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15.

Komm heraus, Jammermann, Thurmbewohner!

Schiller.

Wir verließen den von Friedmann nur leicht verwundeten Waffenmeister Ralph Strichauer, als er auf Befehl des streng gerechten Stadtschultheißen von den Schergen hinweggeführt wurde, um die auf seinem Vergehen stehende Strafe zu leiden. Mochte es sein, daß bei dem Gewühle der Messe der Händel dieser Art zu viele zu schlichten waren, um mit gewohnter Raschheit in Ausführung der gesprochenen Urtheile zu verfahren, oder mochte vielleicht die erwartete und wirklich erfolgte Ankunft des Kaisers diejenigen, welche mit der Vollziehung solcher Urtheilssprüche beauftragt waren, durch das glänzende Schauspiel, welches sie versprach, angelockt und bewogen haben, den Verhafteten zu den Executionen des nächsten Tages aufzusparen: genug! Ralph Strichauer sah sich wider sein Vermuthen nicht sogleich zum Richtplatze, wo die schrecklichste Verstümmelung ihn getroffen haben würde, sondern vor der Hand in ein Gefängniß der, zunächst den Trümmern des alten fränkischen Kaiserhofes neu erbaueten Wasserpforte geschleppt. Hier, wo nur durch eine hochgelegene kleine Fensteröffnung ein karges Licht hereindrang und nur kahle finstere Wände ihn anstarrten, hatte er hinlängliche Muße, seinem Schicksale, das plötzlich eine so unerwartete Wendung genommen hatte, nachzudenken. Niemand störte ihn auch in seiner Einsamkeit, was ihm anfangs, da hierdurch die ihn bedrohende Strafe immer weiter hinausgeschoben wurde, sehr lieb war. Auch schmerzte ihn die von Friedmann erhaltene Wunde nicht, denn sie hatte nur die Haut gestreift und war nicht tief gegangen. Als aber der Nachmittag verstrich, ohne daß die Erscheinung irgend eines menschlichen Wesens in seinem Kerker erfolgt war, als die Nacht einbrach und ihn mit undurchdringlicher Finsterniß umgab, als das Bedürfnis nach Speise und Trank in dem nicht eben mäßig Gewöhnten laut wurde: da ergriff ihn der schreckliche Gedanke, man könne ihn vergessen haben und es sei nun seine Bestimmung, innerhalb dieser Mauern dem gräßlichen Hungertode zum Opfer zu fallen. Sein ganzer Muth verließ ihn, als ihm die Möglichkeit und bald darauf die Wahrscheinlichkeit eines solchen Verfahrens einleuchtete. Er schrie mit der heftigsten Anstrengung seiner Stimme nach Hülfe; er klopfte mit beiden Händen an die Thüre seines Kerkers und suchte diese durch Fußtritte zu sprengen. So wenig als ihm dieses gelang, schien man auch sein Schreien und Lärmen wahrzunehmen; denn Alles blieb still und niemand kümmerte sich um ihn. Hierdurch ward seine Furcht, man wolle ihn verschmachten lassen, bis zur schrecklichsten Gewißheit gesteigert. Verzweifelnd warf er sich in einem Winkel des Gewölbes auf das harte Steinpflaster nieder und verwünschte sich und sein Geschick.

» Insane!« rief er gegen sich selbst wüthend aus: »warum mischtest Du Dich doch in fremde Händel, die Dich nichts angingen? Die Paar Gulden aus des Italieners Bude hätten Dich doch nicht reich gemacht und Du mußt nun um der Kleinigkeit Willen elendiglich umkommen, verlassen von Allen, selbst von denen, deren eigener Nutzen es erforderte, Dich zu retten! Aber wer weiß: sie selbst sehen vielleicht frohlockend mein Verderben, weil sie dann von einem Mitwisser ihrer gefährlichen Geheimnisse befreit sind, der ihnen verderblich werden könnte! O käme nur jemand und verschaffte mir Admission zu kaiserlicher Person! Ich wollte Dinge entdecken, die mir nicht allein die Freiheit erkaufen, die mir großen Lohn und Ehre einbringen sollten! Aber hic Rhodus, hic salta, sagen die Lateiner. Aus dieser Custodie ist keine Erlösung und die Wände verstehen nicht, was ich ihnen offenbaren könnte!«

Noch lange fuhr er fort auf diese Weise mit sich selbst und mit denjenigen zu zürnen, denen er seine Verlassenheit und das ihm vermeintlich bevorstehende entsetzliche Loos zuschrieb. Trotz der großen Aufregung, in der sich sein ganzes Innere befand, blieben seine leidenschaftlichen Selbstgespräche nicht von den lateinischen Sprüchen und Redensarten frei, die er im gemeinen Leben anzubringen gewohnt war. Endlich befiel ihn eine gänzliche Erschöpfung und er sank in einen tiefen Schlaf, dessen wohlthätige Macht ihn den schrecklichen Befürchtungen für seine nächste Zukunft entrückte. Erst nach einigen Stunden erwachte er wieder und glaubte anfangs, da er sich nicht gleich der vorgefallenen Begebenheiten erinnern konnte, nur in einen andern häßlichen Traum übergegangen zu sein. Aufs Neue trat aber bald die schreckliche Lage, in welche ihn sein Leichtsinn und seine Habsucht gestürzt, vor seinen Geist und alle düsteren Ahnungen, von denen ihn der Schlaf auf kurze Zeit befreiet hatte, fanden sich wieder in seiner Seele ein. Das Bedürfniß mahnte stärker. Er rief noch einmal, so laut er vermochte, nach dem Kerkermeister, er arbeitete mit Händen und Füßen gegen die starke Eisenthüre, indem er hoffte, sich in der Stille der Nacht eher hörbar zu machen. Alles vergeblich! Er war vergessen und man hielt es nicht einmal für nöthig, einen Wächter in seiner Nähe aufzustellen.

» Non mihi mors gravis est, sage ich mit dem Lateiner!« sprach er endlich, als er alle seine Bemühungen erfolglos erkannte, für sich hin und nahm unter diesen Worten die verlassene Stelle in jenem Winkel wieder ein. »Aber es ist ein casus fatalis, daß ich wiederum, wie schon einstens, nahe daran bin, aus Mangel an den Dingen zu sterben, die mir allein des Lebens Bitterkeiten versüßen konnten. Habe ich denn nicht schon einmal alle Qual des herannahenden Todes in dieser Art empfunden? Die hinsterbende Schwäche des steigenden, unbefriedigten Hungers, den schrecklichen Brand des ungelöschten Durstes? War ich nicht schon dahin gekommen, daß die erkrankte Einbildungskraft mir allerlei leckere Gerichte und köstlichen Hypocras vorspiegelte, an denen ich mich labte mit wahnsinniger Lust, um dann bald durch die Pein, die mich schmerzhafter durchzuckte, aus meinen tollen Träumen gerissen zu werden? Ich sah die Pforten des Orkus schon offen und die Gerippe verhungerter Mönche und Nonnen tanzten mir entgegen, um mich in ihren Reigen aufzunehmen. Da erschien Er und bannte die Dämonen und gab mich dem Leben und seinen Freuden wieder. Da führte Er mich ein in ein neues Dasein, wo ich wohl per ludum et jocum ad astra zu fahren gedachte, wenn es sein müßte vor der Zeit, aber nicht wieder in schmählicher Entbehrung und furchtbarer Qual des Hungertodes. Wo ist Er jetzt, daß er wiederum mir helfe aus dieser höchsten Noth? Ach! Sie haben mich Alle verlassen und Er, dem kein Carcer unzugänglich ist, dessen Macht Eisenpforten sprengt und Riegel öffnet, weiß nichts von meinem Unglücke oder wendet sich auch von mir ab, wie die Uebrigen. Donec eris felix, multos numerabis amicos: tempora si fuerint nubila, solus eris! So sagen die Lateiner, und ach, sie haben Recht!«

Fernher ließ sich in diesem Augenblicke das Geräusch klappernder Schlüssel, geöffneter Schlösser und zurückgeschobener Riegel vernehmen. Ralph sprang lauschend von seinem harten Lager auf. Furcht und Hoffnung durchströmten sein Inneres. »Sie kommen, um das schreckliche Urtheil an dir zu vollziehn!« war sein erster Gedanke. »Nein, nein!« wandte mit Blitzesschnelle die Ueberlegung dagegen ein. »Das würden sie bei hellem Tage thun, vor allem Volke, des Beispiels wegen! – Wie? wenn Er es wäre, den du eben angerufen? Wenn ein Wunder Ihn herbeiführte dich zu salviren? Wenn Er« –

Seine Gedankenfolge wurde unterbrochen, denn eben öffnete sich die Thüre seines Gefängnisses und zwei in weite Mäntel gehüllte Männergestalten, deren eine mit einer kleinen Blendlaterne versehen war, traten ein. Der Gefangene starrte sie wild an. Sollte er mit einem kühnen Versuche die beiden Vermummten niederwerfen und über sie hin sich den Weg zur Flucht bahnen? Ehe er noch mit sich einig werden konnte, ob er diese schnell entkeimende Idee zur Ausführung bringen sollte, schlug der größere der zwei Männer seinen Mantel zurück und stand nun in kriegerischer Kleidung, mit Schwert und Dolch bewaffnet vor dem Waffenmeister, der von Erstaunen ergriffen, mit demüthiger und unterwürfiger Geberde, auf die Kniee niedersank.

Der Fremde, in dessen hoher Gestalt, herrischen und strengen Gesichtszügen, dunkelglühenden und durchbohrenden Blicken, wir den Mann wieder finden, welcher bei dem in der Nähe des Kaisers entstandenen Faustkampfe über seinen Gegner, den Lastträger, glücklich obgesiegt hatte, und in dem der Junker von Sonnenberg damals den meuchelmörderischen Mönch zu erkennen glaubte, wendete sich mit verächtlicher Miene von dem Knieenden hinweg zu seinem Begleiter und sagte halblaut, doch dem Waffenmeister vernehmlich:

»Laßt mich allein mit dem Burschen! Harret unserer draußen und sichert den Rückzug! Wir folgen Euch in wenigen Augenblicken!«

Der Angeredete erfüllte sogleich dieses Verlangen. Indem er sich ehrfurchtsvoll vor seinem Begleiter verneigte und sich dann durch die offen gebliebene Thüre, die er auch jetzt nicht verschloß, entfernte, war er sorgsam bemüht, sein Antlitz mit dem Mantel zu verbergen. Doch gelang ihm dieses nicht so gut, daß nicht Ralph Strichauer, der ihn scharf von unten hierauf beobachtete, auf die Vermuthung gekommen wäre, er habe heute Morgens bei dem unglücklichen Ereignisse, welches seine Gefangenschaft veranlaßt, diesen Mann in der Nähe des strengen Stadtschultheißen gesehen.

Aus den finstern Geberden des Zurückgebliebenen vermochte Ralph nicht mit Gewißheit die Absicht seines Erscheinens zu entdecken. Doch wagte er nicht die Stille, welche mehrere Augenblicke lang, bis die letzten Schritte dessen, der sich eben entfernt hatte, verhallt waren, herrschend blieb, zu unterbrechen und verharrte fortwährend in seiner demuthsvollen Stellung, indem er nur scheu und heimlich seine flüchtigen Blicke zu dem vor ihm Stehenden erhob.

Nachdem diesen die eintretende gänzliche Stille überzeugt zu haben schien, daß sein Begleiter weit genug entfernt sei, um seine Unterredung mit dem Gefangenen nicht belauschen zu können, hob er mit ernster und strenger Stimme an:

»So also befolgst Du meine Befehle, still und ruhig Deines Wegs zu wandeln, Alles zu sehen und zu hören, aber durch keinen tollen Streich Dich bemerkbar zu machen, Alles aufzunehmen und zu bewahren in Deinem Gedächtnisse, aber in dreisten Reden keine Zeit zu verlieren, nur meine Weisung Dir zur Richtschnur Deiner Handlungen dienen zu lassen, aber nicht nach eigener Willkühr für Deinen eigenen Nutzen zu verkehren? Erinnerst Du Dich dessen, was Du geschworen hast? Gedenkst Du der Strafe, die auf der Verletzung Deines Schwurs steht, Bruder Pantaleon?«

Als der Gefangene mit diesem Namen angeredet wurde, begann er heftig zu zittern und eine Leichenblässe überzog sein Antlitz.

»Pantaleon ist nicht mehr;« stammelte er mit bebenden Lippen. » Mortus et sepultus est. Requiescat in pace!«

»Und wer hindert mich ihn wieder aufleben zu lassen?« fragte mit einem Blicke, in welchem eine Mischung von Tücke und Grausamkeit lag, der Mann, der dem Waffenmeister nur zu gut bekannt war: »Wer hindert mich, den entlaufenen Mönch wieder in sein Kloster zurückzuschicken, damit er nun dem Gerichte wirklich verfalle, von dem meine Macht ihn befreiete? Dein Gedächtniß ist eben so unzuverlässig, wie es Deine Schwüre sind, Elender, und hielte ich nicht das Schwert an einem Haare über Deinem Haupte und könnte es jeden Augenblick Dich vernichten lassen, so würde ich mich wohl wenig Deines Dienstes versichert halten, und würde Dich dem weltlichen Gerichte hingeben, das Du durch Deine unbesonnene Treubrüchigkeit selbst auf Dich hereingerufen hast!«

»Seid gnädig, ehrwürdiger Herr!« flehte der Gefangene. »Zerstört nicht Euer eigenes Werk, und seid noch einmal mein Befreier, wie Ihr es schon einst waret, und führet mich hinaus aus diesem Kerker, der mir wie jene Todtengruft erscheint, in der ich gräßlich verderben sollte.«

»Schweig, Bube!« donnerte die Stimme des hochgewachsenen Mannes und eine wilde Zornesgluth flammte in seinen Blicken auf. »Nenne nicht meinen Namen und sprich kein Wort, das verrathen könnte, wer ich bin, wenn Dir Dein Leben lieb ist! Noch einmal soll ich Dich retten? Dich, der die erste Rettung so schlecht vergolten hat. Ist denn mit einemmale in Deiner Erinnerung erstorben, was Du unzählige Male mir vorgewinselt hast, wenn Du Dich wie ein Wurm vor meinen Füßen krümmtest und mit heißen Schwüren ewige Dankbarkeit gelobtest? Ich will es Dir zurückrufen, daß Du die Größe Deiner Schuld erkennst, daß Du zurückschauderst vor dem Schicksale, welches Dich bei der ersten Uebertretung meiner Gebote wieder erwartet. Du warst eines wilden Umhertreibens in der Welt, das Dir nur wenigen Vortheil brachte, müde und dachtest im klösterlichen Müssiggange und Wohlleben mehr Freude zu finden, als Dir das Waffenhandwerk gewährt hatte. Du wurdest ein Mönch und hießest fortan Bruder Pantaleon. Nach Jahren aber erwachte wiederum in Dir die weltliche Lust und Du sehntest Dich hinaus in das alte Treiben, in das freie Leben, das Dir die Erinnerung herrlich ausmalte. Du entsprangst, aber Du wurdest wieder ergriffen und die Todtenglocke wurde über Deinem Haupte geläutet, und Dich traf das schreckliche Loos, lebendig begraben zu werden. Da mußtest Du sehen wie ein Stein auf dem andern sich langsam erhob, und wie der Eingang Deines Grabes immer enger wurde und sich endlich ganz verschloß; da hörtest Du den Grabgesang der Brüder, der Dir, dem Lebenden, galt, und das Geheul Deiner Verzweiflung konnte ihn nicht übertönen für Dich und dennoch wurdest Du beinahe wahnsinnig, als er leiser und leiser wurde und endlich in weiter Ferne ganz verklang. Nun warst Du allein mit Dir und den Schauern des nahen Hungertodes. Einen Krug mit Wasser, ein Brot und eine brennende Lampe hatte man Dir mitgegeben. Aber in toller Gierde fielest Du über die Lebensmittel her, verschlangst das Brot mit einemmale und leertest den Krug auf einen Zug. Zweimal war schon die Sonne über Deinem Grabe aufgegangen. Dich traf keiner ihrer freundlichen Strahlen. Fernher hörtest Du Stimmen des Lebens, leisen Gesang, dumpfes Glockengeläute, selbst das Zwitschern der Vögel im nahen Garten. Aber für Dich gab es kein Auferstehen zum frohen Leben und jeder Ton mahnte Dich nur an Deine entsetzliche Verlassenheit. In furchtbaren Momenten ergriff Dich wieder der Wahnsinn, Du schlugst Dein Haupt blutig an der harten Mauer, Du kraztest Dir die Hände wund an den feuchten Wänden, die Deiner Bemühungen spotteten. Da führte mich Dein Glücksstern in's Kloster. Ich kannte Dich und glaubte in Dir ein tüchtiges Werkzeug für meine Plane gefunden zu haben. Heimlich öffnete ich Dein Grab. Ich fand ein Thier, statt eines Menschen, den ich erwartet hatte. Aber dennoch gab ich Dir Freiheit und Leben wieder und während jene Mönche Seelenmessen über den heimgegangenen Bruder Pantaleon lasen, führte ich Dich auf verborgenen Wegen aus dem Kloster, wo niemand ahnete, daß ich den Sünder seiner Strafe entrissen hatte. Ich ließ Dich verpflegen, ich ließ Dich in ein neues frohes Leben eintreten, wie Du es wünschtest. Aber hast Du mir gelohnt, was ich an Dir gethan? Hast Du nicht selbst den Eid gebrochen, den Du mir leistetest, und auf dessen Verletzung Deine Wiederauslieferung an jenes Kloster, die Auferstehung des Bruders Pantaleon stand, damit er dann noch einmal lebendig in's Grab hinabsteige, aber keinen Retter vom langsam quälenden Hungertode fände? Was thue ich jetzt mit Dir? Soll ich verfahren nach dem Rechte, das Dein Treubruch mir einräumt?«

»Fürwahr, Herr!« murmelte der Gefangene fast unwillkührlich: »Ihr findet eine grausame Lust daran, die Seele auf die Folter zu spannen!«

»Finde ich?« versetzte mit furchtbarem Hohne der Mann. »Glaube, Elender, daß es mir eine weit größere Lust sein wird, mit der Seele auch den Leib zu foltern, wenn Du noch einmal Deine Pflicht vergissest oder gar Dich gelüsten lässest, auch nur durch ein einziges Wort, eine ferne Anspielung oder eine Geberde Deine Verbindung mit mir zu verrathen. Jetzt stehe auf und folge mir. Noch einmal will ich meine Wohlthaten an Dich verschwenden, zum zweitenmale Dich dem Leben wiedergeben. Aber, das merke Dir wohl: es ist das letztemal!«

Ralph küßte seines Befreiers Füsse, was dieser mit einem verächtlichen Blick auf ihn, duldete. Dann sprang jener hastig aus seiner knieenden Stellung auf und wollte sprechen. Aber des hohen Mannes Gebot: »Schweig' und folge!« verschloß ihm den Mund und bewog ihn, seine Schritte an die des Vorangehenden zu heften, der, mit der von seinem Begleiter zurückgelassenen Blendlaterne versehen, eilig durch die enggewölbten Gänge bis zu einem größern Raume zunächst dem Ausgang des Gefängnisses schritt, wo ihm sein Wache haltender Gefährte mit verstörtem Angesichte entgegentrat.

»Es ist gut, daß Ihr kommt, denn nur wenige Augenblicke länger Verzögerung und Ihr selbst und vielleicht auch ich, müßten die Gefangenschaft mit diesem Burschen theilen!« redete dieser seinen Verbündeten mit bewegter Stimme an: »Hört Ihr den Schall der Waffen und die Schritte der Nahenden? Gewiß ist es zur Kunde meines Vaters gekommen, daß die Bestrafung des Verbrechers einen Aufschub erlitten und, seinem Befehle nach, muß nun sogleich geschehen, was früher versäumt worden. Das ist seine Art so und Zeit und Stunde gelten ihm dann gleich.«

In der That vernahm man außerhalb Waffengeräusch und selbst die Stimmen vieler Herannahenden wurden nun hörbar. Der Befreier des Waffenmeisters öffnete schnell die äußere Thüre und die drei Männer schritten nun hinaus in's Freie, wo sie sogleich einen Haufen Bewaffneter mit brennenden Pechfackeln wahrnahmen, der sich dem Gefängnisse, das sie eben im Begriffe waren zu verlassen, näherte. Unter den Bewaffneten schienen sich mehrere Trunkene zu befinden, deren wüstes Schreien wild durch die Nacht klang, und welche durch öfteres Stillstehen, wobei sie heftig zu ihren Kameraden redeten, den Zug aufhielten. Dieser Zufall gereichte den drei Entfliehenden zum großen Nutzen, und ohne ihn würde ihr Unternehmen vereitelt und der Angesehenste von ihnen der größten Gefahr ausgesetzt worden sein. Unter den gegenwärtigen Umständen aber hatten sie volle Zeit, nachdem sie die Blendlaterne verborgen, die Gefängnißpforte wieder leise zu verschließen und längs den Häusern hin in eine dem Wege, welchen die Bewaffneten nahmen, entgegengesetzte Straße zu schleichen.

Als sie das Licht der Fackeln nicht mehr sahen und darauf rechnen konnten, daß der Schall ihrer Schritte sie nicht mehr verrathe, gingen sie eiliger vorwärts, ohne jedoch durch ein Wort das Schweigen zu brechen, das sie seit ihrer Entfernung aus dem Gefängnisse beobachtet hatten. Der Mond schien hell. Der hochgewachsene Mann, dem die beiden übrigen folgten, wählte seinen Weg immer im Schatten der Häuser, so daß, hätte auch zufällig in dieser nächtlichen Stunde jemand aus den Häusern auf die Straße gesehen, sie dennoch nicht leicht hätten entdeckt werden können. Bald befanden sie sich in der Nähe eines Stadtthores, in dessen Thurme durch ein oberes Fenster das Licht des pflichtmäßig wachenden Pförtners gesehen werden konnte. Der Mann, welcher dem Befreier des Waffenmeisters zur Begleitung diente, gab mit einem Pfeifchen ein leises Zeichen, worauf sogleich das Licht in der Thurmwohnung verschwand und kurze Zeit nachher der Pförtner aus einer Seitenthüre trat und, wie es die in seiner Hand befindliche Leuchte deutlich zeigte, spähend um sich blickte.

Ohne nur einen Augenblick zu zögern, eilte derjenige, dessen Pfeifen ihn herbeigerufen hatte, auf ihn zu und flüsterte ihm einige Worte in die Ohren, während der Befreier Ralph's diesen ungestüm bei Seite hinter ein altes Gemäuer zog.

»Ich verlasse die Stadt in diesem Augenblicke,« sagte hier der gebieterische Mann mit leiser Stimme, aber in einem Tone, der im voraus jede Einrede zurückwies. »Du jedoch bleibst hier zurück bei dem, der mich in Dein Gefängniß führte. Er wird Dich verbergen und für alle Deine Bedürfnisse Sorge tragen. Von dem Ritter, den Du wohl kennst, wirst Du am nächsten Sonntage Pergamente und Botschaft für mich empfangen. Beides überbringst Du Mitternacht an den gewöhnlichen Ort unserer Zusammenkünfte. Auf ein Losungswort, das man Dir mittheilen wird, öffnet sich Dir die nämliche Pforte, durch die ich mich sogleich entferne. Bis dahin sei treu und verschwiegen! Gedenke Deines Eides und dessen, was Dich erwartet bei der mindesten Abweichung von dem Pfade der Pflicht, den Dir Gehorsam und Dankbarkeit vorzeichnen.«

»Aber, Herr, man kennt mich hier,« wandte Ralph furchtsam ein, »man möchte mich wiederum einfangen.« –

»Schweig, Memme!« fuhr sich vergessend der Andere auf. »Noch eine Widerrede und ich nehme Dich mit mir, aber nicht um Dich der Freiheit, nein! um Dich dem Grabe wiederzugeben!«

Ein leises Geräusch ließ sich in der Nähe der beiden Sprechenden vernehmen. Der geheimnißvolle Mann, welcher durch so strenge Mittel den Waffenmeister unter seinen harten Willen zu beugen vermochte, sah forschend auf und lauschte in die Nacht hinaus. Es war aber wieder Alles still geworden und er hielt es für wahrscheinlich, daß irgend ein Thier, eine Eule oder eine Fledermaus, seine augenblickliche Besorgniß erweckt habe.

Jetzt kam sein Begleiter von der Unterredung mit dem Pförtner zurück und sagte, indem er ebenfalls den Ton seiner Stimme sehr zu mäßigen suchte.

»Der Weg ist frei und nichts steht Euerer Entfernung entgegen. Aber zuvor Euern Segen, hochwürdiger Herr, der mir Bürge ist, daß das, was ich gethan, recht erscheint im Auge des Höchsten!«

Mit diesen Worten ließ er sich auf ein Knie vor dem Manne nieder, dessen kriegerisches Ansehen nichts weniger, als einen Geweiheten des göttlichen Wortes verkündete. Aber der Mann legte seine Hand segnend auf das Haupt des Knieenden und sprach halblaut in lateinischer Sprache mit ungemeiner Würde die Worte des Segens. Dann nahm er unter seinem Mantel ein Kästchen hervor, dessen Glanz selbst durch die dunkele Nacht leuchtete.

»Bewahre es wohl!« sprach er, indem er dem Andern das Kästchen überreichte und ihn dann vom Boden aufhob. »Es enthält eine kostbare Reliquie, die Dir Ehre und Glück, ein sanftes Sterbestündlein und die Seligkeit im Jenseits verbürgt. Du hast gewirkt für die Sache Gottes gegen diejenigen, die ihn verläugnen, Du wirst ferner dafür wirken nach Deinen Kräften und die heilige Kirche wird fortfahren Dir ihren Dank thätig zu beweisen.«

Nach dieser mit großer Freundlichkeit und Milde gesprochenen Rede, ging er mit eiligen Schritten auf das geöffnete Thor zu. Als er in die Nähe des Pförtners kam, verhüllte er sein Angesicht mit dem weiten Mantel und schritt, ohne ein Wort laut werden zu lassen, sehr schnell an ihm vorüber. Das Fallgatter sank und die Thorflügel wurden wieder geschlossen. Von draußen her hörte man die Hufschläge zweier Rosse, die sich im Galopp entfernten. Bald verlor sich dieses Geräusch ganz, der Thorwächter stieg in seinen Thurm hinauf und die beiden zurückgebliebenen Männer verließen ihren Standpunkt, um sich durch einsame und vom Lichte des Mondes nicht getroffene Straßen in das Innere der Stadt zu begeben. Aber sie bemerkten eine dunkle Mannsgestalt nicht, die sich, sobald sie sich von dem verfallenen Gemäuer entfernt hatten, hinter diesem erhob und weitab, ohne sie jedoch aus den Augen zu verlieren, ihren Schritten folgte. Sie ließ sich durch keine absichtlichen Irrwege der beiden Voranschreitenden bewegen, von der einmal genommenen Fährte abzuweichen und schlug erst dann eine andere Richtung ein, als sie jene zwei durch eine Hinterthüre in das Haus des Stadtschultheißen verschwinden sah.

Es war in der That Volrad von Praunheim gewesen, der zu der Befreiung des Waffenmeisters Ralph Strichauer mitgewirkt und diesen der von seinem Vater verhängten Strafe entzogen hatte. Wir sind geneigt zu glauben, daß die Gründe, welche ihn hiezu veranlaßt, nicht sowohl in einer Veränderung seiner, sonst wenig von den Ansichten des Stadtschultheißen abweichenden Denkart zu suchen sein möchten, als vielmehr in der großen Ehrfurcht, welche er dem ihn begleitenden Manne in Kriegertracht zollte, und in der unbeschränkten Gewalt, welche dieser über ihn übte. Wie dieser seltsame Mann, der gleich einem Camäleon sein Aeußeres wechselte, um versteckt und geheim seinen gefährlichen Absichten nachzugehn, einen solchen Einfluß auf den stolzen Sohn des alten Praunheim besitzen konnte, und ob die Empfänglichkeit für diesen, wie es scheinen will, in den religiösen Grundsätzen des Schöffen ihren Ursprung haben mochte: das wird der Verfolg dieser Erzählung lehren, wenn er den Schleier von der räthselhaften Erscheinung nimmt und sie uns darstellt in ihrer ganzen Macht und abschreckenden Wahrheit. Bis dahin halten wir uns nicht für berufen, dem Incognito, welches sie so mühsam und absichtlich zu behaupten strebt, ein Ende zu machen, und überlassen es der Phantasie des Lesers, dem wohl schon manche Beziehung klar geworden sein dürfte, den büßenden Mönch und den faustkämpfenden Bürgersmann, den gewaffneten Krieger und den Spender des kirchlichen Segens in Ein Individuum zu vereinigen.

 

Ende des ersten Bandes.



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