mit Georg Astenryk. Vor einigen Wochen sind wir erst von Europa hierhergekommen . . .« Er machte eine Pause, als erwarte er die weiteren Worte von Arngrim.

Der hatte sich jetzt des Eindrucks der Erinnerungen erwehrt, welche ihn beim Anblick des ihm von Jugend auf bekannten Mannes überfallen hatten. Mit etwas freierer, festerer Stimme sagte er: »Ah, das ist ja ein merkwürdiger . . . ein glücklicher Zufall. Ich freue mich sehr, Georg wiederzusehen. Aber sag' doch, Marian, wie kommt Georg hierher? Was treibt er hier?«

Er hielt inne, starrte wie gebannt, wie gelähmt in Marians Gesicht. Dieser rätselhafte Ausdruck darin . . . die Augen . . . bald drohend, bald mitleidig, schauten sie ihn an.

Da öffnete der den Mund, sprach leise mit fast monotoner Stimme:

»Wir sind hier . . . bei Georgs Bruder . . . Jan Valverde.«

»Jan Valverde?! . . . Jan lebt?! . . .«

Ein Zittern ging durch die Gestalt Arngrims. Er wäre gestürzt, wenn nicht Marian zugesprungen wäre, ihn umfaßt hätte. Erschrocken sprang Musterton vom Wagen und bemühte sich mit Marian, den halb Ohnmächtigen im Schatten eines Baumes zu betten. –

Eine Viertelstunde später kam Dr. Musterton auf die Farm gefahren und fragte nach Georg Astenryk. Als der, aus dem Hause gerufen, zu ihm trat, überreichte ihm Musterton ein zusammengefaltetes Papier. Georg öffnete es und las.

Einen Augenblick war es ihm, als drehe sich das Haus und alle Gebäude in wirbelndem Kreis um ihn. Was stand da geschrieben von Marians Hand?

»Ich bin hier an dem alten wilden Birnbaum mit Rochus Arngrim.«

Ohne sich um Musterton zu kümmern, eilte er in das Haus. Der Doktor, völlig verwirrt durch das ganz unerklärliche Benehmen dieser Leute, setzte sich resigniert auf eine Bank und wartete. Irgendwie mußte ja dieses Rätselraten einmal zu Ende kommen. Nach einiger Zeit kam ein Mann aus dem Hause und ging auf dem Wege, den Musterton gekommen, nach dem Birnbaum hin.

Marian sah ihn kommen. Nach einem langen Blick auf Arngrim, der an den Baum gelehnt dastand wie einer, der gerichtet werden soll, wandte er sich um und ging auf der anderen Seite des Weges weiter. –

Was die beiden, Jan Valverde und Rochus Arngrim, da gesprochen, hat niemals einer erfahren. –

Georg, der in bangen Zweifeln den Ausgang dieser Begegnung erwartete, atmete auf, als er, am Hoftor stehend, Jan und Arngrim auf die Farm zukommen sah. Mit raschem Blick umfaßte er die Gesichter der beiden. Der ruhige, fast frohe Ausdruck in ihren Mienen ließ sein Herz höher schlagen.

»Willkommen, Rochus!« Georg griff Arngrims Hand, preßte sie.

War's die neue Erschütterung? Der, von seinen Gefühlen übermannt, schwankte. Da legte Jan den Arm um ihn und führte ihn ins Haus.

*


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