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9.

Sicher tret' ich auf und glanzumgeben;
Jedes Auge freut sich meines Kommens,
Jedes Herz erhebt sich gleich zur Hoffnung,
Jeder Geist, schon schwelget er in Wünschen.

Göthe.

In der Herberge zur Goldgrube erwartete den Junker von Sonnenberg eine neue Ueberraschung. Diesesmal aber war es ein Begebniß erheiternder Art, welches unsern Friedmann wieder in gute Laune versetzte und ihn die mancherlei Unannehmlichkeiten des heutigen Morgens, sowie die beunruhigenden Zweifel über die Verhältnisse der schönen Amalgundis auf einige Zeit vergessen machte.

Als er an der Thüre seines Gemachs stand, um diese zu öffnen, hörte er im Innern ein lautes Kichern und Lachen, dazwischen die Stimme seines Dieners Stephan und eine andere weibliche, welche ihm unbekannt schien. Entrüstet über die Ungebührlichkeit des Dieners, der sich nicht scheute, sogar das Zimmer seines Herrn zu einem Stelldichein mit irgend einer leichtfertigen Dirne, wie Friedmann meinte, zu mißbrauchen, stieß er hastig die nur angelehnte Thüre auf und trat ein. Wer aber beschreibt das Erstaunen, welches den Junker befiel, als er hier das Pfeffer-Rösel in einer eben so seltsamen, als lächerlichen Umgebung erblickte. Das freundliche Mädchen saß am Boden in der Mitte des Zimmers. Hinter sich und zu beiden Seiten hatte sie Wände von Pfefferkuchen aufgebaut, zwischen denen sie zu erschauen war, wie ein Heiligenbild in seiner Nische. Stephan, ein frischer rothbackiger Bursche, der mit Friedmann aufgewachsen war, stand vor ihr und redete ihr mit lachendem Munde zu, sich sammt ihrem Pfefferkram fortzupacken, ehe sein Junker käme; denn dieser könne unmöglich eine so unnütze Waare eingekauft haben und der ganzen Sache müsse ein Irrthum zum Grunde liegen. Rösel antwortete ihm ebenfalls mit lachendem Munde und behauptete, sie müsse die Pfefferkuchen in des edeln Junkers eigene Hände übergeben, und solle sie warten bis zum Abende oder gar bis in die späte Nacht.

»Da ist er selbst!« schrie sie auf, als sie ihn jetzt wahrnahm, und sprang vom Boden empor. »Hier edler Junker,« fuhr sie fort, »liegen Euere Pfefferkuchen wohl abgezählt und säuberlich hergerichtet. Bezahlt sind sie mit gutem Gelde und ich wünsche nun, daß Ihr sie mit gesundem Appetit verzehren mögt!«

»Wart, thörichte Dirne!« rief Stephan und hielt das Mädchen, welches schon im Begriff war sich zu entfernen, zurück. »Laß nun erst meinen Herrn sprechen, ob er Deine Waare will oder nicht. Du bist in einem Irrthume und siehst ihn für einen Andern an. Denkt Euch, edler Junker, sie hat sich schon seit zwei Stunden hierher gepflanzt, und, ich mochte auch sagen was ich wollte, eine Burg von Pfefferkuchen um sich aufgebaut, die, wie sie sagt, von Euch eingekauft sind. Ihr müßt es mir zugute halten, daß ich sie nicht mit Gewalt vertrieb, allein das närrische Ding hat mir's angethan unter Lachen und Scherzen, und ich konnte ihr kein Leid's thun vor lauter Lust, sie anzuhören und mit ihr zu streiten.«

»Es ist ganz recht so, Stephan!« sagte der Junker, indem er über die zierliche Pfefferkuchen-Burg, welche das Rösel aufgebaut hatte und die er jetzt in nähern Augenschein nahm, ebenfalls laut auflachen mußte. »Die Pfefferkuchen sind mein, weil es das Mädchen durchaus so will, und Du hast gar wohl daran gethan, daß Du sie nicht mit Gewalt vertrieben.«

»Siehst Du wohl, ungläubiger Thomas?« sprach jetzt Rösel zu Stephan, der mit allen Zeichen der Verwunderung bald seinen Herrn, bald das Mädchen anblickte. »Was hilft Dir nun Deine Widerrede und was nützt es, daß Du mich dumm schaltest und eine Thörin? Aber Du hast es nicht böse gemeint und damit Du siehst, daß ich Dir kein Uebel will, so komme übermorgen zu mir auf den Samstagsberg und suche Dir den besten Pfefferkuchen aus, den die neue Sendung von Nürnberg enthalten wird.«

Sie begleitete diese Einladung mit einem Blicke, der ihr ganzes Wohlgefallen an dem schmucken Burschen aussprach, und bei Weitem etwas süßeres verhieß, als nur den schnöden Pfefferkuchen. So wenig auch Stephan auf Burg Sonnenberg Unterricht in der Augensprache erhalten hatte, so begriff er doch sogleich den Sinn dieses Blickes und erwiederte ihn, von seinem Herrn unbemerkt, mit einem bejahenden Winke. Hierauf dankte das Pfeffer-Rösel nochmals dem Junker für die Wohlthat, die er, wie sie sagte, ihrer siechen Mutter erwiesen, und ging dann eilig davon.

Friedmann gab seinem Diener den Auftrag, die Pfefferkuchen unter das Dienstgesinde der Herberge zu vertheilen, während er, ohne einen Augenblick länger zu säumen, sich von ihm die Rüstung anlegen ließ, das Schreiben seines Vaters und die Pergamentrolle des Mönchs in seine Schärpe steckte und, wie der alte Marschalk ihm geheißen, ein rothes seidenes Fähnlein, als Zeichen einer siegreichen Botschaft zur Hand nahm. So ausgestattet flog er hinab in den Hof, wo Stephan ihm sogleich das bereit gehaltene Roß vorführte, in dessen Sattel er sich mit einem kühnen Sprunge schwang und das er nun zum scharfen Trabe nach der Kaiserpfalz anspornte. –

Indessen war der Kaiser mit seiner Begleitung bereits in der Nähe der Fahrpforte, welche ihren Namen von der hier befindlichen Anfahrt hatte, gelandet. Eine Menge Volks hatte sich hier zusammengefunden und bildete am Ufer einen weiten Halbkreis, in dessen Mitte, nahe am Rande des Ufers Adolph von Nassau stand, von seinen Rittern und Dienern umgeben, mit heiterem Blicke auf dem freundlichen Schauspiele verweilend, das ihm der belebte Fluß mit seinen reizenden Ufern gewährte.

Adolph von Nassau stand zwar schon hoch im Sommer des Lebens, war aber noch immer ein schöner Mann. Seine hohe schlanke Gestalt ragte über alle seine Begleiter hervor; die regelmäßig gebildeten Züge seines Antlitzes trugen den Ausdruck ächter Herzensgüte, während aus seinem großen blauen Auge das Feuer eines Muthes blitzte, den er im persönlichen Kampfe und im offenen Kriege schon so oft bewährt hatte. Aber die Rosen des edel geformten Angesichts waren gebleicht und die Sorge und die Beschwerden hatten ihre Furchen in die bleichen Wangen gezogen. Kaiser Adolph hatte den festen Willen, die Völker, welche die Vorsehung unter seine Obhut gestellt hatte, zu beglücken. Wie vermochte er es aber, da die mächtigsten Fürsten, deren zum Nachtheile des Reichs gestellte Begehren er abschlug, gegen ihn aufstanden, da seine nächsten Verwandten, unter ihnen der mächtige Erzbischof Gerhard von Mainz, dessen Wohlwollen ihm früher die Krone verschafft hatte, seine erbittertsten Feinde wurden? Sein Erbland war zu klein, als daß er aus ihm eine Heeresmacht, die seinen zahlreichen Gegnern gewachsen wäre, hätte aufstellen können. Er sah sich also genöthigt, zu einem damals unerhörten Mittel zu greifen und Söldner in seine Dienste zu nehmen, die freilich nicht in so strenger Mannszucht gehalten werden konnten, wie Reisige und Knechte, welche nach alter Sitte die Vasallen ihren Lehnsherrn zuführten. Die von den Söldnern verübten Zügellosigkeiten wurden gierig von Adolph's Feinden benutzt, um ihren Haß gegen ihn weiter zu verbreiten und den Ruf seiner ritterlichen Tugenden zu untergraben. Daß ihnen dieses nur allzugut gelungen war, blieb dem Kaiser nicht verborgen, und diese Erkenntniß war die Quelle einer Schwermuth geworden, die ihn fortan nicht mehr verließ. Im gefährlichsten Kampfe auf Tod und Leben hatte Adolph eine heitere Stirn gezeigt; allein der im Verborgenen schleichende Angriff auf seine Ehre und seinen Ruhm beugte ihn schwer darnieder.

Trotz des milden Kummers, der auf seinem schönen Angesichte schwebte, zeigte sich auf diesem auch eine liebenswürdige Freundlichkeit, die jeden, der dem Kaiser zum erstenmale nahe kam und der nicht der Sklave eines unbezähmbaren Hasses oder einer unempfänglichen Rohheit war, für ihn einnahm. Niemand wußte so würdig, wie Adolph von Nassau, Herablassung mit Hoheit zu paaren; kein Fürst jener Zeit stand in einem so traulichen, aber dennoch die dem Kaiser gebührende Ehrfurcht nicht entfernenden Verhältnisse, zu seinen nächsten Umgebungen, wie er.

Als er an das Ufer der freien Reichsstadt trat, trug er das Gewand des Friedens. Dieses aber bestand aus Stücken, welche sämmtlich an seine hohe Würde erinnerten und das imposante Ansehn seiner edeln männlichen Gestalt noch vermehrten. Auf dem starken, in blonden Locken herabfallenden Haupthaare schwebte ein goldener Reif, ausgezackt wie eine Krone und mit Perlen und edeln Steinen besetzt, gleich der Krone Carls des Großen, welche die Kaiser bei der Krönungsfeierlichkeit tragen mußten. Sein Unterkleid war eine blau seidene Dalmatika, mit goldnen Adlern und Perlen gestickt, durchaus gleich mit der, welche die Kaiser ebenfalls bei der Krönung anlegten. Statt des bei jenen Feierlichkeiten gebräuchlichen Pluviale oder kaiserlichen Chormantels, trug er einen kurzen fliegenden Mantel, der alle Vorzüge seiner schönen Gestalt geltend machte, aber auch wie jenes kaiserliche Gewand aus rothem Seidenzeuge verfertigt war und in Gold- und Perlenstickerei zwei Löwen zeigte, deren jeder auf einem niederknieenden Kameele stand. Das Schwert an seiner Seite war ganz dem des heiligen Mauritius ähnlich, welches bei der feierlichen Krönung vorgetragen wurde und enthielt auch die Inschriften, welche sich auf diesem befanden Am Knopfe: Benedictus Dôs. Dês. (Dominus Deus) Meus Qui Docet Manus, und am Kreuze: Cristus. Vincit. Cristus. Regnat. Cristq. Imperat.. Die blaue Dalmatika wurde von einem goldenen Gürtel gehalten und an den Schuhen, von Carmoisinatlas, mit Gold und Perlen gestickt, waren goldene Sporen befestigt. Auch diese drei letzten Stücke glichen bis in die kleinsten Einzelnheiten den von Kaiser Karl dem Großen herrührenden Reichskleinodien der genannten Gattungen.

Wer den Kaiser in diesem Aufzuge sah, wer den Blitz des Muthes im offenen Blicke, den Gedankenreichthum in der hochgewölbten Stirn, den Ausdruck der Herzensgüte und der Milde in seinem ganzen Wesen erkannte, wer sich aus dem starken Baue der Glieder, aus der anmuthigen Gewandtheit aller Bewegungen, selbst aus der Größe des gewichtigen Schwertes an seiner Seite, den Schluß zog, daß dieser Mann in dem größten Vorzuge, welchen die damalige Zeit kannte, in ritterlicher Führung der Waffen, schwerlich seines gleichen finde: der mußte sich selbst sagen, daß die Natur, die Erziehung und die Erfahrung Alles gethan hatten, Adolph von Nassau mit dem Gepräge der Würdigkeit eine Kaiserkrone zu tragen, auszustatten.

Der Jubel des Volks, welcher ihn bei seinem ersten Schritte an's Ufer empfing, wollte nicht aufhören. Adolph sah gerührt auf die Reichsstädter, die ihm, wie er wohl wußte, zum größten Theile sehr ergeben waren. Der Gedanke, wie klein die Schaar seiner Anhänger im Allgemeinen sei und wie diese wenigen Gutgesinnten nicht hinreichen würden, sein Recht zu behaupten, gegen den Sturm der Uebermacht, der ihm allen Anzeichen nach bevorstand, mochte ihn schwer ergreifen; denn der melancholische Zug in seinem edeln Antlitze wurde ausdrucksvoller und eine düstere Wolke lagerte sich auf seine Stirn.

Da zeigten sich in der Pforte, welche aus der Stadt an den Landungsplatz führte, mehrere männliche und weibliche Gestalten zu Pferde. Das Volk wich ehrerbietig aus und bildete eine Gasse, in der jetzt der greise Stadtschultheiß Heinrich von Praunheim mit seinem Sohne Volrad, den beiden Rittern Mainhard Schelm vom Berge und Günther von Nollingen, und den Jungfrauen Jutta und Amalgundis, sich dem Kaiser näherten. Noch schallte der Jubelruf der Menge, allein auf ein Zeichen des Stadtschultheißen, das dieser finster um sich blickend mit der Hand gab, trat plötzlich eine allgemeine Stille ein. Manchem unter Adolphs Begleitern mochte dieses eine seltsame Anmaßung von Seiten des Stadtschultheißen dünken; sie sahen mit unwilligen Mienen nach Heinrich von Praunheim hin, während sie einander ihre Bemerkungen zuflüsterten. Der Kaiser selbst aber legte auf keine Weise ein Merkmal der Unzufriedenheit an den Tag, sondern trat dem Schultheißen, der mit seinem Sohne und den Rittern in einiger Entfernung abgestiegen war, freundlich entgegen. Mit einem Ausdrucke besonderer Aufmerksamkeit flog sein Blick nach Amalgundis und weilte einige Augenblicke auf der reizenden Gestalt. Dann ergriff Adolph die Hand des alten Praunheim, der ein Knie vor ihm beugte, und sagte:

»Gott zum Gruße, lieber Getreuer! Sehr hat es mich getrieben Euch zu sehn, denn wir haben Mancherlei mit einander zu besprechen zum Frommen des Reichs und unserer guten Stadt Frankfurt. Aber für den Augenblick mag Ritterdienst dem Kaiserdienste vorgehn und unser erstes Werk auf festem Lande diesen edeln Frauen gelten!«

Hiermit näherte sich der Kaiser den beiden Fräulein, welche noch nicht von ihren zierlich gebaueten Zeltern abgestiegen waren, und hob mit gefälligem Anstande zuerst die stolz um sich blickende Jutta, deren Selbstgefühl durch diese von dem erhabensten Monarchen dargebrachte Huldigung, zum Uebermaße gesteigert wurde, herab. Dann erzeigte er denselben Ritterdienst auch der sanfterröthenden Amalgundis, indem er diese jedoch kaum merklich länger in seinem Arme hielt, als jene und im Niederheben mit sanftem Drucke an seine Brust zog. Nur dem Scharfblicke Jutta's entging dieses Benehmen des Kaisers nicht, und das den schönen Mund so oft entstellende höhnische Lächeln trat auch bei dieser Gelegenheit wieder scharf hervor.

Adolph von Nassau stand, nachdem er einige freundliche Worte mit den beiden Jungfrauen gewechselt hatte, eben im Begriff, seinen Weg nach der nahgelegenen Kaiserpfalz anzutreten, als plötzlich der ringsum ertönende Ruf: »ein Siegesbote! ein Siegesbote!« seine Schritte hemmte und seine Blicke auf das Stadtthor lenkte, aus dem setzt auf einem prächtigen Rosse ein Jüngling von edlem Anstande hervorsprengte, der das rothe Siegesfähnlein in seiner hocherhobenen Rechten hielt. In ihm erkannte der Stadtschultheiß sogleich den Edeljunker, der so kühn zu ihm gesprochen, Jutta und die süß betroffene Amalgundis ihren Beschützer, und der Ritter von Nollingen mit innerem Groll den glücklichen Besieger seines Vertrauten Ralph Strichauer, während der Kaiser in großer Spannung die unerwartete Erscheinung wahrnahm und dem Inhalte ihrer Bothschaft entgegensah.



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